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40 BRANDEINS 05/07 WAS WIRTSCHAFT TREIBT _SOZIALE INNOVATION: BRIDGES Soziale Innovation Eine Serie in brand eins Folge 16: Alt hilft Jung In Görlitz bringen ältere Langzeitarbeitslose als Senior-Coaches Jugendliche in Arbeit. Und sind damit erfolgreicher als die Arbeitsagenturen. Text: Christian Sywottek Foto: Michael Paul Kominek

Soziale Innovation Eine Serie in brandeins

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40 BRAND EINS 05/07

WAS WIRTSCHAFT TREIBT _SOZIALE INNOVATION: BRIDGES

Soziale InnovationEine Serie in brand eins

Folge 16:Alt hilft Jung

In Görlitz bringen ältere Langzeitarbeitslose als Senior-Coaches Jugendliche in Arbeit. Und sind damit erfolgreicher als die Arbeitsagenturen.

Text: Christian SywottekFoto: Michael Paul Kominek

WAS WIRTSCHAFT TREIBT

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• Die Arbeitsvermittlung in Deutschlandhat etwas von einem Computerspiel. Inden überlasteten Arbeitsagenturen werdenMenschen zu „Fällen“, zu Kennzahlen fürdie Datenverarbeitung. Genauso wird mitoffenen Stellen umgegangen. Das Ziel desSpiels ist, die Kennzahlen der Arbeitsplatz-suchenden und die der Stellenanbieter zusammenzubringen – ein kompliziertesManöver mit vielen Unbekannten. Undimmer gilt dabei eine Regel: Langzeit-arbeitslose sind meist die Verlierer beimKennzahlenpuzzle. Die Jüngeren rotierendeshalb unter Anleitung von professionel-

len Pädagogen und Psychologen im Maß-nahmenkarussell aus Berufsvorbereitung,Schulung, Trainingsmaßnahme, Praktikum,während die Älteren von Ein-Euro-Jobsoder staatlicher Stütze leben. Die Suchenach der richtigen Stelle ist oft nur teurerStillstand.

„Eine Region muss wohl erst total imEimer sein, bevor man andere Wege geht“,sagt Mike Altmann. Der 33-Jährige mitdem blanken Schädel leitet in Görlitz dasProjekt „Bridges – Brücken in Arbeit“. DasZiel: jugendliche ALG-II-Empfänger unter25 Jahren in sozialversicherungspflichtige

Arbeit oder eine qualifizierte Ausbildungzu bringen. Der Weg: Nicht Profis, son-dern ältere Langzeitarbeitslose betreuenbei Bridges als Senior-Coaches die jugend-lichen Langzeitarbeitslosen. Und die lokaleArbeitsagentur gibt jede Unterstützung. Sieakzeptiert damit, dass sie nicht zwangs-läufig die erste Adresse ist, um Jugendlichein Arbeit zu bringen. Das ist nicht Folgevon Resignation, sondern die Konsequenzeines Lernprozesses. „Eigentlich wäre dasunser Job“, sagt Eberhard Nagel, der Ge-schäftsführer des Dienstleistungszentrumsfür Arbeit in Görlitz. „Aber unsere 33

Das Prinzip Augenhöhe

Mike Altmann macht ältere Langzeitarbeitslose zu erfolgreichen Coaches

Eberhard Nagel leitet das Dienstleistungszentrum fürArbeit in Görlitz – und unterstützt Altmanns Projekt

Ressourcen sind begrenzt. Auf einen Mit-arbeiter kommen 150 Arbeitslose, persön-liche Beziehungen und wirkliches Wissenüber die Leute fehlen uns. Und uns fehltdie Marktübersicht. Die Senior-Coachestun Stellen auf, die wir niemals finden würden.“

Bridges ist ein Modellprojekt in Görlitzund Weißwasser, einer nahe Görlitz gele-genen Kleinstadt im NiederschlesischenOberlausitzkreis in der Nähe der polni-schen Grenze. Dort liegt die Arbeitslosen-quote bei rund 25 Prozent, langzeitar-beitslos sind 40 Prozent der Arbeitslosen.Von den Jugendlichen unter 25 Jahren istjeder vierte ohne Arbeit. Viele verlassendie Region.

Vor knapp zwei Jahren setzten sichMike Altmann und Eberhard Nagel zu-sammen und suchten nach einem Ausweg.Altmann ist auch Geschäftsführer des Multimediaparks Görlitz, wo ältere Ein-Euro-Jobber Teile der Görlitzer Web-Seitepflegen und junge Arbeitslose Computer-schulungen machen können. „Wir habenhier die größten Sorgen mit den beidenhärtesten Randgruppen – den Alten und

den Jungen“, sagt Nagel. „Wir müssen beide in Arbeit bringen, wir müssen siehier in Arbeit bringen. Und wir müssen dabei auch noch Geld sparen.“

Da lag es nahe zu fragen, wie die bei-den Gruppen einander helfen können.Darauf kommt freilich nur, wer in älterenArbeitslosen nicht gescheiterte Existenzensieht, von denen man sowieso nicht mehrviel erwarten kann – jemand wie Mike Alt-mann: „Diese Leute sind Jugendlichengegenüber glaubwürdig. Sie wissen, wasArbeitslosigkeit bedeutet. Sie haben Lebens-erfahrung. Warum sollten sie nicht helfenkönnen?“

Die Coaches machen den JungenMut – und sich selbst

Eberhard Nagel ist ein experimentierfreu-diger Mensch, aber kein Hasardeur. SeineZustimmung war das Ergebnis einer „reinbetriebswirtschaftlichen“ Kalkulation. „DieÄlteren sind hier ohnehin chancenlos. Jeder kostet aber im Schnitt 1500 Euro imMonat. Da ist es doch viel besser, wenn er dafür sorgt, dass Jugendliche in Arbeit

kommen. Denn jeder Jugendliche mit Arbeit spart der Arbeitsagentur und letzt-lich dem Steuerzahler Geld.“ Altmannsund Nagels Rechnung: Ein Modellversuchvon zwei Jahren kostet rund 200000 Euro Projektmittel; große zusätzliche Kosten fürdie Senior-Coaches fallen nicht an, selbstwenn man allen acht Senior-Coaches 1800Euro im Monat zahlt. Das Ergebnis: Wenninnerhalb von zwei Jahren mehr als 100Jugendliche aus der Arbeitslosigkeit finden,rechnet sich das für den Steuerzahler. Dasprobieren wir aus, dachten sich Altmannund Nagel.

Sie erinnern sich noch gut an die Un-kenrufe. Wie sollen ausgerechnet Arbeits-lose anderen Arbeitslosen aus der Arbeits-losigkeit helfen? Wie sollen sie andereneine feste Stelle verschaffen, wenn sie dasselbst nicht geschafft haben? Die habendoch keine pädagogische Erfahrung.

Das ist gut ein Jahr her. Die Zahlensprechen inzwischen für Altmann und Nagel. Bislang haben sie 140 Jugendlichein eine reguläre sozialversicherungspflich-tige Arbeit oder in einen Ausbildungsplatzvermittelt.

Wie haben sie das geschafft?„Wir sperren nicht einfach ein paar

Arbeitslose zusammen und gucken dann,was passiert“, sagt Mike Altmann. „Nichtdie Theorie macht den Erfolg aus. DieMenschen sind das Projekt.“

Wie jeder andere Arbeitgeber auch hatBridges seine Senior-Coaches nach einempassenden Profil ausgesucht. Formale Qua-lifikationen wie etwa Berufsabschlüsse oderpädagogisches Vorwissen spielten dabeikeine Rolle. „Authentizität ist wichtiger als der berufliche Erfolg“, meint Altmann.Alle Senior-Coaches waren mehrere Jahrearbeitslos. Alle sind Väter oder Mütter vonerwachsenen Kindern. Sie kommen aus derRegion und kennen viele Leute – schließ-lich sollen sie Arbeitsstellen finden, unddas klappt nicht am Computer. Sie alle sindin Vereinen aktiv oder haben Ehrenämter– rührige Leute, die auch ohne Arbeits-platz viel zu tun haben. Sie alle durchliefeneinen fünfwöchigen Vorbereitungskurs.

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Früher war Werner Rößler arbeitslos. Heute hilft er selbst arbeitslosen Jugendlichen

Hausverwalter Andreas Lauer fand durchBridge einen neuen Hausmeister

Computer, Rollenspiele, Telefon- undKonflikttraining. Dann fingen sie an.

Es sind Leute wie Werner Rößler. EinMann, von dem Eberhard Nagel sagt:„Das ist ein Typ, so burschikos, der passtprima zum Problem.“ Rößler ist 53 undgelernter Baufacharbeiter. Er war auchKranfahrer und Polier. An der Abendschulehat er seinen Baumaschinistenschein ge-macht. Rößler wurde 1998 arbeitslos, erwollte eine Gartenkneipe aufmachen – dakam ein Achillessehnenriss dazwischen. Er war danach Hausmeister, hat Fenstergeputzt und Post ausgetragen. Dazwischenwar er immer wieder ohne Stelle. „Ich warerwerbslos, aber nicht arbeitslos“, stelltRößler klar. Er ist Schöffe beim Amts-gericht, ist im DGB und in der IG Bau aktiv. Bei der Berufsgenossenschaft sitzt erim Rentenausschuss. Und er hat seinenGartenverein.

Nun also Senior-Coach. „Das ist einJob, der genau zu mir passt“, freut sichRößler. „Ich mache im Grunde das, wasich mein Leben lang unentgeltlich gemachthabe.“ Rößler löst Probleme. Warum erdas macht? „Ich will die Leute in der Region an sich selbst glauben lassen. Wasich selbst davon habe? Ich freue mich,wenn jemand was geschafft hat.“

Überbetriebliche Ausbildunggeht zielsicher am Markt vorbei

Ähnlich geht es Christa Knittel, 59. „Wassoll denn werden, wenn die Jungen alleweggegangen sind?“, fragt sie. „Ich will sie in Görlitz halten. Und es gibt mir einGlücksgefühl, wenn jemand in Arbeitkommt. Ich helfe damit nicht nur dem Jugendlichen, sondern auch den Familien,den Arbeitgebern, der ganzen Region. Undletztlich helfe ich mir selber. Denn ich gestalte mit.“

Christa Knittel ist eine gute Ergänzungzu Rößler, sie hat einen Draht zu den Mäd-chen. „Ich kann nur auf die sanfte Tour“,sagt sie. Damenschneiderin hat sie gelernt,sie half in einer Klinik aus, vermittelte in einem Asylbewerberheim bei Konflikten

und verkaufte Kerzen bei Homepartys.„Ich habe nie die Hände in den Schoß gelegt“, sagt Knittel. Als Senior-Coach willsie „kämpfen helfen“. Die Beute: ein Ar-beitsplatz. „Ich bin doch das beste Beispieldafür, dass sich Engagement lohnt.“

Die Senior-Coaches treffen auf Jugend-liche, die es nicht gewohnt sind zu kämp-fen. „Zu uns kommen die unteren 15 Pro-zent“, sagt Sabine Schaffer, 28, Projekt-koordinatorin bei Bridges. Junge Leute, dieallein dastehen mit ihrem Problem. „Von280 Elternpaaren haben sich nur zwei beiuns erkundigt, was ihre Kinder machen“,berichtet Schaffer. Die Jugendlichen habeneinen Haupt- oder Realschulabschluss, derihnen zumeist nicht mehr eingebracht hatals eine Fahrt im Maßnahmenkarussell.Eine Ausbildung haben die meisten – aberoft nur eine überbetriebliche, die ihnen wenig nützt, weil kein Betrieb sie überneh-men wollte. Damit fehlt ihnen das Wich-tigste überhaupt: Arbeitserfahrung.

Mike Altmann gerät in Rage: „Da wirdüberbetrieblich ausgebildet, ohne auf denMarkt zu achten. Fitte junge Leute werdenfehlgeleitet, und wir können das ausba-

den.“ Sachsen bildet überbetrieblich einViertel aller deutschen Ergotherapeutenaus. Hinzu kommen diverse „Assistenten“.Jede dritte deutsche Diätassistentin kommtaus Sachsen. Legendär ist auch der „Assis-tent für Wirtschaftsinformatik“, den kaumeiner braucht. Oder die „Kinderpflegehel-ferin“, die ausschließlich in Sachsen aus-gebildet wird, die es aber laut sächsischemKita-Gesetz gar nicht gibt und also auchkeine entsprechenden Stellen.

„Es ist eine Schande“, sagt Mike Alt-mann. Und ein Riesenproblem. Wenn jemand eine solche Ausbildung macht unddann keine Arbeit findet, ist erst einmalSchluss, denn eine Zweitausbildung wirdnicht mehr staatlich gefördert. Und einenArbeitgeber zu finden, der alles selbst bezahlt, ist in Görlitz und der Region eineechte Herausforderung.

Die Senior-Coaches sind im Gegensatzzu Arbeitsagenturmenschen und Bildungs-trägern nicht Teil dieses verrückten Sys-tems. Sie sind nicht diejenigen, die den Jugendlichen so oft erzählt haben, dass diese oder jene Maßnahme etwas bringenwürde. Die Senior-Coaches sitzen auf

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Werner Rößler bei der Arbeit: Stefan Bech ist einer der Jugendlichen, die mit seiner Unterstützung den Einstieg ins Berufsleben geschafft haben

der gleichen Seite des Schreibtisches wiedie Jugendlichen. Bei Bridges erleben viele Jugendliche das erste Mal, dass jemand sie ernst nimmt. Dass sich jemand dafürinteressiert, was sie wirklich wollen, und es mit ihnen herausfindet, wenn sie esselbst nicht wissen. „Wir sind hier keineSozialstation“, sagt Mike Altmann, „unserZiel ist Arbeit. Viele haben sich aber schonmit Hartz IV eingerichtet. Der Satz fürJugendliche ist ganz klar zu hoch. Von demGeld lässt es sich in dieser Region rechtgut leben, wenn man seine Ansprüchezurückschraubt.“

Die meisten Jugendlichen werden vonder Arbeitsagentur zu Bridges geschickt, es sind nie mehr als 100 zugleich im Pro-jekt. Jeder Coach kümmert sich also um 12 oder 13 Leute. Die Hauptaufgaben sindschnell umrissen: Hilfe bei aktuellen Bewer-bungen und bei der Arbeitssuche, damit diejungen Leute Erfahrungen sammeln.

Aber müssten sie das nicht selbst kön-nen? Ist Bridges nicht wieder so ein Pro-jekt, das jungen Leuten alles abnimmt undsie so erst recht unselbstständig macht?Mike Altmann kennt den Vorwurf, und

seine Antwort ist klar: „Ja, manchmal istes, als würden wir ihnen auch noch denHintern putzen. Aber täten wir das nicht,wären sie verloren. Das ist einfach so, obman das nun glauben mag oder nicht. Undsie einfach liegen zu lassen wäre für dieGesellschaft deutlich schlimmer.“

Altmann setzt auf eine Mischung ausDruck und Verständnis. Die Jugendlichenschließen mit Bridges einen Vertrag, derfestlegt, in welchen Beruf der Weg führensoll und bis wann welche Schritte dorthinerledigt sein sollen. Die Jugendlichen müs-sen 25 Stunden in der Woche an Kursenfür EDV und Kommunikation und Bewer-bungstrainings beteiligen. Sie müssen min-destens drei Bewerbungen in der Wochevorlegen. Alles, was sie tun, müssen sie ihrem festen Coach mitteilen – so fliegenFaulenzer schnell auf. Wer mehr als drei-mal krank feiert, Termine nicht einhält,häufig Arbeitsangebote ablehnt oder lügt,fliegt raus.

„An Nachschub haben wir keinen Man-gel“, stellt Sabine Schaffer nüchtern fest.„Wir haben zu wenig Zeit, um uns langeverarschen zu lassen.“ Ein knappes Drittel

der Jugendlichen verlässt Bridges vorzei-tig, weil sie rausfliegen oder von selbst gehen. Sie landen meist wieder in den üblichen Maßnahmen der Arbeitsagentur.Wer keinen triftigen Grund nachweisenkann, muss damit rechnen, dass ihm 30 Prozent der staatlichen Geldleistungen gestrichen werden. „Wir sind kein Pony-hof“, meint Mike Altmann. „Wir wollenmöglichst viele Leute in Arbeit bringen, da können wir keine Plätze im Projektblockieren.“

Herauszufinden, was ein Mensch willund kann, dauert lange. „Vertrauen herzu-stellen braucht Zeit“, sagt Sabine Schaffer.Dabei hilft es, dass die Coaches, anders alsdie Vermittler in der Arbeitsagentur, nichtzu Sanktionen verpflichtet sind. Sie könnenauch nach Erfahrungen in der Schwarz-arbeit fragen, denn gerade dort haben viele Jugendliche ihre wahren Kompeten-zen erworben. Die Coaches sind jederzeit ansprechbar, und sie haken vorgelegte Bewerbungen nicht einfach ab. „Ohne Hilfe kommt dabei meist nur Standard-murks raus“, stöhnt Sabine Schaffer. „Unsreicht es nicht, nur der DIN-Norm zu entsprechen.“

Die Coaches suchen Arbeit, wosie ist – auf der Straße

Was bei Bridges passiert, lässt sich nichtstandardisieren. Unsichere junge Leute zu motivieren und das Beste aus ihnen herauszukitzeln, das funktioniert durcheine Haltung, durch die Art zu reden oderjemanden anzuschauen. Dadurch, wie manreagiert, wenn eine junge Frau auf Fragennach ihren Wünschen und Fähigkeiten immer nur „hm, weiß nicht“ antwortet.„Aber das Wichtigste ist Zuhören. OhneZuhören kann man nichts Gemeinsamesentwickeln“, sagt Christa Knittel. „Nur für etwas, für das ich brenne, setze ichmich auch ein. Das gilt gerade bei jungenLeuten.“

Jeder Jugendliche fordert von den Senior-Coaches eine Gratwanderung. Wieviel Verständnis, wie viel Druck ist

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Christa Knittel war Damenschneiderin, nun arbeitet sie als Senior-Coach für Bridges:„Ich kann nur auf die sanfte Tour“

Sabine Schaffer ist Projektkoordinatorin bei Bridges und hat „keine Zeit, mich verarschen zu lassen“

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angemessen? Werner Rößler sagt: „Schlussist, wenn jemand nur stur ist. Dann kannman nicht zusammenarbeiten.“ ChristaKnittel sagt dagegen: „Warum soll ich jemanden bestrafen, der sowieso schon gestraft ist?“ Einig sind sie sich allerdingsin einem Punkt: Gegen Widerstand lässtsich nichts erreichen. Wer eine Arbeit nichtwill, wird an ihr scheitern und kommt kei-nen Schritt weiter. Und die jungen Leutein wirtschaftlich stärkere Gegenden zuzwingen ist aussichtslos. Sie gehören nichtzu denen, die sich in der Fremde durch-beißen. Darum müssen die Coaches in derRegion eine Perspektive bieten. Und diebedeutet: Arbeit.

Die Senior-Coaches haben die Zeit dafür. Und sie kennen die richtigen Leute.„Private Kontakte sind der Fundus von allem“, sagt Werner Rößler. Da kennt maneben einen beim Gericht, der jemandenkennt, der eine Firma hat. Da kann mandoch mal anrufen. Hinzu kommt: Rößlerist niemand vom Amt, unterliegt also kei-nem schlechten Image. Und kein Weg istzu ungewöhnlich, als dass man ihn nichtgehen könnte. Ein Mädchen sucht eine

Stelle als Zahnarzthelferin? Rößler ruft deneigenen Zahnarzt an. Den kennt man undhat schon einen Fuß in der Tür. „Ich putzejeden Tag Klinken“, sagt Christa Knittel,„das hört nie auf.“ Auf der Straße guckt sieroutinemäßig nach neu eröffneten Läden.Die könnten Personal brauchen.

Es ist stete Aufmerksamkeit, die zu Ergebnissen führt. Weil die Senior-Coachesdort suchen, wo die Arbeit wirklich ist:nicht im Computer, sondern auf der Straße. So haben sie es geschafft, 60 Pro-zent der vermittelten Jugendlichen in derRegion in Arbeit zu bringen. Zwei Drittelder Stellen taten sie selbst auf. Maler, Mau-rer, Pferdewirt, Verkäufer, Koch, Garten-bauer, Gastrohelfer, Schweißer … Mit achtSenior-Coaches hat Bridges in 14 Mona-ten 140 Jugendlichen eine Stelle verschafft.Zum Vergleich: Die Arbeitsgemeinschaftenin Görlitz und Weißwasser beschäftigenrund 270 Menschen. Sie müssen sich umalles kümmern, was die Arbeitslosenverwal-tung mit sich bringt. Im vergangenen Jahrwurden dort nur gut 900 Jugendliche insozialversicherungspflichtige Arbeit vermit-telt, die länger dauerte als zwei Monate.

Klein anfangen, dann dranbleiben – sohält man es bei Bridges. So finden auchLeute wie Maik Bernert einen Platz. Ber-nert ist 24, gelernter Betonbauer, ein jun-ger Mann mit wachem Verstand und einerdreijährigen Arbeitsbiografie aus Ein-Euro-Jobs, Arbeitsamt und irgendwas. Als Ber-nert zu Bridges kam, wusste er, dass er dasnicht mehr wollte. Bei Bridges kam heraus,dass Bernert Hochzeiten organisiert hatund ein umtriebiger Typ ist. Veranstal-tungskaufmann, das war ein Ziel. Bernertmachte zunächst ein Praktikum bei derGörlitzer Tourismus- und Marketingge-sellschaft. Von außen betrachtet erscheintdas wie eine typische Endstation. Bernertsammelte in orangegrellem T-Shirt undmit einem Kasten vor der Brust in derInnenstadt Stimmen für eine Fernsehshow:„Die Lieblingsorte der Deutschen“.

Aber Maik Bernert legte auch die Rou-ten fest, besorgte Genehmigungen für dieStandplätze, taktete seine Mitpraktikantenein. „Ich musste zeigen, was ich kann“,sagt Bernert. Am Ende brachte er es auf750 Stimmen für Görlitz. Und zu einemAusbildungsplatz – er lernt Veranstaltungs-kaufmann bei der Marketinggesellschaft.Als er sein Praktikum anfing, war davonnoch nicht die Rede.

Wichtigstes Ziel für Bridges: die Job-Hopping-Kompetenz

Jemand wie Steffen Bech, ein anderer Jugendlicher aus dem Bridges-Programm,ginge in der Arbeitsverwaltung einfach unter. Bech, 23, hat seinen Hauptschul-abschluss gemacht und überbetrieblichFliesenleger gelernt. Er hat sich dann be-worben und keine Stelle gekriegt. Er hatein Kind und eine Freundin und will nicht„wegmachen“ aus Görlitz. Er hat nicht maleinen Führerschein. Das sind die Daten,die man auch im Arbeitsagentur-Compu-ter fände. Aber die Daten spiegeln nichtden Menschen wider, den Werner Rößlerseit Kindertagen aus der Gartenkoloniekennt. Der bei der Feuerwehr aktiv und fit ist, auch wenn er in Sport nur eine 33

„Das Wichtigste ist Zuhören“, Christa Knittel im Gespräch mit einer Jugendlichen

Vier hatte. Der arbeiten, renovieren undUmzüge organisieren will. Werner Rößlernahm ihn mit zu dem ImmobilienmaklerAndreas Lauer, der auch eine Hausver-waltung betreibt. Es war Zufall und Glückfür Steffen Bech, dass Lauer gerade einenHausmeister suchte. Heute hat Bech beiLauer einen Job als Betriebshandwerker,für 950 Euro brutto. Das ist nicht schlechtfür einen Berufsanfänger in Görlitz, wo derFriseurtarif bei 3,51 Euro die Stunde liegt.„Ich bin echt stolz darauf“, sagt SteffenBech. „Das ist meins, jetzt kann ich weiter-machen.“ Werner Rößler meint nur: „Icharbeite viel mit dem Zufall. Ich gehe losund mach’ was klar.“

Lauer sitzt in seinem Büro und zeigtauf das Dutzend blauer Bewerbungsmap-pen auf dem Sideboard. „Und das ist nurvon dieser Woche“, sagt er. „Aber wennhier einer in der Tür steht und mir auf denGeist geht, ist das besser als jede schrift-liche Bewerbung. Da braucht man Argu-mente, um den wieder wegzuschicken.“

Bridges macht es Arbeitgebern leicht

Für Arbeitgeber bietet Bridges klare Vor-teile, denn Personalsuche bindet gewöhn-lich Zeit, Kraft und Geld. „Die Bewerbun-gen von der Arbeitsagentur müsste ich alle durcharbeiten“, sagt Andreas Lauer,„und dann kommen doch nur Leute mitRückenproblemen oder Praktikanten, dielediglich ihre Zeiten sammeln wollen. BeiBridges habe ich einen Test durch Dritte.Stärken und Schwächen haben die schonfestgestellt, das muss ich nicht mehr machen. Dadurch geht alles viel schneller.Und den Papierkram nehmen sie mir auchnoch ab.“ Hinzu kommt: Der Arbeitgeberbleibt bei Problemen auch nach Vertrags-unterzeichnung nicht allein. Alle drei Mo-nate kommen die Senior-Coaches vorbeiund erkundigen sich nach dem aktuellenStand. Und wenn etwas schiefläuft, greifensie ein.

Doch nicht immer klappt es so gut wiebei Bech und Lauer. Rund 17 Prozent aller

vermittelten Jugendlichen waren wenigerals drei Monate beschäftigt. Ein Viertel aller ehemaligen Bridges-Kunden ist mo-mentan wieder ohne Arbeit – aus eigenemVerschulden, aber auch, weil Arbeitgeberpleite sind oder die Löhne nicht zahlen.Bis die Jugendlichen einen sozialversiche-rungspflichtigen Job oder eine vernünftigeAusbildung mit IHK-Abschluss ergattern,gehen mitunter Monate ins Land. AmEnde steht bei gut zwei Dritteln aller Ver-mittlungen ein geförderter Job. Dabei zahltdie Arbeitsagentur für ein Jahr 60 Prozentdes Lohns. Danach muss der Arbeitgeberden Jugendlichen noch sechs Monateweiterbeschäftigen. Das ist nicht ideal, abermehr ist auch bei direkter Vermittlungüber die Arbeitsagentur nicht drin.

Sabine Schaffer ist froh, dass sie ihre Leute überhaupt unterkriegt: „Was istdenn die Alternative?“ Weiterhin Stillstand,staatlich alimentiert. Das versteht besser,wer sich klarmacht, in welchem UmfeldBridges arbeitet. Görlitz und die Grenz-region – das ist ein Arbeitgebermarkt undeine weitgehend tariffreie Zone. Forde-rungen kann da nur stellen, wer über Expertenwissen oder besondere Fähigkei-ten verfügt. Förderung hingegen ist für diemeisten Arbeitgeber eine Selbstverständ-lichkeit und das Erste, wonach sie fragen.„Ohne Förderung kriegt man hier kaum jemanden untergebracht“, sagt SabineSchaffer, „in unserer katastrophalen Re-gion ist das völlig normal. Arbeit zu sub-ventionieren, das müsste man natürlichhinterfragen. Aber solange das so ist, müs-sen wir mitspielen. Wenn die Jugendlicheneinmal in Arbeit sind, schaffen sie es auchweiter.“

In Mike Altmanns Region hat Arbeitfür sein Klientel nichts mit den üblichenWohlstandskriterien zu tun: „Ich bin keinSozialromantiker. Wir reden hier nichtüber Karriere und große Selbstentfaltung.Das ist völlig unrealistisch. Deshalb ist unser langfristiges Ziel nicht ein Job für dieEwigkeit, sondern Job-Hopping-Kompe-tenz. Wir wollen die Jugendlichen dazubringen, dass sie es selber schaffen, sich

immer wieder eine neue Arbeit zu suchen,eine Folge von Jobs organisieren zu kön-nen. Dazu braucht man Arbeitserfahrungund Durchhaltevermögen. Und beides ver-mitteln wir“, sagt er. Deshalb ist Arbeits-losigkeit für Bridges-Vermittelte auch keinDauerzustand: Die Hälfte von ihnen findetnach einem Job-Verlust von selbst wiedereine neue Arbeit.

Bridges kann ein Baustein sein– für eine echte Förderung

Bridges ist ein Modellprojekt, und esspricht nichts dagegen, dass es auch wo-anders klappen könnte. Arbeit zu finden istfür viele Jugendliche überall schwer – undlokal vernetzte, unterforderte Langzeit-arbeitslose gibt es auch überall. EberhardNagel vom Görlitzer Dienstleistungszen-trum für Arbeit plädiert denn auch für einen Mix. Arbeitsagentur, professionelleDienstleister, Projekte wie Bridges: „In fünfJahren ist das vielleicht normal. Bundes-weit einheitliche Instrumente können nichtüberall funktionieren. Man muss je nachRegion variieren.“

Mike Altmann von Bridges würde esgern auf einen Versuch ankommen lassen.Er hat keine Angst vor dem Wettbewerbmit Arbeitsagentur und professionellerVermittler-Konkurrenz. Er glaubt auchnicht, dass coachende Langzeitarbeitslosein ineffizienten Hauruck-Projekten zu bil-ligen Ausputzern eines chronisch unter-finanzierten Vermittlungsapparats werdenkönnten. „Man muss eben eines gewähr-leisten: Bezahlt wird ausschließlich nachErfolg.“

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www.projekt-bridges.de

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