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________________________________________________________ Sprachenregelung und Sprachengebrauch in den Organen der Europäischen Union ________________________________________________________

Sprachenregelung und Sprachengebrauch in den … · Begriff der Amtssprache und der Arbeitssprache S. 4 4. Die Amtssprachen der EU S. 5 5. Sprachenregelung innerhalb der Organe der

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Sprachenregelung undSprachengebrauch in den Organen der

Europäischen Union________________________________________________________

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Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung S. 32. Sprachenpolitk der EU: Prinzip der Mehrsprachigkeit S. 33. Begriff der Amtssprache und der Arbeitssprache S. 44. Die Amtssprachen der EU S. 55. Sprachenregelung innerhalb der Organe der EU S. 75.1 Sprachenregelung im Europäischen Rat (ER) S. 75.2 Sprachenregelung im Ministerrat S. 85.2.1 Ministerrat S. 85.2.2 Ausschuß Ständiger Vertreter S. 95.3 Sprachenregelung im Europäischen Parlament (EP) S. 95.4 Sprachenregelung in der Europäischen Kommission S. 105.4.1 Europäische Kommission S. 105.4.2 EU-Ausschreibungen S. 115.5. Sprachenregelung im Europäischen Gerichtshof (EuGH) S. 115.6 Übersicht über den Sprachengebrauch in den einzelnen Organen der EU S. 136. Übersetzungsdienste S. 136.1 Die Übersetzungsdienste der EU S. 136.2 Übersetzungshilfen: Maschinelle Übersetzung, terminologische Datenbank EURODICAUTOM S. 147. Stellung des Englischen gegenüber dem Französischen und Deutschen S. 168. Probleme der derzeitigen Sprachenregelung und Modelle für eine zukünftige europäische Sprachenpolitik S. 18

Bibliographie S. 21

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1. EinleitungDie Europäische Union (EU) ist die Vereinigung von derzeit fünfzehn europäischen Staaten, diesich des Verfolgens einer gemeinsamen Politik in diversen Bereichen verschrieben haben.Eine solche Gemeinschaft erfordert gut funktionierende Kommunikationswege und -mechanismen, die einheitliche Bedingungen für alle Mitglieder schaffen. In Bereichen, in denendas geschriebene Wort Entscheidungsgrundlage ist, ist eine exakte und eindeutige Darstellungdes gleichen Sachverhalts unverzichtbar. Um diese einheitlichen Bedingungen und eine somitfaire Grundlage für die gemeinsame Arbeit zu schaffen, hat sich die EU für einen im Vergleichzu ähnlich großen Organisationen einzigartigen Weg entschieden: Alle Amtssprachen ihrerMitgliedstaaten sind zugleich Amts- und Arbeitssprachen der Union.

2. Sprachenpolitik der EU: Prinzip der MehrsprachigkeitBereits seit der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) durch Belgien,Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und die Niederlande im Jahre 1957 herrscht in derEU das Ideal der Mehrsprachigkeit: Alle Amtssprachen der Mitgliedstaaten sind Amtssprachenund Arbeitssprachen der Union.Diese Politik ist ein besonderes Charaktermerkmal der EU und eine essentielle Basis für dasFunktionieren der Union. Sie ermöglicht es, daß alle Mitgliedstaaten in Partnerschaft vereintnebeneinanderstehen, da kein Land aufgrund eines Ausschlusses seiner Amtssprache bei derArbeit an den gemeinschaftlichen Zielen der Union benachteiligt wird. Diese Sprachenpolitik isteinzigartig im Vergleich zu anderen großen internationalen Institutionen oder Organisationenwie z.B. den Vereinten Nationen mit sechs festgelegten Amtssprachen.Für die Sprachenregelung der EU gibt es mehrere Gründe. Zum einen ist sie eine Folge desZieles und Selbstverständnisses der Union, eine supranationale Organisation und nicht eininternationaler Zusammenschluß zu sein. Um dieses Ziel zu erreichen, muß die Union für alleMitgliedstaaten - weitestgehend bürgernah - bindendes Recht setzen können, was bedingt, daßdieses in den jeweiligen Amtssprachen verfügbar sein muß. Eine Reduzierung derSprachenzahl ohne Änderung der nationalen Gesetze der Mitgliedstaaten, welche nurGesetzestexten in der nationalen Amtssprache Gültigkeit verleiht, ist demnach nicht möglich.Des weiteren ist es von Beginn an erklärte Aufgabe der Union, die nationale Identität ihrerMitgliedstaaten zu achten und zu wahren. Ihr Bemühen um europäische Einheit soll keinekulturelle Einförmigkeit Europas schaffen.Verknüpft mit dem Streben nach Einheit ist der Gedanke, daß nur eine Sprachenpolitik, die alleSprachen berücksichtigt, für die Schaffung von Einheit förderlich sein kann, da sie jedem Bürgerder Mitgliedstaaten ermöglicht, die Arbeit der Union zu verstehen. Diese so erreichte

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Transparenz der Tätigkeiten erleichtert die Identifikation der Bürger mit der europäischenEinigung.Die Mehrsprachigkeit ist ebenso Voraussetzung für die Integration der Bürger derMitgliedstaaten, da diese durch sie nicht an der Ausübung ihrer demokratischen Grundrechtegehindert werden. Jeder Bürger der EU kann in seiner Muttersprache an der Vorbereitung vonEntscheidungen der Organe gleichberechtigt mitwirken und sie in seiner Mutterspracheverstehen.Aus diesen Gründen hält die Europäische Union an ihrem Mehrsprachigkeitsprinzip fest, trotzder mittlerweile immer gravierender werdenden praktischen Probleme und der immensenKosten, die sich durch diese Politik ergeben.

3. Begriff der Amtssprache und der ArbeitsspracheDer Begriff "Amtssprache" bezeichnet eine Sprache mit offiziellem Status für die Gesetzgebung,Administration, Gerichte, Schulen etc. eines Staates. Es existiert jedoch keine explizite undeinheitliche Definition dieses Terminus, zuweilen werden dafür auch die Begriffe"Nationalsprache" oder "Staatssprache" benutzt. Unter den Amtssprachen der Europäischen Union versteht man diejenigen Sprachen, dieAmtssprachen in den einzelnen Mitgliedstaaten sind. Derzeit kommt elf Sprachen dieseBezeichnung als "Amtssprache der EU" zu.In ihren Amtssprachen äußert sich die Europäische Union nach außen, insbesonderegegenüber ihren Mitgliedstaaten und deren Bürgern.Unter dem Begriff "Arbeitssprache" wird eine Sprache ohne offiziellen Status verstanden, diemultilinguale Gruppen und Parteien bei der gemeinsamen Arbeit benutzen.Arbeitssprachen der Europäischen Union sind diejenigen Sprachen, deren sich die Institutionenund Organe der EU in ihrer internen Kommunikation und beim Verkehr mit den anderenOrganen bedienen.Artikel 1 der Verordnung Nr. 1 des Rates der Europäischen Union führt zwar sowohl den Begriff"Amtssprache" als auch "Arbeitssprache" an, formal definiert werden sie jedoch nirgendwo.Auch eine Gleichberechtigung der einzelnen Sprachen untereinander wird nirgends explizitfestgelegt.

4. Die Amtssprachen der EUDie Europäische Union hat momentan 11 Amtssprachen, es handelt sich hierbei um Dänisch,Deutsch, Englisch, Finnisch, Französisch, Griechisch, Italienisch, Niederländisch, Portugiesisch,Schwedisch und Spanisch.

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Aus der Tatsache, daß die erste Verordnung des Rates der EuropäischenWirtschaftsgemeinschaft der Sprachenregelung für die Gemeinschaft galt, läßt sich vermeintlichermessen, daß die sechs Gründungsmitglieder Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien,Luxemburg und die Niederlande der Sprachenfrage eine große Bedeutung beimaßen. DieseVerordnung Nr. 1 des Rates der EWG vom 15. April 1958 basiert auf der Grundlage desArtikels 217 des EWG-Vertrages: "Die Regelung der Sprachenfrage für die Organe derGemeinschaft wird unbeschadet der Verfahrensordnung des Gerichtshofes vom Rat einstimmiggetroffen." Tatsächlich jedoch spielte die Sprachenfrage bei der Unterzeichnung der RömischenVerträge am 25. März 1957 für die Gründungsstaaten nur eine geringe Rolle. Dies läßt sichdaran erkennen, daß die Sprachenfrage, also der Sprachgebrauch innerhalb und mit denOrganen der Union, in diesen Gründungsverträgen, die die Grundlage der EWG bilden, nichtgeregelt wurde, sondern dem Ministerrat zur Aufgabe gestellt wurde.

Verordnung Nr. 1 des Rates (15. April 1958):Artikel 1Die Amtssprachen und die Arbeitssprachen der Organe der Gemeinschaft sind Deutsch,Französisch, Italienisch und Niederländisch.Artikel 2Schriftstücke, die ein Mitgliedstaat oder eine der Hoheitsgewalt eines Mitgliedstaatesunterstehende Person an Organe der Gemeinschaft richtet, können nach Wahl des Absendersin einer der Amtssprachen abgefaßt werden. Die Antwort ist in derselben Sprache zu erteilen.Artikel 3Schriftstücke, die ein Organ der Gemeinschaft an einen Mitgliedstaat oder an eine derHoheitsgewalt eines Mitgliedstaates unterstehende Person richtet, sind in der Sprache diesesStaates abzufassen.Artikel 4Verordnungen und andere Schriftstücke von allgemeiner Gültigkeit sind in den vierAmtssprachen abgefaßt.Artikel 5Das Amtsblatt der Gemeinschaft erscheint in den vier Amtssprachen.Artikel 6Die Organe der Gemeinschaft können in ihren Geschäftsordnungen festlegen, wie dieseRegelung der Sprachenfrage im einzelnen anzuwenden ist.Artikel 7Die Sprachenfrage für das Verfahren des Gerichtshofes wird in dessen Verfahrensordnunggeregelt.

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Artikel 8Hat ein Mitglied mehrere Amtssprachen, so bestimmt sich der Gebrauch der Sprache aufAntrag dieses Staates nach dem auf seinem Recht beruhenden allgemeinen Regeln.

Durch die Aufnahme weiterer Staaten in die Union bestand Bedarf, diese Regelung jeweils zuaktualisieren und um die Amtssprachen der neu beigetretenen Länder zu erweitern. Im Laufeder Jahre war dies viermal der Fall:1973 kamen Dänisch und Englisch hinzu durch die Beitritte von Dänemark, Irland undGroßbritannien,1981 dann Griechisch durch den Beitritt Griechenlands, 1986 Portugiesisch und Spanisch durch die Beitritte von Portugal und Spanien und1995 Finnisch und Schwedisch durch die Beitritte von Finnland und Schweden. (ÖsterreichsBeitritt im selben Jahr erforderte verständlicherweise keine weitere Hinzufügung.)

5. Sprachenregelung innerhalb der einzelnen Organe der EUDie einzelnen Organe bzw. Institutionen der Europäischen Union sind nach Artikel 6 der obenangeführten Verordnung zur Sprachenfrage berechtigt, in ihren jeweiligen Geschäftsordnungennähere Regelungen bezüglich der Verwendung der Amtssprachen zu treffen. Diese Regelungen- und ihre tatsächliche Anwendungen - werden im folgenden dargestellt.Die wichtigsten Organe der EU sind: der Ministerrat (auch Rat der Europäischen Union genannt) der Europäische Rat (ER) die Europäische Kommission das Europäische Parlament (EP) der Europäische Gerichtshof (EuGH) der Europäische RechnungshofDarüber hinaus kommt zwei weiteren Institutionen eine zentrale Funktion zu: dem Wirtschafts- und Sozialausschuß (WSA), bestehend aus 222 Vertretern nichtstaatlicher

Organisationen; der WSA wirkt als beratendes Gremium bei Gemeinschaftsentscheidungen. dem Ausschuß der Regionen (AdR), bestehend aus 222 Vertretern europäischer

Gebietskörperschaften; der AdR steht dem Ministerrat und der Europäischen Kommissionberatend zur Seite.

Auf die Aufgaben und Tätigkeiten der einzelnen Organe der Union wird in den jeweiligenAbschnitten zu ihren Sprachenregelungen kurz eingegangen, wobei der EuropäischeRechnungshof, der die Haushaltsführung der EU überwacht, der Wirtschafts- und

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Sozialausschuß (WSA) und der Ausschuß der Regionen (AdR) mangels Informationenbezüglich der Sprachensituation nicht behandelt werden.

5.1 Sprachenregelung im Europäischen Rat (ER)Der Europäische Rat setzt sich aus den Staats- und Regierungschefs der EU-Staatenzusammen und hat somit momentan 15 Mitglieder. Auf den zweimal jährlich stattfindendenGipfeltreffen legt der ER die Leitlinien der europäischen Politik fest, an die sich der Ministerratbei seinen Entscheidungen halten muß. Die dort gefaßten Beschlüsse stellen daher oft Aufträgean den Ministerrat dar.In den Sitzungen des Europäischen Rates wird in alle und aus allen elf Amtssprachen simultangedolmetscht. Dokumente werden dem ER ebenfalls in allen Amtssprachen vorgelegt.

5.2 Sprachenregelung im Ministerrat5.2.1 MinisterratDer Ministerrat gilt als das wichtigste gesetzgebende Organ der EU. In ihm sind dieRegierungen der einzelnen Mitgliedstaaten durch Minister unterschiedlicher Ressorts vertreten,so daß genau genommen mehrere Ministerräte, den verschiedenen Ressorts entsprechend,existieren. Aufgabe des Ministerrates ist es, Kompromisse zwischen den gemeinschaftlichenZielen und den Wünschen und Pflichten der einzelnen Mitgliedstaaten zu finden. SeineEntscheidungen, die häufig auf Vorlagen der Europäischen Kommission beruhen, haben in allenMitgliedstaaten Gesetzescharakter.Die Geschäftsordnung des Ministerrates legt in Artikel 10 fest, daß der Rat ausschließlich aufder Grundlage von Schriftstücken und Entwürfen berät und beschließt, die mindestens 14 Tagevor der jeweiligen Sitzung in allen Amtssprachen der EU vorliegen. Aufgrund derRechtswirksamkeit der Verordnungen und Beschlüsse des Rates in den einzelnenMitgliedstaaten, in denen gesetzlich vorgeschrieben ist, daß Gesetzestexte in derNationalsprache abgefaßt sein müssen, wird die Übersetzung dieser Dokumente in alle elfAmtssprachen für unabdingbar gehalten. Dieser Grundsatz wird jedoch nur in äußerst geringemMaße in allen Punkten eingehalten; meist liegen nur die Dokumente in Englisch und/oderFranzösisch rechtzeitig, zumindest einige Tage vor der Sitzung, vor.In den offiziellen Sitzungen des Ministerrates wird demnach auch aus allen Amtssprachen in alleAmtssprachen simultan gedolmetscht. Eine Reduzierung der Sprachenzahl, meistens aufEnglisch und Französisch, wird allenfalls bei Treffen mit informellem Charakter, wie z.B. beiArbeitsessen, vorgenommen.Auf Arbeitsebene des Personals des Rates wird die externe Kommunikation in allenAmtssprachen geführt. Bei der internen Kommunikation sind Englisch und Französisch wichtiger

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als die übrigen Amtssprachen, sie werden jedoch nicht ausschließlich verwandt. Es werdendaher auch für den internen Sprachengebrauch Dolmetscher und Übersetzter benötigt.Da ein großer Teil der Arbeit politischen Inhalts in den nationalen Ministerien durchgeführt wird,ist ein vergleichsweise hoher Anteil von Angestellten und Beamten im Ministerrat mit derSprachenarbeit beschäftigt. Für diese Sprachenarbeit werden nach Schätzungen 60 % desVerwaltungshaushaltes des Rates aufgewandt.

5.2.2 Ausschuß Ständiger VertreterDer Ausschuß Ständiger Vertreter, der seit 1965 zur Unterstützung des Rates existiert, bereitetdie Entscheidungen des Ministerrates vor und führt vom Rat übertragene Aufträge aus. Er setztsich zusammen aus Beamten der nationalen Fachministerien.In den Sitzungen des Ausschusses wird nur in drei Amtssprachen - Deutsch, Englisch undFranzösisch - und aus diesen drei Sprachen gedolmetscht.Die Sprachenregelung bei Schriftsätzen und Dokumenten des Ausschusses ist ähnlich derRegelung im Ministerrat.

5. 3 Sprachenregelung im Europäischen Parlament (EP)Das Europäische Parlament (EP) ist ein beratendes Organ ohne eigeneGesetzgebungsbefugnisse. Seine Aufgaben sind hauptsächlich die mitwirkende Beratung ander Gesetzgebung der Union und die Kontrolle der Europäischen Kommission und desMinisterrates. So kann das Parlament die Kommission durch einen Mißtrauensantrag zumRücktritt zwingen. Durch die Einheitliche Europäische Akte von 1986 hat das Parlament mehrLegislativrechte erhalten, darunter fällt unter anderem das Mitentscheidungsrecht beiBeitrittsgesuchen. Darüber hinaus verfügt das EP über das Recht, den Haushalt derKommission global abzulehnen.Der Sitz des Europäischen Parlamentes verteilt sich auf drei verschiedene Orte. Das Sekretariatist in Luxemburg angesiedelt, die Plenarsitzungen der Parlamentarier finden größtenteils inStraßburg statt und die insgesamt zwanzig Ständigen Ausschüsse des EP beraten sich inBrüssel. Momentan hat das Plenum 626 Abgeordnete, die in den einzelnen Mitgliedstaatengewählt werden und die sich in politischen Fraktionen und nicht in nationalen Gruppenzusammenschließen.Das Europäische Parlament hat einen Verwaltungsapparat mit ungefähr 3 300 Be-schäftigten.Rund ein Drittel des Personals arbeitet im Sprachendienst. Für diese Spracharbeit werden etwa60 % des Verwaltungsetats aufgewandt.Gemäß Artikel 102 seiner Geschäftsordnung sind sämtliche Schriftstücke des EuropäischenParlamentes in allen Amtssprachen der EU abzufassen. Dokumente müssen dem Parlament in

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allen Amtssprachen vorgelegt werden. Im offiziellen Verkehr des EP mit Mitgliedstaaten richtetsich das Parlament nach der Amtssprache des betreffenden Landes.Im Plenum sind sämtliche Redebeiträge in einer der Amtssprachen simultan in alle anderenAmtssprachen zu dolmetschen. Diese Regelung wird jedoch manchmal nicht vollständigeingehalten, da entweder aufgrund von Abwesenheit von Abgeordneten die Übersetzung inderen Sprache nicht erforderlich ist oder Abgeordnete Vorträge in der Sprache der jeweiligenRedner verfolgen, wenn sie dieser mächtig sind.In den Ausschüssen, die im Vergleich zum Plenum deutlich weniger Mitglieder haben, wirdhäufiger vom lückenlosen Simultandolmetschen abgesehen, da die Vertreter kleinererMitgliedstaaten oftmals darauf verzichten, ihre eigene Sprache zu benutzen.

5.4 Sprachenregelung in der Europäischen Kommission5.4.1 Europäische KommissionDie Europäische Kommission ist die Hüterin des Gemeinschaftsrechtes und kontrolliert dessenDurchführung in den Mitgliedstaaten. Eine weitere Hauptaufgabe der Kommission ist es,Empfehlungen und Stellungnahmen zur Weiterentwicklung der Gemeinschaftspolitikabzugeben. Die Kommission hat als einziges Organ der EU laut der Gründungsverträge dasInitiativrecht, also das Recht, Entwürfe für unionsweit geltende Gesetze zu formulieren undvorzulegen. Diese Vorschläge dann als Gesetz verabschieden dürfen dann allerdings nur derMinisterrat und das Europäische Parlament gemeinsam. Des weiteren überwacht dieKommission die Einhaltung und richtige Anwendung der EU-Verträge. Sie ist darüber hinaus diewichtigste supranationale Institution der Union, da sie die EU in internationalen Organisationenvertritt. Die Europäische Kommission besteht aus 20 Mitgliedern, die von den Regierungen derMitgliedstaaten vorgeschlagen und nach Zustimmung durch das Europäische Parlament auffünf Jahre ernannt werden. Für die Kommission arbeiten ungefähr 16 000 Beamte, sie ist somitdas größte Organ der EU.In der Europäischen Kommission wird wie auch im Ausschuß Ständiger Vertreter vom Prinzip"Alle Sprachen in alle" abgewichen. In den Sitzungen wird nur in die und aus den drei großenSprachen (Deutsch, Englisch und Französisch) gedolmetscht. Dokumente und Schriftsätze fürden internen Gebrauch der Kommission werden gleichermaßen nur in diesen drei Sprachenvorgelegt. Nach Beschlußfassung werden die Vorlagen dann in alle Amtssprachen der Unionübersetzt. Diese Regelung scheint jedoch nicht offiziell schriftlich festgelegt zu sein, sondernnur inoffiziell so gehandhabt zu werden. Für die Spracharbeit der Übersetzer und Dolmetscherwerden circa 33 % des Verwaltungshaushaltes der Europäischen Kommission ausgegeben.Als tatsächliche Arbeitssprachen fungieren hauptsächlich Englisch und Französisch, wobei dasFranzösische derzeit noch die stärkere Position einnimmt, jedoch langsam gegenüber dem

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Englischen an Dominanz verliert. Deutsch gerät auf der Arbeitsebene ins Hintertreffen; derGrund dafür ist vor allem in der Tatsache zu suchen, daß ein größerer Anteil der Bedienstetender Kommission nicht über ausreichende Deutschkenntnisse verfügt. Dies ist ein generellesPhänomen in sämtlichen Organen der EU, das unter anderem auf die (zumindest teilweise)frankophonen Standorte in Brüssel, Straßburg und Luxemburg zurückzuführen ist, aber auchauf den Umstand, daß Englisch und Französisch als Fremdsprachen stärker verbreitet ist alsDeutsch.

5.4.2 EU-AusschreibungenAusschreibungen der Europäischen Kommission erscheinen zur gleichen Zeit in allen elfAmtssprachen im Amtsblatt der Europäischen Union.

5.5 Sprachenregelung im Europäischen Gerichtshof (EuGH)Der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg sorgt für die Einhaltung von EU-Recht. Erist die letzte juristische Instanz in Europa und seine Entscheidungen sind somit unanfechtbar;vor ihm können die Mitgliedstaaten der Union, EU-Organe, Unternehmen und einzelne Bürgeraus den Mitgliedstaaten klagen.In bezug auf die Sprachenregelung unterliegt das EuGH nach Artikel 217 des EWG-Vertragesvom 25. März 1957 und Artikel 7 der Verordnung Nr. 1 des Rates vom 15. April 1958 nur seinerVerfahrensordnung. Laut deren Artikel 29-31 können alle Amtssprachen der EU und zusätzlichIrisch Verfahrenssprache sein, wobei der Kläger diese für den jeweiligen Prozeß bestimmt. Nurin Fällen, in denen der Kläger ein Organ der Union ist, ist die Verfahrenssprache diejenige desAngeklagten. Der Grund dafür, daß Irisch nur in der Sprachenregelung des EuGH zu finden ist,ist wohl im Umstand zu suchen, daß Irland bei seinem Beitritt in die Union im Jahr 1973 zwareine Anerkennung des Irischen forderte, aber nicht auf einer unbegrenzten Gültigkeit derVerordnung Nr. 1 des Rates für das Irische bestand.Die Festlegung der möglichen Verfahrenssprachen auf die elf Amtssprachen und Irischbedeutet, daß ein Nichtmitglied der Europäischen Union, das beispielsweise vor demEuropäischen Gerichtshof gegen eine Importquote klagen will, als Verfahrenssprache einedieser zwölf Sprachen wählen muß.Wenn der EuGH von einem nationalen Gericht eines Mitgliedstaates um eineVorabentscheidung zum Europarecht ersucht wird, ist die Verfahrenssprache grundsätzlich diedes vorlegenden Gerichtes. Urteile des Europäischen Gerichtshofes werden schließlich insämtliche Amtssprachen der Union übersetzt. Für diese Übersetzungsaufgaben werden rund 50% des Verwaltungsetats des EuGH verwandt.

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Die interne Arbeitssprache des Gerichtshofes, in der sich die Richter untereinander beraten undin der Sitzungsberichte geschrieben und Urteilsentwürfe erstellt werden, ist jedoch historischbedingt ausschließlich Französisch. Aus diesem Grund werden in Verfahren, bei denen dieVerfahrenssprache nicht Französisch ist, alle für den internen Gebrauch bestimmtenDokumente und eingereichten Schriftsätze ins Französische übersetzt. Englisch scheint amEuGH keine ähnlich starke Position wie in den anderen Organen der EU einzunehmen, dasFranzösische hat seine Stellung als einzige Arbeitssprache wahren können.5.6 Übersicht über den Sprachgebrauch in den einzelnen Organen der EU

Organ Sprachgebrauch

alle drei (E, F, D) eine

Europäischer Rat ×EuropäischeKommission ×EuropäischesParlament ×EuropäischerGerichtshof

intern: FVerfahren: eineder 11 + Irisch

Ministerrat ×

6. Übersetzungsdienste6.1 Die Übersetzungsdienste der EUUm das Mehrsprachigkeitsprinzip der Europäischen Union, durchführen zu können, müssen alleSchriftstücke und Dokumente der Union in alle Amtssprachen übersetzt werden.Zur Durchsetzung dieses Prinzips beschäftigen der Ministerrat, die Europäische Kommissionund das Europäische Parlament jeweils einen eigenen Übersetzungsdienst zur Bewältigung derÜbersetzungen von Gesetzestexten, Dokumenten etc. Anfang der 90er Jahre, als die EU nochnur neun Amtssprachen hatte (Finnisch und Schwedisch kamen erst 1995 dazu) hatte derSprachendienst des Rates ungefähr 500 000 Seiten pro Jahr zu übersetzen. DerÜbersetzungsdienst des Parlamentes hatte jährlich einen Umfang von 300 000 - 400 000 Seitenzu bearbeiten. Für den weitaus größten Anteil an Übersetzungen mit 800 000 - 1 Million Seitenpro Jahr ist jedoch der Sprachendienst der Kommission zuständig, da dieser die meistenGemeinschaftstexte der Organe zu übersetzen hat.Eine nähere Betrachtung der Originalsprachen der zu übersetzenden Schriftstücke läßterkennen, daß Französisch und Englisch die dominierenden Sprachen der EU sind. 1990 waren72% der vom Sprachendienst des Rates übersetzten Seiten in Französisch vorliegend, 18% in

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Englisch, in Deutsch und Italienisch jeweils 2%, in Spanisch nur 1%. In den damals übrigen vierSprachen (Portugiesisch, Niederländisch, Griechisch und Dänisch) lagen die Werte unter 1%.Die auf 100 fehlenden 3% entfielen auf gemischtsprachige Originaldokumente. Bei denOriginalsprachen der Dokumente, die der Sprachendienst des Parlamentes 1990 zu übersetzenhatte, sind die Unterschiede zwischen den Häufigkeiten der Sprachen weniger extrem. 33% derübersetzten Seiten lagen im Original in Französisch vor, 24% in Englisch, 13% in Deutsch, 10%in Spanisch, 7% in Italienisch, 5% in Niederländisch, 4% in Griechisch und jeweils 2% inPortugiesisch und Dänisch. Beim Übersetzungsdienst der Kommission ist die Situation ähnlich.1992 waren 46% der übersetzten Seiten im Original in Französisch, 33% in Englisch, 11% inDeutsch und 10% in den übrigen Sprachen. Für diese Übersetzungsarbeit in den drei Sprachendiensten werden insgesamt ungefähr 2 400beamtete Übersetzer und etwa 650 beamtete Dolmetscher beschäftigt. Die Anzahl derdazukommenden Freiberuflichen liegt in den Tausenden. Die Angaben über den Anteil desÜbersetzungspersonals am Gesamtpersonal sind nicht eindeutig und nicht genaunachvollziehbar. Zusammengenommen ergeben die drei Über-setzungsdienste den weltweitgrößten Dienst dieser Art. Sogar allein der Sprachendienst der Europäischen Kommission istmit seinen rund 1 200 Übersetzern und circa 500 Verwaltungsbeamten und Sekretärinnenbereits größer als alle anderen vergleichbaren Sprachendienste in der Welt.Die Kosten der Sprachendienste der Europäischen Union machen ungefähr ein Drittel desVerwaltungshaushaltes und etwa 2% des Gesamthaushaltes der EU aus.

6.2 Übersetzungshilfen: Maschinelle Übersetzung, terminologische Datenbank EURODICAUTOM

Um die Übersetzungen aller Schriftsätze schneller, effektiver und rationeller verfolgen zukönnen, wurden bereits in den 70er Jahren maschinelle Hilfsmittel eingeführt. Das automatischeÜbersetzungssystem SYSTRAN wurde 1976 für die Kommission entwickelt, zuerst nur für dasSprachenpaar Englisch - Französisch. Es wurde kontinuierlich erweitert und kann jetzt aus demEnglischen in sieben Sprachen übersetzen: Französisch (1976), Italienisch (1977), Deutsch(1982), Niederländisch (1984), Spanisch (1986), Portugiesisch (1986) und Griechisch (1988).Aus dem Französischen stehen fünf Sprachen für die Übersetzung zur Verfügung: Englisch(1978), Deutsch (1982), Niederländisch (1984), Italienisch (1987) und Spanisch (1989). Ausdem Deutschen kann das System in zwei Sprachen übersetzen: in das Englische und in dasFranzösische (beide 1988). In diese beiden Sprachen kann seit 1989 auch aus dem Spanischenübersetzt werden. SYSTRAN kann jedoch allenfalls als Hilfsmittel für die Arbeit der Übersetzerverstanden werden, da bislang keine maschinelle Übersetzung qualitativ einwandfrei ist unddaher keine große Zeitersparnis bringt. So betrug 1993 die Anzahl der mit Hilfe von SYSTRAN

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übersetzten Seiten lediglich circa 120 000 Seiten von den rund 1 Million übersetzten Seiten desSprachendienstes der Kommission. Seit Einführung von SYSTRAN im Jahr 1976 wurden rund35 Millionen DM für seine Weiterentwicklung ausgegeben. Derzeit wird bereits an einem neuenÜbersetzungssystem namens EUROTRA geforscht.Speziell für die Übersetzung von Ausschreibungen existiert ein eigenes automatisches Systemmit Namen AVIMA. Die Abkürzung AVIMA steht für “Avis de marché”, auf Deutsch:“Bekanntmachungen von Ausschreibungen für öffentliche Aufträge.” Mit Hilfe dieses Systemssoll gewährleistet werden, daß alle Übersetzungen rechtzeitig vorliegen und somit alleMitgliedstaaten gleichberechtigt behandelt werden. AVIMA liefert eine standardisierteÜbersetzung der Ausschreibungen in alle Amtssprachen in einem einzelnen Arbeitsdurchgang.Dies wird durch mehrsprachige Formulare im System erreicht. Pro Jahr werden mit Hilfe vonAVIMA ungefähr 240 000 Seiten übersetzt.Ein weiteres Hilfsmittel der Sprachendienste ist seit 1976 die mehrsprachige terminologischeDatenbank EURODICAUTOM. In ihr sind circa 4,5 Millionen Termini und Abkürzungen in allenelf Amtssprachen gespeichert. Sie wird monatlich aktualisiert. Allerdings ist nicht jeder Eintragauch in allen Sprachen vorhanden, der größte Anteil dieser Einträge liegt jedoch immer inEnglisch und Französisch vor. Einige Abkürzungen und wissenschaftliche Fachbegriffe sindzudem in Latein verfügbar. Die Datenbank soll die Übersetzer von der terminologischenRecherchenarbeit entlasten und es ihnen ermöglichen, sich auf ihre eigentliche Übersetzungkonzentrieren zu können.EURODICAUTOM ist über das Internet für die Öffentlichkeit frei zugänglich und benutzbar.

7. Stellung des Englischen gegenüber dem Französischen und DeutschenDas Englische hat seit dem Beitritt von England und Irland in die Europäische Union im Jahr1973 die Position des Französischen als Arbeitssprache zwar mindern, seine Spitzenfunktionjedoch niemals ernsthaft gefährden können. Französisch ist auch weiterhin die dominierendeSprache im administrativen Alltag der Union. Eine Ausnahme stellt lediglich dieSprachensituation am Europäischen Gerichtshof dar; hier konnte Französisch auf internerEbene seine Stellung als in diesem Fall sogar alleinige Arbeitssprache bewahren. Einen weitausgrößeren Einfluß hatte das Hinzukommen des Englischen auf die Position des Deutschen,welches seitdem an Bedeutung verlor. Faktisch sind fast nur noch Französisch und Englisch dieArbeitssprachen der Union. Vor der Aufnahme der beiden Länder hatte Deutsch unbestritten diezweitstärkste Position als Arbeitssprache in den Organen der EU inne.Im mündlichen Sprachgebrauch der Beamten und Angestellten der Organe der EuropäischenUnion liegt Französisch deutlich vor Englisch. Englisch wiederum liegt mit weitem Abstand vorDeutsch.

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Bei der mündlichen Kommunikation mit EU-Organen erreicht Französisch einen Anteil von 69%vor Englisch mit 30%. Deutsch wird nur in einem Prozent der Fälle gesprochen, die anderenSprachen kommen auf einen Anteil von unter 0,5%. Bei der Kommunikation der Beamten undAngestellten mit Mitgliedstaaten der EU ist der Abstand zwischen dem Anteil von Französischmit 54% und dem Anteil von Englisch mit 42%. Deutsch liegt mit einem Anteil von 3% wiederweit dahinter an dritter Stelle. Andere Sprachen werden in einem Prozent der Fälle benutzt.Umgekehrt ist jedoch das Verhältnis zwischen dem mündlichen Gebrauch von Englisch undFranzösisch bei der Kommunikation der Angestellten und Beamten mit Staaten, die nicht derEU angehören. Hier liegt Englisch mit einem Anteil von 69% vor Französisch mit 30% undDeutsch mit einem Prozent. Die übrigen Sprachen haben einen Anteil von unter 0,5%.Im Europäischen Parlament ist das Verhältnis zwischen den Anteilen von Englisch undFranzösisch an der mündlichen Kommunikation ausgewogener.Der mündliche Sprachgebrauch beim Verkehr der Abgeordneten mit der Parlamentsverwaltungerfolgt zu 46% in Französisch und zu 44% in Englisch. Deutsch erreicht einen Anteil von 6%,die anderen Sprachen 4%. Bei der Kommunikation mit der Europäischen Kommission benutzendie Parlamentarier in jeweils 46% der Fälle Englisch bzw. Französisch, Deutsch in 5% undandere Sprachen in 3% der Fälle.Beim schriftlichen Sprachgebrauch der Beamten und Angestellten mit den EU-Organenerscheint eine ähnliche Verteilung der Anteile wie bei der mündlichen Kommunikation, wobeijedoch der Anteil von Französisch noch auf Kosten des Englischen um 5% zunimmt. Bei derKorrespondenz mit Mitgliedstaaten der Union ergibt sich keine Veränderung zu den Anteilenbeim mündlichen Verkehr.Ähnlich bleibt auch das Verhältnis bei der schriftlichen Kommunikation der Beamten undAngestellten der EU-Organe mit Nicht-Mitgliedstaaten, wobei Englisch seinen Vorsprunggegenüber dem Französischen noch leicht ausbaut.Die Abgeordneten des Europäischen Parlamentes benutzen Englisch, Französisch und Deutschschriftlich in ähnlichen Anteilen wie beim mündlichen Sprachgebrauch.Abschließend läßt sich folgendes anführen: Französisch und Englisch haben sich als faktische Arbeitssprachen in den Organen der

Europäischen Union etabliert. Das Englische gewinnt allmählich an Bedeutung, wird jedochdeutlich seltener als Französisch benutzt. Deutsch belegt einen weit abgeschlagenen drittenPlatz.

Der Umfang der Nutzung der elf Amtssprachen als Arbeitssprachen entspricht nichtunbedingt ihrem "Gewicht" durch die Anzahl ihrer Muttersprachler. Nach Sprecherzahlen istDeutsch mit circa 80 Millionen Sprechern die "größte" Sprache vor Englisch, Französischund Italienisch mit jeweils ungefähr 60 Millionen und Spanisch mit unter 40 Millionen

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Sprechern. Die übrigen Amtssprachen der EU haben zum Teil deutlich geringereSprecherzahlen.

8. Probleme der derzeitigen Sprachenregelung und Modelle für eine zukünftigeeuropäische SprachenpolitikDie Europäische Union ist mit ihrer Sprachenpolitik, alle Amtssprachen ihrer Mitgliedstaaten alsAmtssprachen der Union zu benutzen, längst an ihre administrativen und auch finanziellenGrenzen gestoßen. Jede Erweiterung der EU wird dieses Problem verschärfen. Elf Länderhaben sich derzeit um eine Aufnahme in die Union beworben: Ungarn, Polen, Tschechien,Slowenien, Estland und Zypern haben relativ gute Chancen, in vier bis fünf Jahren beitreten zukönnen. Rumänien, Bulgarien, Lettland, Litauen und die Slowakei haben nur geringeAussichten, innerhalb dieses Zeitraumes beitrittsfähig zu sein und werden daher vermutlichnoch einige Jahre länger warten müssen.Der hohe Anspruch der direkten Kommunikation in jeder Amtssprache der EU setzt einenÜbersetzungsapparat voraus, der für einige wenige Sprachen noch tragbar und angemessenist. Beim heutigen Umfang von elf Amtssprachen - das ergibt 110 verschiedene Sprachenpaare,für die Übersetzer und Dolmetscher nötig sind - ist er jedoch nicht mehr voll funktionsfähig undpraktikabel. Mit jeder neu hinzukommenden Amtssprache vergrößert sich die Anzahl derSprachenpaare; bei einem weiteren Anwachsen des Umfanges durch Beitritte der obengenannten mittel- und osteuropäischen Staaten, wird die Übersetzungsarbeit überhaupt nichtmehr machbar und bezahlbar sein. Allein die Beitritte von nur fünf Staaten ergäben 240 zubewältigende Sprachenpaare.Schon heute finden sich nicht für alle Sprachenpaare die nötigen Übersetzer, vor allem für dieseltenen Sprachenpaare wie Portugiesisch - Finnisch oder Griechisch - Niederländisch. AlsBehelfslösung wird oft eine Übersetzung über sogenannte "Relaissprachen" durchgeführt.Dabei erfolgt die Übersetzung eines Textes aus einer "kleinen" Sprache in eine andere "kleine"Sprache mittels Zwischenübersetzung in eine der zentralen Verständigungssprachen, alsoFranzösisch oder Englisch. Auf diese Weise erübrigen sich viele der seltenenSprachenkombinationen. Diese Art der Übersetzung vereinfacht das Problem zwar beträchtlich,birgt jedoch ein verdoppeltes Fehlerrisiko in sich und sollte deswegen keine dauerhafte Lösungsein.Die derzeitige Sprachenregelung der Europäischen Union ist zwar allen Mitgliedstaatengegenüber fair, da so keinem - zumindest offiziell - ein besonderer Status zukommt. Sie sollverhindern, daß bürokratische Eliten entstehen, die sich durch ihre Fremdsprachenkenntnissebzw. Muttersprachen von den anderen abheben, oder daß einzelne Mitgliedstaaten bevorzugt

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werden. Für die Bürger in der EU bedeutet die Regelung Transparenz der Aktivitäten der Union,womit ihr Ziel erfüllt wird, möglichst bürgernah zu sein. Das Mehrsprachigkeitsprinzip istlobenswert, jedoch mit der zunehmenden Anzahl an Sprachen nicht mehr sinnvoll. Da auch dieRealität in den Organen der EU bereits zeigt, daß dieses Prinzip de facto nicht eingehalten wirdund werden kann, sollte konsequent über eine neue, so weit als möglich faire Sprachenpolitiknachgedacht werden. Dies betrifft vor allem die interne Ebene der Arbeitssprachen. Notwendig hierzu wäre eineeindeutige Trennung zwischen Amts- und Arbeitssprachen mit klar definiertenAnwendungsbereichen. Denkbar wäre eine Festlegung einer reduzierten Anzahl vonArbeitssprachen, beispielsweise Englisch, Französisch und eventuell auch Deutsch (da dieAnzahl derjenigen, die Deutsch als Fremdsprache sprechen, nach dem Beitritt einiger Staatenaus Mittel- und Osteuropa vermutlich steigen wird). Eine andere Möglichkeit wäre dieEinführung eines asymmetrischen Übersetzungssystems für Sitzungen der EU-Organe, d.h.jedes Mitglied hätte das Recht, in seiner Sprache zu reden, übersetzt würde jedoch nur in zweioder drei festgelegte Arbeitssprachen. Diese Lösung hätte den Vorteil, daß zumindest niemandin seiner Ausdrucksfähigkeit eingeschränkt oder benachteiligt würde. Das Problem, daß beimDolmetschen nur die "konzeptuelle Bedeutung" des Gesagten übersetzbar ist, nicht aber dieHaltung des Sprechers, die sich durch die Wortwahl, die Lautstärke, den Tonfall etc. verrät, läßtsich bei einer multilingualen Vereinigung wie der EU ohnehin nicht vermeiden und kann dahernicht als Einwand gegen ein solches Übersetzungssystem gelten.Bei einer Trennung von Amtssprachen und Arbeitssprachen wäre auf der externen Ebene eineBeibehaltung aller elf Amtssprachen vorstellbar. Jeder Bürger eines Mitgliedstaates hätteweiterhin die Möglichkeit, die Arbeit der Union in seiner Sprache zu verfolgen und sich in ihr andie Union zu wenden, sei es bei einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof, sei es bei einerFrage an eines der anderen EU-Organe. Allerdings sollten dann nur noch für alle Mitgliedergültige Dokumente und Verordnungen in alle Amtssprachen übersetzt werden und nichtsämtliche Schriftstücke, die größtenteils nicht in aller Interesse oder bei Erfolgen derÜbersetzung bereits überholt sind.Die Europäische Union wird es auf Dauer nicht vermeiden können, ihre sprachenpolitischenLeitlinien den seit Gründung der Gemeinschaft veränderten Verhältnissen anzupassen, wennauch pragmatische Vorschläge wie die oben angeführten beispielsweise in der Kommissionbislang nicht auf Zustimmung stießen. Möglichkeiten für eine Änderung bieten beispielsweisedie Freiräume der Verordnung Nr. 1 des Rates der EWG vom 15. April 1958. Diese macht zwarkeinen Unterschied zwischen Amtssprachen und Arbeitssprachen, jedoch wäre es möglich, denvertraglichen Status von einigen Amtssprachen einzuschränken, da Artikel 6 genauere

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Regelungen dafür den Geschäftsordnungen der einzelnen Organe überläßt. Ebenso spricht derVerordnungstext nur von "Schriftstücken", spezifiziert diese aber nicht näher.Eine praktikable und finanzierbare Sprachenregelung für die Europäische Union wirdzwangsläufig nicht alle Mitgliedstaaten mit ihren Amtssprachen gleichberechtigt behandelnkönnen. Eine Beibehaltung der jetzigen Situation mag zwar fairer erscheinen, sie ist es jedochnur nominell. Die Realität und der Anspruch stimmen längst nicht mehr überein - falls sie dasjemals getan haben sollten.

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