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MACBETH Nichts ist, als was nicht ist. Nothing is but what is not. Die Welt nicht in Ordnung: dies ist Grunderlebnis Hamlets sowohl wie Othellos, Brutus', Coriolans und Lears. In Macbeth aber sehen wir eine Ge- stalt am Werk, die als Stifter solcher Unordnung zu erkennen ist. Der Stifter des Bösen in die Mitte des Werks gerückt, nicht mehr handfest und eindeutig, fast Käsperlfigur wie in der Erscheinungsform Jagos, sondern zu voller Menschlichkeit ausgewachsen, tiefdimensioniert, in sich widersprüchlich, atmosphärisch von stärkster Ausstrahlung. Die Gegenkräfte aber, rings um ihn von den verschiedensten Nebenfiguren getragen, treten umso umfassen- der in Tätigkeit und überwinden in konzentrischem Gegenstoß den Tyran- nen, der, anders als Caesar, wirklich zum Ungeheuer aufgeschwollen ist. Macbeth, Bezwinger der Empörungen, wird selber zum Empörer, schreitet nun, ein Gehetzter, „das Gemüt voll Skorpionen", von Verbrechen zu Ver- brechen, und statt der erstrebten Sicherheit errafft er sich Vernichtung. Wenn Julius Caesar die Tragödie der Unsicherheit ist, wenn im Hamlet Vieldeutigkeit, im Othello Mißverstehen und im Coriolan scharfer Zwie- spalt herrschen, so waltet im Macbeth elementares Chaos. Statt der strengen, klaren Luft, die das Römerdrama durchweht, haben wir im Macbeth den fiebrigen Wirbel. „Nimmer soll Instinkt mich führen", sagt Coriolan von sich, „Ich steh, als war ein Mensch sein eigner Schöpfer", und auch der Mutter, Volumnia, gegen deren Andringen Coriolan mit solchen Worten sich schützen möchte, ist der Staat wichtiger als das persönliche Geschick; Vir- gilia, die Gattin, in der andere, weichere Gefühle leben, hat eine innere Sicherheit und Ruhe des Wollens, um die Brutus' Weib Portia sie beneiden könnte. Im Macbeth aber sind die Dämonen mächtig. Dämonen, das sind die Süchte, die verborgenen Instinkte des menschlichen Innern, und das was im Spannungsgefüge der zwischenmenschlichen Beziehungen ihnen entspricht, was als unheilvolle Gelegenheit ihnen von außen entgegenkommt. In den Hexen hat Shakespeare diesen Dämonen sichtbare Gestalt gegeben. Es sind Weiber mit Barten, und ihre Rede lautet: „Schön ist wüst und wüst ist schön" Töchter des Chaos. Chaos ist das Leitmotiv des Stücks, in den verschiedensten Sprachgebärden immer wieder neu ausgeprägt. Fair is foul, and foul is fair, sagen die Hexen in der Eingangsszene, und Macbeth, als er sich, noch ohne sie zu sehen, den Unheilsschwestern naht: So foul and fair a day I have not seen. „So wüst und schön sah ich noch keinen Tag" (I 3). Später hört man: „Die Uhr zeigt Tag, doch dunkle Nacht erstickt die Wanderlampe." „Ich weiß, es 83 Brought to you by | St. Petersburg State University Authenticated | 134.99.128.41 Download Date | 12/5/13 7:05 PM

Shakespeares Dramen () || Macbeth

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M A C B E T H

Nichts ist, als was nicht ist.Nothing is but what is not.

Die Welt nicht in Ordnung: dies ist Grunderlebnis Hamlets sowohl wieOthellos, Brutus', Coriolans und Lears. In Macbeth aber sehen wir eine Ge-stalt am Werk, die als Stifter solcher Unordnung zu erkennen ist. Der Stifterdes Bösen in die Mitte des Werks gerückt, nicht mehr handfest und eindeutig,fast Käsperlfigur wie in der Erscheinungsform Jagos, sondern zu vollerMenschlichkeit ausgewachsen, tiefdimensioniert, in sich widersprüchlich,atmosphärisch von stärkster Ausstrahlung. Die Gegenkräfte aber, rings umihn von den verschiedensten Nebenfiguren getragen, treten umso umfassen-der in Tätigkeit und überwinden in konzentrischem Gegenstoß den Tyran-nen, der, anders als Caesar, wirklich zum Ungeheuer aufgeschwollen ist.Macbeth, Bezwinger der Empörungen, wird selber zum Empörer, schreitetnun, ein Gehetzter, „das Gemüt voll Skorpionen", von Verbrechen zu Ver-brechen, und statt der erstrebten Sicherheit errafft er sich Vernichtung.Wenn Julius Caesar die Tragödie der Unsicherheit ist, wenn im HamletVieldeutigkeit, im Othello Mißverstehen und im Coriolan scharfer Zwie-spalt herrschen, so waltet im Macbeth elementares Chaos. Statt der strengen,klaren Luft, die das Römerdrama durchweht, haben wir im Macbeth denfiebrigen Wirbel. „Nimmer soll Instinkt mich führen", sagt Coriolan vonsich, „Ich steh, als war ein Mensch sein eigner Schöpfer", und auch derMutter, Volumnia, gegen deren Andringen Coriolan mit solchen Worten sichschützen möchte, ist der Staat wichtiger als das persönliche Geschick; Vir-gilia, die Gattin, in der andere, weichere Gefühle leben, hat eine innereSicherheit und Ruhe des Wollens, um die Brutus' Weib Portia sie beneidenkönnte. Im Macbeth aber sind die Dämonen mächtig. Dämonen, das sinddie Süchte, die verborgenen Instinkte des menschlichen Innern, und das wasim Spannungsgefüge der zwischenmenschlichen Beziehungen ihnen entspricht,was als unheilvolle Gelegenheit ihnen von außen entgegenkommt. In denHexen hat Shakespeare diesen Dämonen sichtbare Gestalt gegeben. Es sindWeiber mit Barten, und ihre Rede lautet: „Schön ist wüst und wüst istschön" — Töchter des Chaos.Chaos ist das Leitmotiv des Stücks, in den verschiedensten Sprachgebärdenimmer wieder neu ausgeprägt. Fair is foul, and foul is fair, sagen die Hexenin der Eingangsszene, und Macbeth, als er sich, noch ohne sie zu sehen,den Unheilsschwestern naht: So foul and fair a day I have not seen. „Sowüst und schön sah ich noch keinen Tag" (I 3). Später hört man: „Die Uhrzeigt Tag, doch dunkle Nacht erstickt die Wanderlampe." „Ich weiß, es

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ist *ne Müh, die Euch erfreut" (II 3). „Bevatert ist er und doch vaterlos."„Ich bin in dieser irdschen Welt, wo Schlimmes tun oft löblich ist undGutes tun bisweilen gefährliche Tollheit heißt" (IV 2). Von Macbeth heißtes schließlich: „Doch ist's gewiß, es läßt sich seine zerfallene Sache (his dis-tempered cause) nicht mehr schnallen in den Gurt der Ordnung" (V 2). Inder erhitzten Bildersprache, die nicht nur der fieberwunde Krieger der zwei-ten Szene oder Macbeth selber spricht, die vielmehr diesem Stück überhaupteignet, spürt man das Brodeln der dämonischen Kräfte, und wenn der ver-wundete Sergeant vom grimmigen Macdonwald, dem von Macbeth über-wundenen Rebellen, sagt, daß der Natur Bosheiten, stets sich mehrend, umihn schwärmten - The multiplying villanies of nature do swarm upon him -so glaubt man den Ursprung der Hexengestalten im sprachlichen Bild mitHänden zu greifen. Chaotisch ist die Empörung des Anfangs, ist der Wahn-sinn der Lady, ist vor allem Macbeths ganzes Tun.Schon Macbeths Süchte sind doppeldeutig.

Groß möchtst du sein,Bist ohne Ehrgeiz nicht; doch fehlt die Bosheit,Die ihn begleiten muß. Was recht du möchtest,Das möchtst du rechtlich (holily), willst kein falsches SpielUnd willst doch unrecht Gut. . . (I 5).

Aber die Zweideutigkeit von Macbeths Wollen ist noch tiefer angelegt, alssein Weib es sieht. Sie besteht nicht nur im Schwanken zwischen Zweck undMitteln. Der Titanendrang des Menschen über sich selber hinaus, wie erin Prometheus, Macbeth, Faust, Wallenstein in Erscheinung tritt, ist an sichzweideutig: heilig und böse zugleich. „Nichts ist als was nicht ist." DerMensch ist wesensmäßig ein solcher, der über sich selbst hinauswachsen, dasBestehende, sich selber und die Welt, überwinden will. Die Angleichung anGott ist ein christliches Ideal (Matthäus 5, Vers 48). „König werden" heißtes bei Macbeth wie bei seiner Frau. Aber in diesem Wachsenwollen, das eigent-lich ein Sichentfernen von sich selbst bedeutet, steckt doch zugleich auch einVerabsolutieren seiner selbst. Macbeth und Wallenstein werden sich zumSelbstzweck, alles andere wird Ding, Werkzeug, Mittel. Der unstillbareDrang nach oben ist legitim und läßt einen Macbeth, einen Faust, einen Wal-lenstein in einem volleren und höheren Sinne Mensch sein als trägere Gemüteres sind, aber dieselbe Intensität, die in dem Streben der Titanen lebendig ist,läßt sie nicht von sich loskommen, fesselt sie an sich selber, der Drang wirdzur Gier, an die Stelle der Vergöttlichung tritt die Vergötzung, der Erz-engel wird Satan. Die Mythen lassen die von den Göttern am höchsten Er-hobenen zugleich auch die von ihnen am härtesten Verstoßenen sein. Macbethgehört zu den Auserwähhen; aber sein Höhendrang überschlägt sich -vaulting ambition, which o'erleaps itself (I 7) - Macbeth verfällt der Ich-

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Besessenheit und tritt damit in die Reihe der großen Unheiligen, wie Mar-lowes Faustus, der zu sich selber spricht: „Der Gott, dem du dienst, ist deineeigene Begier, in der die Liebe des Teufels wurzelt." The god thott serv'st isthine own appetite, Wherein is fix'd the love of Beelzebub.Göttliches und Teuflisches dumpf miteinander vermengt in Macbeths Stre-ben nach Größe; und dazu nun Macbeths Wissen um seine Verantwortung,sein empfindliches Gefühl für das Prinzipielle, das kosmisch Gültige, seinGrauen vor dem Bösen mitten in der Verfallenheit an das Böse. Man hatbehauptet, Macbeths Gewissensängste kämen nicht eigentlich aus dem Ge-wissen, sie seien mehr nur Angst vor den Folgen seines Tuns, Angst vorRache. Solche Deutung verkennt, daß in der dumpfen Seele Macbeths beides,das Grauen vor der Sünde und die Angst vor der Strafe aufs innigste ver-knüpft sind.

Auch hat dieser Duncan so mildDie Macht getragen, war im großen AmtSo rein, daß seine Tugenden, wie EngelPosaunenzüngig, werden Rache schreinDem tiefen Höllengreuel seines Mords,Und Mitleid, wie ein nacktes, neugebornes KindAuf Sturmwind reitend, oder Himmels Cherubim,Zu Roß auf unsichtbaren Lüfterennern,Blasen die Schreckenstat in jedes Äug,Daß Tränenflut ertränkt den Wind (I 7).

Solche Vision steigt nicht aus der bloßen Schulbubenangst vor Strafe, siezeugt von dem Wissen um die geistige Tragweite des Verbrechens, um seineVerworfenheit vor Gott. Dieselbe primitive Verbindung von Grauen vorder Sünde an sich und Angst vor den Folgen für sich — und in welchem Men-schen steckten nicht Reste solcher Primitivität? — spricht aus MacbethsWorten nach der Tat.

Mir war als rief es: „Schlaft nicht mehr! MacbethMordet den Schlaf!" Ihn, den unschuldgen Schlaf;Schlaf, der des Grams verworrn Gespinst entwirrt,Den Tod von jedem Lebenstag, das BadDer wunden Müh, den Balsam kranker Seelen,Den zweiten Gang im Gastmahl der Natur,Das nährendste Gericht beim Fest des Lebens.Stets rief es: „Schlaft nicht mehr!" durchs ganze Haus,„Glamis mordet den Schlaf!" und drum wird CawdorNicht schlafen mehr, Macbeth nicht schlafen mehr. (II 2)

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Alle Titel, die Macbeth zuteil geworden sind, sind geschändet. MacbethsHeulen und Zähneklappern stammt aus dem Gefühl, Todsünde begangen zuhaben, nicht aus der Furcht vor Strafe. Wie Hamlet, wie die Gestalten desbarocken Dramas überhaupt spürt er im individuellen Geschehen die kosmi-sche Tragweite. Der Schlaf der Welt ist gemordet.Wie Brutus, Hamlet, Othello läßt Macbeth sich durch Anstöße von außenverführen, die Tat zu tun, gegen die sein eigenes Gefühl sich sträubt. Schondaß er Empörer zu bekämpfen hat, ist geeignet, ihn zu vergiften. Die Atmo-sphäre der Verschwörung steckt ihn an, der Natur Bosheiten umschwärmenauch ihn, und wie so oft, ist der Besiegte geistig der Sieger: sein Uberwindertritt in seine Fußstapfen. Dann kommt dazu die rasche Erfüllung derWunschträume - „das Glück schien des Rebellen Hure" (12): auch diesesgilt für Macbeth - so daß der Gedanke, der Verwirklichung des letzten,höchsten Traums nachzuhelfen, Gewalt gewinnt in ihm - und das Gift,das sein Weib ihm einträufelt (immer wieder dieses Bild, im Hamlet, imOthello, im Macbeth), hilft die letzten Widerstände zerfressen. Auch dieLady selber, obschon bedeutend einfacher veranlagt als Macbeth, ist nichtohne innere Widerstände. Frevlerisch und in unheimlicher Weise ahnungslosruft sie die bösen Geister gegen sich selber zu Hilfe.

Kommt, Geister, die ihr lauertAuf Mordgedanken, und entweibt mich hier,Füllt mich vom Wirbel bis zur Zeh, randvoll,Mit wilder Grausamkeit. Verdickt mein Blut,Sperrt jeden Weg und Eingang dem Gewissen,Daß kein zerknirschtes Pochen der NaturDen grausen Plan erschüttert, Rast macht zwischenIhm und der Tat! Kommt an die Weibesbrust,Trinkt meine Milch als Galle, ihr Mordhelfer,Wo ihr auch harrt als körperlose KräfteAuf Unheil der Natur! Komm, dicke Nacht,Verhüll dich mit dem trübsten Qualm der Hölle,Daß nicht mein scharfes Messer sieht die Wunde,Die es geschlagen; noch der Himmel,Durchspähend durch des Dunkels Vorhang, rufe:Halt! Halt! (15)

Willensunterjochung, Vergewaltigung des Selbst auch hier, wie so oft imbarocken Leben und in der barocken Kunst. Und wieder ist es nature, dasinnere Gefühl, das unterjocht wird, ganz wie bei Brutus, Hamlet, Othello,und Geister werden zu Hilfe gerufen gegen das eigene Gefühl, so wie auchBrutus, Hamlet, Othello im Namen des Geistes - „die Sache will's" - dieStimme des natürlichen Empfindens schweigen heißen. Bei Marlowe gerinnt

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Fausts Blut, als er den Teufelspakt unterschreiben will, und Mephostophilismuß eine Feuerpfanne herbeischleppen, um es aufzutauen. Auch da also istes die Natur, die dem Frevelwillen des Geistes Widerstand leistet und diekünstlich gefügig gemacht werden muß. Für Shakespeare wie für Marloweist der Mensch nicht von Natur aus schlecht. Er geht nur in die Irre; derGeist, gefährliches, doppelwertiges Geschenk, stellt seine Forderungen, frev-lerische ebenso wie göttliche, mit schneidender Schärfe und vergewaltigt dasabmahnende Gemüt.Wenn die Lady das abmahnende Gefühl, so muß Macbeth umgekehrtden abmahnenden Geist unterdrücken. „Sieh, Auge, nicht die Hand"(I 4). Er, in dessen Sucht nach dem Königtum Geist und Triebchaotisch sich durchdringen, fühlt, daß sein Werk aus dem Chaos geborenist und Chaos schafft. Er glaubt aber im letzten selber nicht an das Chaos.Er glaubt nicht, daß ein Wald sich in Bewegung setzt, nicht, daß ein Menschanders als vom Weib geboren sein kann, er weiß, daß Grün sich nicht in Rotverwandeln läßt (II 2). Er glaubt an eine feste, gültige Ordnung. Deshalbwird er irre an sich selber, als er das Werk der Unordnung schafft, und suchtnun krampfhaft sich zu sichern, durch Taten, durch Selbstüberredung - erbefragt von neuem die Hexen, und sie geben ihm durch ihre trügerischenOrakel eine äußere Scheinsicherheit, die das Grab jeder echten Sicherheit ist.Hekate, der Hexen Göttin, spricht es deutlich aus:

And you all know securityh mortals chiefest enemy (III 5).

Sicherheit ist des Menschen Erbfeind: Denn der Mensch ist seinem Wesennach ein Unsicherer, und wenn er sich einbildet, sicher zu sein, verfällt ereiner letzten Selbsttäuschung.Macbeth, in dem der an sich legitime Drang nach Größe, nach Macht lebendigist, geht grauenhaft in die Irre. Das Bild der Macht und Größe erscheintihm nur im Gewand äußerer Macht und äußerer Größe, gierig greift er nachbeiden, um sie zu genießen. Seine unbewußte Imitatio Dei ist verstümmelt:er imitiert nur das Moment Gewalthaben, nicht das Moment Liebe, wo dochin der christlichen Vorstellung des allmächtigen und alliebenden Gottes beidesuntrennbar verbunden ist. So wird denn Macbeth auch nicht, wie der ausechter Verantwortung schaffende christliche Gott, zum Schöpfer, sondernzum Zerstörer. Er will höher hinauf, und reißt zuerst die ändern, dann sichselber in die Tiefe. Er will königliche Macht und bringt dem König undvielen ändern, Trägern und Schutzbefohlenen des Königreichs, den Tod,zuletzt seiner Gattin und sich selber. Er will Sicherheit, und führt das Chaosherauf, in der eigenen Brust, in der Seele seines Weibes, im ganzen schotti-schen Reich. Sein armes Land erschrickt vor sich selbst (IV 3), so wie er vorsich selber erschrickt. Er, der Sicherheit wollte, hat zuletzt gar nichts mehr

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in der Hand, nicht einmal mehr einen Glauben; Macbeth landet beim Nihi-lismus,

Ein wandelnd Schattenbild nur ist das Leben,Ein armer Komödiant, der auf der Bühn sich spreiztSein Stündchen, und dann nicht mehrVernommen wird: ein Märchen ist's, erzähltVon einem Dummkopf, voller Klang und Wut,Das nichts bedeutet.

Er wollte das Höchste, er wollte alles, aber das All schlug um ins Nichts.Der Machtsüchtige wird zum Todsüchtigen.

Das Sonnenlicht will schon verhaßt mir werden;OJ fiel in Trümmer jetzt der Bau der Erden!Auf! läutet Sturm! Wind blas! heran Verderben:Den Harnisch auf dem Rücken will ich sterben.

Von Natur ein tapferer Kämpfer, bleibt er es bis zuletzt; aber der Gedankedes eigenen Untergangs bleibt ihm bis zuletzt peinlich, er möchte die Weltmit sich in den Abgrund reißen. Er hat nicht, wie er selber glaubt, den Sinnder Furcht verloren.

Vergessen hab ich fast, wie Fürchten schmeckt.Es gab die Zeit, wo kalter Schaur mich faßte,Bei nächtigem Gekreisch; das ganze HaupthaarBei einer schrecklichen Geschieht emporSich richtete, als wäre Leben drin.Ich habe mit dem Graun zur Nacht gespeist;Entsetzen, meines Mordsinns Hausgenoß,Schreckt nun mich nimmermehr (V 5).

Und wirklich bleibt er ruhig, als er die Nachricht vom Tode der Königinempfängt. Als aber einen Augenblick später ein Bote ihm meldet, daß derWald von Birnam heranrücke, da fährt er auf: „Schuft und Lügner!" Undmit Macduff, der nicht vom Weib geboren, sondern aus dem Mutterleib her-ausgeschnitten ist, will er nicht kämpfen. Die metaphysische Furcht bleibt beiihm bis zuletzt mit der persönlichen Todesfurcht verknüpft. Aber die Orakel,die ihm den Wahn der Sicherheit gegeben haben, geben ihm am Ende nur dieSicherheit des Untergangs. Da findet er sich mit einer letzten Wendung zuseiner eigentlichen Natur zurück, und geht, wie Richard III., tapfer kämp-fend in den Tod.Sieger sind diesmal die Gegenkräfte. Freilich werden auch sie - gleich Fortin-bras - erst zu zeigen haben, wie sie die Macht verwalten. Malcolm, Sohn

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des ermordeten Königs Duncan, sagt: „Wahrheit ist mir wie mein Lebenlieb" (IV 3), nachdem er eben noch, mit Lügen üppig um sich werfend, sichselber verleumdet hatte: weil das von Macbeth heraufgeführte Chaos auchihn in seinen Wirbel gezwungen. Macbeth selber hatte einst, als er doch schonden Keim des Aufruhrs und Verrats in sich trug, zu Duncan ein an sich sehrberechtigtes, an Coriolan gemahnendes Wort gesprochen: „Der Dienst, dieTreue, die ich schulde, lohnt sich selbst im Tun." The service and the loyaltyI owe, in doing it, pays itself (14). Auch Macbeth war zu reinem Erkennendurchaus fähig - ja seine Einsichten übertreffen an Tiefe und Kraft die allerändern im Stück. Aber Höllenqualm hat ihn verdunkelt, Gift, Dämonenhaben sein reines Erkennen entkräftet. Wer bürgt uns, daß es bei den ändernnicht ebenso sein wird? Niemand. Shakespeare gibt uns auch hier keineSicherheit, kann sie nicht geben. Aber er darf doch das Gegenbild zu Mac-beths falschem Königtum mitten in dem chaotischen Geschehen aufleuchtenlassen. Nicht Duncan ist sein Träger - er war nur mild und gnädig, ihmmangelte die echte königliche Kraft, deshalb auch die nicht abbrechende Reihevon Empörungen gegen ihn. Duncans Königtum war defizient wie das Mac-beths, nur nach der entgegengesetzten Richtung. Das Bild des echten Herr-schers erscheint vielmehr im englischen König, von dem Malcolm und einArzt erzählen.

Malcolm: Sagt, geht der König aus?

Arzt: Ja, Herr. Ein Schwärm von armen Leuten harrtAuf seine Hilfe; ihre Krankheit trotztDer großen Müh der Kunst. Doch seine Hand- Solch eine Segnung hat der Himmel ihr verliehn -Heilt gleich, wen sie berührt.

Malcolm: Ich dank Euch, Doktor.

Macduff: Was für ein Leiden ist's?

Malcolm: Es heißt das Übel.Ein wundertätig Werk vom guten König,Das ich ihn oft, seit ich in England bin,Verrichten sah. Wie er's von Gott erfleht,Weiß nur er selber. Seltsam Heimgesuchte,Voll Schwulst und Schwären, kläglich anzuschaun,An denen alle Kunst verzweifelt, heilt er,Ein Goldstück ihnen um den Nacken hängendMit heiligem Gebet. Und nach VerheißungWird er vererben auf die künftgen HerrscherDie Wundergabe. Zu der heiigen KraftHat er auch himmlischen Prophetengeist... (IV 3)

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Die Sanctity, die der Himmel dem echten König verleiht, ist die Heilkraftund die Gabe der Prophetic. Denn er ist der Vater seines Volkes, soll Ge-brechen heilen und den Weg ins Morgen weisen. Wirklich mächtig ist der,der dem ändern etwas zu schenken, der den ändern zu fördern vermag. Wervergewaltigen muß, tut damit dar, daß er keine wirkliche Macht über denMenschen hat. Vergewaltigung ist die Fratze echter Macht. In Macbeth ist siein ihrer ganzen grausen Zerstörungssucht zur Erscheinung gebracht. Daslichte Gegenbild bleibt jenseits der Bühnenwirklichkeit, es nimmt, gleichsamals Verheißung, nur in der Vorstellung des Hörers Gestalt an. Aber daß esnicht um Zufälliges, sondern um Prinzipielles geht, deutet Shakespeare an:die Kraft zu heilen soll auf die nachfolgenden Könige vererbt werden.Nichts ist, als was nicht ist. Der Traum ist stärker als die Realität. Macbetherfährt es in grauenhafter Weise.

Erlebte GreuelSind schwächer als das Graun der Einbildung.Mein Denken, drin der Mord doch nur erst Spuk ist,Erschüttert meine innre Mannheit so,Daß jede Lebenskraft im Wahne schwindetUnd nichts ist, als was nicht ist.

Present fearsAre less than horrible imaginings;My thought, whose murder yet is but fantastical,Shakes so my single state of man that functionIs smother'd in surmise, and nothing isBut what is not (I 3).

So hat Banquos erst kommendes Königtum mehr innere Wirklichkeit alsMacbeths unfruchtbar gegenwärtiges Herrschen. Und das nur in unsererPhantasie stehende Bild des heilenden Königs überwindet den Schrecken desauf der Bühne Sichtbaren. Nicht nur der Theaterbesucher, auch Malcolm,der Macbeth auf dem Throne ablöst und dem das letzte Wort des Spiels ge-hört, trägt dieses Bild in sich.Nichts ist, als was nicht ist. Nicht die Wirklichkeit ist das wahrhaft Gültige,sondern das was werden will. Macbeth weiß es recht wohl. Der unwirklicheTraum, König zu sein, bestimmt all sein Handeln. Aber er hat, anders alsdie Lady, Gewissen und Phantasie genug, nicht nur den Erfolg, sondernauch das Grauen, das mit ihm verbunden ist, vorwegzunehmen. Die Königs-gabe der Prophetic ist ihm nicht fremd. Er ist so wenig wie Hamlet einbloßer Nervenkranker und Willenskrüppel, dessen Wollen unermeßlich unddessen Wille schwach ist. In echt barocker Weise sind Machtgier und reli-giöse Ergriffenheit dissonierend in ihm lebendig. Wenn Macbeth sich selber

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Schwächling schilt, so ist es, wie bei Hamlet, der Geist, der das widerstre-bende Gemüt aufhetzen will. Wenn sein Weib ihn „Willenslahmer" nennt,infirm of purpose, so ist es das Unverständnis der anders Gearteten. Für siesind „Schlafende und Tote nur wie Bilder", von der Wirkkraft dieser Bilderahnt sie nichts: „nur ein kindisch Auge scheut den gemalten Teufel" (II 2).Lady Macbeth hat, wie mit Recht betont worden ist, wenig Phantasie, undprinzipielles Denken ist ihr, der Frau, ferner als dem Mann. Sie traut sichdie Fähigkeit zum Mord ohne weiteres zu - als sie dann aber vor demschlafenden König steht, da kann sie nicht; sie glaubt eine Ähnlichkeit mitihrem Vater zu sehen: sie, die Macbeth the eye of childhood, „das Auge derKindheit" vorwarf. Erst die Gegenwart der lebendig atmenden Wirklich-keit und die Beziehung zum eigenen Lebens- und Liebesbereich ergreifen sie,ihre Vorstellungskraft reichte nicht hin. Sie reicht auch nicht, die Rückwir-kung des Mords auf Macbeth vorauszusehen — vor der schaurigen Wirklich-keit aber bricht dann die Lady zusammen. Während Macbeth diesseitige undjenseitige Welt in heftigem Widerstreit in sich trägt, verschreibt sich die Ladyzu Anfang ganz dem Diesseits, dichtet fest sich ab gegen Grauen, Mitleid,Gewissensbisse — nachher, im Umschlag, verliert sie sich ganz an das Jenseits,die Schranken werden durchbrochen, überflutet, das Unbewußte überschwilltdas Bewußtsein, sie endet im Wahnsinn, im Selbstmord. Das Bild der nacht-wandelnden Lady prägt sich unverlierbar ein; sie sucht umsonst die Blut-flecken wegzuwaschen; immer, auch beim Schlafen, muß ein Licht neben ihrbrennen, denn sie erträgt die Finsternis nicht, der sie sich doch ausgelieferthat und der sie unentrinnbar verfallen ist.Macbeth aber, der das Grauen voraussah, erträgt es nun, da es da ist, undgeht seinen Weg weiter. Eine reizbare Phantasie macht ihn zum Visionär,aber er gestattet dem Jenseits nicht, seine ganze Persönlichkeit zu ergreifen.Weder dem Wahnsinn noch dem Selbstmord gibt er ein Recht über sich, erwill, nachdem er einmal die Gewissensrufe abgewürgt hat, nicht „den römi-schen Narren spielen". Macbeth, ebenso empfindlich für Gewissensanrufewie König Claudius, wird wie dieser bis an die Schwelle der Einkehr ge-führt. An die Stelle des von Hamlet veranstalteten Schauspiels tritt beidiesem noch mehr im Ursprünglichen wurzelnden Menschen die eigene Vision.Schon der vor der Tat halluzinierte blutige Dolch erschreckt ihn, will ihnwarnen. Nach der Tat hört er den Ruf vom gemordeten Schlaf, und nachBanquos Ermordung erscheint ihm der Gemordete mit all seinen Todes-wunden.

Blut ward auch sonst vergossen, schon vor alters,Eh menschlich Recht den milden Staat geschaffen,Ja, und auch später mancher Mord vollbracht,Zu gräßlich für das Ohr. Da war's noch so,

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Daß, war das Hirn heraus, der Mann auch starb,Und damit gut.Doch heutzutage stehn sie wieder aufMit zwanzig Todeswunden an den Köpfen.Und stoßen uns von unsern Stühlen: dasIst seltsamer noch als solch ein Mord (III 4).

And push us from our stools - aber Macbeth läßt sich nicht von seinem Stuhlestoßen. Anders als in der alten heidnischen Zeit, wo der Totschläger mitruhigem Gewissen weiter leben durfte, stehen jetzt die Toten auf und tretenals ein blutiger Vorwurf vor unser Auge. Es ist ein Aufruf zum Selbstgericht,zur Reue, zur Umkehr - von Claudius klar, von Macbeth dumpf als solcheraufgefaßt - aber beide reagieren in der falschen Richtung, sie fliehen aus derErweichung in die Verhärtung. Macbeth gerät in ein immer weiter fressen-des Morden, das auch Frauen und kleine Kinder erfaßt, und in dem Wahn-sinn dieser „Schutzmorde" scheint, wie bei Meyers Richterin, zugleich krampf-haft abgeleiteter Selbstbestrafungsdrang am Werk zu sein. Zuletzt führtMacbeths Wüten auch real seinen Untergang herauf, es ist statt Selbstsiche-rung, wie es sollte, in Wirklichkeit fortschreitende Selbstzerstörung.„Ihr entfremdet mich meinem eignen Selbst", sagt Macbeth zu den an seineTafel geladenen Gästen, die den Geist des toten Banquo nicht sehen. InWirklichkeit hat er sich selber sich entfremdet, indem er, anders als der ruhigprüfende Banquo, sich „des Dunkels Schergen" überlieferte. Wie im Othello,wo der Held sich zum Tiere macht, ist auch im Macbeth immer wieder vonder Tierwelt die Rede; das Flattern, Krächzen und Kreischen nächtigerVögel wird vernommen. Wie in Hamlet und Othello ertönt der Schrei nach„Licht", und Macbeths Wort, er beginne schon des Sonnenlichtes müd zuwerden, steht in gespenstischem Kontrast zu der hilflos flackernden Kerzeder Lady. An vielen Stellen taucht, wie im Julius Caesar, das Motiv desSchlafes auf. Lähmend fällt er über die Unschuldigen (II l, 2), die Schul-digen aber, die ihn morden, können nicht mehr schlafen; „Dir fehlt dieWürze aller Wesen, Schlaf", sagt die Lady zu ihrem Gatten (III 4), undumsonst will Macbeth auch den Schlaf noch zwingen: „Ich will die Sichrungdoppelt sicher machen ... Dann sag ich zu der bleichen Furcht: du lügst!und schlafe trotz dem Donner" (IV 1); die Lady muß im Schlaf noch um-gehen. „Eine große Zerrüttung der Natur, die Wohltat des Schlafes ge-nießen und zugleich die Geschäfte des Wachens verrichten", sagt der Arzt(V 1). Die Natur ist zerrüttet, die „sichere und festgegründete Erde" (II 1)fiebert, und ein Scheinwunder - der wandelnde Wald, der ungeboreneMensch - muß die äußere Ordnung wiederherstellen. Die wahre Überwin-dung des Chaos aber, die Wiederaufrichtung der wirklichen Ordnung istnur durch das eigentliche Wunder möglich: daß der König - und das Bild

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des Königs steht im großen Drama, wie im Märdien, für den Mensdienüberhaupt - aus einem Gewalttäter zu einem wahrhaft Mächtigen wird, wiejener Eduard von England, der die Krankheit, das Chaos zu heilen die Kraftund die Gnade hat.

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