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Universität Würzburg Prof. Dr. Eva-Maria Kieninger Sommersemester 2012 VORLESUNGSMATERIAL Teil A: Allgemeiner Teil Teil B: Besonderer Teil (§§ 7-16) Europäisches und deutsches Internationales Privatrecht

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Prof. Dr. Eva-Maria Kieninger

Sommersemester 2012

VORLESUNGSMATERIAL

Teil A: Allgemeiner Teil

Teil B: Besonderer Teil (§§ 7-16)

Europäisches und deutsches Internationales Privatrecht

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Europäisches und deutsches Internationales Privatrecht

Gliederungsübersicht A. Allgemeiner Teil § 1 Einführung: Gegenstand des IPR, Begriff, Abgrenzung zu benachbarten

Rechtsgebieten, praktische Bedeutung, Schrifttum § 2 Ziele des IPR, Gerechtigkeit im IPR

§ 3 Aufbau der Kollisionsnormen, Arten von Kollisionsnormen

§ 4 Quellen des IPR, insbesondere zur Kollisionsrechtsvereinheitlichung durch

Staatsverträge und Verordnungen der EU § 5 Die Ermittlung des anwendbaren Rechts § 6 Die Anwendung fremden Rechts B. Besonderer Teil § 7 Personalstatut (natürliche Personen), Namensrecht § 8 Juristische Personen und Gesellschaften § 9 Vertragliche Schuldverhältnisse im Allgemeinen § 10 International zwingende Vorschriften (Eingriffsnormen) § 11 Exkurs: Anwendungsbereich des CISG § 12 Verbrauchervertragsrecht § 13 Weitere besondere Vertragsverhältnisse § 14 Deliktsrecht § 15 Weitere gesetzliche Schuldverhältnisse § 16 Sachenrecht § 17 Familienrecht § 18 Erbrecht

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Gliederung mit Fällen und Hinweisen zu Vor-, Nachbereitung und Vertiefung (zusätzlich zu den einschlägigen Lehrbuchkapiteln)

A. Allgemeiner Teil § 1 Einführung: Gegenstand des IPR, Begriff, Abgrenzung zu benachbarten

Rechtsgebieten, praktische Bedeutung, Schrifttum

Beispiele

1. F, deutsche Staatsangehörige und E, italienischer Staatsbürger, heiraten während eines Studienaufenthalts in Kalifornien vor dem dortigen Friedensrichter und ziehen anschließend nach London. Drei Jahre später geht der Ehemann berufsbedingt nach Saudi-Arabien. Die Ehefrau bleibt mit der inzwischen geborenen Tochter zunächst in London, zieht dann aber zu ihren Eltern nach Deutschland. Über der Trennung zerbricht die Ehe. F begehrt vor dem AG - Familiengericht Würzburg die Scheidung ihrer Ehe, das Sorgerecht für die minderjährige Tochter und nachehelichen Unterhalt.

2. T ist türkischer Staatsangehöriger. Er lebt und arbeitet seit 35 Jahren in Duisburg und ist mit der Türkin A verheiratet; aus der Ehe sind vier Kinder hervorgegangen. Am 2. Juli 2004 stirbt T, ohne ein Testament zu hinterlassen. Zu seinem Nachlass gehören eine Eigentumswohnung in Duisburg, ein Ferienhaus an der türkischen Riviera und Spareinlagen bei einer Duisburger Bank in Höhe von 20.000.- €. A und die vier Kinder beantragen beim Nachlassgericht einen Erbschein.

3. Ein Kolbenhersteller mit Sitz in Tschechien beliefert einen Automobilhersteller mit Sitz in Deutschland. Nach dem Einbau der Kolben stellt sich heraus, dass bestimmte Serien an Qualitätsmängeln leiden und ausgetauscht werden müssen. Das tschechische Unternehmen weigert sich, die Mängel zu beheben. Welche Rechte hat der deutsche Käufer?

4. In einem Artikel, der auf der Webseite einer französischen Tageszeitung veröffentlicht ist, wird der in Hamburg wohnhafte G zu Unrecht als Betrüger und Geldwäscher dargestellt. Kann G Schadensersatz verlangen?

§ 2 Ziele des IPR, Gerechtigkeit im IPR

§ 3 Aufbau der Kollisionsnormen, Arten von Kollisionsnormen

§ 4 Quellen des IPR, insbesondere zur Kollisionsrechtsvereinheitlichung durch

Staatsverträge und EG-Verordnungen I. Hierarchie der Quellen

II. Sinn und Zweck der Kollisionsrechtsvereinheitlichung, insbesondere durch die EU III. Instrumente und Akteure IV. Bestehendes Einheitsrecht (Überblick) V. Auslegung des vereinheitlichten Rechts VI. Europäische Kollisionsrechtsvereinheitlichung und Drittstaaten

Zur Vertiefung:

Dutta, Europäische Integration und nationales Privatrecht nach dem Vertrag von Lissabon: die Rolle des Internationalen Privatrechts, EuZW 2010, 530. W.-H. Roth, Europäische Kollisionsrechtsvereinheitlichung – Überblick, Kompetenzen, Grundfragen, EWS 2011, 314; M.-Ph.

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Weller, Anknüpfungsprinzipien im Euopäischen Kollisionsrecht: Abschied von der „klassischen“ IPR-Dogmatik?, IPRax 2011, 429. Jährlich in der IPRax erscheinende Berichte zum Stand des Europäischen Kollisionsrechts von Mansel/Thorn/Wagner (früher: Jayme/Kohler) zuletzt: Europäisches Kollisionsrecht 2011: Gegenläufige Entwicklungen, IPRax 2012, 1-31. Jährliche Rechtsprechungsübersicht zum IPR von Rauscher/Pabst in NJW, zuletzt NJW 2011, 3547. Überblick über Rom I und II: Jessica Schmidt, Grundlagen des europäischen Internationalen Privatrechts, JURA 2011, 117. Zu VI.: Struycken, Das Internationale Privatrecht der Europäischen Gemeinschaft im Verhältnis zu Drittstaaten und zur Haager Konferenz, ZEuP 2004, 276; Gutachten 1/03 des EuGH v. 7.2.2006; Wagner, Die Haager Konferenz für Internationales Privatrecht zehn Jahre nach der Vergemeinschaftung der Gesetzgebungskompetenz in der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen, RabelsZ 73 (2009) 215.

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Art. 3 Nr. 2 EGBGB

Autonome Auslegung

RECHTSQUELLEN DES INTERNATIONALEN PRIVATRECHTS UND INTERNATIONALEN ZIVILVERFAHRENSRECHTS

Staatsverträge

IPR

• Römisches Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (EVÜ) – „Rom I-Übereinkommen“, vgl. auch Art. 27 ff. EGBGB. Seit 17.12.2009 für alle EU-Staaten mit Ausnahme Dänemarks außer Kraft

• Haager Übereinkommen über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht, vgl. auch Art. 18 EGBGB (Haager Unterhaltsprotokoll 2007 noch nicht in Kraft)

• Haager Kinderschutzübereinkommen (KSÜ) • Haager Übereinkommen über das auf die Form letztwilliger Verfügungen anzuwendende Recht, vgl. auch Art. 26 EGBGB

IZVR

• Luganer Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (LugÜ) (Neufassung, ABl. EG Nr. L 339/3 vom 21.12.2007)

Europäisches Gemeinschaftsrecht

IPR (Art. 81 Abs. 2 lit c AEUV)

• Verordnung über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom II)

• Verordnung über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I)

• Verschiedene Richtlinien, vgl. Art. 46 b EGBGB

• Unterhaltsverordnung v. 18.12.2008, anwendbar ab 18.6.2011

• Verordnung über Verstärkte Zusammenarbeit im Bereich des auf die Ehescheidung anzuwendenden Rechts vom 20.12.2010 (Rom III), anwendbar ab 21.6.2012

• Verordnungsvorschlag zum int. Erbrecht vom 14.10.2009

• Verordnungsvorschlag zum Internationalen Ehegüterrecht vom 16.3.2011

IZVR (Art. 81 Abs. 2 lit a u. c AEUV)

• Verordnung (EG) über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO oder Brüssel I)

• Verordnung (EG) über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Ent-scheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 (EheVO II oder Brüssel IIa)

• Europäische Beweisaufnahmeverordnung (EuBVO) • Europäische Zustellungsverordnung (EuZVO) • Europäische Verordnung über das Insolvenz-

verfahren (EuInsVO) • Verordnung (EG) über den europäischen Voll-

streckungstitel (EuVTVO) • Verordnung (EG) zur Einführung eines europäischen

Mahnverfahrens • Verordnung (EG) zur Einführung eines europäischen

Verfahrens für geringfügige Forderungen

Autonomes deutsches Recht

IPR

• Art. 3 ff. EGBGB (teilweise aber nur noch eingeschränkter Anwendungsbereich, zB Art. 40 ff.)

• Richterrecht, Gewohnheitsrecht, z.B. Internationales Gesellschaftsrecht

IZVR

• §§ 12 ff., 328, 722 ZPO (doppelfunktional) • §§ 97 ff. FamFG

Art. 3 Nr. 1 EGBGB

Autonome Auslegung durch den

EuGH

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§ 5 Die Ermittlung des anwendbaren Rechts: Allgemeine Fragen I. Anknüpfungsmomente II. Qualifikation III. Renvoi IV. Art. 3a Abs. 2 EGBGB V. Mehrrechtsstaaten

Fall 1: (nach BGH XII ZR 107/08 vom 9.12.2009): Zwei iranische Staatsangehörige heirateten 1992 in Teheran. Dabei verpflichtete sich der Ehemann zur Leistung einer Morgengabe in Höhe von 1500.- €, die auf Anforderung durch die Ehefrau auszuzahlen war. 1993 verließen die Parteien den Iran und lebten fortan in Deutschland. Sie erwarben 2000 die deutsche Staatsangehörigkeit. Die Ehe soll nun in Deutschland geschieden werden. Die Ehefrau verlangt Zahlung der Morgengabe unter Anpassung an die Geldwertentwicklung, wie es dem iranischen Recht entspricht. Welches Recht ist anwendbar?

Fall 2: Ein deutscher Staatsangehöriger stirbt in Paris, nachdem er dort von der Eheschließung an 15 Jahre lang gemeinsam mit seiner französischen Ehefrau gelebt hatte. Kann die Ehefrau eine Erhöhung des gesetzlichen Erbteils um ¼ nach § 1371 BGB verlangen? Fall 3: E ist britischer Staatsangehöriger mit letztem britischen Wohnsitz in London. 1990 siedelt er mit seiner Ehefrau (ebenfalls britische Staatsangehörige) nach München über. Das Paar hat drei Kinder, die in München aufwachsen, E arbeitet für ein deutsches Unternehmen, die Familie ist zweisprachig und hat auch die Absicht, weiter in München zu bleiben. 2011 stirbt E und hinterlässt ein Hausgrundstück in München und Bankguthaben bei der Deutschen Bank. Nach welchem Recht richtet sich die Erbfolge?

Fall 4: Frau F, deutsche Staatsangehörige, verstirbt in Würzburg und hinterlässt eine Tochter, die ihren Wohnsitz in Frankfurt hat. F war Eigentümerin eines Hausgrundstücks in Paris und Inhaberin diverser Aktienpakete europäischer Unternehmen. Die Tochter will vor einem deutschen Gericht einen Erbschein beantragen. Welches Recht wird das Gericht anwenden? Vertiefungshinweise: Zu I.: EuGH 2.4.2009, Rs. C-523/07 (A.), Slg. 2009 I 2805; Dietmar Baetge: Auf dem Weg zu einem gemeinsamen europäischen Verständnis des gewöhnlichen Aufenthalts, FS Kropholler (2008) 77 ff.; Jürgen Basedow, Das Staatsangehörigkeitsprinzip in der Europäischen Union, IPRax 2011, 109 ff. Zu III.: Henrich, Der Renvoi: Zeit für einen Abgesang? FS von Hoffmann (2012) 159. Zu §§ 5 und 6 im Hinblick auf die Europäischen Verordnungen: Kreuzer, Was gehört in den Allgemeinen Teil eines Europäischen Kollisionsrechts?, in: Jud/Rechberger/Reichelt (Hrsg.) Kollisionsrecht in der Europäischen Union, 2008, 1 ff.; Sonnenberger, Randbemerkungen zum Allgemeinen Teil eines europäisierten IPR, FS Kropholler, 2008, 227.

§ 6 Die Anwendung fremden Rechts

I. Vorfrage II. Ordre Public III. Anpassung IV. Amtsermittlungsgrundsatz und praktische Fragen

Fall 1: Die deutsche Staatsangehörige Marta und der Österreicher Alfons haben sich 1999 auf einer Weltreise kennengelernt und sogleich von einem Stammeshäuptling der Amazonasindianer „trauen“ lassen. Sie leben seither gemeinsam in Würzburg und betrachten

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sich als verheiratet. 2006 wollen sie sich nach längerer Ehekrise in Deutschland scheiden lassen. Welches Recht ist Scheidungsstatut? Fall 2: Der britische Staatsangehörige John Brown verstirbt an seinem letzten Wohnsitz in London im Januar 2004. Er hinterlässt eine Tochter (Jenny) und einen nichtehelichen Sohn (Alexis). Jenny lebt in London, Alexis dagegen seit vielen Jahren in Berlin. Der Erblasser war Eigentümer einer Wohnung in London und hielt Bankguthaben in Deutschland in Höhe von 100.000 €. Ist Alexis (Mit-) Erbe geworden?

Hinweise: Intestates' Estates Act 1952, chapter 64, Part I: Amendments of Law of intestates' succession: s. 46 Succession to real and personal estate on intestacy. (1) The residuary estate of an intestate shall be distributed in the manner or be held on the trusts mentioned in this section, namely:-- (i) If the intestate leaves a husband or wife, then […] (ii) If the intestate leaves issue but no husband or wife, the residuary estate of the intestate shall be held on the statutory trusts for the issue of the intestate; Family Law Reform Act of 1969: s. 14 (1) Where either parent of an illegitimate child dies intestate as respects all or any of his or her real or personal property, the illegitimate child or, if he is dead, his issue, shall be entitled to take any interest therein to which he or such issue would have been entitled if he had been born legitimate.

Fall 3: Der saudi-arabische Staatsangehörige S heiratet während des Studiums in Deutschland seine langjährige Freundin F, die ebenfalls die saudi-arabische Staatsangehörigkeit besitzt. Beide leben nach Beendigung des Studiums weiterhin in Deutschland. Dort verstößt der Ehemann seine Ehefrau durch dreimaliges Sagen des Satzes "Ich verstoße Dich". Ein islamischer Geistlicher verfasst darüber gemäß dem saudi-arabischen Recht eine Niederschrift. Seither (Juni 2005) leben S und F getrennt. Anfang 2006 verklagt F den S auf Zahlung von ehelichem Unterhalt und trägt vor, sie sei trotz der Verstoßung weiterhin die Ehefrau des S.

Fall 4: (nach City of Gotha and Federal Republic of Germany v Sotheby's and Cobert Finance, S.A., High Court, QB v. 9.9.1998, vgl. dazu Remien, AcP 201 (2001) 730 ff.) Die "Heilige Familie", ein Gemälde von Wtewael, hing in der Kunstsammlung der Stadt Gotha bis es gegen Ende des II. Weltkriegs verschwand. Auf unbekannten Wegen gelangte es aus der Sowjetunion 1987 nach West-Berlin, wurde dort von einer Diplomatengattin unterschlagen und an die panamaische Gesellschaft "Cobert Finance" weiterveräußert. Als das Bild 1992 bei Sotheby's versteigert werden sollte, verlangen die Stadt Gotha und die Bundesrepublik Herausgabe. Die Beklagten berufen sich auf Verjährung. Nach Ansicht des englischen Gerichts unterlag die Frage der Verjährung deutschem Recht.

Fall 5: (nach OLG Stuttgart NJW-RR 2005, 740 = JuS 2006, 952) Der Erblasser ist Österreicher und war in zweiter Ehe mit einer deutschen Staatsangehörigen verheiratet. Die Eheleute lebten in Deutschland. Außer einer gemeinsamen Tochter lebt beim Tod des Erblassers noch ein in Wien wohnhafter Enkel, der Sohn eines vorverstorbenen Sohnes des Erblassers aus erster Ehe. Wie gestaltet sich die Erbfolge?

Zur Vertiefung: Zur Talaq-Scheidung: Andrae, Anwendung des islamischen Rechts im Scheidungsverfahren vor deutschen Gerichten, NJW 2007, 1730; BGH 6.10.2004, BGHZ 160, 322. Insgesamt zum islamischen FamR vor deutschen Gerichten: Bock, NJW 2012, 122.

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Zur Vorfragenproblematik im Europäischen IPR: Dennis Solomon, Die Anknüpfung von Vorfragen im Europäischen Internationalen Privatrecht, FS Spellenberg 2010, 355 ff.; Kreuzer (siehe bei § 5).

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B. Besonderer Teil § 7 Personalstatut der natürlichen Personen

I. Rechts-und Geschäftsfähigkeit II. Namensrecht EuGH 2.10.2003, Garcia Avello, Rs 148/02; EuGH 27.4.06, Standesamt Niebüll, Rs C 96/04 und EuGH 14.10.2008 Grunkin Paul, Rs C-353/06; dazu Anm. von Kroll-Ludwigs, JZ 2009, 153; EuGH 22.12.2010, Sayn-Wittgenstein/Landeshauptmann von Wien, Rs. C-208/09. Zur mitgliedstaatlichen Rechtsprechung vgl. Nordmeier, Stand, Perspektiven und Grenzen der Rechtslagenanerkennung im europäischen Rechtsraum anhand Entscheidungen mitgliedstaatlicher Gerichte, IPRax 2012, 31. Fall 1 (nach BGH 20.6.2007 XII ZB 17/04, vgl. JA 2008, 65): Frau Celan und Herr Türk, bei türkische Staatsangehörige, heiraten 1988 in der Türkei. Frau C. führt fortan den Familiennamen T. 1990 ziehen die Eheleute nach Deutschland, 1994 nimmt Herr T. die dt. StA an. Im Jahr 2000 wird die Ehe in Deutschland geschieden. Das Scheidungsurteil ist bisher in der Türkei nicht anerkannt. 2002 kommt der Sohn der geschiedenen Frau T. in Deutschland zur Welt. Er besitzt die türkische Staatsangehörigkeit. Welchen Nachnamen soll der Standesbeamte für das Kind und die Mutter im deutschen Geburtenbuch eintragen? Hinweise: Nach türk. IPR wird die Namensführung geschiedener Eheluete als Nebenfolge der Scheidung qualifiziert. Art. 13 türk. IPRG knüpft die Scheidung primär an die gemeinsame StA der Eheleute bei Zustellung des Scheidungsantrags an. Falls keine gemeinsame StA vorhanden ist, Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt.

§ 8 Juristische Personen und Gesellschaften

Fall 1: Die Hochschulabsolventen A, B und C wollen gemeinsam eine Werbeagentur gründen. Um Mindestkapital zu sparen, möchten sie die Agentur nicht als GmbH, sondern als englische Company Ltd. gründen. A, B und C erwerben für 300 brit. Pfund eine im Companies House in Cardiff registrierte shell-company; das eingezahlte Kapital beträgt 100 brit. Pfund. Sodann mieten sie unter der Firma "ABC Werbeagentur co.ltd." in Frankfurt Büroräume und kaufen eine Computeranlage sowie Büromöbel. Die Tätigkeit der Agentur beschränkt sich auf den Frankfurter Raum. Als die Möbelrechnung auch nach mehrfacher Mahnung nicht bezahlt wird, fragt der Möbellieferant M an, ob er die "ABC Werbeagentur co.ltd." und gegebenenfalls A, B und C persönlich auf Zahlung verklagen kann.

Fall 2: Die Gesellschafter einer nach deutschem Recht gegründeten GmbH beschließen, den tatsächlichen Sitz der Gesellschaft in die Niederlande zu verlegen. Variante 1: Die Gesellschafter wollen nur den tatsächlichen Sitz verlegen, i.ü. aber als deutsche Gesellschaft fortexistieren. Variante 2: Die Gesellschafter wollen die Gesellschaft in eine Gesellschaft nach niederländischem Recht (B.V. besloten vennootschap) umwandeln. Variante 3: Die Gesellschafter wollen mit der in den Niederlanden real ansässigen United Pictures B.V. fusionieren. Die neue Gesellschaft soll ihren Sitz entweder in Deutschland oder in den Niederlanden haben.

Hinweise zur Vorbereitung (EuGH Entscheidungen unbedingt lesen!!): EuGH 27.9.1988, Rs. 81/87 Daily Mail, Slg. 1988, 5483 = NJW 1989, 2186; EuGH 9.3.1999, Rs. C-212/97 Centros, Slg. 1999-I, 1459 = NJW 1999, 2027; BGH 1.7.2002, BGHZ 151, 204 = NJW 2002, 3539; EuGH 5.11.2002, Rs. C-208/00 Überseering, Slg. 2002-I, 9919 = NJW 2002, 3614; BGH 13.3.2003, BGHZ 154, 185 = NJW 2003, 1461; EuGH 30.9.2003, Rs. C-167/01 Inspire Art, NJW

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2003, 3331; EuGH 13.12.2005, Rs. C-411/03 Sevic Systems AG Slg. 2005-I, 10805 = NJW 2006, 425; BGH 14.3.2005, NJW 2005, 1648; EuGH 16.12.2008, Rs. C-210/06, Cartesio Slg. 2009, I-09641. Gute Überblicke bieten: Fleischer/Schmolke, Die Rechtsprechung zum deutschen internationalen Gesellschaftsrecht seit 1991, JZ 2008, 233; Bayer/Schmidt, Grenzüberschreitende Sitzverlegung und grenzüberschreitende Restrukturierungen nach MoMiG, Cartesio und Trabrennbahn, ZHR 173 (2009), 735. Zur Vertiefung: Kieninger, Internationales Gesellschaftsrecht nach "Centros", "Überseering" und "Inspire Art": Antworten, Zweifel und offene Fragen, ZEuP 2004, 685; Kindler, Auf dem Weg zur europäischen Briefkastengesellschaft?, NJW 2003, 1073; Leible/Hoffmann, "Überseering" und das (vermeintliche) Ende der Sitztheorie, RIW 2002, 925; dies., "Überseering" und das deutsche Gesellschaftskollisionsrecht, ZIP 2003, 925; Sandrock, Die Schrumpfung der Überlagerungstheorie, ZVglRWiss 102 (2003) 447; ders., EWS 2005, 529; Kieninger, Das internationale Gesellschaftsrecht nach Cartesio, in: Basedow/Wurmnest (Hrsg.), Unternehmen auf offenen Märkten, 2011, 25 ff.; Wagner/Timm, Der Referentenentwurf eines Gesetzes zum Internationalen Privatrecht der Gesellschaften, Vereine und juristischen Personen, IPRax 2008, 81; Christoph Teichmann, Gesellschaftsrecht im System der Europäischen Niederlassungsfreiheit ZGR 2011, 639. § 9 Vertragliche Schuldverhältnisse im Allgemeinen

I. Vom EVÜ zur Rom I VO II. Anwendungsbereich der Rom I VO III. Rechtswahl IV. Grenzen der Rechtswahl bei Inlands- bzw. Binnenmarktsachverhalten V. Objektive Anknüpfung VI. Reichweite des Vertragsstatuts VII. Form VIII. Stellvertretung IX. Forderungsabtretung X. Aufrechnung Fall 1: Die S. GmbH mit Sitz in Frankfurt a.M. schließt mit der Y. S.A.R.L. mit Sitz in Paris einen Vertrag über die Lieferung und Errichtung einer Industrieanlage für Y’s neuen Standort in Algerien. Der 200 Seiten umfassende Vertrag enthält als letzten Punkt folgende Vereinbarung: Subsidiär anwendbar auf diesen Vertrag ist schweizerisches Recht. Variante 1: Die Rechtswahlklausel lautet wie folgt: „Sollte irgendein Punkt in diesem Vertrag nicht geregelt sein, finden subsidiär die Unidroit Regeln über internationale Handelsverträge Anwendung. Ausschließlicher Gerichtsstand für Streitigkeiten aus diesem Vertrag ist Paris.“ Variante 2: Der Vertrag enthält keine Regelung zum anwendbaren Recht oder zum Gerichtsstand. Es kommt bei S. zu Verzögerungen bei der Abwicklung des Auftrags. Daraufhin verklagt Y. die S. vor dem LG Frankfurt auf Zahlung von Schadensersatz für Betriebsausfall in Höhe von 1 Mio. €. Beide Parteien stützen sich in ihren Schriftsätzen ausschließlich auf Normen des BGB. Fall 2: Die X-GmbH mit Sitz in Stuttgart liefert Autozubehör an verschiedene Großhändler mit Sitz im Vereinigten Königreich. Das von der X versandte Bestellformular enthält auf der Rückseite die Verkaufsbedingungen. Darin findet sich unter anderem eine Rechtswahlklausel zugunsten des englischen Rechts, denn die international agierende Anwaltskanzlei, die X bei der Ausarbeitung der Verkaufsbedingungen beraten hat, behauptet, auf diese Weise ließe sich "das missliebige deutsche AGB-Recht, mit dem die Gerichte ohnehin nur Unfug trieben, ausschalten". Stimmt das? Variante: Gilt dasselbe Ergebnis auch im Verhältnis von X zu ihren Kunden mit Sitz in Deutschland?

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Fall 3: Tourist T mit gewöhnlichem Aufenthalt in München reist in den Sommerferien nach Italien und kauft vor Ort bei U eine Espressomaschine (Preis: 500.- €). 13 Monate später ist das Gerät irreparabel defekt. T schreibt an U und fordert ihn zur Rückzahlung des Kaufpreises gegen Rücksendung des Geräts auf. U hält entgegen, dass nach den im schriftlichen Kaufvertrag abgedruckten AGB Schweizer Recht gewählt sei; nach Art. 210 OR verjährten Mängelgewährleistungsansprüche nach 1 Jahr. Hinweis: § 438 Abs. 1 Nr. 3 BGB beruht auf Art. 5 Abs. 1 VerbrauchsgüterkaufRL. Nach Art. 7 Abs. 1 RiLi ist die Verjährungsfrist von 2 Jahren unabdingbar. Fall 4: (nach BGH IPRax 2005, 342 m. Anm. Unberath aaO S. 308) K, eine Gesellschaft mit Sitz auf den Philippinen, verhandelt mit B, einer deutschen Hypothekenbank über den Kauf einer Forderung in Höhe von 4 Mio. €. Die Forderung ist durch Grundpfandrechte an verschiedenen Immobilien gesichert. Diese stehen im Eigentum der S, einer Gesellschaft französischen Rechts mit Sitz in Frankreich, und sind in Frankreich belegen. Der Forderungskauf sollte in Frankreich durch französische Notare beurkundet werden. Der Beurkundungstermin platzt in letzter Minute, weil die französische Staatsanwaltschaft die Transaktion zuerst anhand des Geldwäschegesetzes überprüfen muss. Darauf bricht B die Verhandlungen ab und veräußert die Forderung an einen in den Niederlanden ansässigen Dritten. K verlangt von B Schadensersatz aus culpa in contrahendo. Anwendbares Recht? Fall 5: (nach Hoge Raad v. 16. Mai 1997, RdW 1997, Nr. 126 c) Hansa, ein Unternehmen mit Sitz in Deutschland, liefert im August 1994 chemische Produkte an die in den Niederlanden ansässige Bechem B.V.; der Kaufvertrag enthält einen verlängerten Eigentumsvorbehalt mit Vorausabtretungsklausel. Einen Tag später verkauft Bechem die Produkte weiter an Senzora B.V., eine ebenfalls in den Niederlanden ansässige Gesellschaft. Zwei Wochen später stellt Bechem ihre Zahlungen ein, kurz darauf wird der Konkurs eröffnet. Weder Bechem noch Senzora haben zu diesem Zeitpunkt den jeweils geschuldeten Kaufpreis bezahlt. Der Konkursverwalter und Hansa erheben Anspruch auf den von Senzora hinterlegten Geldbetrag. Hinweis: Nach niederländischem materiellen Recht ist die Veräußerung von Sachen und Rechten zu Sicherungszwecken unwirksam (Art. 3:84 Abs. 3 BW).

Zur Vertiefung:

Zum EVÜ: Martiny, Europäisches Internationales Vertragsrecht vor der Reform, ZEuP 2003, 590. Zur Wählbarkeit von Principles nach Art. 3 Abs. 1 EVÜ (in Rom I unverändert): Michaels,

Privatautonomie und Privatkodifikation, RabelsZ 62 (1998) 580-626. Zur Rom I-Verordnung:

Lagarde/Tenenbaum, De la Convention de Rome au règlement Rome I, Rev. crit. DIP 2008, 727 ff.; Leible/Lehmann, Die VO über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I), RIW 2008, 528 ff.; Mankowski, Die Rom I-Verordnung – Änderungen im europäischen IPR für Schuldverträge, IHR 2008, 133 ff.; Pfeiffer, Neues Internationales Vertragsrecht, EuZW 2008, 622 ff.; Rolf Wagner, Der Grundsatz der Rechtswahl und das mangels Rechtswahl anwendbare Recht (Rom I-VO), IPRax 2008, 377 ff. Zu den Auswirkungen auf das EGBGB: Martiny, Neues deutsches internationales Vertragsrecht, RIW 2009, 737 ff.

Zu Art. 3 Abs. 4 Rom I-Verordnung (Binnenmarktklausel): Johannes Hoffmann, Art. 3 Abs. 4 Rom I-VO – Das Ende des Quellenpluralismus im europäischen internationalen Vertragsrecht?, EWS 2009, 254 ff.

Zur Stellvertretung: Spellenberg, Vertreterverträge, in: Ferrari/Leible (Hrsg.), Ein neues Internationales Vertragsrecht für Europa (2007), S. 151 ff.; Simon Schwarz, Das Internationale Stellvertretungsrecht im Spiegel nationaler und supranationaler Kodifikationen, RabelsZ 71 (2007) 729 ff.

Zur Forderungsabtretung: Einsele, Die Forderungsabtretung nach der Rom I-Verordnung, RabelsZ 74 (2010) 91; Flessner, Die internationale Forderungsabtretung nach der

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Rom I-Verordnung, IPRax 2009, 35; Kieninger, Das Statut der Forderungsabtretung im Verhältnis zu Dritten, RabelsZ 62 (1998) 678-711; dies., Die Vereinheitlichung des Kollisionsrechts der Abtretung, in: Basedow/Remien/Wenckstern (Hrsg.), Europäisches Kreditsicherungsrecht (2010) S. 147 ff.

§ 10 International zwingende Vorschriften (Eingriffsnormen)

Fall 1: M ist Italiener mit gewöhnlichem Aufenthalt in Belgien. Er ist Eigentümer eines Mietshauses in Frankfurt. M hält das deutsche Mietrecht für übertrieben mieterfreundlich und bittet seinen Anwalt zu prüfen, ob es nicht möglich wäre, gegenüber seinen Mietern eine andere Rechtsordnung als das deutsche Recht zu vereinbaren und auf diese Weise insbesondere den seiner Ansicht nach völlig überzogenen Kündigungsschutz auszuhebeln.

Fall 2: Die Fa. „Hoch- und Tiefbau AG“ mit Sitz in Frankfurt und die „Strabag Österreich GmbH“ mit Sitz in Wien vereinbaren, vertreten durch ihre Vorstände bzw. Geschäftsführer, sich bei ihren Angeboten für einen neu zu errichtenden Autobahnabschnitt bei Salzburg über Konditionen und Preise abzusprechen. Für diesen Vertrag wählen sie das Recht des afrikanischen Staates R in der Annahme, dass es in diesem Staat keine gesetzlichen Bestimmungen über wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen gibt. Konkurrent K, der von der Absprache erfährt, klagt vor einem deutschen Gericht gegen H und S auf Schadensersatz, da er wegen eines zu hohen Preises im Vergabeverfahren nicht zum Zug gekommen ist. Fall 3 (angelehnt an BGH 1.12.2005, NJW 2006, 230 = JuS 2006, 560, Anm. Hohloch): Frau Sommer freut sich: Sie hat soeben in einem an sie adressierten Brief der „Versandhandels B.V.“ aus Nijmegen (Niederlande) gelesen, dass sie 100.000 € gewonnen habe und nur noch aus beiliegenden Bekleidungskatalog Waren im Mindestwert von 100.- € bestellen müsse, um ihren Gewinn abrufen zu können. Auf der Rückseite des Schreibens steht unter „AGB“: „Alle Verpflichtungen der „Versandhandels BV“ unterliegen niederländischem Recht.“ Anstatt jedoch ein garantiert knitterfreies Sommerkleid o.ä. zu bestellen, fordert S die V auf, ihr den Gewinn von 100.000.- € auszuzahlen. Hinweis: Das niederländische Recht kennt keine § 661a BGB vergleichbare Bestimmung.

Fall 4 (nach Cour Cass. 16.3.2010, n. 08-21.511): M., ein französisches Unternehmen mit Sitz in Marseille, exportiert französisches Rindfleisch. M. beauftragte V, eine Lieferung Rindfleisch, die von dem in Ghana ansässigen K. bestellt worden war, nach Ghana zu transportieren. Das Rindfleisch wurde an der Grenze zu Ghana vom ghanaischen Zoll zurückgewiesen, weil Ghana kurzfristig ein Importverbot für Rindfleisch aus Frankreich und anderen europäischen Ländern erlassen hatte, um seine Bestände vor einer Tierseuche zu schützen. Das Fleisch wurde von V. wieder nach Marseille zurückgebracht und dort wegen des nahenden Verfalldatums zu einem Schleuderpreis verkauft. M verklagt V auf Schadensersatz wegen seines finanziellen Verlusts. Nach französischem Recht sei der Transportunternehmer für alle Schäden und jeden Verlust des Gutes auf dem Transport verantwortlich (diese Angaben sollen als richtig unterstellt werden).

Zur Vertiefung: Spickhoff, Zwingendes Recht und Internationales Privatrecht, JURA 2007, 407; Freitag, Die kollisionsrechtliche Behandlung ausländischer Eingriffsnormen nach Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO, IPRax 2009, 109 ff. Wulf-Henning Roth, Savigny, Eingriffsnormen und die Rom I-Verordnung, FS Kühne, S. 859 ff.; Remien, FS von Hoffmann (2012) 334.

§ 11 Exkurs: Anwendungsbereich des CISG

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Fall 1: Im Mai 2006 kauft das Würzburger Möbelhaus „Stilvoll Wohnen“, ein Unternehmen der Schöner Wohnen GmbH mit Sitz in München, 200 auf der Insel Murano hergestellte Kronleuchter von der L. S.p.A. (Sitz in Venedig). Ist auf den Vertrag UN-Kaufrecht anzuwenden?

Fall 2: Am 1.10.2011 schließen die BASF (Sitz in Ludwigshafen) und die Bananas of Brasil Ltd. einen Vertrag über die Lieferung von 10 Tonnen Schädlingsvernichtungsmittel durch die BASF. Die Bananas of Brasil Ltd. ist eine Gesellschaft nach dem Recht des US-Bundesstaates Delaware, der Kaufvertrag wird jedoch durch die brasilianische Zweigniederlassung geschlossen und abgewickelt. Trotz der Anwendung des Mittels wird ein Teil der Bananen von Schädlingen befallen. Die Käuferin klagt vor einem deutschen Gericht auf Schadensersatz. Wird das Gericht auf den Vertrag UN-Kaufrecht anwenden?

Fall 3: Der Verlag Oxford University Press (Sitz in Oxford) verkauft 1000 englische Wörterbücher an eine Buchladenkette mit Sitz in Stuttgart. Der Vertrag wird am 2.5.2011 geschlossen, als spätester Liefertermin wird der 16.8.2011 vereinbart. Die Bücher treffen erst im September beim Käufer ein. Daraufhin erklärt der Käufer, er wolle nur noch 500 Bücher abnehmen, an dem Vertrag im übrigen aber nicht mehr festhalten, da die Bücher nach Beginn des Schuljahres nicht mehr in so hoher Zahl verkauft werden könnten. Der Verlag klagt in Deutschland auf Zahlung des vollen Kaufpreises. a) Welches Recht wird das Gericht anwenden? b) Würde sich am Vertragsstatut etwas ändern, wenn die Oxford University Press vor einem englischen Gericht klagen würde? Fall 4: Für das Weihnachtsgeschäft 2011 kauft die Nanz AG durch ihre Münchner Niederlassung 5 Tonnen getrocknete Datteln von einem Fruchtgroßhändler in Ankara. Der Vertrag enthält u.a. folgende Bestimmungen: a) Der Gerichtsstand für alle aus diesem Vertrag resultierenden Streitigkeiten ist Berlin. b) Auf diesen Vertrag ist deutsches Recht anzuwenden. Die Datteln sind bei ihrem Eintreffen in München verdorben. Die Nanz AG ist der Ansicht, dass sie gegen den türkischen Vertragspartner nach §§ 437 ff. BGB vorgehen kann. Sind §§ 437 ff BGB auf diesen Vertrag anzuwenden? Fall 5: (Nach OLG Stgt. IHR 2008, 102). K, Unternehmer mit Sitz in Deutschland, erwirbt von einem lettischen Unternehmen mit Sitz in Riga einen gebrauchten Mercedes als Geschäftswagen. Das Auto erweist sich später als mangelhaft. K fordert deshalb Rüchabwicklung des Kaufs, hilfsweise Schadensersatz. Der Vertrag enthielt nur eine Gerichtsstandsklausel (Wahl der dt. Gerichte), aber keine Rechtswahlklausel. Beide Parteien verhandeln erstinstanzlich auf der Basis von BGB und HGB.

§ 12 Verbrauchervertragsrecht

I. Kollisionsrechtlicher Schutz des Verbrauchers und seine Grenzen II. Art. 6 und Art. 3 Abs. 4 Rom I VO III. Verbraucherschutz im Richtlinienkollisionsrecht (Art. 46b EGBGB n.F.)

Fall 1: Frau Sauer (S), wohnhaft in Würzburg, sieht zu Hause in einer Teleshopping-Sendung ein Armband, das ihr spontan gefällt. Sie bestellt es umgehend telefonisch bei der in Belgien ansässigen Fa. „Bijoux Madeleine S.A.“ (B). Die belgische Rufnummer war in der Teleshopping-Sendung eingeblendet worden. Als das Armband bei S eintrifft, stellt sie fest, dass es von minderwertiger Qualität ist. Sie will es zurücksenden und den bereits von ihrer Kreditkarte abgebuchten Betrag von 99.- € erstattet bekommen. Am Telefon erklärt ihr ein Mitarbeiter der B jedoch, dass es sich um ein Sonderangebot gehandelt habe. Die Ware könne nicht umgetauscht werden. S ärgert sich über diese Antwort derartig, dass sie den Anwalt Dr. Normal in seiner Kanzlei in der 0814-Straße aufsucht und ihn um Rat fragt.

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Variante 1: S bestellt das Armband durch Ausfüllen einer interaktiven webseite an ihrem PC. Dabei kreuzt sie an, dass sie die AGB des Verkäufers gelesen und akzeptiert habe. In den AGB steht u.a.: „Für diesen Vertrag gilt ruritanisches Recht.“ Ruritanien ist kein Mitgliedstaat der EU. Das ruritanische Recht kennt keine Widerrufsrechte bei Fernabsatzverträgen. Variante 2: S kauft das Armband im Ladengeschäft eines Modeschmuckhändlers in Antwerpen. Variante 3: S unternimmt mit dem Busreiseunternehmer U aus Schweinfurt eine 3-tägige Ausflugsfahrt nach Belgien. Das Armband erwirbt sie bei einer Verkaufsveranstaltung der „Bijoux Madeleine S.A.“ in Belgien. Der Besuch der Veranstaltung war Teil des Programms der Busreise.

Fall 2: Die spanische Niederlassung der Happy Living GmbH mit Hauptverwaltungssitz in Berlin wirbt in Hotels auf Gran Canaria, die überwiegend von deutschen Pauschalreisetouristen besucht werden, für Einkaufs- und Besichtigungsfahrten ins Inselinnere. Bei den auf deutsch abgehaltenen Einkaufsveranstaltungen werden in Deutschland hergestellte Produkte verkauft (Heizdecken, Steppmäntel, elektronische Haushaltsgeräte u.ä.). Ehepaar Schmidt aus Würzburg nimmt am 15. Juli an einem solchen Ausflug teil und erwirbt eine Heizdecke und eine Kaffeemaschine. Wieder zuhause angekommen, stellen sie fest, dass beide Produkte erheblich überteuert waren. Sie möchten von dem Kauf zurücktreten. In dem schriftlichen (auf deutsch) abgefassten Kaufvertrag heißt es unter III. "Rechtswahl": "Dieser Vertrag unterliegt dem Recht der Isle of Man". Der Vertrag enthält kein Rücktritts- oder Widerrufsrechte und keine Belehrungen über solche Rechte. Trotzdem senden die Eheleute S am 2. August einen Brief an die Happy Living, in dem sie vom Vertrag zurücktreten und Rückzahlung der bereits geleisteten 250.- € verlangen. Ist eine Klage von Herrn und Frau Schmidt gegen die Happy Living GmbH auf Rückzahlung des Kaufpreises von insgesamt 250.- € begründet?

Hinweis: Es soll davon ausgegangen werden, dass das Recht der Isle of Man keine § 312 BGB vergleichbaren Vorschriften kennt, aber dass im Übrigen aber das internationale und nationale Vertragsrecht der Isle of Man mit dem deutschen identisch ist.

Fall 3: A, ein Hobbybotaniker mit gewöhnlichem Aufenthalt in Hamburg, bestellt mehrere amerikanische Botanikfachbücher per Fax direkt bei einem Verlag in New York (V). A ist auf den Verlag durch einen befreundeten englischen Hobbybotaniker aufmerksam geworden, weil V in englischen Fachzeitschriften regelmäßig wirbt. Steht A ein Widerrufsrecht nach §§ 312d, 355 BGB zu? Variante 1: Der Vertrag enthält eine Rechtswahl zugunsten des New Yorker Rechts. Variante 2: Der Vertrag enthält keine Rechtswahlklausel.

Zur Vertiefung: EGBGB/EVÜ: LG Tübingen, NJW 2005, 1513 = JuS 2005, 954 (Anm. Hohloch); Mankowski, Strukturfragen des internationalen Verbrauchervertragsrechts, RIW 1998, 287-291; Paefgen, Kollisionsrechtlicher Verbraucherschutz im Internationalen Vertragsrecht, ZEuP 2003, 266 ff.; Wagner, Zusammenführung verbraucherschützender Kollisionsnormen aufgrund EG-Richtlinien in einem neuen Art. 29a EGBGB, IPRax 2000, 249-258. Rom I VO: Siehe Lit zu § 9 sowie: EuGH v. 7.10.2010, verb. Rs. C-585/08 und C-144/09 (Pammer/Reederei Karl Schlüter GmbH & Co. KG und Hotel Alpenhof GesmbH/Oliver Heller.

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Mankowski, Art. 5 des Vorschlags für eine Rom I-Verordnung – Revolution im Internationalen Verbrauchervertragsrecht?, ZVglRWiss 105 (2006) 120 ff; ders., Finanzverträge und das neue Internationale Verbrauchervertragsrecht des Art. 6 Rom I-VO, RIW 2009, 98 ff. Zum Verhältnis zwischen Richtlinienkollisionsrecht und Rom I-VO: Leible, Brauchen wir noch Art. 46b EGBGB, FS von Hoffmann (2012) 230; Kieninger, Der grenzüberschreitende Verbrauchervertrag zwischen Richtlinienkollisionsrecht und Rom I-VO, FS Kropholler (2008) 499. § 13 Weitere besondere Vertragsverhältnisse

I. Versicherungsverträge II. Arbeitsverträge III. Beförderungsverträge

§ 14 Deliktsrecht

I. Vom EGBGB zur Rom II Verordnung II. Staatsverträge III. Grundanknüpfungen - Gegenüberstellung Art. 40 ff. EGBGB und Rom II IV. Umfang des Deliktsstatuts V. Ordre public VI. Besondere Delikte (Produkthaftung, unlauterer Wettbewerb) Fall 1: Anton Achtsam (A) will in den Sommerurlaub nach Italien fahren. A lässt daher sein Auto in der Werkstatt des Willi Werkel (W) überholen. W übersieht, dass die Bremsbeläge abgefahren sind. Aufgrund des Defekts kommt es auf einer Passtraße in Italien zu einem Unfall, bei dem sowohl A als auch der Fahrer des entgegenkommenden Fahrzeugs, Silvio Sorriso (S), verletzt werden. A und S verlangen Schadensersatz von W. S verlangt außerdem Schadensersatz von A aufgrund von Gefährdungshaftung. A wohnt seit seiner Geburt in Neuss, W hat seine Werkstatt ebenfalls in Neuss, wohnt aber schon seit 20 Jahren aus steuerlichen Gründen in den Niederlanden. S lebt in Mailand. Welchem Recht unterliegen die geltend gemachten Ansprüche? Zusatzfrage: W ist bei der „Schutz&Schirm“-Versicherungs-AG mit Sitz in Zürich haftpflichtversichert. Der Versicherungsvertrag unterliegt Schweizer Recht. Nach welchem Recht ist die Frage zu beantworten, ob S und A die Versicherung auch direkt in Anspruch nehmen können? Fall 2: Die International Toys Inc. (I) mit Hauptniederlassung in Shanghai stellt in China Kinderspielzeug her und vertreibt es über ihre Niederlassungen in einigen Ländern der EU (Italien, Frankreich, Spanien) und in der Türkei, aber nicht in Deutschland. Ottilie Ohnesorg, die Großmutter des 2-jährigen Kevin (beide wohnhaft in München) kauft auf einer Urlaubsreise in Italien Holzspielzeug der Fa. I und schenkt es dem K. Da die Lackierung des Spielzeugs mit gesundheitsschädlichen Lösungsmitteln versetzt ist, erleidet K einen Gesundheitsschaden. Seine Eltern wollen I wegen Schadensersatz und Schmerzensgeld in Anspruch nehmen. Anwendbares Recht (IZ dt. Gerichte vorausgesetzt)? Variante: K benutzt das Spielzeug zum ersten Mal während eines Urlaubsaufenthaltes in der Türkei und erkrankt dort. Welches Recht ist anzuwenden, wenn I das Spielzeug nicht in der EU vertreibt, aber der italienische Verkäufer einen größeren Posten in der Türkei aufgekauft und nach Italien geschafft hat?

Zu Vertiefung:

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A. Junker, Die Rom II-Verordnung: Neues Internationales Deliktsrecht auf europäischer Grundlage, NJW 2007, 3675 ff.; ders., Der Reformbedarf im Internationalen Deliktsrecht der Rom II-Verordnung drei Jahre nach ihrer Verabschiedung, RIW 2010, 257; G. Wagner, Die neue Rom II-Verordnung, IPRax 2008, 1 ff.; Leible/Lehmann, Die neue EG-Verordnung über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“), RIW 2007, 721 ff.; Peter Hay, Contemporary Approaches to Non-Contractual Obligations in Private International Law and the European Community’s Rome II Regulation, EuLF 2007, I, 137 ff.;

§ 15 Weitere gesetzliche Schuldverhältnisse I. Bereicherungsrecht II. Geschäftsführung ohne Auftrag III. Culpa in contrahendo

Vertiefungshinweise: Siehe § 14.

§ 16 Sachenrecht I. Grundregel II. Ausnahmen III. Statutenwechsel bei beweglichen Sachen IV. Art. 43 III EGBGB V. Ausweichklausel

Zur Vertiefung: Kreuzer, Die Vollendung der Kodifikation des deutschen Internationalen Privatrechts durch das Gesetz zum Internationalen Privatrecht der außervertraglichen Schuldverhältnisse und Sachen vom 21.5.1999, RabelsZ 65 (2001) 383 ff. (435-462); ders., Zur Anwendung des Art. 43 Abs. 3 EGBGB, FS Bechtold (2006) S. 253 ff.; Stoll, Zur gesetzlichen Regelung des internationalen Sachenrechts in Art. 43-46 EGBGB, IPRax 2000, 259 ff.; Schurig, Statutenwechsel und die neuen Normen des deutschen internationalen Sachenrechts, Festschrift Stoll (2001) 577 ff.

Fall 1: (nach Cour de Cassation 8.7.1969, Rev.crit.d.i.p. 1970, 75 ff) Die Bank (B) mit Sitz in Saarbrücken gewährt der S-GmbH, deren Sitz sich ebenfalls in Saarbrücken befindet, ein Darlehen zur Anschaffung eines Autos. Das Auto wird, während es sich in Deutschland befindet, an B sicherungsweise übereignet. Auf einer Geschäftsreise in Frankreich hat das Auto einen Motorschaden und muss repariert werden. Da der Geschäftsführer von S die Reparaturrechnung nicht bezahlen will, behält der KfZ-Mechaniker O den Wagen als Pfand und betreibt die Sicherungsvollstreckung (saisie conservatoire). B verlangt das Auto auf der Grundlage ihres Sicherungseigentums heraus. Mit Recht?

Fall 2: (nach BGH 20.3.1963, BGHZ 39, 173 ff) Die Bekl., eine saarländische Firma, erwirkte im Jahre 1960 gegen ihre Schuldnerin F, eine Schrotthändlerin in Lothringen, mit der sie in Geschäftsbeziehungen gestanden hatte, ein rechtskräftiges Urteil des LG Saarbrücken über 133.000 DM und vollstreckte in Deutschland in einen Lastkraftwagen der Schuldnerin. Die Klägerin, ein Kreditinstitut in Frankreich, hatte den Kauf dieses Fahrzeugs in Frankreich finanziert und sich von der Käuferin durch schriftlichen Vertrag ein Pfandrecht (gage sur véhicule) wegen ihrer Forderung einräumen lassen; das Pfandrecht ist in dem Register der zuständigen Präfektur eingetragen. Auf Grund dieses Registerpfandrechts beansprucht die Klägerin gemäß § 805 ZPO vorzugsweise Befriedigung aus dem Fahrzeug, das die Schuldnerin nach dem Kauf nach Deutschland gebracht und dort in ihrem Gewerbe eingesetzt hatte.

Fall 3: A ist begeisterter Kunstliebhaber und Eigentümer eines Caravaggio. Als er für einen weiteren Kunstankauf einen Bankkredit benötigt, übereignet er den Caravaggio

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sicherungshalber an die B-Bank. Im Zuge einer Retrospektive am kunsthistorischen Museum in Wien leiht A seinen Caravaggio für drei Monate aus. Anschließend kehrt das Bild wohlbehalten zu A nach Deutschland zurück. A hat sich mittlerweile bei einigen Kunstauktionen finanziell völlig übernommen und ist zahlungsunfähig. Kann die Bank den Caravaggio nach Maßgabe der Sicherungsabrede zur Verwertung herausverlangen?

Hinweis: Nach Auffassung der österr. Rechtsprechung ist die Sicherungsübereignung wegen fehlender Besitzaufgabe seitens des Übereignenden unwirksam.

Fall 4: (nach BGH 2.2.1966, BGHZ 45, 95 ff „Strickmaschinenfall“) Der Kl., ein Maschinenhändler mit Sitz in Italien, lieferte an die Fa. W in Deutschland 18 Strickmaschinen zum Preis von je 6700 DM. Die Parteien des Kaufvertrages vereinbarten mündlich für den Kl. einen Eigentumsvorbehalt bis zur vollständigen Bezahlung des Kaufpreises. Die bekl. AOK pfändete als Gläubigerin der W vier Strickmaschinen. Hiergegen protestierte der Kl. und verlangte auf der Grundlage des Eigentumsvorbehalts die Strickmaschinen heraus. Zu Recht?

Art. 1523 Codice civile (Cc): Übergang des Eigentums und der Gefahr Bei einem Ratenkaufvertrag mit Eigentumsvorbehalt erwirbt der Käufer das Eigentum an der Sache mit der Bezahlung der letzten Kaufpreisrate. Die Gefahr geht jedoch bereits mit der Übergabe der Sache auf den Käufer über.

Art. 1524 Cc: Wirksamkeit des Eigentumsvorbehalts gegenüber Dritten (1) Der Eigentumsvorbehalt kann dritten Gläubigern des Käufers nur dann entgegengehalten werden, wenn er in einem Schriftstück enthalten ist, welches ein sicheres Datum trägt. (2) Ist eine Maschine verkauft und beträgt der Kaufpreis mehr als 30.000 Lire, kann der Eigentumsvorbehalt dritten Erwerbern der Sache entgegengehalten werden, wenn der Vertrag in ein bei dem Landgericht, in dessen Bezirk die Maschine aufgestellt ist, geführtes Register eingetragen ist und wenn sich die Maschine im Zeitpunkt des Erwerbs durch den Dritten noch am Ort der Eintragung befindet.

Fall 5: (= BGH 11.3.1991, NJW 1991, 1415; Anm. Kreuzer, IPRax 1993, 157 ff.) Der Italiener S kaufte am 24.9.1987 von seinem Landsmann C dessen Ferrari 208 Turbo. S nahm zur Finanzierung des Kaufpreises bei der Kl., einer ital. Bank, einen Kredit in Höhe von umgerechnet 110.000 DM auf. Zur Sicherung wurde an dem Fahrzeug eine Mobiliarhypothek bestellt und - gemäß den ital. Vorschriften - in das „foglio complementare“ (Zusatzblatt zur Zulassungsbescheinigung - carta di circolazione - für das KfZ) eingetragen. S schaffte den Ferrari nach Deutschland und bot ihn, vor dem Eingang des Frankfurter Messegeländes abgestellt, zum Kauf an. Dort wurde die Bekl., welche die zu dieser Zeit stattfindende Frankfurter Automobilausstellung besuchte, auf das Fahrzeug aufmerksam. Sie kaufte den Ferrari schließlich für 75.000 DM. Dabei ließ sie sich die carta di circolazione vorweisen, die auf den Namen des ersten Eigentümers C ausgestellt war. Zusätzlich nahm sie Einsicht in eine Photokopie des foglio complementare, das wiederum nur Eintragungen enthielt, die den Voreigentümer C betrafen. Das Fahrzeug wurde an die Bekl. übergeben und wird nunmehr von der Kl. auf der Grundlage ihres Hypothekenrechts mit dem Ziel der Verwertung herausverlangt, da S mit mehreren Darlehensraten in Verzug ist. Die Bekl. macht geltend, sie habe von der Kraftfahrzeughypothek nichts gewusst und könne auch nichts davon wissen, da ein solches Recht in Deutschland unbekannt sei. Fall 6: (nach BGH 10.6.2009, NJW 2009, 2824) B, eine deutsche Opel-Vertragshändlerin, verkaufte einen Pkw Opel Astra an eine deutsche Zwischenhändlerin (DBD) unter Eigentumsvorbehalt. DBD verkaufte das Fahrzeug an den in Frankreich ansässigen K und ließ es durch einen Frachtführer, der das Auto bei B abholte, zu

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K nach Dijon transportieren. KfZ-Brief und KfZ-Schein verblieben bei B. K verkaufte es in Frankreich an A weiter und lieferte es an A aus. Da bestimmte Ausstattungsmerkmale fehlten, wurde das Fahrzeug nochmals zu B transportiert, um das fehlende Tuning nachzuholen. B behielt das KfZ allerdings ein mit dem Argument, DBD habe den Kaufpreis noch immer nicht bezahlt. A, der alle seine Ansprüche an K abgetreten hat, und K machen geltend, sie hätten von dem Eigentumsvorbehalt keine Kenntnis gehabt. K verlangt Fahrzeug, KfZ-Brief und -Schein von B heraus.

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Literaturvorschläge Textsammlung:

Jayme, Erik / Hausmann, Rainer (Hrsg.): Internationales Privat- und Verfahrensrecht 15. Auflage 2010 Preis: 24,00 €

Lehrbücher:

Brödermann, Eckart/Rosengarten, Joachim: Internationales Privat- und Zivilverfahrensrecht (IPR/IZVR): Anleitung zur systematischen Fallbearbeitung 5. Auflage 2010 290 Seiten; Preis: 22,00 € Erscheint demnächst in der 6. Auflage

Coester-Waltjen, Dagmar/Mäsch, Gerald: Übungen in Internationalem Recht und Rechtsvergleichung 3. Auflage 2008 396 Seiten; Preis: 22,95 € Erscheint demnächst in der 4. Auflage

Hay, Peter/Krätzschmar, Tobias: Internationales Privatrecht einschließlich des Internationalen Zivilverfahrensrechts, Reihe: „Prüfe Dein Wissen“4. Auflage 2010 310 Seiten; Preis: 24,90 €

Von Hoffmann, Bernd/Thorn, Karsten: Internationales Privatrecht 9. Auflage 2007 612 Seiten; Preis: 27,90 €

Fuchs, Angelika/Hau, Wolfgang/Thorn, Karsten: Fälle zum Internationalen Privatrecht 4. Auflage 2009 200 Seiten; Preis: 19,80 €

Junker, Abbo: Internationales Privatrecht 1. Auflage 1998 546 Seiten; Preis: 24,00 € Erscheint in der 2. Auflage im Oktober 2012

Kegel, Gerhard/Schurig, Klaus: Internationales Privatrecht 9. Auflage 2004 1190 Seiten; Preis: 57,00 €

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Koch, Harald/Magnus, Ulrich/Winkler von Mohrenfels, Peter: IPR und Rechtsvergleichung 4. Auflage 2010 354 Seiten; Preis: 29,00 €

Kropholler, Jan: Internationales Privatrecht 6. Auflage 2006 742 Seiten; Preis: 39,00 €

Posch, Willibald: Bürgerliches Recht VII. Internationales Privatrecht 5. Auflage 2010 246 Seiten; Preis: 29,95 €

Rauscher, Thomas: Klausurenkurs im Internationalen Privatrecht Ein Fall- und Repetitionsbuch mit Internationalem und Europäischen Vefahrensrecht mit Schwerpunktbereich und Masterprüfung 2. Auflage 2009 364 Seiten; Preis: 21,00 €

Rauscher, Thomas: Internationales Privatrecht Mit internationalem und europäischem Zivilverfahrensrecht 3. Auflage 2009 537 Seiten; Preis: 29,00 €

Zeitschriften:

– EuLF, European Legal Forum (Sig.: 250/Vv4/Z27) – GPR, Zeitschrift für Gemeinschaftsrecht (Sig.: 250/Vv4/Z26) – IHR, Zeitschrift für das Recht des internationalen Warenkaufs und –vertriebs

(Sig.: 250/GZ/W2) – IPRax, Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts (Sig.: 250/EZ/p6) – RabelsZ, Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht

(Sig.: 250/EZ/p1) – RIW, Recht der Internationalen Wirtschaft (Sig.: 250/AZ/29a) – ZEuP, Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht

(Sig.: 250/EZ/E1) – ZfRV, Zeitschrift für Rechtsvergleichung, Internationales Privatrecht und Europarecht

(Sig.: 250/AZ/v6)

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Sommersemester 2012

VORLESUNGSMATERIAL

Teil B: Besonderer Teil (§§ 17, 18)

Europäisches und deutsches Internationales Privatrecht

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§ 17 Familienrecht

I. Eherecht und Ehescheidung

1. Eheschließung

a) Materielle Voraussetzungen für eine wirksame Eheschließung: Art. 13 Abs. 1 und 2 EGBGB; Zu Art. 13 Abs. 2 EGBGB: Vorgeschichte "Spanier"-Beschluß des BVerfG v. 4.5.1971, BVerfGE 31, 58. b) Form: im Inland: Art. 13 III, im Ausland: Art. 11 I EGBGB

2. Allgemeine Ehewirkungen, Güter- und Scheidungstatut Quellen: Art. 14 ff. EGBGB; Verordnung Nr. 1259/2010 vom 20.12.2010 zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich des auf die Ehescheidung […] anzuwendenden Rechts, ABl. 2010 Nr. L 343/10 ff. (Rom III); Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und die Vollstreckung von Entscheidungen im Bereich des Ehegüterrechts, KOM (2011) 126.

a) Altes Recht EGBGB, Art. 14 ff.: Vorschriften bauen aufeinander auf: • Allg. Ehewirkungsstatut: Art. 14 • Ehegüterstatut: Art. 15 = Art. 14 im Zeitpunkt der Eheschließung plus erweiterte

Rechtswahlmöglichkeiten • Ehescheidung: Art. 17 = Art. 14 im Zeitpunkt der Rechtshängigkeit des

Scheidungsantrags

b) Neues Recht EGBGB, Art. 14 - 16 plus Rom III-VO: Scheidungskollisionsrecht wird separat durch die VO 1259/2010 geregelt (in Kraft seit 21.6 2012; maßgeblicher Zeitpunkt ist der Beginn des gerichtlichen Verfahrens bzw. das Datum der Rechtswahlvereinbarung, siehe Art. 18 Rom III); Abkoppelung von Art. 14 EGBGB!

Art. 17 EGBGB ist mithin faktisch außer Kraft, aber noch nicht aufgehoben: Ref.entwurf zur Anpassung des Art. 17 noch in der „pipeline“ („Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung der Vorschriften des Internationalen Privatrechts an die Verordnung (EU) Nr. 1259/2010 und zur Änderung anderer Vorschriften des Internationalen Privatrechts“). Art. 14 und Art. 15 f. EGBGB noch in Kraft (letztere aber mittelfristig durch Ehegüterrechts-VO abzulösen)

MERKE: Universelle Anwendung, vgl. Art. 4 Rom III !!

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Fall 1: Frau Fröhlich (F), dt. Staatsangehörige mit Wohnsitz in Würzburg zieht es in den sonnigen Süden. Sie erwirbt ein Reihenhaus in Marbella (Spanien) und lernt am dortigen Strand den britischen Staatsangehörigen Herrn Halisham (H), der in Marbella seinen Urlaub verbringt, kennen. Beide schließen nach wenigen Wochen des vollkommenen Glücks in Oxford, dem Heimatort von H, die Ehe, und leben anschließend zunächst einige Wochen in Marbella, siedeln dann aber in das Feriendomizil des H in Nizza über. Ob sie ihren weiteren Lebensabend in Würzburg, Oxford, Marbella oder Nizza verbringen wollen, wissen sie noch nicht. Bei einem ihrer Familienbesuche in Würzburg sucht F den Rechtsanwalt Dr. Alleswisser (A) auf. Sie frage sich, wem seit ihrer Eheschließung ihr beachtliches, überwiegend in Grundbesitz in Deutschland bestehendes Vermögen eigentlich gehöre und nach welchem Recht sich dies richte. Sie frage sich auch, ob in dieser Hinsicht irgend etwas zu veranlassen sei. Überdies habe sie in den letzten Wochen häufig Streit mit H gehabt. Falls sie sich doch wieder vom ihm trennen wolle: nach welchem Recht würde sich dies richten?

II. Kindschaftsrecht

Quellen: Autonomes Kollisionsrecht: Artt. 19-21 EGBGB Haager Kinderschutzübereinkommen (KSÜ) v. 19.10.1996 (J/H Nr. 55), seit 2002 in Kraft, seit 17.9.2010 auch von D ratifiziert, seit 1.1.2011 in Kraft. Anm. in JH überholt!!!; Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführungen v. 25.10.1980 (HKÜ) J/H Nr. 222. (Kindesentführung wird hier nicht behandelt). Zur Konkurrenz mit EheVO II siehe zB Rieck, NJW 2008, 182 ff. Fall 2: (nach BayObLG v. 11.12002, IPRax 2002, 405; dazu Hepting, IPRax 2002, 388 ff.) B hat am 1.9.1998 in Nürnberg ihre Tochter T zur Welt gebracht; beide haben dort ihren gewöhnlichen Aufenthalt. B hatte 1997 den A geheiratet, doch die Ehe wurde bereits am 11.6.1998 in der Türkei rechtskräftig geschieden. Am 19.11.1998 erkannte C die Vaterschaft mit Zustimmung der B zu Urkunde des Standesamts Nürnberg an. Alle Beteiligten besitzen die türkische Staatsangehörigkeit. Wer ist Vater der T?

Hinweis: Nach § 241 S. 1 türkisches ZGB hat ein Kind, das innerhalb von 300 Tagen nach Auflösung der Ehe geboren wird, den Ehemann zum Vater.

Fall 3: (nach OLG Stuttgart v.3.8.2000, IPRax 2002, 128; dazu Henrich, IPRax 2002, 118 ff.) S ist die 1990 in Belgrad geborene Tochter der damals unverheirateten O; beide haben die jugoslawische, jetzt serbische Staatsangehörigkeit. Der leibliche Vater der S ist unbekannt. 1997 lernten sich O und M, deutscher Staatsangehöriger, in Griechenland kennen. Sie schlossen am 30.11.1997 in Belgrad die Ehe. Am 2.12.1997 erklärte M mit Einverständnis der O vor dem Standesbeamten in Belgrad (unter Beteiligung eines Dolmetschers), dass er der natürliche Vater der S sei. Die Erklärung wurde in das Geburtenregister eingetragen. Unstreitiger Anlass für die Erklärung des M war, dass O ohne die Tochter nicht nach Deutschland gekommen wäre. Ursprünglich wollte M die Tochter sogar adoptieren, aber dies erschien den Eheleuten zu langwierig. Der Vorschlag, ein bewusst wahrheitswidriges Vaterschaftsanerkenntnis abzugeben, ging vom serbischen Standesbeamten aus.

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1998 trennten sich die Eheleute. Am 3.12.1998 erhob M Vaterschaftsanfechtungsklage beim zuständigen AG - Familiengericht in Deutschland. Am 22.2.2000 wurde die Ehe der O und M durch Urteil eines deutschen Familiengerichts geschieden. M behauptet jetzt, er habe der Verhandlung vor dem serbischen Standesbeamten nicht richtig folgen können und sei sich über den Inhalt seiner damaligen Erklärungen nicht im Klaren gewesen. Ist die Vaterschaftsanfechtung begründet?

Hinweise: Nach serbischem Recht ist das Vaterschaftsanerkenntnis vom 2.12.1997 wirksam. Das Kind muss nach serbischem Recht nur zustimmen, wenn es zum Zeitpunkt des Anerkenntnisses bereits über 16 Jahre alt ist. Nach serbischem Recht gibt es keine Anfechtungsmöglichkeit für den Mann, der die Vaterschaft zu einem Kind wider besseres Wissen freiwillig rechtswirksam anerkannt hat. Ein Anfechtungsrecht besteht nur bei Täuschung, Irrtum oder Drohung. Laut Art. 224 § 1 Abs. 1 EGBGB richtet sich die Vaterschaft hins. eines vor dem 1.7.1998 geborenen Kindes nach den bisherigen Vorschriften (= Art. 19 ff. EGBGB a.F.). Für die hier interessierenden Fragen ergeben sich aber keine Unterschiede, so dass die geltende Fassung angewendet werden kann. Nach dem intertemporal anwendbaren § 1600c BGB a.F. musste vor dem 1.7.1998 in jedem Fall das Kind selbst bzw. vertreten durch die Mutter dem Vaterschaftsanerkenntnis zustimmen.

III. Unterhalt

Quellen: Verordnung (EG) Nr. 4/2009 über die Zuständigkeit und das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen (EuUntVO) v. 18.12.2008, ABl. EU 2009 Nr. L 7/1, anwendbar ab dem 18. Juni 2011. Haager Protokoll über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht vom 23.11.2007, ABl. EU 2009 Nr. L 331/9. Beachte: Art. 18 EGBGB (der auf altem Haager UntÜ beruhte) ist seit 18.6.2011 aufgehoben!

Literaturhinweise: Überblick: Henrich, Europäisierung des internationalen Familienrechts: Was bleibt vom EGBGB?, FS Spellenberg 2010, 195. Zur Vertiefung: Zu I. Zur Rom III-VO: Helms, FamRZ 2011, 1765 ff.; Schurig, FS von Hoffmann (2012) S. 405 ff.; Winkler v. Mohrenfels, FS von Hoffmann (2012), S. 527 ff.; Chr. Kohler, FS von Hoffmann, S. 208 ff. Zum Vorschlag einer GüterrechtsVO: Dethloff, FS von Hoffmann (2012) 73 ff.; Martiny, IPRax 2011, 437 ff. Zu II.: Wolfgang Weitzel, Das Haager Adoptionsübereinkommen vom 29.5.1993, NJW 2008, 186 ff. Zu III.: Gruber, Die neue EG-Unterhaltsverordnung, IPRax 2010, 128; ders., Das Haager Protokoll zum internationalen Unterhaltsrecht, FS Spellenberg 2010, 177; Franziska Bartl, Die neuen Rechtsinstrumente zum IPR des Unterhalts (2012), Diss. Würzburg. § 18 Erbrecht

Quellen: Art. 25 f. EGBGB; Haager TestamentsformÜ; Rom IV-VO, in Kraft in drei Jahren ab Verkündigung im ABl.; am 7./8. Juni 2012 durch den Rat verabschiedet;

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angenommen durch das EP am 13.3.2012. Angenommener Text siehe http://register.consilium.europa.eu/pdf/de/12/pe00/pe00014.de12.pdf I. Anwendbares Recht II. Reichweite des Erbstatuts III. Gesonderte Anknüpfung der Form letztwilliger Verfügungen IV. Die Rom IV-Verordnung Vertiefungshinsweise zu IV.: Vorschlag für eine Verordnung über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und die Vollstreckung von Entscheidungen und öffentlichen Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses, KOM (2009) 154; dazu Buschbaum/Kohler, Vereinheitlichung des Erbkollisionsrechts in Europa, GPR 2010, 106 ff. und 162 ff.; Schurig, Das internationale Erbrecht wird europäisch – Bemerkungen zur kommenden europäischen Verordnung, FS Spellenberg 2010, 343; Kindler, Vom Staatsangehörigkeits- zum Domizilprinzip: Das künftige internationale Erbrecht der EU, IPRax 2010, 44; Max-Planck-Institut for Comparative and International Private Law, RabelsZ 74 (2010) 522-720; W.-H. Roth: Der Vorschlag einer VO zur Regelung ds internationalen Ebrechts, in: Schmoeckel/Otto: Europäische Testamentsformen, 2011), 13 ff. Fall 1 (nach BGH 28.9.1994, NJW 1995, 58 ff; dazu Dörner, IPRax 1996, 26 ff.) V, kolumbianischer Staatsangehöriger, verstarb am 24.11.1990 in Kolumbien und hinterließ eine Ehefrau (E), zwei Söhne (Kl. und Bekl.) und eine Tochter (T). Der Bekl. ist Deutscher, lebt aber im Ausland. V war Eigentümer eines in Deutschland belegenen Grundstücks, das er selbst - zunächst nur zur Hälfte - im Wege der Erbfolge nach seiner Großmutter erworben hatte. Die andere Hälfte erwarb er mit dem Tod des Miterben im Jahr 1983. Im Grundbuch sind zum Zeitpunkt der Klageerhebung als Eigentümer des Grundstücks nach V aufgrund eines mittlerweile eingezogenen Erbscheins E, der Kl., der Bekl. und T in Erbengemeinschaft eingetragen. In einem in Deutschland am 25.7.1988 errichteten notariellen Testament hatte V einen hälftigen Miteigentumsanteil an dem Grundstück dem Kl. als Vorausvermächtnis zugewendet. In einem weiteren eigenhändigen Testament vom 15.7.1990, das der Erblasser in Kolumbien errichtete, wendete er auch die andere Hälfte dem Kl. als Vorausvermächtnis zu. E und T sind damit einverstanden, dass das Grundstück dem Kl. allein zustehen soll, der Bekl. jedoch nicht. Er macht geltend, dass das kolumbianische Recht eigenhändige Testamente nicht anerkenne, und dass des weiteren einem Vermächtnis in Deutschland keine unmittelbare dingliche Wirkung zukomme. Der Kl. verlangt vom Bekl. die Zustimmung zur Grundbuchberichtigung. Hilfsweise beantragt er, den Bekl. zur Auflassung und Einwilligung in die Grundbuchänderung zu verurteilen. Ist die Klage begründet?

Hinweise: Das kolumbianische IPR unterstellt die Erbfolge dem Recht des letzten Wohnsitzes des Erblassers. Kolumbien ist dem Haager Testamentsformübereinkommen bislang nicht beigetreten. Nach kolumbianischem Erbrecht hat ein Vermächtnis unmittelbare dingliche Wirkung (sog. Vindikationslegat). Die Ansicht des Bekl., dass nach kolumbianischem Recht nur notarielle Testamente, nicht aber eigenhändige wirksam sind, ist richtig.

Fall 2 (nach KG 23.9.1987, FamRZ 1988, 434 mit Anm. Gottwald, FamRZ 1988, 436 und Lüderitz, FamRZ 1988, 881; siehe dazu auch BGH 14.12.1988, IPRax 1990, 55 mit Anm. Beitzke, IPRax 1990, 36)

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A, ein 1977 in Wien geborener österreichischer Staatsangehöriger, hat die Erteilung eines Erbscheins aufgrund gesetzlicher Erbfolge nach der am 26.7.2000 mit letztem Wohnsitz in Berlin kinderlos verstorbenen Erblasserin E beim AG Berlin-Charlottenburg beantragt. E hat keine letztwillige Verfügung hinterlassen. Sie war deutsche Staatsangehörige. Der Ehemann der E, ihre Eltern, sowie ein Bruder und dessen Tochter sind vorverstorben, ohne weitere Abkömmlinge zu hinterlassen. Aus der zweiten Ehe des in Wien geborenen Vaters der Erblasserin ist als deren Halbbruder ein Sohn hervorgegangen, der als österreichischer Staatsangehöriger gleichfalls in Wien lebte und ebenfalls vorverstorben ist. Dieser Halbbruder hatte zusammen mit seiner Ehefrau, ebenfalls eine österreichische Staatsangehörige, in Wien durch vom zuständigen Bezirksgericht bestätigten Vertrag vom 16.11.1988 A an Kindes Statt angenommen. Andere als gesetzliche Erben der E in Betracht kommende Personen konnten nicht ermittelt werden. Ist A Erbe nach E geworden? Hinweise: § 182 Abs. 1 ABGB (Österreich) bestimmt, dass zwischen dem Annehmenden und dessen Nachkommen einerseits und dem Wahlkind und dessen im Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Annahme minderjährigen Nachkommen andererseits mit diesem Zeitpunkt die gleichen Rechte entstehen, wie sie durch die eheliche Abstammung begründet werden. Aus dieser Beschränkung der verwandschaftlichen Beziehungen auf die unmittelbar Adoptionsbeteiligten und deren Nachkommen wird gefolgert, dass sich die Adoptionswirkung nicht auf die übrigen Verwandten des Annehmenden erstreckt.