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29 Praxis aktuell: Fachkräftemangel und De-Qualifizierung Sozial Extra 3|4 ’12: 29-31 DOI 10.1007/s12054-012-0038-2 Zunahme von Prekarisierung in der Sozialarbeit Die höhere Zahl an Stellen heißt aber nicht zwingend, dass die Personalres- sourcen gesteigert wurden. Von 2002 bis 2007 gab es einen Zuwachs der Beschäf- tigten von 7,6 Prozent. Gleichzeitig wur- den aber im gleichen Zeitraum 10.000 Vollzeitstellenäquivalente in der Sozial- arbeit abgebaut So wurde insbesondere in der Jugendarbeit das 1998 vorhandene Stellenvolumen von 30.000 um ein Drit- tel reduziert. Für die gesamte Kinder- und Jugendhilfe gab es bei gleichzeitigem Beschäftigtenzuwachs in den letzten Jah- ren in den westlichen Bundesländern eine Stagnation, in den östlichen Bundeslän- dern eine Reduzierung des Stellenvolu- mens. Dahinter stecken zum einen Verschie- bungen von Stellenvolumen zwischen den Arbeitsfeldern. Einem Zuwachs in den Kindertageseinrichtungen steht ein Ab- bau in der Jugendarbeit, der Jugendsozi- alarbeit und den Hilfen zur Erziehung ge- genüber. Damit belegt sich aber auch der – im Verhältnis zu anderen Arbeitsfeldern – dramatischere Anstieg von Teilzeitstellen. Lag die Teilzeitquote in der Kinder- und Jugendhilfe im Jahr 1993 noch bei 15 Pro- zent, so liegt sie mittlerweile bei 40 Pro- zent – dies ohne den Bereich der Kinder- tageseinrichtungen mit seiner hohen Teil- zeitquote von 60 Prozent. Der Anteil der befristeten Arbeitsver- hältnisse liegt bei 15 Prozent und liegt damit oberhalb der Befristungsquote al- ler Beschäftigten von ca. 10 Prozent. Bei Neueinstellungen ist die Zahl der befris- teten Arbeitsverträgen deutlich höher. So haben ca. 50 Prozent aller beschäftigten SozialarbeiterInnen unter 30 Jahren eine Befristung. Aber selbst bei den 50jährigen gibt es noch eine Befristungsquote von 11,5 Prozent. Das heißt, Befristungen rei- chen weit in die Berufslaufbahn hinein Sozialarbeit – ein Berufsfeld mit Zukunft? Verbesserung der Arbeitsbedingungen ist der Schlüssel zur Vermeidung eines Fachkräftemangels Wenn von Fachkräftemangel in den sozialen Berufen die Rede ist, werden in der Regel die Pflegeberufe und die pädagogischen Fachkräfte in den Kindertageseinrichtungen in den Blick genommen. Für die Sozialarbeit gibt es bislang nur regionale und arbeitsfeldbezogene Engpässe. Dies wird sich, wenn nicht gegengesteuert wird, in den nächsten Jahren ändern. ko bildungsfernes Elternhaus) und die in Haushalten unterhalb der Armutsgefähr- dungsgrenze aufwachsen (finanzielles Ri- siko). Fast jedes dritte Kind fällt unter mindestens eine Risikolage, bei Familien mit Migrationshintergrund sind dies so- gar über 40 Prozent aller Kinder. Bun- desweit sind 3,5 Prozent aller Kinder von allen drei Risikolagen betroffen, in Nor- drhein-Westfalen sind dies sogar neun Prozent aller Kinder bis 18 Jahre (vgl. BIL- DUNG IN DEUTSCHLAND 2010, S. 27). Diese Zahlen dokumentieren, dass die Arbeit von SozialarbeiterInnen und Sozial- pädagogenInnen für unsere Gesellschaft von großer Bedeutung ist. Sie wird un- ter Berücksichtigung der aktuellen gesell- schaftlichen Entwicklungen sogar noch an Bedeutung gewinnen, wenn einer sozia- len Spaltung unserer Gesellschaft gegen- gearbeitet werden soll. Betrachtet man die Entwicklung der Zahl der Beschäftigten in der Sozialen Ar- beit, so zeigt sich ein – entsprechend der wachsenden Bedeutung – permanenter Zuwachs. So arbeiten 2009 ca. 1.7 Mio. Beschäftigte in den Sozialen Berufen, 1998 waren es knapp über eine Million. Die gesellschaftlichen Bedingungen des Auf- wachsens und Lebens in Deutschland werden zu- nehmend risikoreicher. Die Schere zwischen Ar- men und Reichen nimmt zu. Viele Menschen, zum Teil ganze Familien, be- finden sich in „Vergeblich- keitsfallen“, denen sie aus eigener Kraft kaum ent- kommen. 1,5 Millionen Menschen haben keinen Bildungsabschluss und keine Perspektive auf die Integration in den Arbeitsmarkt: Ergebnis einer ver- fehlten Sozial- und Bildungspolitik. Gesellschaftliche Bedeutung von Sozialarbeit wächst Der Bildungsbericht 2010 veranschau- licht mit der Beschreibung von Risikola- gen von Kindern in Deutschland gut, dass sich dies perspektivisch eher noch ver- schlechtern wird. Der Bildungsbericht unterscheidet Kinder, deren Eltern er- werbslos sind (soziales Risiko), deren El- tern keine Berufsausbildung haben (Risi- Harald Giesecke *1960 Diplom-Pädagoge. ver. di-Bundesverwaltung, Bundesfachgruppen- leiter Sozial-, Kinder- und Jugendhilfe. harald.giesecke @verdi.de Abstract / Das Wichtigste in Kürze Auch wenn Soziale Arbeit immer wichtiger wird und auch die Zahl der Stellen in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen hat, fehlt es perspektivisch immer noch an einem ausreichenden Beschäftigungsniveau. Ähnlich wie in anderen Bereichen, die einen Fachkräftemangel verzeichnen, müssen Arbeitgeber in der Sozialen Arbeit auch die Rahmenbedingungen attraktiver gestalten, um langfristig Fachkräfte anwerben und an sich binden zu können. Keywords / Stichworte Beschäftigungssituation, Fachkräfte, prekäre Beschäftigung, Befristung, Verdienst.

Sozialarbeit — ein Berufsfeld mit Zukunft?

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Praxis aktuell: Fachkräftemangel und De-QualifizierungSozial Extra 3|4 ’12: 29-31 DOI 10.1007/s12054-012-0038-2

Zunahme von Prekarisierung in der SozialarbeitDie höhere Zahl an Stellen heißt aber

nicht zwingend, dass die Personalres-sourcen gesteigert wurden. Von 2002 bis 2007 gab es einen Zuwachs der Beschäf-tigten von 7,6 Prozent. Gleichzeitig wur-den aber im gleichen Zeitraum 10.000 Vollzeitstellenäquivalente in der Sozial-arbeit abgebaut So wurde insbesondere in der Jugendarbeit das 1998 vorhandene Stellenvolumen von 30.000 um ein Drit-tel reduziert. Für die gesamte Kinder- und Jugendhilfe gab es bei gleichzeitigem Beschäftigtenzuwachs in den letzten Jah-ren in den westlichen Bundesländern eine Stagnation, in den östlichen Bundeslän-dern eine Reduzierung des Stellenvolu-mens.Dahinter stecken zum einen Verschie-

bungen von Stellenvolumen zwischen den Arbeitsfeldern. Einem Zuwachs in den Kindertageseinrichtungen steht ein Ab-bau in der Jugendarbeit, der Jugendsozi-alarbeit und den Hilfen zur Erziehung ge-genüber. Damit belegt sich aber auch der – im Verhältnis zu anderen Arbeitsfeldern – dramatischere Anstieg von Teilzeitstellen. Lag die Teilzeitquote in der Kinder- und Jugendhilfe im Jahr 1993 noch bei 15 Pro-zent, so liegt sie mittlerweile bei 40 Pro-zent – dies ohne den Bereich der Kinder-tageseinrichtungen mit seiner hohen Teil-zeitquote von 60 Prozent. Der Anteil der befristeten Arbeitsver-

hältnisse liegt bei 15 Prozent und liegt damit oberhalb der Befristungsquote al-ler Beschäftigten von ca. 10 Prozent. Bei Neueinstellungen ist die Zahl der befris-teten Arbeitsverträgen deutlich höher. So haben ca. 50 Prozent aller beschäftigten SozialarbeiterInnen unter 30 Jahren eine Befristung. Aber selbst bei den 50jährigen gibt es noch eine Befristungsquote von 11,5 Prozent. Das heißt, Befristungen rei-chen weit in die Berufslaufbahn hinein

Sozialarbeit – ein Berufsfeld mit Zukunft?

Verbesserung der Arbeitsbedingungen ist der Schlüssel zur Vermeidung eines Fachkräftemangels

Wenn von Fachkräftemangel in den sozialen Berufen die Rede ist, werden in der Regel die Pflegeberufe und die pädagogischen Fachkräfte in den Kindertageseinrichtungen in den Blick genommen. Für die Sozialarbeit gibt es bislang nur regionale und arbeitsfeldbezogene Engpässe. Dies wird sich, wenn nicht gegengesteuert wird, in den nächsten Jahren ändern.

ko bildungsfernes Elternhaus) und die in Haushalten unterhalb der Armutsgefähr-dungsgrenze aufwachsen (finanzielles Ri-siko). Fast jedes dritte Kind fällt unter mindestens eine Risikolage, bei Familien mit Migrationshintergrund sind dies so-gar über 40 Prozent aller Kinder. Bun-desweit sind 3,5 Prozent aller Kinder von allen drei Risikolagen betroffen, in Nor-drhein-Westfalen sind dies sogar neun Prozent aller Kinder bis 18 Jahre (vgl. BIL-

DUNG IN DEUTSCHLAND 2010, S. 27).Diese Zahlen dokumentieren, dass die

Arbeit von SozialarbeiterInnen und Sozial- pädagogenInnen für unsere Gesellschaft von großer Bedeutung ist. Sie wird un-ter Berücksichtigung der aktuellen gesell-schaftlichen Entwicklungen sogar noch an Bedeutung gewinnen, wenn einer sozia-len Spaltung unserer Gesellschaft gegen-gearbeitet werden soll. Betrachtet man die Entwicklung der

Zahl der Beschäftigten in der Sozialen Ar-beit, so zeigt sich ein – entsprechend der wachsenden Bedeutung – permanenter Zuwachs. So arbeiten 2009 ca. 1.7 Mio. Beschäftigte in den Sozialen Berufen, 1998 waren es knapp über eine Million.

Die gesellschaftlichen Bedingungen des Auf-wachsens und Lebens in Deutschland werden zu-nehmend risikoreicher. Die Schere zwischen Ar-men und Reichen nimmt zu. Viele Menschen, zum Teil ganze Familien, be-finden sich in „Vergeblich-keitsfallen“, denen sie aus eigener Kraft kaum ent-kommen. 1,5 Millionen

Menschen haben keinen Bildungsabschluss und keine Perspektive auf die Integration in den Arbeitsmarkt: Ergebnis einer ver-fehlten Sozial- und Bildungspolitik.

Gesellschaftliche Bedeutung von Sozialarbeit wächst

Der Bildungsbericht 2010 veranschau-licht mit der Beschreibung von Risikola-gen von Kindern in Deutschland gut, dass sich dies perspektivisch eher noch ver-schlechtern wird. Der Bildungsbericht unterscheidet Kinder, deren Eltern er-werbslos sind (soziales Risiko), deren El-tern keine Berufsausbildung haben (Risi-

Harald Giesecke *1960

Diplom-Pädagoge. ver.di-Bundesverwaltung, Bundesfachgruppen-leiter Sozial-, Kinder- und Jugendhilfe.

harald.giesecke @verdi.de

Abstract / Das Wichtigste in Kürze Auch wenn Soziale Arbeit immer wichtiger wird und auch die Zahl der Stellen in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen hat, fehlt es perspektivisch immer noch an einem ausreichenden Beschäftigungsniveau. Ähnlich wie in anderen Bereichen, die einen Fachkräftemangel verzeichnen, müssen Arbeitgeber in der Sozialen Arbeit auch die Rahmenbedingungen attraktiver gestalten, um langfristig Fachkräfte anwerben und an sich binden zu können.

Keywords / Stichworte Beschäftigungssituation, Fachkräfte, prekäre Beschäftigung, Befristung, Verdienst.

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Praxis aktuell: Fachkräftemangel und De-QualifizierungSozial Extra 3|4 ’12

und charakterisieren zunehmend die Ar-beitsverhältnisse in der Sozialarbeit.

Was ist Sozialarbeit heute wert?

Über lange Zeit war der Tarif des Öf-fentlichen Dienstes (BAT) die Reverenz-bezahlung für die Soziale Arbeit. Der Bundesangestelltentarif (BAT) wurde mittlerweile durch den Tarifvertrag Öf-fentlicher Dienst (TVÖD) abgelöst. Zeit-gleich hat in den letzten Jahren eine Zer-gliederung und Pluralisierung der Tarif-landschaft eingesetzt.2009 gab es für den Geltungsbereich

des TVÖD eine Tarifauseinandersetzung mit dem Ziel der Aufwertung der Sozia-len Berufe, die trotz des hohen Engage-ments der Beschäftigten und der öffentli-chen Unterstützung an der Verweigerung der kommunalen Arbeitgeber gescheitert ist. Nur für die Beschäftigten in den All-gemeinen Sozialen Diensten (ASD) konn-te eine Verbesserung erzielt werden. Nach der nun geltenden Eingruppierung in die S11 verdienen SozialarbeiterInnen bei Vollzeitstellen zwischen 2.353 und 3.529 Euro, abhängig ist dies von der vom jeweiligen Träger anerkannten Berufser-fahrung. Für SozialarbeiterIinnen mit so genannten „schwierigen Tätigkeiten“ liegt der Verdienst zwischen 2.455 und 3.550 Euro, für den ASD bei 2.557 bis 3.606 Euro.Aktuellen Erfahrungen zeigen, dass ge-

rade Berufseinsteiger - aber nicht nur diese - bei befristeten Teilzeitstellen nur schlecht von diesem Gehaltsniveau leben können. Aktuelle Berechnungen belegen, dass 2008 in Deutschland die „Sparquote“ bei 1.500 Euro netto lag. Das heißt, dass Beschäftigte mit einem Nettoeinkommen unter 1.500 Euro weniger Geld zur Ver-fügung haben, als sie für das alltägliche Leben brauchen. Es entstehen Schulden oder andere Einkünfte werden benötigt oder Unterstützungsleistungen müssen beansprucht werden. Eine aktuelle Untersuchung der Hoch-

schule Neubrandenburg über die Gehalts-situation von Berufseinsteigern in der So-zialen Arbeit in Mecklenburg-Vorpom-mern dokumentiert, dass allerdings nur

noch ein Drittel der Beschäftigten nach ei-nem Flächentarifvertrag – meist auf dem Niveau des TVÖD – bezahlt werden. Ein weiteres Drittel wird nach Haustarifver-trägen bezahlt, diese und auch die restli-chen frei verhandelten Eingruppierungen liegen in der Regel im Gehaltsniveau un-terhalb der Flächentarifträge. Diese Ana-lyse beschreibt in ihrer Dramatik die Si-tuation in den östlichen Bundesländern, ähnliche Entwicklungen lassen sich aber auch bundesweit feststellen.

Wie viele SozialarbeiterInnen brauchen wir?

Da viele SozialarbeiterInnen in den 70er und 80er Jahren eingestellt wurden, wer-den diese in den kommenden Jahren al-tersbedingt ausscheiden. So werden 2025 bereits 71 Prozent - das sind drei Viertel - der 2006 tätigen SozialarbeiterInnen und SozialpädagogenInnen verrentet sein. Rein rechnerisch werden die immer noch hohen Zahlen von Studienabgängern rei-chen, diese entstehende Lücke zu füllen. Aber um hier gute Übergänge von erfah-renen zu jüngeren Beschäftigten, die Si-cherung von Erfahrungen und Wissen zu ermöglichen, wird eine intensive Perso-nalentwicklung notwendig sein. Hier sind die Träger mit entsprechenden Konzepten und Angeboten gefordert.Zusätzlich wird es aber auch Verände-

rungen in einzelnen Arbeitsfeldern ge-ben. Diese werden zu neuen fachlichen Schwerpunktsetzungen, können aber auch zum weiteren Ausbau von Sozialar-beit führen. Hierfür wären dann weitere Studienabgänger notwendig. So wird es mit der aktuellen Gesetzesän-

derung zur Amtsvormundschaft zu einer stärkeren „Versozialpädagogisierung“ die-ses Arbeitsfeldes kommen. Es ist damit zu rechnen, dass die Kommunen zunehmend SozialarbeiterInnen für dieses Arbeitsfeld suchen werden, zumal mit der Festlegung von Sollzahlen für die Betreuungsschlüs-sel (1:50) in vielen Kommunen ein Stel-lenausbau notwendig werden wird. Die-ser für Amtsvormünder festgeschriebene Sollbetreuungsschlüssel wird sich mögli-cherweise auch auf die Fallzahlen in den

Allgemeinen Sozialen Diensten auswir-ken.Begleitend zur Einigung zum „Bildungs-

und Teilhabepaket“ haben sich Bund und Länder darauf verständigt, dass vom Bund 400 Millionen Euro pro Jahr für Schulso-zialarbeit zur Verfügung gestellt werden. Damit sollten rund 3.000 neue Stellen für die Schulsozialarbeit geschaffen werden. Diese Stellen wurden bundesweit einge-richtet. Teilweise werden sie im Kontext von Landesprogrammen auch längerfris-tig abgesichert.Die Weiterentwicklung von Kindertage-

seinrichtungen hin zu Familen- bzw. El-tern-Kind-Zentren können auch die Ein-satzmöglichkeiten von SozialarbeiterIn-nen erhöhen. Im Kontext des allgemeinen Fachkräftemangels wird es verstärkt Ver-suche geben, 1,5 Millionen Menschen in Deutschland ohne Berufsabschluss in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Dies wird ohne sozialarbeiterische und sozialpäda-gogische Begleitung nicht gelingen. Wir werden also auch in Zukunft viele junge Menschen brauchen, die sich für ein Stu-dium der Sozialarbeit und anschließend für eine entsprechende Tätigkeit entschei-den.

Der Wettbewerb um qualifizierte Beschäftigte kommt

Bis 2025 wird das Erwerbspersonenpo-tential – also die Menschen, die für den Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen – auf-grund der demografischen Entwicklung um 6,5 Millionen Menschen abnehmen. Bislang reichen die Studierendenzahlen des Studiums Soziale Arbeit für den not-wendigen Nachwuchs. Angesichts der sich in den letzten Jahren verschlechtern-den Arbeitsbedingungen und dem zu er-wartenden „Wettbewerb“ um junge Men-schen wird es nach Einschätzung von ver.di zunehmend schwieriger werden, für ein Studium der Sozialen Arbeit zu mo-tivieren. Nur attraktive Berufe mit guten Arbeitsbedingungen und einer guten Be-zahlung werden ausreichend Nachwuchs bekommen und auch Beschäftigte lang-fristig in ihrem Arbeitsfeld halten. Träger, Politik, Gewerkschaften, und natürlich

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die Beschäftigten selbst müssen an dieser Verbesserung der Arbeitsbedingungen ar-beiten.

Was tun?

Als Gewerkschaft sehen wir in den Be-schäftigten selbst den Schlüssel für eine Verbesserung der Arbeits- und Rahmen-bedingungen der Sozialarbeit. Sie müs-sen ihre eigenen fachlichen Ansprüche und die dafür notwendigen Bedingungen formulieren und gegenüber Trägern und Politik einfordern. Gewerkschaften bie-ten hierfür eine gute Plattform. In ver.di (Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft) steht hierfür die Fachgruppe Sozial-, Kin-der- und Jugendhilfe, in der VertreterIn-nen aller sozialen Berufe zusammenarbei-ten.Die Tarifauseinandersetzung 2009 für

den Sozial- und Erziehungsdienst haben vor allem pädagogische Fachkräfte aus Kindertageseinrichtungen genutzt, um den Wert und die Bedingungen ihrer Ar-beit nach außen zu tragen. In den kom-menden Auseinandersetzungen sollten SozialarbeiterInnen und Sozialpädagoge-nInnen diese Chance verstärkt nutzen.Durch die zunehmende Ökonomisie-

rung der Sozialen Arbeit und die entspre-chenden Finanzierungsstrukturen wurde eine Konkurrenz der Leistungserbringer gefördert. Diese Konkurrenz und die Su-che nach Wettbewerbsvorteilen über den Preis wurden von der Politik eingefordert. Sie wurde den Trägern übernommen und weitergeführt. Die über Steuerpolitik ge-machte prekäre Haushaltssituation der Kommunen unterstützt ein entsprechen-

des Handeln der Kommunen. Die Kom-munen ziehen sich aus der direkten Leis-tungserbringung und vergeben Aufträ-ge an freie Träger. So gibt es kaum noch kommunale Heime. Kommunale Kinder-tageseinrichtungen werden outgesourct. Leistungen der Hilfen zur Erziehung wer-den in der Regel „eingekauft“. Mit der seit 2011 für Bund und Länder verbindlich geltenden Schuldenbremse werden diese Mechanismen sich weiter verstärken.Die Leistungsvergabe an freie Träger er-

folgt in der Regel über den Preis. Die da-mit für Träger verbundenen Wirkungen werden direkt an die Beschäftigten wei-tergegeben. Der Preis drückt auf die Be-zahlung. Zeitlich befristete Leistungs-verträge führen zu Befristungen bei den Beschäftigten. Über Erhöhung der Teil-zeitquote erhöht der Träger seine Mög-lichkeiten für Flexibilität.Ver.di setzt sich daher für eine ande-

re Steuerpolitik ein, die insbesondere den Kommunen einen größeren Hand-lungsspielraum verschafft. Dazu gehört die Wiedereinführung der Vermögens-steuer, die höhere Besteuerung größe-rer Erbschaften und der Ausbau der Ge-werbesteuer. Ergänzend muss eine ge-sellschaftspolitische Diskussion angeregt

werden, die den langfristigen volkswirt-schaftlichen Nutzen der Sozialen Arbeit wieder zurück ins politische Bewusstsein holt und zur Grundlage einer geänderten Bildungs- und Sozialpolitik macht. Nach 2009 hat ver.di eine zweite Auf-

wertungsrunde zur Verbesserung der Eingruppierungssystematik für den TVÖD ins Auge gefasst. Zum 31.12.2014 kann der Tarifvertrag für den Sozial- und Erziehungsdienst gekündigt werden. Im Rahmen einer tarifpolitischen Konferenz haben Fachkräfte aus den sozialen Beru-fen sich dafür ausgesprochen, dies zu tun, und einen zweiten Versuch für eine Ver-besserung der Tarifsystematik zu versu-chen. Auf dem ver.di-Bundeskongress 2011, aber auch auf dem Deutschen Ju-gendhilfetag 2011, hatte der ver.di-Vor-sitzende Frank Bsirske dies auch angekün-digt.In der Perspektive wird dies aber nicht

reichen. Die Verbesserung der Tarifsi-tuation für die kommunalen Träger und die freien Träger, die den TVÖD anwen-den, kann nur ein erster wichtiger Schritt sein. Ziel muss ein einheitlicher Tarif-vertrag für alle Sozialen Berufe sein. Nur dann wird es möglich werden, den Wett-bewerb zwischen den Trägern nicht über den Preis, und damit über die Verschlech-terung von Arbeitsbedingungen, zu re-geln, sondern über die Qualität zu füh-ren. Frank Bsirske hat auf dem Jugendhil-fetag 2011 diesen „Tarifvertrag Soziales“, der alle Träger mitnimmt, eingefordert. Damit wäre Lohndumping nicht mehr möglich und der Weg frei, die Berufsfel-der im Sozial- und Erziehungsdienst ins-gesamt und spürbar aufzuwerten. Hierfür ist aber gerade bei den freien, insbeson-dere den kirchlichen Trägern, noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten. s

Literatur

AUTORENGRUPPPE BILDUNGSBERICHTERSTATTUNG (2010). Bildung in Deutschland 2010, Bielefeld

HOCHSCHULE NEUBRANDENBURG (2011). Auswertung einer onlinegestützten Erhebung der Verdienstsituation von Absolventinnen und Absol-venten des FB Soziale Arbeit, Bildung und Erziehung der Hochschule Neubrandenburg.

NORBERT WOHLFAHRT (2011). Aktuelle Entwicklungen der Beschäftigten in den Sozialen Diensten und in der Sozialen Arbeit. IN: gilde rundbrief, Heft 1, Hamburg.

Link

www.sozialearbeit.verdi.de

NUR ATTRAKTIVE BERUFE MIT GUTEN ARBEITS-

BEDINGUNGEN UND ANGEMESSENER ENTLOHNUNG

WERDEN AUSREICHEND NACHWUCHS HABEN UND

BESCHÄFTIGTE LANGFRISTIG HALTEN KÖNNEN.