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Sonderheft der Orthopädieschuhtechnik Einlagen Die Einlagenversorgung ist in der orthopädischen Praxis ein zuneh- mend kontrovers diskutiertes The- ma unter Fachleuten. Die traditio- nelle Einlagenversorgung geht von einer Fußfehlform aus und will die ver- änderte Fußarchitektur mit festen, stützenden und bettenden Einlagen- elementen korrigieren. Zwar werden mehr und mehr weichere Materialien zur Verbesserung der Funktionalität verwendet, das Grundproblem einer passiven Stützung jedoch bleibt: „Die Funktion folgt der Form“! Die Biomechanik versucht, sich von der statischen Betrachtungsweise zu lösen und die Dynamik der Bewe- gungsabläufe zu berücksichtigen. Der Grundgedanke aber, dass skelettstüt- zende Maßnahmen exzessive Bewe- gungen der Fußknochen reduzieren sollten, wurde beibehalten. Neueste Untersuchungen von Benno Nigg und Mitarbeitern aus Calgary ha- ben gezeigt, dass Einlagen üblicher- weise keinen wesentlichen Einfluss auf die Kinematik des Fußskelettes beim Gehen oder Laufen haben (Pronation). Trotzdem ist aber ein gewisser „Erfolg“ des Einlagentragens aus der Erfahrung feststellbar. Zum Beispiel wird durch das Tragen konventioneller Einlagen das EMG-Signal (Wavelet-Analyse- methode) von bestimmten Muskel- gruppen verändert, dies entspricht der Entlastung der Muskulatur. Bewegungs- änderungen im Pronationsverhalten werden jedoch nicht beobachtet. Als Konsequenz daraus kann gefolgert werden, dass Einlagen prinzipiell die extern wirkenden Drehmomente ver- ringern können (Reduktion des extern wirkenden Hebels) und deshalb die Muskulatur, die diese äußeren Dreh- momente ausgleicht, entlasten (n. B. Segesser, GOTS- Kongress 2003). Wenn dieser bisher noch spekulati- ve Zusammenhang stimmt, dann wer- den Fußmuskeln durch traditionelle Einlagenversorgungen prinzipiell ent- lastet, was längerfristig kontraproduk- tiv wirkt. Da die Muskeln nicht trai- Die physiologischen und orthopädischen Grundlagen der afferenzstimulierenden Einlagenversorgung Gregor Pfaff: Der Fuß ist ein sensibles Tastorgan, das bei jedem Schritt Informa- tionen an das Gehirn übermittelt, die wiederum eine Reaktion auf unsere Bewegung zur Folge haben. Die afferenzstimulierende Einlagenversorgung macht sich dieses Prinzip zu Nutze, um über gezielt gesetzte Reize an der Fußsohle Einfluss auf die Be- wegung und die Körperhaltung zu nehmen. Wie das anatomisch und physiologisch funktioniert erläutert dieser Beitrag. niert werden, bilden sie sich langsam zurück. Eine prinzipiell andere Denkenswei- se wird durch die Anwendung von pro- priorezpetiven, afferenzverstärkenden oder sensomotorischen Einlagen ver- folgt. Sie geht davon aus, dass exzes- sive Bewegungen von einer mangel- haften muskulären Kontrolle ausgehen (mangelnde Innervation, muskuläre Dysbalance, Koordinationsstörung). Wenn nun die Muskulatur durch das Setzen von bestimmten propriorezep- tiven Reizen spezifisch stimuliert wird, kann sie auf die auftretenden Belas- tungen besser reagieren und die Bewe- gungen in einem physiologischen Aus- maß halten. Dies würde bedeuten, dass durch Verbesserung der Fußmus- kelfunktion übermäßige Bewegungen des Fußskelettes vermieden werden können. Dadurch entstehen günstigere äußere Hebelverhältnisse, welche zu kleineren internen Drehmomenten und geringeren Muskelbelastungen führen. Aktive Bewegungskontrolle bewirkt die physiologische Belastung der Muskula- tur und die Verbesserung der Bewe- gungs- und Stellungskoordination des Fußes. Als Anwender der afferenzsti- mulierenden-sensomotorischen Einla- gen postuliere ich: „Die Form folgt der Funktion“! Medreflex Therapiekonzepte GmbH Hesseloherstrasse 6 • 80802 München Tel. 089/38799884 • Mobil 0173/8606610 Fax 089/38898169 • email: [email protected] Sonderdruck aus: Orthopädieschuhtechnik, Sonderheft Einlagen; Mai 2004 C. Maurer Druck und Verlag, Geislingen. [

Sonderheft der Orthopädieschuhtechnik Einlagen · 2019. 7. 29. · Bandapparat und Muskelsysteme Das Fußgerüst ist durch Muskelzüge aktiv und durch einen außerordentlich kräftigen

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  • Sonderheft der Orthopädieschuhtechnik

    Einlagen

    Die Einlagenversorgung ist in derorthopädischen Praxis ein zuneh-mend kontrovers diskutiertes The-ma unter Fachleuten. Die traditio-

    nelle Einlagenversorgung geht von einer Fußfehlform aus und will die ver-änderte Fußarchitektur mit festen,stützenden und bettenden Einlagen-elementen korrigieren. Zwar werdenmehr und mehr weichere Materialienzur Verbesserung der Funktionalitätverwendet, das Grundproblem einerpassiven Stützung jedoch bleibt: „DieFunktion folgt der Form“!

    Die Biomechanik versucht, sich vonder statischen Betrachtungsweise zulösen und die Dynamik der Bewe-gungsabläufe zu berücksichtigen. DerGrundgedanke aber, dass skelettstüt-zende Maßnahmen exzessive Bewe-gungen der Fußknochen reduzierensollten, wurde beibehalten.

    Neueste Untersuchungen von BennoNigg und Mitarbeitern aus Calgary ha-ben gezeigt, dass Einlagen üblicher-weise keinen wesentlichen Einfluss auf

    die Kinematik des Fußskelettes beimGehen oder Laufen haben (Pronation).Trotzdem ist aber ein gewisser „Erfolg“des Einlagentragens aus der Erfahrungfeststellbar. Zum Beispiel wird durchdas Tragen konventioneller Einlagendas EMG-Signal (Wavelet-Analyse-methode) von bestimmten Muskel-gruppen verändert, dies entspricht derEntlastung der Muskulatur. Bewegungs-änderungen im Pronationsverhaltenwerden jedoch nicht beobachtet. AlsKonsequenz daraus kann gefolgertwerden, dass Einlagen prinzipiell dieextern wirkenden Drehmomente ver-ringern können (Reduktion des externwirkenden Hebels) und deshalb dieMuskulatur, die diese äußeren Dreh-momente ausgleicht, entlasten (n. B.Segesser, GOTS- Kongress 2003).

    Wenn dieser bisher noch spekulati-ve Zusammenhang stimmt, dann wer-den Fußmuskeln durch traditionelleEinlagenversorgungen prinzipiell ent-lastet, was längerfristig kontraproduk-tiv wirkt. Da die Muskeln nicht trai-

    Die physiologischen und orthopädischen Grundlagender afferenzstimulierenden EinlagenversorgungG r e g o r P f a f f : Der Fuß ist ein sensibles Tastorgan, das bei jedem Schritt Informa-tionen an das Gehirn übermittelt, die wiederum eine Reaktion auf unsere Bewegungzur Folge haben. Die afferenzstimulierende Einlagenversorgung macht sich diesesPrinzip zu Nutze, um über gezielt gesetzte Reize an der Fußsohle Einfluss auf die Be-wegung und die Körperhaltung zu nehmen. Wie das anatomisch und physiologischfunktioniert erläutert dieser Beitrag.

    niert werden, bilden sie sich langsamzurück.

    Eine prinzipiell andere Denkenswei-se wird durch die Anwendung von pro-priorezpetiven, afferenzverstärkendenoder sensomotorischen Einlagen ver-folgt. Sie geht davon aus, dass exzes-sive Bewegungen von einer mangel-haften muskulären Kontrolle ausgehen(mangelnde Innervation, muskuläreDysbalance, Koordinationsstörung).Wenn nun die Muskulatur durch dasSetzen von bestimmten propriorezep-tiven Reizen spezifisch stimuliert wird,kann sie auf die auftretenden Belas-tungen besser reagieren und die Bewe-gungen in einem physiologischen Aus-maß halten. Dies würde bedeuten,dass durch Verbesserung der Fußmus-kelfunktion übermäßige Bewegungendes Fußskelettes vermieden werdenkönnen. Dadurch entstehen günstigereäußere Hebelverhältnisse, welche zukleineren internen Drehmomenten undgeringeren Muskelbelastungen führen.Aktive Bewegungskontrolle bewirkt diephysiologische Belastung der Muskula-tur und die Verbesserung der Bewe-gungs- und Stellungskoordination desFußes. Als Anwender der afferenzsti-mulierenden-sensomotorischen Einla-gen postuliere ich: „Die Form folgt derFunktion“!

    Medreflex Therapiekonzepte GmbH Hesseloherstrasse 6 • 80802 MünchenTel. 089/38799884 • Mobil 0173/8606610Fax 089/38898169 • email: [email protected]

    S o n d e r d r u c ka u s : O r t h o p ä d i e s c h u h t e c h n i k ,S o n d e r h e f t E i n l a g e n ; M a i 2 0 0 4C . M a u r e r D r u c k u n d V e r l a g , G e i s l i n g e n .

    [

    sonderdruck_einlagen 02.07.2004 13:23 Uhr Seite 1

  • [2] O r t h o p ä d i e s c h u h t e c h n i k S o n d e r d r u c k

    Der Fuß als Basis des Bewegungs-apparatesEin Fuß ist aus insgesamt 26 Knochen,einer Vielzahl von Gelenken, über 100Muskeln und Sehnen sowie Fascien zueiner bemerkenswerten Funktionsein-heit von Festigkeit und Elastizität zu-sammengefügt. In Verbindung mit demNervensystem und den nach cranialübergreifenden Muskelgruppen bildetder Fuß den Ursprung unserer Aufrich-tung, die Basis von Stand und Gang,die Voraussetzung für die menschlicheEvolution mit Aufrichtung des Körpersund des freien Gebrauchs der Hände!

    Dabei ist der Fuß durch die inten-sive nervale Versorgung ein sensiblesTastorgan, das über die Temperatur,Festigkeit, Oberflächenbeschaffenheitund Neigung des Untergrundes Infor-mationen an das Gehirn weitergibt(Afferenz).

    Durch die sogenannte sensomotori-sche Integration werden motorischeBefehle erarbeitet, die am Fuß dieaktive Ausbildung der Fußgewölbe jenach Notwendigkeit der Situationsteuern (Efferenz). Dadurch kann derFuß bei jeder dynamischen Belastungquasi „Schritt für Schritt“ die Beschaf-fenheit des Untergrundes ausgleichen,abdämpfen und die Gesamtbewegungdes Körpers aussteuern und damit sta-bilisieren.

    Propriorezeptive Strukturen derFußsohleDie Propriorezeption (Selbstwahrneh-mung) erfolgt reflexartig über geeig-nete Strukturen an der Fußsohle mitWeiterleitung an das Rückenmark undStammhirn (Cerebellum). SpezifischeStrukturen an den Muskeln (Muskel-spindeln), den Sehnen (Golgi-Sehnen-

    Organe), der Haut (Mechanorezepto-ren) und Gelenken (Gelenkrezeptoren),sowie freie Nervenendigungen bildendie afferente Reizinformation desFußes zur Bewegungskoordination.

    Die sensorische Rückmeldung ausden Muskelspindeln verläuft entwederüber schnellleitende Fasern (Ia-Fa-sern) direkt über das Rückenmark miteinem monosynaptischen Dehnungs-reflex zur motorischen Nervenzelleoder über langsamere Rückleitungs-bahnen der Gruppe-II Fasern zum ZNS.

    Die Hauptaufgaben der Muskelspin-deln bestehen darin, die jeweilige Län-gen-, Lage- und Spannungsänderungder Muskulatur dem ZNS rückzumelden.

    Die Charakteristik der Golgi-Seh-nen-Organe dagegen ist genau ge-gensätzlich zum Mechanismus derMuskelspindeln verschaltet. Funktio-nell kann diese gegenseitige Wechsel-wirkung als Balanceakt der neuronalenAnsteuerung verstanden werden, imSinne einer abgestuften Regelung vonHemmung und Erregung. In Abhängig-keit der jeweiligen Belastungssitua-tion können die Golgi-Sehnen-Organejedoch auch fördernd auf die Arbeits-muskeln wirken.

    In den Gelenkkapseln, in den Ligamen-ten, aber auch in der Haut sind weitereRezeptoren vorhanden, die über sensori-sche Rückmeldungen die Lage der Gelenkeermitteln oder Druck- und Zugkräfte sig-nalisieren. In der Haut des Fußes zum Bei-spiel gibt es drei Mechanorezeptoren, diesensorische Signale an das zentraleNervensystem leiten. Unter der Epidermisbefinden sich die Rezeptoren der Mer-kel´schen Zellkomplexe, die sich langsamdem Druck und der Deformation der Hautanpassen.

    Meissner´sche Korpuskel reagieren se-lektiv auf Vibrationen. Sie lie-gen direkt unter der Hautober-fläche und antworten schnellauf Signale zwischen fünf undvierzig Hertz.

    Paccini Korpuskel in dersubkutanen Schicht reagie-ren auf hochfrequente Sig-nale zwischen 60 und 300Hertz.

    Sensomotorische IntegrationMit Ausnahme der Muskel-spindeln besteht die Aufga-be der Mechanorezeptorenund der freien Nervenen-dungen in der sensorischen

    Rückmeldung zu einem spinalen Zwi-schennetzwerk. Dieses Netzwerk be-steht aus zahlreichen Interneuronen,die über einfache oder mehrfache Ver-schaltungsebenen mit den motori-schen Nervenzellen der Muskulaturverbunden sind. Unter Abstimmungvon erregenden und hemmenden Rück-meldungen werden Impulse an motori-sche Nervenzellen weitergeleitet.

    Die Propriorezeption wird durchsogenannte Exterorezeptionen (Sin-neswahrnehmungen) ergänzt. Dazugehören das räumliche Sehen, der Hör-und Gleichgewichtssinn, die Kopfkon-trolle des cervicocephalen Übergan-ges, die craniomandibuläre Funktionsowie die Viszerorezeption über me-chanische, chemisch-sensitive oderfasziale Rezeptoren sowie die Ther-morezeption (Abb. 1).

    Die sensomotorische Steuerung (Ef-ferenz) wird also aus dem Abgleichpropriorezeptiver und exterorezeptiverImpulse stets von zentralen Kontroll-mechanismen situativ angepasst (sen-somotorische Integration – „Just inTime“ – Regulation), so dass man voneinem, aus vielen einzelnen Systemenbestehenden, Gesamtkommunikations-system sprechen kann (Abb. 2).

    Bandapparat und MuskelsystemeDas Fußgerüst ist durch Muskelzügeaktiv und durch einen außerordentlichkräftigen Bandapparat passiv in sichverspannt. Der Bandapparat des Fußesgliedert sich in drei Schichten. An derOberfläche spannen sich die Apo-neurosis plantaris, in der mittlerenSchicht das Ligamentum plantare lon-gum und in der tiefsten Schicht dieplantaren Verstärkungsbänder wie zumBeispiel das Ligamentum calcaneo naviculare plantare.

    Als aktives Spannungssystem wir-ken in erster Linie die kurzen Muskelnder Fußsohle. Ihre Anspannung unter-stützt die Längsgewölbebildung, ihreTransversalkomponenten sichern außer-

    2 Verschaltungsebenen der Sensomotorischen Integra-tion (Abb. aus Gollhofer, Lohrer, Alt, Sonderheft Pro-priozeption)

    SENSOMOTORIK] Grundlagen

    1 Sinneswahrnehmungen (Abb. aus Gollhofer, Lohrer,Alt, Sonderheft Propriozeption)

    Die Propriozeption: häufig auch Kinästhesie oder Tiefenwahrneh-mung genannt, organisiert den Stellungs-,Kraft- und Bewegungssinn über die mechani-sche Beanspruchung ihres Rezeptorsystems. DieInformation kommt aus dem eigenen Körper(Proprio-).

    Die Exterozeption: umfasst die sensorische Qualität unseres Seh-,Hör- und Gleichgewichtsinns. Die Informationkommt aus der Umwelt (Extero-).

    Die Viszerozeption: über mechanisch oder chemisch sensitiveRezeptoren wird die Empfindung der innerenOrgane vermittelt.

    Die Thermorezeption: thermisch sensitive Rezeptoren meldenTemperatureindrücke zurück.

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  • [3]O r t h o p ä d i e s c h u h t e c h n i k S o n d e r d r u c k

    tonus an der Fußsohle individuell über-prüfen. Dabei werden insbesondere dieoben genannten kurzen und langenFußmuskeln untersucht. Anhand desKoordinationstestes werden schwacheFußmuskeln identifiziert und die damitkorrespondierenden Einlegesohlenarealeauf einem entsprechenden Formblattmarkiert. Wahlweise wird ergänzendein Fußabdruck genommen. Diese um-fassende Untersuchung ist mittlerweileetabliert und durch den Berufsverbandder Orthopäden anerkannt.

    Aufbau der SpezialeinlagenAfferenzstimulierende Einlagen könnenauf unterschiedliche Art und Weisehergestellt werden. Verbreitet sind derAufbau der Funktionselemente in derklassischen Einlagentechnik wie auchdie computergestütze Herstellung miteiner Fräse. In unserer Praxis verwen-den wir die patentgeschützten Spezial-einlagen nach Frau Prof. Fusco, Italien(KS-Medical Attivo/Fa. MEDREFLEXGmbH). Sie haben 7 befüllbare, mit derAnatomie des Fußmuskelsystems kor-respondierende einzelne Kammern.Nach den Aufzeichnungen des unter-suchenden Orthopäden werden die Einlegesohlen hergestellt und befüllt.Prallelastisch befüllte Kammern stimu-lieren gezielt die schwachen Fußmus-keln. Die Dosierung wird vom Arzt individuell festgelegt und im Therapie-verlauf angepasst.

    Neben diesen aktiven Funktionenhaben die prallelastischen Polsterauch passive Eigenschaften (Stützung,Weichbettung und Freilegung von Kno-chen). ( Abb. 5 und 6).

    DokumentationsverfahrenHaltungs- und Bewegungsänderungendurch sensomotorische Spezialeinla-gen werden durch das stato-dynami-

    Sensomotorische Einlagen-versorgungBei ca. 80 Prozent der Patienten einerkonservativen orthopädischen Praxisfindet man Störungen der fußgewölbe-bildenden, den Abrollvorgang steuern-den Fußmuskeln. In den meisten die-ser Fälle ist eine Versorgung mit affe-renzverstärkenden, sensomotorischenSohlen möglich beziehungsweise an-gebracht.

    Dies gilt besonders, wenn man da-mit nicht nur auf die Fußmuskel-schwäche, sondern auch auf die Ge-samthaltung und Bewegungskoordina-tion einwirken will. Bei massiven Ver-änderungen der Fußform sind passive,stützende oder bettende Maßnahmenalleine oder in Kombination mit akti-vierenden, afferenzverstärkenden Ele-menten indiziert.

    Da sensomotorische Einlegesohlenauch auf den gesamten Koordinations-ablauf von Haltung und Bewegungeinwirken, müssen in einem orthopä-dischen Untersuchungsablauf das pro-priorezeptive und muskuloskelettale System einerseits und die Exterorezep-toren andererseits in Verbindung ge-bracht werden. Speziell ausgebildeteOrthopäden können durch einen sen-somotorischen Koordinationstest (neu-rologische Rückmeldung des Funktions-zustandes eines Muskels) den Muskel-

    dem das Quergewölbe des Fußgerüstes. Die langen Muskeln der Fußsohle

    sind besonders wichtig für die Ver-klammerung des Fußgerüstes zursteigbügelartigen Fußgewölbeunter-stützung (Muskulus tibialis posterior,Muskulus peroneus longus, Muskulusperoneus tertius und Muskulus tibialisanterior). (Abb. 3, Abb. 4)

    Das vordere Quergewölbe bilden:M. flexor hallucis brevis M. adduktor hallucisM. flexor digiti minimiDas mediale Längsgewölbe bilden:M. flexor hallucis brevisM. abduktor hallucis

    Das laterale Längsgewölbe bilden:M. flexor digiti minimiM. abduktor digiti minimi

    Im Allgemeinen sind am normalenFuß die Adduktoren den Abduktorenüberlegen. Je mehr der Fuß proniert,desto mehr verschiebt sich dieses Ver-hältnis, beim Pes planus sind die Ad-duktoren quasi insuffizient.

    3 Torsions-/Abrollschlinge: M. peroneus longus und M.tibialis posterior bilden eine steigbügelartige Schlaufeunter der Fußsohle. Beim Abrollen kontrahieren diesebeiden Muskeln und wirken im Sinne einer Abroll-schlinge. Die Gewölbestabilität wird während desbelastungsintensiven Abrollens gleich dreifach unter-stützt: Torsion, Verklammerung, Anheben.

    4 Die Muskeln an der plantaren Seite span-nen die Wölbung bei Kontraktion wie einenBogen. Ein muskuläres Ungleichgewicht die-ser Muskelgruppen verändert die Längswöl-bung. Durch die rechtwinklige Abknickungvon Unterschenkel und Fuß entsteht einWinkelhebel, der der Fortbewegung dient.Unterschenkel und Fuß stellen die unter-stützende Tragfläche für den Körper dar.

    [SENSOMOTORIKGrundlagen

    6, 7 Dreidimensionale Vermessung der Wirbel-säule, links vor der Einlagenbehandlung, rechtsnach der Einlagenbehandlung.

    5 Einlagen nach Dr. Fusco: Oberseite (l.)/Unterseite (r.)

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  • [4] O r t h o p ä d i e s c h u h t e c h n i k S o n d e r d r u c k

    Seit Jahren stehen neue Produkteder Einlagenversorgung zur Diskus-sion. Unter vielen Namen verbergensich gleichartige Wirkungsziele an-

    gefangen über Nancy Hylton, neurolo-gische Einlagen, propriozeptive Einla-gen, sensomotorische Einlagen, kine-siologische Einlagen bis afferenzsti-mulierende und afferenzverstärkendeEinlagen. Damit haben die klassischenbettenden, stützenden und korrigie-renden orthopädischen Einlagen neueWirkungsfelder hinzugewonnen, diesich auch wirtschaftlich im Gesund-heitswesen auswirken. Die Indikatio-nen werden je nach Anbieter sehr weitgestellt.

    Ein jeder kennt die Erfahrung desGangbildes im Barfußgang auf unter-schiedlichen Boden- und Belags-verhältnissen und wie sich dieseInformationsübermittlung der Plantar-sensibilität und Tiefensensibilität aufdie Körperhaltung und die Gleichge-wichtsorgane auswirken. Dieses zu er-fassen und in ein mögliches Diagnose-schema und eine Versorgungsempfeh-lung zu formen, ist gemeinsame Auf-gabe der Ärzte, Physiotherapeuten undOrthopädieschuhtechniker und Ortho-pädietechniker.

    Orthesen im Fußbereich haben da-mit über die primären Zielsetzungeneiner statischen Kompensation vorlie-gender Fehlformen auch die Aufgabeder Funktionsverbesserung aller Bewe-gungsorgane. Dabei überrascht esnicht, dass auch Anpassungen an ge-gebene Veränderungen und Therapeu-tika eintreten. Anfangserfolge haltenzum Teil über Gewöhnungseffekte

    nicht an oder sind möglicherweiseauch nur scheinbar zu Gunsten besse-rer Bewegungsmuster nicht mehrnachweisbar.

    So treffen euphorische Befürworterbestimmter Orthesenanwendungenauch mit Nachweis erzielter Anfangs-erfolge auf entschiedene Ablehnungder kritischen Beobachter undNachuntersucher bei nicht anhalten-dem Wirkungsnachweis.

    Die Voraussetzung der Kenntnisphysiologischer und pathophysiologi-scher Abläufe der Bewegungsmusterbetroffener Muskelketten bereitet oft-mals sowohl bisher nicht mit denKrankheitsbildern vertrauten Ärztenals auch besonders den Technikern mitnicht ausreichender Vorbildung erheb-liche Schwierigkeiten.

    Dieses um so mehr, als es jeweilsindividuelle Gegebenheiten der Krank-heitsbilder zu erfassen gilt. Die Umset-zung auf die Orthese erfordert sehr vielErfahrung im Umgang mit den Materia-len. Kochrezeptartige Muster könnennicht angewendet werden.

    Der Blickwinkel ist vom Fuß auf diegesamten Bewegungsorgane zu rich-ten. Die vielfach angewendete Be-trachtungsweise statischer Vorgängebei der Indikationsstellung – bettend,stützend und korrigierend – mussdurch die Erfassung der Bewegungsab-läufe, der Muskelketten und der Bewe-gungsmuster erweitert werden. Damitwird die Befunderhebung und Doku-mentation besonders bedeutsam, dadie Einwirkung der Orthese überprüftund häufig auch korrigiert werden muss.

    Sensomotorische Vorgänge zu erfas-

    sen und zu dokumentieren erfordertSorgfalt und Zeit. Dieser Aufwandschlägt sich auch in der Kostenaufstel-lung nieder. Die gesetzlichen Kranken-kassen lehnen allerdings häufig unterHinweis auf die Beurteilung des Medi-zinischen Dienstes der Krankenkassendie Kostenübernahme ab. Als Begrün-dung wird angegeben, der Wirksam-keitsnachweis sei nicht ausreichendbelegt.

    In der Tat trifft man bei der Durch-sicht der inzwischen recht vielfältigenLiteratur auf nur wenige wirklich aus-sagekräftige Analysen und prospektiveStudien. Dieses liegt in wesentlichenTeilen daran, dass die physiologischenund anatomischen Gegebenheiten mitihren Varianten nicht ausreichend be-kannt sind oder berücksichtigt werden.Orthopädische Kenntnisse sind mitphysiologischen und physikalischenVorgängen zu paaren. Schon allein dieunterschiedlich reagierenden anatomi-schen Vorfußformvarianten in Verbin-dung mit den bereits nach Wachstums-abschluss beginnenden alters -und be-

    SENSOMOTORIK] Grundlagen

    sche Messverfahren der dreidimensio-nalen Wirbelsäulenvermessung (Sys-tem Formetric) dokumentiert. Im Be-handlungsverlauf werden notwendigeÄnderungen der Befüllungen durch diedreidimensionale Wirbelsäulenvermes-sung erkannt und die Wirksamkeit derBefüllungsanpassung überprüft (Abb.6,7). ]

    ● ● Anschrift des Verfassers:Gregor PfaffFacharzt für OrthopädieHaimhauserstr. 180802 München

    Aus: Orthopädieschuhtechnik Sonderheft Einlagen;Mai 2004, Seite 50–54

    Literatur:1. Lanz, v.T., Wachsmuth, W. (2004): Bein und Sta-tik, Kopf- übergeordnete Systeme, Springer Verlag2. Thomsen, W. (1944): Kampf der Fußschwäche, 3. Auflage Lehmanns JF München3. Göderlein, L., Wenz, W., Schneider U. (2002): DerKnickplattfuß, Springer Verlag4. Gollhofer A., Lohrer, H., Alt, W. (2000): Propriore-zeption, grundlegende Überlegung zur sensomotori-schen Steuerung, Sonderheft Orthopädieschuhtech-nik Propriorezeption, 5. Larsen, Ch. (2003): Füße in guten Händen, GeorgThieme Verlag6. Larsen, Ch. (2001): Spiraldynamik, Via Nova Ver-lag7. Fusco, M. A. (2000): Textbook and Atlas of plan-tar Postorology, Scideri Editrice8. Bricot, B. (1996): La Riprogrammazione Posturale,Sauramps Medical9. Jäger, M. Wirth, C. J. (1992): Praxis der Orthopä-die, Georg Thieme Verlag10. Hochschild, J. (2002): Strukturen und Funktio-nen begreifen (LWS, Becken und Hüftgelenk, untereExtremität), Georg Thieme Verlag

    11. Kendall, F., Kendall, I. (1998): Muskeln (Funktio-nen und Tests), Gustav Fischer Verlag12. Nigg, B. (1999): Sporteinlagen - Ein neues Kon-zept, OST Sonderheft Juni 2000

    Abbildungsnachweis: Abbildung 3 mit freundlicher Genehmigung des Thie-me-Verlages entnommen aus: Christian Larsen: Füße in guten Händen. Spiraldyna-mik – programmierte Therapie für konkrete Resulta-te, Thieme 2003.

    Abbildung 4 mit freundlicher Genehmigung des Hip-pokrates-Verlages entnommen aus:Reichel, Ploke: Physiotherapie am Bewegungs-system, Hippokrates 2003.

    Abb. 1 und 2 aus Gollhofer, Lohrer, Alt: Propriozepti-on - Grundlegende Überlegungen zur sensomotori-schen Steuerung. Orthopädieschuhtechnik, Sonder-heft Propriozeption, 2000

    [

    sonderdruck_einlagen 02.07.2004 13:23 Uhr Seite 4

  • [5]O r t h o p ä d i e s c h u h t e c h n i k S o n d e r d r u c k

    [SENSOMOTORIKGrundlagen

    Afferenzverstärkende („propriozep-tive“) Einlagen zeigen in der Be-handlung des funktionellen Pesequinus bei Kindern mit infantiler

    Cerebralparese (ICP) eine Wirksamkeitin Bezug auf die Standphase, die Dop-pelstandphase und die Einzelstand-phase (Schwungphase). Während un-ter Nutzung der speziellen Einlagendie Stand- und Doppelstandphase sich

    Afferenzverstärkende Einlagen zurTherapie des funktionellen spasti-schen SpitzfußesU l r i c h H a f k e m e y e r, D a n i e l a P o p p e n b o r g ,C . M ü l l e r - G l i e m a n n : An der Klinik für Techni-sche Orthopädie in Münster konnte in einer Studiegezeigt werden, dass durch afferenzstimulierendeEinlagen eine Veränderung wesentlicher Gang-parameter erreicht werden kann. Voraussetzung für einen positiven Effekt ist jedoch immer diebefundorientierte und individuelle Indikation.

    verlängert, kommt es zu einer Verkür-zung der Schwungphase. Wir konntenim Einzelnen eine Verlängerung derFersenkontaktzeiten, eine Vergröße-rung der plantaren Belastungsflächesowie eine verbesserte zeitliche Diffe-renzierung zwischen Zehen- und Fer-senkontakt beobachten.

    Die tendenzielle Veränderung dervorgenannten Parameter ließ sich inEinzelfällen bereits beim Tragen vonSchuhen ohne Einlagen beobachtenund wurde unter Nutzung von Schuhenmit den afferenzverstärkenden Einla-gen weiter verstärkt. Festgestellt wer-den konnten jedoch auch gegenteiligeWirkungen bei Kindern mit ICP undfunktioneller Spitzfüßigkeit. Daherkann zum jetzigen Stand der Untersu-chung keine allgemeine Wirksamkeitder Einlagen konstatiert werden. DieIndikation muss individuell gestelltwerden.

    Material und MethodeIn der vorgestellten Studie befindensich insgesamt 20 Kinder und Jugend-liche im Alter zwischen 3 und 18 Jah-

    lastungsabhängigen Gewebs- undFormveränderungen erschweren dieDiagnostik und anzusetzenden Thera-piemaßnahmen.

    In den mir bekannten Publikatio-nen wird jedoch auf diese Vorausset-zungen überhaupt nicht eingegangen.Es wird über den Normalfuß geschrie-ben, ohne zu definieren wie der Nor-malfuß gestaltet sein soll – ohne Al-tersangabe, ohne Körperstatur. Ähn-lich wird mit der elektronischen Druck-verteilungsmessung verfahren.

    Die durch die Maßnahmen erzieltenWirkungen werden nicht auf Form- undAltersvarianten bezogen, sondern nurpauschal als wirksam bezeichnet. Auchfehlen klar gegliederte Langzeitbeo-bachtungen, wie sie gerade bei denFußorthesen dringend erforderlich

    wären. Der „Beratungsausschuss derDeutschen Gesellschaft für Orthopädieund orthopädischen Chirurgie für dasHandwerk Orthopädieschuhtechnik“hat sich in seiner Sitzung am 24. Ja-nuar 2004 eingehend durch drei Refe-renten informieren lassen und dieProblematik diskutiert. Diese Referatefinden sich auch in diesem Sonderheft(Hafkemeyer, Hoffmann, Pfaff). Darü-ber hinaus beleuchten weitere Beiträ-ge das Thema aus wissenschaftlicherund klinischer Sicht. Sie sollen dazubeitragen, die Diskussion um dieseVersorgung zu befruchten und Wegezu einer wissenschaftlichen und prak-tischen Erschließung dieser Versor-gungstechnik zu weisen.

    Bis diese Einlagen zu einer von me-dizinischer Seite und von Seiten der

    Kostenträger voll anerkannten Versor-gungstechnik werden, muss sichernoch viel Arbeit geleistet werden. DerBeratungsausschuss erarbeitet derzeiteine Stellungnahme zu dieser Art Ein-lagen. Schon jetzt ist abzusehen, dassbei den komplexen Vorgängen nur eineTeamarbeit aussagekräftige und ver-wendbare Ergebnisse erwarten lässt. ]

    Dr. Jürgen EltzeVorsitzender des Beratungsausschussesfür das Orthopädieschuhmacherhand-werk der Deutschen Gesellschaft fürOrthopädie und Orthopädische Chirur-gie (DGOOC)

    Aus: Orthopädieschuhtechnik Sonderheft Einlagen;Mai 2004, Seite 5

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    sonderdruck_einlagen 02.07.2004 13:23 Uhr Seite 5

  • [6] O r t h o p ä d i e s c h u h t e c h n i k S o n d e r d r u c k

    SENSOMOTORIK] Grundlagen

    ren, die an einer infantilen Cerebralpa-rese erkrankt sind und das klinischeBild einer spastischen Di- oder He-miparese zeigen. Bei den Diparesenfinden sich sowohl weitgehende Sym-metrien der betroffenen Extremitäten,aber auch teilweise deutliche Seiten-betonungen. Alle in die Studie ein-geschlossenen Patienten sind selbst-ständig frei steh- und gehfähig.

    Gemessen wurde mit dem GAITRite-System, das in der Lage ist, Raum-Zeit-Parameter zu erfassen und auszu-werten. Dabei handelt es sich um eineelektronische Gangmatte, die druck-sensitiv reagiert, die Länge der Einzel-und Doppelschritte misst, die Schritt-breite sowie Innen- und Außenrotati-onswinkel bestimmt, die Schrittfre-quenz erfasst und die Dauer der Einzel-und Doppelschritte sowie der Einzel-und Doppelstandphasen berechnet.Zusätzlich ist die Geschwindigkeit alskombinierter Parameter mit diesem System erfassbar. Von besonderem In-teresse für diese Untersuchung sindweiterhin die Kontaktzeichen von Vor-und Rückfuß.

    MessprotokollEs umfasst folgende Messsituationen:– Barfuß– mit Schuhen ohne Einlagen– mit Schuhen mit afferenzverstärken-

    den EinlagenDie Reihenfolge dieser drei Situa-

    tionen wurde variiert und beginnt zu-meist mit der Versorgung, die das Kindbeim Betreten des Ganglabors trägt.

    ErgebnisBeim Vergleich vom Barfußgang mitdem Gang mit Schuhen ohne Einlagenbeobachten wir eine Zunahme derStand- und Doppelstandphasen und ei-ne Abnahme der Einzelstandphasen(Schwungphasen).

    Bei Kindern mit einem spontanenFersenbodenkontakt ist eine Verlänge-rung der Fersenkontaktzeiten sowie eineZunahme der zeitlichen Differenz zwi-schen Zehen- und Fersenkontakt zubeobachten. Diese Unterschiede sindsowohl zwischen Barfußgang und demTragen von Schuhen ohne Einlagen zuerkennen, aber auch zwischen demTragen von Schuhen ohne und mit Ein-lagen.

    FazitZum jetzigen Zeitpunkt der Untersu-chung ist eine Wirksamkeit der affe-renzverstärkenden Einlagen bei einerVielzahl der untersuchten Kinder fest-zustellen. Daraus lässt sich jedoch kei-ne allgemeine Wirksamkeit der Einla-gen ableiten. Die Indikation sollte da-her befundorientiert und individuellgestellt werden!

    Die bei der Klinischen Untersu-chung beobachtete Harmonisierungdes Gangbildes konnte durch die Mess-methode zum Teil bestätigt werden.Die von den Eltern geschilderten teil-weise sehr positiven Beobachtungenwie die Verbesserung der Ausdauer,verbesserte Konzentration und die po-sitive Beeinflussung der Sprache las-sen sich jedoch mit dem GAITRite-Sys-tem nicht objektivieren. ]

    ● ● Anschrift für die Verfasser:Dr. Ulrich HafkemeyerKlinik und Poliklinik für Technische OrthopädieRobert-Koch-Straße 3048149 Münster

    Aus: Orthopädieschuhtechnik Sonderheft Einlagen;Mai 2004, Seite 64–65

    LiteraturBrinckmann P. (1981) Die Richtung der Fußlängsach-se beim Gehen. Z Orthop 119: 445–448Chodera J.D., Levell R.W. (1973) Foot Print Patternduring walking in Kennedy, Ed: Perspectives in Bio-med. Engineering. Pp 81–90Hafkemeyer U., Möller M., Wetz H.H. (2002) Affe-renzverstärkende (propriozeptive) Einlagen. OT 6:518–521Hafkemeyer U., Poppenborg D., Drerup B., Möller M.,Wetz H.H. (2002) Improvements of Gait in paraple-gic patients using proprioceptive insoles. Gait andPosture, Volume 16, Supplement 1, 157–158. ISSN0966-6362Mommsen F. (1933) Die Änderung des menschlichenGanges unter der Einwirkung orthopädischer Hilfs-mittel. Verhandlungen der deutschen orthopädi-schen Gesellschaft. 27. Kongress der deutschen or-thopädischen Gesellschaft in Mannheim, 271 ff.

    Beispiel einer afferenzstimulierenden Einlage

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  • [7]O r t h o p ä d i e s c h u h t e c h n i k S o n d e r d r u c k

    Die postoperative Versorgung vonKindern mit ICP befindet sich in ei-nem stetigen Wandel. Waren vorJahren lange Zeiten der Immobilisa-

    tion die Regel, so gibt es heutzutageimmer mehr Zentren, die auf eine früh-funktionelle Nachbehandlung setzen.Dies trägt dem Prinzip Rechnung, dassbei Kindern mit infantiler Cerebralpa-rese primär nicht die Statik, sondernim Wesentlichen die Funktion gestörtist und verbessert werden soll. Erst se-kundär entwickeln sich durch die feh-lende Funktion Probleme in der Statik.

    Im Zentrum für Kinderorthopädieim Orthozentrum München versuchenwir dieses Prinzip der Funktionsverbes-serung durch frühfunktionelle Nachbe-handlung in der postoperativen Phasekonsequent in allen Bereichen umzu-setzen. Wichtig ist für uns deshalb,schon bei der Operationsplanung Ver-fahren zu wählen, die eine sofortigeoder frühe Belastung erlauben.

    Für die Behandlung von Fuß- undBeinproblemen vermeiden wir deshalbmöglichst eine Ruhigstellung im zir-kulären Gips oder in einer starren Or-these. Dies ist bei fortgeschrittenensekundären Deformierungen des Fuß-skeletts aber leider manchmal nichtmöglich.

    Primäres Problem bei der Cerebral-parese ist die gestörte zentrale Steue-rung der Muskulatur mit einer hierausfolgenden muskulären Schwäche. Be-

    sonders zwei- und mehrgelenkige Mus-keln zeigen im Weiteren eine spasti-sche Tonuserhöhung, die neben dermuskulären Schwäche auf die FunktionEinfluss nimmt. So entwickeln sichwährend des Wachstums immer ausge-prägte Muskelungleichgewichte, diedie Entwicklung von sekundären Mus-kelkontrakturen begünstigen. Tertiärkönnen darüber hinaus Deformierun-gen des Fußskeletts entstehen. Durcheine operative Behandlung sollen diesekundären Muskelkontrakturen undeventuell die hierdurch bedingten ter-tiären knöchernen Deformierungenkorrigiert werden.

    Verkürzungen der Weichteile beste-hen immer bei ICP im Bereich des Mus-kelbauches und nicht im Sehnenver-lauf. Sie werden am besten durch eineintramuskuläre Verlängerung korri-giert. Durch den gestörten Muskelzugverändert sich die Knochenform imSkelettwachstum. Solche Veränderun-gen sollten durch entsprechende Um-stellungsosteotomien normalisiertwerden (Evans, Lambrinudi, Chevron,Akin). Alle vorhandenen Deformierun-gen sollten im Interesse der Kinder aufeinmal operiert werden (Multi-Level-Eingriffe).

    Anschließend muss aber unbedingtversucht werden, die primär gestörteSteuerung zu beeinflussen, sonst wirddas erreichte OP-Ergebnis nur von kur-zer Dauer sein.

    Afferenzstimulierung erhält und stabilisert KorrekturDie zentrale Steuerung der Muskulaturist keine unveränderbare Größe, son-dern unterliegt einer ständigen Beein-

    Die Postoperative Versorgung mitafferenzstimulierenden Einlagen beiICP und angeborenem KlumpfußP e t e r B e r n i u s : Durch eine operative Behandlung bei ICP sollen Muskel-kontrakturen und knöcherne Deformierungen korrigiert werden. Der Einsatzafferenzstimulierender Einlagen nach der Operation zeigt meist einen deutli-chen positiven Effekt auf die Tonusverhältnisse der Muskulatur und trägt sowesentlich zum Erhalt und zur Stabilisierung der Korrektur bei. Die Erfahrun-gen mit den Einlagen haben auch dazu geführt, dass eine knöcherne Korrek-tur des spastischen Spitz-Knick-Fußes im Rahmen des Ersteingriffes nur nochselten durchgeführt wird.

    flussung. Die Propriozeption spielt da-bei als ein beeinflussbarer Faktor mit.Seit Jahren wird dies unterschiedlicherfolgreich mit speziellen Fußbettun-gen in Einlagen und Orthesen durchge-führt. Zeigen Kinder mit ICP bei Steh-und Laufbeginn eine rein tonischeSpitzfußhaltung unter Belastung, sokann dies mit entsprechenden Einla-gen in der Regel völlig korrigiert wer-den. Sind die später sich entwickeln-den Kontrakturen durch Operation be-seitigt, haben wir wieder die Situationerreicht, dass passiv freie Beweglich-keit besteht. Dann ist auch wieder derEinsatz der Einlagen sinnvoll. Postope-rativ ist die fußstabilisierende Musku-latur meist sehr geschwächt, so dassnur durch eine kräftige Stimulation dieMuskulatur ausreichend wirken kann.

    Bei Kindern mit ICP vom Typ einerTetraparese überwiegt die Zahl derKnickfüße, bei Hemiparesen dagegendie Klumpfußfehlhaltung. Bei überwie-gender Schwäche des M. tibialis pos-terior ist eine Aktivierung über einekräftige Sustentaculumstütze mitDruck auf das Retinaculum flexorumnotwendig. Bei fehlender Fußaußen-randhebung benötigen die Füße eineStimulation der peronealen Muskulaturdurch einen Pronationskeil mit Druckauf die Peronealsehnenscheide.

    In der postoperativen Phase führenwir bei reinen Weichteil-Operationeneine Ruhigstellung im zirkulären Soft-castverband für 5 Tage durch. Direkthiernach wäre eine Einlagenfertigungwünschenswert. Aufgrund der heuteschwierigen Finanzlage der gesetzli-chen Krankenkassen gestaltet sich dieGenehmigung jedoch sehr schwierig.Es vergehen mindestens vier, häufigauch mehr Wochen bis zum Erhalt derKostenübernahmezusage. In dieserZeit tragen unsere Patienten semi-rigide abnehmbare Unterschenkel-schienen bei deutlicher Muskel-schwäche und Instabilität der Fußwur-zelgelenke oder knöchelübergreifendeTherapieschuhe bei geringer Instabi-lität.

    [SENSOMOTORIKGrundlagen

    [

    sonderdruck_einlagen 02.07.2004 13:24 Uhr Seite 7

  • SENSOMOTORIK] ICP

    [8] O r t h o p ä d i e s c h u h t e c h n i k S o n d e r d r u c k

    Indikation für Einlagen wurde erweitertIn der Vergangenheit ohne afferenz-stimulierende Einlagen haben wirhäufig gesehen, dass die präoperati-ve Muskelimbalance sich mit demnächsten Wachstumsschub wiedereinstellt. Zu Beginn des Einsatzesvon afferenzstimulierenden Einlagennutzten wir sie besonders beim aus-schließlichen tonischen Spitzfuß undbeim leichten Knickfuß. Bei schwerenInstabilitäten stabilisierten wir mitSprunggelenksorthesen.

    Durch die unerwartet guten Erfah-rungen sind wir aber dazu übergegan-gen, auch schwerere Instabilitätenmit Einlagen zu versorgen. Dabei istes erforderlich die Pelotten entspre-chend dem Grad der Muskelschwächezu erhöhen. Auch bei extremen Pelot-ten bis über 3 cm Höhe sahen wir da-bei keine Druckprobleme, solange diePositionierung richtig gewählt war.

    Doch gilt im gleichen Maß wie beider Orthesenversorgung: „Die mögli-che Korrektur durch das Hilfsmittelist niemals größer als die manuelleKorrigierbarkeit durch den untersu-chenden Arzt.“ Dieser Grundsatz wirdleider immer wieder missachtet. Dieoperative Behandlung muss deshalbunbedingt physiologische Beweglich-keit in den Gelenken erreichen.

    Bei Kindern mit ICP sollte dabeiimmer die Gesamtbewegung der Bei-ne beachtet werden. Operationen dienur die Füße korrigieren, Kontraktu-ren an Knie und Hüften und Achsfeh-ler der Beine aber belassen, werdenniemals zu einem Erfolg führen.

    Seit Ende 2002 haben wir im Zen-trum für Kinderorthopädie im Ortho-zentrum München über 300 Kindermit ICP meist in Form von Multi-Le-vel-Operationen behandelt und post-operativ mit afferenzstimulierendenEinlagen versorgt. Die Auslieferungerfolgte meist zwischen der sechstenund achten Woche postoperativ. Die

    Akzeptanz der Einlagen von Seitender Kinder war sehr gut. Weniger alsfünf Prozent klagten über die ersteWoche hinaus über Druckprobleme. Indiesen Fällen musste in der Regel dieSustentakulumstütze erhöht werden.Nur in wenigen Fällen musste eine zuweit vorne unter dem Taluskopfsitzende Pelotte nach hinten unterdas Sustentakulum rückversetzt wer-den.

    Knöcherne Korrekturen seltener nötigIn der Langzeitkontrolle von inzwi-schen etwa 200 Kindern über ein hal-bes Jahr nach Operation zeigte sich ei-ne bessere muskuläre Stabilisierung inüber 50 Prozent auch im Barfußstand.

    Durch diese sehr positiven Erfah-rungen haben wir unser Behandlungs-konzept geändert und führen eineknöcherne Korrektur des spastischenSpitz-Knick-Fußes im Rahmen des Erst-eingriffes nur noch selten durch.

    Heute korrigieren wir primär dieWadenmuskelverkürzung im Rahmeneines meist Multi-Level-Weichteil-OP-Programms und versorgen den Knick-fuß mit einer supinierenden Einlage.Nur wenn sich der Rückfuß hierunternicht innerhalb eines Jahres stabili-siert und aktiv aufrichtet, überdenkenwir die Indikation zur Calcaneusver-längerung nach Evans erneut.

    Afferenzstimulierende Einlagenauch nach KlumpfußoperationAuch die Behandlung des kongenitalenKlumpfußes hat in den letzten Jahreneinen erheblichen Wandel erfahren zumehr Funktion und Bewegung. Diesbegann mit einer Änderung der prä-operativen Redressionsbehandlung inRichtung Dimeglio-Methode. Auch diepostoperative Gipsruhigstellung wurdeverkürzt und teilweise verlassen.

    Die operative Behandlung des an-geborenen Klumpfußes umfasst unab-hängig vom Ausmaß der Deformierungeine Lösung des oberen und unterenSprunggelenks von dorsal, dorsomedialund peritalar im Rahmen der Primär-operation. Bei Rezidiveingriffen werdenbereits eingetretene Sekundärdefor-mierungen der Knochen gegebenenfallsmitkorrigiert (Kuboidkeilentnahme, auf-klappende Cuneiforme-Osteotomie,Dwyerosteotomie).

    In der Einlagen- und Orthesenver-sorgung versuchen wir ebenfalls kon-

    sequent mehr „richtige Bewegung“ zu-zulassen, indem wir seit Ende 2002starre, Bewegung behindernde 3-Punkt-Einlagen zu Gunsten afferenz-stimulierender Einlagen ausgetauschthaben, entsprechend dem orthopädi-schen Grundprinzip „Form followsFunction“. Durch eine Einschränkungder Abrollfunktion müssen wir dem-nach unser eigenes Rezidiv provozie-ren. Nach anfänglicher Skepsis sind wirinzwischen von diesem Prinzip selbstüberzeugt.

    Seit Ende 2002 haben wir 15 Kindernach primärer und 25 Kinder nach se-kundärer Klumpfuß-OP mit afferenzsti-mulierenden Einlagen versorgt. Im Ge-gensatz zu herkömmlichen 3-Backen-Einlagen hat sich hierunter die passiveBeweglichkeit im Verlauf über mindes-tens 6 Monate signifikant gebessertund das klinische Abrollbild nach sub-jektiver Beurteilung durch die Elternund betreuenden Therapeuten verbes-sert.

    ZusammenfassungDer Einsatz afferenzstimulierender Ein-lagen zeigt bei Kindern mit ICP meisteinen deutlichen positiven Effekt aufdie Tonusverhältnisse der Muskulatur,solange keine wesentlichen sekun-dären und tertiären Deformitäten vor-liegen. Ihre Akzeptanz bei den Kindernist fast immer besser als die starrer Or-thesen.

    Nach operativer Behandlung vonSekundär- und Tertiärveränderungenwurden bisher meist starre Ortheseneingesetzt. Unsere Erfahrungen mit af-ferenzstimulierenden Einlagen gebenAnlass zu der Vermutung, dass eine dy-namische, muskelaktivierende Versor-gung mindestens gleichwertig, wennnicht sogar überlegen ist. Durch ran-domierte Studien sollte dies in Zukunfthinterfragt werden. ]

    Aus: Orthopädieschuhtechnik Sonderheft Einlagen;Mai 2004, Seite 50–54, 66–68

    ● ● Anschrift des Verfassers:Dr. Peter BerniusChefarztZentrum für KinderorthopädieOrthozentrum MünchenHarlachinger Str. 5181547 München

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