24

Stromlinien - Politik und Elektrizitätswirtschaft

Embed Size (px)

DESCRIPTION

Mitschrift eines Vortrags von Prof. Dr. Heinz J. Bontrup mit anschließender Diskussion

Citation preview

Page 1: Stromlinien - Politik und Elektrizitätswirtschaft
Page 2: Stromlinien - Politik und Elektrizitätswirtschaft
Page 3: Stromlinien - Politik und Elektrizitätswirtschaft

Stromlinien - Politik und Elektrizitätswirtschaft

Kritischer Blick auf die Liberalisierung in der Elektrizitätswirtschaft

Zum Verhältnis von Politik, Gewerkschaften und Elektrizitätswirtschaft

Perspektiven öffentlicher Stromversorgung – Zukunft der Stadtwerke

Dokumentation des Vortrags von

Prof. Dr. Heinz J. Bontrupam 9. Dezember 2010 in Essen

Erweiterte Diskussion mit

Michael Aggelidis, MdL NRW, energiepolitischer Sprecher

Özlem Demirel, MdL NRW, kommunalpolitische Sprecherin

Wolfgang Freye, Sprecher der Fraktion DIE LINKE. im RVR

Claudia Jetter, Landesvorstand DIE LINKE. NRW

und dem Publikum

Moderation Ida Schillen, Parteivorstand DIE LINKE.

Begrüßung Helmut Manz, stellvertretender Landessprecher DIE LINKE. NRW

Die Veranstaltung wurde durch den Landesverband DIE LINKE. NRW

in Zusammenarbeit mit der AG Antiprivatisierung des Parteivorstands DIE LINKE. organisiert.

- 3 -

Page 4: Stromlinien - Politik und Elektrizitätswirtschaft

Liebe Leserinnen und Leser,

wir dokumentieren den Vortrag von Prof. Dr.Heinz J. Bontrup, der die Umwälzung des Strom-marktes hinsichtlich der ökologischen, ökonomi-schen, beschäftigungspolitischen und sozialenAuswirkungen kritisch bilanziert.

Er stützt sich dabei auf die Ergebnisse eines For-schungsprojektes, die er zusammen mit seinemWissenschaftskollegen Ralf M. Marquardt in derPublikation „Kritisches Handbuch der deutschenElektrizitätswirtschaft“ veröffentlicht hat. DiesesBuch liest sich wie ein Kriminalroman, in dem dieTäter nicht gefasst werden. Die Befunde der bei-den Wissenschaftler sind erschütternd. Als Täterinwird zum einen die EU-Kommission identifiziert,die maßgeblich die Liberalisierung der Elektrizi-tätswirtschaft initiiert und vorangetrieben hat undauf der anderen Seite eine große Allianz bundes-deutscher Regierungen, die diesen Prozess in denneunziger Jahren unreguliert treiben ließen. In Fol-ge konnten sich wenige Energiekonzerne – „diegroßen Vier“ E.ON, RWE, Vatten- fall und EnBW –auf unanständige Art und Weise bereichern undzu einem marktbeherrschenden Oligopol anwach-sen. Das Erpressungspotenzial der Energiekonzer-ne gegenüber der Bundesregierung hat sichzuletzt in drastischer Weise bei der clandestinenVerabredung und der daraus folgenden Beschluss-fassung der Koalitionsmehrheit zur Verlängerungder AKW-Laufzeiten offenbart.

Auf der Opferseite befinden sich die Umwelt unddie Verbraucherinnen und Verbraucher. In aggres-siver Weise setzten die Konzerne weiterhin aufKohle und Atomenergie– zunehmend im Ausland,- während Investitionen in erneuerbare Energieträ-ger auf der Strecke blieben. Derweil sind die Strom-preise nach anfänglicher geringfügiger Senkungstetig wieder angestiegen. Die Liberalisierungspo-litik war verbunden mit einem gigantischen Stel-lenabbau in der Stromwirtschaft. 100 000Arbeitsplätze wurden abgebaut. Die problemati-sche Rolle der Gewerkschaften in diesem Prozesswurde flankiert von einer unterentwickelten Un-ternehmenskultur in den Elektrizitätsunterneh-men, die, anders als in der Stahlindustrie, keinewirkliche Mitbestimmung ermöglichte.

Wie kann diese Entwicklung gestoppt und umge-lenkt werden? In Bontrups Vortrag und der an-schließenden Diskussion wurden folgendePrämissen formuliert:

1 . Strom ist ein Basisgut der Daseinsvorsorge.

2 . Als Basisgut muss Strom den profitorientiertenMarktmechanismen und der Spekulation entzo-gen werden.

3. Auch Staat und Kommunen müssen auf Profiteverzichten.

4. Fehlendes Wissen und mangelnde Transparenzüber das Stromgeschäft innerhalb und außer-halb der Unternehmen müssen überwundenwerden.

5. In den Betrieben ist eine partizipative Mitbe-stimmungskultur zu entwickeln.

6. Die Preisdiskriminierung derart, dass Großkun-den billigen Strom erhalten und Kleinkundenteuren Strom, muss abgeschafft werden.

7. Die Strompreise müssen politisch festgelegtwerden, orientiert an der Maxime des Strom-sparens einerseits und andererseits an sozialenKriterien.

8. Die Stromproduktion und Verteilung muss öf-fentlich organisiert werden.

9. Die Kontrolle durch Parlamente und die Öffent-lichkeit (Verbraucher/innen) muss gesichertwerden.

Für die weitere politische Arbeit der Linken ist esnotwendig, die genannten Prämissen in konkreteKonzepte zur Rekommunalisierung der Elektrizi-tätswirtschaft zu formulieren. Dabei ist es uner-lässlich, dass die Geschäftsprozesse, Verein-barungen und Geldströme offen gelegt werdenund dass auch die Rolle der Kommunen und Stadt-werke kritisch hinterfragt wird.

Ida Schillen

Bundesvorstand DIE LINKEAG Antiprivatisierungskampagne

Vorwort

- 4 -

Page 5: Stromlinien - Politik und Elektrizitätswirtschaft

In einem vollelektrifizierten Land ist es eine zentra-le Frage: Wie wird diese Elektrizität hergestellt?Wer besitzt die Erzeugung. Wer besitzt die Netze?

Und darüber hinaus die Frage der Langfristigkeit:Wie organisiert eine Gesellschaft, die so fundamen-tal abhängig ist von Elektrizität, ihre künftige Ener-gieversorgung? Das ist nicht nur eineEigentumsfrage, da werden die ganz großen Fragenberührt:

Wir alle wissen, dass wir eine Wende in der Energie-erzeugung brauchen. Ohne diese ist eine Klimakata-strophe unabwendbar. Und wir alle wissen, dass dieFrage einer Energiewende nicht weniger ist als eineFrage von Krieg und Frieden.

Wenn wir es nicht schaffen, die Energieversorgungso umzustellen, dass die knapper werdenden fossi-len Rohstoffe ersetzt werden durch regenerativeEnergien, dann sind Ökokriege, also Versorgungs-kriege um die Rohstoffe fast unvermeidlich. Undwir haben jetzt einen Verteidigungsminister, der of-fen angekündigt hat, dass er sich sehr "unver-krampft" solchen Kriegen stellen wird. Und wirglauben ihm das. Das ist eine ernsthafte Drohung.Der Mann geht unverkrampft nicht nur über Lei-chen, sondern über Leichenberge. Wenn man ihnlässt.

All das hat mit der Energieversorgung allgemein zutun. Das sind die großen Fragen. Da sind wir alsLINKE relativ gut aufgestellt.

Aber es geht ja dann auch um die Fragen im Detail:Wie schaffen wir den sozialökologischen Umbau,die Demokratisierung der Energie- versorgung.Auch wenn wir in NRW die einzige Partei sind, diein dieser Frage eine verfassungskonforme Positionvertritt, die Verfassung von NRW schreibt eindeu-tig vor, dass Industrien der Grundstoffindustrie undZusammenschlüsse, die ihre Macht missbrauchen,in Gemeineigentum überführt werden sollen, so istes doch die Frage, wie wir das mit unseren derzeiti-gen Kräften durchsetzen können und wie wir unsdann ganz konkret in manchen Stadträten verhal-ten. Ich erwähne jetzt nur nochmals das aktuelleProblem um die STEAG: ist das jetzt eine Rekom-munalisierung, macht das denn Sinn, alle Machtden Stadträten, oder ist das eine energiepolitischfossile Wende, also quasi eine Rolle rückwärts, weildiese STEAG-Kraftwerke da sage ich ja nichts Neu-es, nicht nur aus Sonnenkollektoren bestehen.

In diesem Sinne gibt es unter uns noch sehr viel zudiskutieren, und ich freue mich, dass wir in Prof.Bontrup einen sehr kompetenten Referenten haben.

Helmut Manz

Stellvertretender LandessprecherDIE LINKE. NRW

Begrüßung

- 5 -

Page 6: Stromlinien - Politik und Elektrizitätswirtschaft

Zu Beginn sei darauf hingewiesen, dass Elektrizitätoder Strom ein volkswirtschaftliches Basisgut ist.Ein Basisgut ist dann gegeben, wenn es für jedenBürger, für jede Bürgerin, für die Wirtschaftschlechthin, ein Gut ist, auf das man nicht verzich-ten kann. Das kann man sich leicht vorstellen,wenn jetzt hier - wir sagen ja immer „Strom kommtaus der Steckdose“ - wenn hier im wahrsten Sinnedes Wortes die Lampen ausgehen, dann haben wirein großes Problem. Also ohne Elektrizität geht heu-te fast nichts mehr, absolut nichts. Deshalb der Be-griff Basisgut. Man kann mit Fug und Recht sagen,Elektrizität ist ein gesellschaftliches Gut der Da-seinsvorsorge.

Da stellt sich dann sofort die Frage, wenn Strom einso wichtiges Gut ist, kann man es dann einemMarktmechanismus, einem Wettbewerbsmechanis-mus und damit einem privatwirtschaftlichen Profit-prinzip überlassen? Ich will das zunächst mal nurals Frage in den Raum stellen und werde noch dar-auf zurückkommen. Wir haben sicherlich heuteAbend noch gemeinsam die Möglichkeit, das ent-sprechend auszudiskutieren.

Lassen sie mich zunächst mal ganz leidenschafts-los, wie das der Wissenschaftler in der Regel macht,einfach unsere, und wenn ich sage unsere, so mussich hier den Kollegen Prof. Dr. Marquardt nennen,mit dem ich zusammen im Auftrag der Hans Böck-ler Stiftung über die deutsche Elektrizitätswirt-schaft geforscht habe, unsereForschungsergebnisse als Input vortragen, wobeiich mich in Anbetracht der knappen Zeit auf dasWesentliche beschränken muss.

Was haben wir untersucht:

Zunächst in einem Außenverhältnis den politischenund rechtlichen Rahmen für den 1998 gestartetenLiberalisierungsprozess. Der Prozess hatte abereinen Vorlauf. Welche politischen Intentionen hates hier gegeben? Wer waren die politischen Trei-ber? Wer waren eher die Bremser? Wir haben daserstens vor dem gesamten europäischen Rechtsrah-men und auch vor dem nationalen Rechtsrahmenentsprechend untersucht.

Zweitens haben wir dann erforscht, wie sich dieBranche entwickelt hat. Hier sind insbesondere vonder Politik wirtschaftliche Vorhersagen gemachtworden, was alles Tolles passieren wird, wenn es zueiner Liberalisierung am Strommarkt kommt. DasPrinzip war, das kann man mit einem Wort be-schreiben: Wettbewerb. Wettbewerb sollte allesrichten. Wettbewerb sollte das Instrument sein, umauch die Elektrizitätswirtschaft auszusteuern.

• Dann war für uns die Frage der Investitionenganz wichtig. Was ist da passiert? Und zwar be-zogen auf den gesamten investiven Prozess indie Kraftwerke und natürlich auch in die Netze.Auch da ist vieles versprochen worden, wasWettbewerb bezüglich der Kraftwerke und Netzeimplizieren würde. Auch das haben wir entspre-chend untersucht.

• Und dann haben wir uns mit den Unternehmens-strukturen beschäftigt. Da gibt es die großenEnergieversorger und da gibt es die Stadtwerke.Und da gibt es auch viel Dissens. Und es hat vorallen Dingen enorme Konzentrationsprozessegegeben.

Zwei wesentliche Strategien haben die großen Stro-manbieter verfolgt, als ihnen klar war, die Politikmacht ernst mit der Liberalisierung. Wir hatten javorher Gebietsmonopole, abgegrenzte Verkaufsge-biete. Man sah die Energieversorgung in der Theo-rie, in der Politik, immer als ein natürlichesMonopol, und zwar nicht nur bezogen auf die Netzedas ist heute noch der Fall, sondern auch bezogenauf die Kraftwerke. Und als die Energieversorgermerkten – „da wird wohl doch was draus, die Poli-tik wird uns die natürliche Monopolstellung neh-

Stromlinien - Politik und ElektrizitätswirtschaftTranskription eines frei gesprochenen Vortrags von Prof. Dr. Heinz J. Bontrup.

Strom ist ein Basisgut Untersuchungsgegenstand

Konzentration undInternationalisierung

- 6 -

Page 7: Stromlinien - Politik und Elektrizitätswirtschaft

men, jetzt müssen wir aufpassen“ – da hat es soforteine Gegenstrategie gegeben, und die hieß Konzen-tration – Konzentration, um den aufkommendenWettbewerb sofort wieder aus dem Markt zu neh-men. Das war aber nur die eine Strategie.

Die zweite Strategie war, - und das muss man im Zu-sammenhang damit sehen, dass es einen „Einheitli-chen Europäischen Binnenmarkt für Energie“geben soll - eine Internationalisierungs- strategie.Dabei haben zumindestens die großen Stromanbie-ter in Europa kräftig eingekauft.

Wir haben dann gefragt: Wie haben sich die inne-ren Strukturen in den Elektrizitätsunternehmen ver-ändert? Hierbei war zunächst einmal die Fragenach der internen Verteilung der Wertschöpfungenganz wichtig. Wo ist die Wertschöpfung hingegan-gen? Wie ist die Wertschöpfung verteilt worden?Und darüber hinaus haben wir untersucht, wie sichdie Unternehmenskulturen unter dem Liberalisie-rungsprozess verändert haben. Ist es hier zu Verän-derungen im Umgang zwischen Arbeit und Kapitalgekommen? Vor der Liberalisierung hieß es, dass inder Energiewirtschaft ein sehr konsensuales Ver-hältnis zwischen Kapital und Arbeit gepflegt wür-de. Man habe sogar gemeinsam Verträge zulastenDritter, nämlich der Verbraucher und der Umweltgemacht. Auch das haben wir untersucht, sowie dif-ferenziert die Unternehmenskultur der „GroßenVier“ (wir haben sie in unserer Studie immer nur„The Big Four“ genannt) und der Stadtwerke. Unddamit bin ich auch beim letzten Untersuchungsge-genstand, den „Stadtwerken“. Hier haben wir unter-sucht, wie sich die Rolle der Stadtwerke vor demHintergrund des bisher abgelaufenen „Liberalisie-rungsprozesses“ verändert hat, welche Chancen siezukünftig, auch im Rahmen einer dezentralen,mehr auf regenerative Energien abgestellten Ener-gieversorgung, haben.

Also zunächst einmal haben wir festgestellt, politi-scher Treiber des gesamten Liberalisierungsprozes-ses war keine deutsche Regierung, sondern dieEU-Kommission. Der Prozess ist ganz klar in Brüs-sel angestoßen worden. Hier hatte man anfangs das„Weißbuch“ bezogen auf den Europäischen Binnen-markt formuliert. Das Projekt hieß Binnenmarkt

` 92. Diesbezüglich ist bereits Mitte der 1980er Jahreuntersucht worden, welche Barrieren, welche kon-traproduktiven Allokationen gibt es, wenn es zu kei-nem einheitlichen Europäischen Binnenmarktkommt. Die Ergebnisse sind im CecchiniBericht, be-nannt nach dem Verfasser Paolo Cecchini, Professorund Ökonom an der Universität Mailand, festgehal-

ten worden. Nach den Ergebnissen kam man über-ein, dass die Energiefrage zunächst nochausgeklammert werden sollte. Man bezog sich hierauf die Theorie eines „natürliches Monopols“. Dashat dann aber nicht mehr lange vorgehalten. Diepolitischen Kräfte in Brüssel, die auch den Energie-bereich liberalisieren und das Wettbewerbsprinzipeinführen wollten, setzten sich schließlich in derpolitischen Auseinandersetzung durch und es kamzu einem Paradigmenwechsel. 1992/93 waren dieProzesse in Brüssel dann sehr gereift und die natio-nalen Regierungen wurden mit dem Paradigmen-wechsel konfrontiert.

Zunächst hat es aus Deutschland eine Gegenwehrgegeben. Man war zumindest skeptisch in der da-maligen KohlAdministration. Bundeswirtschaftsmi-nister Günter Rexrodt (FDP) nahm dann aber denLiberalisierungsgedanken auf, auch, weil die FDP,was neoliberale Prozesse anbelangt, immer schonvorne mit an der Spitze der Bewegung war. Die FDPbetrieb in Folge verstärkt die Liberalisierung auchin Deutschland. Letztlich wurde aber immer wiederBrüssel vorgeschoben, nach dem Motto, „wir kön-nen das nicht mehr aufhalten, selbst wenn wir daswollten.“ „Wir müssen uns auch im Bereich derEnergieversorgung dem Liberalisierungsprozess,also letztlich dem Wettbewerbsprozess, stellen“. Ab1998 hieß es dann in konsequenter Folge, es sollden einheitlichen Europäischen Energiemarkt ge-ben. Und der soll instrumentell über das Wettbe-werbsprinzip ausgesteuert werden. Feierabend.Damit war die Messe gesungen. Und das bedeutetefür Deutschland, weil wir ja das natürliche Monopolhatten, mit den einzelnen Gebietsmonopolen, mitneun integrierten Verbundmonopolisten, dass dieseim Grunde genommen ihre Hoheitsgebiete aufge-ben mussten. Jeder konnte jetzt Strom verkaufen,wo er wollte. Und auch die Kunden, Nachfrager, wa-ren nicht mehr an den jeweiligen Gebietsmonopo-listen gebunden. Hierbei muss man immer imHinterkopf haben, das galt nicht nur für die Endver-braucher, die privaten Kunden, sondern auch fürdie Industrie. Die war vorher genau so an die Ge-bietsmonopolisten gebunden wie die Endverbrau-cher. Dann kamen Firmen wie „Yello Strom“ undweitere Firmen, zumeist „Töchter“ der etabliertenStromanbieter, auf. Man fand das gut, dass jetzt je-der frei seinen Energieversorger, Elektrizitätsanbie-ter, wählen konnte. „Und dann kam Druck auf denKessel.“ Von den großen Abnehmern. Von den klei-nen natürlich nicht. Wenn ein kleiner wechselnwill, dann ist der Druck nicht groß. Aber wenn eingroßer, ein großes Industrieunternehmen sagt: „Ichkaufe meinen Strom jetzt nicht mehr bei dir, son-dern ich geh woanders hin“, dann setzte das natür-lich Preisverhandlungen in Bewegung. Und die

EU-Kommissionals treibende Kraft

- 7 -

Page 8: Stromlinien - Politik und Elektrizitätswirtschaft

Preise gingen anfangs nach unten, vor allen Din-gen, weil auch unter den natürlichen MonopolenLeerkapazitäten, Überkapazitäten, im Markt waren.

EnergiewirtschaftlichesDreieckBeim Liberalisierungsprozess hat man von der poli-tischen Seite in Europa, und das wurde eins zueins auf die einzelnen Volkswirtschaften übertra-gen, ein sogenanntes Energiewirtschaftliches Zield-reieck vorgegeben. Dazu gehören:

Erstens eine Sicherheit bei der Energieversorgung,intern und extern.

Also „intern“ heißt für die einzelne Volkswirtschaft,und „extern“ bezogen auf ganz Europa. Stichwort:„Einheitlicher Europäischer Binnenmarkt“. Versor-gungssicherheit ist dabei zu Recht eine wichtigeGröße des Zieldreiecks, auf die in der Tat nicht ver-zichtet werden kann. Man hat es ja erlebt. Versor-gungsengpässe nicht nur in Kalifornien. In denUSA gab es insgesamt schon schwerwiegendeStromausfälle, in Italien übrigens auch.

Zweiter Punkt des Zieldreiecks ist eine nachhaltigeEntwicklung und Klimavorsorge. Das ist eine weite-re, ganz wesentliche und wichtige Säule, die poli-tisch zu Recht gewollt ist.

Und drittens gehört zum Zieldreieck die wirtschaft-liche Größe.

Energie muss auch wirtschaftlich angeboten wer-den. An diesem energiewirtschaftlichen Zieldreiecksollte sich der gesamte Liberalisierungsprozess inEuropa ausrichten.

Und wie sah die Realität aus?Was dann passiert ist, das ist wirklich spannendund gleichzeitig völlig enttäuschend. Es war für unsein hartes Stück Arbeit, das herauszuarbeiten. Wirhaben dazu untersucht, wie die einzelnen Länderauf den Liberalisierungsprozess reagiert haben.Wir haben nicht nur geschaut, wie hat Deutschlandpolitisch darauf reagiert, sondern wie haben auchdie anderen Länder darauf reagiert. Und da ist es in-teressant, dass Deutschland als einziges Land ge-sagt hat, „Wir müssen diesen jetzt losgetretenenWettbewerbsprozess vor dem Hintergrund des Zield-reiecks nicht staatlich begleiten – das regeln dieEnergieversorger schon untereinander selbst“. „Dasmachen wir nach dem Prinzip Laissezfaire“. „DerWettbewerb wird’s schon richten“. „Das brauchenwir nicht staatlich abgesichert in Form einer Regu-lierungsbehörde“, was man übrigens für die Tele-kommunikation von Anfang an gemacht hat, alsman diesen Markt liberalisierte: Man hat hier soforteine Behörde eingerichtet, die den Prozess begleite-

te und staatlich kontrollierte. Beim Strom hat mangesagt: „Brauchen wir nicht.“

Verzicht aufRegulierungsbehördeAlle anderen Länder in der EU haben es aber ge-macht. Kein Land hat nicht sofort eine staatlicheRegulierungsbehörde eingerichtet, die den Liberali-sierungsprozess, den Übergang zum Wettbewerb-sprozess, staatlich reguliert begleitet hat.

Nein, wir haben einen sogenannten „DeutschenSonderweg“ gewählt. Und zwar in Form von Ver-bändevereinbarungen. Hierbei ist übrigens inter-essant, dass an diesen Verbändevereinbarungen dieVerbraucherschutzverbände nie beteiligt wurden.Also die meisten Nachfrager, nämlich die privatenHaushalte, haben nicht am Verhandlungstisch ge-sessen, als es um diese Verbändevereinbarungenging. Dafür aber die Industrievertreter als Nachfra-ger, die haben schon am Tisch gesessen. Und denensaßen dann die Energieanbieter gegenüber. DieseInteressenvertreter sollten, sozusagen in einem fik-tiven Nachfrage/Angebotsverhältnis, in Form vonVerbändevereinbarungen, die Strommärkte aus-steuern. Dabei kann man sich natürlich denken,was hier herausgekommen ist. Nur Kontraprodukti-ves.

Aber die Politik hatte auf zuvor viele mahnendeStimmen nicht gehört. Die damalige schwarzgelbeRegierung, also noch die Kohl-Regierung, kurz vorder Ablösung 1998 durch RotGrün, wollte interesse-norientiert einfach nicht hören. Und so ist es dannnur zu diesen Verbändevereinbarungen gekommen.Letztlich hat es dazu geführt, dass das Energiewirt-schaftsgesetz, nachdem es 1998 novelliert wordenwar, 2005 noch einmal novelliert werden musste.Das Gesetz stammte ursprünglich aus dem Jahr1936 und war demnach von den Nazis gemachtworden. Die herrschende deutsche Politik hätte inVerbindung mit der Wirtschaft auf Basis der Ver-bändevereinbarungen so weitergemacht.

Dass damit schließlich Schluss gemacht wurde,kam ausschließlich aus Brüssel. Hier hat man ge-sagt, „jetzt reicht es uns mit den Deutschen, mit ih-ren Verbändevereinbarungen“. Brüssel hat uns zurEinrichtung einer staatlichen Regulierungsbehördegezwungen.

Es hat übrigens einen ganz heftigen Machtkampfzwischen dem deutschen Bundeskartellamt und derschon für die Telekommunikation bestehenden Re-gulierungsbehörde gegeben. Das Bundeskartellamthat gesagt „wir wollen das machen, wir wollen dasregulieren, das gehört in unser Amt, ins Bundes-kartellamt“. Die rotgrüne Bundesregierung unterKanzler Schröder (SPD) hat dann aber entschieden,

- 8 -

Page 9: Stromlinien - Politik und Elektrizitätswirtschaft

das macht die schon bestehende Regulierungsbehör-de mit Sitz in Bonn. Wie tragfähig das ist, wie effizi-ent das ist, das steht auf einem anderen Blatt.Jedenfalls steht jetzt fest, dass der Liberalisierungs-prozess sich seitdem nicht mehr einfach „laissez-faire“ vollziehen kann, sondern staatlich durch dieRegulierungsbehörde begleitet wird. Dies gilt abernur für die Netze.

Nach Einrichtung der Regulierungsbehörde wurdesofort für die Netze eine Anreizregulierung einge-führt. Das Wirtschaftlichkeitsziel stand ja innerhalbdes energiewirtschaftlichen Zieldreiecks immergleichberechtigt im Mittelpunkt. Man muss sich dieKette nochmal kurz vor Augen halten, die intendiertwar: „Wir öffnen die Märkte für Elektrizität europa-weit, nicht nur national, über das Wettbewerbsprin-zip und senken so die Strompreise.“

Wie soll das geschehen? Durch Wettbewerb steigtdie Produktivität und gleichzeitig zwingt der Wett-bewerb die einzelnen Unternehmen die Produktivi-tätssteigerungen über abgesenkte Preise an dieKunden (Nachfrager) weiterzugeben. Jetzt ist esaber so, dies ist eigentlich ökonomisch trivial, dassdie Preisgleichung immer heißt Preis = Stückkosten+ Stückgewinn. Dann stellt sich die Frage: Wennder Wettbewerb die Anbieter zwingt, den Preis zusenken wenn wir das mal als Prämisse unterstellen– werden dabei die Stückkosten oder die Stückge-winne, oder beide, abgesenkt? Und es stellt sich zu-vor die Frage, werden die Produktivitäts-steigerungen durch Personalabbau undPersonalkostensenkungen erzielt?

Wenn man von der marktwirtschaftlichen Theorieausgeht, dann bedeutet optimaler Wettbewerb, dassdie Unternehmen im Marktgleichgewicht, keineStückgewinne erzielen. Also der Gewinn ist null.Sie realisieren maximal ihre Stückkosten. Wenn dasintendiert war, dann ist das ehrenwert. Aber, keinerkonnte sagen, wenn der Preis wirklich gesenkt wür-

de, ob das auch tatsächlich zu Lasten der Stückge-winne geht. Das war ein offener Prozess. Und dashängt natürlich viel mit der Machtfrage zusammen,mit Marktmacht. Und es war den Unternehmenklar, dass sie jetzt aufpassen mussten. Zumindes-tens bestand theoretisch die Gefahr, dass der Libe-ralisierungs und Wettbewerbsprozess in der Tatzulasten ihrer Gewinne geht, die vorher unter dergebietsmonopolistischen Stellung eines natürlichenMonopols sehr komfortabel waren.

Entstehung eines OligopolsDeshalb haben die Stromanbieter auf diesen Pro-zess in Antizipation mit zwei Strategien, ich hab’sie bereits genannt, reagiert:

1 . mit Konzentration,

2 . mit einer Internationalisierungsstrategie.

Konzentration bedeutete: aus neun integriertenVerbundmonopolisten wurden „The big Four“, also1 . E.ON entstand aus der VEBA PreussenElektraund der VIAG, 2. RWE entstand aus der RWE Ener-gie AG und der VEW. 3. Vattenfall Europe Berlinentstand aus der VEAG, der HEW Hamburg und Be-wag in Berlin und 4. EnBW Energiewerke Baden-Württemberg, entstand aus den Badenwerken undEVS. Das war die erste Strategie, die gefahren wur-de – Konzentration als Antwort auf die angeführtetheoretische Ableitung eines möglichen aber nichtumgesetzten Wettbewerbs. Mit dem Endergebnis,dass heute die „Big Four“ den Stromabsatz oder dieStromabgabe, angefangen bei E.ON, um 500% stei-gern konnte.

Aus dem Publikum: Von wann bis wann war das.. .?

Prof. Dr. Heinz J. Bontrup: Das war von 2000 bis2006. Das sind unsere empirischen Daten. EnBWkonnte den Stromabsatz um 200% steigern, RWEum 100%. Da fragt man sich natürlich, wie geht das.

Das war überwiegend der zweiten Strategie, der In-ternationalisierungsstrategie geschuldet. Die neuenAbsatzgebiete der geöffneten Märkte haben diesmöglich gemacht. Sie waren ja vorher durch die De-markationen restringiert, sie konnten nur in denfestgelegten Gebieten verkaufen. In dem Moment,als diese Restriktionen weg waren, gingen die ein-zelnen Energieversorger, nicht nur in Deutschland,sondern in ganz Europa hausieren. Und dadurchkamen diese enormen Absatzsteigerungen zustan-de. Wenn man sich heute anschaut, wie Europaelektrizitätswirtschaftsmäßig aufgestellt ist, dannkann man sagen, wir haben nicht nur in Deutsch-land eine gigantische Konzentration, sondern wirhaben sie längst auch in Europa. Hier ist die Messegesungen, Europa ist aufgeteilt unter den großen

- 9 -

Page 10: Stromlinien - Politik und Elektrizitätswirtschaft

europäischen Energiekonzernen. Und da ist es so,dass E.ON innerhalb der EU den Platz 2 eingenom-men hat, RWE Platz 3 und Vattenfall liegt an 4. Stel-le, EnBW an 8. Stelle.

Aus dem Publikum: Wer ist an zweiter?

Prof. Dr. Heinz J. Bontrup: E.ON ist Europaszweitgrößter Energiekonzern.

Aus dem Publikum: Wer ist Erster? Ich dachte,Erster ist E.ON.

Prof. Dr. Heinz J. Bontrup: Nein, E.ON ist Zweiter.RWE ist Dritter, Vattenfall Europe ist Vierter undEnBW ist Achter. Erster ist EDF aus Frankreich.Man kann sagen, dass die sieben größten nur elek-trizitätswirtschaftsbezogen dass sie 90% des Mark-tes in Europa beherrschen und die vier größten„The big Four“ in Deutschland auf eine Nettostromer-zeugung von sage und schreibe ebenfalls 90% kom-men. Und hier gilt: wer die Kraftwerke hat, dieErzeugung, der hat auch die Macht. Wenn ich 90%Anteile habe, bezogen auf die vier großen, dann istdas laut Markttheorie, jedes Lehrbuch beschreibtdas, ein enges Oligopol. Und ein enges Oligopol be-deutet ganz klar Marktmacht und sie nutzen dieseMarktmachtstellung natürlich auch aus.

Was ist dann passiert, neben dieser Konzentrationauf der einen Seite und der Internationalisierungs-strategie auf der anderen Seite? Zunächst kam es inDeutschland zu einem Rückgang der Strompreise.Das war so ein „AhaEffekt“ am Anfang, dass kurz-fristig die Überkapazitäten, die im Markt waren, ab-gebaut wurden. Die deutschen Stromversorgerhatten Reservekapazitäten vorgehalten, das war im-mer diese berühmte „Stunde im Januar“, die Spit-zenlast, die dann abgedeckt werden musste. Hierfürwird bis heute eine Kapazität vorgehalten. In der an-deren Zeit entstehen so Überschusskapazitäten.Wenn man das in Kosten umsetzt, bedeutet dasLeerkosten. Diese Leerkosten konnten im alten Sys-tem, aber auch im neuen System, über die Preise ab-gestoßen werden. In dem Moment, als denUnternehmen sozusagen der Schleier oder der Vor-hang aufgezogen wurde, standen sie natürlich„blank auf der Bühne“ und haben sich geschämt. So

sind die Preise kurzfristig nach unten gegangen.Logisch. Sie haben dann angefangen Überkapazitä-ten relativ schnell abzubauen. Das waren alte„Mühlen“, meistens Gaskraftwerke, die technolo-gisch nicht mehr „up to date“ waren, die man aberimmer für diese Spitzenlasten noch angeworfenhat. So hat man die Überkapazitäten aus demMarkt geholt. Durch die Konzentration entstandaber relativ schnell wieder neue Macht, Angebots-macht. Und damit konnte man die Preise wiedernach oben bringen.

PreisdiskriminierungDies ist allerdings differenziert zu sehen: Bei denPrivatkunden sind die Preise relativ schnell wiedernach oben gebracht worden, weil die Privatkundeneben keine Gegenmacht hatten und haben. Wäh-rend die großen Nachfrager über ihre Kontakte an-deres aushandeln konnten. Da war der Prozessschwieriger, obwohl auch hier die Preise letztlichwieder nach oben gebracht wurden.

Was ist letztlich auch das Drohpotenzial einesgroßen Stromnachfragers? Nehmen wir mal einganz großes Industrieunternehmen. Das könnte imGrunde genommen sagen, „Wir holen den Stromwoanders her.“ Aber hier gibt’s ein Parallelverhal-ten innerhalb des engen Oligopols. Da sind sich dieOligopolisten einig. „Wenn wir den jetzt reinneh-men, den großen Nachfrager, dann schlagen sie unswoanders.“ Also tun sie das nicht. Das kennen wirvon den Tankstellen und von den Mineralölkonzer-nen. Der eine geht vor und die anderen gehen nach,wenn die Preise nach oben gesetzt werden, sodassdas Drohpotenzial gar nicht so groß war. Dann bliebals Drohgebärde eines großen Industrienachfragersnur noch: „Wir machen jetzt eigene Kraftwerke,bauen eigene Kraftwerke auf.“ Aber das muss manerst mal machen. Das ist in jeweils aktuellen Preis-verhandlungen eigentlich nicht ein so großesDruckinstrument, denn dann antwortet der Stro-manbieter: „Ja, dann bau mal ein Kraftwerk .. .musst ja erst mal eins genehmigt kriegen“, usw.Obwohl natürlich hier die Marktmachtstellung eineandere ist, als die eines kleinen privaten Haushalts,der vielleicht 3.000 oder 4.000 Kilowattstunden imJahr abnimmt. Am Ende muss sich aber auch dergroße Stromnachfrager geschlagen geben.

Dennoch besteht aber Preisdiskriminierung. Der,der überhaupt keine Macht hat auf der Nachfrage-seite wird natürlich am meisten belastet. Und werauf der Nachfrageseite ein bisschen (relative)Macht hat, zahlt weniger, und dies für ein homoge-nes Gut! Das nennen Ökonomen schlicht und er-greifend Preisdiskriminierung.

Was ist dann im bisherigen Liberalisierungsprozessweiter passiert?

- 10 -

Page 11: Stromlinien - Politik und Elektrizitätswirtschaft

ArbeitsplatzabbauDer vorgetäuschte Wettbewerbsdruck wurde auchnach innen weiter gegeben. Und dies ging eindeutigzu Lasten der Beschäftigten.

Den Gewerkschaften, den Betriebsräten ist verkauftworden: „Jetzt liebe Kolleginnen und Kollegen ha-ben wir leider eine andere Welt – wir haben jetztWettbewerb, und das was wir vorher haben vertei-len können, auch an euch, das geht zukünftig leidernicht mehr.“ Das hat man auf der Mitbestimmungs-seite geglaubt.

Unsere Untersuchungsergebnisse sind hier jeden-falls evident, die dann eingetreten sind.

Erstens, es hat einen massiven Arbeitsplatzabbaugegeben. Jeder dritte Arbeitsplatz ist seit 1998 ver-nichtet worden. Insgesamt waren es 95.000, wobeiman diese 95.000 allerdings differenzieren muss.Etwa 38.000 entfielen hierbei auf den Zeitraum von1992 bis 1998. Sozusagen als Vorgriff auf die Libera-lisierung. Und dann von 1998 bis 2008 nochmal gut56.000 Arbeitsplätze, die abgebaut wurden. Alsowir reden hier fast über 100.000 Arbeitsplätze, diein einem wichtigen Bereich der Wirtschaft, der Elek-trizitätswirtschaft, verloren gegangen sind. Undzwar für alle Zeiten! Und man muss sagen, derTrend des weiteren Abbaus ist längst nicht ge-stoppt. Er hat sich zwar von der Schärfe ein biss-chen abgeflacht. Aber der Prozess derArbeitsplatzvernichtung wird auch hier in der Elek-trizitätswirtschaft weitergehen. Hier muss man al-lerdings nach Betriebsgrößen differenzieren. Aberdie Zeit hab ich jetzt leider nicht, um dies hier allesauszuführen. Da empfehl ich dann mal das Studiumunseres Buches: „Kritisches Handbuch der deut-schen Elektrizitätswirtschaft“.

Monetäre UmverteilungNeben dem Arbeitsplatzabbau kam es im Innenver-hältnis zu einer gigantischen Umverteilung. Also,die ist so extrem verlaufen, dass sie weit, weit ober-halb der Umverteilung lag, die ja auch in der Ge-samtwirtschaft gelaufen ist. Das Ergebnis derLiberalisierung war auch hier eine Umverteilungvon unten nach oben bei der generierten Wertschöp-fung. Dabei ist vorher immer gesagt worden, in derEnergiewirtschaft gibt es eine starke Mitbestim-mung, starke Betriebsräte. Die können sozusagenwas entgegensetzen, dass nicht auch hier diese Um-verteilung von unten nach oben innerhalb der Wert-schöpfung läuft. Das Gegenteil war aber der Fall.

Das war für uns ein mehr als überraschendes Ergeb-nis. Das hätten wir, zumindest in dieser extremenForm, nicht gedacht. Dass sich auch hier Umvertei-lungsprozesse, weit überproportionale, vollzogenhaben, das ist schon ein interessantes Ergebnis ge-

wesen. Und zum Verständnis – Wertschöpfung –damit wir uns auch hier richtig verstehen. Wert-schöpfung heißt Überschussprodukt. Nur dies istverteilbar. Da gibt es einen Produktionsprozess, fürden braucht man Vorleistungsstrukturen, die müs-sen natürlich heraus gerechnet werden, denn diehaben andere Beschäftigte, in anderen Unterneh-men erbracht, und dann bleibt am Ende nach ver-kauften Leistungen, hier ist es Strom, einÜberschussprodukt über. Dies ist die betrieblicheWertschöpfung. Die Wertschöpfung teilt sich dannimmer in vier Arten auf. Mehr gibt es nicht. Dieerste Art der Wertschöpfung sind die Löhne undGehälter, also der Personalaufwand. Zweitens dieZinszahlungen, die Zinszahlungen an Fremdkapi-talgeber. Drittens die Grundeigentümer, diese ver-langen Mieten und Pachten aus der Wertschöpfungund viertens die Gewinne, die die Shareholder, dieEigenkapitalgeber, verlangen. Diese vier Arten derWertschöpfung sind bei der Verteilung zu berück-sichtigen.

Und da stellt sich dann natürlich die Frage, wiewurde die Wertschöpfung in der Elektrizitätswirt-schaft seit der Liberalisierung verteilt? Dass dieEntstehung von Wertschöpfung natürlich nur durchden Menschen, durch menschliche Arbeit, möglichist, muss ich hier arbeitswerttheoretisch nicht wei-ter ausführen. Aber spannend ist jetzt der empiri-sche Befund der Verteilung. Der Befund sieht dabeiso aus, dass, wenn wir mal von 1998 ausgehen, wireine Nettowertschöpfung von 65 € die Stunde hat-ten. Wir haben das dann auf das Arbeitsvolumenbezogen, (das Arbeitsvolumen ist hier das vernünf-tige Maß, und nicht Köpfe, denn Köpfe, da sind Teil-zeitkräfte mit drin und das ist dann keine genaueGröße.) Bei dem Begriff Arbeitsvolumen kann mannicht manipulieren. Das sind dann wirklich die Ar-beitsleistungen, die in Anbetracht aller geleistetenArbeitstunden erbracht worden sind, und daraufhaben wir das Ganze umgerechnet. Die Nettowert-schöpfung lag so 1998 pro Stunde eben bei diesen65 €. Dabei ist die Nettowertschöpfung bis 2007 umsage und schreibe 86 %, auf 121 € die Stunde ange-stiegen. Da stellt sich dann die Frage, bei einem sol-chen gigantischen Anstieg – um 86 % bezogen auf

- 11 -

Page 12: Stromlinien - Politik und Elektrizitätswirtschaft

das erwirtschaftete Überschussprodukt – wer hatdenn das jetzt bekommen, dieses Überschusspro-dukt, diese Wertschöpfung?

Ich rufe hier nochmal in Erinnerung, was die Politikversprochen hat. Und daran haben wir sie auch ge-messen. Eine andere Referenzgröße haben wir janicht. Die Politik hat gesagt, wenn der Wettbewerbkommt, dann gehen die Produktivitäten nach oben,und die Steigerungen werden dann weiter gegebenüber Strompreissenkungen. Stimmt das? Es stimmtnicht!

Und Politik hat weiter bei der Prognose versagt, daswird die Gewinne der Energieversorger nach untenbringen. Stimmt das denn wenigstens? Auch dasstimmt nicht. Also Politikversagen auf ganzer Linie!Das ist der eindeutige empirische Befund.

Und wenn man sich dann das Überschussproduktnäher anschaut – Steigerung 86 %. Wie viel entfal-len davon auf die erste Wertschöpfungsart, nämlichLöhne und Gehälter? Da lag der Anteil 1998 an den65 € pro Stunde Nettowertschöpfung bei 36 € jeStunde. Also von einer Stunde Nettowertschöpfungbei der Stromproduktion in Deutschland haben1998 die Beschäftigten 36 € bekommen. Darin ent-halten sind alle Kosten, auch Sozialabgaben, Ar-beitsgeberanteile und dies ist eine Bruttogröße, alsovor Steuern. Also die gesamten Arbeitskosten betru-gen pro Stunde 36 €. Und damit, Kopfrechnenschwach, 65 € minus 36 € macht?

Aus dem Publikum: 35 minus 66?

Prof. Dr. Heinz J. Bontrup: Nein: 65 minus 36.

Aus dem Publikum: Ach so .. . 29.

Prof. Dr. Heinz J. Bontrup: 29, richtig, 29 € be-kommen bzw. entfielen 1998 auf die anderen dreiWertschöpfungsarten: Zinsen, Mieten/Pachten undUnternehmergewinne. Von den 121 € Nettowert-schöpfung 2007 haben die abhängig Beschäftigtendann 44 € bekommen. Das ist eine Steigerung von36 € auf 44 € um 22 %. Das heißt, die Beschäftigtenhaben von der Steigerung der Nettowertschöpfungin Höhe von 86 % im Zeitraum von 1998 bis 2007nur 22 Prozentpunkte bekommen. Demnach sind64 Prozentpunkte der Steigerung auf Zinsen, Mie-ten und Pachten sowie Gewinne abgeflossen. Ein gi-gantisches Umverteilungsergebnis zulasten derBeschäftigten und zweitens zulasten der Verbrau-cher. Oder sagen wir es allgemein, zulasten derStromnachfrager. Bitte dann aber in der Differenzie-rung private Haushaltskunden – gewerbliche indus-trielle Großnachfrager mit der entsprechendenPreisdiskriminierung. Das ist hier der empirischeBefund. Das heißt, die Elektrizitätsunternehmen ha-ben es im Grunde geschafft, im Außenverhältnisnichts weitergeben zu müssen, weil die Preise in

Summe ja nicht gefallen, sondern im Gegenteil,noch gestiegen sind.

Bei den Strompreisen ist übrigens Deutschland –im internationalen Vergleich – ganz schlecht aufge-stellt. Wir haben immer noch sehr hohe Preise.

Hier tut sich außerdem ein Paradoxon auf. Dennniedrige Strompreise vertragen sich nicht mit derUmwelt oder der ökologischen Frage. Ganz einfachdeshalb nicht: Weil, was nichts kostet, damit wirdgeaast, das taugt auch nichts. Wenn Strom „nichts“kostet, ja dann lassen wir die Lampen eben bren-nen, was soll’s denn. Das ist schon ein Wider-spruch, auch innerhalb des energiewirtschaftlichenZieldreiecks. Danach müsste eigentlich der Strom-preis hoch sein. Nur dann gibt es auf der anderenSeite wieder ein Problem bei den Nachfragern, beivielen zumindest, auch bei den Privaten. Manspricht ja schon von einer „Stromarmut“, dass ebenviele, die heute gesellschaftlich ausgegrenzt sind,dass die dann kaum noch dieses Gut, das ja ein Ba-sisgut ist, was ich anfangs sagte, und der Daseins-vorsorge dient, dass sie dieses Gut gar nicht mehrnachfragen können. Und auf der anderen Seite,wenn der Preis hoch ist, wenn wir die industriellenNachfrager nehmen, so kommt es hier zu höherenVorleistungsstrukturen innerhalb des Produktions-prozesses. Und das ist für die Unternehmen, jeden-falls für die, die im internationalen Wettbewerbstehen, womöglich dann auch ein Problem. Also dasist eine schwierige „Veranstaltung“, auszutarieren,hier ein Optimum zwischen einem wirtschaftlichvernünftigen Strompreis, der dann auch so verträg-lich ist, dass man nicht zu kontraproduktiven Ver-bräuchen kommt, dass die Umwelt darüberentsprechend negativ tangiert wird, zu finden.

Ich will die Umverteilungsergebnisse noch einmalzusammenfassen:

Die Elektrizitätsunternehmen haben es seit 1998,seit der Liberalisierung, geschafft, enorme Produk-tivitäten zu heben, erstens über den Abbau von

- 12 -

Page 13: Stromlinien - Politik und Elektrizitätswirtschaft

Überschusskapazitäten, zweitens über einen gigan-tischen Personalabbau, jeder dritte Arbeitsplatz isthier verloren gegangen, und drittens über eine Men-genausweitung beim Stromabsatz, Stichwort hiernoch einmal: Internationalisierungsstrategie.

Laut Theorie und politischer Vorhersage hätten dieProduktivitätssteigerungen über Wettbewerb inForm von abgesenkten Preisen weiter gegeben wer-den müssen. Dies war aber, wie aufgezeigt, nichtder Fall. Das heißt im Umkehrschluss: es gibt nachwie vor keinen Wettbewerb im Strommarkt. Das hatauch das höchste deutsche Gericht, der Bundesge-richtshof, in einem Urteil festgestellt. Dies ist eineschallende Ohrfeige für die „Großen Vier“ am Strom-markt, aber auch für die herrschende Politik. Wett-bewerb wollten die Energieversorger natürlich auchnicht. Und sie haben es geschafft, über die beidenangeführten Strategien, also über eine Konzentrati-ons und Internationalisierungsstrategie, den Wettbe-werb aus zu schalten. Und nachdem man denWettbewerb ausgeschaltet hatte, ist der Umvertei-lungsmechanismus in Bewegung gesetzt worden.Das war die Prämisse.

Also im Ergebnis: Ganz klare Verlierer sind die Be-schäftigten im Innenverhältnis. Ganz klare Verlierersind im Außenverhältnis auch die Nachfrager übernichtadäquat abgesenkte Strompreise. Und ganz kla-rer Verlierer ist auch die Umwelt.

Geringe InvestitionenBezüglich der Umwelt muss man die Investitionenbetrachten. Theoretisch ist dabei vorab abgeleitetworden, dass der Wettbewerb die einzelnen Unter-nehmen dazu zwingen würde, effizient und umwelt-schonend Strom zu produzieren. Und effizient undumweltschonend kann man Strom nur dann produ-zieren, wenn man auch einen Kapitalstock bzw. An-lagen hat, die dies ermöglichen. Und das geht ebennur über adäquate Investitionen, und zwar Investi-tionen in Kraftwerke und Netze.

Aus dem Publikum: Also Netze.

Prof. Dr. Heinz J. Bontrup: Also Netze. Man mussaber sagen, die Unternehmen, die Vorstände, undletztlich die Shareholder waren hier sehr zurück-haltend. Sie haben abgewartet. Man muss sie dabeiaber auch ein Stück weit in Schutz nehmen. Dennes ist klar, Kraftwerksinvestitionen unterliegen ei-nem 30 bis 40jährigen Zyklus. Also wenn man heu-te ein Kraftwerk baut, dann muss dieses über 30bis 40 Jahre abgeschrieben werden. Bevor Unter-nehmen so eine Investition tätigen, was ja auch mitentsprechenden Geld und Finanzierungsvoluminaund Risiken zusammenhängt, da überlegen die Un-ternehmen dann schon zwei Mal, welche Investitio-nen sie in welche Kraftwerke und welche Netzetätigen. Will damit sagen: Die Unternehmen brau-chen bei so langen Zyklen von der Politik schoneinen verlässlichen Planungshorizont. Wir erlebenja grade mit dieser erbärmlich schlimmen Verlän-gerung der Laufzeiten bei den AKW‘s genau daspolitische Gegenteil. Und ich kann in diesem Kon-text nur hoffen, dass die Stadtwerke nicht nur dro-hen, sondern jetzt auch wirklich klagen bzw. vorGericht ziehen. Denn die haben natürlich auf denAtomausstieg bei ihren Investitionen in regenerati-ve Energien gesetzt. Da kann Politik nicht „Hü undHott“ von heute auf morgen sagen, sonst kommt eszu enormen Fehlallokationen, ökonomisch gespro-chen. Man hat mit der Energiewirtschaft auf denseinerzeit verhandelten Ausstieg gesetzt und hatgesagt „Okay, das schafft jetzt auch den investivenRahmen für regenerative Energien.“ So, und geradeStadtwerke haben da daraufgesetzt und sind jadann auch verstärkt in diese Investitionen gegan-gen zu wenig, will ich gleich hier vorab sagen,aber immerhin, man hat die Zeichen der Zeit er-kannt, und hat hier was gemacht. Die „GroßenVier“ haben gar nichts gemacht, erst mit den „Euro-päischen 2020Zielen“ sind sie auf den Zug aufge-sprungen, viel zu spät und viel zu wenig. Jedenfallsdas, was an Investitionen gelaufen ist, ist absolutbeschämend, ist kontraproduktiv gewesen. Undman muss sagen, wir haben dadurch heute zurück-gestaute Investitionen, die uns morgen auf’s „But-terbrot geschmiert“ werden. Deshalb ist derBeschluss, was die AKWLaufzeitverlängerung an-belangt, unter dem Aspekt von Investitionen in re-generative Energien so schlimm, so erbärmlichschlimm, das hätte nie passieren dürfen. Man kannunterm Strich sagen, dass es im Zuge des Liberali-sierungsprozesses fast mehr zu Desinvestitionenals denn zu zukunftsweisenden Investitionen ge-kommen ist. Es ist viel zu wenig in erneuerte Kraft-werke und auch in Netze investiert worden.

Aus dem Publikum: . . . hier in Deutschland?

Prof. Dr. Heinz J. Bontrup: Ja, man will abwarten,

- 13 -

Page 14: Stromlinien - Politik und Elektrizitätswirtschaft

wie die Politik den Rahmen setzt, für welche Ener-gieträger man sich politisch entscheidet. Offensicht-lich ja wieder für Atomkraft. Und wenn einprivatwirtschaftliches profitgetriebenes Unterneh-men das weiß, wird es auch entsprechend investie-ren und damit aber auch gleichzeitig über einenlangen Zeitraum den Energieträger determinieren.Unternehmen wollen halt mit Investitionen nichtsanderes, als Profite machen. Das sollte man eigent-lich wissen.

Verschlechterung der Unter-nehmenskulturDann haben wir auch die Innenverhältnisse derElektrizitätsunternehmen untersucht. Ich hatte dasja schon angedeutet mit dem Stichwort „Unterneh-menskultur“. Das wäre jetzt allein ein abendfüllen-des Programm. Aber ich will trotzdem auch nochhier ein paar wesentliche Ergebnisse unserer For-schung vortragen. Was haben wir bezüglich der Un-ternehmenskultur untersucht? Wir haben unsgefragt, normativ natürlich, "wie müsste eigentlicheine demokratischpartizipative Unternehmenskul-tur in den Unternehmen aussehen?" Wir diskutie-ren ja vielleicht gleich noch darüber, auch imKontext einer Vergesellschaftung von Energieversor-gern. Da spielt dieses Innenverhältnis, die „Kulturdes Unternehmens“, die entscheidende Rolle. Wiesoll die Kultur aussehen? Dazu haben wir zunächsteinmal eine demokratischpartizipative Unterneh-menskultur entwickelt. Sie müsste aus sechs Grö-ßen bestehen. Da ist zunächst einmal eineKommunikationsdialektik in Verbindung mit einerholistischen Informationspolitik und dazwischenliegt eine partizipative Personalführung. Das hörtsich jetzt schlimm wissenschaftlich an, und ist auchnicht so einfach zu verstehen, es ist im schon er-wähnten und von uns veröffentlichten Buch zurElektrizitätswirtschaft aber alles ausführlich be-schrieben – auch die einzelnen empirischen Befun-de diesbezüglich. Kommunikations- dialektik, wennwir nur mal diesen einen Punkt rausnehmen. Kom-munikationsdialektik bedeutet, dass in einem Unter-nehmen, wenn das Unternehmen einer demo-kratischpartizipativen Unternehmenskultur genü-gen will, dass eine Dialektik aus „These, Antitheseund Synthese“ im unternehmerischen Kommunika-tionsprozess angstfrei zum Tragen bzw. zur Umset-zung kommt. Das ist heute in den meistenUnternehmen nicht der Fall, auch in der Energie-wirtschaft nicht. Es wagt heute in Unternehmenkaum noch einer die Antithese zu bilden, weil erAngst haben muss, wenn er sie bildet, morgen sei-nen Arbeitsplatz zu verlieren. Der unternehmeri-sche Kommunikationsprozess muss aber dialek-tisch sein, er muss eine angstfreie Rede und

Gegenrede ermöglichen. Denn nur dann gibt esauch eine Synthese und damit notwendige Innova-tionen.

Aus dem Publikum: So ist es.

Prof. Dr. Heinz J. Bontrup: Das kann man multi-plizieren, bezogen auf die gesamte Volkswirtschaft.Fehlende Kommunikationsdialektik legt sich wieMehltau über die gesamte Wirtschaft und lähmtletztlich jeden innovativen Prozess.

Aus dem Publikum: So geschehen.

Prof. Dr. Heinz J. Bontrup: Und wenn eine Volks-wirtschaft nicht mehr in der Lage ist, Innovationenzu generieren, dann kann man die Uhr stellen,dann bekommt jede Volkswirtschaft allergrößteProbleme. Also Kommunikationsdialektik ist sehrwichtig. In Verbindung mit einer holistischen Infor-mationspolitik. Dazu nur soviel: Wenn man heuteeinen Beschäftigten in einem Unternehmen fragt,egal wo: „Sag mir doch mal was über „dein“ Unter-nehmen, in dem du arbeitest, womöglich jetztschon 10, 15 Jahre lang, sag mir mal was über dieStrategie des Unternehmens, über die expostSitua-tion, wie viel Umsatz hat das Unternehmen ge-macht, wie viel Gewinn hat das Unternehmengemacht, wie sieht die Unternehmensplanung aus.. .“. Das wissen die Beschäftigten in der Regel nicht.Und selbst Betriebsräte wissen es häufig nicht. DieBeschäftigten in den Betrieben wissen zwar vielüber ihre Arbeitsplätze, dass reicht aber bei weitemnicht.

Nur Schein-MitbestimmungZur „demokratischpartizipativen Unternehmens-kultur“ gehört auch die Mitbestimmungsfrage. Derempirische Befund ist hier eindeutig: Wir habenkeine wirkliche paritätische Mitbestimmung inDeutschland. Das was wir haben, ist fast allesScheinmitbestimmung. Wir haben zwar drei Geset-ze in Deutschland: das Montanmitbestimmungsge-

- 14 -

Page 15: Stromlinien - Politik und Elektrizitätswirtschaft

setz, das 76er Mitbestimmungsgesetz und das Drit-telBeteiligungsgesetz.

Fangen wir mit dem letzten an. Hier haben Arbeit-nehmervertreter im Aufsichtsrat ein Drittel der Sit-ze. Da über Mitbestimmung zu reden, ist blankerZynismus. Das 76er Mitbestimmungsgesetz: Hiergibt es im Aufsichtsrat zwar eine numerische Pari-tät zwischen Kapital und Arbeit, aber bei Abstim-mungspatt hat der Aufsichtsratsvorsitzende, derimmer von der Kapitalseite gestellt wird, eine dop-pelte Stimme. Also die Arbeitnehmerbank kann daimmer überstimmt werden, so dass letztlich auchhier keine echte Mitbestimmung gegeben ist.

Nur im Montanmitbestimmungsgesetz ist nicht nureine numerische Parität zwischen Kapital und Ar-beit gegeben, sondern auch durch den sogenannten„Neutralen“, der dann Zünglein an der Waage beiPattabstimmungen ist, eine wirkliche paritätischeMitbestimmung. Diese gibt es aber nicht in der Elek-trizitätswirtschaft, weil das Montanmitbestim-mungsgesetz ausschließlich für die Bereiche Kohleund Stahl gilt.

Aus dem Publikum: Richtig, ja.

Prof. Dr. Heinz J. Bontrup: Kapital und Arbeitsind hier blockiert. Das heißt, sie müssen ein kon-sensuales Modell fahren. Sie müssen sich über In-vestitionen verständigen, über Gewinnverwendung,sie müssen sich über alles verständigen – im Kon-sens. Das ist eine Form von wirklicher Mitbestim-mung. Diese gilt in Deutschland bei rund 35Millionen abhängig Beschäftigten aber nur noch fürca. 100.000 Arbeitnehmer, eben im Kohle und Stahl-bereich.

Aus dem Publikum: 100.000?

Prof. Dr. Heinz J. Bontrup: Genau ca. 100.000.

Aus dem Publikum: Und die Montanindustrie warjahrzehntelang Vorbild für alle anderen Industrien.

Prof. Dr. Heinz J. Bontrup: Ja, sie konnte abernicht allgemein über die Wirtschaft gelegt werden.Schaut man sich den Strukturwandel bei Kohle undStahl an – da wissen wir in Nordrhein- Westfalenwirklich eine Menge zu erzählen – , und vergleichtdas mal mit dem Strukturwandel in der Textilindus-trie. Im Bereich Kohle und Stahl hat es bis heutenicht eine einzige betriebsbedingte Kündigung gege-ben. Der strukturelle Personalabbau wurde hier so-zialverträglich ausgesteuert. Und in der Textil-industrie, was hat man dort mit den Beschäftigtengemacht, die hatten kein solches Mitbestimmungs-recht. Betriebsbedingte Kündigun- gen waren da ei-ne ganz normale Veranstaltung. Das ist derqualitative Unterschied, wie man hier entsprechendmit Menschen unter unterschiedlichen Mitbestim-mungs- möglichkeiten umgegangen ist.

Wir haben dann mit einem riesen Aufwand, mitFragebögen, empirisch untersucht, wie weit derStand einer demokratischpartizipativen Unterneh-menskultur, wozu auch noch die Größen eines mit-arbeiterzentrierten Ideenmanagements, Weiter-bildung und auch eine Gewinn und Kapital-beteiligung der Beschäftigten in den Unternehmengehört, wie weit eine solche Kultur bei den Energie-versorgern heute schon umgesetzt ist?

Wir haben dazu aber nicht nur, einseitig die Mitbe-stimmungsseite gefragt, also Betriebsräte, Wirt-schaftsausschussmitglieder, Aufsichtsräte auf derArbeitnehmerbank, sondern wir haben auch die Ka-pitalseite befragt, Vorstände und Geschäftsführer,weil wir auch hier ihre Position hören wollten, wiesie die gegebene Unternehmenskultur und auchVeränderungsprozesse im Rahmen des Liberalisie-rungsprozesses einschätzen. So, ich fass das jetztmal in Anbetracht der schon fortgeschrittenen Zeitauf die Schnelle zusammen. Beide Seiten habenhier bezüglich der Unternehmenskultur mehr oderweniger gesagt, es hat ganz klar Verschlechterun-gen gegeben. Bezüglich der Mitbestimmung hat dieKapitalseite betont, das wäre auch notwendig gewe-sen. Sie wollen eben keine wirkliche Mitbestim-mung. Obwohl in der Elektrizitätswirtschaft dasMontanmitbestimmungsgesetz nicht gilt, sondernnur die Schein- mitbestimmung gemäß 76er Mitbe-stimmungsgesetz oder dem Drittelbeteiligungsge-setz. Eine betriebliche Mitbestimmung gemäßBetriebs- verfassungsgesetz war übrigens in allenuntersuchten Unternehmen gegeben. Also einenBetriebsrat haben alle Energieversorger. Immerhin:in anderen Branchen ist das keine Selbstverständ-lichkeit. Aber eine unternehmensbezogene demo-kratisch partizipative Mitbestimmung, und damitauch eine wirtschaftliche Mitbestimmung, die gibtes in der Elektrizitätswirtschaft bis heute nicht.

Wir haben dann natürlich auch danach gefragt, wiedie anderen Größen einer demokratischpartizipati-ven Unternehmenskultur heute in den Unterneh-men der Elektrizitätswirtschaft schon umgesetztsind. Da müsste ich jetzt sehr differenziert antwor-ten. Die Zeit habe ich aber leider nicht mehr. Des-

- 15 -

Page 16: Stromlinien - Politik und Elektrizitätswirtschaft

halb hier nur ein paar sehr grobe zusammenfassen-de Feststellungen. Die „Big Four“ sind insgesamtbei einigen Größen einer demokratischpartizipati-ven Unternehmenskultur gar nicht mal so schlechtaufgestellt. Das sieht in den Stadtwerken übrigens– das ist auch interessant – nicht so gut aus. Aberwenn man hier mal, was die heutige Umsetzung derKultur anbelangt, differenziert auf die „GroßenVier“ schaut, und eine Schulnote von 1 bis 6 gibt,dann würden wir für alle im Durchschnitt ein Befrie-digend geben. EnBW hat dabei mit 2,5 etwas besterabgeschnitten. Und die Stadtwerke, na ja, die liegenzwischen befriedigend und ausreichend, und einigegroße Stadtwerke kommen auch einem befriedi-gend nahe. Also, da ist insgesamt noch viel Arbeit,viel aufzuholen. Da müssen noch viele Prozesse inden Unternehmenskulturen verändert und verbes-sert werden.

Wir haben natürlich die Ergebnisse unserem Auf-traggeber, der Hans Böckler Stiftung und auchver.di und der IG BCE als hier zuständige Gewerk-schaften vorgestellt. Alle waren bezüglich der Er-gebnisse in vielen Punkten mehr als überrascht.Umso mehr muss jetzt mit den Ergebnissen gear-beitet werden. Es kommt darauf an, ein in sich ge-schlossenes Energiekonzept unter Berücksich-tigung einer idealtypischen Unternehmenskulturim Außen wie im Innenverhältnis von Elektrizitäts-unternehmen zu erarbeiten und dabei die von unsvorgelegten Forschungsergebnisse als Input aufzu-nehmen bzw. zu berücksichtigen.

Schönen Dank für die Aufmerksamkeit. (Applaus)

- 16 -

Page 17: Stromlinien - Politik und Elektrizitätswirtschaft

Claudia Jetter: . . . Wir haben jetzt eine sehr span-nende Analyse gehört, wie die Elektrizitätswirt-schaft heutzutage aufgebaut ist und auch wie esdazu gekommen ist. Allerdings würde ich nicht sa-gen, Politik hat versagt. Denn für die Energiewirt-schaft war's ja sehr vorteilhaft. Wir haben gesehen,90% der Energieversorgung erfolgt durch die"Großen Vier" . Das heißt, nicht Politik hat versagt,sondern es war eindeutig neoliberale Politik, dieeben genau für diese Konzentration gesorgt hat.Das heißt, sie hat nicht versagt, sondern eindeutigKlientelpolitik betrieben, um eben diese vier Ener-giekonzerne zu unterstützen. Ich verrate da natür-lich kein Geheimnis, dass wir als Linke genau dementgegensteuern wollen. . . .

Und es stellt sich mir die Frage, wie können wir esschaffen, trotz der Macht der “Großen Vier”, die eingünstiges Stromangebot bereithalten, die mittlerwei-le auch für sich beanspruchen, erneuerbare Energi-en zu nutzen durch Offshorewindparks, dieseMacht zu brechen und dezentrale Strukturen entge-genzusetzen, die langfristig erneuerbare Energienproduzieren können.

Wolfgang Freye: . . . Mich würde nochmal interes-sieren, wie sich eigentlich der Anteil der “Big Four”an der gesamten Stromerzeugung vorher und nach-her entwickelt hat, also wie die Macht dieser Oligo-pole auf den Markt praktisch gesteigert wurde …

Und unser Anliegen müsste ja grade sein als Linke,zu kucken, wie man mit kommunalen Unterneh-men zunehmend in die Erzeugung reinkommenkann. Das ist meiner Ansicht nach das große Pro-blem, dass man da reinkommt, um dort eben prak-tisch bei der Erzeugung dieses Monopol der “VierGroßen” zu brechen und kleiner zu machen.

Özlem Demirel: …

Ich finde die entscheidende Frage, die du auch ge-stellt hast Wolfgang, ist die Frage, wie zerschlägtman denn die Macht der “Großen Vier”? Und wirhaben immer wieder betont in unseren Diskussio-nen als Linke, aber auch über uns Linke hinauswurde das in alternativen Kreisen immer wiederbetont, dass wir sagen, wir wollen kleinere dezen-tralere Einheiten.

DiskussionBeiträge in gekürzter Form

Ida Schillen, Heinz Bontrup, Claudia Jetter, Wolfgang Freye, Özlem Demirel, Michael Aggelidis

- 17 -

Page 18: Stromlinien - Politik und Elektrizitätswirtschaft

Wir wollen dadurch mehr Transparenz schaffen.Wir wollen andere Unternehmensstrukturen haben,die wirklich im Sinne der Gesellschaft agieren. Dasheißt, für uns ist natürlich in dieser ganzen Frageauch mitentscheidend, wie sehen die Beschäfti-gungsverhältnisse für die Beschäftigten aus? Wieist das mit Sozialtarifen bei Strom? Weil das für unsnatürlich auch zur elementarsten Daseinsvorsorgefür menschenwürdige Lebensverhältnisse gehört. In-sofern ist bei uns immer die Schlussfolgerung gewe-sen, zu sagen, okay, die Eigentumsfrage führt unserst dahin, diese Wege zu ermöglichen. Und das istd’accord. Und da widerspricht ja auch keiner. Undich glaube, das ist natürlich auch die entscheidendeFrage. Aber über die Eigentumsfragen hinaus ha-ben wir auch weitere Fragen an Unternehmen, auchan Unternehmen in öffentlicher Hand, auch was dieEnergieversorgung angeht.

Deshalb glaube ich, ist für uns auch immer wichtig,zu diskutieren, welche Ansprüche und welche Her-ausforderung wir in diesem Bereich haben, ökolo-gisch und umweltpolitisch, aber auch darüberhinaus.

Michael Aggelidis : . .zur Frage der Netzverstaatli-chung.

Wir haben vorgeschlagen, dass NRW den Kauf des

Netzes von RWE prüft. RWE hat eine Tochter aufDruck der EUKommission gegründet, hat also seineNetzbeteiligungen ausgegliedert in eine Gesell-schaft. Und es sind 11 .000 km Höchstspannungs-netz. Die gehen bis runter ins Schwabenland .. .passieren RheinlandPfalz, NRW, das Saarland, derSüdwesten von Hessen und den RegierungsbezirkSchwaben, und produzieren und verteilen eine gan-ze Menge Strom durch dieses Netz hindurch. Undwir haben vorgeschlagen als einen praktischenSchritt, wie man diese “Großen Vier” entmachtenkann, dass das Land NRW diese Netztochter vonRWE kaufen soll.

Profitall ianz zwischen Kom-munen und UnternehmenProf. Dr. Heinz J. Bontrup: … Das Problem ist wirk-lich in dieser Branche, nochmal Stichwort “Schlan-gengrube”, der hohe Grad der unheilvollen Allianzzwischen Politik und Energiewirtschaft.. .

. . .da ist eine ungeheure Macht. Ja, das ist aber auchdie Allianz in der kommunalen Verstrickung.Wenn die Kommune öffentlicher Eigentümer ist,dann will die Kommune auch maximalen Profit.

Der Oberbürgermeister von Hannover, gleichzeitighat der ja die Stadtwerke in Hannover, der sagt ineinem Interview in der Hannoverschen Allgemei-nen Zeitung vor 14 Tagen: “Was die StadtwerkeHannover machen, find ich gut, die dürfen auch al-les machen – bin ja der Eigentümer als OB. Nureins ist klar, ich will mindestens um die 120 Mio.EURO pro Jahr Gewinn sehen von den StadtwerkenHannover. Sonst kriegen die mit mir Ärger. Solangedie mir 120 Mio. EURO jedes Jahr abliefern für mei-nen Stadtsäckel, können die machen, was sie wol-len.” So, das ist genau das Problem. Das ist eineunheilvolle Allianz, die sich hier über Jahre aufge-baut hat. Und darüber müssen wir nachdenken, wieman das aufknackt, auch aus den inneren Struktu-ren heraus, was ich nochmal mit demokratischpar-tizipativer Unternehmenskultur als Stichwortbenennen will. Da müsst ihr ansetzen.

Teilnehmer: Ja, also erst mal vorab, Energieversor-gung in öffentlicher Hand muss nicht immer unbe-dingt positiv sein man siehe Vattenfall sonderndas, was die Politik daraus macht.

Das Zweite ist der ökologische Umbau. Es gibt jadiese sogenannten RECSZertifikate, die der größteSchwindel sind. Wir kriegen den mit Wasserkrafterzeugten Strom aus Norwegen. Norwegen hatdann aber keinen Strom mehr und verbrennt dannunseren Strom, der mit Braunkohle erzeugt wurde.Also das ist eine Lügerei mit diesen Zertifikaten. Damuss auch drauf geachtet werden. Das machennämlich viele Stadtwerke gerne, dass sie aufgrund

- 18 -

Page 19: Stromlinien - Politik und Elektrizitätswirtschaft

dieser Zertifikate sagen, ja wir haben jetzt unserenÖkostrom.

HansJürgen Zierus : . .Ich wollte einen Beitrag, eineIdee dazu liefern, wie man vielleicht finanzpolitischein Stückchen sich nähert und eine Ressource er-schließt. Und zwar gehe ich politischideologisch da-von aus, dass die Energieversorgung von demUrsprungsgedanken der Daseinsvorsorge eine typi-sche Selbstverwaltungsaufgabe der Städte und derKommunen dargestellt hat und auch darstellenmuss. Und von diesem Grundgedanken her verlan-ge ich eigentlich, dass diese Daseinsvorsorge auchvon den Verbrauchern selbst organisiert ist undauch in der Hand behalten wird. Und dass die Ge-winne, die Verselbstständigung dieses Energiever-sorgungssystems in Form von Aktiengesell-schaften, von diesen juristischen Zusammen-schlüssen wieder zurückgeführt werden muss aufden Ursprungsgedanken der Selbstversorgung undausgegliedert werden muss aus den Gewinnmaxi-mierungszwängen, die in dieser Rechtsform Aktien-gesellschaft besteht. Das heißt also, es muss so vielerwirtschaftet werden, dass man wieder einen Be-stand refinanzieren kann, also wieder investierenkann. Aber der andere Rest, der dort übrig bleibt,der darf nicht zur Querfinanzierung benutzt wer-den, sondern er muss zurückfließen in die Ur-sprungsidee “Daseinsvorsorge”, also zurück wiederin den Topf einer städtischen oder einer überregio-nalen Gesellschaft, mit dem Ziel, diese Finanzmittelwieder einzusetzen, und dann wieder das Eigentumzurückzuerwerben, um den Daseinsvorsorgegedan-ken wieder zu verwirklichen. Das muss kommen.

Also die Gewinne dieser städtischen Betriebe inForm von GmbHs müssen in ihren Überschüssenauch wieder in so einen Fonds zurückgeführt wer-den, damit man wieder die Finanzkraft bekommt,zurückzukommen zum eigenen Eigentum, zu eige-nem Besitz und zur eigenen Steuerungsfähigkeit.

Thiess Gleis : Zum Ende so eines Diskussions-abends kann ich mir doch erlauben, ein kleines Re-sümee zu ziehen. Der Vortrag von Heinz, der zweiBotschaften hat: das Erste ist “Energiefragen sindMachtfragen”, und das Zweite ist “Strom ist eineganz besondere Ware.”

Und das, grade das Letztere ist mir etwas zu wenigzum Thema gemacht worden. „Strom ist eine ganzbesondere Ware.“ Sie braucht jeder, und sie wirdproduziert quasi erst nach Abruf.

Und das Dritte, das ist heute noch gar nicht themati-siert worden, wir müssen zur Zielsetzung machen,dass möglichst wenig von dieser Ware produziertwird. Wir müssen Strom sparen, sparen, sparen.Das muss ein politisches Ziel sein.

Strom muss dem Markt ent-zogen werdenDiese drei Dinge: Energiefragen sind Machtfragenund Strom ist eine besondere Ware, macht es da-durch prädestiniert, eine ganz kleine glasklare poli-tische Aussage zu treffen. Die Stromproduktion istdefinitiv nicht dafür geeignet, marktwirtschaftlichorganisiert zu bleiben, Punkt. Das sollte am Endedoch rüberkommen. „Ist nicht dazu geeignet,marktwirtschaftlich, wie auch immer, organisiertzu sein.“

Und wenn man das als Zielsetzung hat, dann leitetsich quasi alles andere davon ab.

Zum Beispiel die Preispolitik. Ich möchte nicht,dass die Strompreise sinken. Sie müssen steigen,die Strompreise. Wenn man doch etwas über Geldverteilen will, müssen die Strompreise steigen. Dawir aber auch linke Sozialpolitiker sind, müssenwir gleichzeitig dafür sorgen, dass ein Mindestkon-tingent an Stromverbrauch hier sehr günstig, quasiper Zuteilung verbraucht werden kann. Und allesdas, was darüber hinaus verbraucht wird, musssehr rasant steigen, um einen Spardruck zu erzeu-gen, aus umweltpolitischen, zukunftsmäßigenGründen müsste eine solche Politik gemacht wer-den. Daraus wird auch unmittelbar klar, es nichtmachbar mit großen Konzernen.

Man müsste im Grunde in unserer Verfassung einganz kleines zusätzliches Artikelchen einbauen.Der müsste lauten “Es ist verboten, mit der Strom-produktion privaten Gewinn zu erwirtschaften."Und das gilt sowohl für die Herren Großmann alsauch für einen kleinen, wie hier, wie Herr Piefke,der zufälligerweise bei einem Stadtwerk das Sagenhat. Aber alle beide wollen sie sich an diesem Reiz-bereich bereichern, dass mit Strom viel Geld zu ver-dienen ist. Aber das Gegenteil muss Leitbildwerden. Dafür muss eine Linke stehen. Das mussihre programmatische Forderung sein. Und das,weil es eben Machtfragen sind .. . Wir sagen, wirwollen diese großen Konzerne enteignen. Wir wol-len die Beschäftigten auf die Straße bringen, wir sa-gen, schickt eure Manager weg. Sie machen einekomplett falsche Politik, die weder die Arbeitsplätzesichert noch die Zukunft der Energieversorgung si-chert. Diese Machtfragen müssen wir hiermit ver-binden, und erst dann kommen wir auch mal ineine Lage, zu diskutieren, wie machen wir eigent-lich mit Stadtwerken eine alternative Politik. Aberin dieser Reihenfolge muss diskutiert, aufgeschrie-ben und an die Leute gebracht werden. Und wennwir dann alle solch sachkundige Einwohner sind,wie mein Vorredner, dann glaub ich, dann könnenwir die Welt auch verändern.

- 19 -

Page 20: Stromlinien - Politik und Elektrizitätswirtschaft

Michael Aggelidis : …Also diese Frage, wie wir öf-fentliches Eigentum demokratisieren, das habenwir alle noch nicht geklärt, das muss man einfachsehen. Darauf gibt es verschiedene Antworten zur-zeit, da müssen wir noch gewaltig dran arbeiten.Und wie wir’s demokratisieren, darauf hab ich kei-ne allgemeingültige Antwort. Die Verstaatlichungist eine, wie sagt man so schön, eine notwendigeaber nicht hinreichende Bedingung dafür.

Und vielleicht kann’s in die Richtung gehen, in Rich-tung Genossenschaft, in Richtung bürgerschaftli-ches Eigentum, dass wirklich jeder Bürger, jederEinwohner, soweit will ich’s dann formulieren, jederEinwohner Eigentümer ist, realer Eigentümer. Erkann es nicht verkaufen. Er hat eine Rendite. Wieman die auszahlt, das muss man dann sehen. Alsoda müssen wir glaub ich diskutieren, da müssenwir Phantasie beweisen in den nächsten Jahren.Aber in der Tat, staatsbürokratisches Eigentum istdie Antwort nicht. Das hat gerade die Vergangen-heit gezeigt.

Özlem Demirel: …Bei der Frage von Unternehmenund Eigentumsverhältnissen, öffentlichen Unterneh-men ist für uns beispielsweise auch entscheidend,dass man Transparenz in diesen Unternehmens-strukturen schafft, und zwar vollste Transparenz,vor allen Dingen auch bei Stadtwerken, die ja imMoment nicht immer transparent für die Stadtparla-mente sind, und was wir auch möchten, ist eine an-dere Beteiligungsstruktur in dieser Form, dassbeispielsweise die Kunden mit in diese Beiräte rein-kommen und mitentscheiden können, welche Unter-nehmenspolitik vor Ort geführt wird. Weil imMoment ist dies nicht der Fall.

Wolfgang Freye: . . .Also ich will auch nochmal andem anknüpfen, was die Özlem grade gesagt hat.Ich finde auch, dass – da bin ich mit ihr völlig einerMeinung – dass es absolut nichts bringt, zu sagen,wir müssen nur einfach jetzt Eigentümer von mög-lichst viel sein, als Kommune z. B. – ist ja nochmalein Unterschied zur Verstaatlichung, würde ich je-

denfalls machen, die Kommunalisierung, weil’s daeinfach ein überschaubarer Rahmen ist. Das alleinebringt nichts. Aber ich glaub, wir müssen eine Aus-sage, die wir vor Jahren schon mal in der Kampa-gne gegen Privatisierung hatten, wirklich mitLeben füllen. Und das ist die Aussage “Öffentlich,weil’s besser ist.” Wir müssen das “besser” belegenund müssen dann eben auch entsprechend gucken,was wir mit dem öffentlichen Eigentum wirklichbesser machen können. Und da ist natürlich einechtes Problem, wenn die Untersuchung ergibt,dass die Transparenz und die Unternehmensver-hältnisse, die intern bei den Stadtwerken schlechtersind, als in vielen kapitalorientierten, gewinnorien-tierten, profitorientierten Konzernen oder so ähn-lich. Das ist ein echtes Problem find ich. Wenn’s soläuft, werden wir ja niemals irgendwie plausibelmachen können, warum das überhaupt Sinn macht,warum’s eben öffentlich besser geht. Das ist ja eineinfacher Spruch, den man aber praktisch mit Le-ben füllen kann. Was ich sehr interessant finde, istaber – und da komme ich nochmal zu dem Thema“Allianzen” – in der Abwehr von Privatisierung. In-teressant ist ja, dass es eigentlich seit mehrerenJahren schon regelrecht eine Gegenbewegung ge-gen die Privatisierungswelle der 90er Jahre undauch der letzten Jahre gibt.

Was ich glaube ist, dass wir in der Linken eine Dis-kussion brauchen, um so eine Art neue Gemein-wirtschaft, also wie man gemeinwirtschaftlichöffentliche Unternehmen gestalten kann und wieman das entwickeln kann, also bestimmte Anforde-rungen, Kriterien entwickeln können. Und ich glau-be, das ist ein Punkt, wo wir wirklich was machenmüssen in den nächsten Jahren, wo’s tatsächlichdann auch um Konzepte geht und wo wir tatsäch-lich im Augenblick noch nicht so ganz viel auf derHand haben

Claudia Jetter: . . .Ich bin natürlich grundsätzlichdafür, dass alles, was mit kommunaler Daseinsvor-

- 20 -

Page 21: Stromlinien - Politik und Elektrizitätswirtschaft

sorge zu tun hat, in öffentliche Hand gehört. Und dagehört auch die Stromversorgung, die Energiever-sorgung dazu, da sind wir uns alle einig, dass daslangfristig in öffentliche Hand gehört. Wie das dannin öffentlicher Hand organisiert wird, ob es tatsäch-lich wie die Stadtwerke jetzt organisiert wird, dasist für mich genauso fraglich. Da müssen wir unsüber neue Eigentümerstrukturen jedenfalls Gedan-ken machen. Ich bin auch Thiess nochmal ganzdankbar für seinen Beitrag. Natürlich muss am En-de dieses Prozesses auch stehen, dass wir wenigerStrom verbrauchen und überhaupt auch erst erzeu-gen. Allerdings ist mir’s auch da lieber, dass dieserStrom, auch wenn wir ihn einsparen, dass der lie-ber aus erneuerbaren Energien kommt, als Kohleoder Atom. …

.. .letztendlich denke ich, dass wir tatsächlich dieseSchritte einbinden müssen in ein Konzept, und unsdarüber weiter Gedanken machen müssen, wie kön-nen wir dieses Konzept umsetzen, an dessen Endedann steht, erstens dezentrale Strukturen zurStromversorgung, weniger Strom- produktion über-haupt, und die Stromproduktion umstellen auf er-neuerbare Energien.

Dafür brauchen wir ein Konzept und die Schritte,die uns da hinbringen.

Prof. Dr. Heinz J. Bontrup: Also wir müssen glau-be ich, zwei Dinge auseinanderhalten. Und zwar ein-mal die ordnungstheoretischen und die prozess-theoretischen.

Ordnungstheoretisch, das ist die Eigentumsfrage.Da kann ich dir nur 100% zustimmen das ist auchdie Ergebnisfindung unserer Studie Elektrizitätlässt sich nicht über das Markt und Profitprinzip al-lokativ, also im Rahmen einer vernünftigen gesamt-gesellschaftlichen Allokation aussteuern. Ganz klar.

Damit hast du das Problem aber noch nicht gelöst.Wenn das so ist, das ist ja ein Negativbefund. Damusst du natürlich prozesstheoretisch sagen, wer

legt den Preis fest. Wenn der Markt über’s Wettbe-werbsprinzip das nicht leistet, jedenfalls nicht allo-kativ, dann musst du trotzdem noch die Fragebeantworten, ja wer bestimmt denn dann den Preis.Und meine Position ist, dieser Preis muss dann po-litisch bestimmt werden.

Der Strompreis muss poli-tisch bestimmt werdenDann hast du das Problem aber immer noch nichtgelöst, weil dann musst du sagen, wie Politik denPreis bestimmen soll. So, und dann wird’s schwie-rig. Dann wird’s sehr schwierig, weil dann musstdu nämlich die Frage beantworten, seriös, was sollimmanenter Bestandteil dieses Preises sein. So, un-ser Vorschlag ist ja, wenn man unser Buch richtigliest, da müssen wir über die vier Wertschöpfungs-arten nachdenken.

Da hast du den Personalaufwand, der natürlich Be-standteil dieses Preises sein muss, wobei du dannaber schon wiederum die Frage beantworten musst,wie hoch soll denn der sein. Wie sollen denn dieKolleginnen und Kollegen bezahlt werden. Jetztkannst du sagen, die sind ganz wichtig, denn diestellen ein Basisgut her. Die müssen ganz hoch be-zahlt werden. Die Frage .. . ich will ja nur sagen, dieFrage muss beantwortet werden. Und sie mussauch beantwortet werden unter motivationalenAspekten, auch beantwortet werden unter Effizi-enzkriterien.

Zweiter Punkt: Wenn wir uns darauf verständigenwollen, dass dieser Personalaufwand dann imma-nenter Bestandteil des Preises zu sein hat, wie sinddie Kapitalkosten.

Zwischenruf: Die Investition.

Prof. Dr. Heinz J. Bontrup: Ja, die letztlich die In-vestition speisen, natürlich, wo du dann aber erstmal beantworten musst, und dann bist du genaubeim Energiemix, wie immer der aussehen soll,sonst kannst du die Frage der Investitionen nichtbeantworten. In welche Richtung soll unsere Strom-produktion einmünden. Und daraus leitet sich dieInvestition ab. Und diese Investition muss natürlichder Preis abdecken, ist ja klar, logisch. So, dieseFragen sind dann zu beantworten.

Und dann kann ich nochmal das aufgreifen, wasder Kollege gesagt hat. Da bin ich dann schon dafür,dass der Preis dies 100% abdeckt, und dass dadrauf dann kein Gewinnaufschlag kommt, zusätz-lich, sondern ein ökologischer Aufschlag, um dasParadoxon aufzuheben. Wenn wir niedrigen Strom-preis haben, dann wird damit geaast. Das wollenwir nicht. Also muss der Preis mit einem ökologie-orientierten Aufschlag versehen werden. Das heißt,er muss nach oben gebracht werden, damit auch

- 21 -

Page 22: Stromlinien - Politik und Elektrizitätswirtschaft

dann Energieeffizienz, ja Einsparprozesse usw. ge-neriert werden. Das muss ein Aufschlag innerhalbdieses Preises sein.

Der Strompreis muss eine so-ziale Komponente enthalten

Dann muss man natürlich gleichzeitig sagen, dawirst du viele Menschen ich rede jetzt hier nichtvon Stromnachfragern aus Unternehmen, wobei wirja auch die Frage beantworten müssen, was ma-chen wir mit den vielen kleinen Betrieben, die jadann auch ächzen werden unter dem hohen Strom-preis . So musst du auch die Frage beantworten,wie können wir da eine soziale Komponente einzie-hen. Das kann man, denn wir sind in einer politi-schen Entscheidung und nicht mehr in einermarktbezogenen, wettbewerbsorientierten Entschei-dung. Musst du dann dafür Sorge tragen, dass dienicht hinten runterfallen. Aber vom Grundsatz herkann ich ihnen nur zupflichten, muss der Preisnach oben und nicht nach unten gebracht werden.Und das kann der Markt nicht entscheiden. Derwird es auch nicht entscheiden, jedenfalls nicht ineiner vernünftigen ökonomischen Allokation, son-dern das kann nur eben eine prozesshafte politi-sche Entscheidung sein. Aber diese beiden Dingesind auseinanderzuhalten. Das heißt die ordnungs-theoretische und die prozesstheoretische.

Aufbau einer demokratisch-partizipativen Unternehmens-kulturBei der ordnungstheoretischen Frage, das ist abervon allen ja auch gesagt worden, und ich finde, dahaben wir ja auch einen Konsens, ist die Gleichungnicht aufzumachen, Verstaatlichung heißt, jetzt ha-ben wir unsere Schularbeiten gemacht. Dazu fehlteben ein interner Demokratisierungsprozess, denwir beschreiben in unserer Analyse mit einer demo-kratischpartizipativen Unternehmenskultur mit denElementen. Die müssen umgesetzt werden. Sie sindinterdependent. Das heißt, sie stehen in einemwechselseitigen Abhängigkeitsverhältnis. Da darf

nicht eine Größe fehlen. Wenn eine Größe fehlt,geht alles kaputt. So, das müsste umgesetzt wer-den, als ein drittes Element sozusagen neben demordnungstheoretischen und dem prozesstheoreti-schen müsste diese interne Struktur einer demo-kratisierten Form umgesetzt werden. Und dann wärdas Rad rund. Dann hätten wir eine völlig andereWelt. Nur, wie setzt man um. Jetzt kommt der viertePunkt: Wie kriegen wir das bei den politischenMehrheitsverhältnissen, bei den Kräfteverhältnis-sen in unserem Land hin, dass diese drei Bausteine,dass die auch umgesetzt werden. Und das ist das ei-gentliche Problem. Wir können theoretisch zeigen,auch empirisch verifizieren, dass das die bessereLösung ist. Aber das bringt jetzt mal in die Köpfe.

Wissen und Transparenz sindnotwendigLetzte Bemerkung meinerseits. Letztlich, und daswaren auch die Erfahrungen in dem dreijährigemProzess unserer vielen empirischen Befragungen,haben wir festgestellt, das haben wir allerdingsdann nicht aufgeschrieben, dass viel Wissen nicht-vorhanden ist. Das macht es natürlich der anderenSeite auch relativ einfach, ihre Politik zu fahren.Wenn wir feststellen, dass Betriebsräte, die wir be-fragen “Sag mal was zu der Wertschöpfung”, nichtmal wissen, was eine Wertschöpfung ist. Dann sinddas enorme Defizite. Und bei solchen Defizitenkriegst du keine Vorwärtsstrategie hin.

Wir haben deshalb in unserem Buch im Anhang soeine Art Rezeptbuch geschrieben, was zu tun ist,für die Betriebsräte, für die Arbeitnehmervertreterin den Aufsichtsräten, für die Kommunalpolitiker.Die müssten jetzt eigentlich nur hergehen, müsstendieses Rezeptbuch nehmen, das ist im Anhang, dasist richtig schön abgeleitet und erklärt, warum undwieso, die einzelnen Schritte, dann können sie,wenn sie’s nur machen würden, in ihren Kommu-nen ihr Stadtwerk völlig transparent machen unddamit auch für die Bürger. Das liegt doch einfachdaran, dass die Bürgerinnen und Bürger kein Wis-sen um diese Dinge haben. Deshalb sind sie auchmanipulierbar. Der Geißler stellt in Conclusio sei-nes Prozesses als Schlichter fest: es war alles in-transparent. Und wenn etwas intransparent ist,dann werden die Menschen virulent, unkontrollier-bar, es finden keine rationalen Diskussionsprozessemehr statt, und es läuft letztlich aus dem Ruder.Was er geschafft hat, das war sein zweites Ergeb-nis. Er hat zumindestens über die Transparenz eineversachlichte Diskussion hinbekommen. Die mussman am Ende ja nicht akzeptieren. Aber es ist einganz anderes qualitatives Ergebnis. Und das isthier auch der Fall. Es liegt kein Wissen vor. Das istaber gewollt. Das ist von der Kapitalseite gewollt.

- 22 -

Page 23: Stromlinien - Politik und Elektrizitätswirtschaft

Intransparenz, die Prozesse intransparent zu ma-chen, kein Wissen herzustellen und darüber zuherrschen, und Macht auszuüben.

Unsere Aufgabe oder meine Empfehlung als Wissen-schaftler jetzt mal an die Linkspartei wäre, sorgt bit-te für Transparenz.

Das ist die Basisgröße, um überhaupt gesellschaftli-che Veränderungsprozesse in Bewegung zu setzen.Sonst erreichst du den Bürger und die Bürgerinnicht. Sonst bleibt es drei Minuten Bauchgefühl,

und damit kannst du letztlich keine Veränderungs-prozesse herbeiführen. Das trägt einfach nicht. Dakriegst du sie vielleicht mit auf die Straße gebracht.Da machen die kurzfristig auch mal eine Demo.Aber damit veränderst du nichts.

Zwischenruf: WikiLeaks auf jeder Ebene.

Prof. Dr. Heinz J. Bontrup: Ja, so ungefähr .. .

(Applaus)

Audiodokumentation: Olaf Swillus, www.linksdiagonal.de

Videodokumentation: Elisa Rodé

Abschrift: www.tippmamsell.de

Redaktion: Elisa Rodé

ViSdP: Ida Schillen, AG Antiprivatisierung des Parteivorstands DIE LINKE.

Kleine Alexanderstraße 28, 10178 BERLIN

- 23 -

Page 24: Stromlinien - Politik und Elektrizitätswirtschaft