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Zum SVP-Vorstoss einer radikalen Kürzung der Sozialhilfeleistungen Sozialpolitische Propaganda auf Kosten der Schwächsten (Urezza Caviezel) Mediendienst 13/2014 vom 9. Oktober 2014 http://www.caritas.ch/de/was-wir-sagen/mediendienst/
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Mediendienst 13 9. Oktober 2014
Zum SVP-Vorstoss einer radikalen Kürzung der Sozialhilfeleistungen
Sozialpolitische Propaganda auf Kosten der Schwächsten Urezza Caviezel
Der Mediendienst der Caritas Schweiz ist ein Angebot mit Hintergrundtexten zur freien Verwendung.
Für Rückfragen stehen die Autorinnen und Autoren gerne zur Verfügung.
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Caritas Schweiz, Mediendienst 13, 9. Oktober 2014
Zum SVP-Vorstoss einer radikalen Kürzung der Sozialhilfeleistungen
Sozialpolitische Propaganda auf Kosten der Schwächsten
Die Sozialhilfe erhält seit Wochen mediale Aufmerksamkeit. Berichtet wird über ausufernde
Sozialkosten anhand von Einzelfällen, die etliche Gemeinden finanziell stark belasten, angeblich
gar in den finanziellen Ruin zu treiben drohen. Solche Gemeinden wollen in Eigenregie die Sozi-
alleistungen kürzen, unterstützt von der SVP, die einen Angriff gegen die Schweizerische Konfe-
renz für Sozialhilfe (SKOS) und deren Richtlinien fährt, das heisst Propaganda auf Kosten der
Menschenwürde von Armutsbetroffenen betreibt.
Am 17. Oktober jährt sich zum zweiundzwanzigsten Mal der „Internationale Tag für die Beseitigung
der Armut“ der Vereinten Nationen. Weltweit engagieren sich unzählige Organisationen unermüdlich
für ein Leben aller Menschen in Würde, kämpfen gegen Armut und soziale Ausgrenzung. Gleichzeitig
nehmen in der Schweiz verschiedene Gemeinden aufwändige Einzelfälle zum Anlass, die Sozialhilfe
in ihrer heutigen Ausgestaltung grundsätzlich in Frage zu stellen. Sie drohen, aus der SKOS auszutre-
ten und sich nicht mehr an deren Richtlinien zur Berechnung der Sozialhilfe zu halten. Der Schwyzer
Kantonsrat hat Ende September eine Motion für erheblich erklärt, wonach die Sozialhilfe auf maximal
90 Prozent der SKOS-Richtlinien beschränkt werden soll. Die SVP fährt flankierend einen Angriff auf
die Schwächsten, indem sie landesweit Gemeindeautonomie bei der Sozialhilfe verlangt und den
Grundbedarf auf 600 Franken pro Person senken will – nach den aktuellen SKOS-Richtlinien beträgt
er 986 Franken für Einzelpersonen, nach unten abgestuft bei Mehrpersonen-Haushalten.
In der Schweiz beziehen rund 250 000 Menschen Sozialhilfe. Diese beanspruchten 2012 gerade ein-
mal 2 Prozent aller Sozialversicherungsausgaben (147,4 Milliarden Franken). Trotzdem können für
gewisse Gemeinden einzelne Sozialfälle zur Belastung für den Finanzhaushalt werden. Anstatt über
Wege nachzudenken, wie die Kosten zwischen den Gemeinden besser ausgeglichen werden können,
betreiben verschiedene Gemeinden eine fragwürdige Politik der Ausgrenzung. Gegenseitig unterbieten
sie sich mit tiefen Sozialleistungen und ergreifen Massnahmen, um Sozialhilfebeziehende zum Weg-
zug zu nötigen, beispielsweise indem sie Vermieter ermuntern, die Mietzinse zu erhöhen. Dabei be-
dienen sie sich einer Rhetorik, die direkt dem SVP-Jargon entlehnt ist: Die Rede ist von Sozialtouris-
mus, Schmarotzern und gebeutelten Steuerzahlern. Von Armut betroffen sein wird mit Selbstverschul-
den und Missbrauch verknüpft und Sozialhilfe primär als finanzielle Belastung der öffentlichen Hand
gesehen, bei der man beliebig sparen kann.
Grundbedarf – Bottom-line gegen Armut und Ausgrenzung
SVP-Exponenten behaupten, der Grundbedarf einer Person liesse sich ohne Probleme um 40 Prozent
senken, von knapp 1000 auf 600 Franken pro Monat (ohne Miete und Krankenversicherung). Sie un-
terstellen der SKOS damit quasi eine willkürliche und zu grosszügige Festlegung des Grundbedarfs.
Doch die SKOS legt ihn aufgrund seriöser Abklärungen und fachlicher Überlegungen fest und bleibt
dabei restriktiv. Der Grundbedarf deckt das soziale Existenzminimum, das neben der materiellen Ab-
sicherung eine minimale Teilhabe an der Gesellschaft ermöglichen soll – mehr nicht.
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Caritas Schweiz, Mediendienst 13, 9. Oktober 2014
Sozialhilfe ist als Auffangnetz für Bedürftige gedacht, doch in der Polemik von rechts wird sie zu-
nehmend als eine Art unverdientes Grundeinkommen dargestellt. Es wird kolportiert, die hohen Leis-
tungen schüfen keine Anreize, eigenständig für den Lebensunterhalt aufzukommen. Doch die Zunah-
me der Anzahl Sozialhilfebeziehender und der Bezugsdauer haben nichts mit Arbeitsverweigerung
oder dergleichen zu tun. Die Gründe sind vielmehr in einem Bündel armutsrelevanter Faktoren zu
suchen: von tiefem Bildungsstand oder Erwerbslosigkeit über Betreuungspflichten oder Scheidung bis
hin zu gesundheitlichen Einschränkungen. Wenn dann gleichzeitig die Arbeitslosenversicherung oder
die Invalidenversicherung ihre Bedingungen verschärfen und Leistungen kürzen, muss die Sozialhilfe
zunehmend als letztes Auffangnetz herhalten.
In der Armutsspirale
Mit ihrer 600-Franken-Forderung nimmt die SVP bewusst in Kauf, dass der bereits sehr bescheidene
Lebensstandard der Sozialhilfebezügerinnen und -bezüger nochmals einen tiefen Einschnitt erfährt:
Wenn gegen Ende des Monats noch 10 pro Tag bleiben, müssen Betroffene zwischen Zahnpasta, Bus-
fahrt in die Stadt oder einem Laib Brot abwägen, an einen Kino- und Restaurantbesuch am Wochen-
ende ist gar nicht zu denken. Die angestrebte Senkung des Grundbedarfs würde für Betroffene bedeu-
ten, bei der Ernährung und der Gesundheitsprävention, bei Freizeitaktivitäten und Beiträgen für Verei-
ne noch mehr sparen zu müssen.
Kürzungen bei den Leistungen der Sozialhilfe haben wohl kurzfristig einen Spareffekt, untergraben
aber auf Dauer das System der sozialen Sicherheit. Auf der Strecke bleiben Bemühungen zur berufli-
chen und gesellschaftlichen Integration, die wiederum Voraussetzung dafür sind, dass sich Armutsbe-
troffene eigenständig aus der finanziellen Abhängigkeit von der Sozialhilfe befreien können. Deren
heute schon bescheidene Möglichkeiten, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben und so ihre sozialen
Kompetenzen zu verbessern, was ihre Chancen bei der Arbeitssuche erhöhen würde, wären zunichte
gemacht. Sie befänden sich weiter in der Armutsspirale nach unten.
Sozialhilfe zusammenzustreichen und deren Bezügerinnen und Bezüger von einer Gemeinde in die
nächste abzuschieben, kann keine Lösung sein. Für eine weitsichtige und erfolgreiche Sozialpolitik
braucht es vielmehr ein landesweites Rahmengesetz, das einerseits verbindliche Standards für die
Handhabung der Sozialhilfe setzt und andererseits den Lastenausgleich zwischen wirtschaftlich
schwächeren und ressourcenstarken Gemeinden und Kantonen regelt. Dann können die Gemeinden
ihrer eigentlichen Aufgabe nachgehen, armutsbetroffene Bürgerinnen und Bürger dabei zu unterstüt-
zen, Auswege aus ihrer Situationen zu finden.
Urezza Caviezel, Fachstelle Sozialpolitik, Caritas Schweiz,
E-Mail [email protected], Tel.041 419 23 79