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SPRECHERTEXT
360° - Die GEO-Reportage
Film Titel: „Bangkoks krabbelnde Delikatessen“
Ein Film von Matthias Heeder
Länge: ’52
00:04 Kommentar
Bangkoks Vergnügungsviertel Patpong hat mehr
zu bieten als Bars und Tabledance:
00:13 Heuschrecken und Skorpione für den Snack
zwischendurch.
00:36 Die Zubereitung der Insekten erfordert viel
Fingerspitzengefühl.
00:48 Die Insektenköchin von Bangkok
Kommentar
01:16 In der Hauptstadt von Thailand leben zwischen
acht und 14 Millionen Menschen, und täglich
kommen mehr.
01:26 Menschen wie die 35-jährige San Supathanakun,
die es vor fünf Jahren aus ihrem Dorf in die
boomende Metropole zog.
01:35 Viele Frauen aus den armen Provinzen arbeiten
hier als Prostituierte, obwohl das offiziell verboten
ist.
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01:44 Kommentar
Doch San hat einen anderen Beruf: sie verkauft
Insekten, die sie selber zubereitet.
02:06 O-Ton San
Reg dich nicht auf. Alles wird teurer.
02:10 Aber ich gebe dir was extra.
02:16 O-Ton Kunde
Das soll für zehn Bath sein!
02:19 O-Ton San
Für zehn Bath kriegst du nicht mal den halben
Mund voll.
02:25 Bei mir kostet alles 20 Bath.
Lass es dir schmecken.
03:01 Kommentar
Für ihren festen Standplatz zahlt San 300 Bath,
knapp sechs Euro pro Monat an die Stadt –
allerdings ohne eine Quittung zu erhalten.
03:12 O-Ton San
Das wird noch ein gutes Geschäft heute.
3
03:20 Kommentar
Sans Ehemann Bao Jantaow dagegen ist mobil
und zieht Nacht für Nacht durch Patpong. Die
Konkurrenz ist gross, denn zu essen gibt es in
Bangkok an jeder Straßenecke.
03:34 O-Ton Bao
beginnt im Off Am Anfang haben wir Fleischbällchen verkauft,
aber das brachte überhaupt keinen Gewinn. Wenn
es regnet, rennen die Leute einfach vorbei und
kaufen nichts.
03:58 Also wollten wir es mit Insekten probieren, aber
keiner half uns. Die Insektenhändler, die schon im
Geschäft waren, versuchten sogar uns davon
abzuhalten, als wir sie um Rat fragten. Sie
endet im OFF wollten nicht, dass wir ihnen Konkurrenz machen.
04:26 O-Ton San
beginnt im Off Ich habe erst 1200 Bath, knapp 26 Euro
eingenommen: Die Mengda, die Großen
Wasserkäfer gehen heute nicht so gut. Davon
verkaufe ich normalerweise 150 Stück in der
Nacht, mehr als mein Mann.
04:46 Von dem Ameisensalat hab ich noch für über 300
Bath, für sieben Euro in der Schale liegen.
05:00 Und von den Heuschrecken habe ich noch für 500
Bath.
05:16 Ich glaube, wenn ich von den verpackten
Seidenwürmern noch mal ein halbes Kilogramm
kaufe, sieht das besser für die Kunden aus.
4
05:22 O-Ton San
Wenn man Seidenwürmer offen in einer Schale
verkauft, verlieren sie schnell an Frische. Sie
schmecken dann wie Gummi. So abgepackt kann
Endet im OFF ich sie aber noch in drei Tagen verkaufen.
05:45 Kommentar
Mee Tawat Payaow ist ein enger Freund und
gehört schon fast zur Familie. Er ist ebenfalls im
Insektengeschäft und verkauft von einer Fahrrad-
Rikscha aus.
06:06 O-Ton Mee
Wir sind mehr als Nachbarn. Ich glaube, es gibt
nur wenige Leute in Bangkok, die sich so nahe
stehen wie wir. Die meisten Menschen suchen
allein ihren persönlichen Vorteil, aber San nicht.
Sie würde mich nie übers Ohr hauen. Wir helfen
einander so gut es geht.
06:25 Sie ist ein wirklich liebenswerter Mensch.
Allerdings kann sie auch schnell wütend werden.
06:46 O-Ton San
Das sind jetzt drei. Du kriegst sowieso immer
etwas mehr!
07:03 Kommentar
Am besten lassen sich die Insekten-Snacks
verkaufen, wenn die Bars schließen und die
Frauen sich noch etwas zum Essen mit nach
Hause nehmen.
5
07:19 Kommentar
Es ist nach zwei Uhr. Sans Ehemann Bao hat für
heute Schluss gemacht und holt seine Frau für
den Weg nach Hause ab.
07:28 O-Ton San
Und? Wie ist es? Hast Du gut verkauft?
07:31 O-Ton Bao
Es geht so…
07:35 O-Ton San
Mehr als 1000 Bath?
07:38 2000 wären besser.
07:42 Du solltest mehr von den Mengda, den
Wasserkäfern anbieten.
08:11 Kommentar
Endlich machen sich die beiden auf ihren 20-
minütigen Heimweg.
08:49 Doch auch um 3:00 Uhr morgens ist Sans
Arbeitstag ist noch lange nicht zu Ende.
08:59 O-Ton San
5, 6, 7 …
Kommentar
09:03 Die Familie verdient zwischen 500 und 600 Euro
im Monat, dreimal so viel wie das durchschnittliche
Familieneinkommen in ihrer Heimatprovinz.
6
09:16 O-Ton San
Ich zieh’ mich noch schnell um, dann geh’ ich auf
den Markt.
09:35 Kommentar
Auf den Markt, der mit dem Tuk Tuk Taxi gut 20
Minuten von ihrem Platz entfernt liegt, fährt San
immer nur mit Mee. Ihr Ehemann Bao ist zu
ungeduldig und streitet sich auch gerne mal mit
den Händlern.
09:52 Klong Toey im Süden der Stadt ist einer der
preiswerten Märkte Bangkoks mit einem reichen
Angebot. Jetzt sind hier die Straßenhändler
unterwegs, die wie San für ihre mobilen
Garküchen oder kleinen Eckrestaurants einkaufen.
10:33 O-Ton San
Ich nehme das Zitronengraß.
10:49 Ich brauche Öl, vier Kilo, und nehme noch deine
Gewürzmischung für 25 Bath.
10:57 Mit dem Öl kann man gut frittieren, da sehen die
Insekten richtig lecker aus.
11:04 O-Ton Verkäufer
Das macht 126 Bath…
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11:21 Kommentar
Mit einem Tagesumsatz von rund 85 Euro gehört
San zu den gut verdienenden Insektenköchen.
Vorrausetzung ihres Erfolgs ist ein zuverlässiger
Händler, dessen Ware immer frisch und nicht zu
teuer ist.
11:36 O-Ton San
Pack schon mal alles zusammen
11:44 Schau, das ist alles, was ich bekommen habe.
Nicht viel oder?
11:53 Das sind hübsche kleine Grillen.
11:57 Soll ich die roh essen?
11:59 O-Ton Mee
Kein Problem…, die schmecken lecker.
12:05 O-Ton San
Aber sie sind nicht gewaschen und voller Dreck.
12:06 O-Ton Mee
Man kann sie trotzdem essen. Ich nehme ein
halbes Kilo.
12:09 O-Ton San
Ganz schön trocken, deine Erdgrillen.
12:13 Ich nehme auch ein halbes Kilo.
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12:23 Kommentar
Der Insektenhändler Sompong Yasee ist seit
sechs Jahren im Geschäft. Seine Kunden sind die
kleinen Insektenköche wie San. Privatkunden sind
eher die Ausnahme.
12:37 O-Ton San
Auf, ... nach Hause. Wir gehen jetzt.
12:45 O-Ton Insektenhändler
Diese Grillen hier bekommen wir aus
Kambodscha,
12:49 und das hier sind Mengda, Große Wasserkäfer,
die meisten davon kommen ebenfalls aus
Kambodscha.
12:57 Und diese Seidenwürmern hier erhalten wir aus
dem Norden Thailands. Sie leben gerne im
Bambus. Sie sind sehr teuer und in dieser
Jahreszeit schwer zu bekommen. Je nach Saison
kostet ein Kilo zwischen 180 und 300 Bath, also
rund vier Euro.
13:17 Und das hier sind verpuppte Seidenspinner, die
beziehen wir von einer Seidenfabrik in der Gegend
von Phat Chabuun.
13:38 Als ich anfing, war die Nachfrage noch nicht sehr
hoch. Aber jetzt kommen Insekten besser an und
die Leute essen immer mehr davon. Insekten
haben ja auch viel Kalzium und machen nicht dick.
9
Kommentar
14:10 Die meisten Insekten kommen aus Kambodscha.
Im Grenzort Aranyapathet, 250 km von Bangkok
entfernt, bieten die Bauern des armen
Nachbarlandes täglich frische Ware an.
14:26 Direkt am Grenzübergang liegt der bedeutendste
Markt für Insekten aus Kambodscha. Chamrun
Yasee, die Tochter des Insektenhändlers,
organisiert von hier aus den Einkauf für das
Familienunternehmen.
14:37 Die meisten Insekten werden in der Regenzeit
gefangen. Jetzt, zu Beginn der Trockenzeit, ist
frische Ware deshalb knapp.
14:44 Insekten werden lebend angeliefert. Aber den
Heuschrecken reißt man die Flügel aus, damit sie
nicht wieder wegfliegen.
O-Ton Insektenhändlerin Chamrun
15:00 In Thailand haben wir zwar auch Seidenwürmer,
Heuschrecken und Wasserkäfer, aber in
Kambodscha gibt es einfach viel mehr davon,
besonders Heuschrecken. Aber die
Kambodschaner wissen nicht, wie man sie
zubereitet.….
15:25 Während der Regenzeit gibt es viele Insekten,
mehr als wir verkaufen können, deshalb frieren wir
sie in diesen großen Kühltruhen ein.
10
15:40 O-Ton Insektenhändlerin Chamrun
Im Moment haben wir noch Heuschrecken und
Seidenwürmern auf Lager.
15:47 Heuschrecken lassen sich sehr gut einfrieren und
frisch halten. So kann ich sie bis zu zwei Jahre
lagern und entsprechend der Nachfrage
verkaufen.
15:56 Oder die Seidenwürmern hier, die gibt es frisch
einmal im Jahr, aber ich kann sie das ganze Jahr
über anbieten, und sie sehen immer gut aus.
16:15 Kommentar
Händler aus ganz Thailand decken sich hier mit
Vorräten ein.
16:28 Direk Chaiphant ist 1000 Kilometer für die
Wasserkäfer gereist.
O-Ton Direk Chaiphant
16:32 Ich komme einmal im Monat her um frische
Insekten für mein Geschäft in Pukhet zu kaufen.
16:48 Ich bekomme sie lebend und pack’ sie in Eis. Das
mach ich schon seit Jahren so. Mit Insekten lässt
sich gutes Geld verdienen.
17:02 Manchmal kann ich sogar welche an Touristen
verkaufen. Die meisten fürchten sich zwar davor,
aber einige finden sie richtig lecker.
17:12 Mir schmecken die Großen Wasserkäfer am
besten, die Mengda. Aber auch Heuschrecken
nehme ich gern.
11
17:26 O-Ton Direk Chaiphant
Die Eier der Mengda sind das Beste.
17:31 Die hier, die mit den Eiern, das sind die Richtigen.
17:51 Kommentar
An einer Hauptverkehrsstrasse in Bangkoks
innerstädtischem Bezirk Sukhumvit liegt auf einem
Brachgrundstück Sans Unterkunft, für die sie
monatlich 35 Euro zahlt.
18:15 Sans Nachbarin trocknet mariniertes Fleisch für
den Verkauf.
18:19 Sechs weitere Familien wohnen hier.
18:25 Um zehn Uhr morgens, nach vier Stunden Schlaf
beginnt ihr neuer Arbeitstag.
18:32 O-Ton San
Heute gab es nur grüne Heuschrecken. Die mögen
die Leute nicht, weil sie beim Frittieren schnell
schwarz werden. Wir nennen sie Kaao Gamm.
18:42 Von den Heuschrecken, die beim Frittieren so eine
schöne rote Farbe bekommen, sind heute nicht
viel dabei.
18:55 So wie die hier. Wenn ich die frittiere wird sie
rötlich und schmeckt sehr knusprig. Das mögen
die Kunden.
19:13 Diese Heuschrecken kosten pro Kilo ca.1,30 Euro,
aber die werden eben nicht so gern gegessen.
19:25 Ich mag die schon, aber die Kunden kaufen sie
nicht so gern.
12
20:11 O-Ton San
Jetzt kommen die Grillen dran.
20:24 Als Kind habe ich mit meinem Vater immer Grillen
beginnt im Off gesammelt. Dazu sucht man sich ein trockenes
Feld, setzt es unter Wasser und stampft so lange
im Schlamm herum, bis die Grillen aus der Erde
gekrochen kommen. Wir mussten sie dann nur
noch aufsammeln. Das hat uns viel Spaß
gemacht.
20:54 Früher gab es viele Insekten bei uns. Aber ich
weiß nicht, wie es heute ist. Ich war lange nicht
mehr zu Hause.
21:11 Kommentar
San und auch viele ihrer Nachbarn kommen aus
dem Isaan, dem Nordosten Thailands. Aus Armut
hat man dort schon immer Insekten gegessen.
21:45 O-Ton San
Die besten Heuschrecken leben in Maisfeldern
und haben viel Mais gefressen. Die von den
Zuckerrohrfeldern haben zuviel Schmutz in ihren
Innereien, deshalb schmecken sie eher streng. Sie
sind auch nicht so weich.
22:08 Heuschrecken aus den Maisfeldern riechen auch
anders wenn man sie kocht.
22:36 Wenn sie hinten fest sind, sind sie gut.
13
O-Ton San
22:54 Nach dem Frittieren müssen die Beine der
Heuschrecken schön weit gespreizt bleiben, dann
passen nicht so viele in eine Tüte, und sie sieht
trotzdem voll aus.
23:40 Kommentar
Erst gegen Nachmittag ist Zeit für eine kleine
Pause. Mee ist Junggeselle und kann sich leisten,
wovon Bao noch träumt: einen eigenen
Fernsehapparat.
23:59 Als gläubige Buddhistin betet San währenddessen
um Glück und beruflichen Erfolg.
24:21 Anfang Oktober endet die dreimonatige Fastenzeit
der buddhistischen Mönche mit einem
traditionellen Fest, das San und Bao wie jedes
Jahr zu Hause, in ihrem Dorf feiern werden.
24:38 Aber San wäre nicht so erfolgreich, wenn sie nicht
bis zur letzten Minute an ihren Umsatz denken
würde.
24:58 Also geht sie wie jeden Tag auch am Abend vor
ihrer Abreise mit Bao und Mee zur Arbeit.
25:23 In Patpong trennen sich ihre Wege wieder.
14
25:40 Kommentar
Zum Ende der Regenzeit ziehen immer wieder
heftige Regenschauer über Bangkok und steigern
das tägliche Verkehrschaos.
25:55 Aber San arbeitet bei jedem Wetter, sieben Tage
die Woche.
26:03 Ihre Kunden - die jungen Prostituierten und
Mädchen aus den Massagesalons und Go-Go-
Bars - leben von ausländischen Touristen: in erster
Linie Männer aus Europa, Australien und den
USA.
26:19 Wenn es zuviel regnet, laufen die Geschäfte
schlecht. Insekten schmecken schnell muffig,
wenn es zu feucht wird.
26:30 O-Ton San
Es ist immer das Gleiche, kaum verkauft man mal
ein bisschen was, fängt es auch schon an zu
regnen.
26:37 Hier, nimm erst mal die Tüte. Sonst wird sie noch
ganz nass.
26:50 Kommentar
Der Regen verschwindet so schnell, wie er
gekommen ist.
15
26:58 O-Ton Noi
Vielen Dank, und gute Geschäfte heute Nacht.
27:00 O-Ton Mee
Danke, euch auch.
27:03 Kommentar
Plang und Noi arbeiten in einer Bar und sind
Stammkundinnen.
27:09 O-Ton Plang
beginnt im Off Die meisten Leute in Bangkok essen keine
Insekten. Aber auf dem Land kennen wir alle
möglichen Arten und wissen, wie sie leben.
27:16 Die Bangkoker kommen immer nur und gucken,
aber sie essen sie nicht.
27:20 O-Ton Noi
Sie haben Angst, sich mit Insektengift zu vergiften.
Aber das ist Unsinn. Normalerweise jedenfalls.
Das stimmt doch, oder?
27:32 Die Grillen zum Beispiel, die ernähren sich allein
von den Spitzen der Reispflanzen.
27:38 O-Ton Plang
Bei uns zu Hause gibt es jede Menge Käfer und
Grillen. Auf den Maisfeldern locken wir sie Nachts
mit Licht an, dann sind sie ganz einfach zu fangen.
16
27:49 O-Ton Noi
Und die Ameisen leben auf den Bäumen, genauso
wie hier in der Stadt.
O-Ton Plang
27:56 Die sind wirklich lecker…
27:59 O-Ton Noi
Ich bin nach Bangkok gekommen, weil es auf dem
Land keine Arbeit gibt. Hier gibt ganz andere
Möglichkeiten, im Büro oder als Verkäuferin.
28:08 O-Ton Plang
Nach der Reisernte gibt es keine Arbeit mehr und
man hängt rum. Also mussten wir doch nach
Bangkok, weil wir nur hier Geld verdienen können.
28:38 Kommentar
Aber ohne Ausbildung bleibt leider oft nichts
anderes als die Prostitution – etwa 300.000
Frauen arbeiten in der Stadt. Einige ertragen ihr
Leben nur mit Alkohol und Drogen.
28:55 Andere finden bei San etwas Halt.
29:04 O-Ton San
Insekten sind das Essen ihrer Kindheit. Und was
die Mädchen nicht kennen, probieren sie bei mir
aus. Einmal quer durchs ganze Angebot. Einige
sind ganz wild danach.
17
29:26 O-Ton San
Insekten erinnern die Mädchen an zu Hause. Das
gibt ihnen Kraft und Selbstvertrauen - und stärkt
ihre Identität. Wenn sie bei mir kaufen, sprechen
sie mich auch immer in unserer Muttersprache
Isaan an.
29:45 Wir kommen alle aus armen Familien, deshalb
verstehe ich auch ihre Sorgen. Was passiert zum
Beispiel, wenn der Mann die Familie verlässt? Wer
kümmert sich dann um die Kinder? Also müssen
die Mädchen ran, während die Kinder bei der
Familie im Dorf aufwachsen. Die meisten sind
wegen solcher Probleme hier. Niemand arbeitet
gerne in Patpong. Sie sind hier, weil sie Geld
ranschaffen müssen.
30:20 Warst du noch nicht in der Soi Cowboy?
30:42 Kommentar
Früh am Morgen finden sich San und Bao am
Hauptbahnhof ein.
30:46 O-Ton San
Wir müssen da lang.
30:57 Kommentar
Normalerweise nehmen sie den Bus für die über
600 Kilometer lange Fahrt in ihre Heimatprovinz
Sakon Nakhon. Aber durch die heftigen Regenfälle
der letzten Tage sind viele Strassen unpassierbar
geworden. Vor ihnen liegt eine strapaziöse 14-
stündige Reise.
18
31:28 Kommentar
In ihrem Heimatdorf besitzt San ein eigenes Haus
und unterstützt die Großfamilie.
32:17 Der Preis für ihren kleinen Wohlstand ist hoch.
Ihre Tochter sieht sie nur ein- oder zweimal im
Jahr.
32:31 O-Ton San
Als wir unser Dorf verließen, war unsere Tochter
gerade zwei Monate alt. Ich wusste, dass ich erst
dann zurück kann, wenn ich es geschafft habe und
genug Geld verdiene. Wir hatten alles hinter uns
gelassen, den Haushalt aufgelöst und die Sachen
verkauft. Also konnten wir auch gar nicht zurück.
Als wir nach Bangkok kamen wusste ich, dass wir
kämpfen müssen, um erfolgreich zu sein.
Kommentar
33:26 In der Nachbarprovinz Udon Thanin wechseln sie
für die letzte Etappe ihrer langen Fahrt in einen
Überland-Bus.
33:38 Der Isaan im Nordosten ist das Armenhaus
Thailands.
33:47 Die Menschen leben überwiegend von der
Landwirtschaft. Doch schlechter Boden,
abwechselnde Überschwemmungs- und
Dürreperioden führen zu schlechten Erträgen.
19
34:18 Kommentar
Nach drei Monaten kann San ihre Tochter Arreeya
wieder in die Arme schließen.
34:32 O-Ton San
Hast du schon gegessen?
34:34 O-Ton Tochter Arreeya
Noch nicht, aber mich gewaschen.
34:38 Kommentar
Nach ihrer fünfjährigen Tochter ist das neue Haus
Sans ganzer Stolz. Etwa 3000 Euro hat sie sich
von Verwandten geliehen. Den Kredit zahlt sie in
Monatsraten von 100 Euro zurück.
34:50 O-Ton Tochter Arreeya
Papa, Mama kommt euch das Licht ansehen.
Mama San! Schau! Wir haben Licht.
34:59 Kommentar
Die Geschenke kommen natürlich zuerst.
35:07 O-Ton San
Warum ist der Schuh bloß so groß?
35:11 O-Ton Tochter
Aber die passen doch!!
20
35:29 Kommentar
Baos Mutter ist gekommen, ebenso seine ältere
Schwester, die ihre Tochter aufzieht, während die
Eltern in Bangkok Geld verdienen.
36:29 An den bevorstehenden Feiertag erinnert die
Gläubigen Lhaung Por Boon, der Mönch des
Dorftempels.
36:45 Es gibt mehrere Gebote für Buddhisten: Nicht
stehlen, nicht lügen, keinen Alkohol trinken und
kein Leben zerstören, weder das von Menschen,
noch von Pflanzen oder Tieren.
36:58 O-Ton San
Ich bin mit mir im Reinen und habe mit keinem
Menschen Probleme. Aber ich töte jeden Tag
Tiere, viele hundert Insekten, und von den kleinen
sogar tausende. Ich bereite den Wasserkäfern
Schmerzen, wenn ich sie mit der Bürste
saubermache. Und ich werfe sie lebend ins heiße
Wasser, um sie zu kochen. Aber ich möchte nicht,
dass die Geister der Insekten mir Böses
zurückgeben, weil ich sie töte. Der Buddhismus
lehrt uns, dass wir die Geister der Tiere, die wir
töten, besänftigen müssen.
21
38:05 O-Ton Mönch Lhaung Por Boon
Wenn ich ehrlich bin, weiß ich nicht genau, was
mit den Käfern und Insekten geschieht, die getötet
werden. Es ist ja nicht ganz so wie bei uns
Menschen. Menschen haben eine Seele, Tiere
haben auch eine Seele, vielleicht haben auch
einige Insekten eine Seele, ich weiß es wirklich
nicht.
38:47 Es gibt so viele verschiedene Insektenarten,
hunderte und aberhunderte, wer kann da schon
wissen, ob sie alle eine Seele haben und was mit
ihnen geschieht, wenn sie sterben.
39:12 Kommentar
Wie immer findet die Vorbereitung der Feier mit
der ganzen Familie im Dorftempel statt.
39:19 Für ihre Nichte Sirirak ist San ein großes Vorbild.
39:30 O-Ton Nichte Sirirak
beginnt im Off Ich würde auch gerne nach Bangkok gehen, aber
meine Situation zu Hause erlaubt das nicht. Wenn
sich die Gelegenheit ergibt, würde ich sofort gehen
so wie Tante San.
39:46 Die verkauft gut in Bangkok. Ich würde auch gerne
viel Geld verdienen und ein eigenes Heim haben.
22
39:59 O-Ton San
beginnt im Off Sie soll lieber lernen und etwas im Dorf machen.
Es tut nicht gut, in Bangkok zu leben. Die Stadt
schadet dir an Leib und Seele. Ich wohne in einem
winzigen Zimmer, ich verdiene viel Geld, aber wie
lebe ich? Ich verkaufe meine Insekten, komme
nach Hause, und dann sitz’ ich meinem Mann
gegenüber, und wir starren uns an. Das ist kein
glückliches Leben. Ich möchte wirklich nicht, dass
meine Tochter so lebt wie ich und mich zum
Vorbild nimmt.
40:44 Kommentar
Sans größter Wunsch ist, ihrer Tochter eine gute
Ausbildung zu ermöglichen.
40:56 Für Arreeya ist die Trennung scheinbar kein
Problem, denn Familie ist in Thailand mehr als
allein die Eltern.
41:14 Wie ihre Mutter wird auch sie eines Tages
finanzielle Verantwortung für ihre ganze
Verwandtschaft übernehmen müssen.
41:32 Am nächsten Morgen will die Familie das Ende der
Fastenzeit feiern. Auf der Ladefläche des Pick-ups
stapeln sich Opfergaben und Geschenke für den
Mönch, der wie alle thailändischen Mönche von
dem lebt, was die Gläubigen ihm geben.
23
43:17 Kommentar
Während San den Tag im Tempel verbringt und
die Geister der Insekten zu besänftigen sucht, hat
Arkom Wongkalasin aus dem Nachbardorf ein
weitaus pragmatischeres Verhältnis zu ihnen.
43:40 Seit er bei einem Arbeitsunfall seinen Arm verloren
hat, züchtet Arkom Grillen. Er ist auf die Jing Reed
spezialisiert, die immer mehr Abnehmer finden. Er
besitzt 50 Brutkästen mit tausenden von Grillen.
44:56 Einmal am Tag bekommen die Grillen ein
nährstoffreiches Aufzuchtsfutter.
44:04 O-Ton Insektenzüchter
beginnt im Off Die Grillen, die ich hier züchte, nennen wir Tong
Deng, die Kupferfarbene. Sie leben gerne in
Reisfeldern und sind leicht zu fangen. Früher hat
man einfach ein Feuer auf dem Reisfeld
angemacht, und schon kamen sie angeflogen und
man konnte sie einfach vom Boden aufsammeln.
Heute geht das nicht mehr, weil sie fast
ausgestorben sind. Deshalb müssen wir sie ja
züchten, denn wenn man sie nicht züchtet, kann
man sie auch nicht verkaufen.
44:45 Die Aufzucht dauert 45 Tage, dann bringe ich sie
beginnt im Off auf den Markt. Für ein Kilo bekomme ich 200 Bath,
ungefähr drei Euro. Ich verkaufe aber auch
grammweise, wenn es die Kunden wollen.
24
45:00 O-Ton Insektenzüchter
Auf dem Markt in der Provinzhauptstadt gibt es
bleibt m Off viele Insekten. Ich verkaufe dort an Einzelkunden
und an Großhändler. Man kann viel Geld damit
verdienen, denn die Menschen hier essen immer
mehr Insekten.
Kommentar
45:30 Mit dem letzten großen Monsunregen gehen die
angenehmen Tage in der Heimat zu Ende.
46:53 In Bangkok angekommen, erwartet San ein
Desaster.
47:20 Dies ist das vierte Mal in diesem Jahr, das der
Platz und die Wohnungen überflutet werden.
47:30 Das Wasser kommt von überall her – sogar durch
das Fundament.
47:53 Doch machen sich die meisten Straßenhändler
trotz des Unwetters auf den Weg in die Stadt.
48:02 Nur San bleibt heute hier.
25
48:54 O-Ton San
beginnt im Off Nein, ich werde nicht aufgeben. Ich muss einfach
einen Schritt zurücktreten, sehen wo ich stehe und
erkennen, wie ich weiterkommen kann. Wenn ich
aufgeben würde, wäre das das Ende meines
Lebens.
49:21 Wenn es morgen nicht regnet, kann ich wieder
verkaufen. Wenn doch, wird es schwierig, gute
endet im Off Geschäfte zu machen.
49:46 Kommentar
Auch diese Prüfung geht an Bangkok und seinen
Bewohnern vorbei. Die Stadt schüttelt sich kurz
und nimmt dann ihren Rhythmus wieder auf.
50:04 San kehrt zu ihren gewohnten Tätigkeiten zurück.
Sie bereitet für die kommende Nacht das zu, was
sie so unnachahmlich kann – Insekten vom
Feinsten.
50:33 O-Ton San
Ich habe Erfolg als Insektenköchin, weil ich die
Geister achte und respektiere. Wo immer ich bin,
bitte ich die Geister um Glück und Unterstützung.
Und kaum bin ich aus dem Haus, kommen auch
schon die ersten Kunden. Ich mache ja auch
nichts Verkehrtes mit dem Geld, das ich verdiene.
Ich spiele nicht, ich trinke keinen Alkohol, sondern
ich nutze es, für mein Haus, für den Tempel und
für
endet im Off meine Familie, für meine Tochter und Enkelkinder.
26
51:28 Abspann
ENDE