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Strukturen und Prozesse f€ur eine effektive vernetzteVersorgung in der Psychiatrie: ein Forschungsprojekt
Constance Stegbauer, Katja Kleine-Budde, Beate Bestmann, Joachim Szecsenyi und Anke Bramesfeld
Schwere psychische Erkrankungen
sind charakterisiert durch eine kom-
plexe Symptomatik, einen haufig
chronischen Verlauf sowie Einschran-
kungen in der Alltagskompetenz. Die
Auspragung der psychosozialen Be-
eintrachtigungen bedingt einen erheb-
lichen Anteil des Hilfebedarfs. Daher
ist fur Menschen mit einer schweren
psychischen Erkrankung eine um-
fangreiche, flexible Versorgung erfor-
derlich, die sich an die jeweiligen, im
Krankheitsverlauf verandernden Be-
durfnisse der Erkrankten anpasst und
den Patienten ein hohes Maß an Kon-
tinuitat und Verlasslichkeit bietet. Ein
vorrangiges Ziel der Versorgung von
psychisch kranken Menschen mit
komplexem Hilfebedarf besteht des-
halb darin, die Selbstbestimmtheit der
Erkrankten zu wahren und zu fordern
sowie das psychosoziale Funktionsni-
veau zu erhalten bzw. zu verbessern.
Psychisch kranke Menschen sollten,
wenn moglich, in ihrem gewohnten
Lebensumfeld versorgt werden, wobei
die Krisenvermeidung, der Erhalt der
Selbststandigkeit in der Lebensgestal-
tung und die Teilhabe am sozialen und
gesellschaftlichen Leben im Vorder-
grund stehen (DGPPN, 2006; UN,
1991). Mit dieser Zielsetzung liegt
der Schwerpunkt der Versorgung die-
ser Menschen – wie auch bei anderen
chronisch Kranken – im wohnortna-
hen ambulanten Bereich.
In Deutschland zeichnet sich die Ver-
sorgung von psychisch kranken Men-
schen durch eine Vielfalt von Leis-
tungsangeboten und eine hohe Zahl
von Leistungserbringern unterschied-
lichster Profession und Qualifikation
aus. Fur eine gute Versorgung ist es
wichtig, dass diese Hilfen koordiniert
und aufeinander abgestimmt werden.
In den letzten Jahren sind daher ver-
schiedene Modelle der vernetzten und
integrierten Versorgung entstanden,
die sich um eine bessere Koordination
und Kontinuitat der Versorgung bemu-
hen. Sie alle bieten die Moglichkeit
einer aufsuchenden Versorgung sowie
Fallmanagement an (Bramesfeld et al.,
2012). Trotz der wachsenden Verbrei-
tung von Versorgungsnetzwerken und
Hinweisen auf ihre Effektivitat (Burns
et al., 2007; Dieterich et al., 2010;
Lambert et al., 2010) wurde bislang
kaum untersucht, welche konkreten
Strukturen und Prozesse fur ein mog-
lichst gutes Ergebnis auf Patientenseite
relevant sind.
Genau dies ist das Ziel des vom Bun-
desministerium fur Gesundheit gefor-
dertenForschungsprojektes ,,Strukturen
und Prozesse einer effektiven und be-
durfnisorientierten sektorenubergrei-
fenden vernetzten Versorgung fur Men-
schen mit psychischen Storungen‘‘
(kurz ,,Vernetzte Versorgung 13+1‘‘,
http://www.aqua-institut.de/de/projek-
te/evaluation-forschung/vernetzte-ver-
sorgung-13-1.html). Kern des Projekts
ist eine Analyse von 14 Versorgungs-
netzwerken (13 Netzwerke fur psy-
chisch kranke Menschen, ein Netzwerk
fur Essstorungen) der Integrierten Ver-
sorgung nach dem Modell des Netz-
Werk psychische Gesundheit (NWpG)
der Techniker Krankenkasse (Ruprecht
et al., 2012). Zielgruppe des NWpG
sind Menschen mit schweren psychi-
schenErkrankungen.Diesewerdenmit-
tels eines Algorithmus in den Daten der
Techniker Krankenkasse identifiziert,
und ihnen dann gezielt eine Versorgung
im NWpG angeboten. In den Netzwer-
ken des NWpG, diemittlerweile in uber
14 Regionen Deutschlands aktiv sind
und denen weitere Krankenkassen bei-
getreten sind,wurden seit 2009mehr als
8000 Patienten begleitet.
Die Netzwerke bauen auf vorhandenen
regionalen Strukturen auf und unter-
scheiden sich daher in ihrem jeweiligen
Leistungsangebot und der konkreten
Organisation der Versorgung. Gemein-
sam ist allen, dass sie uberwiegend
ambulant arbeiten sowie Fallmanage-
ment, aufsuchende Versorgung im Sin-
ne von Hometreatment, eine 24-Stun-
den-Hotline und eine Krisenpension
anbieten. Vorrangiges Ziel ist es, psy-
chisch kranke Menschen so intensiv in
ihrem Lebensumfeld zu betreuen, dass
Krankenhauseinweisungen moglichst
vermieden werden konnen.
Das Projekt ,,Vernetzte Versorgung 13
+1‘‘ setzt Strukturen und Prozesse der
14 Netzwerke in Beziehung zu den
Ergebnissen auf Patientenseite. Dafur
ist ein vierstufiges methodisches Vor-
gehen vorgesehen:
1. Quantitativer Ansatz: Anhand von
Sozialdaten, Befragungen sowie In-
formationen aus den NWpG-Quali-
tatsberichten werden die Strukturen
und Prozesse der Netzwerke erho-
ben. Aus Routineerhebungen der
Lebensqualitat und Funktionalitat
der Patienten sowie den der Techni-
ker Krankenkasse vorliegenden
Sozialdaten werden die patienten-
bezogenen Ergebnisse ermittelt.
Strukturen und Prozesse werden an-
schließend in einer Mehrebenen-
analyse den patientenbezogenen Er-
gebnissen gegenubergestellt.
Public Health Forum 22 Heft 82 (2014)http://journals.elsevier.de/pubhef
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2. Qualitativer Ansatz: Es werden
Fokusgruppen mit Patienten, Ange-
horigen und Mitarbeitern durchge-
fuhrt. Ziel ist es, Prozesse zu identi-
fizieren, die zur Erfullung der Be-
durfnisse und Erwartungen der
Beteiligten beitragen.
3. Feedback:Die Ergebnisse der Ana-
lysen werden in individuellen Qua-
litatsberichten an die Netzwerke
zuruckgemeldet. Hierbei werden
die Ergebnisse des jeweiligen Netz-
werks im Vergleich zu den anderen
Netzwerken dargestellt. In an-
schließenden Besuchen werden
die Ergebnisse mit jedem einzelnen
Netzwerk diskutiert und auf
Wunsch gemeinsam Optimierungs-
potenziale erarbeitet.
4. Synthese: Die Ergebnisse aus
quantitativer Analyse, qualitativer
Untersuchung und aus dem Feed-
back der Netzwerke werden zusam-
mengefuhrt. Ziel ist es, konkrete,
evidenzbasierte Empfehlungen fur
die Gestaltung einer effektiven und
bedurfnisorientierten vernetzten
Versorgung fur psychisch kranke
Menschen in Deutschland
abzuleiten.
Die Laufzeit des Forschungsprojektes
betragt drei Jahre (Mai 2013 bis April
2016). Bisher wurden Fragebogen fur
die Erhebung von Strukturen und
Prozessen uber die Leitung und Mit-
arbeiter der Netzwerke mit diesen ge-
meinsam erarbeitet und pilotiert. Hier-
fur wurden alle Netzwerke besucht,
um mit ihnen zu erortern, welche
Strukturen und Prozesse aus Sicht
der Initiatoren der Netzwerke, der
Netzwerkleitung und der jeweiligen
Mitarbeiter fur eine erfolgreiche ver-
netzte Versorgung von Menschen mit
psychischen Erkrankungen relevant
sind. Die Anregungen aus den Netz-
werkbesuchen wurden in die Frage-
bogen eingearbeitet. In einem nachs-
ten Schritt werden die Netzwerke und
deren Mitarbeiter zu Strukturen und
Prozessen befragt.
Die korrespondierende Autorin erklart, dasskein Interessenkonflikt vorliegt.
http://dx.doi.org/10.1016/j.phf.2013.12.026
Constance StegbauerAQUA – Institut fur angewandteQualitatsforderung und Forschung imGesundheitswesenMaschmuhlenweg 8-1037073 [email protected]
Literaturverzeichnis
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Contract No.: Resolution 46/119.
Public Health Forum 22 Heft 82 (2014)http://journals.elsevier.de/pubhef
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Einleitung
Psychische Erkrankungen erfordern eine umfangreicheVersorgung, die sich an die im Laufe der Erkrankung verandernden
Bedurfnisse der Erkrankten anpasst und den Menschen Kontinuitat bietet. Modelle der vernetzten Versorgung versuchen,
psychisch kranken Menschen eine koordinierte und kontinuierliche Versorgung anzubieten. Ziel des Projekts ,,Vernetzte
Versorgung 13+1‘‘ ist das Identifizieren von Strukturen und Prozessen, die mit guten Patientenergebnissen in der
vernetzten Versorgung assoziiert sind.
Abstract
Severe mental illness requires comprehensive and flexible care that adapts to the changing individual needs of patients
suffering from mental disorders and that provides them with continuity of care. The research project ‘‘Vernetzte
Versorgung 13+1’’ aims at identifying structures and processes that are associated with good patient outcomes in mental
health care networks.
Schlusselworter:
Integrierte Versorgung = integrated care, Hometreatment = hometreatment, Effektivitat = effectiveness, Psychiatrische
Versorgung = psychiatric care, Fallmanagement = case management
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