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    ARCHOLOGIE

    Der Siegeszug der Wikinger

    Mit Jubelfeiern und historischen Bootsregatten feierten die USA die Anlandung der Wikinger vor gut

    1000 Jahren. Doch der Ruf der Jubilare ist zweifelhaft.

    Grabungen beweisen: Die Nordmannen waren Schutzgelderpresser, sie

    meuchelten auf vier Kontinenten und handelten mit Sklaven. In

    Untersuchungen werden die nordischen Seefahrer als geldgierige Kaufleute

    mit einem weltumspannenden Handelsnetz beschrieben.

    DPA

    Filmszene: Wikingerboot

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    Fachbchern findet sich fr den Einsatzkeine Anleitung. Zernikow hat seine Er-fahrung durch Experimentieren und ausErkenntnissen bei der Therapie von Er-

    wachsenen erlangt.Dabei unterscheidet sich die Wirkung der

    Mittel zwischen Jung und Alt erheblich. Dielindernden Substanzen werden ber dieNieren der Kinder schneller ausgeschiedenals bei den Alten. So kann es passieren, dassdie Dosis, berechnet pro Kilogramm Kr-pergewicht, im Verhltnis zum Erwachsenenhher angesetzt werden muss.

    Von der Pharmaindustrie erhalten die

    rzte wenig Untersttzung. Hufig sindArzneimittel fr Kinder gar nicht zugelas-sen. Dafr mssten eigens Studien in Auf-trag gegeben werden. Weil es aber zu we-nig Kinder als Abnehmer der Mittel gibt,rechnet sich das meistens nicht, klagtZernikow. Folglich mssten die rzte dasrechtliche Risiko tragen und sich ber dieZulassungsbestimmungen hinwegsetzen.Nicht jeder Mediziner traut sich das. Er-forderlich ist ein virtuoser Umgang mit denpotenten K.-o.-Stoffen: Ist die Dosierungzu hoch, dmmert das Kind, ist sie zu nied-rig, sind die Schmerzen zu stark.

    Bei manchen seiner Juniorpatientenmuss Zernikow gar ganz die Pfade derSchulmedizin verlassen. Als er die 16-jhri-ge Gymnasiastin Eva Mieczkowski kennenl t k ft i i F i d i

    Streng und finster, nicht gerade wie einSpavogel, blickt Olof hman in dieKamera. Der schwedische Bauer im

    Sonntagsanzug, gerahmt von zwei unifor-mierten Landsleuten, prsentiert auf demuralten Foto seinen Sensationsfund: einenbeim Roden entdeckten Runenstein.

    Im Hgelland von Minnesota, der neu-en Heimat Hunderttausender skandinavi-scher Einwanderer, hatte hman 1898 denmit Ritzzeichen beschriebenen Stein ge-

    funden. Der graugrne Block berichtet voneiner Entdeckungsfahrt, die fr zehn Nord-mannen tdlich endete: Ihre Kumpanehtten sie auf der Rckkehr vom Fischenerschlagen vorgefunden. Aus dem Wur-zelwerk einer Espe, so hman, habe er dasMonument herausgehauen doch als ar-chologischer Ausgrber wurde der Bauerkaum ernst genommen.

    Das Objekt, nach dem nahe gelegenen

    Stdtchen Kensington benannt, versetztezwar die Immigranten in Hochstimmung:Der Datierung zufolge htten Nordman-

    Eva ein so genanntes Tens-Gert, das berzwei Elektroden geringe Stromste inihren Unterarm jagt. Abends bei der Ta-gesschau lege ich die Spannung an. Nach

    30 Minuten habe ich ein taubes Gefhl inder Hand, berichtet Eva. Die Schmerzensind dann fast wie verflogen.

    Warum die Stromste helfen, kann dieForschung bislang nicht genau erklren.Die Impulse wirken offenbar nicht auf dieNerven in der Hand, sondern auf be-stimmte Regionen im Rckenmarksnerv,vermutet Zernikow. Die dortigen Nervensenden Gegenimpulse aus, die das aus dem

    Krper eintreffende Schmerzgefhl neu-tralisieren sollen. Der Stromsto aus demTens-Gert stimuliert diese Region des zen-tralen Nervensystems.

    Aus dem Erdgeschoss der Instituts-villa hallt derweil Kindergetse nach oben:Das sind die Bauchtnzer, neun Jun-gen und Mdchen, die von funktionellenBauchschmerzen geplagt werden. Das Lei-den hat keine krperlichen Ursachen, son-dern resultiert offenbar aus Stress undanderen psychosomatischen Belastungenund ist eine hufige Begleiterscheinungdes Heranwachsens.

    Unter frhlichem Gejohle schlpfen dieKinder in ihren Anorak. Es ist sechs Uhrabends. Das Haus leert sich, Ruhe kehrtein. Zernikow betrachtet Bilder, die dieB ht ih S h lt

    Wissenschaft

    G E S C H I C H T E

    Das Geheimnis

    der TreppenstufeErreichten die Wikinger lange vor

    Kolumbus das amerikanischeBinnenland? Der berhmte Runen-

    stein aus Kensington soll aufseine Echtheit untersucht werden.

    Psychologin Damschen mit der Bauchtnzer-Gruppe: Leiden der HeranwachsendenKURTSCHRAGE

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    USA

    GRN-LAND

    ISLAND

    NOR-

    WEGEN

    A t l a n t i k

    Hudson-Bay

    Chicago

    KANADA

    Routen derWikinger

    umstritteneRoute

    Fundstttedes Runen-steins 1898

    EUROPA

    Neufundland

    Labrador

    Minne-sota

    nen schon 1362, lange vor Kolumbus, ihreSpur tief im amerikanischen Kontinenthinterlassen. Doch fast alle Expertenhielten das Fundstck fr eine Flschung.Fr den Rest seines Lebens litt hman un-ter dem Ruf, ein Scherzbold und Lgnerzu sein. Mit der Schrift nach unten, ver-legte er den Stein als Treppenstufe zu sei-nem Haus.

    Die Ehre ihres Vorfahren sehen die

    Nachkommen des vierschrtigen Man-nes nun wiederhergestellt: Die hmanswaren zum Erffnungssymposium einerAusstellung geladen, mit der das Stock-holmer Historische Museum Das Rtseldes Kensington-Steins klren mchte.Erstmals ist das Fundstck zu diesem An-lass in Europa.

    Neue mineralogische Untersuchungenund unterschiedliche Deutungen des Tex-

    tes htten den geheimnisvollsten allerRunensteine wieder in den Blickpunktgerckt, sagt Museumschef Kristian Berg.

    von Blut und tot gefunden. Die christlicheFormel Erlse uns von dem bel be-schliet den Text. In die Schmalseite istdie Jahreszahl 1362 graviert.

    Die schlichte Zahl, geschrieben nach ei-nem speziellen, auf der Zahl fnf basie-renden System, ist fr Helmer Gustavson,Chefrunologe am Stockholmer Reichs-denkmalsamt, ein Beleg fr die Unecht-heit: Diese Datierungsart und weitere Auf-

    flligkeiten finden sich nur noch ein ein-ziges Mal wieder auf einem hlzernenJoch, das ein Runenschreiber 1907 in derabgelegenen schwedischen Region Dalarnaritzte, wo sich diese Tradition bis in dieNeuzeit erhielt: Aus dieser Epoche, sofolgert Gustavson, stammt auch der Ken-sington-Stein.

    Andererseits bescheinigt der US-Geolo-ge Scott Wolter der Inschrift ein Alter, das

    die Zweifler in Erklrungsnot bringt: Wol-ter verglich die Verwitterung einzelner Zei-chen mit denjenigen von Grabsteinen ausdem 19. Jahrhundert. Die Analyse ergab,dass der schwarze Glimmer aus der Zeitder Inschrift 194 Jahre brauchte, um voll-stndig wegzuwittern.

    Die Oberflche wird jetzt durch denStockholmer Geologen Runo Lfvendahlerneut untersucht, der Spezialist fr Ver-witterung von Runensteinen ist. Drei-dimensionale, berhrungsfrei erstellte Auf-nahmen der gesamten Steinoberflche sol-len den Runenforschern die Interpretationder Buchstabenformen erleichtern.

    Jedes Wort, jede Rune auf dem Ken-sington-Stein kann diskutiert werden,sagt Philologe Williams. Unstimmigkeiten

    d F hl i d T t l t i ht

    Die jngsten Auseinandersetzungen mitdem Findling aus Minnesota seien wie einThriller, so Berg: Jede Antwort wirft so-gleich wieder eine neue Frage auf.

    Bis zum Februar haben die Wissen-schaftler jetzt ausgiebig Gelegenheit, derWahrheit anhand des Exponats nachzu-spren, das danach ins Museum der Klein-stadt Alexandria bei Kensington zurck-kehrt. ber die Touristenattraktion wacht

    dort Big Ole ein 8,50 Meter hoher Plas-tik-Wikinger, dessen Schild die khne Auf-schrift trgt: Alexandria Birthplace ofAmerica.

    Mit der akribischen Analyse des Runen-textes werde im nordischen Ursprungslandnachgeholt, was wir lngst htten machenmssen, sagt Henrik Williams, Philologean der Universitt Uppsala. Es war Ru-nen-Janne, Schwedens berhmter Ge-

    lehrter Sven Jansson, der die Inschrift 1948zur Flschung erklrt hatte und damiteingehende Studien blockierte.

    Der mysterise Fund erhitzte erst in denachtziger Jahren wieder die Gemter: Eineeigene Rubrik unter dem Stichwort Ken-singtonia widmet seither das norwegi-sche Runenarchiv dem Stein, dessengegenwrtig laufende Entrtselung auchder deutsche Runenkundler Klaus Dwelhoch spannend findet.

    Die massigen Gedenksteine der Wikin-ger knden von Tatkraft und Expansion,ihre geritzten Inschriften markierten dieWege des Hndler- und Piratenvolks zumLadogasee, den Dnjepr abwrts, zum Kas-pischen Meer und nach Grnland und Neu-fundland.

    D i T S f h i h d t

    Holzjoch mit RunenJRGEN

    HILDEBRANDT/PANOS

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    Im Oktober 1965 traten Historiker deramerikanischen Yale-Universitt mit ei-nem brchigen Pergament vor die Welt-

    presse. Vorsichtig entrollten sie die ver-gilbte Tierhaut, auf der mit Eisengallus-tinte die Kontinente Europa, Asien undNordafrika gezeichnet waren und dieKste Kanadas.

    Dann folgte der Knller. Das Werk seizwischen 1431 und 1449 entstanden, sodie Forscher rund 50 Jahre vor derlegendren berfahrt von Christoph Ko-

    lumbus.Die Vinlandkarte gibt bis heute Rtselauf. Die einen geieln das 28 mal 40 Zen-timeter groe Papier als schlpfriges Mach-

    werk und Ausgeburt einesdiabolischen Flschers. An-dere brgen fr seine Echt-heit und geben den Wert desOriginals mit ber 20 Millio-nen Dollar an.

    V W h

    Werk an den Banker und Kunstmzen PaulMellon weiter. Der schenkte es der Elite-Universitt in Connecticut.

    Die angebliche Weltkarte der Wikingersteckte in einer greren Pergament-

    sammlung. Auf den anderen Blttern warein (bis dahin unbekannter) Reiseberichtdes Gesandten Johannes de Plano Carpiniverzeichnet. Dieser Gottesmann existiertewirklich: 1245 brach er im Auftrag von In-nozenz IV. in die Mongolei auf, um dieShne Dschingis Khans zu bekehren. Ver-brgt ist, dass der Diplomat fast bis nachKarakorum vorstie.

    Aber hatte der taffe Johannes tatschlichauch die Vinlandkarte im Gepck? Warendie Trns der Wikinger im Mittelalter be-kannt? Dann besa vielleicht auch dergeborene Genueser Kolumbus ein Exem-plar. Das aber wiederum wrde bedeu-ten, dass der furchtlose Kapitn, der mitSpritzwasser in der Hose ins Unbekannteschaukelte, in Wahrheit ein fader Leicht-matrose war, der mit fremder Leute Bord-karten navigierte.

    Doch gemach! Unter dem Stichwort

    Entdeckung Amerikas finden sich gernSpinner zusammen. Einige Archologenglauben, dass schon die Pharaonen in Bin-senbooten rbermachten. Und US-Geo-grafen prfen derzeit ein Dokument ausChina: Admiral Zheng He, ein Eunuch desDrachenthrons soll um 1430 in der Karibikgewesen sein. Alles Zinnober.

    In diese Reihe scheint auch die Vinland-karte zu passen. Ihre Bestrahlung mit

    Laserlicht habe Rckstnde von Titan-dioxid enthllt, die ein-deutig synthetischen Ur-sprungs seien, heit es in deraktuellen Untersuchung ausLondon.

    Die US-Forscher vomBrookhaven National Labo-ratory halten nun voll dage-gen. Sie schnitten einenSchnipsel aus dem rechtenRand der Landkarte. Ergeb-nis: Das Tier, aus dessen Hautdas Pergament gespannt wur-de, war 1434 gestorben.

    Unerfindlich sind die WegeGottes, aber was geht da ab?Besa der Flscher ein au-th ti h P t d

    nach ist das Pergament echt und stammtaus dem Jahr 1434.

    Im Gegenzug untersuchten Chemikervom University College London dieTinte und fanden darin Spuren von Ti-

    tandioxid diese Substanz wird erstseit 1923 zum Schreiben verwendet.Die Pioniertaten der Wikinger zweifeln

    beide Gruppen nicht an. Fest steht, dassden Nordmnnern zwischen 1000 und 1005mindestens drei Atlantikquerungen gelan-gen. Von Grnland aus pullten sie nachLabrador, wo die Hrnerhelme alsbald mitSkrlingars (Schmchtigen) in bluti-gen Streit gerieten. Gemeint sind damitwohl die Algonkin-Indianer.

    Doch Hgar und Co. konnten auf demKontinent nicht Fu fassen, ihre nautischenTaten gerieten in Vergessenheit. Erst 1960kamen in Neufundland acht Wikinger-Ka-ten zu Tage. Viele Historiker mochten an-fangs kaum glauben, dass in den Grasdach-Bunkern einst mettrinkende Besucher ausEuropa gehaust hatten.

    In jene Zeit hitziger Debatten platztendie Yale-Leute pltzlich mit ihrer Vin-

    landkarte. Allerdings tischten sie eineschrge Fundgeschichte auf. Demnach hat-te ein italienischer Hndler den wurmsti-chigen Atlas 1957 zum Verkauf angebo-

    ten. Drei groe Antiquariatein Genf, London und Paris un-tersuchten die Ware undlehnten ab.

    Erst der US-Hndler Lau-rence Witten griff fr lppische

    3500 Dollar zu und reichte das

    Wissenschaft

    G E S C H I C H T E

    Verdchtige

    TinteForscher streiten um eine mittel-

    alterliche Weltkarte, auf der TeileAmerikas eingezeichnet sind.

    Wusste Kolumbus, wohin er fhrt?

    Vinlandkarte, Wikingerschiff*

    Vergessene Taten

    AP

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    5/29Mit frisch gewachsenen Rausche-brten, gewandet in derbes Tuch,wartete die Empfangsdelegationam Strand von LAnse aux Meadows (Neu-f dl d) Di G t k t d b it

    2200 Seemeilen weit hatte sich die Crew,von Island kommend, durch den Nordat-lantik geqult. Das Boot geriet in Treibeis,es passierte Robbenkolonien und Walher-d N ht k t di M t i i

    Menschenjagdim Drachenboot

    Mit Jubelfeiern und historischen Bootsregatten

    feiern die USA die Anlandung der Wikinger vor 1000Jahren. Doch der Ruf der Jubilare ist zweifelhaft.

    Neue Grabungen beweisen: Die Nordmannen waren

    Schutzgelderpresser, sie meuchelten auf

    vier Kontinenten und handelten mit Sklaven.

    Titel

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    Von ihrem Brckenkopf unternahmendie Siedler Erkundungstouren RichtungSden. Dann, so die Sagas, stellten sich ih-nen Skrlingar (Schmchtige) in den

    Weg gemeint sind wahrscheinlich die Al-gonkin-Indianer. Es kam zu blutigen Zu-sammensten. Nach 20 Jahren rumtendie Konquistadoren entnervt das Feld.

    Doch die alten Berichte haben offen-sichtlich Lcken. An insgesamt zehn Plt-zen in Kanada, keiner von ihnen aus denSagas bekannt, sind mittlerweile Relikteder Nordmannen aufgetaucht: Metall-scharniere, Pfeilspitzen undReste von Kettenpanzern.Eine Holzfigur, gefunden aufder Baffin-Insel, wird alschristlicher Missionar ge-deutet.

    Volle vier Jahrhundertelang, so der neue For-schungsstand, gingen dieOdi A h i d t

    AP

    Grnland

    Island

    Nordatlantik

    Baffinbai

    Nuuk

    Godthb

    Thule

    Reykjavk

    LAnse auxMeadows

    Ellesmere-Insel

    Labra

    dorsee

    Hudsonbai

    Axel-Heiburg-

    Insel

    Devon-Insel

    Cornwallis-Insel

    Bathurst-Insel

    New Yorkgeplante Ankunftam 5. Oktober

    Baffin-InselHelluland

    Neufundland

    Vinland

    LabradorMarkland

    QassiarsukBrattahlid

    Siedlungsgebieteder Wikinger

    Handelswege derWikinger

    Wikinger-Funde

    Segelroute derIslendingur

    Wikingerschiff Islendingur (o.), Ankunft der Crew in Neufundland

    B i hl h S i k i di S h fl h

    G.

    LOCKE

    Der Rummel gilteinem Seefah-rervolk, das,vom Reisefiebergetrieben, vierK ti t

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    plant. Drachenboote und Lastkhne(Knorren) aus Europa wurden zur 1000-Jahr-Feier ber den Ozean verfrachtet. DasNaturkundemuseum von Washington pr-sentiert die Wikinger in einer drei Millio-nen Dollar teuren Prachtschau. Abge-schlossen werden die Feierlichkeiten am 5.Oktober. Dann luft die Islendingur mit

    groem Trara in New York ein.Selbst das Weie Haus strickt an derWiedergeburt der Nation aus dem Geist

    d H h l I i F t h

    das am eigenen Leibe: Im Mai wurde demDeutschen die Lomonossow-Medaille, derhchste russische Forschungspreis, verlie-hen ein Dank fr seine archologischeArbeit in der Wikingersiedlung Gorodiscbei Nowgorod.

    Dort, auf einer Anhhe, haben die Aus-grber eine kleine Sensation entdeckt. Sie

    stieen auf die Holzfestung des legendrenRorik. Dieser Wikingerfrst war um 860mit Blut und Schwert bis in die Ukrainevorgerckt. Dort grndete er das Knig-reich Kiew, die Keimzelle des russischenStaates.

    Leif-Fieber in den USA, Rorik-Re-naissance in Russland zwei ehemalsverfeindete Supermchte rcken pltz-

    Mystiker Grofeuer ab (siehe Kasten).Deutschland prsentiert sich auf der Expomit dem Plankengerst eines Wikinger-schiffs.

    Der Rummel gilt einem Seefahrervolk,das den Schlittschuh mit Knochenkufen er-fand und das zwischen 800 und 1100 nachChristus, vom Reisefieber getrieben, vier

    Kontinente erzittern l ie.Wikinger schaukelten auf Kamelen bisnach Bagdad. Sie meuchelten in Nakur(Nordafrika) und fhrten um 930 nachChristus Krieg in Aserbaidschan. Als dieMaurer in Speyer den Dom bauten, be-trieben die Skandinavier bereits ein Han-delsnetz, das von Grnland bis Taschkentreichte.

    Besonders erstaunlich mutet der Vor-sto der Wikinger in die Weiten Russlandsan. Zehntausende von schwedischen Aben-teurern waren im 9. Jahrhundert ins Sla-wenland eingedrungen. Hochgewachsenwie Dattelbume, blond und von rosigerGesichtsfarbe, so werden die nach Ostenstrebenden Urschweden in einem alten Do-kument beschrieben. Die einheimische Be-lk t ft di F d f d N

    Fundstcke der Wikinger

    Helm aus ei-

    nem Schiffsgrab

    in Schweden

    REUTERS

    Wikinger-Darstellung*

    Staatsgrnder des russischen Reiches?

    LIBRARYOFCONG

    RESS

    Russlands Prsident Putin, Ausgrabung einer Wikinger-Siedlung in Nowgorod: Unbequemes Erbe von den Sowjets konsequent geleugnet

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    lich unter dem Banner Walhalls zusam-men.

    Doch das pltzlich gefragte Erbe desMittelalters hat einen grausigen Leumund:Wie kein anderes Volk stehen die Wikingerim Ruch von Schlagetots. Erik Blutaxt,Knig von Norwegen, Ivar der Knochen-lose, der islndische Grofrst GeirmundrHllenhaut: Diese Namen waren Pro-

    gramm.Wie frhzeitliche Hooligans tauch-ten die Nordmannen im 8. Jahrhun-dert aus dem geschichtlichen Dunkelauf. In schlanken Drachenbooten(Spitzentempo: ber 20 Stundenkilo-meter) fielen sie nach Schilderung ei-nes Chronisten als reiende Wlfeber das Abendland her.

    heit es dort, htten die Nordmannen Landum Land erobert, um ihre Idee von Ehreund Staat zu verwirklichen.

    Menschen, die in Wahrheit weder Mbelnoch das Alphabet kannten, mutierten zuHightech-Geistern, die mit heldischer Un-bekmmertheit die Welt eroberten. Wieaus dem Nichts htten sie in Kiew, in Pa-lermo, in der Bretagne und in Englandglanzvolle Kulturzentren geschaffen Indiz

    fr die berlegenheit der ari-schen Rasse.

    1933, mit der braunen Macht-bernahme, wurden solcheThesen offizieller Stoff an denSchulen. Heinrich Himmler, der

    Reichsfhrer SS, stieg zumGralshter der neuen Lehre auf.

    Hitler blieb das nordischeGemurmel zwar stets verdch-tig. Fixiert auf die Leistung desbritischen Empire und des anti-ken Rom, hatte er fr die Inva-

    sion der Mettrinker nur Spott brig. Alskalt, feucht und trbe stufte er ihre Hei-mat ein: Die Germanen, die in Holstein

    geblieben sind, waren nach 2000 Jahrennoch Lackel.Wir sind Nationalsozialisten, gab der

    Reichsfhrer in einer Rede zu Proto-koll, und haben berhaupt nichts zutun mit wallenden Brten und Haupt-haar. Wir haben alle die Haare kurz ge-schnitten.

    Gleichwohl fhrte Himmler bald ein ge-spenstisches Eigenleben. Er war es, der sei-

    ner Truppe die gezackten Runen verpasste.Er lie Forschungsschiffe nach Helgolandauslaufen und schob, untersttzt von Ar-chologen in seiner Abteilung Ahnen-

    Am 8. Juni 793 erffneten die norwegi-sche Piraten die Serie ihrer berchtigtenberflle. Mit mehreren Schiffen hattensie sich Richtung England aufgemacht.Heimlich gingen sie vor der KlosterinselLindisfarne an Land. Kurz danach standdie Abtei in Flammen, massakrierte Mn-che lagen im Staub. Die Banditen flohenmit goldenen Kruzifixen und edelsteinbe-setzten Evangelienbchern im Gepck.Rohe, vollkommen gottlose,verwegene Gestalten, klagteein irischer Kleriker, htten denheiligen Ort zerstrt.

    Weitere Angriffe folgten. DieRaubtouren, meldet eine andere

    Quelle, waren begleitet von un-geheuren Blitzen, und in denLften sah man entsetzlicheDrachen.

    Solche Berichte bestimmendas Bild der Wikinger bis heute.Mit Matschauge und gezcktemSchwert sprang Kirk Douglas durch Hol-lywood-Kulissen. Ob Hgar der Schreckli-che oder Sigurd der Drachentter der

    Wikinger, so will es der Mythos, haut drauf,bis es wehtut.Vor allem unter den Nazis erlebten die

    Recken aus dem Norden eine dmonischeWiedergeburt. Wie keine politische Bewe-gung der Neuzeit hat die NSDAP das Erbeder Wikinger zur Rechtfertigung eigenerUntaten missbraucht.

    Es war der Parteiideologe Alfred Ro-senberg, der in seinem Buch Der My-

    thus des 20. Jahrhunderts (erschienen1930) die Steilvorlage lieferte. DasWerk verherrlicht in einem bei-spiellosen Akt von Geschichtsklit-terung die Wikinger als letzte Ver-treter eines urgermanischenTraums.

    Mit genialer Zwecklosigkeitund wildem jugendlichen Sturm,

    Prsidenten-gattin HillaryClinton feierte

    das Wikinger-Langschiff alsInternet desJahres 1000

    Eisenspange mitSilberauflage

    Schwert aus

    Eisen und Gold

    Armring ausmassivem Silber

    Titel

    Hlzerner Tierkopfpfosten

    aus norwegischem Schiffsgrab

    A.

    ALSLEBEN

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    dies. Weder das Karolingerreich nochdie Knige Irlands und Englands be-saen stehende Heere.

    Schlielich betonen die Forscher einenpsychologischen Faktor: Die Wikinger,gesthlt durch das entbehrungsreicheLeben in der Heimat, verfgten berein enormes Durchhaltevermgen.

    Zugleich zeichnet sich dieBedeutung eines weiterenAspekts immer deutlicher ab:Die Nordmannen verdanktenihren Reichtum vor allem derSklavenjagd. Menschen, soB ih i hti t

    Kiel stationierte Forschungsschiff nachGrnland aus und stie auf Spuren einerKatastrophe.

    Vor Brattahlid, nahe der SteinfarmEriks des Roten, sind riesige Flchen Wei-deland im Meer versunken. Im Flachwas-ser wurden Mauerreste und Siedlungs-spuren entdeckt. Die Ursache fr die Ab-senkung des Landes ist bislangnicht geklrt. All diese neuenarchologischen Puzzlesteinefgen sich langsam zu einemGesamtbild. Zumindest dieGrundpfeiler des heidnischenA t d E J h

    Der Piratentripins Ausland warfr die Jung-

    i

    nalsozialisten ebenso benutzt wie von derheutigen rechtsextremen Szene. So setz-te die SS ihr Krzel aus den heute ver-botenen Sig-Runen zusammen.

    Diese frhen germanischen Schriftzei-chen finden sich in einem zentralen, nichtverbotenen Symbol der Neonazis wieder:der schwarzen Sonne. Auf der We-welsburg nahe Paderborn, der ehemali-gen SS-Schulungssttte, prangt auf demMarmorboden des SS-Obergruppenfh-rersaals ein aus zwlf Sig-Runen zusam-mengesetztes Sonnenrad.

    Das Symbol, so propagiert es die neo-

    nazistische Postille Landser, stehe frdie germanischen Werte und gilt als Wi-derstandszeichen gegen die herrschende,angeblich volkszerstrende Kraft. Dieschwarze Sonne wird als Schmuck-stck, Koppelschloss oder als Stickereiauf Tischtchern im einschlgigen Handelangeboten.

    Die Wikinger-Verehrung ist ein festerBestandteil innerhalb der neonazistischen

    Kameradschaften. Eine inzwischen ver-botene Nachwuchsorganisation trug denNamen Wiking Jugend. Im Hambur-ger Sturm, einer der wichtigeren Sze-neschriften, wurde jngst ein detaillierterReisebericht zu den Wikingerfesttagenin Schleswig abgedruckt.

    Selbst im Jenseits sind die nordischenGtter noch prsent. Stirbt einer derbraunen Kameraden, hoffen manche Hin-

    terbliebene, dass er seinen Platz in derHalle der Gefallenen findet. Dort, inWalhall, sammelte zu WikingerzeitenKriegsgott Odin seine Kmpfer bei Metund rauschenden Partys.

    Manche Neonazis glauben offenbar,dass der gttliche Schlger immer nochim Geschft ist: Als der dreifache Mrderund Neonazi Thomas Lemke aus Glad-beck 1997 vor Gericht stand, kommen-tierte er das Urteil knapp: KriegsgottOdin hat mir den Befehl gegeben.

    Germanisches Erntefest im Dritten Reich: Dmonische Wiedergeburt des nordischen KultsULLS

    TEIN

    BILDERDIENST

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    Eroberer aus dem NordenRaubzge und Siedlungsgebieteder Wikinger

    N o r d a t l a n t i k

    Neufundland

    Labrador

    Grnland

    Nuuk

    Baffin-Insel

    Qassiarsuk

    Nostra, auf Schutzgeldzahlungen, Erpres-sung und Sklaverei. Erst im Laufe der Zeitentwickelte sich aus diesen Strukturenein transkontinentales Tauschnetz. AlsBanditen fingen sie an, als Krmer hrtensie auf.

    Die ursprngliche Heimatder Emporkmmlinge, so vielist klar, war Skandinavien. Wieein heidnisches Bollwerk lagdieses Gebiet im 8. Jahrhundertan der Nordspitze Europas. DieRmer hatten die Fjorde nie er-reicht.

    Kaum zwei Millionen Men-schen bewohnten damals die

    mageren Weiden Dnemarks,Schwedens und Norwegens.Man sprach altnordisch. Hun-derte von Kleinknigen teilten sich dieMacht. Eine Zentralregierung war unbe-kannt.

    Der freie Bauer besa eine groe Holz-htte, in der etwa 30 Personen schliefen (imSchnitt 15 Familienangehrige plus 15 Skla-ven). Lampen mit ranzigem Wall sorgten

    im Winter fr Dmmerlicht. Wurden Grau-pen gekocht, qualmte die Htte. Kamin-abzge hatten die Buden nicht. Nur jedesdritte Kind erreichte das 10. Lebensjahr.

    * Links: Farbdruck nach Gemlde von Max Koch (um1905); rechts: Gemlde von P.N. Arbo (1869).

    Allein das Vieh durch den Winter zubringen kostete enorme Anstrengungen.Bis spt in den Herbst waren die Knechtedamit beschftigt, Heu einzufahren. Den-noch torkelten die Rinder im Frhlingmeist abgemagert auf die Weiden.

    Trotz leerer Mgen blhteder Kriegerkult. PermanenteBlutfehden erschtterten dasLand. Der Nordmann, so be-singen ihn die Dichter, warstolz, unbeugsam und auf ge-spenstische Weise brutal. Im-mer wieder taucht in den Lie-dern das Werwolfmotiv auf. Be-sonnene Mnner verwandeln

    sich pltzlich in Werwlfe undbeien ihren Opfern die Kehledurch.

    Die Gesellschaft folgte einem strengenDreiklassensystem, Chef im Stammesge-biet war ein reicher Grobauer (Jarl). Ihmzur Seite standen die freien Bauern (Karl).Den Bodensatz bildeten die Thrall, dieSklaven und Unfreien.

    Whrend die Knechte Torf stachen und

    Saubohnen einfuhren, blhte unter denfreien Mnnern ein bizarrer Kriegerkult.Mut war eine Tugend, Raufereien an derTagesordnung.

    Auch das Rechtssystem mutet archaischan. Mrder mussten die Angehrigen desOpfers mit Mrk und Penningr ent-

    Titel

    Gern griffendie Heiden anFeiertagen an,wenn sich dieWrdentrgerder Christenversammelten

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    Gnezdowo

    BagdadJerusalem

    Sevilla

    Lissabon

    London

    Dublin

    Lindisfarne

    Haithabu

    Birka

    S c h w a r z e s M e e r

    Wollin

    Grobin

    Mainz

    Reykjavk

    M i t t e l m e e r

    Paris

    ToursA r a l s e eItil

    Kaupang

    E u r o p i s c h e s N o r d m e e r

    Heimat der Wikinger

    K a s p i - s c h e s M e e r

    Crdoba

    Eroberte Gebiete der Wikinger

    Frer

    Balearen

    Vorstsse der Wikinger

    Kiew

    Nowgorod

    Staraja Ladoga

    Byzantinisches Reich976 n. Ch.

    Kalifat von Bagdad976 n. Ch.

    Karolingisches Reich814 n. Ch.

    Emirat vonCrdoba814 n. Ch.

    Galicien undAsturien814 n. Ch.

    Rus9. bis 11.Jahrhundert

    Bulgarien976 n. Ch.

    Istanbul

    Schiffen strmten sie Canterbury undverwsteten das englische Thronreich

    Mercia.Auch das schwchelnde Karolinger-reich, das nach dem Tod des groen Karlsin Ost- und Westfranken zerfallen war,sah sich den Angriffen schutzlos aus-gesetzt. 881, nach einem Wikinger-Vor-

    sto in den Rhein, mssen Mainz,Worms und Speyer Tribute zahlen.Am 9. April 882 zndelten die Ma-rodeure in Trier. Die Pfalzkapelle von

    Aachen, einst Herzkammer des Hei-

    ligen Rmischen Reichs DeutscherNation, wurde als Pferdestall miss-

    braucht.Stdte, die die geforder-

    ten Tribute verweigerten,wurden angezndet. Gerngriffen die Haudegen an

    h i tli h F i t

    ratentrip ins Ausland galt als Feuertaufe,die den Knaben zum Mann machte.Das Mindestalter fr die Teilnahme lag beizwlf Jahren.

    799 wagten die Gesellen erstmals eineAttacke gegen das riesige Karolingerreich.Unverfroren tauchten die Wikinger inder Loire-Mndung auf und brand-schatzten einige Siedlungen. Karl derGroe, der Leuchtturm Europasund Herr ber 1,2 MillionenQuadratkilometer Land, hatte pltz-lich wilde Hornissen (ein Chro-

    nist) am Hals.Die berflle liefen alle nach

    dem gleichen Plan ab: heimlichlanden, Pferde abladen, Ket-tenhemd berziehen, mitSchwert und Axt die Abteierstrmen, Silber abgreifen

    d Di Wiki

    schdigen blieben aber frei. Die Strafefr schwere Krperverletzung bema sich

    nach dem Gewicht der abgesplittertenKnochen.Morgens Regen, mittags Graupensuppe,

    abends Streit die Skandinavier seien ei-ner prekren Subsistenzwirtschaft entflo-hen, glaubt der Bonner Forscher RudolfSimek. Er nennt den Aufbruch ins reicheAusland, der um 790 einsetzte, eine sp-te Phase der Vlkerwanderung.

    Das passende Transportgert stand da-mals bereits zur Verfgung. Beim Bootsbau

    machte den Wikingern kaum einer wasvor. Bis zu 100 Mann konnten ihre schlan-ken Kriegsschiffe tragen. Das Drachen-boot war der Spaceshuttle des Mittel-alters, meint der Schleswiger ArchologeClaus von Carnap-Bornheim (siehe GrafikSeite 188).

    M i t hl i h i i W ti

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    S

    igmundur hatte die bessere Presse,deswegen wurde Sigmundur derHeld. Noch immer wird dieser Wi-

    kinger gefeiert, der sich vor 1000 Jahrenmit seinen Gegnern um die Macht aufden Frern schlug. Aber eigentlich feiernsie den Falschen. Das findet zumindestMagnus Magnussen, Kettentnzer undEinwohner des frischen Archipels: AlsRepublikaner steht man ja auf der ande-ren Seite, oder nicht?

    Sie haben seltsame Angewohnheitenbeibehalten auf diesen strmischen Inseln

    im Nordatlantik. Dazu gehrt, dass Poli-tik zu Folklore werden kann und Folklo-re zu Politik. Dazu gehrt der Kettentanz,den Magnussen und fast jeder Mensch aufden Frern betreibt. Dazu gehrt Stamp-fen und Sprechgesang, meist in Moll aufFrisch, was auer Fringern niemand

    t ht U d ft h t d d

    Weil er der Christ war, kam er in dervermutlich von Mnchen berliefertenSaga gut weg. Dass Sigmundur das Chris-tentum brachte, nimmt man ihm nichtbel auf den Frern, christlich ist man jabis heute. Wohl aber, dass er das im Na-men eines Monarchen tat: Immer schonhatte Sigmundur enge Beziehungen zumnorwegischen Herrscherhaus. Viel hat erdazu beigetragen, dass seine Heimat daswurde, was sie in den Augen vieler Ein-wohner immer noch ist: eine Kolonie.

    Ein Held wie Sigmundur passt nicht

    mehr gut in diese Zeit, da ein groer Teilder rund 45000 Brger nach der Unab-hngigkeit strebt von der dnischen Kro-ne, zu der die Inseln heute gehren, ohneMitglied der EU zu sein. Gerade Tradi-

    tionalisten wrden sich jetzt wohl eher ei-nen wie Trondur als Vorbild nehmen ei-nen, der seine Sitten verteidigt gegen dieWelt, die von auen kommt. Denn natr-lich haben die Wikinger ihre Spurenhinterlassen auf diesen nassen, baumlo-sen Inseln, die fr sie der erste Stopp war

    in Richtung Westen: nach Island, nachAmerika.

    Vieles ist geblieben. Es gibt nicht nurdie Ruderboote, die sie so wikingerhn-lich wie mglich gebaut haben und indenen sie an ihrem Nationalfeiertag am29. Juli um die Wette fahren, oder dieSitte, dass man danach den Aquavitaus Schafshrnern trinkt. Weit mehr alsanderswo wird das Leben von Traditio-

    nen bestimmt: Es stimmt, sagt der Ar-chologe Smun Arge, wie die Wikin-ger leben wir von der Landschaft, vomMeer.

    Im 9. Jahrhundert setzten sich die nor-wegischen Auswanderer auf den Frernfest. Sie hielten Tiere, machten Heu undbauten Getreide an. Was es zu essengab, wei man aus Knochenfunden:Schaf, Schwein, Wal, Fisch, Seevgel.All das steht heute noch auf dem fri-schen Speiseplan, und auch ein paar Ge-wohnheiten haben sie beibehalten, dieEU-Kommissare das Gruseln lehren wr-den. Ihre Schafhaltung beispielsweise:Noch immer treiben sie die Tiere gernauf kleine Felseninseln, die von See-vgeln gedngt werden, das gibt be-sonders wrziges Fleisch. Geschlachtetwird unter freiem Himmel und nicht imdesinfizierten, gekachelten, EU-taugli-

    chen Raum.Vermutlich konservierten die Wikin-

    ger schon auf dieselbe Weise ihren Fischund ihr Schafsfleisch, wie es jetzt ihreNachfahren tun: in Bretterschuppen mitZwischenrumen, durch die die salzigeLuft streichen und den Vorrat trocknenk Vi l h itt lt d

    Aquavit aus SchafshrnernAuf den Frer-Inseln haben sich viele Wikinger-Sitten authentisch erhalten.

    Titel

    Kettentanz auf den Frern*: Erinnerung an Wikinger-KmpfeJ.JOERGENSEN

    /DANAP

    RESS

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    793 Angriff auf dasKloster Lindisfarnein England

    800 Karl der Groelsst Seesperrengegen die Wikingererrichten

    810 Ausbau Haitha-

    bus zur grtenStadt des Nordens

    830 bis 860 NorwegischeFlottenverbnde greifenIrland an

    841 Grndung der Wikinger-Siedlung Dublin

    865 Ivar der Knochenlose fllt

    im Osten Englands ein870 Wikinger besiedeln Island

    um 870 Roriks Marsch auf Kiew

    884 Karlmann, Knig der West-franken, zahlt 12000 PfundGold und Silber die hchstebis dahin gezahlte Tributsummean die Wikinger

    885 Errichtung des 25 000 km2

    groen Danelag, eines Wi-kinger-Gebiets in England

    907 Eine Flotte der Wikingergreift Konstantinopel an

    911 Frst Rollo erhlt dieNormandie als Lehen

    940 bis 960 Hhepunkt desSklavenhandels mit dem Kalifat

    von Bagdad

    um 965 Taufedes Dnen-KnigsHarald Blauzahn

    982 Erik der Rote er-reicht Grnland

    1000 bis 1005k

    Siegeszugder BarbarenDer Aufstiegder Wikinger

    BPK

    PIERPONT

    MORGAN

    LIBRARY/ART

    RESOURCE

    Karl der Groe(747 bis 814)

    Wikinger Invasionsflotte auf dem Weg nach England

    ten von Island aus 25 Expeditions-schiffe, nur 14 kamen an. Steifgefrorenund erschpft fuhren die Pioniere die fel-sige Kste ab und schlugen an der Sd-spitze der Eisfestung ihre provisorischenZelte auf.

    Doch solche langfristigen Besiedlungs-aktionen blieben die Ausnahme. In Eng-land trafen, im Schlepptau der Drachen-boote, zwar auch Zehntausende vonskandinavischen Bauern ein. Doch die x-teschwingenden Krieger, die der Bewegungihre Explosivkraft verliehen, hatten anLandbau wenig Interesse.

    Die Soldaten zielten auf Gold, SilberEdelsteine vor allem aber auf Sklaven.

    Haithabu und der immer wieder in denQuellen erwhnte Handelsplatz KonungaHella dienten als Drehscheiben eines groangelegten Menschenhandels. In Haithabuwurden eiserne Handschellen aus demSchlick gezogen.

    Einen Teil der Versklavten lieen dieWikinger in ihren nordischen Homelandsfr sich schuften. Dort schleppten dieUnfreien Feuerholz, sie stachen Torf

    und verteilten Dung auf den Feldern.Der Dichter Snorri berichtet ber dennorwegischen Dorfboss Erling, auf des-sen Gehft 30 Sklaven lebten: Durchdiese Knechte lie er alles Tagwerk ver-richten.

    Auch die Pionierarbeit auf den Inselnwre ohne die Entrechteten nicht mglichgewesen. Fr die Besiedlung Islands wur-den etwa 10000 in Irland gefangene Kelten eingespannt.

    Ein Sagatext, der von dem Farmer Hjor-leif erzhlt, deutet an, dass es bei derSchinderei zu enormen Spannungen kam.Weil er keine Pferde hatte, spannte Hjor-leif seine Lakaien vor den Pflug. Dafrtteten sie ihn. Schlug sich in der aus-fhrlichen Schilderung die Erinnerung aneine Art Spartacus-Aufstand im Eismeernieder?

    Nicht nur fr den Eigenbedarf wurde

    Nachschub gebraucht. Vor allem dasarabische Reich drstete nach Arbeits-krften aus dem Norden. Westeuropahatte sich lngst aus dem Geschft zu-rckgezogen. Die kirchlichen Konzileder Merowingerzeit (um700) errterten mehr-f h d V k f h i t

    Langschiffe mssen gekentert in der Ost-see liegen.

    Das schreckte die Seeleute nicht. DieFarer-, die Shetland- und die Orkney-Inseln wie im Rausch brachen die Boo-te zu immer gewagteren Hochsee-Aben-teuern auf. Navigiert wurde nach denSternen und den Meeresstrmungen.Mitgefhrte Raben wiesen den Weg zunahen Ksten.

    870 segelten einige Verwegene querdurch die atlantische Wasserwste bisnach Island. Vulkane berragten dortdas karge Land, Geysire spuckten brh-heies Wasser, schwarze Aschefelderdehnten sich aus bis zum Horizont.

    Aber auch Zwergbirken und Brust-wurzstrucher wuchsen damals auf

    der Insel, wie neue Pollenanalysen be-weisen.

    A f d tt G fl h t i b

    Titel

    Die Wikinger

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    Bereits um 750, lange bevor im Westendas erste Christenkloster loderte, existier-

    te am Ladogasee, dem Tor nach Russ-land, eine Station von Pelzhndlern. Um860 hatte sich Rorik mit groem Gefolge inNowgorod festgesetzt.

    Immer tiefer drangen die Urschwedenin die Steppe ein. Mit kleinen Flussboo-ten ruderten sie den Dnjepr hinab undd i i k b h t S f F h Th N i htK i h M h B d d ( i h K

    SPIEGEL: Kapitn Eggertsson, warum ha-ben Sie ausgerechnet auf einem Wikin-gerschiff den Atlantik berquert?Eggertsson: Es wre doch dumm vonmir, das 1000-jhrige Jubilum dieserLeistung nicht gebhrend zu wrdigen zumal es meine Vorfahren waren, die

    diese Tat vollbracht haben.SPIEGEL: Sie sind ein Nachkomme vonLeif Eriksson, dem Entdecker Ameri-kas? Knnen Sie das beweisen?Eggertsson: Ja, ich kann meine Ahnen-reihe bis zu seinem Grovater zurck-verfolgen, weil in Island alles schriftlichfestgehalten wurde.SPIEGEL: Haben Sie Ihr WikingerschiffIslendingur mit Hilfe der Gestirne

    durch den Atlantik navigiert oder mitmoderner Technik?Eggertsson: Wir orientierten uns an denSternen. Aber wir hatten auch ein Sa-telliten-Navigationssystem an Bord, dasist Vorschrift.SPIEGEL: Bestand nicht die Gefahr, dassIhre Nussschale von einem modernenFrachter unter Wasser gedrckt wird?Eggertsson: Nein, die sind ja mit Ra-darsystemen ausgerstet. Wir hattenmehr Angst vor herrenlosen Contai-nern, die bisweilen von Bord rutschenund nur knapp ber der Wasserober-flche treiben.SPIEGEL: Was geschah bei Flaute?

    Eggertsson: Im Nordatlantik sind wir ei-gentlich stndig unter Wind gefahren.Falls der mal nicht wehte, trieb uns einkleiner Motor an, statt wie frher dieMuskelkraft von 64 Wikingern.SPIEGEL: Bei einer Geschwindigkeit vonsieben Seemeilen pro Stunde hatte Ihre

    neunkpfige Crew viel Zeit.Eggertsson: Wir arbeiteten in Sechs-Stunden-Schichten mit jeweils vier Leu-ten. Sonst ruhten wir uns aus.SPIEGEL: Weil das Leben an Bord so an-strengend war?Eggertsson: Ja. Als wir um Sdgrnlandsegelten, waren wir auf einmal im Pack-eis gefangen. Es war stockfinstere Nachtund eine starke Strmung machte uns zu

    schaffen. Nur mit Glck sind wir nachzehn Stunden herausgekommen.

    SPIEGEL: Was halten Sie als Schiffsbauervon der Bootskonstruktion?Eggertsson: Es ist schon phantastisch,wie seetchtig die Schiffe waren.SPIEGEL: Aber ohne ein modernes Be-gleitboot wollten Sie die Atlantikber-querung doch nicht wagen?Eggertsson: Ich wre auch allein gese-gelt, aber dafr bekam ich keine Ge-nehmigung.SPIEGEL: Konnten Sie die Islendingur,in die Sie 20 Monate Arbeit gesteckt ha-ben, bei Lloyds in London versichern?Eggertsson: Ohne Probleme. Die Versi-

    cherungssumme betrgt 70 Millionen is-lndische Kronen (1,9 Millionen Mark).SPIEGEL: Was bereitete Ihr Smutje zu?Eggertsson: Vor allem Fisch geru-chert, gepkelt, getrocknet.SPIEGEL: Und dazu nach alter TraditionUnmengen von Bier?Eggertsson: Leider mangelte es an Platz.SPIEGEL: Stattdessen tranken Sie islndi-schen Schnaps?

    Eggertsson: Das kann man wohl sagen.Interview: Rei nhard Krumm

    Im Packeis gefangenKapitn Gunnar Marel Eggertsson ber seine geglckte Atlantik-

    berquerung und das Leben an Bord eines Wikingerschiffs

    Kapitn Eggertsson (r.), Besatzung auf der Islendingur: Ich wre auch allein gesegeltL

    .K

    .INGASON

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    an die Wolga und sah den Wikingern beider Arbeit zu.

    Ihre Schwerter sind platt und mit Blut-rinnen versehen, erzhlt der Araber, jederBewohner sei vom Fingernagel bis zumHals mit Ttowierungen dunkelgrn ge-frbt.

    Zugleich liefert Ibn Fadlan eine detail-lierte Beschreibung der Affektstruktur derRus, die er die schmutzigsten GeschpfeGottes nennt: Weder schmen sie sichbeim Stuhlgang und Harnen, noch waschensie sich nach der Befleckung durch Sa-menerguss, noch waschen sie ihre Hndenach dem Essen.

    Auch einen Einblick in die Sexualmanie-ren des nordischen Volkes erlauben seineSchilderungen:

    Jeder von ihnen hat eine Ruhebank,

    worauf er sitzt, und bei ihnen sind die frdie Handelsleute bestimmten schnen

    jungen Sklavenmdchen anwesend, under wohnt seinem Sklavenmdchen bei,whrend sein Genosse zuschaut. (Es ge-schieht) auch, dass ein Kaufmann, umein Mdchen bei einem von ihnen zu kau-f ih i i H i t itt fi d t

    Den Islndern, die um1000 zum Christentumwechselten, verste mandie Konversion mit Sonder-gesetzen. So wurde ihnenweiterhin das Recht zuge-standen, ungewollte Kinderauszusetzen. Taufen fandenim warmen Wasser vonGeysiren statt.

    Langsam kehrte im zer-zausten Europa Ruhe ein.Bereits 911 war Frst Rollomit einem Lehen in derNormandie gezhmt wor-den. Die Gauner mutierten

    nun zu Gewerbetreiben-den. Die Dnen holten Salzaus dem Frankenreich. DieNorweger dealten mit eng-lischem Zinn oder Walross-zhnen aus Lappland.

    Die Schiffstypen ndertensich. Dickbauchige Kaup-skips und Kutter (skuta)verkehrten zwischen den

    Kontoren Nowgorod, Dub-lin, Reykjavk und London.Der grte bislang aufgefundene Wikinger-Frachter konnte 38 Tonnen Ladung fassen.

    Auch in Grnland, Rohstoffquelle frLebertran, Wall und Elfenbein, brummtedas Geschft. Rund 4000 Menschen lebtenin Brattahlid. Erst vor wenigen Monatenhat ein dnisches Team in der Siedlungneue Gehfte entdeckt. Zwischen denMauerstmpfen lagen noch die Holztren.

    Dieser Ort diente schlielich als Start-rampe in die Neue Welt. Wie weit die Kon-quistadoren dort in den Sden vorstieen,ist bis heute unbekannt. In den Chronikenheit es: Es kam kein Winterfrost, unddas Gras welkte nur wenig.

    Auch ein mysteriser Flecken namensHop wird erwhnt. Pll Bergthorsson,ein islndischer Meteorologe, ist berzeugt,es handele sich bei diesem Ort um den

    Hafen von New York.Fieberhaft suchen die Amerikaner nun

    nach weiteren Spuren der Wikinger. Derbislang sdlichste Fund, eine um 1070 ge-prgte Silbermnze, kam im US-Bundes-staat Maine zum Vorschein 600 Kilome-ter nrdlich von New York.

    D t i i tli h H i d

    Auch die Archologie kann inzwischenzumindest Indizien beisteuern: Im engli-schen Repton dort berwinterte im Jah-re 873 ein dnisches Heerlager wurdenKnochen entdeckt. Die Untersuchung derSkelette ergab, dass in der Militrbasis 20Prozent Frauen lebten. Mit hoher Wahr-scheinlichkeit handelt es sich um Angel-schsinnen, die zum Liebesdienst gezwun-gen wurden.

    Diesen Sndenpfuhl trocken zu legengelang nur langsam. 965 lie sich der D-nenknig Harald Blauzahn taufen. Dochnoch 100 Jahre spter drhnte ein Missionar,immer noch spritze das Blut auf den Gt-zenbildern der Freyja. In den heidnischenTempeln erklngen obszne Lieder.

    K.

    JOHAENTGES

    Wikingerschiff auf der Expo*: Der grte Frachter konnte 38 Tonnen Ladung fassen

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    die Rede und einem Weinrebenland (Vin-land) jenseits des Ozeans, dessen Wie-sentau von unermelicher Se sei.

    Derlei Legenden spiegeln historische

    Tatsachen wider. Archologen gehen da-von aus, da die Wikinger mit den ameri-kanischen Ureinwohnern ausgedehntenHandel trieben. Der Kontakt zwischen denKontinenten, sagt der kanadische Archo-loge Robert McGhee, sei sogar noch en-ger gewesen, als in den historischen Quel-len angegeben.

    Die raumgreifende Expansion startetevon Grnland aus. Um 985 nach Christus

    hatten Nordmnner die Frostinsel entdecktund zgig besiedelt. Rund 3000 Menschenlebten in zwei Zentralsiedlungen. In sei-ner Hochphase besa Grnland zwei Kl-ster und 17 Kirchen. Huptlingssitz warBrattahlid.

    In dieser Enklave der Christenheit wuchsLeif Eriksson,Sohn eines Totschlgers, auf,wie die um 1200 verfate Grnlndersagaberichtet. Wohl im Jahr 999 nach Christuswagte der junge Recke mit 35 Mann dieFahrt zum anderen Ufer.

    Wer in die Annalen eingehen will,mu bisweilen aufs Klo verzich-ten: 87 Tage lang segelte der US-Abenteurer Hodding Carter, 35, an Bord

    des nachgebauten Wikingerschiffs Snorridurch die Labradorsee.Wir wollen die le-gendre Reise von Leif Eriksson wieder-holen, hatte der Schwarmgeist schon imletzten Jahr getnt. Doch auf halberStrecke brach das Ruder.

    Carter, von Beruf Schriftsteller, bliebhartnckig. In diesem Sommer ging dieMannschaft in Nuuk (Grnland) erneut anden Start. Vorbei an Robbenschwrmen

    und Eisbren glitt die Snorri durch dieFluten. Bei Windstille wurde gerudert,abends kaute man Drrfleisch.

    Vorletzten Dienstag, nach 1800 Seemei-len Askese, lief die Crew endlich in derSiedlung LAnse aux Meadows ein (sieheGrafik), dort, wo etwa im Jahr 1000 nachChristus Wikinger einst eine Ansammlungvon acht Husern errichtet hatten. 700Schulkinder jubelten den an Land waten-den Hasardeuren zu und reichten ihnenBeeren und Fladenbrot.

    Ein dunkles Kapitel derWeltgeschichte haben dieSnorri-Pioniere da auf-geschlagen. Seit Jahrenspekulieren die Archolo-gen ber die Expansion derWikinger Richtung NeueWelt. Noch 1992 uerteder franzsische Forscher

    Rgis Boyer prinzipielleZweifel: LAnse aux Mea-dows knne auch von Eski-mos errichtet worden sein.

    Mittlerweile sind dieSkeptiker auf dem Rck-zug. Grabungen in Grn-l d d K d l

    Wissenschaft

    A R C H O L O G I E

    Wiesentau voller SeNeues von den Nordmannen: Die Wikinger navigierten mit

    Hilfe von Sonnenkompassen und stieenvor 1000 Jahren bis in die Gegend von New York vor.

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    Jenseits des Ozeans, an der Kste von

    Baffin Island, machte sich vorerst Enttu-schung breit. Helluland, das Land derSteine, nannten die Entdecker das dge-biet. Von dort segelten sie an Markland(Labrador) vorbei bis nach Vinland (Neu-fundland). Um 1001 erkundet Leifs BruderThorvald erneut das ferne Gestade und trifftauf Ureinwohner. Es kommt zu blutigenKmpfen.Thorvald trifft ein tdlicher Pfeil.

    Nach der Rckkehr wagen 150 Frauenund Mnner auf drei Schiffen,bepackt mitVieh und Hausrat, erneut die berfahrt. ImJahr 1010 querte laut Quellen Leifs undThorvalds Schwester Freydis ein weiteresMal den Atlantik. Dann bricht die schrift-liche berlieferung ab.

    Grabungsfunde zeigen indes, da dieNordmnner auch weiterhin im Land derRothute Handel trieben. Zu den spekta-kulrsten Funden gehrt eine Silbermnze,die im US-Bundesstaat Maine gefunden wur-

    de. Sie stammt aus der Zeit des norwegi-schen Knigs Olaf des Stillen (1066 bis 1093).

    Gleichzeitig erobern die Haudegen auchin Grnland neues Terrain. Stets auf dieschnelle Mark aus,kurven sie bis weit berden Polarkreis hinaus und tauschen denInuits Felle und Walrozhne ab. Begehrti t d H d N l U t d N

    die Wikinger bei ihren Langstreckentrns

    die Orientierung behielten. Die Mnnerbesaen Sonnenkompasse, kleine Peil-scheiben, mit denen sie den Horizont ein-teilten und zielsicher navigieren konnten.

    Doch wie weit stieen die Barbaren inden Sden vor? Phantasten glauben, dadie blonden Raffkes bis nach Sdamerikamarschierten und die Mayas zum Pyrami-denbau animierten.

    Immerhin: Bei Ausgrabungen in LAnseaux Meadows kamen Speicher und Vor-ratskammern zutage. Die Sttte diente of-fenbar als eine Art bersee-Terminal. ImEskimoland eingetauschte Ware wurde hiergelagert, ehe die Wikinger sie ins 2500 Ki-lometer entfernte Brattahlid schaukelten.

    In den Speichern fanden sich auch dreiNsse der Art Juglans cinerea. Die Grau-en Walnubume,von denen sie stammen,wuchsen etwa bis in Hhe des US-StaatsMaine. Einige astronomische Angaben aus

    der Grnlndersaga deuten auf einen nochsdlicher liegenden Endpunkt des Wikin-ger-Vormarsches. Demnach erreichte derlegendre Leif Eriksson den 40. Breiten-grad, 100 Kilometer sdlich von New York.

    Geblieben ist von alledem nichts. Klg-lich gerieten die Heldentaten der Skandi-

    i i V h it K l b t i h

    Nrdlicher Polarkreis

    80

    80 40 0

    40

    Grnland

    Island

    Norwegen

    Neufundland(Vinland)

    Baffin Island(Helluland)

    Nordatlantik

    Baffinbai

    Labrador

    (Markland)

    60

    Nuuk

    Thule

    Reykjavik

    Brattahlid

    Westliche Siedlungs-gebiete der Wikinger

    Ostsiedlung

    Westsiedlung

    Europisches

    Nordmeer

    Maine

    LAnse aux Meadows

    Handelswege derWikinger

    EllesmereIsland

    Labrador-

    see

    Segelroute der Snorri

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    Wikinger auf Expeditionsfahrt: Handel von Grnland bis TaschkentMARYEVANSP

    ICTURELIBRARY

    W I S S E N S C H A F T

    stimmbaren Preis. Alsinternational kompati-ble Whrung diente dasSilber (siehe GrafikSeite 208). Entschei-

    dend war das Gewicht.Bei Wechselgeldpro-ble men wurde dasEdelmetall, ob Mnzeoder Armreif, in pas-sende Stcke zerteilt(Hacksilber).

    H ai th ab u wuchsschnell zur Boomtownheran. Die reichsteStadt des Nordens,staunte der maurischeGesandte At-Tartu-schi, als er die Siedlungim Jahr 965 besuchte.Und er fgte hinzu:Nie habe ich Menschen so frchterlichsingen hren wie an diesem Ort.

    Lebensknstler waren die Wikingernicht. Knckebrot aus Baumrinde zhltezu ihrer Leibspeise. Die Bauern schliefen

    in langgestrecken Holzhusern auf har-ten Holzbnken. Schrnke und Bettenwaren unbekannt.

    Noch primitiver waren die Gruben-huser, winzige Buden, etwa einen Me-ter tief in die Erde eingelassen. Der Kie-ler Archologe Dietrich Meier hat Dut-zende solcher Souterrain-Katen bei Ek-kernfrde freigelegt. Waren es Werkstt-ten oder Htten der armen Leute?

    Zumindest die Physiognomie der Son-

    nenanbeter (Symbol: das Hakenkreuz)ist inzwischen bek ann t. Im Jorvik VikingCentre in Yorkshire wurden letzten Mo-nat sieben mit Hilfe forensischer Compu-tertechniken nachgebildete Wikinger-Schdel vorgestellt. Die Kpfe habenderbe Gesichter und schlechte Zhne.

    Die finsteren Mienen passen ins Bild.Dster und mitleidlos istdie Welt der Ed-

    da, noch dsterer klangen die Liederder altnordischen Snger, der Skalden.

    verletzungwurdennachdemGewichtderangesplitterten Knochen der Opfer be-messen. Wer klaute, zahlte mit dem Le-ben, er wurde gesteinigt und in einSchlammloch versenkt.

    Kein Wunder, da die ausgeprgteGiernachSilber(Boyer)dieNordman-nen auch zu Raubzgen anspornte. Nachdem Tod Karls des Groen, anno 814,herrschte Chaos im Frankenreich.Schutzlos wie ein Selbstbedienungsla-den lag Europa da, sagt Paulsen. DieWikinger schlugen zu.

    Die berflle liefen alle nach dem glei-chen Plan ab: heimliche Landung, Pferdeabladen, Kettenhemd berziehen, mit

    Schwert und Handaxt in dieS ta dt r ei te n, Silber u ndSchmuck abgreifen, zurckzum Boot und weg. Die Wi-kinger, sagt Paulsen, habenden Blitzkrieg erfunden.

    Im Jahre 843 brannteNantes nieder, 844 ging Sevil-la in Flammen auf. Der Frei-beuter Ragnarr Lodenhoseplnderte 845 Paris und Ham-burg. 860 wurde Konstantino-pel angegriffen, 881, bei ei-nem Beutezug den Rhein ent-lang, berfielen die Wikinger-Banden Kln, Mainz, Aachenund Worms.

    Offene Feldschlachten ver-

    holten die Franken zueinem Prventivschlaggegen Haithabu aus.Normannenfrst Rollowurde 911 mit einem

    Lehen in der Norman-die gezhmt.

    Um 900 nach Chri-stus gehen die Raubz-ge stark zurck. Nunschwrmten die Wikin-ger als Kolonialistenaus. In Sdengland ent-stand das wikingischeKnigreich Danelag.Im Jahr 874 entdecktendie rastlosen SeefahrerIsland, 986 Grnland;d or t g r nd et en sierasch blhende Han-delspltze.

    Die Knorren schafften Robbentranund Walro-Elfenbein aufs Festland.Besonders begehrt waren Eisbrfelleund Jagdfalken, die nach Arabien ver-kauft wurden.

    Den Trn ReykjavikKaupang (Sd-schweden) bewltigten die Matrosen inzwlf Tagen. Nur Suppe, Fisch undSalzbutter (Smjr) essend, man-vrierten die Kauffahrer ihre bauchigenLastschiffe ber die haushohen Ozean-wellen.

    Zur Legende wurde die Fahrt vonLeif Eriksson. Im Jahr 999 stach derGrnlnder in See und ruderte mit sei-ner Mannschaft durch eisige Fluten

    Heimliche Landung,Schmuck abgreifen und

    nichts wie weg

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    Ex-Gesundheitsminister Geiler, Sssmuth: Pflichtwidriges HoheitshandelnA.

    SCHOELZEL

    R.

    WALTER

    W I S S E N S C H A F T

    westwrts. Nach rund 400 Kilometernkam Land in Sicht die Baffin-Insel inKanada.

    Islndische Quellen berichten bermehrere Wikingerexpeditionen nach

    Helluland (Baffin-Insel), Mark-l an d (L ab ra do r) u nd V in la nd (Neufundland). Dort trafen die nordi-schen Silbergangster, dem Schrifttumzufolge, auf Skrlingar (Schmchti-ge, gemeint sind Indianer) und merk-wrdige weie Mnner, womit wahr-scheinlich die in Schneeziegenfelle ge-kleideten Naskaupi-Indianer bezeich-net waren.

    Klares Indiz fr die Wikinger-Pr-senz auf amerikanischem Festland istdie Siedlung LAnse aux Meadows aufNeufundland. Womglich drangen dieNordmnner noch weiter vor. Einemalten Expeditionsbericht zufolge brach-ten Rudersklaven nach einem Erkun-dungsgang Weinreben an Bord. DieseFrucht wuchs seinerzeit an den Ufer-hngen des Sankt-Lorenz-Stroms.

    Soviel nautische Tollkhnheit steht

    einmalig in der Geschichte da. DerKompa war den Wikingern unbe-kannt, die Sternennavigation (wegendes meist bedeckten Himmels) kaummglich. Bei Windstille wurde auf denberfahrten 16 Stunden gerudert, beiSturm blhten sich die Rechtecksegel.

    Enorm leidensfhig nennt Paulsendie Nordmnner. Doch was trieb dieverwegenen Matrosen? Schiere Giernach Gold und Silber? Skandinavische

    Runensteine legen den Verdacht nahe.Unzhlige dieser Gedenktafeln kndenvon den Reichtmern, die ein Ormi-ga in Serkland oder ein Horsa in Grie-chenland abstaubte.

    Auch der arabische Diplomat IbnFadlan mokierte sich ber die unerstt-liche Habgier der Nordmnner. So-bald ein Mann 10 000 Silbermnzena ng eh u ft h at , so se in Be ri ch t,macht er seiner Frau einen Halsring;hat er 20 000, macht er zwei; und sogeht es weiter.

    Die Schweden konnten solche Prot-zereien besonders weit treiben. IhreHandelsrouten durch Nordruland damals eine kaum bevlkerte, unweg-same Sumpfwelt gewhrten ihnen

    Die gefahrvollen Reisen wurden im-mer besser organisiert. Wikinger, diesich in Nowgorod, Smolensk und Kiewansiedelten, bernahmen wahrschein-lich den Landtransport der Schiffe. Die

    ansssigen Slawen nannten die nordi-schen Fernhndler Rus die Rot-haarigen.

    Hochgewachsen wie Dattelbume,blond und von rosiger Gesichtsfarbe,so werden die Ur-Russen in einem ara-bischen Dokument beschrieben. We-gen ihrer hnenhaften Gestalt holtendie ostrmischen Kaiser sie als Leib-garden nach Byzanz.

    Die Ost-Wikinger lebten vor allemvom Menschenfang. Planmig gingensie in den russischen Weiten auf Skla-venjagd und reichten die Beute anFernhndler weiter.

    922 besuchte der Araber Ibn Fadlaneinen Wikinger-Clan an der Wolga.Sie sind die schmutzigsten Geschp-fe Gottes, berichtete angeekelt dernoble Orientale, sie schmen sich

    nicht beim Stuhlgang und beim Har-nen.

    Als besonders emprend empfandder Araber den Wikinger-Brauch, diefr die Handelsleute bestimmten jun-

    B l u t e r s k a n d a l

    Wundervon BonnDer Untersuchungsausschu zum

    Aids-Bluter-Skandal spricht

    Politiker schuldig: Frhzeitige

    Warnungen wurden berhrt.

    er Seuchenreferent im Ministeriumsei krank gewesen und habe ihmD deshalb nicht Bescheid gesagt.

    Mit solch lausiger Ausrede entschul-digte sich Heiner Geiler, damals amtie-render Gesundheitsminister, im Jahre1985 bei Nobelpreistrger Manfred Ei-gen und dem Leiter des Gttinger Pri-

    matenzentrums, Gerhard Hunsmann.ber einen Zeitraum von vier Monatenhatten die Wissenschaftler dem CDU-Minister mehrmals angeboten, bis aufweiteres flchendeckend in Deutschland

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