Suzanne Doppelt - Austrian Gramophone · PDF fileentgegen gesetzte Gesicht eines frenetischen John Coltrane-Solos, denn alle Energien dieses Mono-logs scheinen nach innen gerichtet

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    GEORGES APERGHIS (*1945)

    1 Crosswind (1997) 12:51 for viola and four saxophones

    2 Alter ego (2001) 7:53 for saxophone

    3 Rasch (2006) 6:07 version for viola and saxophone

    4 Volte-face (1997) 8:42 for viola

    5 Signaux (1978) 13:17 version for 12 saxophones

    TT: 49:25

    1 3 4 Genevive Strosser viola 1 5 XASAX * ensemble de saxophones modulable: Serge Bertocchi, Jean-Michel Goury, Pierre-Stephane Meug and Marcus Weiss 2 Marcus Weiss tenor saxophone 3 Pierre-Stephane Meug soprano saxophone

    Volte-face (Fragment) Durand-Salabert-Eschig (Universal Music Publishing Group) >

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    Er wre nicht der erste bekannte Musiktheater-komponist, der die weniger spektakulren Spiel-arten der Musik vernachlssigte. Doch anders als die sinfonische Form, die Georges Aperghis seit einem ersten Versuch 1972 nur selten be-dacht hat, zieht sich Kammermusikalisches wie ein roter Faden durch sein uvre. Wie auf der Theaterbhne treibt Aperghis im Kammermusik-saal sein Spiel mit immer neuen Besetzungen und stellt sie zugleich in Bezug zur europischen Musiktradition. Hier wie dort sucht er nach Stim-men. Das ist, wie wenn man ein Bild von jeman-dem auf einem Foto sieht und sich fragt: wie klingt die Stimme? Ist sie nasal, ist sie hoch, ist sie tief? Hat er schwer geatmet oder leicht? Ein Instrument bleibt immer das gleiche. Doch die Frage lautet: Wie klingt die Stimme dieses Instrumentes in ge-nau diesem Stck.1 Im ersten Augenblick mag es berraschen, dass auch Georges Aperghis den Sound des Saxophons vor allem mit dem ameri-kanischen Jazz verbindet, denn Jazz-Einflsse lieen sich hchstens in Spurenelementen oder als negativer Abdruck in dieser an Saxophon-stimmen reichen Platte herausfiltern. Dagegen ist es unberhrbar, dass ihm der polierte Schnklang klassischer Kompositionen fr dieses noch rela-tiv junge Instrument suspekt ist. Aperghis widmet sich hier wie so oft den vernachlssigten Seiten seiner Protagonisten. Ein Instrument spielt im-mer schon von alleine. Eine Klarinette, die wie eine Klarinette spielt, ist aber nicht das, was mich am

    meisten interessiert. Ein Snger kann verschie-dene Stimmen annehmen, mit Hauchen, ohne Hauchen, mit Vibrato, ohne Vibrato, er kann sogar schreien. Warum Instrumente nicht auch?

    Das lteste Werk auf dieser Verffentlichung bildet in dieser Hinsicht eine Ausnahme. Aperghis schrieb es fr vier Instrumente gleicher Klang-farbe und gleicher Tonhhe es wre also theo-retisch auch von vier Pauken zu realisieren und zeugt noch vom Einfluss von John Cage auf das Musikdenken des komponierenden Autodidak-ten: Signaux aus dem Jahr 1978. Fr diese Auf-nahme hat das Saxophonquartett XASAX das komponierte Material in drei unterschiedlichen Tempi eingespielt, Aperghis montierte das Ma-terial im Studio nach Gehr zu einem virtuellen zwlf-kpfigen Saxophonorchester. bersetzt bedeutet der Titel Zeichen ein Sujet, das Aperghis in seinen ersten Jahren offenbar intensiv beschftigt hat, eine Komposition fr prpariertes Klavier von 1969 trgt (auf griechisch) denselben Titel, die Komposition fr sechs Schlagzeuger Kryptogramma (1970) handelt von der Verschls-selung von Zeichen, in diesem Fall von Rhythmen aus der klassischen Musikliteratur. Signaux wur-de angeregt durch die Lichtspiele der modernen Zivilisation. Ich war ziemlich fasziniert von den Signalen der Flughfen, beschreibt Aperghis in der Rckschau, man sieht Dinge aufleuchten, die dabei visuelle Rhythmen erzeugen. Etwas

    Quasi parlando Kreuzungen fr Saxophon und Bratsche von Georges AperghisPatrick Hahn

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    Vergleichbares wollte ich auf klanglicher Ebene finden, ohne irgendeinen Affekt, irgendeine Lei-denschaft oder irgendein Gefhl hineinzulegen. Es ging mir darum, eine Art Polyphonie zu erzeugen mit immer denselben aufsteigenden Skalen. Die Quartette beginnen eine Art Raster oder Gewebe zu bilden. Die aufsteigenden Skalen vermischen sich am Ende so sehr, dass man keine Skalen mehr hrt, sondern eine Art Melodie aus der zu-flligen berlagerung entsteht. Ich wollte diese Materialien wirklich wie Skulpturen formen. Fast scheint es, als ob hier, zu Beginn der Karriere von Georges Aperghis, seine biographische Verwur-zelung in der bildenden Kunst noch deutlicher auf-scheint als in spteren Jahren. Die Horizontalitt der Zeitachse wird in Signaux aufgehoben und der Hrer kann sich gleichsam frei in einem musikali-schen Raum bewegen wie in einer Installation.

    Was diese Zeichen jedoch mit dem ber zwanzig Jahre jngeren Solostck fr Tenorsaxophon Al-ter ego (2001) verbindet, ist eine Form der Aus-druckslosigkeit, die dem Interpreten abverlangt wird: kein Affekt, nichts spielen betont der Kom-ponist. Wenn man von den Musikern verlangt, ausdrucksvoll zu spielen oder ausdrucksvoll schreibt, fhrt das meiner Meinung nach zu etwas Altmodischem. Mir geht es hingegen darum, eine Konstruktion zu finden, die dann einen bestimmten Ausdruck mitbringt. Wenn das gelingt, gengt es, dass der Musiker die Noten spielt. Der Ausdruck kommt von selbst. In Alter ego gert man als Hrer ebenfalls in einen musikalischen Zustand, der im Gegensatz zu Signaux unterschiedliche Stadien der Intensitt durchluft. Das Alter ego,

    das man hier kennen lernen kann, ist vielleicht das entgegen gesetzte Gesicht eines frenetischen John Coltrane-Solos, denn alle Energien dieses Mono-logs scheinen nach innen gerichtet. Das Stck ist beinahe eine Kette von Zweiunddreiigstelnoten angegeben als dreifaches Pianissimo. Das ist natrlich mehr eine Idee als eine Realitt. Nicht, dass man auf einem Saxophon nicht leise spielen kann. Aber ein dreifaches Pianissimo mit einem Tenorsaxophon in der notierten Lage ist eigentlich schon durch die Finger- und Klappenbewegungen bertnt, gibt Marcus Weiss, der Urauffhrungs-interpret, zu bedenken. Die Klappenbewegungen sind natrlich auch auf dieser Aufnahme deutlich zu hren und lassen so das Alter ego des Saxo-phontons als perkussive Begleitmusik heraus-treten: Die Entstehung des Tons, seine Mittel zur Hervorbringung geben sich zu erkennen. Zugleich ist Alter ego ein uerst krperliches Stck. Nicht im Sinne einer nach auen, zur Schau gestellten Kraftprobe dafr ist es viel zu zerbrechlich. Doch die weiten Sprnge der Stimme, ihr Innehalten in Mehrklngen und Trillern mit gedmpfter Laut-strke, versetzen den Hrer in eine hnliche (An-) Spannung wie den Interpreten, der sich Mhe ge-ben muss, den Ton nicht ausbrechen zu lassen. Die Partitur von Alter ego gleicht einem Aufzeich-nungsgert innerer Zustnde, oder, in einer For-mulierung des franzsischen Autors Peter Szendy, dem Seismogramm von jemandem, der zuhrt, wie sein Blut fliet. [] [E]ine Art Barometer frdie simple Tatsache, dass man lebendig ist.2 In Alter ego kann mein einem fremden Hirn beim Rauschen lauschen, als wre es das eigene.

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    Mit einem Ausdruck von Roland Barthes knnte man die musikalische Haltung des Solisten in Alter ego als Quasi parlando bezeichnen: Das ist die Bewegung des Krpers, der sich zum Sprechen anschickt.3 In einem Text ber Robert Schumann ein Fixstern im poetischen Universum auch von Georges Aperghis schrieb der Philosoph: Was tut der Krper, wenn er (musikalisch) aussagt? Er spricht, sagt aber nichts: denn sobald die Rede oder ihr instrumentaler Ersatz musikalisch ist, ist sie nicht mehr sprachlich, sondern krperlich; sie sagt immer nur folgendes nie etwas anderes: Mein Krper versetzt sich in den Zustand des Sprechens: quasi parlando.4

    Die Bedeutung, die das Sprechen wie Sprach-liches berhaupt fr Georges Aperghis hat, lsst sich auch aus der Genese der Duokomposition Rasch ablesen. Zu Beginn schrieb ich Rasch fr Stimme und Bratsche. Ich habe schlielich die Sprachsilben weg gelassen, da ich die Partie fr Violine umgeschrieben habe. Unter Mitwir-kung von Pierre-Stphane Meug bearbeitete er das Stck erneut fr die Besetzung von Sopran-saxophon und Viola. Ich glaube, diese Version ist noch besser als mit der Violine, weil die beiden Instrumente sich klarer unterscheiden. Man hrt jedes in seiner Verlassenheit und spter, wenn sie zusammen sind, vervollstndigen sie sich. Sie haben etwas gemeinsam, dann wieder sehr groe Abweichungen. Sie sind also wie Personen, die sich annhern und am Ende wieder entfernen. Der Titel verdankt sich hier gleichfalls einer Lek-tre von Roland Barthes. Rasch, so bersetzt sich der franzsische Schriftsteller das deutsche

    Wort, bedeutet gelenkte Behendigkeit, Genauig-keit, [] schnelles Ausgreifen, berraschung, Bewegung der ins Blattwerk schlpfenden Schlange.5 Diese Bilder begleiteten Aperghis beim Schreiben und haben eine Musik gezeugt, die Spieler und Hrer in einen geradezu animalischen Zustand versetzt. Es geht nicht um ein Zuhren sondern um eine Form des Horchens: Das Horchen ist jene vorausgehende Aufmerksamkeit, durch die sich alles erfassen lsst, was das terri-toriale System stren kann; es ist eine Weise, sich gegen berraschungen zu schtzen; sein Objekt [] ist die Bedrohung oder, umgekehrt, das Be-drfnis; das Material des Horchens ist das Indiz, das entweder die Gefahr offenbart oder die Be-friedigung des Bedrfnisses verheit.6 So belau-ern die beiden Instrumente einander, verzahnen ihre Stimmen hoquetusartig, verharren auf der Stelle, erobern sich in arabesken Bewegungen neue Tonrume oder verteidigen in vierteltnigen Umspielungen ihren Standort. Der wesentliche Partner des Lauschens ist fr die beiden Spielerdas Ungewhnliche, das heit die Gefahr oder das unverhoffte Glck; umgekehrt wird das Horchen, falls es auf die Besnftigung eines Phan-tasmas abzielt, sehr rasch halluzinogen.7

    Fragment of sketch of Rasch Durand-Salabert-Eschig (Universal Music Publishing Group) >

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    Noch deutlicher als Rasch dringt das Quintett Crosswind in tierisches Terrain vor.