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Startseite » Psychologie/Hirnforschung » Smartphones schaden dem Unterricht nicht SCHULE 2.0 Smartphones schaden dem Unterricht nicht Digitale Medien wie Smartphones, Tablet-PCs und Laptops sind heute für die meisten Kinder und Jugendliche Alltag. Viele Lehrer scheuen sich allerdings davor, die Geräte auch in den Unterricht einzubinden. Zu Unrecht, sagen Forscher. http://www.spektrum.de/news/smartphones-schaden-dem-unterricht-nicht/1313051 Hintergrund | 15.10.2014 Jana Hauschild "Guten Morgen, Klasse 7b. Bitte holt eure Tablets heraus, wir schreiben einen Test!" – So oder so ähnlich könnte es in deutschen Schulen in Zukunft öfter ertönen, denn die digitale Revolution erhält allmählich auch Einzug in die Klassenzimmer. Forscher und Pädagogen träumen bereits vom papierlosen Klassenzimmer und dem Abschied von Klassenarbeiten. Sie könnten eines Tages überflüssig werden, weil der Lehrer über die digitalen Geräte der Schüler und deren Vernetzung mit seinem PC immer den aktuellen Lernstand im Blick hat. Dass moderne Medien aus dem Alltag kaum noch wegzudenken sind, ist allen Beteiligten des Schullebens bewusst. Schüler wie Lehrer besitzen Smartphones, Tablet-PCs oder Laptops. Die Vielfalt an Programmen für beide Gruppen ist kaum mehr zu überblicken: Lernangebote auf CD-Rom oder im Internet, Übungsaufgaben von Algebra bis Zeitgeschichte, Lernspiele, Simulationen und Experimentiersoftware, Datenbanken, spezielle Schülerchats und Plattformen für den Austausch von Lernmaterialien. Doch wie viel digitale Technik gehört tatsächlich in den Schulunterricht? Dies ist der sechste und letzte Teil unserer Serie "Schule und Lernen".

Smartphones schaden dem Unterricht nicht - FZBED · Lernstand im Blick hat. Dass moderne Medien aus dem Alltag kaum noch wegzudenken sind, ist allen Beteiligten des Schullebens bewusst

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Page 1: Smartphones schaden dem Unterricht nicht - FZBED · Lernstand im Blick hat. Dass moderne Medien aus dem Alltag kaum noch wegzudenken sind, ist allen Beteiligten des Schullebens bewusst

Startseite » Psychologie/Hirnforschung » Smartphones schaden dem Unterricht nicht

SCHULE 2.0

Smartphones schaden dem Unterricht nicht

Digitale Medien wie Smartphones, Tablet-PCs und Laptops sind heute für die meistenKinder und Jugendliche Alltag. Viele Lehrer scheuen sich allerdings davor, die Geräteauch in den Unterricht einzubinden. Zu Unrecht, sagen Forscher.

http://www.spektrum.de/news/smartphones-schaden-dem-unterricht-nicht/1313051

Hintergrund | 15.10.2014

Jana Hauschild

"Guten Morgen, Klasse 7b. Bitte holt eure Tablets heraus, wir schreiben einen Test!" – Sooder so ähnlich könnte es in deutschen Schulen in Zukunft öfter ertönen, denn diedigitale Revolution erhält allmählich auch Einzug in die Klassenzimmer. Forscher undPädagogen träumen bereits vom papierlosen Klassenzimmer und dem Abschied vonKlassenarbeiten. Sie könnten eines Tages überflüssig werden, weil der Lehrer über diedigitalen Geräte der Schüler und deren Vernetzung mit seinem PC immer den aktuellenLernstand im Blick hat.

Dass moderne Medien aus dem Alltag kaum noch wegzudenken sind, ist allen Beteiligtendes Schullebens bewusst. Schüler wie Lehrer besitzen Smartphones, Tablet-PCs oderLaptops. Die Vielfalt an Programmen für beide Gruppen ist kaum mehr zu überblicken:Lernangebote auf CD-Rom oder im Internet, Übungsaufgaben von Algebra bisZeitgeschichte, Lernspiele, Simulationen und Experimentiersoftware, Datenbanken,spezielle Schülerchats und Plattformen für den Austausch von Lernmaterialien. Doch wieviel digitale Technik gehört tatsächlich in den Schulunterricht?

Dies ist der sechste und letzte Teil unserer Serie "Schule und Lernen".

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Bisher erschienen:

Teil 1: Wie früh sollten Kinder eine zweite Sprache lernen?

Teil 2: (Keine) Lust auf Hausaufgaben

Teil 3: Schreiben lernen: Welche Methode ist sinnvoll?

Teil 4: Praxis ist nicht immer besser als Theorie

Teil 5: Sind Noten noch zeitgemäß?

Die Enquete-Kommission "Internet und digitale Gesellschaft" des Deutschen Bundestagsmahnte 2013, dass die Schulen in Deutschland mit ihrer technischen Ausstattunghinterherhinken. Sie verweist auf eine Analyse im Rahmen der PISA-Studie 2009, lautder die Nutzung von Computern hier zu Lande weiterhin unter dem internationalenDurchschnitt liegt. Sie empfiehlt daher, dass jeder Schüler und jede Schülerin einerOberschule mit einem mobilen Computer ausgestattet und dies pädagogisch begleitenwird.

Diese Forderung löst bei zahlreichen Lehrkräften Unmut aus. Denn die Zahl der Lehrer,die Computer, Tablets und Whiteboards im Unterricht eher ablehnen, ist von Kiel bisMünchen dreimal so hoch wie in den anderen europäischen Ländern. Dahinter steckenmeist diverse Ängste.

Facebook statt UnterrichtViele befürchten, die Schüler würden statt auf den Lehrer und die Aufgaben zu achten,nur noch auf Bildschirme starren, nebenbei ihre Facebook-Seite checken oder im Internetherumsurfen. Ganz unbegründet ist die Haltung nicht. In ihrem Forschungsbericht"Digitale Lernwerkzeuge" fassen die Psychologen Jo Groebel und Julia Wiedermann vonder Business School Berlin Potsdam Stärken und Schwächen der neuen Unterrichtsgerätezusammen. Ablenkung ist ein Thema, das immer wieder in den Studien, die sievorstellen, auftaucht. In einem Hamburger Projekt mit 26 Klassen aus 15 Oberschulenließen sich vor allem schwächere Schüler und leicht ablenkbare Jugendliche von Netbookszum Spielen und Surfen verleiten. Und der Unterricht mit Tablet-PCs in der 11. Klasseeines Gymnasiums führte zumindest anfangs dazu, dass sich viele Schüler mit anderenDingen beschäftigten als vom Lehrer vorgesehen. Der fachlichen Leistung derAbiturienten tat das aber scheinbar keinen Abbruch: Sie hielten alle ihr Leistungslevel –und waren zudem im Unterricht deutlich motivierter.

Ein weiterer Vorbehalt: Weniger gute Schüler würden durch die zusätzlichen Medienüberfordert. Sie müssten dann ja nicht nur den Inhalt verstehen, sondern auch noch einunbekanntes Gerät oder Programm bedienen. Psychologen von der Universität Bambergkonnten allerdings in einem Experiment mit rund 160 Oberschülern zeigen, dass eskeinen Unterschied macht, ob Schüler eine Leseaufgabe am Smartphone bearbeitetenoder auf dem Papier – für die guten ebenso wie für die weniger guten Schüler.

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Lernen am Computer© fotolia / Contrastwerkstatt

Viele Lehrer befürchten, ihre Schüler würden lieber im Internet surfen oder dasFacebook-Profil checken, anstatt dem Unterricht zu folgen, wenn Laptop oder Tablet-PC zum festen Bestandteil des Unterrichts werden. Studien zeigen jedoch ein anderesBild.

Tatsächlich erleichtern es digitale Geräte, den unterschiedlichen Fähigkeiten der Schülergerecht zu werden, wie mehrere Untersuchungen nahelegen. Die Psychologen Groebelund Wiedermann berichten in ihrer Übersichtsstudie von einer deutsch-schweizerischerKooperation, bei der Forscher einer Grundschulklasse für zwei Jahre Smartphones für denUnterricht überlassen haben. Deren Fazit: Durch die digitalen Geräte konnten Schülereher in ihrem eigenen Tempo arbeiten und es war einfacher, ihnen Aufgabenentsprechend ihres Lernstands zuzuteilen. Andere Forscher betonen auch, dass Schülerauf den Geräten Schulinhalte wie Filme, Tonaufnahmen oder Präsentationen immerwieder abspielen und ansehen können, wenn sie einmal gespeichert wurden und damit

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dann individuell lernen könnten.

Was die Grundschulstudie mit den Smartphones auch gezeigt hat: Die kleinenBildschirme führten nicht, wie oft angenommen, dazu, dass die Schüler nicht mehrmiteinander redeten. Im Gegenteil: Die Forscher berichten, dass nicht nur die Schüleruntereinander sich öfter austauschten, sondern auch Lehrer und Schüler häufiger insGespräch kamen. Groebel und Wiedermann betonen zudem, dass mehr Miteinander imUnterricht in der einschlägigen Fachliteratur eng mit einer Leistungssteigerung derSchüler verknüpft ist.

Besser lernen am Tablet-PCUnd tatsächlich widersprechen Forschungsbefunde auch der größten Furcht von Kritikernder digitalen Schule: Schüler lernen durch mehr digitale Medien im Unterricht nichtweniger. In einer Untersuchung mit Studenten im ersten Semester, also frischgebackenen Schulabgängern, schnitten sogar jene besser ab, die einen Einführungskursmit einem Tablet-PC begleiten durften. Sie waren am Ende des Semesters imDurchschnitt eine Note besser als Studenten im gleichen Kurs, denen nur Papier und dieTafel des Dozenten zur Verfügung gestanden hatten.

Studien aus den vergangenen Jahrzehnten zeichnen ein ähnliches Bild. DerBildungswissenschaftler John Hattie, Professor an der Melbourne Graduate School ofEducation in Australien, hat im Rahmen eines Großprojekts Übersichtsarbeiten dazuzusammengefasst. Die gebündelten Befunde aus 4500 einzelnen Studien mit knapp vierMillionen Probanden bestätigen: Der Einsatz von Computern im Unterricht wirkt sichgünstig auf die Lernergebnisse der Schüler aus. In 60 von 100 Fällen beflügelt dieTechnik in der Schule den Grips des Schülers. Ein Befund, der für Schüler aus den1990er Jahren ebenso gilt wie für Schüler von heute, in allen Klassenstufen undunabhängig von individueller Begabung. Schaden tun die modernen Lernmittel offenbarnicht.

"Es gibt kein Lernen ohne Medien" (Christian Schlöndorf)

Dennoch warnt Hattie in seinem Buch vor vorschnellen Schlüssen: "Meine eigene Ansichtist, dass Computer (wie viele andere strukturelle Innovationen im Bildungswesen auch),die Wahrscheinlichkeit des Lernens erhöhen können. Eine zwangsläufige Beziehungzwischen dem Besitz eines Computers, dessen Nutzung und den Lern-Outcomes gibt esaber nicht." Ein Computer sei vor allem dann effektiv, wenn er als Ergänzung zumüblichen Unterricht eingesetzt werde, wenn die Schüler schon bestimmte Fertigkeiten imUmgang mit dem Gerät besäßen, sie mehrfach Inhalte an dem Gerät üben und selbstüber das Tempo bestimmen könnten.

Es wäre weltfremd auf die neuen Geräte und Möglichkeiten zu verzichten, meint auch derLehrer Christian Schlöndorf. "Es gibt kein Lernen ohne Medien. Und in Schülerhändenbefinden sich heute nun mal zumeist digitale", sagt der Medienpädagogische Berater amNiedersächsischen Landesinstitut für schulische Qualitätsentwicklung (NLQ). "Früher hieß

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es auch Fernsehen und Comics machen dumm. Heute wissen wir es besser", ergänzt seinKollege Paul Hilpert-Leusch. Es gehe vor allem darum, was die Kinder und Jugendlichenmit den digitalen Geräten machten. "Das ist wie mit einem Füller. Da gibt esunterschiedliche Modelle, manche schreiben dünn, manche dick und schön. Aber wichtigist doch, was wir damit schreiben, welchen Inhalt wir damit transportieren."

Der richtige Umgang"Die häufig einer Art Spaßprinzip folgende Medienroutine der jungen User muss durcheinen fach- und sachorientierten, professionellen und beherrschten Umgang ergänztwerden", schreiben die Psychologen Jo Groebel und Julia Wiedermann in ihremForschungsbericht. "Inkompetente Nutzer bleiben doof", sagt der Psychologe HermannKörndle, Professor für die Psychologie des Lehrens und Lernens an der TechnischenUniversität Dresden. Er forscht schwerpunktmäßig zu digitalen Medien. Es sei notwendig,die Schüler zu befähigen, etwa wichtige und richtige Informationen aus der Datenflut imInternet herauszufiltern, sowie die vielen Möglichkeiten der Geräte zu vermitteln.

Der Lehrer und Medienpädagoge Hagen Heinrich hatdigitalen Unterricht selbst ausprobiert. Von 2009 bis 2012hat er mit seiner Klasse einer integrierten Gesamtschulean einem groß angelegten Notebook-Projekt inNiedersachsen teilgenommen. "Früher kam nach derStunde der Schwamm und weg war das Tafelbild. Nunkonnte ich alles abspeichern. Die Schüler haben dieTafelbilder dann auf ihre Notebooks heruntergeladen, miteigenen Anmerkungen versehen und untereinanderausgetauscht", sagt er. Ein Drittel seines Unterrichts hater mit den Geräten durchgeführt. Die anderen Stundenarbeitete er wie gewohnt mit Büchern, Arbeitsblättern aufPapier und Notizen an der Tafel. Es war ihm wichtig, dasssich die Kinder nicht auf die Bildschirme fixieren.

Sein Modellversuch ist geglückt: "Er hat alle Beteiligtenverändert: Schüler, Lehrer und Eltern." Vorurteile, nachdenen die Kinder abgelenkt seien, sich nicht mehr auf dieeigentlichen Unterrichtsinhalte fokussieren würden oder Lesen und Schreiben verlernen,hätten sich in seinem Fall nicht bewahrheitet. "Die Schüler zeigten eine enormeMotivation", berichtet Heinrich. Oft gehe aber eine Angst unter Lehrern und Eltern um,die Kinder würden durch die Geräte süchtig werden und nur noch herumdaddeln.Heinrich hält dagegen: In den 1920iger Jahren hätten in der New Yorker Metro auch alleihre Köpfe hinter den Tageszeitungen vergraben. Da habe auch keiner von Sucht undGefahren gesprochen.

Ist die moderne Technologie also gar nicht so gefährlich, wie oft gedacht? PsychologeKörndle meint: "Wenn Unterricht dazu führt, dass Denken Spaß macht, kann das dochnur gut sein."

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© Spektrum.de

QUELLEN

Deutscher Bundestag: Sechster Zwischenbericht der Enquete-Kommission"Internet und digitale Gesellschaft". Drucksache 17/12029, 2013

Groebel, J., Wiedermann, J.: Digitale Lernwerkzeuge. Business School BerlinPotsdam, 2012

Schroeders, U., Wilhelm, O.: Testing reasoning ability with handheld computers,notebooks, and paper and pencil. In: European Journal of Psychological Assessment26, S.284–292, 2010