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Selbst-Wahrnehmung Konstruktivistische Theorie der Sozialen Spiegelung: Das Selbstbild ist eine soziale Konstruktion! Identität, Selbstbild und Ichbewusstheit befinden sich in einem gemeinsamen Begriffsraum. Ich- Bewusstheit wäre eher die Bewusstheit darüber, dass es der eigene Körper (oder Teile davon wie den Mundraum) ist, den und über den man sinnlich wahrnimmt und dass es eine eigene Urheberschaft der eigenen Wahrnehmungen und Handlungen gibt, dass es also mich als ein Ich gibt ( möglich etwa nach dem zweiten Lebensjahr). Identität wäre eher die auch von außen wahrnehmbare stabile Unverwechselbarkeit einer Person, also die auch äußerlich definierbaren Kennzeichen, wodurch sich ein Mensch von einem anderen unterscheidet; wesentlich sind hier auch (selbst- und fremdbestimmt) zugewiesene Zugehörigkeiten wie z.B. Gruppenzugehörigkeiten Das Selbstbild wäre eher eine über eine gewisse Zeit beständige, aber änderbare Selbstwahrnehmung der eigenen Einschätzungen, Bewertungen, Erwartungen, Ethik, Moral, Werthaltungen, Überzeugungen, Gefühlen hinsichtlich der eigenen körperlichen, psychischen und sozialen Eigenschaften und Merkmale. Das Selbstbild entwickelt sich im Verlauf der Sozialisation durch die kognitive Auseinandersetzung mit dem Bild, das sich andere von einem machen, dem Fremdbild. Anfänglich wird keine Grenze erlebt zwischen Innen und Außen, zwischen Körper und Welt, zwischen Ich und Du. Das eigene Ich, also die Ich-Bewusstheit sowie später dann das Selbstkonzept bauen sich auf in der Wahrnehmung eigener Körperreize sowie der Wahrnehmung des anderen, auch durch die Differenz zum anderen; durch Nachahmung, Imitation, Mimetik und Zeigefunktionen lernt man: Es gibt den anderen als ein relativ konstantes mentalisierungsfähiges (also mit Absichten versehenes) Ich, das auf mich reagiert, als wäre ich ebenfalls ein mentalisierungsfähiges Ich und bei dem ich mir auch für mich ein mentalisierungsfähiges Ich abschauen kann... Dr. Fox, 2020 1

Selbst-Wahrnehmung Selbst- und...Imitation, Mimetik und Zeigefunktionen lernt man: Es gibt den anderen als ein relativ konstantes mentalisierungsfähiges (also mit Absichten versehenes)

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Selbst-Wahrnehmung Konstruktivistische Theorie der Sozialen Spiegelung: Das Selbstbild ist eine soziale Konstruktion!

• Identität, Selbstbild und Ichbewusstheit befinden sich in einem gemeinsamen Begriffsraum.

Ich- Bewusstheit wäre eher die Bewusstheit darüber, dass es der eigene Körper (oder Teile

davon wie den Mundraum) ist, den und über den man sinnlich wahrnimmt und dass es eine

eigene Urheberschaft der eigenen Wahrnehmungen und Handlungen gibt, dass es also mich

als ein Ich gibt ( möglich etwa nach dem zweiten Lebensjahr).

• Identität wäre eher die auch von außen wahrnehmbare stabile Unverwechselbarkeit einer

Person, also die auch äußerlich definierbaren Kennzeichen, wodurch sich ein Mensch von

einem anderen unterscheidet; wesentlich sind hier auch (selbst- und fremdbestimmt)

zugewiesene Zugehörigkeiten wie z.B. Gruppenzugehörigkeiten

• Das Selbstbild wäre eher eine über eine gewisse Zeit beständige, aber änderbare

Selbstwahrnehmung der eigenen Einschätzungen, Bewertungen, Erwartungen, Ethik, Moral,

Werthaltungen, Überzeugungen, Gefühlen hinsichtlich der eigenen körperlichen, psychischen

und sozialen Eigenschaften und Merkmale. Das Selbstbild entwickelt sich im Verlauf der

Sozialisation durch die kognitive Auseinandersetzung mit dem Bild, das sich andere von

einem machen, dem Fremdbild.

• Anfänglich wird keine Grenze erlebt zwischen Innen und Außen, zwischen Körper und Welt,

zwischen Ich und Du. Das eigene Ich, also die Ich-Bewusstheit sowie später dann das

Selbstkonzept bauen sich auf in der Wahrnehmung eigener Körperreize sowie der

Wahrnehmung des anderen, auch durch die Differenz zum anderen; durch Nachahmung,

Imitation, Mimetik und Zeigefunktionen lernt man: Es gibt den anderen als ein relativ

konstantes mentalisierungsfähiges (also mit Absichten versehenes) Ich, das auf mich

reagiert, als wäre ich ebenfalls ein mentalisierungsfähiges Ich und bei dem ich mir auch für

mich ein mentalisierungsfähiges Ich abschauen kann...

Dr. Fox, 2020 1

Selbst - Konzept

Selbst als soziale Konstruktion

• Zunächst entwickelt sich eine Ich-Bewusstheit dadurch, dass der

Säugling allmählich lernt, dass er es ist, der das sinnlich wahrnimmt,

was er beispielsweise im Mundraum exploriert, dass er also eine

Urheberschaft besitzt über die „eigenen“ Sinneswahrnehmungen

und Handlungen; und dass es sein Körper (oder Teile davon, wie

beispielsweise Mund- oder Genitalbereich ) ist, an dem diese

Sinneswahrnehmungen erlebbar werden; „das Ich ist ein

körperliches“ (S. Freud)

• Der andere löst Emotionen bei mir aus, die ich körperlich spüre;

Körpererfahrungen als Quelle des Aufbaus einer Ich-Bewusstheit,

die als Basis dient für die spätere und lebenslang modifizierbare

Konstruktion eines Selbstkonzepts (=eine erzählerische,

biografische Beschreibung und Bewertung des Ichs)

• Der andere löst durch Berührungen, durch Körperkontakt an der

Haut, also an der Grenze zwischen Innen und Außen, Ich und Du,

ein Spüren der eigenen körperlichen Identität als Basis für eine

Selbstkonzept aus

Dr. Fox, 2020 2

Selbst - Konzept Selbst als soziale Spiegelung

• Der andere löst durch seine Kommunikation und Interaktion mit mir, durch seine

Spiegelung meiner Person, erste Vorstellungen (z. B. Bewertung meiner Person durch

andere; emotionale Konditionierungen; Rollen-Konzept, etc.) über mein Ich aus; diese

Narrationen bilden die Grundlage der Konstruktion des Selbstkonzepts; das Selbst ist also

eine narrative Konstruktion

• Die Beziehung zum Du ist für das Ich konstitutiv; aus der Ich-Bewusstheit entsteht durch

Kommunikation mit dem anderen das Selbstkonzept: So wie niemand sein Gesicht ohne

Spiegel wahrnehmen kann, kann sich auch niemand selber wahrnehmen ohne die

Spiegelung durch den anderen

• In der Kommunikation und Interaktion in bedeutsamen (Liebes-) Beziehungen wird

permanent über die Konstruktion der Selbstkonzepte verhandelt, meist nichtbewusst

• Der andere bietet mir über Beziehung und die Kommunikation, wie er mich wahrnimmt,

eine geistvolle oder mentalisierungsfähige Identität an; diese Identität wird bei

Trennungen intimer Beziehungen stets beschädigt, daher ist jede Trennung vom

relevanten Anderen auch eine Trennung von meinem bisherigen Selbst

• Kommunikation ist selten ein direkter Austausch von Information, sondern eher eine

wechselseitige Anregung zur Konstruktion von Bedeutungen, Bedeutungen des

Kommunizierten, wobei diese Bedeutungen/ Deutungen/ Bewertungen immer aus der

jeweiligen individuellen Biografie (emotionale Konditionierungen) generiert werden und oft

auf das Selbstkonzept einwirken.

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Selbst - Konzept

Selbst als soziale Konstruktion

• Empathie ist die Fähigkeit, sich in das subjektive Erleben des anderen

hineinzuversetzen; damit ist Empathie die Grundvoraussetzung für jedes

soziale Miteinander; für dieses Miteinander ist unverzichtbar die Fähigkeit, nicht

nur die eigenen Wahrnehmungen und Erlebnisse zu erkennen, sondern auch

die der anderen

• Empathie kann sich erst mit einem Ich-Bewusstsein ausbilden, also erst ab

zirka zwei Lebensjahren; mitfühlende Handlungen sind bewusst möglich ab

zirka drei Lebensjahren

• Spiegelneurone (vornehmlich im prämotorischen und präfrontalen Kortex)

simulieren nicht die geistigen, aber die motorischen Aktivitäten des anderen

und ermöglichen dadurch das Nachempfinden der Empfindungen und

Absichten des anderen

• Spiegelneurone bilden im Verbund mit den Systemen für Gestik, Mimik und

Zeigen den biologischen Ort für das Imitationslernen (theory of mind,

Mentalisieren, kommunikative Absicht, Kooperationsabsicht, prosoziales

Verhalten, Modelllernen, Unterricht)

• Empathie ermöglicht sogar eine Resonanz für Empfindungen des anderen, die

für diesen noch nicht bewusstseinsfähig sind (z. B. in Beratung und Therapie)

• Empathie ist die notwendige, wenngleich nicht hinreichende Voraussetzung für

Mitgefühl und Kooperation

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Selbst - Konzept Selbst als soziale Konstruktion

• Das Imitationslernen ist für die Konstruktion eines Selbst-Konzepts

unerlässlich

• Selbst-Bewusstsein hängt eng zusammen mit Empathie: Das Selbst-

Konzept konstruiert sich darüber, den anderen als ein Selbst

wahrzunehmen sowie vom anderen als ein Selbst wahrgenommen zu

werden; das gewonnene Selbstverständnis erlaubt dann wieder eine

komplettere Wahrnehmung der Person des anderen; es gibt hier eine

wechselseitige Abhängigkeit.

• überlebensnotwendig ist die Fähigkeit der Empathie, die Absichten und

die Kooperationswürdigkeit der anderen zu erkennen (wesentliche

Informationsquelle ist die nonverbale Kommunikation, speziell die Mimik

als Expression der die Handlung motivierenden Emotionen); Empathie ist

die Voraussetzung für Strategiebildung, Handlungsplanung und

Kooperation

• Empathie ist die Voraussetzung für Mitgefühl und prosoziales Handeln,

was die Konstruktion von Gruppen ermöglicht und damit die

Überlebenswahrscheinlichkeit drastisch verbessert

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Wesentliche Ebenen des Selbst-Konzepts

Das Selbst (oder die personale Identität) wird

definiert über

• die autobiografischen Erinnerungen

• den Kern der eigenen Werthaltungen, Moral, ethischen und

lebensphilosophischen Überzeugungen (umgangssprachlich

„Charakter“ genannt)

• die Gruppenzugehörigkeit (Familie, Freunde, Beruf, Verein,

Heimat….)

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Aspekte des Selbst - Konzepts

Was ist das Selbst? Drei erforschbare Teilaspekte: • Urheberschaft: „Ich-Bewusstheit“, d.h.: Ich bin überzeugt, auf Grund meiner

eigenen Wahrnehmungen, Einstellungen, Erinnerungen zu handeln;

Überzeugung von der Selbsterzeugung meiner Wahrnehmungen,

Handlungen und Gedanken (anders z. B. bei Schizophrenie, beim Stimmenhören).

• Transtemporale Einheit, Zeit-Identität: konstante Reizinformationen; „Ich-

Bewusstheit“, die über längere Zeit weiter besteht; als konstant und

konsistent wahrgenommene biografische Erfahrungen und Erinnerungen

konstituieren die Identität (anders bei Amnesien, keine Identität des Ichs in der Zeit)

und das Selbst-Konzept.

• Perspektivität: alle Informationen aus dem eigenen Erlebens- und

Handlungsraum werden um den eigenen Körper herum zentriert;

Wahrnehmungen und Handlungen stets aus der Ich-Perspektive; das Ich ist

in der Welt zentriert, der eigene Körper als Weltmitte (anders beim Neglect-

Syndrom: die eigene Mitte ist verloren, die meist linke Hälfte von Objekten, Raum und

eigenem Körper wird nicht mehr wahrgenommen).

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Selbst-Wahrnehmung

• das Selbstbild ist ein machtolles Motivationssystem; es bedingt und erklärt das

Verhalten, auch das Verhalten anderen gegenüber

• es ist abhängig von Beziehungserfahrungen, von der Wahrnehmung der eigenen

Person durch den anderen („Fremdbild“ und „Selbstbild hängen wechselseitig von

einander ab)

• die Selbstwahrnehmung erfolgt auch durch Bewertungen des eigenen Verhaltens, die

in Abhängigkeit von der sozialen Situation interpretiert werden

• Verhaltens- und situationsabhängige Selbstwahrnehmung gilt insbesondere für

schwach oder mittel ausgeprägte sowie mehrdeutige innere Zustände sowie bei

Versagen

• unmittelbar wahrgenommen werden innere Zustände dann, wenn sie stark und

eindeutig und als erfolgreich erscheinen und werden dann eher eigenen vermeintlich

stabilen Persönlichkeitsmerkmalen als situativen Bedingungen zugeschrieben

• Als Dunning-Kruger-Effekt wird eine Verzerrung der Selbstwahrnehmung bei eher

inkompetenten Personen bezeichnet, das eigene Können zu überschätzen und die

Kompetenz anderer zu unterschätzen.

Weniger kompetente Personen neigen unter diesem Effekt dazu, ihre eigenen

Fähigkeiten zu überschätzen und die überlegenen Fähigkeiten bei anderen nicht zu

erkennen; sie sind nicht fähig, das Ausmaß ihrer tatsächlichen Inkompetenz zu

erkennen. Kurz gesagt, sie sind zu dumm, ihre eigene Dummheit zu erkennen….

Allerdings entwickeln diese Personen unter diesem Effekt ein höheres Selbstvertrauen;

aber es zeigt sich auch, dass das die eigenen tatsächlichen Leistungen eher schmälert,

während die Leistungen derjenigen, die diesem Effekt nicht unterliegen, deutlich besser

ausfallen.

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Selbstkonzept

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•Nichtbewusste Anteile des Selbst

•Privates Selbstbild

•Blinder Fleck •Öffentliches Selbstbild

Was ich und die anderen über mich

wissen

Was nur die anderen über mich wissen

Was niemand von mir weiß, auch ich nicht

Was nur ich über mich

weiß

Feedback

Selb

stö

ffnung

JOHARI-Fenster: Analyseschema nach Luft und Ingham Luft, Joseph: Klett, Stuttgart, 1971

Selbst-Wahrnehmung Selbst- Bewertung

• positive Selbstbewertung ist auch abhängig von

positiver Bewertung der eigenen Person durch eine

Person, die man selbst positiv bewertet

• negative Selbstbewertung wird wesentlich

verursacht durch negative Bewertungen der eigenen

Person durch geschätzte Personen

• negativ bewertete Personen haben kaum Einfluss auf

das eigene Selbstwertgefühl; Ausnahme: negativ

bewertete Personen, die Macht (über Belohnungs-

und Bestrafungsreize) ausüben

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Selbst-Wahrnehmung

Kriterien der Selbstbewertung • positive Selbstbewertung ist lerntheoretisch abhängig

davon, dass man sich selbst oft in positiven

Situationen erlebt:

– eigene Beliebtheit bei anderen

– dass man sich moralisch integer erlebt

– eigene Fähigkeit der Lebensbewältigung (internale

Kontrollüberzeugung, Selbstständigkeit)

• negatives Selbstbild:

– Ablehnung durch andere

– eigene Unfähigkeit der Lebensbewältigung (externale

Kontrollüberzeugung, Abhängigkeit)

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Selbstwahrnehmung

Selbstwahrnehmung auch abhängig von

Verhaltenskonsequenzen:

bei hoher materieller Belohnung wird das

eigene Verhalten eher der Belohnung

zugeschrieben und nicht mehr der eigenen

Einstellung, d. h.: stabile Einstellungen werden

intrinsisch erworben, nicht extrinsisch durch

Belohnungen oder Lobhudeleien!

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Selbstbewertung - Selbstkonzept

Wirkungen des negativen Selbstwerts • leichter zu beeinflussen, subalternes Verhalten

• stärkeres Zuwendungs- und Bestätigungsbedürfnis, leicht kränkbar

• Ablehnung und Abwendung wird als besonders beeinträchtigend erlebt, als

Bestätigung des negativen Selbstwerts

• Selbstunsicherheit, Mutlosigkeit, Resignation, Erschöpfbarkeit

• bei niedrigem Selbstwert bewirkt sozialer Druck (Macht über Belohnung

und Bestrafung) erwünschtes und konformes Verhalten

• hohes Risiko für stressbedingte Erkrankungen

• gesundheitsschädigendes Verhalten, Drogenanfälligkeit

• wenig Impulskontrolle, Gewaltbereitschaft

• hohe emotionale Durchlässigkeit, mangelnde Emotionskontrolle

• rigides, ideologieanfälliges, autoritäres Verhalten

• externales Kontrollbedürfnis, passiv, den anderen als Führer suchend

• wenig beziehungsfähig, egozentrisch, schnell beleidigt, kränkbar

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Selbstbewertung - Selbstkonzept

Wirkungen des positiven Selbstwerts • schwerer zu beeinflussen, eher nonkonformes Verhalten

• Selbstvertrauen: unabhängiger, selbstständiger, selbstverantwortlicher

• höhere Bereitschaft, sich auf Neues einzulassen

• weniger ängstlich, misstrauisch oder aggressiv, kooperativer

• intrinsische Lernbereitschaft

• höhere Kreativität, Gestaltungskraft, Problemlösefähigkeit

• höhere Frustrationstoleranz, kritikfähiger (auch gegenüber sich selbst)

• bessere Empathiefähigkeit, bessere Bindungs- und Liebesfähigkeit

• größere Fürsorglichkeit anderen gegenüber

• Erwiderung von Sympathie (und Ablehnung)

• erfolgreichere Lebensbewältigung, Durchsetzungsfähigkeit

• höhere Lebenszufriedenheit

• mehr psychische und körperliche Gesundheit, weniger stressbelastet

• weniger drogenanfällig, weniger gesundheitsschädigendes Verhalten

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Attributionstendenzen Ursachenzuschreibungen für Verhalten

• Bei der Selbstwahrnehmung wird das alltägliche eigene Verhalten eher als abhängig von situativen Bedingungen (externale Attribution) interpretiert, also als situationsangepasst, variabel und zielgerichtet: Ich reagiere flexibel auf jeweilige Situationsbedingungen!

• Bei der Fremdwahrnehmung wird das Verhalten des anderen eher auf innere Faktoren wie Persönlichkeitsmerkmale (internale Attribution) zurückgeführt: Der ist immer so!

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Attributionstendenzen Ursachenzuschreibungen für eigenes Verhalten

Tendenz zu selbstwerterhaltenden Attributionen

– eigene Erfolge werden internal attribuiert und zwar auf stabile und globale Persönlichkeitsmerkmale

– eigene Misserfolge werden external attribuiert und internal auf instabile und spezifische Merkmale

– Personen, die mit eigenen Bewertungen übereinstimmen, werden als intelligenter eingeschätzt als solche, die nicht übereinstimmen

Funktion: Durch Selbstwerterhalt wenig Entmutigung bei Misserfolgen. Man bleibt eher dran...

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Attributionstendenzen Ursachenzuschreibungen für fremdes Verhalten

• die situativen Einflüsse auf den anderen werden

systematisch unterschätzt

• Ursachen werden auf vermeintlich stabile persönliche

Eigenschaften und Einstellungen attribuiert

Gründe: dem Beurteiler sind situative Kontexte beim

anderen wenig bekannt

Abhilfe: um das Verhalten des anderen besser beurteilen zu

können, bedarf es Kompetenz, Bewusstheit der

prinzipiellen Fehleranfälligkeit von

Personenbeurteilungen, Selbstbewusstheit, Empathie und

die Beschränkung der Beurteilung auf das Verhalten der

Person: nicht die Persönlichkeit beurteilen, sondern das Verhalten

in einem bestimmten situativen Kontext!

Dr. Fox, 2020 17

Attributionstendenzen weitere dysfunktionale Attributionsstile

• depressiver AS: eigene Erfolge werden situativen, glücklichen Umstände attribuiert; eigene Misserfolge werden stabilen und globalen Persönlichkeitsmerkmalen zugeschrieben

Funktion: Abschiebung von Eigenverantwortlichkeit; legitimiert mangelndes Engagement

• feindseliger AS: misstrauisch, anderen feindselige oder egoistische Absichten unterstellen

Funktion: dient der Rechtfertigung eigener Aggressionen; stabilisiert Aggressionen; legitimiert Ab- und Ausgrenzungen sowie mangelnde Kooperationsbereitschaft; erhält die Gruppenkohäsion in Bedrohungssituationen

Dr. Fox, 2020 18

Attributionsmuster

in beschädigten Beziehungen

• positives Verhalten des anderen wird instabilen zufälligen Umstände zugeschrieben, seiner eigentlichen Nichtabsicht, egoistischen oder anderen vermeintlich negativen Motivationen

• negatives Verhalten wird stabilen und globalen persönliche Eigenschaften des anderen zugeschrieben, einer Absicht sowie egoistischen oder anderen negativen Motivationen

Dieses Attributionsmuster ist nicht nur Folge negativer Beziehungen, sondern ist zugleich Prognose und Risikofaktor!

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Attributionen von Verantwortlichkeit

Personen werden für negative Folgen ihres Verhaltens umso mehr persönlich verantwortlich (und nicht als situationsabhängig) beurteilt,

• je größer der Schaden

• je fremder und entfernter sie dem Beurteiler erscheinen

• je weniger attraktiv

Funktion: die eigene Bedrohtheit zu beschwichtigen sowie der

Erhalt des Glaubens an eine „gerechte Welt“ erklärt das Phänomen, z. B. Gewaltopfern eine Mitschuld zuzuschreiben

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Gehorsamkeit und Autoritätsgläubigkeit Ergebnisse aus dem Milgram-Experiment

• zwei Drittel der VPn gehorchten dem Versuchsleiter als Autoritätsperson,

indem sie - eigene moralische Werte negierend - höchst körperschädigende

Bestrafungen an „Opfern“ vollstreckten, allerdings besonders häufig erst

dann, wenn sie ihr Handeln im Dienste einer guten Sache ansahen, hier also

im Dienste der Wissenschaft

• fühlen sich die „Bestrafer“ als „Rädchen im Getriebe“ erhöht sich die

Gehorsamsrate auf 92,5%

• diese Gehorsamsrate reduziert sich drastisch auf 10%, wenn zwei Vorbilder

inhumanen Gehorsam verweigern

• mit zunehmender Nähe zum Opfer fällt die Gehorsamsrate kontinuierlich ab

Fazit: Personen werden in ihrem Verhalten von situativen Einflüssen geleitet; sie verlieren

ihre moralischen Motivationen, wenn sie die Eigenverantwortlichkeit für ihr Handeln an

eine Autorität oder an die Loyalität gegenüber einer Gruppe, der man sich zugehörig

fühlt, abschieben

Beachte: Dieses Experiment, das nach dem zweiten Weltkrieg ursprünglich die Autoritätsgläubigkeit der Deutschen erkunden wollte, wurde

über Jahrzehnte in immer wieder neu aufgelegten Studien in verschiedensten Ländern und Kontinenten in seinen Ergebnissen

bestätigt: kulturübergreifend zeigen etwa 65% der Vpn autoritätsgläubigen Gehorsam und eine den anderen beschädigende

Selbstverantwortungsaufgabe

Dr. Fox, 2020 21

Stanford-Gefängnis- Experiment nach Philip Zimbardo (1971)

• Anfangs unauffällige Personen wurden zufällig in zwei Gruppen eingeteilt, in die Gruppe

der Wärter und in die Gruppe der Insassen; das auf zwei Wochen angelegte Experiment

wurde bereits nach 6 Tagen abgebrochen, weil sich die Wärter völlig dehumanisiert

hatten und die Insassen, die als Versuchsanordnung keine Namen , sondern lediglich

Nummern als Kennzeichen führen durften und in sackähnliche „Kleidung“ ohne

Unterwäsche gesteckt wurden, zunehmend brutaler quälten und misshandelten,

insbesondere dann, wenn sie zu strengem Handeln aufgefordert wurden.

• (situative) Kontexte, die Böses in uns fördern können: rigide Gruppenzugehörigkeit,

Outgroup-Entwertungen, sozialer Druck, repressives Klima, Rassismus, Sexismus,

Faschismus, Beschämungen, Minderwertigkeitsgefühle, Überlegenheitsgefühle,

Narzissmus, drastische Verteilungsungerechtigkeiten, mangelnde Überwachung, keine

persönliche Verantwortung, keine ethischen Leitlinien, kognitive Dissonanzen, Vorurteile.

• Diese (situationsbedingten) Faktoren sind keinesfalls Entschuldigungen für Gewalt. Sie

lassen Gewaltentstehung aber verstehen im Sinne von Kapieren. Ebenso kann das

Verständnis der psychologischen Mechanismen, die bei der Ausübung und

Rechtfertigung von Gewalt wirken, die Prävention von Gewalt befördern.

• Merke: Bei der Reflexion unserer eigenen bösen Taten tragen wir nun mal eine sehr

trübe Brille

Dr. Fox, 2020 22

Schlussfolgerungen aus den

Milgram- und Zimbardo- Studien

• Böse Taten verüben auch ganz normale Menschen.

• Wir identifizieren uns bereits an Hand banaler Merkmale mit unserer

Eigengruppe (Ingroup), was zur Entwertung von Fremdgruppen (Outgroup) und

dadurch auch zu Gewalt führen kann, da der körperlichen Gewalt stets die

verbale vorausgeht.

• Nimmt man den anderen nicht mehr als Menschen wahr, sondern beispielsweise

als Tier oder nur eine Nummer, dehumanisiert man ihn, was die Hemmschwelle

absenkt, ihm Böses anzutun, wodurch man sich dann auch selber

dehumanisiert.

• Besteht ein Konflikt zwischen Handeln und Selbstkonzept, zwischen Gedanken

und Taten, zwischen eigener Moral und der der Gruppe, der man sich zugehörig

fühlt, tritt häufig eine kognitive Dissonanz auf: Man rationalisiert, indem man

seine Bewertungen und Einstellungen den Taten anpasst, um die Tat oder sich

selbst zu rechtfertigen; beispielsweise: Der Zweck heiligt die Mittel

• Bestimmte situative Bedingungen, insbesondere die Aufforderung zu

Gewalttaten durch als Autoritäten anerkannte Personen, können einen starken

sozialen Druck aufbauen, der fast alle Menschen veranlasst, Taten zu tun, die

unter normalen Bedingungen nicht getätigt würden und die man von sich selber

auch nie erwartet hätte!

Dr. Fox, 2020 23

Wahrnehmung Was ist Wahrnehmung?

• eine aktiv gestaltete Rekonstruktion der Welt mit dem Ziel der

Verhaltensanpassung an die Umwelt

• durch Selektion wird eine drastische Reduktion der Datenmenge

erreicht, wodurch Wahrnehmung erst möglich wird

• Sinnesreizen werden durch Informationsverarbeitungsprozesse

subjektive Bedeutungen abgerungen

• diese Bedeutungsverleihung von Sinneseindrücken gelingt im

Abgleich mit bereits abgespeicherten Erfahrungsbeständen

• Wahrnehmung als Motivation für Erleben und Verhalten ist

abhängig von der Biografie; Vergangenheit erklärt Gegenwart

• das Gehirn entwirft bei der Wahrnehmung in der Gegenwart

Modelle und Prognosen aus der Vergangenheit für die Zukunft

• Wahrnehmung ist also eine interne Modellbildung auf Grund von

Input aus der Welt zum Zwecke einer Verhaltensempfehlung, die

prognostisch für das Überleben günstig erscheint

Dr. Fox, 2020 24

Wahrnehmung • die Selektion der Wahrnehmung ist abhängig von den

Fähigkeiten der Sinnesorgane, den neurophysiologischen

Reizweiterleitungen (Transmitterprozesse) und der aktiv

interpretierenden, (be-)deutenden Informationsverarbeitung

• diese Informationsherstellung verläuft eher datengesteuert

(bottom-up) in unbekannten und uneindeutigen Situationen

• sie verläuft eher konzeptgesteuert (top-down) in bekannten

Situationen: Erwartungshaltungen lenken durch bereits

vorhandene Konzepte die aktuelle Wahrnehmung (z. B. in

bekannten Räumen, in langjährigen Beziehungen das Bild

vom anderen, etc.) und erschweren Detailwahrnehmungen

• je stärker die Erwartungshaltung, desto geringer die

differenziertere Wahrnehmung, desto stärker die rigide

Vorurteilsbildung

Dr. Fox, 2020 25

Einstellungen

• Einstellung: Bewertung (negativ, positiv, neutral) von

Verhaltensweisen, Begriffssystemen, Personen, Reizen,

Erfahrungen...

• Kognitive Dissonanz: widersprüchliche Einstellungen

gegenüber einem Einstellungsobjekt erzeugen innere

Spannungszustände; vor allem die Dissonanz zwischen

eigenem Handeln und Selbstbild erzeugt innere Spannungen;

die darauf üblichen Reaktion sind

Dissonanzreduktionsstrategien:

• Rationalisierungen, Verharmlosungen missliebiger

Argumente, Anpassung der Einstellung an das Verhalten

• Aufnahme neuer Informationen, die den missliebigen

entgegengesetzt sind, bis zur Dissonanzauflösung

Merke

Der Mensch ist nicht ein rationales, sondern ein

rationalisierendes Wesen !

Dr. Fox, 2020 26

Soziale Wahrnehmung

Untersuchung sozialer Einflussfaktoren auf die

Wahrnehmung des Einzelnen

Asch-Experiment

durch soziale Vergleichsprozesse passen Individuen ihre

zunächst individuellen Wahrnehmungen der majoren

Gruppenwahrnehmung an und entwickeln eine

Gruppenkonformität in Wahrnehmung und Bewertung

– Die Länge einer dargebotenen Linie wird bei drei Referenzlinien

(eine genauso lang, eine länger, eine kürzer) zunächst korrekt

bewertet, wenn aber 5-7 eingeweihte Vpn bewusst falsche Urteile

abgeben, sinkt die Rate der korrekten Bewertungen auf ca. 25%

Fazit: es gibt eine soziale Konformität, eine

Beurteilungstendenz in Richtung Mehrheitsmeinung

Grund: Beseitigung kognitiver Dissonanzen, Zugehörigkeitsbedürfnis

Dr. Fox, 2020 27

Vorurteile Vorurteile sind rasche Urteile aufgrund weniger Kriterien; es

sind emotional gefärbte, irrationale negative Einstellungen

meist gegenüber Angehörigen anderer, vor allem fremder

Gruppen

• Vorurteile sind Rückschlüsse von einem oder mehrerer Mitglieder

einer Gruppe auf die Gesamtheit der Gruppe und von der Gruppe

auch wieder zurück auf einzelne Mitglieder- es ist also ein

Beurteilungssystem zweier sich wechselseitig aufschaukelnder

Fehlschlüsse

• Stereotypen sind dann die Verfestigungen der behaupteten

Gemeinsamkeit dieser beiden Fehlschlüsse; Stereotypen sind dann

die kognitiven Komponenten

• Emotionalität äußert sich dann oft in Feindseligkeit und entzieht sich

rationaler Argumentationen

• die entsprechende Handlungsebene zeigt sich in Diskriminierungen,

ungerechten Behandlungen bis hin zu Gettoisierungen,

Ausgrenzungen und Gewalthandlungen

Dr. Fox, 2020 28

Vorurteile

Funktionen der Vorurteile

• schnelles selbstschutzwahrendes Handeln in

bedrohlich wirkenden Situationen

• Selbstwerterhöhung bei geringem Selbstwert

• Gruppenkohäsion, Wir-Gefühl

• Sicherung von Macht und Dominanz

• Aggressionsbereitschaft im Kampf um begrenzte

Ressourcen

• Reaktion auf Frustration von Bedürfnissen

• Der Selbsthass wird als Hass auf die vermeintlich

Hassenswerteren projiziert

Dr. Fox, 2020 29

Vorurteilsbildung

• Stereotypisierungen sind Urteilssimplifizierungen (dienen der

Ökonomisierung von Beurteilungen, der Reduktion von

komplexen Phänomenen auf wenige, selektive Signalreize)

oder Wahrnehmungsverzerrungen:

– Kategorisierung/ Typisierung: Einordnung von Menschen

in Typen, Geschlecht, Gruppen, Berufsgruppen, Nationen,

Organisationen

– Stereotyp: auf alle Gruppenmitglieder werden ungeprüft

zugeordnete und verfestigte Merkmalskomplexe

übertragen: Die sind alle so!

– Stereotypisierung: Übertragung des Stereotyps auf

Personen

Dr. Fox, 2020 30

Vorurteilsbildung: Fremdenfeindlichkeit Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Rechtsextremismus sind ethnische

Vorurteile, die durch abwertende Kommunikation vervielfältigt wird und

sich pseudomäßig auf biologische Unterschiede beruft; abwertende

stereotype Einstellungen gegenüber einer Ethnie sind abhängig von:

• Ethnozentrismus (eigene Gruppe gilt als höherwertig)

• wenig tatsächliche intergruppale persönliche Kontakte

• niedriger Sozialstatus, soziale Benachteiligungen, keine Bildungsteilhabe,

Opfer elterlicher Misshandlungen, autoritäres Familienklima

• niedriges Selbstwertgefühl, niedrige Intelligenz, Intoleranz gegenüber der

Mehrdeutigkeit und Wechselhaftigkeit des Daseins, wenig Selbstreflexion

• Der autoritäre Charakter, der Fromm (1932) und Adorno (1950) als

Nährboden der Vorurteilsbildung gilt, ist zugleich autoritär und autoritätshörig;

er gibt die Repression, die er durch andere erfahren hat, an die weiter, die er

mittels Vorurteile unter sich gestellt wahrnimmt; in einer

verteilungsungerechten Gesellschaft kämpfen die Verlierer gegen die

Verlierer und werden so zu den Stabilisatoren des Systems, das sie zu

Verlieren gemacht hat

• Angst der „Satten“, etwas zu verlieren bei Erhöhung der

Verteilungsgerechtigkeit

Dr. Fox, 2020 31

Die glücklichen Sklaven sind die erbittertsten Feinde der Freiheit. (Ebner-Eschenbach, um 1860)

Rassismus

Die Jenaer Erklärung vom 10.September 2019 (112. Jahrestagung der Deutschen Zoologischen Gesellschaft)

stellt fest:

Das Konzept der Rasse ist (lediglich, eingefügt von Fox) das Ergebnis von Rassismus…

Eine irgendwie geartete Rasse unter Menschen gibt es also gar nicht, es ist lediglich

ein Konstrukt von Rassisten!

Dazu Johannes Krause (2019): Es gibt im menschlichen Genom unter den 3,2

Milliarden Basenpaaren keinen einzigen fixierten Unterschied, der z.B. Afrikaner von

Nicht-Afrikanern trennt, erst recht kein einziges Gen.

Die angeblich biologische und dadurch angeblich wissenschaftlich begründete

Rassentheorie entbehrt jeglicher wissenschaftlicher Evidenz, ist also lediglich

Propaganda von Rassisten und eine pseudoanthropologische Konstruktion, die sich

stützt auf willkürlich gewählte Eigenschaften wie z.B. Haar- , Augen- oder Hautfarbe.

Die zweifellos beobachtbaren Unterschiede zwischen Menschen sind eher

unterschiedliche Ausprägungen auf einem Kontinuum von jeweiligen Eigenschaften

und eben nicht diskrete Kategorien; Taxonomien dieser Art wären also willkürlich und

nicht wissenschaftlich begründbar.

Vgl. Krause: ein eingeborener Thüringer kann sich genetisch mehr von einem

anderen Thüringer unterscheiden als von einem nordafrikanischen Migranten.

(siehe: Johannes Krause: Die Reise unserer Gene, Propyläen, 2019)

Dr. Fox, 2020 32

Reduktion von Vorurteilen: Kontakthypothese

• Der Sozialpsychologe Gordon Allport entwickelte bereits 1954 in einer Art Metastudie seine

Kontakthypothese, die besagt, dass sich Vorurteile dann auflösen würden, wenn sich Personen,

die einander in Vorurteilen verstrickt hassen, sich persönlich begegnen würden. Allports

Kontakthypothese wurde mittlerweile in Tausenden (!) von Nachfolgestudien bestätigt: Wenn sich

Gruppen, die sich zunächst einander vorurteilungsbefangen feindlich gegenüberstehen, persönlich

begegnen, lösen sich vorurteilsbedingter Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Sexismus,

Antisemitismus auf (bei einer Felduntersuchung von Juliana Schroeder sogar die Feindschaften zwischen israelischen

und palästinensischen Jugendlichen). Das effektivste Mittel, Vorurteile und dadurch bedingte intergruppale

Feindseligkeiten und Hass aufzulösen, wäre also die Ermöglichung von persönlichen Kontakten

zwischen diesen Gruppen. Umgekehrt ließen sich Vorurteile chronifizieren durch Kontaktsperren

(vgl. hierzu Berbner, 2019).

• Vorurteile entwickeln sich meistens eben nicht aus persönlichen Beziehungen, sondern aus einer

gewissen Ferne und kommen dann deshalb zustande, weil man ein entsprechend

vorurteilungsbeladene Gerücht, das von interessegeleiteten Populisten in die Welt gesetzt wird,

unreflektiert übernimmt, also weil man einem Konformitätsdruck erliegt.

• Der Sozialpsychologe Solomon Asch konnte bereits 1951 nachweisen, dass man eigenen

Wahrnehmungen und Einstellungen nicht mehr traut, wenn man von genügend

Gruppenmitgliedern konträre Einschätzungen hört; dann nehmen Personen nicht mehr wahr, was

sie eigentlich unabhängig wahrnehmen würden, sondern das, was ihnen von anderen suggeriert

wird; Menschen sind, wenn ein Konformitätsdruck vorherrscht, sehr anfällig für Ideologien, auch

weil das Imitationslernen eine sehr effektive Lernform darstellt.

Dr. Fox, 2020 33

Gewaltprovozierende Ideologien

• Fremdenfeindlichkeit und Rassismus provozieren

intergruppale Gewaltbereitschaften

• Gewaltaffine Ideologien werden begünstigt durch: • Verteilungsungerechtigkeiten

• Frustration menschlicher Grundbedürfnisse nach Zugehörigkeit,

Geborgenheit, positiver Selbst-Bestätigung, Selbstachtung, Sicherheit

• Mangel an interner Kontrollüberzeugung und Selbstwirksamkeit sowie

freien Entfaltungsmöglichkeiten

• Gruppen-Loyalität und Konformitätsdruck

• Kollektive chronische Beschämungen und Entwertungen

• Beschämte hassen vor allem jene, die anders als sie selbst erscheinen

• Verletzungen der Menschenrechte

(vgl. dazu auch Forschungen von Ervin Staub, The Roots of Goodness and Resistance to Evil, 2015)

Dr. Fox, 2020 34

Erwartungshaltungen

Selbsterfüllende Prophezeiung

Pygmalion Effekt oder Rosenthal- Experiment

• Der Pygmalion Effekt zeigt die Macht, die eine Erwartung an den

anderen über dessen Selbstbild-Konstruktion hat; in Folgeexperimenten

des klassischen Rosenthal Experiment (mit Studenten, die die

Lernleistungen genetisch vergleichbarer Ratten nichtbewusst beeinflussten in

Abhängigkeit ihrer positiven bzw. negativen Leistungserwartung) zeigte sich,

wie sich die (unbegründete) vorweggenommene positive Einschätzung

einer Person (Schüler) durch einen Beurteiler (Lehrer) im späteren

Verlauf bestätigt.

• Der Grund für die faktische Leistungssteigerung (bis zu 20 IQ-Punkte

Zugewinn innerhalb eines Schuljahres) bei etwa 40% der positiv

etikettierten Schüler (in den unteren Schulklassen, in höheren verliert

sich der Effekt) kann im Rosenthal Experiment nur in den Erwartungen

der Lehrer gegenüber diesen Schülern gelegen haben.

• Hier zeigt sich die Macht der wechselseitigen Beeinflussung auf das

Selbstkonzept und die Entwicklung von Persönlichkeitsmerkmalen

(hier: Intelligenz) in Abhängigkeit von der Erwartung des anderen an die

eigene Person

Dr. Fox, 2020 35

Effekte von Merkmalsreihenfolgen und zentralen Merkmalen bei der Personenwahrnehmung

Tests nach Asch

Reihenfolgeneffekt intelligent-fleißig-impulsiv-kritisch-hartnäckig- neidisch

neidisch-hartnäckig-kritisch-impulsiv-fleißig-intelligent

zentrales Merkmal intelligent- geschickt-fleißig-warmherzig-entschlossen-praktisch-vorsichtig

intelligent- geschickt-fleißig-kalt-entschlossen-praktisch-vorsichtig

jeweils anschließend nach Sympathie einschätzen oder nach der

Ausprägung anderer Merkmale beurteilen

Dr. Fox, 2020 36

Beurteilungsfehler Systematische Verzerrungen bei Personen-Wahrnehmung

• Konditionierungen, kontext- und rollenabhängige Bewertungen

• Assimilationseffekte/ projektive Ähnlichkeit: Einstellungen der anderen erscheinen den eigenen ähnlicher als tatsächlich

• Kontrasteffekte: verschiedener als tatsächlich

• implizite Persönlichkeitstheorien inferieren nach zentralen Merkmalen zum Beispiel: warm-kaltherzig, intelligent-dumm

• generelle Merkmal-Bewertungsmaßstäbe: soziale und intellektuelle Kriterien

• Halo-Effekt: Tendenz zur fälschlicherweise konsistenten Bewertung von unterschiedlichen Merkmale: generell positiv oder generell negativ

• Positionseffekt: Dominanz des ersten Eindrucks; Dominanz des letzten Eindrucks bei längerem Zeitabstand zwischen verschiedenen Eindrücken

• Stimmungseffekt: negative Stimmung verstärkt negative Beurteilung v.v.

• Urteilsgenauigkeit unterliegt vielfältigen Fehlern:

– Unter-Überschätzung der interpersonalen Konstanz, Variabilität und Stereotypie von Merkmalen

Fazit: Der Mensch ist ein schlechter Menschenkenner!

Dr. Fox, 2020 37

Änderung von Einstellungen durch Kommunikation

Sympathie des Senders als größter

Einflussfaktor

• bewirkt Appetenzverhalten beim Empfänger

• Verhaltensänderungen beim Empfänger sind

schneller, bedeutsamer und nachhaltiger

• Modell- und Imitationslernen effektiv

• auch Unterricht ist effektiver bei Begeisterung des

Senders für sein Fach

• Kritik wird eher angenommen

Dr. Fox, 2020 38

Anzeichen von Sympathie

• Dauer des Blickkontakts länger

• Pupillendurchmesser größer

• geringere räumliche Distanz

• häufigeres Ansprechen

• häufigerer (beiläufiger) Körperkontakt

• Synchronizität der Körperbewegungen und Haltungen

Dr. Fox, 2020 39

Änderung von Einstellungen durch

Kommunikation

Einflussfaktoren beim Empfänger

Beeinflussbarkeit

• unterschiedliche Suggestibilität, allerdings

situations- und senderabhängig

• Geschlecht

• Selbstkonzept, Selbstwert: Menschen, die einem

Sympathie entgegenbringen, werden ebenfalls

sympathisch bewertet- aber nur bei positiven

Selbstbild des Empfängers, bei negativen Selbstbild gegenläufig (Tendenz zur Bewertungskonsistenz)

Dr. Fox, 2020 40

Kooperation

Definition

kooperatives Verhalten zielt auf den

gemeinsamen Nutzen der Interaktionspartner

altruistisches oder prosoziales Verhalten zielt

auf den Nutzen des Partners (ist aber niemals

„selbstlos“, da soziale Anerkennung, evolutionäre Vorteile oder

Erhabenheitsgefühle in der Folge belohnend wirken)

wettbewerb- oder konkurrenzorientiertes

Verhalten zielt vor allem auf Eigennutz

Dr. Fox, 2020 41

Kooperation

• Kooperation ist für den Menschen

überlebensnotwendig

• Kooperation als Evolutionsvorteil, erhöht

Effektivität und Schutz für die Gruppe

• Kooperatives Verhalten setzt Vertrauen voraus,

dass sich auch der andere kooperativ verhält

• Kooperationswürdigkeit des anderen wird

spontan im ersten Eindruck eingeschätzt

Dr. Fox, 2020 42

Kooperation

prosoziales und kooperatives Verhalten

• entspringt dem Bedürfnis nach Gruppenzugehörigkeit und

Selbstwerterhöhung

• Reflexe, zu helfen, entwicklungspsychologisch schon sehr früh

(Hinweis auf biopsychologische Grundlage): Schon einjährige

Kleinkinder gehen mit Mitgefühl und fürsorglichen Aktivitäten auf

Hilfsbedürftige zu (vgl. Forschungen von Carolyn Zahn-Waxler, University of Wisconsin)

• wird vermittelt über Lernen: Modelllernen, Nachahmung, Imitation,

Erfolgslernen, Botschaften, Internalisierung von Normen sozialer

Verantwortung

Aber: Erfolg ist hier nicht materieller Art, sondern wird verstärkt durch

positive soziale Feedbacks!

Dr. Fox, 2020 43

Kooperation

Einstellungen als Kooperationsbedingungen

• generelle Einstellungen (Bewertungen) zur Kooperation:

konkurrenz- und statusorientierte Personen kooperieren generell

seltener als kooperationseingestellte

• liberale versus autoritäre Einstellungen (familiär erworben):

liberale Personen sind überwiegend vertrauensvoll und

vertrauenswürdig

deutlich autoritär eingestellte sind überwiegend misstrauisch und

vertrauensunwürdig

• bei internaler Kontrollüberzeugung höhere Kooperation

Merke:

Kooperation ist nicht selbstverständlich. Unkooperatives Verhalten ist zunächst häufiger. Kooperation wird über Erfolg stabilisiert

Dr. Fox, 2020 44

Kooperation

Kooperationsförderlich:

• kommunikativer Austausch vor der Kooperationssituation: erhöht deutlich die

Kooperationsrate bei zunächst kooperationsunwilligen Interaktionspartnern

• selektive Belohnungen für kooperatives Verhalten

• konsekutives Kooperationsverhalten:

– konstruktiv ist ein bedingt kooperatives Verhalten: weitere Kooperation

nur dann, wenn Partner kooperiert hat

– bedingungslose Kooperation oder Nichtkooperation senkt die

Kooperationsrate des Partners

• erwartetes Kooperationsverhalten des Partners:

– erwartete Kooperation erhöht eigene K

– erwartete Nichtkooperation erhöht eigene NK

– kooperativ eingestellte Partner erwarten eher Kooperation

– konkurrenzorientierte erwarten eher Nichtkooperation

Dr. Fox, 2020 45

Kooperation

Situationsfaktoren als Kooperationsbedingungen

• möglicher Gewinn und Verlust:

– je höher der mögliche Gewinn für beide Interaktionspartner bei

Kooperation beider, desto stärker die Kooperationsneigung

– je höher der mögliche Verlust für beide bei Egoismus beider, desto

stärker die Kooperationsneigung

– je höher die mögliche Gewinnerwartung bei eigenem Egoismus und

gleichzeitiger Kooperation des Partners, desto schwächer die KN

– je höher der mögliche Verlust bei eigener Kooperation und

gleichzeitigem Egoismus des Partners, desto schwächer die KN

Merke:

Wenn nur ein Partner egoistisch handelt, senkt sich die

Kooperationsneigung aller; sich als fair behandelt fühlende Personen

handeln kooperativer!

Dr. Fox, 2020 46

Fairness • Der Mensch hat– ebenso die großen Menschenaffen (vgl.

Experimente von Frans de Waal an Primaten)- bereits

frühkindlich- einen Sinn für Fairness: Der Mensch

handelt nicht ökonomisch-rational, sondern auch

moralisch oder nach einem Empfinden für Gerechtigkeit:

Das Verhalten in entsprechenden Versuchen (Menschen spielen dabei

meist um Geld) zeigt, dass Menschen beim Ultimatum-Spiel (vgl.

Fehrs) ihren Spielpartnern in der Regel die Hälfte der Belohnung

zukommen lassen. Sie sichern sich allerdings einen größeren Anteil

des Gewinns, wenn ihr Partner keine Möglichkeit des Einspruchs hat.

• Sinn für Fairness hat die Funktion der besseren

Kooperation und der Reduktion von Egoismus

• PS: Erleben von Unfairness zeigt sich hirnphysiologisch in den

neuronalen Netzwerken (Insula), in denen auch Schmerzen erlebt

werden

• PSS: Ein unbegrenztes Wachstum führt zu Krebsgeschwüren, ein

unbegrenztes Wachstum von Egoisten würde das Verderben aller

bedeuten

Dr. Fox, 2020 47

Kooperation

Situationsfaktoren als Kooperationsbedingungen

• Macht in asymmetrischen Beziehungen:

– der machtvolle Partner zeigt weniger Kooperationsneigung als

der schwächere Partner

– der machtvolle Partner kann den schwachen Partner eher zur

Kooperation veranlassen als umgekehrt

• Macht in symmetrischen Beziehungen:

– bei zweiseitigen Drohungspotenzialen erhöht sich das Risiko für

Verluste bei beiden, vor allem dann, wenn die

Drohungspotenziale nicht exakt gleichwertig sind

Dr. Fox, 2020 48

Altruismus

Altruismus wird verstärkt durch

• selektive Belohnung

• soziale Normen

• Selbstverstärkung, Gefühl der Erhabenheit

• Lernen durch Beobachtung einer beliebten Modellperson

• Beobachtung anderer Hilfe leistender Personen

• gegenseitige Hilfeleistungen, Reziprozität des Altruismus

• Training von Empathie und Mitgefühl:

– Empathie ermöglicht Mitgefühl

– Mitgefühl ist die Motivation für fürsorgliches Handeln und

Hilfeleistungen

– Empathie und Mitgefühl nehmen zu bei Ähnlichkeit und

Nähe zum Hilfsbedürftigen

Dr. Fox, 2020 49

Altruismus

Altruismus wird geschwächt durch

• Partner verhält sich nicht ebenfalls hilfsbereit

• aversive Konsequenzen bei geleisteter Hilfe, Misserfolg, eigener

Schaden, Stigmatisierungen, Ausgenutztwerden

• hoher Aufwand, Zeitdruck

• nichtreagierende Zuschauer:

die Wahrscheinlichkeit prosozialen Handelns nimmt mit der Anzahl

anwesender Personen ab

Gründe: Abschiebung der Verantwortung; auch die fälschliche

Annahme, man würde die Situation angesichts der Passivität der

Interaktionspartner dramatisieren und sich bei Eingreifen blamieren

Abhilfe: Verantwortung laut ansprechen und verteilen, eigenes

Eingreifen laut ankündigen und das der anderen einfordern!

Dr. Fox, 2020 50

Prosoziales Handeln

Prozessmodell prosozialen Handelns Stufe 1: Wahrnehmung, Aufmerksamkeit

Stufe 2: Bewusstheit eigener sozialer Verantwortung

Stufe 3: Kosten-Nutzen-Abwägung

Stufe 4: Konsequenz

– überwiegt erwarteter Nutzen, tritt prosoziales Handel auf

– überwiegen erwartete Kosten, erfolgen zum Selbstwertschutz

Rationalisierungen auf den Stufen 1-3

• Stufe1: „ich hab nichts gesehen“ „alles halb so schlimm“

• Stufe2: “warum gerade ich?“

• Stufe3: „ich schaff das nicht“ „man kann nichts dagegen tun“

Dr. Fox, 2020 51

Literatur

— Adorno, Theodor W./ Frenkel-Brunswik, Else/ Levinson, Daniel J./ Sanford,

R. Nevitt (1950): The Authoritarian Personality. New York: Harper und

Brothers.

— Fromm, Erich (1936): Sozialpsychologischer Teil. In: Horkheimer, Max/

Fromm, Erich/ Marcuse, Herbert (Hrsg.): Studien über Autorität und Familie.

Forschungsberichte aus dem Institut für Sozialforschung. Paris: Alcan. S.

77–135.

— Berbner, Bastian (2019): 180 Grad- Geschichten gegen den Hass, C.H.

Beck

Dr. Fox, 2020 52