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32 kulturtipp 9 l 13 CARTE BLANCHE I ch verbrachte meine ersten Lebens- jahre in einem kleinen jurassischen Dorf, wo noch heute der Rauch der letzten Hexenverbrennungen über den Höfen weht. Alle meine Tanten und Onkel lebten dort. Bis auf Onkel Arthur. Man sagte mir, er würde eines Tages zurückkehren. Wohl oder übel. Er kam nach einigen Jahren. Ich hörte ihn frühmorgens draussen auf dem Hof Holz hacken. Er hackte nicht, er zerstörte das Holz, er zertrümmerte es mit brachialer Ge- walt. Er war ein klein gewachsener Mann mit dem Oberkörper eines Gladiators, eine Naturgewalt. Da ihn die Familie ächtete, suchte er ver- mehrt den Kontakt zu mir. Er fuhr mich oft in seinem knallroten Cadillac Eldorado ins Kino nach Belfort und sang unterwegs Frank Sinatra. Einmal verweigerte mir der Besitzer den Eintritt, weil ich noch viel zu jung war. Onkel Arthur schnauzte ihn an: «Weisst du kleiner Scheisser, was wir in Algerien mit Ty- pen wie dir gemacht haben?» Mein Gott, dachte ich, wie kommt er bloss auf Algerien? «Ich rufe die Polizei», entgegnete der Be- sitzer. «Les ics?», brüllte Onkel Arthur. «Ich war unter dem Kommando von General Mas- su in der Schlacht von Algier. Ich war einer der Fallschirmjäger der . Division. Wir wa- ren die Brutalsten. Und du willst mich ver- haften lassen?» Die hölzerne Handprothese von Capitaine Danjou Claude Cueni über seinen Onkel, der einst Fremdenlegionär war «Er war ein klein gewachsener Mann mit dem Oberkörper eines Gladiators» COOP PRESSE/HEINER H. SCHMITT JR.

Shortstory KULTUR-TIPP.CH Carte Blanche. Die hölzerne Handprothese v. Capt. Danjou

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Die Kurzgeschichte ist ein Motiv aus meinem neuen Roman SCRIPT AVENUE, 615 Seiten, den ich soeben beendet habe und nun lektoriere und kürze.

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Page 1: Shortstory KULTUR-TIPP.CH Carte Blanche. Die hölzerne Handprothese v. Capt. Danjou

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CARTE BLANCHE

Ich verbrachte meine ersten Lebens-jahre in einem kleinen jurassischenDorf, wo noch heute der Rauch derletzten Hexenverbrennungen überden Höfen weht. Alle meine Tanten

und Onkel lebten dort. Bis auf Onkel Arthur. Man sagte mir, er würde eines Tageszurückkehren. Wohl oder übel.

Er kam nach einigen Jahren. Ich hörte ihnfrühmorgens draussen auf dem Hof Holz hacken. Er hackte nicht, er zerstörte dasHolz, er zertrümmerte es mit brachialer Ge-walt. Er war ein klein gewachsener Mann mitdem Oberkörper eines Gladiators, eine Naturgewalt.

Da ihn die Familie ächtete, suchte er ver-mehrt den Kontakt zu mir. Er fuhr mich oftin seinem knallroten Cadillac Eldorado insKino nach Belfort und sang unterwegs FrankSinatra. Einmal verweigerte mir der Besitzer

den Eintritt, weil ich noch viel zu jung war.Onkel Arthur schnauzte ihn an: «Weisst dukleiner Scheisser, was wir in Algerien mit Ty-pen wie dir gemacht haben?» Mein Gott,dachte ich, wie kommt er bloss auf Algerien?

«Ich rufe die Polizei», entgegnete der Be -sitzer.

«Les !ics?», brüllte Onkel Arthur. «Ich war"# unter dem Kommando von General Mas-su in der Schlacht von Algier. Ich war einerder Fallschirmjäger der $%. Division. Wir wa-ren die Brutalsten. Und du willst mich ver-haften lassen?»

Die hölzerne Handprothese vonCapitaine Danjou Claude Cueni über seinen Onkel, der einst Fremdenlegionär war

«Er war ein klein gewachsener Mann mit dem Oberkörper eines Gladiators»

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CARTE BLANCHE

Onkel Arthur donnerte seine Faust in dieGlasfront des Kassahäuschen und zerrte denBesitzer über den Tresen. Die folgendeSchlagstafette war furchtbar. Nur Mike Tyson hat später noch so geboxt.

Onkel Arthur verbrachte einige Zeit wegenschwerer Körperverletzung im Gefängnis.Er wohnte dann in der Stadt und besuchtemeine Familie jeden Tag. Er hatte ja keine:«Die Legion war meine Familie. Nationali-tät, Religion, Rasse, das spielte alles keineRolle. Wir waren Wa&enbrüder, Elitesolda-ten. Ehre, Stärke, Mut und Gehorsam, das waren unsere Tugenden. Wir waren Legionäre.»

Am '%. April, dem höchsten Feiertag der Legion, kam er jeweils mit der hölzernenHandprothese von Capitaine Danjou, um inunserer Küche Camerone $()' zu gedenken;

das ist der legendäre Erinnerungstag an einGefecht französischer Legionäre in Mexiko.Der Onkel trank dazu Beaujolais. Wenn erbetrunken war, erzählte er mehr. «Weisst du,bei unseren Veteranentre&en reden wir überIndochina, aber keiner verliert ein Wort überAlgerien. Es ist wohl das Grausamste wasMenschen jemals getan haben.»

Es war kurz nach dem Fest Camerone $()',als ich Onkel Arthur als minderjähriger Dol-metscher zum Personalchef eines Chemie-konzerns begleiten musste.

«Es gibt da ein paar Lücken in Ihrem Le-benslauf», sagte der Personalchef. «Hier zumBeispiel, fünf Jahre…»

«Da war ich in der Legion», sagte Onkel Arthur, ohne zu zögern, obwohl ich ihmdoch eindringlich davon abgeraten hatte.Und als der Personalchef ihn fragte, mitwelchen Fahrzeugen er Erfahrung habe, erwähnte er tatsächlich den AMX-$'- Panzer.

«Sie waren also in der Legion», murmelte derPersonalchef.

Onkel Arthur hob sein Hemd hoch undzeigte seine Wunden: «Sehen Sie, so habendie mich damals in Algerien zusammenge-!ickt. Heute lassen sich die Weiber neue Tit-ten machen, und man sieht nicht die kleinsteOperationsnarbe. Mich haben sie wie einSchwein zusammenge!ickt. Wann kann ichanfangen?»

«Sie hören von uns», sagte der Personalchefknapp und erhob sich.

«Arthur, nennen Sie mich Arthur. Oder Captain. In Algier nannten sie mich Cap-tain.»

«In Ordnung, Captain», sagte der Personal-chef und unterdrückte ein Grinsen.

Als wir auf dem Parkplatz zum Auto gingen,strahlte Onkel Arthur über das ganze Ge-sicht. «Ich war saugut», lachte er. «Das mitder Legion hat ihn mächtig beeindruckt. AmSchluss hat er mich sogar Captain genannt.Das ist Respekt unter Männern. Verstehstdu, Respekt unter Männern.»

Im Auto begann er euphorisiert «Tiens, voilàdu Boudin» zu grölen und hielt überra-schend in einem nahen Waldstück an. Er rissseinen Hosenschlitz auf und nahm sein eri-giertes Glied heraus. Er wollte sich auf michstürzen, aber ich konnte gerade noch recht-zeitig die Beifahrertür ö&nen und mich hin -ausstürzen. Ich stand auf und rannte los. Ichwar ein guter Sprinter. Ich höre noch das der-be Lachen von Onkel Arthur. Die Welt seischlecht, rief er mir nach, in Algerien sei er

auf den Geschmack gekommen. So hättensie Väter gebrochen, wenn sie zuschauenmussten. Ich verstand nicht, was plötzlich indiesen Kerl gefahren war. Ich erzählte die Geschichte meiner Lieblingstante, aber siemeinte, sie wolle diesen Schweinekram nichthören. Die gesamte Verwandtschaft wollte esnicht hören. Ich habe dieses Dorf nie mehrbesucht. Im Gegensatz zu Onkel Arthur. DasWegschauen seiner Geschwister hatte ihnanimiert, es nun mit meinen wesentlich jün-

geren Cousins zu versuchen. Zwei von ihnenvergewaltigte er jahrelang. Einer brachte sich schliesslich um. Niemand ging zur Poli-zei. Onkel Arthur wurde verbannt, ausge-schlossen.

Jahrzehntelang lebte Onkel Arthur in einerkleinen Einzimmerwohnung in der Stadt.Etliche Jahre später, es war ein '%. April,

wollte ich ihn besuchen und ihm eine rein-hauen. Doch die Vermieterin sagte, er sei amWeihnachtsabend verstorben. Er habe nureine hölzerne Handprothese hinterlassen.

«!Ich war saugut", lachte er,!das mit der Legion hat ihnmächtig beeindruckt"»

«!Es gab ein paar Lücken in Ihrem Lebenslauf", sagteder Personalchef»

«Ich höre noch das derbeLachen von Onkel Arthur.Die Welt sei schlecht, rief er mir nach»

Claude Cueni Der 1956 geborene ClaudeCueni ist Schriftsteller undDrehbuchautor und lebt inBasel. Soeben erschien seinneuer historischer Roman«Der Henker von Paris».