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Strafprozessrecht Prof. Dr. H. Vest Gerichtsorganisation Kanton Gerichtsorganisation Kanton Bern Bern Gerichtliche Instanzen: Räumliche Organisation: Einzelrichter: Busse, Geld- und Freiheitsstrafe bis max. 1 Jahr sowie Massnahmen ausser Verwahrung Kreisgericht Haftrichter Wirtschaftsstrafger icht (Wirtschaftskrimina lität) Berner Jura / Seeland (mit Aussenstelle in Moutier) Bern – Mittelland • Oberland Emmental - Oberaargau Erstinstanzlich e Gerichte: Strafkammer des Obergerichts: Appellation gg. Urteile des Einzelrichters und des Kreisgerichts Appellation gg. Bestimmte Urteile der Untersuchungsbehörden Appellation gg. Urteile des Wirtschaftsstrafge richts Revision gg. rechtskräftige Urteile aller kantonalen Strafgerichte Kassationsgeric ht: Vier Regionalgerichte : Ein Wirtschaftsstraf gericht:

Strafprozessrecht Prof. Dr. H. Vest Gerichtsorganisation Kanton Bern Gerichtliche Instanzen: Räumliche Organisation: Einzelrichter: Busse, Geld- und Freiheitsstrafe

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Strafprozessrecht Prof. Dr. H. Vest

Gerichtsorganisation Kanton BernGerichtsorganisation Kanton Bern

Gerichtliche Instanzen: Räumliche Organisation:

• Einzelrichter: Busse, Geld- und Freiheitsstrafe bis max. 1 Jahr sowie Massnahmen ausser Verwahrung

• Kreisgericht

• Haftrichter

• Wirtschaftsstrafgericht (Wirtschaftskriminalität)

• Berner Jura / Seeland (mit Aussenstelle in Moutier)

• Bern – Mittelland

• Oberland

• Emmental - Oberaargau

Erstinstanzliche Gerichte:

Strafkammer des Obergerichts:

• Appellation gg. Urteile des Einzelrichters und des Kreisgerichts• Appellation gg. Bestimmte Urteile der Untersuchungsbehörden

• Appellation gg. Urteile des Wirtschaftsstrafgerichts

• Revision gg. rechtskräftige Urteile aller kantonalen Strafgerichte

Kassationsgericht:

Vier Regionalgerichte:

Ein Wirtschaftsstrafgericht:

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Organe der Strafrechtspflege Kanton BE Organe der Strafrechtspflege Kanton BE (StrV 26, 27)(StrV 26, 27)

Polizeiorgane des Kantons und der Gemeinden, soweit sie im Bereich der gerichtlichen Polizei tätig sind

Untersuchungsbehörde

Personen, denen hinsichtlich der Amtsausführung per Gesetz bestimmte polizeiliche Aufgaben übertragen sind

Staatsanwaltschaft

Oberaufsicht

• Untersuchungsrichter

• Jagdaufseher• Naturschutzaufseher• Fischereiaufseher

• Generalprokurator• Prokurator

• Anklagekammer• Obergericht

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Zeuge / AuskunftspersonZeuge / Auskunftsperson

Zeuge Auskunftsperson

• Nicht Beschuldigter und nicht Auskunftsperson

• Stellung zwischen Be-schuldigtem und

Zeugen (Bsp.: Personen unter 15 J., Personen, die als Beteiligte, Hehler oder Begünstigte in Frage kommen oder in beson-ders naher Beziehung zum Verfahrens-gegenstand stehen)

• Aussagepflicht StrV 111 II, StPO 163 (Ausnahme: Zeugnisverweigerungsrecht StrV 113 ff.; StPO 168 ff.)

• Keine Wahrheits- und Aussagepflicht StrV 125; StPO 180

• Erscheinungspflicht StrV 96, 111, StPO 205, 207 ff.

• Erscheinungspflicht StrV 96

• StrV 46; StPO 178 ff.

• StrV 108 ff.; StPO 142 ff., 162 ff.

• Wahrheitspflicht, StGB 307, StPO 163 II

• Belehrung über Wahrheitspflicht und Folgen falschen Zeugnisses, StPO 177

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ZeugnisverweigerungsrechtZeugnisverweigerungsrecht

Familiäre Gründe Gefahr strafrechtlicher Verfolgung oder anderer schwerer Nachteile

Amts- und Berufsgeheimnis

• Nahe Verwandte

• Ehegatten, Verlobte, Konkubinats-partner

• (Stief-) Geschwister, zw. Eltern und Kindern

• Pflegeeltern, Vormunde und Beistände

• StrV 113; StPO 168

• Entfällt nach StPO 168 IV bei schweren Delikten!?

• Geistliche, Ärzte, Anwälte, Beamte, Apotheker, Zahnärzte

• Journalisten (ausser bei schweren Straftaten: StPO 172)

• Geheimnisse gem. StPO 173; nicht: Bankier

• Beschränkung: nur als Berufsperson

• Entbindung von Schweigepflicht möglich

• StrV 115 ff.; StPO 170 ff.

Ein Zeuge ist in gewissen Situationen nicht zur Aussage verpflichtet

Beweismittelverbot: Bei unterbliebener Belehrung über das Recht zur Zeugnisverweigerung ist die Aussage

ungültig; erneute Aussage nach erfolgter Belehrung möglich.

• Ein Zeuge muss sich nicht selbst belasten

• Beschränkung: nur für die betreffende Frage

• StrV 114 StPO 169

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Beweismittel (StrV 102, StPO 139 ff.)Beweismittel (StrV 102, StPO 139 ff.)

Einvernahme des Beschuldigten

Auskunftsperson

Zeugenbeweis

Sachverständiger

Augenschein

Urkunden u. wei-tere Gegenstände

StrV 105; StPO 157 ff.

StrV 108 ff.; StPO 162 ff.

StrV 125; StPO 178 ff.

StrV 128 ff.; StPO 182 ff.

StrV 126 ff.; StPO 193

StrV 102; StPO 192 ff.

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BeweisverboteBeweisverbote

Beweiserhebungsverbote Beweisverwertungsverbote

• Unzulässigkeit eines best. Sachverhalts als Gegenstand eines Beweises

• Bsp.: Wahrheit der Äusserung bzw. guter Glaube bei Aus-schluss des Wahrheitsbeweises

• StGB 173 Ziff. 3

• Verstoss gegen ein (i.d.R.) geregeltes Beweiserhebungsverbot

• StPO 141 I d

Beweisthemaverbot:

Beweismethodenverbot: • Unzulässigkeit der Art der Beweiserhebung

Bsp.: Erzwingung eines Geständnisses • StrV 56 I

• Unzulässigkeit der Benutzung eines best. Beweismittels

• Bsp.: Telefonabhörung einer zeugnisverweigerung-berechtigten Person

Beweismittelverbot:

Unselbständiges Beweisverwertungsverbot:

Selbstständiges Beweisverwertungsverbot:

• Kein Verstoss gg. ein normiertes Beweiserhebungsverbot; ergibt sich i.d.R. aus der Verfassung

Absolutes Beweisverwertungs-verbot:

• In jedem Fall unverwertbarStrV 56 II; StPO141 I

Relatives Beweisverwertungsverbot:• StPO-CH 141 II

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BeweisverwertungsverboteBeweisverwertungsverbote

Unselbständige Verbote

Schutzzwecklehre

• Anknüpfung an Verstoss gg. Regeln der Beweiserhebung

• Im Auftrag des Staates handelnde Private

• Ordnungs- oder Gültigkeitsvorschrift?

• Beweisverbot, wenn Gültigkeitsvorschrift, die auch Position des Beschuldigten schützt

Selbständige Verbote

Abwägungstheorie

• Ordnungs- oder Gültigkeitserfordernis?

• Theoretisch: wenn letzeres, grds. Verwertungsverbot

• BGer: stets Abwägung

• Merke: Einhaltung von Prozessvorschriften konstituiert ein öffentliches Interesse

• Prozessordnungsgemässe Beweiserhebung, aber höherrangige i.d.R. verfassungsrechtliche Interessen

• Selbständig agierende Privatpersonen

Rechtsfolge:

Einteilung:

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Prozessuale ZwangsmassnahmenProzessuale Zwangsmassnahmen

Definition: Eingriffe in die Persönlichkeitssphäre des Angeschuldigten und anderer Betroffener zur Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs

Ziele

Beschaffung und unverfälschte Erhaltung von Beweismitteln

Gewährleistung des späteren Vollzugs des Urteils

Vorladung

Durchsuchung und Untersuchung

Technische Überwachungsmassnahmen und verdeckte Ermittlungen

Beschlagnahme

Verhaftung

Zuführung

Arten

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Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs und Einsatz technischer Überwachungsgeräteund Einsatz technischer Überwachungsgeräte

• Geheime Überwachung der Postadresse und des Fernmeldeanschlusses der beschuldigten Person

Eingriff in die Privatsphäre

häufig Personen mitbetroffen, die mit der Straftat nichts zu tun haben

• Einsatz technischer Überwachungsgeräte: StGB 179octies, StPO 280 ff.

• StPO 269 ff.

• BÜPF: Im Rahmen eines Strafverfahrens bzw. zum Vollzug eines Rechtshilfeersuchens gemäss IRSG

• StrV 155

• dringender Tatverdacht

• Schwere der konkreten Straftat und

• andere Untersuchungshandlungen sind erfolglos geblieben bzw. Ermittlungen wären ohne Überwachung aussichtslos oder unverhältnismässig erschwert (Subsidiaritätsprinzip) (Abs. I)

• Vorliegen einer Katalogtat gem. Abs. II

• Vgl. auch BÜPF 3

Problem

Rechtsgrundlagen

Voraussetzungen (StPO 269)

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• Überwachung einer Drittperson,

- wenn der Verdächtige deren Fernmeldeanschluss (bzw. Postadresse) benutzt oder benutzen lässt, um Sendungen oder

Mitteilungen entgegenzunehmen oder weiterzugeben (StPO 270 I b I)

- wenn die Drittperson für den Verdächtigen Mitteilungen entgegennimmt oder überbringt (StPO 270 I b II)

• „Sammelüberwachung“ wenn eine verdächtige Person in rascher Folge den Fernmeldeanschluss wechselt (StPO 272 II)

• Direktschaltung unter best. Voraussetzungen möglich (StPO 271 II)

• Vgl. BÜPF 4

• Ergebnisse sind unter Leitung eines Gerichts auszusondern, Berufsgeheimnisse dürfen der Strafverfolgungsbehörde nicht bekannt werden

• Nach BÜPF 4 III grundsätzlich verboten, aber Ausnahmen

• Anordnung durch Zwangsmassnahmengericht

• Vgl. StrV 155 I, 157

Besondere Formen

Überwachung bei Zeugnisverweigerungsberechtigten aus Berufsgeheimnis (StPO 271)

Kompetenzregelung (StPO 272, 274)

Verkehrs- und Rechnungsdaten, Teilnehmeridentifikationen (StPO 273)

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• Verdächtige Person: verwertbar, wenn eine Überwachung zur Verfolgung dieser Straftaten hätte angeordnet werden dürfen (Abs. I)

• bei Drittpersonen: verwertbar, wenn eine Überwachung zur Verfolgung dieser Straftaten hätte angeordnet werden dürfen (Abs. II: vgl. BGE 132 IV 70)

• vgl. StrV 160; BÜPF 9

• Beendigung bei Verweigerung der Genehmigung bzw. Verlängerung oder Entfallen der Notwendigkeit (StPO 275)

• Grundsätzlich nachträgliche Mitteilungspflicht gegenüber den überwachten Personen und Drittanschlussinhabern; mit Zustimmung der Genehmi-

gungsbehörde unter bestimmten Voraussetzungen Aufschub bzw. Verzicht (StPO 279)

• Beschwerdemöglichkeit (StPO 279 III)

• vgl. StrV 157 f.; BÜPF 10

Zufallsfunde weiterer Straftaten (StPO 278)

Rechtsschutz

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Rechtschutz bei Festnahme und U-HaftRechtschutz bei Festnahme und U-Haft

Einvernahme des Beschuldigten

Antrag StA auf U-Haft (bzw. Ersatzmassnahme an Zwangsmassnahmengericht)

• innert 48 Std. seit Festnahme

• Pflicht zu mündlicher, kontradiktorischer Parteiverhandlung ( EMRK 5 Ziff. 3;

StrV 184 ff.; StPO 225 )

• Einsicht in Haftakten

• Entscheid des Zwangsmassnahmengerichts unverzüglich oder spätestens innert 48 Std. seit Antrag

• Der Beschuldigte muss sich zu den Vorwürfen äussern können (Anspruch auf rechtliches Gehör; StrV 182 f.; StPO 219, 224 I ff.)

Haftprüfung auf Antrag• Der Inhaftierte hat jederzeit die

Möglichkeit, ein Entlassungsgesuch zu stellen (EMRK 5 Ziff. 4; StrV 189 ff.; StPO 228)

Haftprüfung von Amtes wegen• Eine gerichtliche Instanz hat

periodische Haftprüfungen vorzunehmen (StrV 188)

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BeschlagnahmeBeschlagnahme

Arten

Vermögens-beschlagnahme

Einziehungsbeschlag-nahme

• Einziehung von Gegenständen, die der

Sicherungs-einziehung oder

dem Verfall (StGB 69 ff.) unterliegen

• Beschlagnahme von

Vermögenswerten zur Sicherstellung der zukünftigen Verfahrens- und Vollstreckungs-kosten sowie einer allfälligen Busse (fiskalischer Charakter)

Definition: Dem bisherigen Inhaber werden zwangsweise Gegenstände oder Vermögenswerte weggenommen, um sie für das Verfahren oder die Vollstreckung des Urteils sicherzustellen

• StrV 138 ff.; StPO 263 ff.

Beweismittel- oder Individual-beschlagnahme

• Beschaffung und unverfälschte Erhaltung von Beweismitteln

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HausdurchsuchungHausdurchsuchung

Hinreichender Tatverdacht Wahrscheinlichkeit, dass sich der Beschuldigte oder deliktrelevante Spuren oder Gegenstände dort befinden

Voraussetzungen

StrV 150 ff.; StPO 244 ff.

• Äusserungsrecht des Inhabers

• Beizug von Experten

• Antrag auf Siegelung

• Auf Antrag der Behörde gerichtliches Entscheidungsverfahren

Begehung von Straftaten

Durchsuchung von Aufzeichnungen, StPO 246 ff.

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RechtsmittelRechtsmittel

Ordentliche RM Ausserordentliche RM

Vollkommene RM Unvollkommene RM

Nicht suspensive RMSuspensive RM

Devolutive RM Nicht devolutive RM

Kassatorische RMReformatorische RM

der angefochtene Entscheid erwächst nicht in Rechtskraft

der Prozessstoff kann unbeschränkt überprüft werden (revisio in facto et in iure)

hemmt die Vollstreckbarkeit des Urteils

bringt den Fall von der unteren Instanz (iudex a quo) an eine höhere Instanz (iudex ad quem)

Entscheid der VI wird aufgehoben und Rechtsmittelinstanz entscheidet selbst

Zielen auf die Aufhebung der formellen Rechtskraft eines Entscheids

die Nachprüfung eines Entscheids ist nur in gewisser Hinsicht mögl. oder blosse Rechtskontrolle

das Urteil ist trotz Ergreifung des RM vollstreckbar, es sei denn, der Vollzug werde aufgeschoben

der Fall wird nochmals vom gleichen Richter beurteilt (iudex a quo)

Entscheid der VI wird aufgehoben und der Fall wird zur erneuten Beurteilung an die VI zurückgewiesen

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Beschwerde in Strafsachen Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgerichtan das Bundesgericht

Anfechtungsobjekt: Anfechtungsgrund: Legitimation:

• BGG 78 ff.

• Entscheide letzter kantonaler Instanzen und des Bundesstrafgerichts

• Charakter: ausserordentlich, unvollkommen, devolutiv, kassatorisch oder reformatorisch und i.d.R. nicht suspensiv

• alle Entscheide die unter Anwendung von mat. StR und/oder StPR ergehen und Rechtsmittel gegen Entscheide im Straf- und Massnahmen-vollzug

• Verletzung verfassungsmässiger Rechte einschliesslich EMRK und PbpR

• behauptete Verletzung verfassungsmässiger Rechte von Privaten

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Wiederaufnahme Wiederaufnahme (Revision)(Revision)

• Urteile

• nachträgliche richterliche Anordnungen

• Strafverfügungen

Anfechtungsgrund: Legitimation:

• BGG 121 ff.; BStP 229 ff.

• Charakter: nicht suspensiv, teilweise devolutiv

• Bedeutung: Rechtskraft eines Urteils wird zugunsten der Verwirklichung der materiellen Wahrheit

durchbrochen

Anfechtungsobjekt

• neue erhebliche Tatsachen und Beweismittel

• Einwirkung durch strafbare Handlung

• widersprüchliches Urteil

• Beachtung von Entscheidungen der EMRK-Organe

• Verurteilte

• Staatsanwalt, Geschädigter