2
Ethik Med (2002) 14:34–35 Tagungsberichte Schwierige Fragen an den Grenzen des Lebens Bericht über das Symposium „Menschenleben – Menschenwürde“ am 2. und 3. November 2001 in Bochum Lars Klinnert Der Begriff der Menschenwürde hat sich – zumal im deutschsprachigen Raum, durch die eu- ropäische Bioethik-Konvention, aber auch international – zum zentralen Kriterium für die Be- urteilung von Humangenetik und Biomedizin entwickelt. Er erlaubt jedoch einen breiten In- terpretationsspielraum, so dass gefragt werden muss, inwiefern er zur Lösung entscheidender Probleme überhaupt beitragen kann. Ein wenig Ordnung in das Gewirr der widerstreitenden Argumentationen wollte ein interdisziplinäres Symposium „Menschenleben – Menschenwür- de“ bringen, zu dem das Institut für Philosophie der Ruhr-Universität Bochum, das Bochumer St.-Elisabeth-Hospital, die Deutsche Hospizstiftung und die Konrad-Adenauer-Stiftung am 2. und 3. November 2001 nach Bochum eingeladen hatten. Allzu große Hoffnungen auf eine eindeutige Klärung dämpfte der Gastgeber Walter Schweidler bereits in seinem Einführungsstatement: Menschenwürde lasse sich nur respektie- ren, nicht definieren. Da sie nicht in bestimmten Eigenschaften, sondern in der natürlichen Einheit der Menschheit begründet sei, stelle Menschenleben das einzige Kriterium für ihre Zuerkennung dar. Durch den medizinischen Fortschritt sei es allerdings schwierig geworden, dessen Extensionalität zu bestimmen. Schweidler bezweifelte, dass die Unterscheidung zwi- schen individuellem Menschenleben und menschlichem Leben von Zellen oder Organen Ab- hilfe schaffen könne. Er plädierte demgegenüber dafür, menschliches Leben stets als einem individuellen Menschen zuzuordnendes Leben zu begreifen, weshalb zum Beispiel für eine Organentnahme bei Hirntoten die Einwilligung unabdingbar sei. Den Personbegriff bezeichnete Dieter Birnbacher (Universität Düsseldorf) als ungeeigne- tes Kriterium für die Zuerkennung von Menschenwürde und Lebensrecht. Ohne ihn sei ein viel differenzierterer Würdebegriff möglich, der zwischen starker Würde als Zuerkennung be- stimmter individueller Rechte und schwacher Würde als Achtung aus Zugehörigkeit zur Spe- zies unterscheide. Mit umgekehrter Zielrichtung vertrat Josef Seifert (Internationale Akade- mie für Philosophie Liechtenstein) einen vierfachen Würdebegriff: Würde lasse sich zwar auch aus Verdienst, Moralität oder Rationalität ableiten, sei letztlich jedoch ontologisch in der menschlichen Wesensnatur als deren Bedingung begründet und darum von Anfang an zuzuer- kennen. Den Personbegriff für unverzichtbar hält Robert Spaemann (Universität München), um die Selbstzwecklichkeit menschlichen Lebens auszudrücken. Zwar könne man an Embryonen nicht ablesen, was eine Person ausmache, doch gehörten sie zu einer Anerkennungsgemein- schaft von Wesen, die alle anderen Wesen ihrer Art als Personen betrachten. Personalität sei nie das Ergebnis, sondern immer schon die Struktur einer Entwicklung: So werde ein ungebo- renes Kind von Anfang an als ein Jemand und nicht als ein Etwas wahrgenommen. Das Le- ben eines Menschen sei daher mit dem Sein einer Person deckungsgleich. Zur rechtlichen Definition der Grenzen des Lebens vertrat der Staatsrechtler Wolfram Höfling (Universität Köln) die so genannte weite Tatbestandstheorie: Je höher der Grad nor- mativer Offenheit eines Grundrechtes, desto extensiver sei auch das Verständnis des jeweili- gen Schutzgegenstandes. Der Lebensschutz sei daher an das bloße Vorhandensein eines le- Lars Klinnert Lehrstuhl für Systematische Theologie (Ethik), Ruhruniversität, 44780 Bochum, Deutschland © Springer-Verlag 2002

Schwierige Fragen an den Grenzen des Lebens

  • Upload
    lars

  • View
    214

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Schwierige Fragen an den Grenzen des Lebens

Ethik Med (2002) 14:34–35

Tagungsberichte

Schwierige Fragen an den Grenzen des LebensBericht über das Symposium „Menschenleben – Menschenwürde“ am 2. und 3. November 2001 in Bochum

Lars Klinnert

Der Begriff der Menschenwürde hat sich – zumal im deutschsprachigen Raum, durch die eu-ropäische Bioethik-Konvention, aber auch international – zum zentralen Kriterium für die Be-urteilung von Humangenetik und Biomedizin entwickelt. Er erlaubt jedoch einen breiten In-terpretationsspielraum, so dass gefragt werden muss, inwiefern er zur Lösung entscheidenderProbleme überhaupt beitragen kann. Ein wenig Ordnung in das Gewirr der widerstreitendenArgumentationen wollte ein interdisziplinäres Symposium „Menschenleben – Menschenwür-de“ bringen, zu dem das Institut für Philosophie der Ruhr-Universität Bochum, das BochumerSt.-Elisabeth-Hospital, die Deutsche Hospizstiftung und die Konrad-Adenauer-Stiftung am 2.und 3. November 2001 nach Bochum eingeladen hatten.

Allzu große Hoffnungen auf eine eindeutige Klärung dämpfte der Gastgeber WalterSchweidler bereits in seinem Einführungsstatement: Menschenwürde lasse sich nur respektie-ren, nicht definieren. Da sie nicht in bestimmten Eigenschaften, sondern in der natürlichenEinheit der Menschheit begründet sei, stelle Menschenleben das einzige Kriterium für ihreZuerkennung dar. Durch den medizinischen Fortschritt sei es allerdings schwierig geworden,dessen Extensionalität zu bestimmen. Schweidler bezweifelte, dass die Unterscheidung zwi-schen individuellem Menschenleben und menschlichem Leben von Zellen oder Organen Ab-hilfe schaffen könne. Er plädierte demgegenüber dafür, menschliches Leben stets als einemindividuellen Menschen zuzuordnendes Leben zu begreifen, weshalb zum Beispiel für eineOrganentnahme bei Hirntoten die Einwilligung unabdingbar sei.

Den Personbegriff bezeichnete Dieter Birnbacher (Universität Düsseldorf) als ungeeigne-tes Kriterium für die Zuerkennung von Menschenwürde und Lebensrecht. Ohne ihn sei einviel differenzierterer Würdebegriff möglich, der zwischen starker Würde als Zuerkennung be-stimmter individueller Rechte und schwacher Würde als Achtung aus Zugehörigkeit zur Spe-zies unterscheide. Mit umgekehrter Zielrichtung vertrat Josef Seifert (Internationale Akade-mie für Philosophie Liechtenstein) einen vierfachen Würdebegriff: Würde lasse sich zwarauch aus Verdienst, Moralität oder Rationalität ableiten, sei letztlich jedoch ontologisch in dermenschlichen Wesensnatur als deren Bedingung begründet und darum von Anfang an zuzuer-kennen.

Den Personbegriff für unverzichtbar hält Robert Spaemann (Universität München), umdie Selbstzwecklichkeit menschlichen Lebens auszudrücken. Zwar könne man an Embryonennicht ablesen, was eine Person ausmache, doch gehörten sie zu einer Anerkennungsgemein-schaft von Wesen, die alle anderen Wesen ihrer Art als Personen betrachten. Personalität seinie das Ergebnis, sondern immer schon die Struktur einer Entwicklung: So werde ein ungebo-renes Kind von Anfang an als ein Jemand und nicht als ein Etwas wahrgenommen. Das Le-ben eines Menschen sei daher mit dem Sein einer Person deckungsgleich.

Zur rechtlichen Definition der Grenzen des Lebens vertrat der Staatsrechtler WolframHöfling (Universität Köln) die so genannte weite Tatbestandstheorie: Je höher der Grad nor-mativer Offenheit eines Grundrechtes, desto extensiver sei auch das Verständnis des jeweili-gen Schutzgegenstandes. Der Lebensschutz sei daher an das bloße Vorhandensein eines le-

Lars KlinnertLehrstuhl für Systematische Theologie (Ethik), Ruhruniversität, 44780 Bochum, Deutschland

© Springer-Verlag 2002

Page 2: Schwierige Fragen an den Grenzen des Lebens

bendigen menschlichen Organismus geknüpft, jede embryonenverbrauchende Stammzellge-winnung also verfassungsrechtlich unzulässig.

Die Gegenposition nahm der Rechtsphilosoph Reinhard Merkel (Universität Hamburg)ein. Falls Embryonen unter den grundgesetzlich geschützten Bereich der Menschenwürde fie-len, wäre jede weitere Diskussion ein reines Glasperlenspiel. Die Urteile des Verfassungsge-richtes zur Abtreibung als einzige aussagekräftige verfassungsrechtliche Quelle wiesen je-doch unauflösbare Widersprüche auf: Weil Abtreibung mit staatlicher Unterstützung zulässigsei, habe der Embryo de lege lata keinen grundrechtlich geschützten Status. Damit sei eineethisch-politische Debatte über den Status des Embryos möglich. Merkel selbst plädierte füreinen gegenüber dem Würdeverletzungsverbot abgeschwächten Schutz aus Gründen der Gat-tungssolidarität.

Auch in den Workshops wurde – neben den Prinzipien der neurologischen Frührehabilita-tion und den Möglichkeiten der Palliativmedizin für ein würdiges Sterben – die Frage nachdem Beginn des Lebens thematisiert. Kristian Köchy (Berlin-Brandenburgische Akademieder Wissenschaften) legte dar, dass eine fachliche Definition keine unmittelbare Repräsentati-on eines objektiven Sachstandes, sondern Interpretation eines empirischen Befundes sei. EinMolekularbiologe, ein Zellbiologe und ein Neurobiologe kämen daher bei der Frage nachdem Lebensanfang jeweils zu anderen Ergebnissen. Zentrale Momente des Menschseins ent-zögen sich gerade dem naturwissenschaftlichen Raster. Nikolaus Knoepffler (Institut Technik– Theologie – Naturwissenschaften München) optierte hingegen in enger Anlehnung an bio-logische Erkenntnisse dafür, den personalen Lebensbeginn an den Zeitpunkt der Nidation zukoppeln, weil hier zum einen die Teilung in Trophoblast und Embryoblast ab- und die Zwil-lingsbildung ausgeschlossen sei, zum anderen entscheidende Positionssignale für die Weiter-entwicklung des Embryos hinzukämen.

Die naturwissenschaftliche Definition der Grenzen menschlichen Lebens ist an dessen En-de mit dem Hirntodkriterium verbunden. Die Gleichsetzung des Ganzhirntodes mit dem irre-versiblen Verlust der leiblichen Integration ziehen die Untersuchungen des Neurologen AlanShewmon (University of California) in Zweifel. Er stellte aus 750 ähnlichen Fällen das Bei-spiel eines hirntoten vierjährigen Jungen vor, der mit Beatmung seit 14 Jahren weiterlebt. Of-fenbar sei das Gehirn nicht alleiniges integratives Organ des Körpers, so Shewmon. Vielmehrgebe es eine Reihe gehirnunabhängiger somatischer Funktionen wie Wundheilung, Schwan-gerschaft oder Wachstum.

Der Rechtsmediziner Hans-Bernhard Wuermeling (Universität Erlangen) gestand zu, dasseine Weitervegetation Hirntoter möglich sei. Nur das Gehirn jedoch integriere die Organe zueiner höheren Einheit. Entscheidend sei die Frage, was den Organismus in seiner funktionel-len Ganzheit ausmache. Für das spezifisch menschliche Leben sei das Gehirn als Korrelatkörperlicher Vorgänge unabdingbar.

Zum Abschluss der Tagung wurden Einblicke in die globalen Aspekte der Menschenwür-dediskussion gewährt. Aufschlussreich waren die Ausführungen von William LaFleur (Uni-versity of Pensylvania) zum in der japanischen Transplantationsdebatte häufig benutztenKannibalismusargument: Bei allen kulturellen Unterschieden fühlte man sich teilweise an dieArgumentationsstrategien der so genannten Bioethikgegner in Deutschland erinnert, die dieFortschritte der Biomedizin mit der menschenverachtenden Ideologie der Nazis parallelisie-ren.

Angesichts kultureller Unterschiede in der Ausgestaltung der transkulturell gültigen Men-schenwürde machte Hans-Martin Sass (Ruhr-Universität Bochum) den Vorschlag einer Tole-ranzharmonisierung. Danach soll zumindest innerhalb einer auf gemeinsamen Werten beru-henden Staatengemeinschaft allein das individuelle Gewissen über die Zulässigkeit ethischumstrittener medizinischer Anwendungen entscheiden: Führt ein europäischer Bürger eine inseinem Land verbotene Handlung wie z. B. Präimplantationsdiagnostik durch, bleibt diesestraffrei, sofern sie in irgendeinem anderen europäischen Land erlaubt ist. Ob eine solche Ori-entierung am jeweils geringsten vorhandenen Schutzstandard wirklich, wie Sass es wünscht,den informierten und selbstbestimmten Umgang mit neuen biomedizinischen Methoden för-dern würde, scheint allerdings fraglich.

Tagungsberichte 35