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12 | Bauwelt 31 2005 Zu diesem Heft Vor vier Monaten, in Heft 14, haben wir Neubauten und Projekte an drei so prominen- ten wie zentralen Stadtplätzen vorgestellt. Die ar- chitektonischen Lösungen boten ganz unterschied- liche Ansätze für das Ziel, den jeweiligen Charakter von Ort und Gebäude für einen Erfolg auf dem Im- mobilienmarkt zu schärfen. Auch diese Ausgabe widmet sich drei Zentren, je- doch in Orten mit weniger Strahlkraft. Vaihingen, Biesdorf und Stadtbergen sind typische „Umland- gemeinden“, Vorstädte von Stuttgart, Berlin und Augsburg, mit einer eher diffusen baulich-räumli- chen Identität. Wer hier ein Projekt plant, entwickelt und betreibt, sieht sich einerseits konfrontiert mit dem Sog der nahen Großstädte und ihrer kommerzi- ellen und kulturellen Vielfalt, andererseits mit den Lockrufen von Bequemlichkeit, Sauberkeit und Nied- rigpreisen in den Shopping Malls, Business Centern und Wohnparks noch etwas weiter „draußen“. Was braucht ein Projekt in einer solchen Lage, das den Anspruch erhebt, ein neues Zentrum zu bilden, um sowohl Mieter zu finden als auch von den Bür- gern angenommen zu werden? Welcher Nutzungs- mix ist nötig? Welches Maß an öffentlichen Einrich- tungen bedarf es, wie viel Verkaufsfläche verträgt es? Und mit welchen Mitteln haben die Architek- ten gearbeitet, um der belanglosen Umgebung mit den neuen Gebäuden einen Halt zu geben, ohne sie vor den Kopf zu stoßen? Welchen Maßstab haben sie gewagt, wie viel Verknüpfung gesucht? Alle drei Projekte wurden im Laufe der letzten zwei Jahre eröffnet. Für diese Ausgabe haben wir sie neu fotografieren lassen, mit den noch jungen Spuren der Benutzung und Aneignung, so dass sich auch die Frage – zumindest vorläufig – beantworten lässt, wie erfolgreich sich die neuen Orte in den Alltag ihrer Umgebung integriert haben. Was überraschen mag: Mögen die einzelnen „Lagen“ auf den ersten Blick vielleicht vergleichbar scheinen – architekto- nisch, städtebaulich und atmosphärisch haben die neuen Zentren von Vaihingen, Biesdorf und Stadt- bergen nicht viel gemeinsam. ub Bauwelt 31 2005 | 13 Architekten Entwurfsplanung: Léon Wohlhage Wernik, Berlin Projektleiter: Ulrich Möller, Ulrich Vetter Mitarbeiter Wettbewerb: Jochen Menzer, Hans Josef Lankes Mitarbeiter Entwurfsplanung: Sabine Arntz, Tilmann Bock, Jörn Börner, Julia Hausmann, Walter Miller, Abdullah Motaleb, Lydia Rößiger, Francesca Saetti, Tim Schmitt, Henning Schulz, Andrew Strickland, Michael Tümmers, Iris Wagenplast Architekten Ausführungsplanung und Bauleitung: Chapman Taylor Architekten, Düsseldorf Gerd Rainer Scholze, Yvonne von Salm Projektleiter: Armin Wald, Hardo Mischak Mitarbeiter: Ruprecht Melder, Peter Sulprizio, Charles Pflug, Axel Hoffmann, Sandor Juhasz, Rudi Slawik, Kourosh Afhami, Tanja Hellenthal, Michael Martin, Sebastian Menchén, Dirk Michaelis, Joachim Watzek, Miachel Fraunhofer, Alexandra Sedlaczek, Eero Ignatius, Linda Schöffel, Stephan Marx, Jolanthe Piecinski Projektsteuerung: Häussler Baumanagement GmbH, Stuttgart Tragwerksplanung: Deufel Ingenieursgesellschaft mbH, Deizisau Landschaftsarchitekten: Gesswein, Henkel + Partner, Ostfildern Fassadenberatung: Brecht Ingenieure, Stuttgart; Ferdi Fimmers, Krefeld Bauherr: Rudi Häussler, Stuttgart Patrick Zöller Shopping, Hotel, Bürgersaal Das neue Zentrum von Stuttgart-Vaihingen Das Atrium der SchwabenGalerie Foto: Christian Richters, Münster

Shopping, Hotel, Bürgersaal · parken heute unter dem neuen Center Audi A2 oder Mercedes A-Klasse. Doch während sich die Ladenzeilen am Alten Markt um öffentliche Plätzräume

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Page 1: Shopping, Hotel, Bürgersaal · parken heute unter dem neuen Center Audi A2 oder Mercedes A-Klasse. Doch während sich die Ladenzeilen am Alten Markt um öffentliche Plätzräume

12 | Bauwelt 31 2005

Zu diesem Heft Vor vier Monaten, in Heft 14, haben

wir Neubauten und Projekte an drei so prominen-

ten wie zentralen Stadtplätzen vorgestellt. Die ar-

chitektonischen Lösungen boten ganz unterschied-

liche Ansätze für das Ziel, den jeweiligen Charakter

von Ort und Gebäude für einen Erfolg auf dem Im-

mobilienmarkt zu schärfen.

Auch diese Ausgabe widmet sich drei Zentren, je-

doch in Orten mit weniger Strahlkraft. Vaihingen,

Biesdorf und Stadtbergen sind typische „Umland-

gemeinden“, Vorstädte von Stuttgart, Berlin und

Augsburg, mit einer eher diffusen baulich-räumli-

chen Identität. Wer hier ein Projekt plant, entwickelt

und betreibt, sieht sich einerseits konfrontiert mit

dem Sog der nahen Großstädte und ihrer kommerzi-

ellen und kulturellen Vielfalt, andererseits mit den

Lockrufen von Bequemlichkeit, Sauberkeit und Nied-

rigpreisen in den Shopping Malls, Business Centern

und Wohnparks noch etwas weiter „draußen“.

Was braucht ein Projekt in einer solchen Lage, das

den Anspruch erhebt, ein neues Zentrum zu bilden,

um sowohl Mieter zu finden als auch von den Bür-

gern angenommen zu werden? Welcher Nutzungs-

mix ist nötig? Welches Maß an öffentlichen Einrich-

tungen bedarf es, wie viel Verkaufsfläche verträgt

es? Und mit welchen Mitteln haben die Architek-

ten gearbeitet, um der belanglosen Umgebung mit

den neuen Gebäuden einen Halt zu geben, ohne sie

vor den Kopf zu stoßen? Welchen Maßstab haben

sie gewagt, wie viel Verknüpfung gesucht?

Alle drei Projekte wurden im Laufe der letzten zwei

Jahre eröffnet. Für diese Ausgabe haben wir sie neu

fotografieren lassen, mit den noch jungen Spuren

der Benutzung und Aneignung, so dass sich auch

die Frage – zumindest vorläufig – beantworten lässt,

wie erfolgreich sich die neuen Orte in den Alltag

ihrer Umgebung integriert haben. Was überraschen

mag: Mögen die einzelnen „Lagen“ auf den ersten

Blick vielleicht vergleichbar scheinen – architekto-

nisch, städtebaulich und atmosphärisch haben die

neuen Zentren von Vaihingen, Biesdorf und Stadt-

bergen nicht viel gemeinsam. ub

1. Vaihingen-imp_ok 04.08.2005 15:58 Uhr Seite 12

Bauwelt 31 2005 | 13

Architekten Entwurfsplanung:

Léon Wohlhage Wernik, Berlin

Projektleiter:

Ulrich Möller, Ulrich Vetter

Mitarbeiter Wettbewerb:

Jochen Menzer, Hans Josef Lankes

Mitarbeiter Entwurfsplanung:

Sabine Arntz, Tilmann Bock, Jörn

Börner, Julia Hausmann, Walter Miller,

Abdullah Motaleb, Lydia Rößiger,

Francesca Saetti, Tim Schmitt,

Henning Schulz, Andrew Strickland,

Michael Tümmers, Iris Wagenplast

Architekten Ausführungsplanung

und Bauleitung:

Chapman Taylor Architekten,

Düsseldorf

Gerd Rainer Scholze, Yvonne von Salm

Projektleiter:

Armin Wald, Hardo Mischak

Mitarbeiter:

Ruprecht Melder, Peter Sulprizio,

Charles Pflug, Axel Hoffmann, Sandor

Juhasz, Rudi Slawik, Kourosh Afhami,

Tanja Hellenthal, Michael Martin,

Sebastian Menchén, Dirk Michaelis,

Joachim Watzek, Miachel Fraunhofer,

Alexandra Sedlaczek, Eero Ignatius,

Linda Schöffel, Stephan Marx, Jolanthe

Piecinski

Projektsteuerung:

Häussler Baumanagement GmbH,

Stuttgart

Tragwerksplanung:

Deufel Ingenieursgesellschaft mbH,

Deizisau

Landschaftsarchitekten:

Gesswein, Henkel + Partner, Ostfildern

Fassadenberatung:

Brecht Ingenieure, Stuttgart;

Ferdi Fimmers, Krefeld

Bauherr:

Rudi Häussler, Stuttgart

Patrick Zöller

Shopping, Hotel, BürgersaalDas neue Zentrum von Stuttgart-Vaihingen

Das Atrium der SchwabenGalerieFoto: Christian Richters, Münster

1. Vaihingen-imp_ok 04.08.2005 16:00 Uhr Seite 13

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Nicht alle Menschen, die durch die Tiefgara-geneinfahrt in diese Kunstwelt eingetretensind und sie Stunden später durch die Ausfahrtwieder verlassen, verhalten sich wie Muster-Konsumenten. Aber viele von ihnen nutzen dieAnnehmlichkeit, in bequemer Reichweite vonihrem Auto und unabhängig von Witterungs-einflüssen den Bedarf des täglichen Lebensdecken zu können: von A wie Augenoptik bisZ wie Zweikanal-GPS; dazwischen stärken Café,Crêpes und Fruchtsaftbar den Durchhaltewil-len der Shopper.Während die Inhalte der im Sommer 2004 er-öffneten „SchwabenGalerie“ gemäß den ein-schlägigen Erkenntnissen konventionell-rendi-teträchtig zusammengestellt wurden, stellt dasVaihinger Einkaufszentrum in architektonisch-städtebaulicher Hinsicht ein durchaus riskan-tes Experiment dar, schenkt man den hinzu-gezogenen Konsum-Experten Glauben: Den Be-ratern erschien der Plan des Berliner Archi-tekturbüros Léon Wohlhage Wernik geradezuhalsbrecherisch. Investor Häussler wagte den-noch die Umsetzung des ungewöhnlichen Kon-zepts, das sich aufgrund seines Versprechensvon urbaner Offenheit im Realisierungswettbe-werb gegen eine Reihe shopping-routinierterPlanungsbüros behaupten konnte. Der Mut zuneuen Wegen – umso beachtlicher, als Rudi

Quartiersumrundung. Von oben:Blick vom Vaihinger Markt RichtungAtrium; der Cortenstahl-PortikusVaihinger Markt/Ecke Hauptstraße;die Stadtabbruchkante am noch feh-lenden Büromäander an der Haupt-straße; die Bachstraße mit dem Ge-bäude der Feuerwache gegenüber.Das große Bild zeigt den Blick vomRathaus am Vaihinger Markt/EckeBachstraße.

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Häussler sich eines Alters erfreut, in dem an-dere ihren Ruhestand genießen – zeitigt nachknapp einem Jahr Betrieb der „SchwabenGale-rie“ solchen Erfolg, dass Häussler mittlerweilebereut, das Objekt nicht im eigenen Bestandbehalten zu haben: Zusammen mit dem an dergegenüberliegenden Straßenseite errichtetenDaimlerChrysler-Schulungszentrum veräußertedie Häussler-Gruppe den Komplex an einenvon DaimlerChrysler Financial Services aufge-legten Immobilienfonds.Was macht nun das Konzept aus, das den Kon-sumfachleuten als ungewöhnlich und damitunmöglich erschien? Wie schon erwähnt, ent-spricht der ausgewogene Branchenmix, der nurscheinbar die Vielfalt einer gewachsenen Ein-kaufsstadt abbildet, ganz dem Muster bewähr-ter Shopping-Center: Da auf die renditeeffektivzu befriedigenden Bedürfnisse eines breitenDurchschnittspublikums abgezielt wird, gibt esweder Artikel des Spezialbedarfs noch beson-ders Luxuriöses zu kaufen. Die Angebotspalettevon Textil- und Schuhdiscount, Modeschmuckoder Minutenfriseur, die den umfangreichenBereich der Lebensmittel und Dienstleistungendes täglichen Bedarfs ergänzt, ist präzise aufdie wirtschaftlichen Verhältnisse und den Ge-schmack der „Mehrheit“ berechnet. Gelegent-lich eines Einkaufs kann gleich noch die Fami-

lie bequem und günstig gesättigt werden; viel-leicht nimmt der Name „SchwabenGalerie“nicht nur Bezug auf den Namen der Großbrau-erei, deren Produktionsanlagen vormals andieser Stelle das Zentrum von Vaihingen be-herrschten, sondern überdies auf das Vorur-teil vom geschickten Pfennigfuchsen, welchesder hiesigen Bevölkerung anhaftet?Die effiziente Bündelung derartiger Konsum-angebote in Shopping-Centern ist nichts Unge-wöhnliches. Einem neuen Trend indes folgt dieEntscheidung für einen Standort unmittelbarim Ortskern statt auf der „grünen Wiese“. Die„SchwabenGalerie“ macht nicht in erster Linie,wie man meinen könnte, dem örtlichen Einzel-handel Konkurrenz, sondern zieht Kaufkraftaus der Region an: In der Tiefgarage weist dieSammlung diverser Autokennzeichen auf mit-unter beträchtliche Anfahrtswege hin. Jedochmuss die Hoffnung enttäuscht werden, dieserZustrom von außerhalb belebe auch den übri-gen Einzelhandel in Vaihingen (der sich in denJahren zuvor eher schleppend entwickelte).Die Erfahrung umliegender Geschäftsinhaberzeigt, dass ihnen zwar die Stammkundschaftweitgehend treu geblieben ist, sie jedoch ei-nen deutlichen Verlust an Laufkundschaft zubeklagen haben. Der erhoffte positive Begleit-effekt des neuen Zentrums für das nahe Um-

Nach dem Aus für die Schwaben-bräu-Brauerei Robert Leicht im Jahr1997 ergab sich die Chance, einezentrale Fläche im Zentrum der43.000-Einwohner-Stadt Vaihingenneu zu gestalten. An die einstigeBebauung erinnert heute nicht eineinziges Relikt mehr.

Montage Luftbild: Léon Wohlhage Wernik, Berlin;Fotos: Udo Meinel, Berlin

1. Vaihingen-imp_ok 04.08.2005 16:04 Uhr Seite 15

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feld bleibt aus: Kaum etwas von der hinzuge-wonnenen Kaufkraft geht auf den alten Orts-kern über, da die Mehrzahl der zugereisten„SchwabenGalerie“-Besucher sich nur inner-halb der neuen Kunstwelt bewegt.Somit fragt sich, ob der Anspruch wirklich ein-gelöst wurde, die Angebotspalette mit der desunmittelbar benachbarten alten Geschäftszen-trums zu verzahnen. Diese Offenheit zur Um-gebung sollte in stadträumlichem Maßstab da-durch gelingen, indem mit den frei angeordne-ten Baukörpern Straßenfluchten aufgenommenund Wegebeziehungen in das Areal hineinge-führt wurden. Obendrein ergänzte Rudi Häuss-ler das Ensemble um ein neues Bürgerhaus,das ebenfalls auf dem Grundstück Platz fand.Seitens der Shopping-Consultants war manskeptisch gegenüber dem konzeptionellen An-satz vom „Geflecht der Stadtbausteine“, stell-ten sie sich doch bisher unter einem Shopping-Center, grob gesagt, eine einzige große Halle

Léon Wohlhage Wernik konnten sichim Wettbewerb und später gegen dieBetreiber des Zentrums mit ihrem Vorschlag durchsetzen, statt des ge-forderten Großvolumens eine Folgevon „Stadtbausteinen“ mit einzelnenStraßen- und Platzräumen zu reali-sieren, die auf unterschiedlichem Ni-veau an das Wegenetz der Umge-bung anschließen können.

Grundrisse Regelgeschoss, Erdgeschoss/Hauptstraße, Untergeschoss/Rathaus-platz im Maßstab 1 : 2500Foto Schwabenplatz: Udo Meinel, Berlin;Fotos Einkaufspassage und Schafsgasse:Christian Richters, Münster

Bachstraße

Hauptstraße

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Schwaben-Platz

1 Bürgerforum2 Markthalle3 Einkaufspassage4 Atrium5 Hotel6 Büro (geplant)

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vor. Mittlerweile sind die Bedenken zerstreut;das Zentrum funktioniert prächtig – zumin-dest in Umsatzzahlen ausgedrückt. Doch auswelchem Grund ist die konzipierte Anbindungan die Nachbarschaft nicht gelungen?Die Freifläche, die sich zwischen dem nordöst-lichen Eingang zu der Galerie, dem neuen Bür-gerhaus und dem alten Rathaus aufspannt, er-weist sich als zu weit und nicht ausreichendgenug gefasst, um als Platzraum gelesen zuwerden. Um das Kommerzzentrum in seinemKern mit einer öffentlichen Funktion zu adeln,wurde der Eingang des Bürgerhauses dem hö-her gelegenen Innenhof zugewandt; überdiesvergrößert die zur Überwindung des Niveau-unterschieds notwendig gewordene Freitreppedie Distanz so weit, dass keine inhaltliche Kor-respondenz zwischen dem Bürgerforum unddem alten Rathaus entsteht. Erschwerend kamhinzu, dass man von Seiten der Stadtplanungnicht bereit war, den im Grundriss leicht ver-drehten Baukörper der Markthalle näher an

die den Platzraum zerteilende Fahrbahn her-anzurücken, womit der Aufbau eines räumli-chen Spannungsfelds, gefasst von alter undneuer Bebauungskante, hätte erleichtert wer-den können.Auch verstärkt die Materialität des letztge-nannten Baukörpers die abstrakt-kubische Wir-kung seiner quadratbasierten Form zusätzlich:Die Profilit-Verglasung, hinterlegt mit einemüberdimensionalen Schriftzug, ist eine gestal-terische Lösung des Problems, dass Anzahlund Position der Fensteröffnungen für Büro-und Nebenräume von den Nutzerwünschen ab-hängen, welche im Vorfeld unbekannt warenund bei Mieterwechsel veränderlich, also un-kalkulierbar sind. Der Kunstgriff, jeweils dort,wo hinter der Mattglashaut Lüftungsöffnungennötig werden, die Profilit-Elemente auf Lückezu setzen, verhilft zu einer geschlossenen Er-scheinung der Fassade trotz größtmöglicherFlexibilität. Jedoch bewirkt gerade die einheit-lich-abstrakte Fassadenoberfläche eine wenig

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urbane, in ihrer großen Maßstäblichkeit eherindustriell anmutende Ausstrahlung. Das mag –ähnlich wie das markante Sheddach des Bür-gerhauses – als formales Zitat der vormals hiersituierten Brauereianlage zu lesen sein, för-dert hingegen nicht die Eingliederung des Neu-baus in die vorhandene Bebauung.Das städtebaulich gedachte typologische Kon-zept, die Baumasse in frei zueinander geord-nete Volumina aufzulösen, weist nicht nur anden Übergängen zur Umgebung Schwächen in der Umsetzung auf. Das Zusammentreffender Einzelbaukörper gestaltet sich oftmals als ein unklares Verschmelzen: Die verschie-denen Bauabschnitte sind miteinander „verba-cken“, ohne dass die Nahtstellen gestalterischartikuliert wurden. Bei aller Kritik an Ausfüh-rungsdetails muss man jedoch zugute halten,dass das Ergebnis im Ganzen beachtlich ist –vor allem angesichts der Baukosten, die denfür Shopping-Center durchschnittlichen Wertweit unterschreiten. Léon Wohlhage Wernikmusste es klar sein, dass bei einem Objekt, das letztlich eine reine Geldmaschine darstellt,nicht der Anspruch an Architekturqualität zuverwirklichen sein würde, den man normaler-weise von ihren Projekten kennt – zumal dieAusführungsplanung und Bauleitung nicht inihren Händen lag.

Das Atrium schafft Sichtbeziehungenzwischen den Einkaufsebenen und derzweigeschossigen Tiefgarage.

Schnitte im Maßstab 1 : 1500

1 Bürgerforum2 Markthalle3 Einkaufspassage4 Atrium5 Hotel6 Büro (geplant)

Bachstraße

Hauptstraße

Schwabenplatz

4 13

53

6

Vaihinger Markt

Schafsgasse

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Inhaltlich jedoch steckt in der „SchwabenGale-rie“ kaum etwas anderes, als bereits der alteVaihinger Markt mit Ladenpassage und eige-ner Tiefgarage zu bieten hatte. Freilich kommtder neue Komplex adrett daher: mit einem deraktuellen Architekturmode angepassten Kleid,großzügig geschnitten und verfeinert mit unge-wöhnlichen formalen Details. Das Äußere wan-delt sich, doch die Sache selbst bleibt die glei-che: Passierte man vor einem Vierteljahrhun-dert am alten Vaihinger Markt vielleicht imVW Polo die Schranke und zog dort sein Ticket,parken heute unter dem neuen Center Audi A2oder Mercedes A-Klasse. Doch während sichdie Ladenzeilen am Alten Markt um öffentlichePlätzräume überwiegend unter freiem Him-mel gruppieren, funktioniert die „Schwaben-Galerie“ trotz des Einbezugs stadträumlicherAußenbeziehungen komplett wetterunabhän-gig – und, wichtiger noch: das neue Zentrumstellt nur scheinbar einen öffentlichen Raumdar. Dezent, aber unmissverständlich machen

Hinweistafeln klar, dass es sich hier in Wirk-lichkeit um einen privaten (Außen-)Raum han-delt, in dem gewisse Handlungen nicht gedul-det und gegebenenfalls vom Wachdienst unter-bunden werden. Wer lediglich unbeschwert inden Konsumrausch eintauchen will, dem mages recht sein. Wenn jedoch Vaihingen „zumersten Mal ein Stück Stadt in seiner Mitte“ be-kommen sollte, wie die Projekterläuterungzur „SchwabenGalerie“ verspricht, hätte schonaus Prinzip nicht der Facettenreichtum urba-nen Lebens ausgeschlossen werden dürfen.Ein kleiner, aber entscheidender Unterschied,der das in der Auseinandersetzung mit vorge-fasster Expertenmeinung von den Architektenmühsam durchgesetzte Konzept eines stadt-räumlich offenen Bautypus ein Stück weit umseine Glaubwürdigkeit bringt.

Worin genau aber liegt der wirtschaftliche Er-folg des Zentrums begründet? Sicher trägt dievon den Architekten geschaffene Raumdispo-sition, allem voran das zentrale Atrium mit seinem verschwenderisch großen Luftraum,zur Attraktivität der Anlage bei. Sehr geschicktwird hier außerdem Tageslicht hinunter zu denbeiden Tiefgaragendecks geführt, die ringsumlediglich durch eine deckenhohe, rahmenloseVerglasung vom Atrium abgeschottet werden.Durch den Sichtbezug entsteht der Eindruck,man könne sein Auto beinahe noch beim Ein-kauf sehen; dies bewirkt eine subjektiv emp-fundene Nähe, obgleich die auf den Fahrtrep-pen oder im Lift zurückzulegenden Wege zuden Verkaufsebenen in Wirklichkeit nicht un-beträchtlich sind. Dieses Beispiel mag die Be-deutung der über bloße Oberflächenästhetikhinausweisenden, architektonisch-räumlichenQualitäten verdeutlichen, welche das positiveEmpfinden und damit indirekt das Kaufverhal-ten beeinflussen.

Der große Saal im Bürgerforum ver-strömt eher Turnhallencharakter. In die Ostfassade wurden Treppenund Balkone mit Blick auf Rathausund Kirche integriert.

Fotos: Christian Richters, Münster

1. Vaihingen-imp_ok 04.08.2005 16:13 Uhr Seite 19