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KSI Krisen-, Sanierungs- und Insolvenzberatung Wirtschaft Recht Steuern Herausgeber: Peter Depré, Rechtsanwalt und Wirt- schaftsmediator (cvm), Fachanwalt für Insolvenzrecht Dr. Lutz Mackebrandt, Unternehmens- berater Gerald Schwamberger, Wirtschaftsprüfer und Steuerberater, Göttingen Herausgeberbeirat: Prof. Dr. Markus W. Exler, Fachhochschule Kufstein Prof. Dr. Paul J. Groß, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Köln WP/StB Prof. Dr. H.-Michael Korth, Präsident des StBV Niedersachsen/Sachsen- Anhalt e.V. Dr. Harald Krehl, DATEV eG, Nürnberg Prof. Dr. Jens Leker, Westfälische Wilhelms-Universität Münster Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Rektor der Handelshochschule Leipzig (HHL) Prof. Dr. Florian Stapper, Rechtsanwalt, Stapper Insolvenz- und Zwangsverwaltung, Leipzig Prof. Dr. Wilhelm Uhlenbruck, Richter a. D., Honorarprofessor an der Universität zu Köln Prof. Dr. Henning Werner, Dekan der Fakultät für Wirtschaft, SRH Hochschule Heidelberg www.KSIdigital.de 69037 Die interne Unternehmensnachfolge auf dem Krisen- Prüfstand [Thomas Erber / Prof. Dr. Markus W. Exler / Prof. Dr. Dr. Mario Situm, 53] Pensionsverpflichtungen als Risikofaktor [Jan Handzlik / Hamed Omumi / Michael Hollmann / Prof. Dr. Stefan Müller, 60] Beobachtungen zum Krisenverlauf bei Unternehmen auf brechenden Stützpfeilern [Dr. David Sonius / Dr. Harald Krehl, 64] Reputationswirkungen unternehmerischer Krisen- kommunikation [Rebecca Kolbe / Prof. Dr. Hans-Jürgen Wieben, 72] Die Rolle des Aufsichtsrats in der Krise [Dr. Sebastian Nimwegen/Bob Rajan, 80] BDU-Herbstkonferenz Sanierung: Haftungsgefahren vermeiden und Beratungschancen nutzen! [Dr. Hans-Jürgen Hillmer, 82] Deutscher Restrukturierungsmarkt auf gutem Weg? [Norbert Strecker und Michael Schmitt, 86] Praxisforum Fallstudien Arbeitshilfen Strategien Analysen Empfehlungen 02 . 13. Jahrgang März/April 2017 Seiten 49–96 17 © Copyright Erich Schmidt Verlag GmbH & Co. KG, Berlin 2017 - (http://www.ksidigital.de) 22.03.2017 - 09:13 587013053879 Lizenziert für Prof. Dr. Hans-Jürgen Wieben. Die Inhalte sind urheberrechtlich geschützt.

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KSIKrisen-, Sanierungs- und InsolvenzberatungWirtschaft Recht Steuern

Herausgeber:

Peter Depré, Rechtsanwalt und Wirt­schaftsmediator (cvm), Fachanwalt für Insolvenzrecht

Dr. Lutz Mackebrandt, Unternehmens­ berater

Gerald Schwamberger, Wirtschaftsprüfer und Steuerberater, Göttingen

Herausgeberbeirat:

Prof. Dr. Markus W. Exler, Fachhochschule Kufstein

Prof. Dr. Paul J. Groß, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Köln

WP/StB Prof. Dr. H.-Michael Korth, Präsident des StBV Niedersachsen/Sachsen­Anhalt e.V.

Dr. Harald Krehl, DATEV eG, Nürnberg

Prof. Dr. Jens Leker, Westfälische Wilhelms­Universität Münster

Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Rektor der Handelshochschule Leipzig (HHL)

Prof. Dr. Florian Stapper, Rechtsanwalt, Stapper Insolvenz­ und Zwangsverwaltung, Leipzig

Prof. Dr. Wilhelm Uhlenbruck, Richter a. D., Honorarprofessor an der Universität zu Köln

Prof. Dr. Henning Werner, Dekan der Fakultät für Wirtschaft, SRH Hochschule Heidelberg

www.KSIdigital.de

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Die interne Unternehmensnachfolge auf dem Krisen­Prüfstand [Thomas Erber / Prof. Dr. Markus W. Exler /Prof. Dr. Dr. Mario Situm, 53]

Pensionsverpflichtungen als Risikofaktor [Jan Handzlik / Hamed Omumi / Michael Hollmann / Prof. Dr. Stefan Müller, 60]

Beobachtungen zum Krisenverlauf bei Unternehmen auf brechenden Stützpfeilern [Dr. David Sonius / Dr. Harald Krehl, 64]

Reputationswirkungen unternehmerischer Krisen­ kommunikation [Rebecca Kolbe / Prof. Dr. Hans­Jürgen Wieben, 72]

Die Rolle des Aufsichtsrats in der Krise [Dr. Sebastian Nimwegen/Bob Rajan, 80]

BDU­Herbstkonferenz Sanierung: Haftungsgefahren vermeiden und Beratungschancen nutzen! [Dr. Hans­Jürgen Hillmer, 82]

Deutscher Restrukturierungsmarkt auf gutem Weg? [Norbert Strecker und Michael Schmitt, 86]

Praxisforum Fallstudien Arbeitshilfen

Strategien Analysen Empfehlungen

02.13. Jahrgang März/April 2017 Seiten 49–96

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KSI 2/17 72 Reputation und Krisenkommunikation

* Prof. Dr. Hans-Jürgen Wieben ist Studiengangs-leiter des Masters Controlling, Finanzen und Risikomanagement an der Fachhochschule für die Wirtschaft (FHDW) Hannover; Rebecca Kolbe, M.B.A., ist als Business Continuity Managerin in der Versicherungswirtschaft tätig.

1 Vgl. Coombs, Parameters for Crisis Communication, in: Coombs/Holladay (Hrsg.), The handbook of crisis communication, 2010, S. 19.

2 Vgl. Thießen, Organisationskommunikation in Krisen, 2011, S. 92.

3 Vgl. ebenda, S. 93. 4 Ebenda. 5 Vgl. Weyler, Wirkungen von Markenkrisen, 2013,

S. 95. 6 Vgl. Holladay, Are They Practicing What We Are

Preaching?, An Investigation of Crisis Communi-cation Strategies in the Media Coverage of Chemi-cal Accidents, in: Coombs/Holladay (Hrsg.), The handbook of crisis communication, 2010, S. 167.

7 Vgl. ebenda.

Reputationswirkungen unternehmerischer Krisen­kommunikationFallstudienbasierte Analyse auf der Grundlage der Situational Crisis Communication Theory

Rebecca Kolbe und Prof. Dr. Hans-Jürgen Wieben*

Unternehmenskrisen sind zu einem festen Bestandteil der medialen Berichterstattung geworden. Neben materiellen Schäden kön-nen Unternehmenskrisen signifikante Re-putationsschäden hervorrufen. Somit stehen Unternehmen nach Eintritt einer Krise vor der Herausforderung, aus einer Fülle an möglichen Reaktionen zu wählen und damit die weitere Entwicklung der Krise zu beein-flussen. Die Untersuchung dreier Praxisfälle soll Aufschluss darüber geben, welcher Kom-munikationsstrategien der Situational Crisis Communication Theory die untersuchten Unternehmen sich bedient haben und inwie-weit sich diese positiv oder negativ auf die Reputation der betroffenen Unternehmen ausgewirkt haben.

1. Die Situational Crisis Communi­cation Theory (SCCT) von Coombs & Holladay

1996 veröffentlichten Coombs & Holladay die Situational Crisis Communication The-ory (SCCT). Eine Krise wird in diesem Zusam-menhang definiert als die Wahrnehmung ei-nes unvorhergesehenen Ereignisses, welches die Erwartungen der Stakeholder signifikant bedroht und eine Organisation schwer schä-digen kann1.

Die beiden wesentlichen Annahmen der SCCT besagen, dass die Wahrnehmung einer Krise durch die Stakeholder des Unternehmens

sehr unterschiedlich ausfallen kann und dass diese Wahrnehmung insbesondere von der attribuierten Krisenschuld abhängt, also von der Höhe der Verantwortung, die dem Unter-nehmen für die Entstehung der Krise zuge-schrieben wird2.

1.1 Zur Typologie von Krisen

Auf der Basis dieser attribuierten Krisen-schuld werden in der SCCT drei Arten von Krisen unterschieden:

� Opferkrise (schuldlos): Hier wird dem Un-ternehmen – wenn überhaupt – nur eine sehr geringe Schuld an der Krise zuge-schrieben; daraus ergibt sich eine schwach ausgeprägte Beeinträchtigung der Unter-nehmensreputation.

� Unfallkrise (fahrlässig): Die zugeschrie-bene Verantwortlichkeit hält sich in Gren-zen, da das Unternehmen nur unbeabsich-tigt, höchstens leicht fahrlässig zur Entstehung der Krise beigetragen hat. Der zu erwartende Reputationsschaden ist als moderat einzustufen.

� Vermeidbare Krise (vorsätzlich): Im Ge-gensatz dazu führt die Wahrnehmung, die Krise sei vom Unternehmen durch bewuss-tes Fehlverhalten oder menschliches Versa-gen selbst herbeigeführt worden, zu einer immensen attribuierten Krisenschuld und kann einen beachtlichen Reputationsscha-den nach sich ziehen.

Die Tab. 1 auf S. 73 illustriert die genannten drei Krisenarten mit Beispielen.

1.2 Weitere Einflussfaktoren auf die Krisenschuld

Nach dem SCCT-Modell haben zwei weitere Faktoren einen verstärkenden Einfluss auf die wahrgenommene Krisenschuld und kön-nen damit das reputationsschädigende Po-tenzial einer Krise vervielfachen3:

� Krisenhistorie: Im Fokus liegt hier die Frage, ob das Unternehmen eine ver-gleichbare Krisensituation bereits erlebt hat und wie diese bewältigt wurde; ob sich also ein „Muster schlechten Verhaltens“4 ableiten lässt. Dies beeinflusst die dem Unternehmen für die aktuelle Krise beige-messene Krisenschuld: Der sog. Velcro Effect impliziert, dass eine negative Vor-geschichte wie ein Klettband an dem Un-ternehmen haftet und es bei einer erneu-ten Krise weiter belastet5. Dies wird durch die mediale Berichterstattung verstärkt, die darauf ausgelegt ist, aktuelle Gescheh-nisse in den Kontext der Vergangenheit einzuordnen6.

� Vorherige Reputation/Beziehung zu Sta­keholdern: Auch die vor Ausbruch der Krise bestehende Reputation des Unter-nehmens hat der SCCT zufolge einen ver-stärkenden Einfluss auf die Einschätzung der akuten Krisenschuld. Je angesehener das Unternehmen zuvor war, umso wohl-wollender unterstellen Stakeholder zu-nächst eine geringere Krisenschuld als bei einem ohnehin bereits reputationsgeschä-digten Unternehmen7.

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KSI 2/17 73Reputation und Krisenkommunikation

8 Vgl. Herrmann, Kommunikation bei Krisenaus-bruch, 2012, S. 77.

9 Vgl. Seemann, Corporate Reputation Management durch Corporate Communications, 2008, S. 38.

10 Vgl. ebenda, S. 39. 11 Angelehnt an Coombs, Academic Research: Pro-

tecting Organization Reputations During a Crisis, Corporate Reputation Review 10/2007 S. 168.

12 Angelehnt an Coombs, Parameters for Crisis Com-munication, in: Coombs/Holladay (Hrsg.), The handbook of crisis communication, 2010, S. 40.

Die nebenstehende Abb. 1 verdeutlicht den Einfluss dieser Modellvariablen auf die attri-buierte Krisenschuld und auf die Unterneh-mensreputation.

Der SCCT nach ist für die Reputationswir-kung also nicht entscheidend, inwiefern ein Unternehmen tatsächlich die Schuld an einer Krise trägt, sondern für wie schuldig es be-funden wird8.

2. Schutz der Reputation als Heraus forderung der Krisen­kommunikation

Die herausragende Aufgabe der Krisenkom-munikation ist es, die Reputation des krisen-befallenen Unternehmens vor einer Abwer-tung durch die Stakeholder zu schützen.

Die Reputation, die einem Unternehmen von seinen Stakeholdern beigemessen wird, kann interpretiert werden als die Summe der per-sönlichen Werturteile über definierte Eigen-schaften des Unternehmens, die auf dessen langfristigem konsistenten Verhalten fußen9. Die folgenden vier Attribute können bestim-mend sein, wobei ihre Bedeutungsschwer-punkte sich unterschiedlich auf vier Grup-pen von Stakeholdern verteilen:

� Glaubwürdigkeit – Investoren (Manage-ment ist verlässlich, täuscht nicht),

� Zuverlässigkeit – Kunden (Qualität der Pro-dukte),

� Vertrauenswürdigkeit – alle, besonders aber Mitarbeiter (Fairness),

� Verantwortungsbewusstsein – Gesellschaft (soziales und physisches Umfeld).

Daraus ergibt sich, dass die Reputation eines Unternehmens nicht von Fakten und Tatsa-chen, sondern von der Wahrnehmung des Unternehmenshandelns durch seine Stake-holder abhängt10.

3. Der Krise angemessene Kommunikationsstrategien nach SCCT

Die SCCT stellt jeder Krisenart nun empirisch gestützt rezeptionsorientierte Krisenkom-munikationsstrategien gegenüber, welche die Reputation des Unternehmens in größt möglichem Umfang schützen sollen. Die postulierten Strategien mitsamt ihrer rheto-rischen Botschaften lassen sich in drei Clus-ter unterteilen:

� Zurückweisung/Verweigerung: Versuch der Belegung, dass das Unternehmen keine Krisenschuld trägt, entweder weil über-haupt keine Krisensituation besteht, das Unternehmen nicht davon betroffen oder jemand/etwas anderes dafür verantwort-lich ist. Diese Strategie eignet sich der Theorie zufolge nur bei Opferkrisen.

� Milderung/Abschwächung: Versuch der Verringerung der attribuierten Krisen-schuld und der Ernsthaftigkeit der Krise über Rechtfertigungen oder Ausreden.

� Übereinkunft/Wiederaufbau: Versuch der gezielten Wiederherstellung verloren ge-gangener Reputation durch die Über-nahme von Verantwortung, korrektive Handlungen, vollständige Entschuldigung und die Unterstützung z. B. ermittelnder

Behörden oder Opfer. Je höher die attribu-ierte Krisenschuld und je höher der daraus zu erwartende Reputationsschaden, umso entgegenkommender sollte sich das Unter-nehmen verhalten.

Krisenart Beispiele Reputationsschädigung

Opferkrise (schuldlos)

Naturkatastrophen, erfundene Gerüchte, Gewalt am Arbeitsplatz, Sabotage

mild

Unfallkrise (fahrlässig)

Unfälle durch technisches Versagen, Produktfehler durch technisches Versagen, Anschuldigungen von Stakeholdern

moderat

Vermeidbare Krise (vorsätzlich)

Unfälle durch menschliches Versagen, Produktfehler durch menschliches Versagen, Fehlverhalten (insbesondere des Managements), Betrug, Gesetzes-bruch, bewusste Gefährdung von Stakeholdern

schwerwiegend

Tab. 1: Krisentypen nach SCCT11

Abb. 1: Modellvariablen SCCT12

Krise

Einfluss

Attribuierte Krisenschuld

Unternehmensreputation

Verhaltensabsichten

Krisenhistorie

Vorherige Reputation/

Beziehung zu Stakeholdern

Krisen-kommunikations-

strategie

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KSI 2/17 74 Reputation und Krisenkommunikation

13 Vgl. Thießen, Organisationskommunikation in Krisen, 2011, S. 165.

14 Vgl. HMI, HMI-Ausschreibungs-Flyer-Budapest- 2007, http://www.ergo.com/de/Unternehmen/Overview/Corporate-Governance/Compliance/Massnahmen/Wettbewerbsreisen-Incentives#Bud-apest-2007, Abrufdatum 12. 1. 2016.

15 Vgl. Ternés/Runge, Reputationsmangement Versicherungen, 2015, S. 27 ff.; Imdahl, Sündenfall Ergo, sieben Schritte, eine Marke zu ruinieren, Handelsblatt Wochenendausgabe v. 14. –16. 9. 2012, S. 54.

16 Vgl. Imdahl, ebenda, S. 52. 17 Vgl. Schiel, Management moralischer Risiken in

Unternehmen, 2014, S. 22. 18 Vgl. ERGO, Konzernrevision Fachbericht zur Prü-

fung HMI-Wettbewerbsreise – Budapest 2007, http://www.ergo.com/de/Unternehmen/Overview/Corporate-Governance/Compliance/Massnahmen/Wettbewerbsreisen-Incentives#Budapest-2007, Abrufdatum 12. 2. 2016.

1 9 Vgl. Ternés/Runge, Reputationsmangement Ver-sicherungen, 2015, S. 13 ff.

20 Vgl. Ternés/Runge, Reputationsmangement Ver-sicherungen, 2015, S. 28.

21 Eine von eigenen Mitarbeitern verfasste Darstel-lung des Wandlungsprozesses der ERGO findet sich in Steiner/Brück/Hoelken, ERGO: Eine Ver-sicherung verändert sich, in: Zimmermann (Hrsg.), Change Management in Versicherungsunterneh-men, 2015.

22 Vgl. Imdahl, Sündenfall Ergo, sieben Schritte, eine Marke zu ruinieren, Handelsblatt Wochenendaus-gabe v. 14. –16. 9. 2012, S. 54.

23 Interviews gab der Vorstandsvorsitzende Oletzky dem Spiegel (23. 5.) und der BILD-Zeitung (10. 6.), zudem wurde am 29. 6. 2011 eine Anzeige in fünf überregionalen Tageszeitungen geschaltet.

24 Vgl. http://www.ergo.com/de/Unternehmen/Over-view/Corporate-Governance/Compliance/Mass-nahmen/Wettbewerbsreisen-Incentives.

4. Anwendung der Kommunikations­strategien nach SCCT in aktuellen Krisenfällen

4.1 ERGO: Incentive­Reise nach Budapest 2007

4.1.1 Entstehung der Krise

Die ERGO Versicherungsgruppe AG – als eine der großen Versicherungsgruppen in Deutsch-land und Europa, 1997 gegründet als Zusam-menschluss von D.A.S., DKV, Hamburg- Mannheimer und Victoria – firmiert seit April 2016 unter ERGO Group AG.

Die Hamburg Mannheimer International (HMI), Vertriebsarm der 2010 im ERGO-Versi-cherungskonzern aufgegangenen Hamburg- Mannheimer, hatte am 4. 6. 2007 ihre rund 70 erfolgreichsten Vertreter zur Belohnung für gute Geschäfte in die historische Gellert- Therme in Budapest zur sog. „Party Total“14 eingeladen. Im Rahmen dieser Incentive-Ver-anstaltung konnten die Teilnehmer vor Ort die Dienste ca. 20 weiblicher Prostituierter in Anspruch nehmen, die ebenfalls von der HMI organisiert und bezahlt worden waren. Öf-fentlich bekannt wurde dies jedoch erst in 2011 und führte zu einer Reputationskrise15.

Die Krisenart ist der SCCT nach als vermeid-bare Krise einzustufen. Bewusstes und damit vorsätzliches Fehlverhalten (inappropriate actions nach SCCT) von z. T. hochrangigen Mitgliedern des Unternehmens (die Diskus-sionen und Anschuldigungen konzentrierten sich vor allem auf die Organisatoren und Financiers)16 als Ursache führte zu einer ho-hen attribuierten Krisenschuld. Dies macht deutlich, dass ein Unternehmen auch an sei-

nem Umgang mit gesellschaftlichen Erwar-tungen – wie dem Befolgen nicht explizit formulierter moralischer Regeln – gemessen wird17.

Zugute kam ERGO zunächst, dass keine ne-gative Krisenhistorie vorlag, jedoch steigerte sich die negative Wahrnehmung, als heraus-kam, dass es bereits vorher derartige Lustrei-sen gegeben hatte18 und der Vorfall in Buda-pest wider besseren Wissens als Einzelfall dargestellt worden war. Das Ansehen der Versicherungsbranche in Deutschland ist traditionell von wenig Vertrauen geprägt19, weshalb die vorherige Reputation als unter-schwellig negativ bis neutral bewertet werden kann. Allerdings hatte ERGO im Sommer 2010 die Imagekampagne „Versichern heißt verste-hen“ aufgesetzt20, die suggerierte, ERGO sei eine Versicherung der anderen Art, womit sich für ERGO die Chance bot, diese Krise konstruktiv für die Zurschaustellung der propagierten Tugenden Offenheit, Ehrlich-keit und Transparenz zu nutzen21.

Der SCCT zufolge hätten für den Krisentyp der vermeidbaren Krise Strategien der Über-einkunft angewandt werden sollen, welche Betroffenheit, Beichte, Eingeständnis und Entschuldigung beinhalten. Am erfolgver-sprechendsten wäre demnach ein offensives Vorgehen gewesen. Tatsächlich verlegte sich die ERGO zunächst auf Strategien der Zu-rückweisung und Vermeidung: Sobald mehr Details oder neue Informationen an die Öf-fentlichkeit gelangten, wurden diese abge-stritten oder als Einzelfälle klassifiziert, bis sie irgendwann nicht mehr zu leugnen waren und dann eingeräumt werden mussten (de-fensive Salami-Taktik)22. Diese erste Reak-

tion der ERGO steht im krassen Widerspruch zu den Empfehlungen der SCCT.

Im Verlauf der Krise änderte sich dies schritt-weise, indem ERGO auf die empfohlenen Strategien der Übereinkunft umschwenkte und sich zunächst öffentlich entschuldigte23, allerdings erst später vollständig transparent und ehrlich agierte. Dies geschah Ende Sep-tember 2012 über die öffentliche Bereitstel-lung sämtlicher interner Dokumente zum Skandal auf der Unternehmens-Homepage: Unter der Rubrik Compliance ist bis heute eine Aufstellung aller Original-Materialien und Revisionsberichte für die interessierte Öffentlichkeit zugänglich, wenn auch nicht prominent platziert24.

Die Reputations-Dimensionen Glaubwürdig-keit und Vertrauenswürdigkeit wurden mit der Art der Krisenkommunikation verletzt, da bewusst falsche Aussagen veröffentlicht wurden in der Hoffnung, dass die Wahrheit

Tab. 2: Krisenreaktionsstrategien nach SCCT13

Krisenart Strategie-Cluster Rhetorische Botschaftsstrategie

Opferkrise Strategien der Zurückweisung n Attacken Zurückweisungn Sündenbock

Unfallkrise Strategien der Milderung n Vorwandn Rechtfertigung

Vermeidbare Krise Strategien der Übereinkunft n Liebenswürdigkeitn Betroffenheitn Beichten Eingeständnisn Entschuldigung

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KSI 2/17 75Reputation und Krisenkommunikation

31 Vgl. National Commission on the BP Deepwater Horizon Oil Spill and Offshore Drilling, Deep Water, The Gulf Oil Disaster and the Future of Offshore Drilling, Report to the President, 2011, S. 16 ff., https://www.gpo.gov/fdsys/pkg/GPO-OILCOMMIS-SION/pdf/GPO-OILCOMMISSION.pdf, Abrufdatum 7. 5. 2016.

32 Vgl. Meier, BP-Motto: „Macht das Loch endlich fertig!“, 2010, http://www.heise.de/tp/artikel/32/ 32973/, Abrufdatum 26. 2. 2016.

33 Vgl. Schmitt-Tegge, Die lange Katastrophe der „Deepwater Horizon“, Die Welt, 2015, http://www.welt.de/wissenschaft/article139533067/Die-lange- Katastrophe-der-Deepwater-Horizon.html, Abruf-datum 13. 5. 2016.

34 BPs eigener Bericht befindet: “A complex and inter-linked series of mechanical failures, human judg-ments, engineering design, operational implementa-tion and team interfaces came together to allow the initiation and escalation of the accident. Multiple companies, work teams and circumstances were in-volved over time. ”BP, Deepwater Horizon Accident Investigation Report, 2010, S. 5. Damit versuchte BP, die Krise zunächst als Unfallkrise darzustellen (technical error) oder bei der vermeidbaren Krise zu-mindest als human error accident und nicht als or-ganizational misdeed, http://www.bp.com/content/dam/bp/pdf/sustainability/issue-reports/Deepwater_Horizon_Accident_Investigation_Report_Executive_summary.pdf, Abrufdatum 7. 5. 2016.

35 Transocean ist Eigentümer und Plattformbetreiber der gesunkenen Deep Water Horizon. Der Öldienst-leister Halliburton war von BP mit der Durchfüh-rung von Zementarbeiten zur Druckbalance und Versiegelung des Bohrlochs beauftragt.

36 Vgl. National Commission on the BP Deepwater Horizon Oil Spill and Offshore Drilling, Deep Wa-ter, The Gulf Oil Disaster and the Future of Offshore Drilling, Report to the President, 2011, S. 114, https://www.gpo.gov/fdsys/pkg/GPO-OILCOMMIS-SION/pdf/GPO-OILCOMMISSION.pdf, Abrufdatum 7. 5. 2016.

37 Vgl. Eberle/Slodczyk, Für BP wird die Luft im Öl-Drama dünn, ZEIT ONLINE 2010, http://www.zeit.de/wirtschaft/unternehmen/2010-05/bp-aktionaere, Abrufdatum 22. 2. 2016.

nicht offenbar werde (Stichwort „Einzelfall“), womit auch eine Verletzung des Produktver-sprechens der Ehrlichkeit, Offenheit und Transparenz einhergeht25. Verantwortungs-bewusstsein bewies ERGO wieder mit der Er-lassung härterer Compliance-Richtlinien zur Verhinderung einer Wiederholung des Vor-falls, an den naturgemäß auch rechtliche Ri-siken geknüpft sind26.

Insgesamt gesehen wurde in verschiedensten Medien und Kanälen die anfängliche Krisen-kommunikation der ERGO stark kritisiert und besonders in Verbindung mit der Image-kampagne als Negativbeispiel ausgelegt, da sie gegen die wesentlichen Qualitätskriterien Offenheit, Transparenz und Glaubwürdigkeit verstieß. Damit nutzte ERGO das der Krise innewohnende konstruktive Potenzial, den Beweis für die Wahrhaftigkeit seines Pro-duktversprechens (Versichern heißt Verste-hen) anzutreten, zunächst nicht.

4.1.2 Krisenauswirkungen auf ERGO

Die Verletzung der neuen Produktverspre-chen Offenheit, Ehrlichkeit und Transparenz bei aller Seriosität eines Versicherungsunter-nehmens führte nach eigener Auskunft der ERGO zur Kündigung von 500 Verträgen (bei 20 Mio. Kunden) mit explizitem Hinweis auf den Skandal27, wobei sowohl der Verlust potenzieller Neukunden als auch skandalbe-dingte Kündigungen ohne expliziten Hinweis

im Dunkeln verbleiben. Der Geschäftsbericht 2010 vermeldet unter dem Gesichtspunkt Re-putationsrisiken, negative Effekte auf die Neugeschäfts- und Stornoentwicklung seien nicht festgestellt worden28. Ein massives Imageproblem war auch rund ein Jahr später nicht erkennbar, wie YouGov (Analysehaus für das Image von Marken und Unterneh-men) analysierte: Der YouGov-Markenbaro-meter Assekuranzen vom Mai 2012 wies in den sog. Stimulanzkriterien – die für die Neukundengewinnung entscheidend sind – sogar Spitzenpositionen bei Werten für Kre-ativität und Bekanntheit der Marke aus29. Auch ERGO selbst sieht die Marke in 2013 als nicht signifikant durch den Skandal geschä-digt an30. Zudem lassen sich in der GuV ge-nauso wie in den Kursveränderungen der Aktien keine Hinweise auf eine nachhaltige Schädigung finden.

4.2 BP: Havarie der Ölplattform Deep Water Horizon 2010

4.2.1 Entstehung der Krise

Am Abend des 20. 4. 2010 ereignete sich auf der durch BP vom Schweizer Tiefsee-Bohr-spezialisten Transocean geleasten Erkun-dungsplattform „Deep Water Horizon“ im Golf vom Mexiko, deren Auftrag die Schaf-fung abgesicherter Bohrlöcher war, ein sog. Blow out: Der unzureichende Verschluss des Bohrlochs kollabierte unter dem Druck, so-dass Bohrschlamm, Öl und Gas ausströmten, wobei sich das Gas entzündete und die Platt-form in Brand setzte. Bei der darauf folgen-den Explosion kamen elf Mitarbeiter um ihr Leben.

Stunden später sank die Plattform z. T. ins Meer, was zum vollständigen Aufbrechen des Bohrlochs und dem ungehinderten Auslaufen von Rohöl in den Golf von Mexiko führte, bis das Bohrloch erst 87 Tage nach der Havarie und mehreren Fehlversuchen geschlossen werden konnte31. Dies dauerte deshalb so lange, weil die Havarietechnik gerade für Schadensfälle im Tiefwasser der Ozeane un-terentwickelt war32. Insgesamt gelangten dem letzten Richterbeschluss zufolge rund 3,19 Mio. Barrel – mehr als 380 Mio. Liter – Rohöl ins Meer, was die größte Ölpest in der Ge-schichte der USA auslöste33.

Die Krisenart ist der SCCT zufolge ganz klar eine vermeidbare Krise34. Bewusstes und

25 Zudem gab es parallel zum Budapest-Skandal das Problem der fehlerhaften Lebensversicherungen, welche das Produkt an sich bzw. die Beratungsleis-tung der ERGO unzuverlässig erscheinen ließen.

26 Vgl. Marcelli, Das Governance-System in der Ver-sicherungsgruppe nach Solvency II, in: Deutsch u. a. (Hrsg.), Kölner Reihe – Beiträge zum Privat- und Wirtschaftsrecht, Bd. 121, 2015, S. 45.

27 Vgl. Neuen, Wir halten den Kopf hin, Interview mit Alexander Becker (Chef der externen Kommunika-tion von ERGO), Prmagazin 7/2011, http://www.pr-magazin.de/meinung-analyse/interviews/wir-hal-ten-den-kopf-hin.html, Abrufdatum 28. 1. 2016.

28 Vgl ERGO, Geschäftsbericht ERGO-Konzern 2011, 2012.

29 Vgl. Toller, Ergo-Versicherung, Solide Geschäfte in der Image-Hölle, Wirtschaftswoche 2012, http://www.wiwo.de/unternehmen/versicherer/ergo-ver-sicherung-solide-geschaefte-in-der-image-hoel-le/7326806-all.html, Abrufdatum 5. 5. 2016.

30 Vgl. Bufe, Video-Interview mit Alexandra Bufe (Leiterin Media Relations ERGO Versicherungs-gruppe AG), 2013, http://www.jp-kom.de/blog/leis-tungen/krisenkommunikation-zugespitzt-beschleu-nigt-internationalisiert, Abrufdatum 9. 5. 2016.

grob fahrlässiges Fehlverhalten von Mitglie-dern des Unternehmens als endogene Katas-trophenursache führte zu einer sehr hohen attribuierten Krisenschuld, auch wenn dem offiziellen Untersuchungsbericht zufolge auch Transocean und Halliburton35 eine Mitschuld tragen und somit als exogene Ur-sachen miteinzubeziehen sind36.

Zudem lag eine überaus negative Krisenhis-torie vor: So war es 2005 in einer BP-Raffine-rie in Texas zu einer Explosion gekommen, bei der 15 Mitarbeiter starben und über 170 verletzt wurden. Wegen Verstößen gegen Si-cherheitsvorschriften wurde BP zu einer Strafe von 87 Mio. Dollar verurteilt. 2006 kam es aufgrund einer lecken Pipeline in Alaska zu einer Ölpest, wofür BP 20 Mio. US-Dollar Strafe zahlte37.

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KSI 2/17 76 Reputation und Krisenkommunikation

38 Vgl. TAZ, Greenwash von BP, Klarsicht dank Öl-teppich, 2010, http://www.taz.de/!5142233/, Ab-rufdatum 7. 5. 2016.

39 Vgl. Fuchs/Ruprecht, Scheinheilige grüne Sonne, 2010, http://www.3sat.de/kulturzeit/themen/ 144771/index.html, Abrufdatum 7. 5. 2016.

40 Vgl. De Wolf/Mejri, Crisis communication failures: The BP Case Study, International Journal of Ad-vances in Management and Economics 2/2013 S. 52 f.

41 Vgl. Hertsgaard, Giftige Kosmetik, ZEIT ONLINE 2013, http://www.zeit.de/2013/17/bp-oelkatastro-phe-golf-von-mexiko-corexit, Abrufdatum 14. 5. 2016.

42 Vgl. Spiegel Online, BP löscht manipulierte Fotos, 2010, http://www.spiegel.de/wirtschaft/unterneh-men/internetpanne-bp-loescht-manipulierte-fo-tosa-708150.html, Abrufdatum 13. 5. 2016.

43 Vgl. Gruber, Nachhaltig zerstört, Werben & Ver-kaufen 23/2010 S. 26.

44 Vgl. Hertsgaard, Giftige Kosmetik, ZEIT ONLINE 2013, http://www.zeit.de/2013/17/bp-oelkatastro-phe-golf-von-mexiko-corexit, Abrufdatum 14. 5. 2016.

45 Vgl. Pitzke, BP-Zensoren verschleiern die Umwelt-katastrophe, Spiegel Online 2010, http://www.spie-gel.de/wissenschaft/natur/oelpest-im-golf-bp-zen-soren-verschleierndie-umweltkatastrophe-a-700128.html, Abrufdatum 7. 5. 2016.

46 BP, Annual Report and Form 20-F 2015, 2016, S. 42. 47 Vgl. Spiegel Online, Deepwater Horizon: Ölkatas-

trophe kostet laut BP knapp 62 Mrd. Dollar, 2016, http://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/deep-water-horizon-bp-beziffert-kosten-auf-62-milliar-den-dollar-a-1103100.html, Abrufdatum 25. 10. 2016.

48 Stockrahm, Die Sprache der Ölpest, ZEIT ONLINE 2010, http://www.zeit.de/digital/2010-06/bp-kam-pagnen-internet, Abrufdatum 22. 1. 2016.

49 Pitzke, BP-Zensoren verschleiern die Umweltkatas-trophe, Spiegel Online 2010, http://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/oelpest-im-golf-bp-zenso-ren-verschleierndie-umweltkatastrophe-a-700128.html, Abrufdatum 7. 5. 2016.

50 Die Studie „l2th Annual Harris Interactive U.S. Re-putation Quotient (RQ) Survey“ fand heraus, dass BP von Amerikanern als eine der am schlechtesten angesehenen Firmen klassifiziert wurde. Vgl. De Wolf/Mejri, Crisis communication failures: The BP Case Study, International Journal of Advances in Management and Economics 2/2013 S. 48.

BPs spätere Krisenkommunikation ist auch im Zusammenhang mit den imagebildenden Maßnahmen seit Ende der Neunzigerjahre zu sehen (die Kosten dafür betrugen über 200 Mio. US-Dollar), welche die traditionell eher negative vorherige Reputation der Bran-che als Umweltsünder für BP verbessern soll-ten38. BP hatte in 2000 das grüne Sonnenrad als neues Logo eingeführt und so versucht, sich als „grünes Unternehmen“ und Vorreiter für regenerative Energien zu positionieren. BP sollte nun für „Beyond Petroleum“ stehen (früher „British Petroleum“), obwohl noch über 90 % des BP-Geschäfts aus Öl und Gas resultierten, was BP im Nachhinein den Vor-wurf des Greenwashing einbrachte39.

Das Krisenmanagement sowie auch die Kri-senkommunikation bei BP sind von einer Vielzahl an Pannen und Unzulänglichkeiten gekennzeichnet. Der SCCT zufolge sind bei einer vermeidbaren Krise Strategien der Übereinkunft anzuwenden, welche Betroffen-heit, Beichte, Eingeständnis und Entschuldi-gung beinhalten, wobei ein offensives Vorge-hen angeraten wird. Stattdessen bediente sich BP entgegen den Empfehlungen der SCCT zunächst der Strategien der Zurückweisung mit Attackieren, Zurückweisen eigener Ver-antwortlichkeit und Benennen eines Sünden-bocks (Transocean), was möglicherweise auch aus haftungsrechtlichen Gründen ge-schah40. Auch wurden zunächst falsche In-formationen zur Menge des auslaufenden Öls veröffentlicht41 und sogar mit Photoshop manipuliertes Bildmaterial in Social Media eingestellt, was BP einige Tage später einräu-

men musste42. Offizielle Anteilnahme mit den Opfern und umfangreiche Entschuldigungen für die katastrophalen Auswirkungen der Havarie dagegen erfolgten erst später43, was öffentlich stark kritisiert wurde.

Die Reputations-Dimensionen Vertrauens-würdigkeit und Verantwortungsbewusstsein wurden durch das Verhalten in der Krise enorm in Mitleidenschaft gezogen: Die Ver-wendung der extrem schädlichen Chemikalie Corexit44 und das fahrlässige und nicht risi-koadäquate Verhalten vor der Havarie ließen BP wenig verantwortungsbewusst wirken, womit eine Diskrepanz zwischen Tun und Sa-gen (vorherige Image-Kampagne) einherging. Die Glaubwürdigkeit litt besonders durch die selektive Darstellung und das Verbreiten von Unwahrheiten und Verharmlosungen, wes-halb die Aufrichtigkeit der Aussagen BPs von immer mehr Beobachtern in Zweifel gezogen wurde45. Von Zuverlässigkeit konnte nach zahlreichen Fehlschlägen bei der Verschlie-ßung des Bohrlochs kaum noch die Rede sein; das Unternehmen wirkte eher hilflos und schien die Katastrophe nicht unter Kontrolle zu bekommen.

4.2.2 Krisenauswirkungen auf BP

An der Börse verloren BP-Papiere während der Akutphase der Krise mehr als die Hälfte ihres Werts (maximal – 55,8 %, vgl. Abb. 2). BP wurde 2015 von der US-amerikanischen Umweltschutzbehörde USEPA zur Rekord-strafzahlung i. H. von 20,8 Mrd. US-Dollar verurteilt. Das Unternehmen beziffert die

Gesamtkosten der Havarie in einer vorläufi-gen Endabrechnung von Juli 2016 auf rund 62 Mrd. US-Dollar, wobei steuerliche Effekte die Rechnung auf 44 Mrd. US-Dollar drü-cken47.

Die daraus abzuleitende Reputationswirkung kann nur als desaströs bezeichnet werden. BP wurde mit seinem „Image des gierigen und rücksichtslosen Ölmultis“48 (Medien-analyse) besonders in den USA zeitweise zum „Feindbild Nummer eins“49, was den tatsächlich entstandenen Schaden um ein Vielfaches potenziert und sich weltweit er-streckt50. Es finden sich Hinweise auf die

Abb. 2: Havarie­Kostenaufstellung bis einschließlich 201546

1

2

3

4

5 6

1. Spill response 14.3 2. Environmental 8.6 3. Litigation and claimsb 22.6 4. Clean Water Act penalties 4.1 5. Other fines 4.5 6. Functional costs 1.4

Total 55.5

Analysis of cumulative $ 55.5 billiona charge to the income statement ($ billion)

a The cumulative income statement charge does not include amounts that BP considers are not possible to measure reliably at this time.

b The litigation and claims cost is net of recoveries of $ 5.7 billion.

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KSI 2/17 77Reputation und Krisenkommunikation

55 Im Jahr 1993 verunglückte ein Airbus A 320 der Lufthansa bei der Landung in Warschau, wobei zwei Menschen um ihr Leben kamen. Vgl. Busse/Flottau/Schäfer, Der Mann, der redet, Süddeutsche Zeitung 2015, http://www.sueddeutsche.de/pano-rama/report-im-krisenmodus-1.2414002, Abrufda-tum 29. 4. 2016.

56 Der Abschlussbericht der BEA beinhaltet eine Aufstellung zwölf vergangener Unfälle und Stö-rungen für den Zeitraum ab 1980 (Terrorismus ausgeschlossen), die durch bewusst durchgeführte oder versuchte Manöver durch ein Besatzungsmit-glied verursacht wurden oder bei denen das Ver-halten eines Besatzungsmitglieds signifikant durch eine psychische Störung beeinflusst wurde, was sich auf die Sicherheit des Flugs auswirkte. Lufthansa-Flüge sind nicht dabei. Vgl. hierzu Bureau d’Enquêtes et d’Analyses pour la sécurité de l’aviation civile, Abschlussbericht Unfall am 24. 3. 2015 in Prads-Haute-Bléone (Alpes-de- Haute-Provence, Frankreich) mit einem Airbus A320-211 Kennzeichen D-AIPX betrieben von Germanwings, Le Bourget Cedex-France, 2016, S. 80 ff.

57 Vgl. Roselieb, Germanwings-Absturz: Drei Dinge, die man von Lufthansas Krisenmanagement lernen kann, Absatzwirtschaft 2015, http://www.absatz-wirtschaft.de/fall-germanwings-wie-sehr-erschuet-tern-krisen-das-vertrauen-der-konsumenten- 52481/, Abrufdatum 6. 5. 2016.

58 Vgl. Busse/Flottau/Schäfer, Der Mann, der redet, Süddeutsche Zeitung 2015, http://www.sueddeut-sche.de/panorama/report-im-krisenmo-dus-1.2414002, Abrufdatum 29. 4. 2016.

59 Kurz vor dem Unglück zeigte eine Umfrage, dass 58 % der Befragten das Image der Lufthansa durch den andauernden Piloten-Streik gefährdet sahen, wobei 31 % sogar einen dauerhaften Imageverlust befürchteten. Vgl. Amerland, Kunden bleiben Lufthansa treu, 2015, https://www.springerprofes-sional.de/krisenkommunikation/public-relations/kunden-bleiben-lufthansa-treu/6602884, Abruf-datum 29. 4. 2016.

60 Busse/Flottau/Schäfer, Der Mann, der redet, Süd-deutsche Zeitung 2015, http://www.sueddeutsche.de/panorama/report-im-krisenmodus-1.2414002, Abrufdatum 29. 4. 2016.

61 Vgl. Hank, Aufrecht im Mediengewitter, FAZ 2015, http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/unterneh-men/lufthansa-chef-carsten-spohr-aufrecht- im-mediengewitter-13511270.html, Abrufdatum 29. 4. 2016.

Verletzung der Gütekriterien Transparenz, Glaubwürdigkeit und ganz besonders Dialog orientierung (Aussperren der Journa-listen). Zwischenzeitlich belief sich der Re-putationsschaden gemessen am Verlust des Markenwerts auf rund 1 Mrd. US-Dollar51. BP wurde in der Öffentlichkeit als Sündenbock dargestellt und für höchst schuldig befunden, obwohl BP 2014 gerichtlich nur ein Anteil von 67 % an der Gesamtschuld zugeteilt wurde, während die Richter Transocean und Halliburton wegen fahrlässigen Verhaltens 30 % bzw. 3 % der Schuld zuwiesen52.

4.3 Germanwings: Absturz Flug 9525 in 2015

4.3.1 Entstehung der Krise

Die Germanwings GmbH nahm im Jahr 2002 ihren Flugbetrieb als Billigfluggesellschaft auf. Sie war eine Tochtergesellschaft der Luft-hansa Gruppe, die seit Januar 2009 100 % der Anteile hielt. Im Oktober 2015 ging German-wings in der Marke Eurowings auf, was aller-dings unabhängig vom Absturz des Flugs 9525 strategisch geplant war53.

Der Germanwings Linienflug 9525 (Airbus A320-211, Kennzeichen D-AIPX) war am Morgen des 24. 3. 2015 auf seiner planmäßi-gen Route von Barcelona nach Düsseldorf unterwegs, als der psychisch erkrankte Ko-pilot den Absturz in suizidaler Absicht her-beiführte. Die Maschine zerschellte in den südfranzösischen Alpen im Département Alpes-de-Haute-Provence, wobei alle 150 Insassen um ihr Leben kamen54.

Die Krisenart kann nach der SCCT ebenso wie die Ursache verschiedentlich eingestuft

werden. Der endogenen Theorie folgend ist der Absturz als vermeidbare Krise einzustu-fen, da von einem Unternehmensmitglied vorsätzlich gehandelt wurde (human error infolge einer psychischen Krankheit). Dies würde angesichts des hohen Verlusts von Menschenleben eine enorme attribuierte Kri-senschuld mit sich bringen. Folgt man der Argumentation der exogenen Ursachen durch die fehlende Möglichkeit der Germanwings, das Unglück zu verhindern, handelt es sich um eine Opferkrise, an der das Unternehmen nur eine minimale Mitschuld trägt und selbst zum Opfer wird.

Bezüglich der Krisenhistorie lässt sich an-führen, dass sich im Lufthansa-Konzern zu-letzt 1993, also 22 Jahre zuvor, ein Unglück mit zwei Todesopfern ereignete55, welches jedoch keine vergleichbaren Umstände auf-weist und deshalb nicht negativ angerechnet wurde56.

Lufthansa/Germanwings konnte in der Krise von einem enormen Reputationspolster zeh-ren57. In Sicherheitsrankings stand Europas größte Fluggesellschaft, zu der neben Luft-hansa auch Swiss, Austrian Airlines, Ger-manwings oder Eurowings gehören, immer auf den Spitzenplätzen weit vor der Konkur-renz; sie galt als sicher und solide58. Durch vorangehende Pilotenstreiks mit Flugausfäl-len signifikanten Ausmaßes hatte die Re-putation jedoch vorab gelitten, allerdings hinsichtlich der Zuverlässigkeit und Pünkt-lichkeit der Flüge und nicht hinsichtlich ih-rer Sicherheit59.

Der SCCT zufolge sind für den Krisentyp der vermeidbaren Krise Strategien der Überein-kunft anzuwenden, welche Betroffenheit, Beichte, Eingeständnis und Entschuldigung beinhalten. Am erfolgversprechendsten wäre demnach ein offensives Vorgehen. Die These, Germanwings und damit die Lufthansa be-fänden sich in einer Opferkrise, würde Strate-gien der Zurückweisung mit Attackieren und Benennen eines Sündenbocks implizieren. Die Krisenkommunikation der Lufthansa be-schränkte sich allerdings durchweg auf Stra-tegien der Übereinkunft: Schon zu Beginn der Krise, als die Ursachen noch unbekannt wa-ren und es im Bereich des Möglichen lag, dass das Unternehmen ein Verschulden traf, ent-schuldigte sich Vorstand Spohr öffentlich und zeigte tiefe Betroffenheit: „Wir sind hier alle zutiefst erschüttert und bestürzt.“60

51 Vgl. Bunnenberg, Recht und Reputation, Die Bank 8/2015 S. 44 –46.

52 Vgl. Spiegel Online, US-Gericht wirft BP „grobe Fahrlässigkeit“ vor, 2014, http://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/deepwater-horizon-bp- traegt-hauptschuldan-oelkatastrophe-a-989960.html, Abrufdatum 7. 5. 2016.

53 Vgl. Ebner, Warum aus Germanwings jetzt Eurowings wird, Spiegel Online 2015, http://www.spiegel.de/reise/aktuell/lufthansa-marken-aus-ger-manwings-wird-eurowings-a-1058892.html, Ab-rufdatum 13. 5. 2016.

54 Vgl. Bureau d’Enquêtes et d’Analyses pour la sécurité de l’aviation civile, Abschlussbericht Un-fall am 24. 3. 2015 in Prads-Haute-Bléone (Alpes -de-Haute-Provence, Frankreich) mit einem Airbus A320-211 Kennzeichen D-AIPX betrieben von Germanwings, Le Bourget Cedex-France, 2016, S. 8 ff.

Die Krisenkommunikation ließ sich von den schnell aufkeimenden Spekulationen über Ursachen und Schuldige nie zu voreiligen Besänftigungen oder Unschuldsbekenntnis-sen verleiten und distanzierte sich von Spe-kulationen; wählte also bewusst keine Stra-tegien der Zurückweisung und suchte keinen Sündenbock61. Insgesamt zeichnete sich das Krisenmanagement der Germanwings bzw. der Lufthansa durch eine enorme Struktu-riertheit aus, was auch auf das Vorliegen eines umfassenden Systems der Krisenvorberei-tung (aktives Krisenmanagement) zurückzu-

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KSI 2/17 78 Reputation und Krisenkommunikation

62 Vgl. ZEIT ONLINE, Lufthansa-Chef Spohr ver-spricht Hilfe so lange wie nötig, 2015, http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2015-04/luft-hansa-carsten-spohr-germanwingsabsturz-hilfe, Abrufdatum 29. 4. 2016. Im Folgenden wird noch darauf eingegangen, dass sich einige Angehörigen etwas später in einem offenen Brief an die Luft-hansa als sehr enttäuscht über die Umsetzung die-ser Versprechen zeigten. Vgl. Tagesschau, Brief Angehörige an Lufthansa, 2015, https://www.ta-gesschau.de/inland/germanwings-absturz-183.pdf, Abrufdatum 29. 4. 2016.

63 Vgl. Lufthansa, Geschäftsbericht 2015, 2016, S. 25. 64 Vgl. Amerland, Kunden bleiben Lufthansa treu,

2015, https://www.springerprofessional.de/krisen-kommunikation/public-relations/kunden-bleiben -lufthansa-treu/6602884, Abrufdatum 29. 4. 2016.

65 Vgl. Koutoumanos, Lufthansa: Absturz belastet Gewinn nicht, Frankfurter Neue Presse, 2015, http://www.fnp.de/nachrichten/wirtschaft/Luft-hansa-Absturz-belastet-Gewinnnicht; art686,1386915, Abrufdatum 13. 5. 2016.

66 Vgl. Herrmann, Kommunikation bei Krisenaus-bruch, 2012, S. 84.

führen ist und bestätigte den erhaltenen Glaubwürdigkeitsvorschuss: Die Reputations- Dimensionen Vertrauenswürdigkeit und Ver-antwortungsbewusstsein wurden durch das Verhalten in der Krise eher noch gestärkt, da Lufthansa den Angehörigen sofort unbüro-kratische finanzielle Soforthilfen und auch darüber hinausgehende Unterstützung zu-sagte und damit Verantwortung für die Fol-gen der Krise übernahm62.

4.3.2 Krisenauswirkungen auf Germanwings/Lufthansa

Ein Kundeneinbruch unmittelbar nach dem Absturz blieb nach Unternehmensangaben sowohl bei Lufthansa als auch bei German-wings aus63; es kam zu keinen signifikanten Umbuchungen und Stornierungen64. Dazu trug sicher nicht zuletzt bei, dass keine tech-nischen Gründe für den Absturz vorlagen und somit das primäre Produktversprechen Si-cherheit nicht verletzt wurde. Bilanziell sind nach Angaben der Lufthansa keine Auswir-kungen des Unglücks in 2015 erkennbar; zudem seien mögliche Schadenersatz-Forde-rungen von den Versicherungen des Unterneh-mens gedeckt. Diese beziffern die erwarteten Erstattungsansprüche derzeit auf 300 Mio. US-Dollar (rund 277 Mio. o)65.

Das einzig Konstruktive an dem Unglück kann aus der Reputationswirkung abgeleitet werden: Durch die vorbildliche Krisenkom-munikation konnte sich Lufthansa als ver-trauenswürdiges, verantwortungsbewusstes Unternehmen platzieren und vor einem Imageverlust retten, sodass signifikante Auswirkungen auf das Geschäft der Luft-hansa ausblieben.

5. Fazit: Wirksamkeit der Krisen­kommunikationsstrategien nach SCCT in akuten Krisenfällen

Sowohl bei der ERGO als auch bei BP wurde der SCCT zufolge zunächst eine falsche rhe-torische Botschaftsstrategie gewählt, doch die Auswirkungen unterschieden sich mas-siv: ERGO trug trotz falscher Kommunikati-onsstrategie kaum messbare Folgen der Re-putationskrise davon. Das lässt sich auf zweierlei Arten deuten: Entweder ist der Re-putationsschaden einer reinen Reputati-onskrise nicht nachhaltig, sodass der Einfluss der Reaktionsstrategie von der SCCT über-

schätzt wird, oder das spätere Umschwenken auf die transparente Übereinkunftsstrategie konnte den Reputationsschaden egalisieren. Allerdings ist bei diesem Praxisfall der echte Schaden für die Kunden vergleichsweise ge-ring; vermutlich wirkte sich daher auch die hohe attribuierte Krisenschuld kaum aus.

Im Gegensatz dazu verursachte die Katastro-phe bei BP enorme destruktive Auswirkun-gen auf verschiedenste Stakeholder, weshalb sich die falsche Kommunikationsstrategie als Verstärker der Krise manifestierte und den Reputationsschaden von BP potenzierte. Das Umschwenken auf die Übereinkunftsstrate-gie kam deutlich zu spät und brachte nicht mehr den gewünschten Effekt, da BP die hierfür erforderliche Glaubwürdigkeit vorab verspielt hatte und diese nicht innerhalb kur-zer Zeit wieder aufzubauen ist. Die überaus negative Krisenhistorie tat ihr Übriges dazu, dass die Öffentlichkeit die BP-Entschuldi-gungs-Strategie nicht mehr ernst nahm. Da-raus lässt sich Folgendes ableiten: Eine schlechte Krisenhistorie verschlimmert die Situation merklich (BP), eine gute bringt aber keine Vorteile (ERGO)66. Sowohl bei ERGO als auch bei BP ereigneten sich die Krisen zudem unmittelbar nach den jeweiligen Imagekam-pagnen, die dadurch möglicherweise in Tei-len konterkariert wurden.

Germanwings bzw. Lufthansa verließen sich vorsichtshalber auf die Übereinkunftsstrate-gie und handelten offensiv unter Inkauf-nahme des rechtlichen Risikos von als Schuldeingeständnis auslegbaren Statements, wobei dies angesichts des Ausmaßes des Ver-lusts an Menschenleben zu rechtfertigen ist. Jedes andersgeartete Verhalten hätte aller Wahrscheinlichkeit nach einen Sturm der Entrüstung ausgelöst und die Reputation des Unternehmens massiv geschädigt. Auch nach der Feststellung einer sehr geringen at-tribuierten Krisenschuld blieb Lufthansa bei der Übereinkunftsstrategie, was sich keines-falls negativ auswirkte. Es sind keine nen-nenswerten Reputationsschäden zu ver-zeichnen, obwohl bei diesem Praxisfall mit Abstand am meisten Menschen um ihr Leben gekommen sind und somit die destruktiven Auswirkungen diesbezüglich am höchsten waren. Dies stützt die These der SCCT, dass die attribuierte Krisenschuld (es handelte sich um eine Opferkrise) Einfluss auf die Re-putationskonstitution hat und nicht nur die Schadenhöhe diese determiniert. Die Prä-

misse dieser Krisenkommunikation, sich lie-ber einmal zu viel zu entschuldigen als ein-mal zu wenig, ging insofern auf. Hätten technische Defekte zum Absturz geführt oder hätte Germanwings ein anderes Verschulden getroffen, hätte sich der Reputationsschaden trotz vorbildlicher Krisenkommunikation si-cher anders dargestellt.

6. Kritische Würdigung des Modell­einsatzes

Insgesamt gesehen lässt sich aus der Analyse der Praxisfälle schließen, dass sich die These der SCCT – die ursprüngliche Höhe der ver-schiedenen destruktiven Krisenwirkungen determiniere nicht zwingend den Reputati-onsschaden für das Unternehmen – bestä-tigt. Es besteht offensichtlich ein Hand-lungsspielraum für Unternehmen, allerdings ist auch das Maß der attribuierten Krisen-schuld wesentlicher Einflussfaktor auf die Reputationswirkung. Eine falsch gewählte Kommunikationsstrategie kann klar zu einer Verschärfung der Krise führen; inwieweit eine korrekt gewählte Strategie die Reputa-tion messbar schützen kann, ist anhand der untersuchten Praxisfälle nicht zweifelsfrei feststellbar. Hierzu müsste auch der Einfluss der speziellen Krisenarten Reputationskrise oder Ad-Hoc-Krise bestimmbar sein und es müssten Krisen mit ähnlichen destruktiven Auswirkungen und ähnlicher attribuierter Krisenschuld, aber unterschiedlichen Re-putationsschäden verglichen werden.

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KSI 2/17 79Reputation und Krisenkommunikation

67 Vgl. Schwarz, Krisen-PR aus Sicht der Stakeholder, 2010, S. 107.

68 Vgl. Coombs, The Protective Powers of Crisis Re-sponse Strategies, Journal of Promotion Manage-ment 2006 S. 257.

69 Vgl. Thießen, Organisationskommunikation in Krisen, 2011, S. 94.

70 Vgl. Lee, Audience-Oriented Approach to Crisis Communication, Communication Research 2004 S. 600 ff.

71 Vgl. insbesondere An/Gower/Cho, Level of crisis responsibility and crisis response strategies of the media, Journal of Communication Management 1/2011 S. 74 ff.

72 Vgl. Viertmann, Der Sündenbock in der öffentli-chen Kommunikation, 2015, S. 110.

Kritisch anzumerken für den Einsatz der Kommunikationsstrategien der SCCT in der realen Krisenkommunikation sind folgende Aspekte: Die SCCT nimmt in ihrer modell-haft unterstellten Kausalattribution eine starke Simplifizierung vor, die den hoch-komplexen Krisenprozessen der Unterneh-menspraxis nicht immer gerecht werden kann. So findet z. B. die Beobachterabhän-gigkeit von Krisen nicht ausreichend Ein-gang in die SCCT. Unterschiedliche Stake-holder können dem Unternehmen eine unterschiedlich hohe Krisenschuld beimes-sen67. Es fehlt zudem an definierten Kriterien zur Messung der Reputationsauswirkungen. Ferner ist fraglich, ob in einer ad hoc einge-tretenen Krise die Zeit bleibt, zunächst den Krisentyp zu analysieren und dementspre-chend vorzugehen, da gerade in der An-

fangsphase einer Krise Ambiguität und ein Mangel an Informationen vorherrschen.

Die von der SCCT empfohlene rhetorische Botschaftsstrategie der Entschuldigung (im Unterschied zum Zeigen von Mitgefühl) muss in der Praxis gut abgewogen sein, da unter Umständen rechtliche Konsequenzen im Sinne eines Schuldeingeständnisses dro-hen68, obwohl eine Krise mitunter mutiges Voranschreiten erfordert.

Unter der Annahme der langfristigen Bil-dung von Reputation erscheint ein positiver Einfluss der anderen Strategien Zurückwei-sung und Milderung auf eine positive Re-putationskonstitution aber eher unwahr-scheinlich69. Lee zeigt empirisch, dass die Krisenbewältigungsstrategie der Verdrän-gung sich auch negativ auswirken kann, ob-

wohl sie der SCCT nach zum Krisentyp passt70. Darauf weisen auch weitere Studien hin71, welche die Verdrängungsstrategie als nicht praktikabel und sogar aggressionsaus-lösend einstufen72.

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