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2 NITSCHKE, A.: Ziele und Methoden historischer Verhaltensforschung. In: SCHIEDER, TH. (Hrsg.) Methodenprobleme der Geschichtswissen- schaft. Miinchen 1974, 89. 3 Auf die N~ihe dieser Vorstellungen zu O. SVENC,- LERS Kultur- und Geistestypologie hat J. LINK in einem Beitrag hingewiesen. Multikulturen: auf verlorenem Posten gegen den Neonationalis- mus?" In: Kulturrevolution Nr. 10, 1985, 9. 4 Excerpt, H.: Leistung, Spannung, Geschwin- digkeit; Sport und Tanz im gesellschaftlichen Wandel des 18./19. Jahrhunderts. Stuttgart 1978. Ber/chte 5 EICHBERG, H.: The Enclosure of the Body -- On the Historical Relativity of "Health", "Na- ture" and the Environment of Sport. In: Jour- nal of Contemporary History 21 (1986), 99--120. 6 DOHP.N-VAN ROSSUM, G./Rxm, H.-G., Sportge- schichte als Strukturgeschichm Eine Auseinan- dersetzung mit Henning Eichbergs Untersu- chungen zum Bewegungsverhalten im 18. und 19. Jahrhundert. In: Sportwissenschaft 10 (1980), 71--87. BERICHTE Sport, Kultur, Erziehung Jahrestagung der Kommission Sportpddagogik in der DGfE vom 17. bis 19. November 1988 in T~bingen ,Sport, Kultur, Erziehung" -- dieses weite Feld hatte sich die Kommission Sportp~id- agogik in der DGfE auf ihrer tetzj~ihrigen Tagung zur Bearbeitung vorgenommen. Sie war dazu durch ein Thesenpapier von GON- XrR Ovro und KNt;r DIET~CH (1987) ange- regt worden. Diese forderten darin die Rhck- kehr zu einer Sportp~idagogik, die von ei- nem normativen Kulturverst~indnis ausgeht. Hinter dieser Forderung steckte weniger die Absicht, eine fiir hberwunden gehaltene Turnlehrer- und Leibeserziehermoral wieder aufleben zu lassen, als vielmehr der Versuch, die vef, inderte Rolle des Sports im kulturel- len Leben zu beschreiben und sportp~idago- gisch zu interpretieren. Kultur sei heute alles, meinte OMMO GRUPE in seinem einleitenden Referat, sie sei ,plani- fiziert", eingeebnet, sei eine Art ,Hinter- grundsgr6f~e" (NrImtAr.DT) geworden und werde nicht mehr in einem elit~iren Sinn als Qualit~itsbegriff verstanden. Der Sport habe aufgrund dieses gewandelten Kulturver- st~indnisses seinen langen Kampf um kultu- relle Anerkennung letztlich ohne eigenes Zutun gewonnen; er sei ein selbstverst~d- licher Tell der Kultur -- der Alltagskultur ohnehin -- geworden, ein ,Kulturph~ino- men auf natiirlicher biologischer Grundla- ge", wie LENK zitiert wurde Dieser Sieg sei jedoch vor allem aus sportFfidagogischer Sicht eher ein Pyrrhussieg gewesen, denn wenn alles Kultur und alles gleich wertvoll w~ire, wie sollte man dann noch den ,guten" vom ,schlechten" Sport unterscheiden? Die Mat~st~ibe, an denen sich der Sport messen lassen muf~te und von denen aus er seine ei- genen Normen und Grundsh'tze bestimmen konnte, seien in einer egalit~iren Kultur ver- lorengegangen. Die Diskussion um neue Werte, Normen und Prinzipien des Sports, um eine neue Sportethik, sei innerhalb der Sportorganisationen und der Sportwissen- schaft inzwischen in Gang gekommen; auch die Sportp~idagogik wolle sich daran beteili- gen. Um diese zentrale Frage nach neuen Maf~st~i- ben des Sports in einer egalit~iren Kultur und nach einer normativen Orientierung der Sportp~idagogik kreiste die Thbinger Ta- gung. Geplant waren von den Organisatoren -- allen voran K3_AUS BERGNER -- unter- 119

Sport, Kultur, Erziehung

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2 NITSCHKE, A.: Ziele und Methoden historischer Verhaltensforschung. In: SCHIEDER, TH. (Hrsg.) Methodenprobleme der Geschichtswissen- schaft. Miinchen 1974, 89.

3 Auf die N~ihe dieser Vorstellungen zu O. SVENC,- LERS Kultur- und Geistestypologie hat J. LINK in einem Beitrag hingewiesen. Multikulturen: auf verlorenem Posten gegen den Neonationalis- mus?" In: Kulturrevolution Nr. 10, 1985, 9.

4 Excerpt, H.: Leistung, Spannung, Geschwin- digkeit; Sport und Tanz im gesellschaftlichen Wandel des 18./19. Jahrhunderts. Stuttgart 1978.

Ber/chte

5 EICHBERG, H.: The Enclosure of the Body -- On the Historical Relativity of "Health", "Na- ture" and the Environment of Sport. In: Jour- nal of Contemporary History 21 (1986), 99--120.

6 DOHP.N-VAN ROSSUM, G./Rxm, H.-G., Sportge- schichte als Strukturgeschichm Eine Auseinan- dersetzung mit Henning Eichbergs Untersu- chungen zum Bewegungsverhalten im 18. und 19. Jahrhundert. In: Sportwissenschaft 10 (1980), 71--87.

B E R I C H T E

Sport, Kultur, Erz iehung

Jahrestagung der Kommission Sportpddagogik in der DGfE vom 17. bis 19. November 1988 in T~bingen

,Sport, Kultur, Erziehung" - - dieses weite Feld hatte sich die Kommission Sportp~id- agogik in der DGfE auf ihrer tetzj~ihrigen Tagung zur Bearbeitung vorgenommen. Sie war dazu durch ein Thesenpapier von GON- XrR Ovro und KNt;r DIET~CH (1987) ange- regt worden. Diese forderten darin die Rhck- kehr zu einer Sportp~idagogik, die von ei- nem normativen Kulturverst~indnis ausgeht. Hinter dieser Forderung steckte weniger die Absicht, eine fiir hberwunden gehaltene Turnlehrer- und Leibeserziehermoral wieder aufleben zu lassen, als vielmehr der Versuch, die vef, inderte Rolle des Sports im kulturel- len Leben zu beschreiben und sportp~idago- gisch zu interpretieren. Kultur sei heute alles, meinte OMMO GRUPE in seinem einleitenden Referat, sie sei ,plani- fiziert", eingeebnet, sei eine Art ,Hinter- grundsgr6f~e" (NrImtAr.DT) geworden und werde nicht mehr in einem elit~iren Sinn als Qualit~itsbegriff verstanden. Der Sport habe aufgrund dieses gewandelten Kulturver-

st~indnisses seinen langen Kampf um kultu- relle Anerkennung letztlich ohne eigenes Zutun gewonnen; er sei ein selbstverst~d- licher Tell der Kultur - - der Alltagskultur ohnehin -- geworden, ein ,Kulturph~ino- men auf natiirlicher biologischer Grundla- ge", wie LENK zitiert wurde Dieser Sieg sei jedoch vor allem aus sportFfidagogischer Sicht eher ein Pyrrhussieg gewesen, denn wenn alles Kultur und alles gleich wertvoll w~ire, wie sollte man dann noch den ,guten" vom ,schlechten" Sport unterscheiden? Die Mat~st~ibe, an denen sich der Sport messen lassen muf~te und von denen aus er seine ei- genen Normen und Grundsh'tze bestimmen konnte, seien in einer egalit~iren Kultur ver- lorengegangen. Die Diskussion um neue Werte, Normen und Prinzipien des Sports, um eine neue Sportethik, sei innerhalb der Sportorganisationen und der Sportwissen- schaft inzwischen in Gang gekommen; auch die Sportp~idagogik wolle sich daran beteili- gen. Um diese zentrale Frage nach neuen Maf~st~i- ben des Sports in einer egalit~iren Kultur und nach einer normativen Orientierung der Sportp~idagogik kreiste die Thbinger Ta- gung. Geplant waren von den Organisatoren - - allen voran K3_AUS BERGNER - - unter-

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Ber/chte

schiedliche Schwerpunktsetzungen, die von den Referenten und Ko- oder Kontra-Refe- renten vorgenommen werden sollten: Bei GRt~E und F u ~ r standen der Sport und die K/Srperkultur im Vordergrund, bei dem Er- ziehungswissenschaftler DEBAU und dem Sportwissenschaftler CAcrtm die Erziehung im Rahmen der Sport-Kultur und bei Ka- SCHUBA, FRITSCH und DI~.XEL die (postmo- derne) Kultur selbst. Den Blick fiber unsere eurozentrischen Grenzen hinweg 6ffneten M)IHLMANN/GIEBENHAIN, indem sie die Pro- blematik von Sport und Sporterziehung in interkulturellen Kontexten am Beispiel Ke- nias und Sfidamerikas erl~iuterten. Anschau- ungsunterricht -- allerdings aus ,zweiter Hand" -- zum Thema ,Sport und Kultur" erteilte WERNER PLATZEIf den Teilnehmern in einem neuen Film. Die Analyse -- manchmal war es eine Dia- gnose -- der faszinierenden Entwicklung der Sportkultur der letzten Jahre nahm einen breiten Raum in den auf hohem intellektuel- len Niveau angesiedelten Vortf.igen und Dis- kussionen ein. Unsere Kultur, so wurde fibereinstimmend festgestellt, sei durch und dutch yon Sport infiziert. Sportlichkeit sei zum Lebensstil und zu einem unverwechsel- baren Kennzeichen unserer Gegenwartskul- tur geworden. ,Wir leben in einer grof~en bundesdeutschen Spiel- und Sportdemokra- tie", meinte der Kulturwissenschaftler KASCHUB ̂mit sarkastischem Unterton und ging sogar so weit, von einem ,kulturellen Paradigmenwechsel" zu sprechen. Die alte These yon der relativen Autonomie und Ab- grenzbarkeit der Sportkultur, wie sie fiber Jahrzehnte von Sport-Apologeten und Sport-Kritikern zugleich vorausgesetzt wur- de, sei nicht mehr zu halten. Die Sportkul- tur sei nicht mehr auf Sportler begrenzt; Sport sei ein Verhaltensmuster geworden, das sich in unserer Alltagskultur selbst legiti- miere. Aber zugleich ragten auch traditio- nelle Sinnmuster und Motive des Sports wie Gesundheit, Spaf~, Freude, Geselligkeit, Lei-

stung, Wettkampf und Askese in die (Post-) Moderne hinein. Erwartungsgem~it3 stimmten nicht alle P~id- agogen in den Jubel ein, dat~ nun endlich das Paradies der klassenlosen Sport- und Frei- zeitgesellschaft, der Garten Eden als Sport- park, erreicht sei. Der Triumph der Sport- kultur hat nach ihrer Ansicht einen hohen Preis: Der Vergnfigungssport, die Sportva- riante, die man zu gfinstigen und manchmal auch zu hohen Preisen kaufen und konsu- mieren k6nne, stehe im Mittelpunkt der heutigen Sport-Kultur. Das traditionelle sportliche Leistungs- und Konkurrenzpara- digma scheine dagegen verblaf~t zu sein, oder es komme in anderer, subtilerer Form zum Ausdruck. Die ~sthetisierung des Sports, begleitet und gef6rdert von den Me- dien und den grof~en Sport-Spektakeln, ent- stelle den Sport zur blof~en Show und Un- terhaltung, zur oberfLichlichen Effektha- scherei. Das Fragwfirdige und auch Gef~ihrli- che dieser beiden Kennzeichen der postmo- dernen Sportwelle bestehe nun darin, dat~ hinter diesem ,Sport-fiir-alle-Paradies" neue Leistungsnormen und subtile kulturelle Di- stinktionen (,Die feinen Unterschiede"!) lauerten, ganz abgesehen davon, daf~ das ,Sportsystem" (CAcrtm) insgesamt handfeste Probleme, vonder Umwelt bis zur Ethik, bekommen habe Fitness sei heute fast zur staatsbfirgerlichen Pflicht geworden, zum Symbol fiir Belastbarkeit und Leistungsfii- higkeit: Wer sich nicht trimmt, verspielt Le- benschancen und ist auch noch selbst daran schuld. Unversehens werde deshalb die Sportwelle zur individualistischen und ent- politisierenden Trimm-Ideologie Auch fi.ir den Vergnfigungssport mfisse man immer ,in Form sein" (LIEBAU), letztlich -- so laute- te ein Diskussionsbeitrag --, um das ,Kon- Form-Sein" zu trainieren. Die entscheidende Frage lautete nun, wel- chen Sport aus dem fiberbordenden Sport- Warenangebot die Sportp~idagogen wollen, was sie aus welchen Grfinden p~idagogisch

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als wertvoll und wiinschenswert ansehen. GRUPE vertraute auf die normative Kraft des Sports selbst. Wenn die Kultur keinen Halt mehr biete, miisse der Sport aus sich und sei- ner Tradition heraus zu neuen M~st~iben finden; nur so sei die verwirrend komplexe gegenw~irtige Sportszene zu ordnen und zu bewerten. Vielfalt und Leistung, auch Selbst- bestimmung seien solche authentischen sportlichen Prinzipien; ohne sie sei Sport nut ein unvollkommener, sportp~idagogisch wenig wertvoller Sport. Die breite kulturelle Akzeptanz des Sports spiegele auch die Hoffnungen der Menschen -- hier wurde so- gar BzocH zitiert -- nach freier k6rperlicher Entfaltung, nach Freiheit iiberhaupt, nach Gesundheit, Lebensfreude, K6nnen und Lei- stungsf~ihigkeit wider. Um diese Hoffnun- gen nicht zu entt~iuschen und vor den Ge- fahren zu warnen, die in der post-modernen Sportkultur liegen, sei es eine wichtige Auf- gabe, am Bild eines ,besseren Sports" weiter- zumalen. LIEBAU und DREXEL wiesen in an- deren Zusammenh~ingen auf die einzigarti- gen p~idagogischen M6glichkeiten besonders des Vereinssports hin, wo eine ideale Verbin- dung yon Leiblichkeit und Sozialit~it erfah- ren werden k6nne und auf relativ natiirliche und problemlose Art und Weise eine Begeg- hung verschiedener Altersgruppen stattfin- de. Die sportliche Aktion, das sportliche Handeln, der ernste, echte Sport, repr:isen- tiere reales, unverstelltes Leben in einer Kul- tur, deren p~gendes Kennzeichen die Flucht in die Illusion geworden sei. Weniger vom Vertrauen auf den Sport waren die Beit~ge von FUN~ und FRrrscH gep~gt, obwohl auch sie eine normative Orientie- rung der Sportp~idagogik forderten. Erst eine von den k6rperkulturellen Verzerrun- gen des real existierenden Sports befreite K6rperkultur werde f~ihig sein, leibeserzie-

Berichte

herische und p~idagogische Maf~st~ibe zu set- zen und die )/lsthetik von K6rper und Bewe- gung authentisch zur Entfakung zu bringen. Im Unterschied zu seinem geistigen Ziehva- ter LUHMAI, m verlangte auch C^cH~Y nach ei- ner normativen Begrenzung fiir den Sport. Die Sportpiidagogik hat nach seiner Mei- nung die Aufgabe der ,Kontingenzkontrol- le". Bei CAO-U~Y wurde auch Kritik an der bisherigen Entwickung der Sportp~idagogik deutlich: Ihre subjekttheoretisch verengte Sicht und das zugrundeliegende anthopo- zentrische Menschenbild h~itten dazu ge- fiihrt, dat~ gesellschaftliche Probleme des Sports in der Sportp~idagogik nur unzurei- chend erkannt und thematisiert wiirden. Aufgaben und Ziele der Sportp~idagogik mhiken deshalb aus einer geseitschaftstheo- retischen Perspektive heraus neu formuliert werden. Es war zu erwarten, dat~ am Ende der Ta- gung die Leitfrage nach neuen sportp~idago- gischen Ma~t~iben, nach einer normativen Orientierung der Sportp~idagogik, nicht be- antwortet wurde Die Offenheit des Aus- gangs liegt zwar einerseits daran, da~ Ant- worten nur in einem nicht abzuschliet~en- den sport-kulturellen Diskurs zu finden sind; andererseits kam in diesem sportpiid- agogischen Unentschieden auch das Dilem- ma der ,neueren" Sportp~idagogik zum Aus- druck: Sie hat sowohl ideell als auch sport- praktisch ihren Einflui~ auf Inhalte und For- men und vor allem auf die rasche Entwick- lung der Sportkultur verloren. Die erhobe- nen Zeigefinger der P~idagogen zeigen keine Wirkung mehr. Zum neuen Vorsitzenden der Kommission wurde J. F t m ~ (Hamburg) gew~ihlt, zu sei- nem Stellvertreter E. B E c r ~ (Bochum).

M. KRC3GER

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