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Strafprozessrecht Einheit 2 1 Finn Mengler [email protected]

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Strafprozessrecht Einheit 2

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Finn Mengler [email protected]

Strafprozessrecht

Einheit 2

Schwerpunkt der heutigen Kurseinheit: Verfahrenshindernisse; Zuständigkeit der Strafgerichte

> Nach Maßgabe der PrüfungsgegenständeVO „aus dem Strafverfahrensrecht“ zum strafrechtlichen Pflichtfachstoff zählend: „Verfahrensgrundsätze, Rechtsstellung und Aufgabe der wesentlichen Verfahrensbeteiligten, Gang des Verfahrens, Arten der Beweismittel und Beweisverbote, Körperliche Untersuchung, Beschlagnahme, Verhaftung, vorläufige Festnahme, Rechtskraft“

> Gegenstand des Strafverfahrensrechts: Regelungen zur Durchführung eines Strafverfahrens

> Aus diesen Regelungen zur Durchführung eines Strafverfahrens nach Maßgabe der PrüfungsgegenständeVO examensrelevant und von grundlegender Bedeutung: „Gang des Strafverfahrens“

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Gang des Strafverfahrens > Denknotwendig am Anfang eines jeden Strafverfahren stehend:

(Mögliche) Tatbegehung / Tatverdacht > Insoweit für Einschreiten der Staatsanwaltschaft gemäß

§ 152 II StPO vorausgesetzt: „Zureichende tatsächliche Anhaltspunkte“

> Ferner gemäß § 160 I StPO die Pflicht der Staatsanwaltschaft zur Sachverhaltsklärung auslösend: „Verdacht einer Straftat“

> In diesen beiden Vorschriften zum Ausdruck kommend: Anfangsverdacht

> Definition für Anfangsverdacht: Dass Begehung einer verfolgbaren Straftat - nach kriminalistischer Erfahrung - zumindest möglich erscheint

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Strafprozessrecht

Einheit 2

Gang des Strafverfahrens > Im Falle eines derartigen Anfangsverdacht gemäß § 152 II StPO

grundsätzlich - „soweit nicht gesetzlich ein anders bestimmt ist“ - verlangt: Einschreiten der Staatsanwaltschaft durch Aufnahme eines Ermittlungsverfahrens („Vorverfahren“)

> Gegenstand dieses Vorverfahrens gemäß § 151 StPO - § 177 StPO: Staatsanwaltliches Ermittlungsverfahren

> Zweck dieses Ermittlungsverfahrens gemäß § 160 I StPO: „Zu ihrer Entschließung darüber, ob die öffentliche Klage zu erheben ist, den Sachverhalt zu erforschen“

> Insoweit gemäß § 160 II StPO geboten: Zur Belastung und zur Entlastung dienenden Umstände zu ermitteln

> Gemäß § 157 StPO - als Oberbegriff verwandte - Bezeichnung des Betroffenen im Vorverfahren: „Beschuldigter“

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Strafprozessrecht

Einheit 2

Gang des Strafverfahrens > Da Ermittlungsverfahren gemäß § 160 I StPO der Entschließung

über die Anklageerhebung dient, Insoweit regelmäßig den Abschluss des Vorverfahrens bildend: Entscheidung der Staatsanwaltschaft über Anklageerhebung gemäß § 170 I StPO oder Einstellung des Verfahrens gemäß § 170 II 1 StPO

> Für Erhebung der öffentlichen Klage durch Staatsanwaltschaft gemäß § 170 I StPO vorausgesetzt: „Genügender Anlass“

> Gleichermaßen für Eröffnungsbeschluss des Gerichts gemäß § 203 StPO verlangt: Ob „Angeschuldigter einer Straftat hinreichend verdächtig erscheint“

> In diesen Vorschriften zum Ausdruck kommend: Hinreichender Tatverdacht

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Strafprozessrecht

Einheit 2

Gang des Strafverfahrens > Definition für hinreichender Tatverdacht: Überwiegende

Wahrscheinlichkeit einer späteren Verurteilung nach dem gesamten Akteninhalt und bei vorläufiger Bewertung der Tat

> Demnach für hinreichenden Tatverdacht vorausgesetzt: Fehlen von - unbehebbaren - Verfahrenshindernissen, Strafbarkeit des - insoweit als beweisbar unterstellten - ermittelten Sachverhalts, was eine rechtliche Würdigung verlangt, sowie überwiegende Wahrscheinlichkeit der prozessualen Nachweisbarkeit des Tathergangs mit strafprozessual zulässigen Beweismitteln, was tatsächliche Würdigung und Beweisprognose erforderlich macht

> Bei derartigem hinreichendem Tatverdacht demnach grundsätzlich verlangt: Anklageerhebung durch Staatsanwaltschaft gemäß § 170 I StPO sowie Eröffnung des Hauptverfahrens durch Gericht gemäß § 203 StPO 6

Strafprozessrecht

Einheit 2

Gang des Strafverfahrens > Sich im Falle der Anklageerhebung gemäß § 170 I StPO

anschließend: Zwischenverfahren > Gegenstand des Zwischenverfahrens gemäß § 199 StPO -

§ 211 StPO: Entscheidung des für die Hauptverhandlung zuständigen Gerichts über Eröffnung des Hauptverfahrens

> Demnach wegen dessen „Filterfunktion“ zwecks Vermeidung unnötiger Belastungen für den Betroffenen im Zwischenverfahren stattfindend: Gerichtliche Kontrolle der im Vorverfahren durch die Staatsanwaltschaft gefundenen Ermittlungsergebnisse

> Im Zwischenverfahren gemäß § 157 1. Alt. StPO als Bezeichnung für den Betroffenen geltend: „Angeschuldigter“

> Gemäß § 199 I StPO im Regelfall das Zwischenverfahren abschließend: Entscheidung darüber, „ob das Hauptverfahren zu eröffnen oder das Verfahren vorläufig einzustellen ist“ 7

Strafprozessrecht

Einheit 2

Gang des Strafverfahrens > Gemäß § 203 StPO bei hinreichendem Tatverdacht vom Gericht in

der Regel zu beschließen: Eröffnung des Hauptverfahrens („Eröffnungsbeschluss“)

> Hingegen gemäß § 204 I StPO andernfalls - also mangels hinreichenden Tatverdachts - ergehend: Beschluss über Nichteröffnung des Hauptverfahrens („Nichteröffnungsbeschluss“)

> Sich - insbesondere - im Falle des Eröffnungsbeschlusses gemäß § 203 StPO an Zwischenverfahren anschließend: Hauptverfahren

> Gegenstand des Hauptverfahrens gemäß § 212 StPO - § 275 StPO: Öffentliche Hauptverhandlung gegen den Angeklagten vor dem erstinstanzlichen Strafgericht

> Während des Hauptverfahrens gemäß § 157 2. Alt. StPO für den Betroffenen geltende Bezeichnung: „Angeklagter“

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Strafprozessrecht

Einheit 2

Gang des Strafverfahrens > Zum Abschluss des Hauptverfahrens erfolgend: (Zumeist durch

Urteil ergehende) Entscheidung des Gerichts über Anklagevorwurf > Im Anschluss grundsätzlich möglich: Einlegung von Rechtsmitteln

gegen erstinstanzliche Gerichtsentscheidung > In diesem Falle eingeleitet: Rechtsmittelverfahren gemäß

§ 296 StPO - § 373 a StPO > Hauptanwendungsfälle derartiger Rechtsmittel: Berufung und

Revision > Mit der Berufung gemäß § 312 - § 332 StPO verbunden:

Vollständige Neuverhandlung des Tatvorwurfs („zweite Tatsacheninstanz“)

> Hingegen mit der Revision gemäß § 333 StPO - § 358 StPO einzig möglich: Überprüfung des tatrichterlichen Urteils auf Gesetzesanwendungsfehler iSv § 337 II StPO 9

Strafprozessrecht

Einheit 2

Gang des Strafverfahrens > Demgegenüber seltener Ausnahmefall: Wiederaufnahmeverfahren

gemäß § 359 StPO - § 373 a StPO > Mit gerichtlicher Entscheidung über dieses Rechtsmittel

herbeigeführt: Abschluss des Rechtsmittelverfahrens > Nach Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung notfalls geboten:

Zwangsweise Durchsetzung des in der gerichtlichen Entscheidung enthaltenen Strafausspruchs

> In diesen Fällen abschließend stattfindend: Vollstreckungsverfahren gemäß § 449 StPO - § 463 d StPO

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Strafprozessrecht

Einheit 2

Zuständigkeit der Strafgerichte > Nach Maßgabe der PrüfungsgegenständeVO „aus dem

Strafverfahrensrecht“ zum strafrechtlichen Pflichtfachstoff zählend: „Rechtsstellung und Aufgabe der wesentlichen Verfahrensbeteiligten“

> Von dieser „Rechtsstellung und Aufgabe der wesentlichen Verfahrensbeteiligten“ mitumfasst: Zuständigkeit der Strafgerichte

> Bei hinreichendem Tatverdacht gemäß § 170 I StPO - grundsätzlich - bestehend: Pflicht der Staatsanwaltschaft zur „Einreichung einer Anklageschrift bei dem zuständigen Gericht“

> Vor diesem Hintergrund überaus häufig als strafprozessuale Zusatzfrage in strafrechtlichen Examensklausuren vorkommend: Zuständigkeit der Strafgerichte

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Strafprozessrecht

Einheit 2

Zuständigkeit der Strafgerichte > Für diese Zuständigkeit der Strafgerichte zu unterscheiden:

Sachliche und örtliche Zuständigkeit > Naturgemäß vorrangig zu prüfen: Sachliche Zuständigkeit, für die in

§ 1 StPO ein Verweis auf die Vorschriften des GVG enthalten ist > Als Eingangsinstanzen im Strafverfahren in Betracht kommend:

Amtsgericht, Landgericht und Oberlandesgericht > Letztlich die Bestimmung der sachlichen Zuständigkeit prägend: Art

und Schwere des Anklagevorwurfs > Sodann die örtliche Zuständigkeit regelnd: § 7 - § 21 StPO > Zumeist einschlägig: Gerichtsstand des Tatortes gemäß § 7 I StPO,

wonach das Gericht örtlich zuständig ist, „in dessen Bezirk die Straftat begangen ist“

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Strafprozessrecht

Einheit 2

Sachliche Zuständigkeit > Gemäß § 24 I 1 GVG grundsätzlich - „wenn nicht …“ - in

Strafsachen sachlich zuständig: Amtsgerichte > Dabei am Amtsgericht gemäß § 28 GVG als Spruchkörper zu

findend: Strafrichter und Schöffengericht > Die Zuständigkeit des Strafrichters prägend: § 25 GVG > Gemäß § 25 GVG, wonach der Strafrichter ausschließlich „bei

Vergehen“ iSv § 12 II StGB zuständig ist, im Falle von Verbrechen iSv § 12 I StGB von vornherein ausgeschlossen: Zuständigkeit des Strafrichters

> Hingegen im Falle von Vergehen iSv § 12 II StGB gemäß § 25 Nr. 1 GVG und § 25 Nr. 2 GVG in die Zuständigkeit des Strafrichters fallend: Privatklageverfahren iSv § 374 StPO und Fälle mit Straferwartung von nicht mehr als zwei Jahren Freiheitsstrafe

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Strafprozessrecht

Einheit 2

Sachliche Zuständigkeit > Gemäß § 28 GVG in die Zuständigkeit des Schöffengerichts fallend:

„Zur Zuständigkeit der Amtsgerichte gehörenden Strafsachen (…), soweit nicht der Strafrichter entscheidet“

> Folglich mit Blick auf § 24 I 1 GVG und im Umkehrschluss zu § 25 Nr. 2 GVG („argumentum e contrario“) insbesondere in die Zuständigkeit des Schöffengerichts fallend: Vergehen bei Straferwartung von mehr als zwei, aber nicht mehr als vier Jahren Freiheitsstrafe

> Ferner wegen § 24 I 1 GVG und § 25 GVG grundsätzlich in die Zuständigkeit des Schöffengerichts fallend: Verbrechen (ohne besondere Bedeutung) bei Straferwartung von nicht mehr als vier Jahren Freiheitsstrafe

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Strafprozessrecht

Einheit 2

Sachliche Zuständigkeit > Ferner im ersten Rechtszug in Betracht kommend und an

§ 74 I 1 / 2 GVG und § 74 II 1 GVG zu orientieren: Sachliche Zuständigkeit des Landgerichts

> Insoweit als Spruchkörper beim Landgericht in Betracht kommend: Große Strafkammer iSv § 76 I 1 GVG und Schwurgerichtskammer iSv § 76 II 3 Nr. 1 GVG

> Gemäß § 74 I 1 GVG regelmäßig in die sachliche Zuständigkeit der großen Strafkammer fallend: Verbrechen

> Ferner gemäß § 74 I 2 1. Alt. GVG in die sachliche Zuständigkeit der großen Strafkammer fallend: Straftaten mit Straferwartung von mehr als vier Jahren Freiheitsstrafe

> Darüber hinaus gemäß § 74 I 2 3. Alt. GVG iVm § 24 I 1 Nr. 3 GVG der großen Strafkammer zugewiesen: Fälle besonderer Bedeutung

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Strafprozessrecht

Einheit 2

Sachliche Zuständigkeit > Daher als „Faustregel“ die Zuständigkeit der großen Strafkammer

begründend: Verbrechen und Vergehen mit besonderer Bedeutung und / oder bei Straferwartung von mehr als vier Jahren Freiheitsstrafe

> Schließlich zur Zuständigkeit der Schwurgerichtskammer gemäß § 74 II 1 GVG gehörend: Dort aufgeführte Katalogtaten, bei denen es sich in der Regel um Tötungsdelikte handelt

> Gemäß § 120 I GVG und § 120 II 1 GVG in die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts fallend: Katalogtaten, bei denen es sich in der Regel um - wenig examensrelevante - Staatsschutzsachen handelt

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Strafprozessrecht

Einheit 2

Übersicht: Sachliche Zuständigkeit der Strafgerichte (vereinfachte Darstellung auf Grundlage des § 1 StPO iVm §§ 24 I 1, 25, 28 GVG und §§ 74 I, II 1, 120 I, II 1 GVG) I) Amtsgericht 1) Zuständigkeit des Strafrichters: Vergehen bei Straferwartung ≤

zwei Jahre Freiheitsstrafe 2) Zuständigkeit des Schöffengerichts: Vergehen bei Straferwartung

von mehr als zwei und bis zu vier Jahren Freiheitsstrafe sowie Verbrechen bei Straferwartung ≤ vier Jahre Freiheitsstrafe

II) Landgericht 1) Zuständigkeit der großen Strafkammer: Verbrechen und

Vergehen mit besonderer Bedeutung und / oder bei Straferwartung > vier Jahre Freiheitsstrafe

2) Zuständigkeit der Schwurgerichtskammer: Tötungsdelikte III) Zuständigkeit des Oberlandesgerichts: Staatsschutzsachen 17

Strafprozessrecht

Einheit 2

Sachliche Zuständigkeit > Demnach regelmäßig erforderlich für sachliche Zuständigkeit:

(Zumindest kursorische) Prognoseentscheidung der Staatsanwaltschaft über Straferwartung

> Für derartige Prognose im Hinblick auf zu erwartendes Strafmaß hilfreich: Grundsätze der Strafzumessung gemäß § 46 StGB

> Gemäß § 46 I 1 StGB „Grundlage für die Zumessung der Strafe“: „Schuld des Täters“

> Dabei gemäß § 46 I 2 StGB zu berücksichtigen: „Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind“

> Insoweit notwendig gemäß § 46 II 1 StGB: Abwägung der Umstände „die für und gegen den Täter sprechen“, wobei in § 46 II 2 StGB ein - nicht abschließender („namentlich“) - Katalog an Abwägungskriterien enthalten ist 18

Strafprozessrecht

Einheit 2

Strafprozessrecht Fall 2

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Strafprozessrecht

Fall 2

Erste Frage: Verfahrenshindernis

> Als Verfahrenshindernis einzig ernsthaft in Betracht kommend: Fehlender - und nicht mehr nachholbarer - Strafantrag

> Gemäß § 77 b I 1 StGB für die Verfolgung einer Tat vorausgesetzt, die nur auf Antrag verfolgbar ist: Dass der Antragsberechtigte „den Antrag bis zum Ablauf einer Frist von drei Monaten“ stellt

> Für - einfache - Körperverletzung gemäß § 223 I StGB als relatives Antragsdelikt gemäß § 230 I 1 StGB geltend: Dass diese nur auf Antrag verfolgt wird, „es sei denn, daß die Strafverfolgungsbehörde wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten von Amts wegen für geboten hält“

> Hingegen für Beleidigung gemäß § 185 StGB als absolutes Antragsdelikt gemäß § 194 I 1 StGB geltend: Dass diese „nur auf Antrag verfolgt“ wird 20

Strafprozessrecht

Fall 2

> Damit zunächst fraglich: Ob der Antragsberechtigte iSv § 77 b I 1 StGB „den Antrag bis zum Ablauf einer Frist von drei Monaten“ gestellt hat

> Da es sich beim Antragsteller um den „Verletzten“ handelt, gemäß § 77 I StGB antragsberechtigt: Antragsteller

> Indes fraglich: Ob Strafantrag, in dem ein unbedingtes Strafverfolgungsverlangen zum Ausdruck kommen muss, wirksam gestellt wurde

> Gemäß § 158 II StPO „bei Straftaten, deren Verfolgung nur auf Antrag eintritt“, notwendig: Dass Strafantrag „bei einem Gericht oder der Staatsanwaltschaft schriftlich oder zu Protokoll, bei einer anderen Behörde (iSv § 158 I 1 StPO) schriftlich“ gestellt wird

> Insoweit zweifelhaft: Ob eMail das gemäß § 158 II StPO für Strafanträge geltende Schriftformerfordernis wahrt

> In diesem Zusammenhang erforderlich: Auslegung der Norm 21

Strafprozessrecht

Fall 2

> Nach dem Wortlaut des 158 II StPO („schriftlich“) durchaus naheliegend: Dass eine - bei rein digitaler eMail nicht vorhandene - Verkörperung des Schriftsatzes erforderlich ist

> Bei gesetzessystematischer Auslegung womöglich hilfreich: Vergleich zu § 126 I BGB, wonach „die Urkunde von dem Aussteller eigenhändig durch Namensunterschrift“ unterzeichnet sein muss

> Dem jedoch entgegenzuhalten: Dass prozessuales Schriftformerfordernis anderen Zwecken dient als bürgerlich-rechtliche Schriftform, die vornehmlich eine „Warnfunktion“ besitzt, und deshalb (materiell-rechtliche) Vorschriften über Willenserklärungen keinen Rückschluss auf Formerfordernisse für Prozesshandlungen zulassen

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Strafprozessrecht

Fall 2

> Bei gesetzessystematischer Auslegung ferner zu bedenken: Dass - prozessuale Vorschrift in - § 32 a III StPO die Einreichung „als elektronisches Dokument“ - im Regelfall - (nur dann) gestattet, wenn dieses „mit einer qualifizierten elektronischen Signatur (…) versehen“ ist

> Im Umkehrschluss zu § 32 a III StPO („argumentum e contrario“) demnach offenbar keine „schriftliche“ Erklärung darstellend: Übermittlung per (einfacher) eMail

> Darüber hinaus nutzbar zu machen: Telos des 158 II StPO, der eindeutigen Rückschluss auf Person des Antragstellers ermöglichen soll („mit Wissen und Wollen des Berechtigten zugeleitet“)

> Nach diesen Maßstäben bei handschriftlicher Unterzeichnung des Originalschreibens ausreichend, weil den Absender hinreichend verlässlich erkennen lassend: Antragstellung durch Telefax

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Strafprozessrecht

Fall 2

> Indes nach dem Sinn und Zweck wegen fehlender Eindeutigkeit des Absenders nicht ausreichend: Übermittlung per (einfacher, § 32 a III StPO gerade nicht genügender) eMail

> Damit nach Auslegung des § 158 II StPO gerade nicht ausreichend für „schriftlichen“ Antrag: (Einfache) eMail (hM)

> Gleichwohl für iSv § 158 II StPO „schriftlich“ erfolgende Antragstellung genügend: Übermittlung eines - handschriftlich unterzeichneten - Schreibens via Telefax

> Gemäß § 77 b I 1 StGB insoweit indes einschränkend verlangt: Dass „Antrag bis zum Ablauf einer Frist von drei Monaten“ gestellt wird

> Insoweit gemäß § 77 b II 1 StGB den Fristbeginn kennzeichnend: „Ablauf des Tages, an dem der Berechtigte von der Tat und der Person des Täters Kenntnis erlangt“

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Strafprozessrecht

Fall 2

> Durch - schriftliches - Telefax somit nicht gewahrt: Dreimonatige Antragsfrist, die mit Kenntnis von „Tat und Täter“ zu laufen beginnt

> Damit nicht erfolgt: Fristgemäße und formgerechte Antragstellung > Daher mangels - zwingend erforderlichen - Strafantrags keinesfalls

verfolgbar, weil gemäß § 194 I 1 StGB ein absolutes Antragsdelikt darstellend: Beleidigung gemäß § 185 StGB

> Demgegenüber im Falle der Körperverletzung als relativem Antragsdelikt gemäß § 230 I 1 StGB für Verfolgbarkeit der Tat ebenfalls ausreichend: Dass „die Strafverfolgungsbehörde wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten von Amts wegen für geboten hält“

> In diesem Zusammenhang in Nr. 234 I 1 RiStBV zu finden: Maßstäbe für das „besondere öffentliche Interesse“ iSv § 230 I 1 StGB

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Strafprozessrecht

Fall 2

> Gemäß Nr. 234 I 1 RiStBV zu berücksichtigende Umstände: Ob der „Täter einschlägig vorbestraft ist, roh oder besonders leichtfertig gehandelt hat, durch die Tat eine erhebliche Verletzung verursacht wurde oder dem Opfer wegen seiner persönlichen Beziehung zum Täter nicht zugemutet werden kann, Strafantrag zu stellen, und die Strafverfolgung ein gegenwärtiges Anliegen der Allgemeinheit ist“

> Nach den - zu würdigenden (!) - Umständen des Einzelfalls hinreichend belegt: „Besonderes öffentliches Interesse“ iSv § 230 I 1 StGB

> Somit für Verfolgung der Körperverletzung gemäß § 230 I 1 StGB - ausnahmsweise - entbehrlich: Strafantrag

> Demnach möglich: Verfolgbarkeit der Körperverletzung > Hingegen ausgeschlossen, weil insoweit ein - unbehebbares -

Verfahrenshindernis besteht: Verfolgbarkeit der Beleidigung 26

Strafprozessrecht

Fall 2

Zweite Frage: Sachliche Zuständigkeit

> Gemäß § 1 StPO für die sachliche Zuständigkeit der Strafgerichte anzuwenden: Vorschriften des GVG

> Gemäß § 24 I 1 GVG grundsätzlich - „wenn nicht …“ - in Strafsachen sachlich zuständig: Amtsgerichte

> Gemäß § 28 GVG bei den Amtsgerichten zu bilden, „soweit nicht der Strafrichter entscheidet“: Schöffengerichte

> Gemäß § 25 GVG für - vorrangig zu begutachtende - Zuständigkeit des Strafrichters zunächst verlangt: Vergehen, bei denen es sich gemäß § 12 II StGB um rechtswidrige Taten handelt, „die im Mindestmaß mit einer geringeren Freiheitsstrafe (als von einem Jahr iSv § 12 I StGB) oder die mit Geldstrafe bedroht sind“

> In diesem Falle - einzig - in Rede stehend: Vergehend iSv § 12 II StGB 27

Strafprozessrecht

Fall 2

> Indes für Zuständigkeit des Strafrichters gemäß § 25 Nr. 2 GVG ferner vorausgesetzt: Dass eine „höhere Strafe als Freiheitsstrafe von zwei Jahren nicht zu erwarten ist“

> Für § 25 Nr. 2 GVG demnach erforderlich: Kursorische Strafzumessungserwägungen

> Für derartige Prognose im Hinblick auf zu erwartendes Strafmaß hilfreich: Grundsätze der Strafzumessung gemäß § 46 StGB

> Gemäß § 46 I 1 StGB „Grundlage für die Zumessung der Strafe“: „Schuld des Täters“

> Dabei gemäß § 46 I 2 StGB zu berücksichtigen: „Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind“

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Strafprozessrecht

Fall 2

> Insoweit notwendig gemäß § 46 II 1 StGB: Abwägung der Umstände „die für und gegen den Täter sprechen“, wobei in § 46 II 2 StGB ein - nicht abschließender („namentlich“) - Katalog an Abwägungskriterien enthalten ist

> Gemäß § 46 II 2 StGB zu beachten: „Die Beweggründe und die Ziele des Täters, besonders auch rassistische, fremdenfeindliche oder sonstige menschenverachtende, die Gesinnung, die aus der Tat spricht, und der bei der Tat aufgewendete Wille, das Maß der Pflichtwidrigkeit, die Art der Ausführung und die verschuldeten Auswirkungen der Tat, das Vorleben des Täters, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie sein Verhalten nach der Tat, besonders sein Bemühen, den Schaden wiedergutzumachen, sowie das Bemühen des Täters, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen“

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Strafprozessrecht

Fall 2

> Angesichts des Strafrahmens von § 223 I StGB nach - zu würdigenden (!) - Umständen des Einzelfalls nicht zu erwarten: Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren

> Daher gemäß § 25 Nr. 2 GVG sachlich zuständig: Strafrichter

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Strafprozessrecht

Fall 2

Erste Abwandlung

> Insoweit in Betracht kommende Straftat: Schwere Körperverletzung gemäß § 223 I StGB iVm § 226 I Nr. 3 StGB

> Da die iSv § 15 StGB vorsätzliche Verwirklichung des Grundtatbestands und die iSv § 18 StGB fahrlässig erfolgende Herbeiführung der schweren Folge gemäß § 226 I Nr. 3 StGB hinreichend belegt sind, insoweit fraglich erscheinend: Gefahrspezifischer Zusammenhang

> Durchaus umstritten: Ob Körperverletzung iSv § 226 I StGB auch mittelbare Verletzungen „zur Folge“ haben kann oder der gefahrspezifische Zusammenhang auf unmittelbare Verletzungsfolgen beschränkt ist

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Strafprozessrecht

Fall 2

> Vor diesem Hintergrund erforderlich: Auslegung des § 226 I StGB > Nach dem Wortlaut des § 226 I StGB vorausgesetzt: Dass

„Körperverletzung zur Folge hat“ > Neben - einen Erfolg voraussetzender - Gesundheitsschädigung

ebenfalls als Körperverletzung iSv § 223 I StGB in Betracht kommend: Verhaltensbezogene körperliche Misshandlung, die nicht zwingend eine tatsächlich eingetretene Verletzung verlangt

> Daher jedenfalls auch durch extensive Interpretation des - uneindeutigen - Wortlauts nicht verletzt: Strafrechtliches Bestimmtheitsgebot gemäß Art. 103 II GG

> Bei gesetzessystematischer Auslegung zu bedenken: Dass der Verweis auf die „Körperverletzung“ auch § 223 II StGB und § 224 II StGB und damit gleichermaßen den - zumeist ohne eine tatbestandlichen Erfolg auskommenden - Versuch umfasst

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Strafprozessrecht

Fall 2

> Schließlich zu bedenken: Telos der Norm, die Strafschärfung für den Fall vorsieht, dass in - unmittelbarem oder mittelbarem - Zusammenhang mit Körperverletzung schwere Folgen herbeigeführt werden, die Lebensführung des Opfers nachhaltig beeinträchtigen

> Nach alledem vorzugswürdig: Für gefahrspezifischen Zusammenhang darauf abzustellen, ob Körperverletzungshandlung das Risiko schwerer Folgen iSv § 226 I StGB birgt (hM)

> Demnach gleichermaßen eine „Folge“ der Körperverletzung darstellend: Mittelbare Verletzungsfolgen (hM)

> Damit in Rede stehend: Strafbarkeit wegen schwerer Körperverletzung gemäß § 223 I StGB iVm § 226 I Nr. 3 StGB

> Für derartige schwere Körperverletzung nach eindeutigem Wortlaut des § 230 I 1 StGB („vorsätzliche Körperverletzung nach § 223 StGB und die fahrlässige Körperverletzung nach § 229 StGB“) nicht erforderlich: Strafantrag 33

Strafprozessrecht

Fall 2

> Demnach nicht einschlägig: Verfahrenshindernis > Gemäß § 1 StPO für die sachliche Zuständigkeit der Strafgerichte

anzuwenden: Vorschriften des GVG > Gemäß § 24 I 1 GVG in Strafsachen grundsätzlich zuständig:

Amtsgerichte > Gemäß § 28 GVG bei den Amtsgerichten zu bilden, „soweit nicht

der Strafrichter entscheidet“: Schöffengerichte > Gemäß § 25 GVG für - vorrangig zu begutachtende - Zuständigkeit

des Strafrichters zunächst verlangt: Vergehen, bei denen es sich gemäß § 12 II StGB um rechtswidrige Taten handelt, „die im Mindestmaß mit einer geringeren Freiheitsstrafe (als von einem Jahr iSv § 12 I StGB) oder die mit Geldstrafe bedroht sind“

> Demnach für Verbrechen iSv § 12 I StGB („rechtswidrige Taten, die im Mindestmaß mit Freiheitsstrafe von einem Jahr oder darüber bedroht sind“) niemals zuständig: Strafrichter 34

Strafprozessrecht

Fall 2

> Vielmehr gemäß § 28 GVG „für (…) zur Zuständigkeit der Amtsgerichte gehörenden Strafsachen“ zu bilden: Schöffengerichte

> In diesem Fall indes durchaus erwägenswert: Dass Amtsgerichte nicht zuständig sind, weil iSv § 24 I 1 Nr. 2 GVG „im Einzelfall eine höhere Strafe als vier Jahre Freiheitsstrafe zu erwarten ist“

> Demnach auch im Falle des § 24 I 1 Nr. 2 GVG erforderlich: (Zumindest kursorische) Prognoseentscheidung der Staatsanwaltschaft über Straferwartung

> Für derartige Prognose im Hinblick auf zu erwartendes Strafmaß hilfreich: Grundsätze der Strafzumessung gemäß § 46 StGB

> Gemäß § 46 I 1 StGB „Grundlage für die Zumessung der Strafe“: „Schuld des Täters“

> Dabei gemäß § 46 I 2 StGB zu berücksichtigen: „Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind“ 35

Strafprozessrecht

Fall 2

> Insoweit notwendig gemäß § 46 II 1 StGB: Abwägung der Umstände „die für und gegen den Täter sprechen“, wobei in § 46 II 2 StGB ein - nicht abschließender („namentlich“) - Katalog an Abwägungskriterien enthalten ist

> Angesichts des Strafrahmens von § 226 I StGB und den - zu würdigenden (!) - Umständen des Einzelfalls nicht zu erwarten: Freiheitsstrafe von mehr als vier Jahren

> Demnach sachlich zuständig gemäß § 28 GVG: Schöffengericht

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Strafprozessrecht

Fall 2

Zweite Abwandlung

> Nunmehr in Rede stehender Vorwurf, weil gefahrspezifischer Zusammenhang (nach zuvor entwickelten Maßstäben) auch mittelbare Verletzungsfolgen erfasst: Körperverletzung mit Todesfolge gemäß § 223 I StGB iVm § 227 I StGB

> Auch für Körperverletzung mit Todesfolge nach eindeutigem Wortlaut des § 230 I 1 StGB nicht erforderlich: Strafantrag

> Demnach nicht einschlägig: Verfahrenshindernis > Gemäß § 1 StPO iVm § 24 I 1 Nr. 1 GVG ausgeschlossen, „wenn

die Zuständigkeit des Landgerichts nach § 74 II GVG begründet ist“: Sachliche Zuständigkeit der Amtsgerichte

> Gemäß § 74 II 1 Nr. 7 GVG (nF) für „Verbrechen der Körperverletzung mit Todesfolge gemäß § 227 StGB“ zuständig: „Strafkammer als Schwurgericht“ („Schwurgerichtskammer“) 37

Strafprozessrecht

Einheit 2

Verfahrenshindernisse > Unanwendbarkeit deutschen Strafrechts gemäß § 3 StGB -

§ 9 StGB > Sachliche Unzuständigkeit des Strafgerichts gemäß § 6 StPO > Fehlen oder Widersprüchlichkeit einer Anklage gemäß § 151 StPO > Fehlen eines wirksamen Eröffnungsbeschlusses gemäß § 203 StPO > Strafklageverbrauch gemäß Art. 103 III GG > Anderweitige Rechtshängigkeit (in Analogie zu Art. 103 III GG) > Verbot der „reformatio in peius“ gemäß § 331 I StPO > Strafunmündigkeit des Beschuldigten gemäß § 19 StGB > Dauernde Verhandlungsunfähigkeit des Beschuldigten > Rechtsstaatswidrige Tatprovokation durch verdeckte Ermittler der

Polizei (BGH NJW 2016, 91 und BGH 5 StR 650/17) > Verfolgungsverjährung gemäß § 78 I 1 StGB > Fehlender Strafantrag gemäß § 77 b I 1 StGB 38

Wahlfeststellung > Gemäß Art. 6 II EMRK „bis zum gesetzlichen Beweis ihrer Schuld“

als unschuldig geltend: „Jede Person, die einer Straftat angeklagt ist“

> Insoweit in Art. 6 II EMRK zum Ausdruck kommend und zu den Verfahrensgrundsätzen im Strafverfahren zählend: Rechtsstaatliche Unschuldsvermutung („in dubio pro reo“)

> Sich demnach grundsätzlich zu Gunsten des Beschuldigten auswirkend, weil in diesen Fällen tatsächlicher (!) Zweifel die für den Beschuldigten günstigere Sachlage zu Grunde zu legen ist: Unaufklärbarkeit des Sachverhalts

> Gleichwohl in Fällen unaufklärbarer Sachverhalte, bei denen Begehung einer Straftat durch Beschuldigten letztlich außer Zweifel steht, in Ausnahmefällen aus Gründen der Einzelfallgerechtigkeit möglich: Einschränkung des „in dubio pro reo“-Grundsatzes (hM) 39

Strafprozessrecht

Einheit 2

Wahlfeststellung > Zu einer derartigen Einschränkung der Unschuldsvermutung

beitragend: Grundsätze der Wahlfeststellung > Insoweit zu differenzieren: Unterschiedliche Erscheinungsformen

der Wahlfeststellung > Gegenstand der unechten (= „gleichartigen“) Wahlfeststellung: Dass

ein feststehendes Delikt durch einen von mehreren möglichen Lebenssachverhalten verwirklicht wird, also eine Verurteilung auf mehrdeutiger Tatsachengrundlage erfolgen soll

> Hingegen die - sehr viel problematischere - echte (= „ungleichartige“) Wahlfeststellung ausmachend: Dass wahlweise Verurteilung wegen mehrerer - unterschiedlicher - in Betracht kommender Tatbestände erfolgen soll

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Strafprozessrecht

Einheit 2

Wahlfeststellung > Dazu BGH (NStZ 2018, 41): „Die ungleichartige Wahlfeststellung ist

eine prozessuale Entscheidungsregel (…). Als solche ist sie nicht an dem nur für das sachliche Recht geltenden (…) strengen Gesetzlichkeitsprinzip nach Art. 103 II GG, § 1 StGB zu messen, sondern unterliegt lediglich den allgemein für die richterliche Rechtsfortbildung bestehenden Zulässigkeitsvoraussetzungen, denen sie genügt. (…) Das Rechtsinstitut greift nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein, wenn innerhalb des angeklagten Geschehens nach Ausschöpfung aller Beweismöglichkeiten der Sachverhalt nicht so weit aufgeklärt werden kann, dass die Feststellung eines bestimmten Straftatbestandes möglich ist, aber sicher feststeht, dass der Angeklagte einen von mehreren alternativ in Betracht kommenden Tatbeständen verwirklicht hat, …“ 41

Strafprozessrecht

Einheit 2

Wahlfeststellung > Ferner BGH (aaO): „… und andere Möglichkeiten gewiss

ausgeschlossen sind. In allen anderen Fällen nicht sicher festgestellten Sachverhalts ist der Angeklagte hingegen nach dem Zweifelssatz entweder freizusprechen oder - sofern nicht trotz Tatsachenalternativität der Schuldspruch unzweifelhaft ist - zu seinen Gunsten nach dem milderen Gesetz mit eindeutigem Schuldspruch zu verurteilen (…). Demgemäß gibt die ungleichartige Wahlfeststellung dem Tatgericht vor, wie es nach Abschluss der Beweisaufnahme bei einer bestimmten Beweislage (nicht behebbare Zweifel über zwei oder mehr, ihrerseits jeweils eine Strafbarkeit des Angeklagten ergebende Sachverhaltsvarianten) zu entscheiden hat (…) ‚im Zweifel für den Angeklagten dem Verfahrensrecht zuzuordnen (…).“

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Strafprozessrecht

Einheit 2

Wahlfeststellung > Ferner BGH (aaO): „Dass bei fehlerhafter Rechtsanwendung wegen

defizitärer Feststellungen der Schuldspruch notleidend ist, was auf die Sachrüge hin zu beachten ist …), bleibt davon unberührt. Dass der Bundesgerichtshof in Fortführung der zuletzt gültigen Rechtsprechung des Reichsgerichts (…) die wahldeutige Verurteilung nur dann als zulässig erachtet, wenn die in Betracht kommenden Straftatbestände rechtsethisch und psychologisch vergleichbar sind (…), vermag an der Einstufung der Wahlfeststellung als prozessuale Entscheidungsregel nichts zu ändern. Abgesehen davon, dass verfahrensrechtliche Rechtsinstitute sehr häufig von Fragen des materiellen Rechts beeinflusst werden, ohne hierdurch ihren Charakter als Verfahrensrecht zu verlieren (…), soll mit diesem Erfordernis insbesondere die Ungerechtigkeit vermieden werden, …“ 43

Strafprozessrecht

Einheit 2

Wahlfeststellung > Ferner BGH (aaO): „… die eintreten würde, wenn in den

Schuldspruch Tatbestände aufgenommen würden, die ‚eine verschiedene seelische Verfassung des Täters voraussetzen und ihm eine verschiedene sittliche Bewertung zuziehen' (…).“

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Strafprozessrecht

Einheit 2

Übersicht: Voraussetzungen der echten Wahlfeststellung (BGH) > Im Falle der echten (= „ungleichartigen“) Wahlfeststellung nach

diesen Maßstäben zunächst verlangt: Unbehebbare Unklarheit im Sachverhalt trotz Ausschöpfung aller strafprozessual zulässigen Beweismittel

> Sodann notwendig: Dass Verwirklichung eines der - alternativ - in Betracht kommenden Straftatbestände zweifelsfrei feststeht

> Weiterhin für echte Wahlfeststellung vorausgesetzt: Strafprozessuale Verfolgbarkeit der alternativ möglichen Delikte, denen keine - unbehebbaren - Verfahrenshindernisse entgegenstehen dürfen

> Abschließend für echte Wahlfestellung vorausgesetzt und häufig von besonderer Bedeutung: Rechtsethische und psychologische Vergleichbarkeit der alternativ in Betracht kommenden Delikte

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Strafprozessrecht

Einheit 2

Übersicht: Voraussetzungen der echten Wahlfeststellung (BGH) > Für derartige rechtsethische und psychologische Vergleichbarkeit

verlangt: Dass - etwa wegen Identität der Unrechtskerne und vergleichbarer Strafrahmen - sittlich und rechtlich vergleichbare Bewertung der Tatbestände möglich ist

> „Klassische“ Anwendungsbeispiele rechtsethisch und psychologisch vergleichbarer Tatbestände: Diebstahl gemäß § 242 I StGB und Hehlerei gemäß § 259 I StGB; Diebstahl gemäß § 242 I StGB und Begünstigung gemäß § 257 I StGB; Urkundenfälschung durch Herstellen einer unechten Urkunde gemäß § 267 I 1. Alt. StGB und Urkundenfälschung durch Verfälschen einer echten Urkunde gemäß § 267 I 2. Alt. StGB

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Strafprozessrecht

Einheit 2

Strafprozessrecht Fall 3

Zur häuslichen Nacharbeit!

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Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit!

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Finn Mengler [email protected]