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Soziologische Theorie: Goffmans korrektives Modell

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Hausklausur über Goffmans Modell des korrektiven Austausches. Wissenschaftliche Verwendung nur unter korrekter Zitierung, Link auf das Dokument oder http://derjesko.de erwünscht.

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Page 1: Soziologische Theorie: Goffmans korrektives Modell

HausklausurGoffmans „Korrektives Modell“

FRAGESTELLUNG 2:Skizzieren Sie Goffmans Modell des "korrek-tiven Austauschs". Veranschaulichen Sie dieMechanismen der Erklärung und der Ent-schuldigung anhand eines aktuellen, gesell-schaftlich relevanten empirischen Beispiels.

Gliederung

1. Vorbetrachtungen 3

1.1. Begriffseinführungen 3

1.2. Das Image und öffentliche Verhaltensregeln 3

2. Das Modell des korrektiven Austausches 4

2.1. Veranschaulichung an einem herkömmlichen Beispiel 6

3. Der korrektive Austausch in Zeiten des Internets 7

4. Anhang I: Weitere Begriffe 8

5. Bibliographie 9

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1. Vorbetrachtungen1.1 BEGRIFFSEINFÜHRUNGEN

Um Goffmans Modell des korrektiven Austausches anwenden zu können, benötigt man ein

gewisses Begriffsinventar, welches er vor allem in „Das Individuum im öffentlichen

Austausch“ festsetzt (Goffman, 2000). Einige davon sind selbsterklärend, andere gehören zum

alltäglichen Selbstverständnis. An dieser Stelle werde ich nur die zum Verständnis wichtigsten

Begriffe einführen, eine ausführliche Liste finden Sie im Anhang I.

Neben dem Begriff der Sanktion, welche sowohl negativ als auch positiv sein kann, ist vor

allem das „Ritual“ elementar – Goffman definiert dies als ein regulierendes Verhalten,

welches als korrektive Handlung einen Fehler zwar nicht wieder gut macht, diesen aber als

solchen eingesteht und den Regelverletzenden in korrekten Bezug zu den verletzten

Konventionen (also vorübergehenden Übereinkünften) und Prinzipien (unabdingbaren

Normen) stellt. (Vgl. Goffman, 2000.) Diese Normen bestehen wiederum aus Verpflichtungen

(auf bestimmte Weise in Bezug auf Andere zu handeln) und Erwartungen (dass Andere auf

einen selbst bezogen auf gewisse Weise handeln), welche sich als Rechte (also erwünschte

Normen) und Pflichten (unerwünschte Normen) präsentieren.

1.2 DAS IMAGE UND ÖFFENTLICHE VERHALTENSREGELN

In „Interaktionsrituale“ (Goffman, 1991) legt Goffman bereits einige Grundelemente für das

Modell des korrektiven Austausches, die für dessen Verständnis sehr wichtig sind. Hier

definiert er das Image eines Menschen als „etwas heiliges“ (ebd., 1991, 25), dessen

Verletzung gewisse Rituale erfordert. Goffman geht es hierbei um alltägliches Verhalten, in

dem wir uns durch ständige Rituale wie bestimmte Begrüßungen, Verabschiedungen,

Gefälligkeiten u.ä. gegenseitig unseres Territoriums und unseres Selbstbildes (Image)

versichern. Dies ist bei nahezu jeder Interaktion der Fall, da wir uns stets so präsentieren, wie

wir uns selbst wahrnehmen – das Image repräsentiert unsere Achtung von Werten und

Normen sowie unser gewöhnliches Verhalten. Ein (positives) Image orientiert sich dabei an

den in der jeweiligen Gesellschaft üblichen Prinzipien und Konventionen, während eine

Person ohne diese Orientierung kein Image besitzt – wird ein Individuum der Vortäuschung

eines Images durch eine entsprechende Normverletzung enttarnt, so kann dies als falsches

Image bezeichnet werden.

Tritt also nun ein Ungleichgewicht bzw. eine Unterbrechung der Interaktion (Niesen,

Stolpern, unpassendes Lachen etc.) auf, korrigiert das Ritual dieses, wodurch der

Verantwortliche verdeutlicht, dass er weiterhin ein achtenswerter Bestandteil des

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Interaktionsprozesses ist. Länge und Intensität der Ausgleichshandlung sind dabei dem

Ausmaß der Normverletzung angepasst. (Vgl. ebd., 1991, 25)

2. Das Modell des korrektiven AustauschesGoffmans Modell des korrektiven Austausches betrachtet als zentrales Element die

Ausgleichshandlungen nach Eingriffen in die Territorien von Interaktionspartnern, undzwar

vor allem im öffentlichen Leben. Hierbei ist eine nähere Betrachtung weitaus komplizierter

als in gesetzlichen Delikten, da aufgrund des fehlenden Beweismaterials der Täter „auf

frischer Tat ertappt“ werden muss. Des weiteren ist die Unterscheidung von regelkonformem

Handeln und der genügenden Beweisproduktion oder auch nur der Behauptung um einiges

schwerer zu ziehen, da für die fälschliche Beweisproduktion (z.B. von Höflichkeit)

tatsächliche Regelkonformität vonnöten ist.

Als Folge einer Regelverletzung betrachtet Goffman vier Handlungsschritte zur Wahrung des

Images und der Wiederherstellung der Norm (und damit des Interaktionsverlaufes):

1. Die Herausforderung des Betroffenen oder eines weiteren Interaktions-

partners an den Verletzenden, indem er auf das Fehlverhalten hinweist.

2. Das Wiedergutmachungsangebot des Verletzenden in Form von Erklärung oder

Entschuldigung in einer der unten dargelegten Ausprägungen. Hierdurch

erklärt er das weitere Vorhandensein der Verhaltensregeln sowie seine

Akzeptanz derselben, weil er sich trotz der Tat in den Betroffenen versetzen

kann und sogar dessen „Bestrafung“ selbst an sich vornehmen kann.

3. Die Annahme des Angebots von Seiten des Betroffenen, welche selbige als

befriedigendes Mittel zur Image- und Ordnungswiederherstellung akzeptiert.

4. Die Dankbarkeitssignalisierung des Täters für die Akzeptanz des Betroffenen.

Dies ist selbstverständlich ein allgemeines Modell, das nach Belieben variiert werden kann

und um mehrere Zwischenschritte erweitert oder auch verkürzt werden kann, ebenso wie

ausgedrückte Emotionen (Schmerz, Zorn etc.) nicht nur unmittelbarer Bestandteil dieses

Ablaufes sind, sondern auch Verbaläußerungen in jedem der Schritte ganz ersetzen können.

(Vgl. ebd, 1991, 26ff)

An die (nicht zwingendermaßen stattfindende) Dankbarkeitssignalisierung schließt sich die

erneute Aufnahme der ursprünglichen Interaktion an, was das eigentliche Ziel der korrektiven

Handlung ist – die Rückkehr zur Normalität. Aus diesem Grund kommt es auch vor, dass

Unbeteiligte die Schuld an Stelle des Verletzenden auf sich nehmen, um auf schnellstem Wege

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zum Interaktionsprozess zurückkehren zu können.

Als Normverletzender muss eine Person stets von dem sogenannten „virtuellen Vergehen“,

also der schlimmstmöglichen Deutung seines Deliktes ausgehen, was in den meisten Fällen

einem schlechten Charakter (noch vor persönlicher Rivalität) entspricht. Sein korrektives

Handeln entspricht also der Deutungstransformation von einem offensiven in ein akzeptables

Motiv. Hierfür stehen ihm verschiedene Methoden zur Verfügung, welche gesellschaftlich klar

definiert sind und ihren jeweils passenden Anlass haben. Goffman legt hier die Mechanismen

von Erklärung, Entschuldigung und Ersuchen dar, wovon ich im Folgenden auf die ersten

zwei Elemente näher eingehen möchte (da das Ersuchen eine im voraus anzubringende

Methode ist, die somit bei Annahme den Deliktbestand negiert). Häufig werden Erklärung

und Entschuldigung auch in einer Kombination verwendet.

Eine Entschuldigung entspricht einer rituellen Wiedergutmachung, welche die Tat nicht

substantiell entschädigt – da im öffentlichen Leben in der Regel kein materieller Schaden

entsteht, ist dies meist auch gar nicht möglich. Stattdessen ist es eine Methode, „durch die ein

Individuum sich in zwei Teile spaltet“ (ebd., 2000, 161), von denen eines das Vergehen

begangen hat und das andere sich von selbigem distanziert und die verletzte Regel anerkennt.

Dadurch bestätigt der Verletzende, dass er weiterhin in einem korrekten Bezug zur Norm

befindet und in Zukunft versuchen wird, den verletzenden Teil seines Selbst zu unterdrücken.

Zu einer Entschuldigung gehören in der Regel aufrichte Bekümmerung, das Wissen um die

richtige Verhaltensweise, das Ankündigen einer freiwilligen Entschädigung (sofern restitutiv

möglich) und die (meist sprachliche) Selbstverurteilung; im Extremfall auch die körperliche

Selbstkasteiung. Letztere Elemente zeigen dem Verletzten vor allem, dass dieser eine u.U.

angebrachte Bestrafung nicht mehr ausüben muss. (Vgl. ebd, 2000, S. 161ff)

Eine Erklärung kann sich auf viele verschiedene Aspekte berufen und sind entweder

Rechtfertigungen (obejktiv berechtigt) oder Ausreden (objektiv unberechtigt). Dies kann sich

zum Beispiel in einem Einspruch (also dem Bestreiten der Tat oder der Verantwortung), dem

Einbringen von übergeordneten (meist mildernden) Umständen oder Erwägungen oder

verminderter Zurechnungsfähigkeit bzw. in der Unvorhersehbarkeit der Ergebnisse ausprägen.

Sämtliche Erklärungen können objektiv gut oder schlecht sein, je nachdem wie stark sie die

Schuld des Verletzenden mindert – dies ist nicht gleichzusetzen mit den Termini „falsch“ oder

„wahr“, denn oftmals kann eine gelogene Erklärung den Verletzenden besser von einer Schuld

befreien als es die wahre könnte. (Vgl. ebd, 2000, 159ff)

Entschuldigung und Erklärung (sowie in gewissem Ausmaß Ersuchen) sind, zusammen-

gefasst, Methoden, um das eigene Image wieder in das Licht zu rücken, in dem man es sehen

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will. Da jeder Mensch ständig, meist ungewollt, in die Territorien seiner Mitmenschen eintritt,

haben wir das Recht, durch die Annahme dieser korrektiven Maßnahmen die Verletzung des

Anderen zu annullieren und sein Selbstbild wieder herzustellen (vorausgesetzt die

Erklärungen sind berechtigt), sowie die Pflicht, diese Methoden selbst zu nutzen, wenn wir

selbst in die Rolle des Normverletzenden versetzt werden. (Vgl. ebd., 2000, 173)

2.1 VERANSCHAULICHUNG AN EINEM HERKÖMMLICHEN BEISPIEL

Im folgenden Textausschnitt habe ich die einzelnen Handlungsschritte eines korrektiven

Prozesses mit unterschiedlichen Farben markiert, um die Häufigkeit ihrer Verwendung zu

verdeutlichen und zu veranschaulichen, auf welche Situationen diese Theorie unter anderem

angewendet werden kann.

Eine junge Angestellte eines gehobenen Restaurants wurde zu einer öffentlichen Feier eingeladen. Dasie sich mit ihrem Chef recht gut versteht, entscheidet sie sich, ein Gespräch mit seiner ihr nur flüchtigbekannten Frau zu beginnen, welche sie in hinter einer Gruppe feiner Herren entdeckt.

Da sie keinen Umweg um die Gruppe nehmen will, fragt sie den direkt vor ihr stehenden Herr:„Entschuldigen Sie bitte, dürfte ich mal?“ und tippt ihm auf die Schulter, um vorbeigehen zu können.„Aber selbstverständlich!“ antwortet dieser und macht ihr den Weg frei, was sie mit einem freundlichenNicken erwidert. Im Vorbeigehen streift sie versehentlich einen weiteren Herren der Gruppe zu ihrerrechten, wofür sie sich mit einem kurzen „Verzeihung“ entschuldigt. „Kein Problem, hübsche Dame!“schmeichelt dieser höflich und widmet sich weiter seinem Gespräch.

Als unsere Protagonistin die Ehefrau des Arbeitgebers erreicht hat, stellt sie sich ihr, wie gewohnthöflich vor, und macht sie darauf aufmerksam, dass sie sich bei der letzten derartigen Veranstaltungbereits begegnet sind, was diese mit einem „Tatsächlich, ich erinnere mich“ quittiert.

Nach etwas Small-Talk stellt die Angestellte mit einem plötzlich überraschten Blick auf das Kleid derGesprächspartnerin fest: „Sagen Sie, hatten Sie dieses Kleid nicht auch neulich auf der letzten Feier an?“

„Ich bitte Sie, dieses Kleid ist doch eindeutig dunkelrot! Das habe ich mir gerade neu gekauft - dasletzte Mal hatte ich ein nadelgrünes Stück von meinem Lieblingsdesigner!“

„Oh“, antwortet die Angestellte beschämt und ergänzt: „Verzeihen Sie, aber ich leide seit meinerGeburt unter Farbenblindheit und deshalb fällt es mir schwer, die beiden Farben zu unterscheiden“

„Ach so“ kommentiert ihr Gegenüber und nickt verstehend. „Das ist natürlich etwas anderes. SagenSie, haben Sie schon diese kleinen Törtchen am Buffet probiert?“

... ...

Wie zu sehen ist, finden sich in einer solch kurzen und einfachen Situation bereits drei

Regelverletzungen im Sinne einer Interaktionsunterbrechung und entsprechend viele, darauf

angepasste Korrektivhandlungen. Der erste Fall ist strenggenommen ein vorangehendes

Ersuchen, weshalb die korrektive Handlung vor der Regelverletzung erfolgt. Die gleich daran

anschließende Situation ist ein klassischer Fall einer einfachen Entschuldigung, eine

Erklärung ist hier nicht notwendig und die Handlung wird von dem Betroffenen nicht nur

angenommen, sondern im Scherz zu einer Schmeichelei erhöht. Auch hier (im ersten Fall

wurde dies lediglich nicht erwähnt) kehrt die Interaktion der gestörten Personen sofort zum

ursprünglichen Zustand zurück.

Die auffälligste, dritte Regelverletzung der Protagonistin wird fast schon formell mit einer

Herausforderung zur Wiedergutmachung erwidert, wobei die Betroffene sich selbst dafür auch

noch rechtfertigt. Die Reaktion der Verletzenden ist der zweite Handlungsschritt nach dem

oben ausgeführten Modell, undzwar eine Verbindung aus Entschuldigung und Erklärung,

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Erklärung derHerausforderung

Legende:RegelverletzungHerausforderung

ErklärungEntschuldigung

AnnahmeDanksagung

Rückkehr zurInteraktion

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welche zwar falsch ist, da die Protagonistin als Frau nicht farbenblind sein kann, aber

trotzdem als gute Erklärung gelten kann, da sie zumindest oberflächlich zur Wiederher-

stellung ihres Images und zur Rückkehr zum normalen Gespräch führt, nachdem die Be-

troffene das Angebot der Verletzenden akzeptiert hat – wobei es durchaus möglich ist, dass sie

dies trotz einer Kenntnis der Lüge getan haben könnte, um zur Gesprächsnormalität

zurückzukehren zu können.

3. Der korrektive Austausch in Zeiten des InternetsGofmans Modell des korrektiven Austausches ist in seiner ursprünglichen Form für das

Verhalten im öffentlichen face-to-face Leben entwickelt. Da es recht allgemein gefasst ist,

lässt es sich auf diverse andere Situationen übertragen. Ein in den letzten Jahren zunehmend

relevantes Thema im Kommunikationsprozess unserer Gesellschaft stellt das Internet dar,

welches in Zeiten des sogenannten „Web 2.0“ ein vielfältiges Angebot an Onlineinteraktion

bietet – von der ursprünglichsten Form des „Usenets“ über E-Mail, Chaträume und Foren.

Während E-Mails zum größten Teil ähnlich aufgebaut sind wie Briefe, sind vor allem die

anderen drei Elemente eine Verschriftlichung einer üblicherweise verbal stattfindenden

Kommunikation. Um hierbei ein gewisses Maß an normalem Kommunikationsverhalten zu

garantieren, existiert die sogenannte „Netikette“ (bzw. „Chatikette) mit gewissen

Verhaltensnormen. Ich möchte mich nun vor allem dem Medium der Foren widmen,

Chaträume und das Usenet lassen sich prinzipiell aber auf ähnliche Weise analysieren.

Ich habe mich vor allem nach folgenden, im Internet als Regelverletzungen angesehenen

Beiträgen umgesehen: Texten in GROSSBUCHSTABEN (Situation A), was allgemein mit

verbalem Schreien gleichgesetzt wird, unpassenden Anreden (Situation B), Beschimpfungen

(Situation C) und sarkastischen Äußerungen (Situation D).

Während der erste Schritt in alltäglichem face-to-face Verhalten oft gestisch ausgedrückt

wird und nur in härteren Fällen tatsächlich ausgesprochen wird, findet sich in Internetplatt-

formen nur die schriftliche Möglichkeit sowie das Abwarten auf eine von selbst stattfindende

Korrektivhandlung sowie den sogenannten „Smileys“ als Gestenersatz. Eine schriftliche

Herausforderung dürfte also beispielsweise folgendermaßen aussehen: „Bitte sieh mal nach

deiner Caps-Lock Taste, vielleicht ist sie festgeklemmt“ wäre eine höfliche Reaktion auf die

Situation A, da sie ein Versehen voraussetzt, eine komplementäre Reaktion wäre z.B. eine

Beschimpfung als „Troll“ (Autor unsachmäßiger Posts) in Situation C oder D.

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Die korrektive Handlung des zweiten Schrittes besteht interessanterweise in äußerst seltenen

Fällen aus einfachen Entschuldigungen, sondern ist fast durchgängig mit einer Erklärung

versehen. Dies liegt einerseits daran, dass einfachste Delikte wie Niesen oder eine

versehentliche Berührung, die in der realen Welt von einer simplen Entschuldigung gefolgt

werden würden, in Foren nicht passieren können und es sich bei einer weit größeren Zahl um

erklärungsbedürftiges Verhalten handelt. Des weiteren bleibt eine Provokation durch die

schriftliche Archivierung länger aktuell. Viel häufiger als im öffentlichen Leben erfolgt dieser

Schritt jedoch nicht sofort auf die Herausforderung, sondern wird erst mit wiederholtem

Schlagabtausch von Provokationen beantwortet, bevor einer der Teilnehmenden zur Einsicht

kommt. Dies liegt sicherlich an der (scheinbaren) Anonymität im Internet, durch welche viele

Interaktionsteilnehmer sich eher auf ein Streitgespräch einlassen, als sie es in der realen Welt

tun würden.

Den dritten und vierten Handlungsschritt beobachtet man generell recht selten im Internet –

höchstens den Schritt der Annahme kann man hin und wieder beobachten, die Dankbarkeits-

stufe fällt jedoch so regelmäßig weg, dass man Goffmans Modell bezogen auf Internet-

kommunikation modifizieren müsste, da dieser Schritt eher die Ausnahme als die Regel

bildet, und daher getrost gekürzt werden kann.

Ebenso wie sich Goffmans Modell nicht nur an Alltagssituationen (wie auf Seite 6), sondern

auch an erweiterter Alltagskommunikation wie dem Internet veranschaulichen lässt, so lässt

es sich auch auf weitaus größere Delikte erweitern, da auch hier die vier Schritte der

korrektiven Interaktion vorgenommen werden – mit dem Unterschied, dass hier die

Feststellung des Schuldigen von weitaus größerer Relevanz ist als bei alltäglichen Delikten,

bei denen die Wiederaufnahme des Kommunikationsprozesses im Mittelpunkt steht. Dies

zeigt, dass Goffman mit seinem Modell nicht nur eine Bestandaufnahme vorgelegt hat,

sondern eine Möglichkeit gefunden hat, selbst Austauschhandlungen in neuen, zu damaliger

Zeit noch kaum relevanten Medien zu analysieren.

4. Anhang I: Weitere Begriffe

Formelle Sanktion durch dafür eingerichtete Institution ausgeübte SanktionInformelle Sanktion von dem Handelnden selbst oder einer ihm emotional nahstehenden

Person ausgeübte SanktionTerritorium Selbstbestimmter Bereich eines Individuums, dessen

ungerechtfertigte Verletzung als unangenehm empfunden wird.(Körperliche Nähe, Intimsphäre, Privatsphäre etc.)

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Standard ein Ideal, das nicht oder nicht immer erfüllt werden muss (z.B.Schönheitsideal).

Anforderung ein Ideal, welches eine vollständige Regelbefolgung fordert (z.B.nicht zu morden).

Verantwortlichkeit Vor allem unmittelbar (für die eigene Tat) oder für Schadenersatz(Vormundschaft), außerdem definiert als V. des vorsätzlichenHandelns (trotz Kenntnis der negativen Auswirkung ausgeführt) oderder eigentlichen Absicht (mit Ziel dieser negativen Auswirkung).Goffman beschreibt außerdem noch die moralische Verantwortungals Frage nach der Handlung und wie gehandelt hätte werden sollen.

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5. BibliographieGemünden, J., 1996. Gewalt gegen Männer in hetereosexuellen Intimpartnerschaften. Ein

Vergleich mit dem Thema Gewalt gegen Frauen auf der Basis einer kritischen Auswertung

empirischer Untersuchungen. Seite 93f. 1. Auflage. o.O.:Tectum Verlag.

http://books.google.com/books?

id=vBIEi1DRtUgC&pg=PA93&lpg=PA93&dq=Goffman+korrektive+Ausgleich&source=bl

&ots=7rJvhCrpML&sig=H3U0oV_claQSpamP-

3q7JGs6vDA&hl=de&sa=X&oi=book_result&resnum=1&ct=result

Goffman, E., 1991. Interaktionsrituale: über Verhalten in direkter Kommunikation. 2.

Auflage. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.

Goffman, E., 2000. Das Individuum im öffentlichen Austausch: Mikrostudien zur öffentlichen

Ordnung. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.

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