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Abschlussarbeit der Ausbildung „ Systemische Beratung“ an der Heidelberger Akademie (HAG) in Heidelberg 2012-2014 Systemische Beratung begegnet Osteopathie Ank Proper-Kwakman Ausbildungsleitung: Gerlinde Meijer , CLAROKarlsruhe Heribert Döring-Meijer, CLARO Karlsruhe

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AbschlussarbeitderAusbildung„SystemischeBeratung“anderHeidelbergerAkademie(HAG)inHeidelberg

2012-2014

SystemischeBeratungbegegnetOsteopathie

AnkProper-Kwakman

Ausbildungsleitung:

GerlindeMeijer,CLAROKarlsruheHeribertDöring-Meijer,CLAROKarlsruhe

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Vorwort

Der Brückenschlag zwischen Körper, Psyche und Kommunikation- eine in einem tieferenSinne „biopsychosoziale“ Praxis: (..........) der Versuch systemische Beratung undKörpermedizin praktisch zu verknüpfen (...........) therapeutische Praktiker versuchenzunehmend,systemischeTherapiemitKörpertherapiezuverbinden.

DieseZeilensindnachzulesenimLehrbuchderSystemischenTherapieundBeratungI(Schlippe/Schweitzer,2012)S.439unterdenRubrik:

„Worüberwir(noch)nichtschreiben.“Es waren diese bemerkenswerten Zeilen, die mein Interesse und meine Neugierweckten. Ich erinnerte mich, dass ich vor einigen Jahrzehnten am ersten Tag meinerniederländischen Physiotherapieausbildung den Satz: „De mens is een soma-psycho-socialeeenheid“ (derMenschisteinesoma-psycho-sozialeEinheit)(DefinitionderWHO)hörte. Es folgte eine offene, interessante, oft mit alternativen Ansätzen geschmückteAusbildung.TrotzdieseswichtigenAnfangssatzes,einerweltoffenenHaltungundvielerbreitgefächerten Angebote, spiegelte das Ganzheitliche sich leider nicht in derAusbildungundnichtinderdamaligenSchulmedizin.EntgegenderDefinitionderWHOentwickeltesichdieMedizinischeWissenschaft abereherweiterindieRichtungeinerWissenschaft Kybernetik1.Ordnung , analytischgeprägt,detailverliebtundentferntesichweitervonderIdee,dassderMenscheine(systemische)Einheitist,dieeingroßesMaßanSelbstheilungskräften(Autopoiese)innehat.Fastironisch,aberglücklicherweise,bietet die technologische Entwicklung und allen voran die Positronen-Emmissions-Tomographie(PET)derForschungjetztMöglichkeiten,InteraktionenzwischenKörper,PsycheundUmweltsichtbarzumachenunddadurchneueErkenntnissezuerwerben.Wie können wir als Therapeuten, die Forschungsergebnisse der letzten Jahre in diePraxis transferieren? Wie können Therapien diesen neuen wissenschaftlichenErkenntnissen gerecht werden und was bedeutet das konkret für die vielfältigetherapeutische Landschaft? Wir, Körpertherapeuten sehen und spüren täglich inunserenPraxen,dassunsereArbeitaufdieGesamteinheit„Mensch“Einflusshat.HäufigfindenVerbesserungenaufmehrerenEbenen statt, eskommt einiges inFlussundeinmehrschichtiger Heilungsprozess kann seinen Lauf nehmen. Aber wird eineKörpertherapie wie zum Beispiel Osteopathie effektiver, wenn psychologischeElementen z. B. systemische Interventionen vorab, hinterher, oder wenn möglichgleichzeitigstattfinden?OderandersherumwürdeeseinersystemischenBeratungguttun, den Mensch vorab, hinterher oder gleichzeitig osteopathisch zu behandeln? DiessinddieFragen,die ichmir inden letztenzwei JahrenwährendmeinersystemischenBeraterausbildunganderHAGoftgestellthabe.IndieserArbeitwerdeichvonmeinenersten vorsichtigen Versuchen, die Systemische Therapie und die Osteopathie zuverknüpfen,berichten.

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InhaltsverzeichnisVorwort 2.Inhaltsverzeichnis 3.SystemischePrämissenversusosteopathischeGrundprinzipien 4.ErstesFallbeispiel 7.ZweitesFallbeispiel 16.Reflexion 19.Literaturverzeichnis 22.

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SystemischePrämissenversusosteopathischeGrundprinzipienDie Osteopathie ist eine manuelle therapeutische Methode, die sich weltweit etablierthat und zu den komplementärmedizinischen Berufen gezählt wird. Die Osteopathieentwickelte sich in verschiedenen Ländern unter differenten Einflüssen inunterschiedlicheRichtungen,aberimmermitdengleichenhistorischenWurzeln.DerBegründerundVaterderosteopathischenMedizinwarderArztAndrewTaylorStill(1828-1917), er lebte und arbeitete in Kirksville, USA. Es ist interessant undbemerkungswert, dass er in der Zeit lebte, in der sich auch der Anfang derSystemtheorieinAmerikaentwickelte.EineDefinitionderOsteopathielautet:Osteopathic medicine is a system of therapy and medicine based on the theory that thenormalbodyisavitalmechanicalorganismwhosestructuralandfunctionalstatesareofaequalimportanceandiscapableofmakingistownremediesagainstinfectionsandtoxicconditionswhentherearefavorableenvironmentalcircumstancesandnutrition.(Medline,2005)DiedarausentwickeltenGrundprinzipienderOsteopathienachA.Stillsind:+DerKörperisteineunteilbareEinheit.+StrukturundFunktionsindreziprokzueinanderundgegenseitigvoneinanderabhängig.+DerKörperbesitztdieFähigkeitzurSelbstregulation(Selbstheilung,Homöostase).DiePrinzipienderosteopathischenBehandlungnachW.G.Sutherland(SchülerA.Still)sind:+DerKörperhatdasWissenüberseineeigeneGesundheitundkenntdieGesetzederHomöostase.+AnwesenheitineinemPunkt(alsTherapeut)=dasAngebotzwischenPatientundTherapeut,damitAustauschmöglichwirdunddemKörpergestattetwirdHomöostase/Homöodynamikzufinden.(Findit,fixitandleaveitalone)

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Allgemein gültige Grundprinzipien der Systemiker gibt es nicht, es gab zu vieleunterschiedliche Wurzeln und Richtungen. Aber einige allgemein gültigeGrundannahmenoderIdeensind:+Ressourcen-undlösungsorientiert+Allparteilichkeit+Neutralität(desBeraters/Therapeut)+gewollteMehrdeutigkeit,keinrichtigoderfalschDenkrichtungen,diealsBasisdienenfürdensystemischenAnsatz:+Synergetik+Autopoiese+KonstruktivismusVoraussetzung für eine gelungene Intervention von sowohl einem systemischenBerater/TherapeutalsaucheinemOsteopathensind:+Empathie+NeugierundUnvoreingenommenheitAuf den ersten Blick lässt sich unschwer erkennen, dass beide Therapien einigesverbindet.ZurIllustrationeinVersuch:InderOsteopathie sinddieBegriffe „Adaptation“und „Kompensation“vonzentralerBedeutung,umeineAbgrenzungvonGesundheit(wennetwasnichtkaputtist,macheesnichtganz)undDysfunktion/Pathologie(suchennachLösungen/lösungsorientiert)zu definieren. Wie verändern sich diese Definitionen, wenn ich die somatische/osteopathische Begriffe übersetze in Begriffe aus der Systemischen Therapie? ( inKlammern)Adaptation:Ist die Fähigkeit des Körpers ( desMenschen ) sich auf veränderte Umstände adäquatanzupassen. Dies geschieht, um die Funktionen (Kompetenzen/ Möglichkeiten) desKörpers(desMenschen)aufrechtzuerhalten.AdaptationisteineFunktion(Kompetenz)jedereinzelnenZelle,jedesGewebesundjedesOrgans(jedesMenschen)durchspeziellesVerhalteneineAnpassungzu finden,umdieBasisfunktionen(=Homöostase)(BalancederinnereAnteile)zuerhalten.Primäristdasphysiologisch(AustauschinnereAnteile)gesehen, der Austausch (Stoffwechsel) und damit bleibt der Körper ( Mensch )in derLagesichzuverständigenundzubewegen.AdaptationisteinfunktionellerBegriff,ohneAnsatzvonKrankheitoderDysfunktion(=Gesundheit.)

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Kompensation:IsteinAusgleicheinervermindertenLeistungdurchgesteigerteAktion(Problemmuster,oderProblemtrancenachGuntherSchmidt).DiesegesteigerteAktionkanndasGewebe,die Zelle oder das Organ (der Mensch) selber betreffen oder eventuell vorhandenenUmgebungsfaktoren(seinsozialerUmfeld).EineKompensationistdamiteinklinischer(ressourcenorientierter)Begriff.DerKörper(DerMensch)schaltetum,umFunktionen(Kompetenzen)zuerhalten.Die Hauptinformationsquelle in einem Erstkontakt beider Therapieverfahren ist die(subjektive)WahrnehmungüberdieSinnedesTherapeuten. OhnedieWahrnehmungüber das Auge (erste Eindruck....), das Ohr (..Gespräch), die Nase und für dieOsteopathenspezielldieBerührung/Tastsinn(‘ThinkingFinger“)wärediegewünschteInteraktionzwischenTherapeutundPatient(CoachundKlient)nichtmöglich.Durchdie empathischen Fähigkeiten eines Therapeuten werden diese Informationenüberhaupt erst wahrgenommen, beziehungsweise differenzierter wahrgenommen undes werden zusätzlich noch Informationen gewonnen, die u. a. der Emotionen- undGedankenweltzuzuordnensind.AndieserStelleseieszuerwähnen,dassdiemoderneHirnforschung und die Entdeckung der Spiegelneuronen (Giacomo Rizzolatti, JoachimBauer )einenwichtigenBeitrag leisteten zurErklärungderTatsache,dass esmöglichist,dasswirTherapeutenaufdiese(subjektiven)WeisesovielwahrhafteInformationenbekommen.Eine respektvolleNeugier undUnvoreingenommenheit desTherapeutenermöglicheneinebestimmteFormderOffenheit.DerOsteopathfindetRestriktionenundBlockaden,hauptsächlich durch seine „ Thinking Finger“. Hier findet ein Austausch zwischenPatientundTherapeutstatt ( „find it, fix it and leave it alone“),dieesmöglichmacht,dassdieSelbstheilungskräfteaktiviertwerdenundderKörperseineHomöostasezurückfinden kann. Es findet ein ergebnisoffener Prozess statt mit oft überraschendemAusgang.EinsystemischerTherapeutbietetdemPatientenMöglichkeitenan,damiterzuseineneigenen ( vergessenen ) Kompetenzen und Fähigkeiten um neue Lösungswege zuerkunden, so dass es gut weiter gehen kann. Auch der hier initiierte Prozess istergebnisoffen. Beide Methoden gehen davon aus, dass die Gesundheit, oder dieMöglichkeit zur Gesundung im Körper/ im Menschen selbst anwesend ist(Selbstheilungskräfte/Autopoiese).->UndjetztzurPraxis:

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ErstesFallbeispielIn November 2013 kam eine 38-jährige, 3-fache Mutter, zu mir in die Praxis mitfolgendenBeschwerden:+Kopfschmerzen,ausgehendvomrechtenKiefer.+SchmerzenanderHWSundBWS+BeklemmunginderBrustkorb,zusammenmitMagenschmerzenundSodbrennen.+Husten+sehrmüdeunderschöpft.Genaueres Nachfragen ergab folgende zusätzliche Informationen: Die Kopfschmerzensind unregelmäßig, sie hat weder feststellen können, welche Umstände sieverschlimmern,oderwas siedafür tunkannsie zuverringern.Aber sie sind erstmalsaufgetreten nach einer Weisheitszahnoperation (1998), der Weisheitszahn mussteentferntwerden,weildieZahnwurzelentzündetwar.DasHWS-SyndromzeigtsichdurchkrampfartigeSchmerzen,ausstrahlendnachvorneüber die Kieferknochen ins Gesicht. Sie existieren seit ungefähr einem Jahr, nehmenstetigzuundverstärkensichdurchkörperlicheBelastungundStress.AufmeinerFragewasfürsie„Stress“bedeutet,entwickeltsicheinintensivesGespräch.InersterLinieistStressfürsiediegesamteBelastungalsMutter,Berufstätigkeit(Grundschullehrerin)unddiversensozialenEngagements.Siemachtallestotalgerne,aberinletzterZeitfühltsiesichdurchgehenderschöpft.DieBeklemmunginderBrustunddieMagenschmerzensindnahrungsunabhängigundausärztlicherSicht,nachgründlichemAbklären,ohneBefund.InderFamiliesindkeineMagenproblemen bekannt. Das ist sowohl aus schulmedizinischem als systemischemSichtrelevant.HustenmanifestiertsichhauptsächlichbeiAufregung,siehatkeinerleiAuswurf.In 2002 hatte sie noch einen Sportunfall, woraus sich ein Schleudertrauma und eineSchulterverletzung ergaben. Ansonsten gibt es, außer die schon erwähnteWeisheitszahnoperation, keine Operationen, Unfälle oder sonstige äußereKrafteinwirkungen. Diese Angaben sind hauptsächlich wichtig für die osteopathischeBefunderhebung.Ich überlege bei dieser Patientin eine wirklich ganzheitliche undmethodenübergreifendeTherapieanzubieten,aufGrundfolgenderÜberlegungen:

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Ohne an dieser Stelle detailliert auf osteopathische Diagnostik undBehandlungsmöglichkeiteneinzugehen,möchteichhiererwähnen,dasssowohlFolgennach Weisheitszahnoperation und Sportunfall, als auch der HWS-Syndrom und dieMagenschmerzen eine osteopathische Diagnostik und höchstwahrscheinlichBehandlungrechtfertigenundverdienen.AufderanderenSeitegibtesmehrereSymptomeoderAspektederSymptome,dieeinesystemische Intervention sinnvoll erscheinen lassen. Ihre Erschöpfung, dasstressabhängige HWS-Syndrom, Husten bei Aufregung sind eindeutigepsychosomatische Symptome, aber auch medizinische befundlose Magenschmerzenkönnensystemischrelevantsein.Auchistesfürmichwichtigeventuellehomöopathische,phytotherapeutische,diätischeTherapieansätze usw., wenn indiziert, ins Behandlungskonzept zu nehmen um einewirklichemultimethodischeBehandlungzuermöglichen.Ichfragesie,obsiebereitistfüreinekleineKörperaufstellung,u.a.auchumnochmehrInformationüberihreSymptomatikzubekommen.Siestimmtgernezu.

Intermezzo:Ichhabe inmeinerPraxisangefangenmeineosteopathischeDiagnostik,manchmalumeinekleineKörperaufstellung(*)zuergänzen.DerAblaufsiehtfolgendermaßenaus:DerPatientwähltzweifarbigeBlätterPapieraus,einBlattstehtfürdas„Symptom“,dasandereBlattfürden„Fokus“(derPatientselbst).DieBlätterbesitzen„Nasen“,damitessichtbar ist inwelcherRichtung sie vonPatienten ausgerichtetwerden.Beimehreren,oder vielschichtigen Symptomen wählt der Patient ein Symptom aus, dass für ihn dasWichtigsteist.Bemerkung:Es stellte sich heraus dass das Bestimmen, bzw. Festlegen auf „das in diesen MomentWichtigste“manchmalansichschoneinegroßeHerausforderungdarstellteundschoneinesystemischeInterventionbedurfte.*) Insa Sparrer und Matthias Varga von Kibéd haben mit ihren Strukturaufstellungen eine neue besondere Aufstellungsart erforscht in Anlehnung der Familienaufstellungen. Innerhalb der Gruppe der Strukturaufstellungen findet sich eine Sparte „ Aufstellungen zu psychosomatischen Themen“ nennt. In diese Kategorie fällt unter anderen die Körperaufstellung.

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DanachbitteichdenPatientdiesebeidenBlätteraufdemBodenzuplatzierenundsiesoinRelationzueinanderzulegen,unterBerücksichtigungder„Nasen“,wieesfürihnstimmigist.Bemerkung:An dieser Stelle möchte ich erwähnen, dass diese Handlung, die Individualität jedesVerhältnisses Patient-Symptom bildlich darstellte. Die Fülle von unterschiedlichenDarstellungeninu.a.derFarbauswahl,dasNähe-DistanzVerhältnisvonPatient-Symptomund die Ausrichtung der „ Nasen“ hat mich nach über dreißigjähriger therapeutischerErfahrung in diesem Ausmaß doch erstaunt. Gleichzeitig bedeutete diese Handlung desPatienteneineExternalisierungdesSymptoms.ZurückzumAblauf:IchbittedenPatienten sichaufdenBodenanker „Fokus“ zu stellen undsichZeit zunehmenzumEinfühlenaufdieserPosition.DannfragteichdenPatientennach:+Körperlichen Empfindungen ( Wärme, Kälte, Schmerz, Zittern, Schwere usw.)+Emotionen(Wut,Angst,Trauer,Freude,Ekel,usw.)+Gedanken(Gedanken,Ideen,einSatz..)+Bewegungsimpuls(IstdieseinguterPlatzoderziehenSieeinenanderenPlatzvor?).Bemerkung:IchmöchteandieserStellenochmalsdaraufhinweisen,dassichkeineAbsichthatte,einevollständigeStrukturaufstellungnachSparrer/vonKibèdanzubieten,aberichzweiandereZielevorAugenhatte.ErstenswillichderFragenachgeheninwieferndiesekurze Intervention eine diagnostische Bedeutung haben kann. Zweitens möchte ichErfahrungensammeln inwieweiteinekurzesystemische InterventioneinenEinflusshataufeinedirektanschließendeosteopathischeBehandlung.ZurückzumAblauf:Ich ließ dem Patienten Zeit, um seine körperlichen Empfindungen, Emotionen undGedanken wahrzunehmen und diese für sich wirken zu lassen. Manchmal wenn eserforderlichwar,ludichdenPatientenein,sichnocheinmalaufdasBlatt„Symptom“zustellen, um ihm zu ermöglichen zu erfahren was das Symptom ihm sagen möchte.Meistens aber konzentrierte ichmich aufdieFrage nach Bewegungsimpulsen. Ich batdenPatienten,dasBlatt„Fokus“zunehmenundimRaumherumzubewegen,sichZeitzunehmenzumExperimentierenfüreineneventuellbesserenPlatzimRaumundsichnochmal einzufühlen. Viele Patienten fanden auf diese Weise einen für sich besserenPlatz.

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Bemerkung:ManchmaldurfteichanPatienten,dieeinenbesserenPlatzfürsichfanden,wahrnehmen,dasseingewisserProzessinBewegungkam,denichmitNachdenklichkeitund„sichnachinnen kehren“ beschreiben möchte. Während der anschließenden osteopathischenBehandlungfandichdannauchdenerhofftenEffektdesschnellerenundtieferenEingangsins Gewebe. Meistens lud ich den Patienten ein, seine Aufmerksamkeit auf die vorherigeErfahrung zu lenken während ich osteopathisch behandelte und mich konzentrierte aufmöglichwahrnehmbarenVeränderungendesGewebes.IndenmeistenFällenwardieseine systemische Intervention,diemax.10Minuten inAnspruchnahm.AnschließendfolgteeineosteopathischeDiagnostikundBehandlung,dieichimRahmendieserAbschlussarbeitnichtweitererläuternwerde.ZurückzuunseremerstenFallbeispiel.Nach diesen ausführlichen Erläuterungen, möchte ich jetzt zurückkehren zu meinerPatientinFrauB.DieHauptbeschwerdenwaren+Kopfschmerzen,ausgehendvonrechtenKiefer.+SchmerzenanderHWSundBWS+BeklemmunginderBrustkorb,zusammenmitMagenschmerzenundSodbrennen.+Husten+sehrmüdeunderschöpft.Frau B. wählte als Hauptbeschwerde ihre HWS- und Kieferschmerzen. Das Symptomstelltesiefolgenderweiseauf:Symptom: weiß

FrauB.:grün

Beschwerden:weiß

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Körperphänomenen: „Arme schmerzen, werden nach unten gezogen, bekomme

keineLuft,esistmirkalt“Emotionen: „Ichkannheulen,ichmagnichtmehr.“Gedanken/Ideen: „Möchtemichsetzen,habedasGefühlmirnichtzuGenügen."Bewegungsimpuls:NeuePosition:Körperphänomenen: „Armesinddeutlichbesser,schmerzennurnochwenig,kann besseratmen“.Emotionen: „GefühlvonHoffnung.........“Gedanken/Ideen: „KeineGedanken,abersiegibtaninihremBaucheine „warmeroteWolke“wahrzunehmen.Der Gedanke an diesen „warme rote Wolke“ gefiel ihr sehr gut, vor allem inKombinationmitdemGefühl„Hoffnung“.Ichschlugihrvor,3Wochenlangmindestens1-2malproTag,ihrer„warmeroteWolke“inihremBauchAufmerksamkeitzuschenkenund sich von ihr begleiten zu lassen. Sie nahm diesen Vorschlag dankbar an. In deranschließenden osteopathischen Behandlung konnte sie die Verbindung zu ihrer

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„warmeroteWolke“halten.MirgelangeineguteundschnelleVerbindunginsGewebeundkonnteeineeffektiveosteopathischeBehandlunggestalten.Nach4WochensahichFrauB.wiederundsieberichteteFolgendes:„Esgehtmirviel,vielbesser!“Aufmeiner SkalierungsfragenachdemProzentsatzwieviel es ihr seitunserer letztenBegegnungbessergeht,antwortetesiemit„ca.50%“.DieWortesprudeltenausihrheraus,sieredeteviel,warsehrlebendig,beiihrwäre„vielin Bewegung“ gekommen. Ihre „warme roteWolke“ begleitete sie jeden Tag, „gibt ihrviel Kraft und Hoffnung“, sie sei mehr belastbar. Die „ warme rote Wolke“ saßinzwischeninihrerBrust(TH6),dorthatsieoftSchmerzen.Ichbatsie,dieBeschwerdeneinzelnzuskalieren.Welcher Teil ihrer anfänglichen Beschwerden sind noch aktuell, ausgedrückt inProzenten?+Kopfschmerzen,ausgehendvomrechtenKiefer. 30%+SchmerzenanderHWSundBWS 70%+BeklemmunginderBrustkorb,zusammenmitMagenschmerzenundSodbrennen. 80%+Husten 80%+sehrmüdeunderschöpft. 30%SowohlinderHomöopathiealsauchinderOsteopathiegibteseinegewisseHierarchieder Symptome. Weil es oft sogenannte Erstverschlimmerungen gibt und/oder alteSymptomewiederzumVorscheinkommen,mancheSymptomeverschlimmern,anderesichverbessern,istesoftschwierigfürTherapeutendenVerlaufdesHeilungsprozesseszu beurteilen . Eine der Regeln in dieser Komplexität des Hierarchiesystems ist, dassallgemeineSymptomeeinenhöherenStellenwerthabenalslokaleSymptome.ZurückzuFrauB.bedeutetdas,dassdieVerbesserungihresAllgemeinzustands(müdeund erschöpft ) um 70%, in Vergleich zu geringerer Verbesserung ihrer lokalenSymptomen(HWS-BWS)einensehrgroßenSchrittinihremHeilungsprozessbedeutet.Siekonntejetztauchgenauerangeben,welcheUmständeihreBeschwerdenverbessernoder verschlimmern würden. Verbesserung stellte sich ein, wenn sie „ mehr auf sichselbst achte“, „Wärme“, „mehrBewegung“, „mehrZeit beimEssen, „bewussterEssen“„KontaktaufnehmenzumeineroteWolke“,mal„Nein“sagen...........Eszeigtesich,dassbeiFrauB.wirklichvielinBewegunggekommenwarundichschlugvor, jetzt die lokalen Symptome in den Mittelpunkt zu stellen, und beim nächstenTerminZeitzunehmenfüreinesystemischeBeratung.SienahmdasAngebotdankbaran.AndiesemTagbehandelte ichweiterosteopathisch,undzusätzlichverordnete ichihrnocheinenTee,densiesichineinerApothekezusammenstellenlassensollte,wegenihrerMagenbeschwerdenundSodbrennen.

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UnseredritteBegegnungfandca.4Wochenspäterstatt.Siehatte2WochenFeriengehabt,abersichnichtsoguterholenkönnen.EsgabvielefamiliäreVerpflichtungenundihredreiKinder(15,11und9Jahre)warenganztägig zuhause. Sie ist auch etwas kränkelnd, sie ist erkältet. IhreMagenbeschwerdensindvielbesser,aufgenaueresNachfragenantwortetsie,dassdieMagenschmerzen ganz weg sind. Allerdings bekam sie Zahnschmerzen, sie hat sichinzwischeninzahnärztlicheBehandlungbegeben.EssolleineKroneeingesetztwerden;derZahn,dessenWurzelschonoperiertwordenist,konntenichtmehrgerettetwerden.Ihre anderen Symptome haben sich seit unserer letzten Begegnung nicht weiterverbessert,aberauchnichtverschlechtert.Ichklärtemitihrnocheinmalab,obesbeiunsererVereinbarungbleibensollte.FrauB.möchtenachwievor,dasswirheuteSystemischvorgehen.EinAusschnittausdernunfolgendenBeratung:Ich: „Was wäre für Sie heute ein gutes Resultat, wenn Sie nachher wieder nach Hausegehen?WassolltehierindieserStundepassieren?“FrauB.:„Ichhabeirgendwieangefangen,meinLebenneuzuordnenunddenkeübersoeinigesnach,aberbindanochrechtchaotisch.Ichnehmemirvielesvor,aberimAlltagverläuftessichdann.Eskommtsovieldazwischen.IchhabemirnachunseremletztenTerminGedankengemacht,wieichmichwiedersportlichetwasbetätigenkönnte,undhabemichangemeldetbeieinemJazztanzgruppe.EineFreundingehthin,und isttotalbegeistertundichbinmitundichbinauchrichtigbegeistert(beimErzählenkommtsieauchrichtiginsSchwärmen).IchhabeordentlichMuskelkatergehabt,aberdashabeichgerneimKaufgenommen,estatgutmichwiedermalrichtigzuspüren.“Ich:„Seheichdasrichtig,dassSiegernehättendasswirheuteprobierenherauszufinden,wieSieihrLebeneinwenigneuordnenkönnen,sodassSie,wasSiesichvornehmenauchwirklich durchführen? Oder geht es für Sie mehr darum, Wichtiges von Unwichtigem zuunterscheiden?“FrauB.:(nachkurzesÜberlegen).„Ja,beides.....Nein,esgehtmehrdarumWichtigesvonUnwichtigemzuunterscheiden,undvorallemzuwissen,wasmirguttut. Ichtuealleswirklichgerne,dieKindermögenmichalle.MeinMannarbeitetauchviel,vonihmkannichauchnichtmehrverlangen,deristabendsauchfertig.“Ich:„OK,esgehtIhnendarumWichtigesvonUnwichtigemzuunterscheiden,stimmt?WasistfürSiewichtig?WoranerkennenSie,dassetwasfürSiewichtigist?“

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Frau B.: „Ich finde es wichtig, dass es meinem Mann, meinen Kindern, und auch denKinderninmeinerKlassegutgehen.IchwillmeinenJobgutmachen,ichdenkeimmeresreichtnicht,ichgenügemirnicht.“Ich:„Immer?OdergibtesmanchmalAusnahmen?“FrauB. :( lächelt): „OK, ja, ichbekommeauchvielAnerkennung,z.B.vomPfarrerundden anderen Tischmüttern, meine Tochter hat dieses Jahr Kommunion und ich binwiederTischmutter,warichbeimeinerbeidenÄltestenauch,unddieseAufgabewollteich, nach längeren Überlegen, bei meiner Jüngsten auch übernehmen. Sie hatte michgefragtundichwollteesihrnichtverweigern.“Ich: „Ist es richtig, wenn ich sage, dass Sie in Ihre Rolle als Tischmutter „ sich selbergenügen? Oder wird die Arbeit, die sie als Tischmutter leisten zwar vom Pfarrer undanderenTischmütterngelobtundanerkanntabernichtvonIhnenselbst?“FrauB.:(nachdenklich):„Ja,soistes,ichbekommevielLob,aberichdenkeesistnochnichtgenug,wasichtue.“Ich: „WasdenkenSie,würde IhrMannsagen,wenn ich ihn fragenwürde,ob Sie seinerMeinungnach„genug“tunfürihnunddieKinder?“FrauB.:(Lacht)„Erwürdesagen,ichsolltemichmalmehrummichselberkümmern.“Ich:„UndwasmeinenSiedazu?WaswäreschlechtandiesenVorschlag?“FrauB.:„Nunja,eigentlichnichts.“Ich:„IstesIhnenschonmalgelungen,dassSiegutfürsichgesorgthaben?“FrauB.: „.....Ichhabegeradedarangedacht,dasswir frühersoeineguteCliqueMädelswaren.Eigentlichsindwirimmernochzusammen,wohnenallenochhierinderGegend,aberwirhabenjetztalleKinder.Wirüberlegenunsdasswir jetztanFassnachtwiederzusammen weggehen.“ (Frau B. wird ganz lebendig und gerät ins Schwärmen überfrühereZeiten.SieerzähltmireinigeAnekdoten,diesiemitihrenMädelserlebthat.)“Ich: „Ichhörewieviel IhnendasZusammenseinmit IhrenMädelsbedeutet,waskönntenSie dazu beitragen dass es auch tatsächlich klappt, dass Sie Fassnacht wieder mit IhreraltenCliqueverbringen?“Frau B.: „Ich werde heute Nachmittag gleich einen Rundruf starten, und S. und D.anrufen.“Ich:„GabesnocheineandereSituation,indenenSiegutfürsichselbstsorgten?“

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FrauB.:. „.......Da fälltmirsoschnellkeineein.O jadoch !LetztenFreitag,war ichnachmeinemZahnarztterminund zweiWochenErkältung fixund fertig. IchbinzumeinerChefinundhabegefragtob ichnachHausegehenkönnte.MeineChefinwilligtesofortein,undsagtemirzusätzlich,wennesamMontagnichtbesserwäre,solleichzumArztgehen. Ich habe mich das ganze Wochenende ins Bett gelegt und eigentlich nurgeschlafen. Am Montag bin ich zum Arzt und bin jetzt (Mittwoch) nochkrankgeschrieben. Ich hätte das vor zwei Monaten, im November, nicht gemacht. Ichfühlemichsehrgutdabeiundbinstolzaufmich!“Ich:„Wiefühltessichan,wennSiesagen,dassesihnengutgeht?WoranmerkenSiedas?“Frau B.: „Es ist ein Vibrieren in meinem Brust und ich fühle mich sehr lebendig. Ichdenkedannanmeine„warmeroteWolke“inmeinerBrust.“Ich: „IstmeineAnnahme richtig dassSie eigentlichwissenwie Sie für sich selber sorgenkönnen,esabereinwenigvergessenhatten?“FrauB.:„Ja,sokönntemandasumschreiben...............undwissenSiewas?IchwerdejetztauchmalmitderLehrerinmeinerTochtersprechen.(InIhrerStimmeklinktWut)MeineTochterbekommtsovielHausaufgaben,wirsitzenganzlangedaran.UnddannmüssenSie wissen, dass meine Tochter eine gute Schülerin ist, aber die Lehrerin ist etwasüberengagiert. Ich habe nachmittags auch noch etwas anderes zu tun alsHausaufgabenbetreuung,esreichtmir!“Ich:„Ichdenke,dassdaseineguteIdeeist.MöchtenSie,dasswirhierdiesesGesprächjetztnocheinwenigvorbereiten,odermöchtenSie,dasswirnochweiterHinschauenwasfürSiewichtigeBedürfnissesind?“FrauB.:„DasZweite.DasGesprächmitderLehrerinklapptschon.“Ich:„DannhabeichfolgendenVorschlag:IchmöchteSieeinladenfür„dieWunderfrage“.(Icherkläreihr,wasdasbeinhaltet,undSiestimmtneugierigzu.)IchleiteSiean,FrauB.kannsichsehrgutauf„dieWunderfrage“einlassen.FrauB. istessehrwichtig, dasssievermehrtZeit findet,umihreneigenenInteressenundBedürfnissennachzugehen.SiearbeitetnocheinigekonkreteZieleheraus:+insgesamt3malmindestens45MinutenSportinderWoche.(1malJazztanz,2malWalken)+1festerfreierVormittag,denSienachLustundLaunegestaltenkann.+mindestens1malproWocheeinlängeresGesprächmiteinergutenFreundin.

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InderabschließendenReflexionerzähltesiemir,dasses für sieeinesehrguteStundewar,ihristeinigesklargewordenundsiewusstejetzt,dassvielessichrichtiggutanfühltin ihremLeben. Aber siewusste jetztauchwas ihr fehlte,undwelchemBereich ihresLebenssiemehrAufmerksamkeitwidmensollte.WirvereinbarennocheinenneuenTermin,abererstineinigenMonaten.DieserTerminhatzumjetzigenZeitpunktnochnichtstattgefunden.

ZweitesFallbeispielHerrW.,66Jahre,hatseit2005starkeMigräne,mehrmalsproWoche.SeitdreiJahreisterRentnerundseineLebensqualitätistwegenseinerMigränestarkeingeschränkt.ZusätzlichleideteraneinenHWS-BWS-Syndrom.ErhatinseinemLebenschonmehrereSportunfällemitGehirnerschütterungenerlitten.ErbeschreibtallseineSymptomeausführlichundsehrdetailliert mit verschieden Modalitäten. Er weiß auch äußerst genau unter welchenUmständeundSituationendieSymptomesichverschlechtern.„ErkanneinBuchdarüberschreiben“.IchbatHerrW.einDiagrammzuerstellenundseineMigräne täglichzuskalieren. Icherhoffte mir, dass Herr W. Informationen gewinnen könnte über seine Ressourcen.Zusätzlichwünschte ich mir Informationen, diemir als Therapeut erleichtern würdendasGesamtbildeinzuschätzen,weilichwegenderVielfältigkeitderInformationenkeineÜbersichtmehrhatte.EsfolgteeineosteopathischeBehandlung.HerrW.kamzurnächstenBehandlung(5Wochenspäter)underzähltedieMigränehätteerimmernoch,unddieseiunverändert.IchbatihnseinDiagrammzunehmen,ichmöchtegernedaraufschauen.Wirgucktenesunsgemeinsaman,undererzähltenochetwasüberbesondereGeschehnisseanbestimmtenTagen.EsklangErstauneninseinerStimme,alserentdeckte, dass seinDiagrammaussagte, dass er inzwischen zwarnoch genau sohäufigMigränehatte,aberdieIntensitätdeutlichzurückgegangenist.EsfolgtewiedereineosteopathischeBehandlung.Wiederum ca. 5 Wochen später sah ich Herrn W. zum dritten Mal. Er zeigte mirwiederumseinsehrakkuratesunddetailliertesDiagramm.DieMigränehatsichweiterverbessert, sowohl die Häufigkeit des Auftretens als auch die Intensität. Zusätzlichbemerkte er, dass wenn er Migräne hat und er sich an einem Heizkörper lehnt, dieSchmerzenabklingen.ErhattedieRessource„Wärme/Hitze“fürsichentdeckt.HerrW.hatte die letzte Wochen erhebliche Zahnschmerzen, war jetzt auch in zahnärztlicher

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Behandlung, eine Wurzelbehandlung stehe ihm noch bevor. Unter diesen Umständenwareserstaunlich,dassdieMigränesichtrotzdemverbessernkonnte.Ich: „Siehaben jetztwenigerKopfschmerzenundauchnichtmehr soheftig.WasändertsichjetztsoinIhremLeben?SiehabenjetztmehrZeit...........“HerrW.:„Ja,dassmerkeichgerade,ichhabemirüberlegt,wiedermehrSportzutreiben,dashabeichinletzterZeitweniggemacht.“Ich:„WelchenSportmachenSiegerne?WashabenSiebisjetztüberlegt?“Herr W.: Ich weiß es noch nicht, ich muss erst mal abwarten bis meineZahnbehandlungen vorbei sind, dass wird bestimmt noch ganz schlimm.....und dannwirdauchdasNächstekommen.Ich:„dasNächste.......?“HerrW.:„Immerwennichdenkeesgehtmirbesser,stehtwasanderesinsHaus,esisteinfach nicht möglich, dass ich mal schmerzfrei bin und mich um Sport und andereSachen,dieichgernemachenmöchte,kümmernkann.“Ich: „Können Sie es sich noch vorstellen, wie es wäre wenn Sie keine, oder zumindestweniger Schmerzen haben, und die Schmerzen keine Behinderung mehr darstellen, umsichzumBeispielihremSportzuwidmen?WissenSienochwiesichdasanfühlt?“HerrW.(traurig):„Nein,ichkannmirdasnichtmehrvorstellen......“IchschlageHerrnW.vor jetztweiterosteopathischzubehandeln,undbat ihnsichaufderBehandlungsliegehinzulegen.Während meiner nachfolgenden osteopathischen Behandlung bat ich Herrn W. seineAufmerksamkeitaufseinemKörperzurichten,andieStelle,dieichgeradebehandelte.Mit anderen Worten, er sollte mir und meinen Händen folgen mit seinerAufmerksamkeit. Nach einigen Versuchen gelang es ihm recht gut.Anschließend habeich ihm, während ich weiter behandelte, „die Wunderfrage“ gestellt. Ich bot ihn an,diesesVorgehennochzubesprechen,abererhattekeinenFragenoderGesprächsbedarfmehr.Ichbehandelte HerrW.nachwiederca.1MonatzumviertenundletztenMal.ErhatteinzwischeneineKieferoperationmitKomplikationenhintersich.Trotzdem,dieMigränetratimmerwiederauf,aberbliebaufeinemrechtniedrigenNiveau.IchfragteihmnachseinemDiagramm......

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HerrW. :(kämpferisch) „DasmitdemDiagrammhabe ichnichtmehrgemacht, ichwilldasnichtmehr. Ichwillmichdamitnichtmehrbefassen, ichwillmichendlichwiedermitanderenDingenbeschäftigenalsmitmeinemKörper.Esgibtnochsovielanderes,mir läuftdieZeitdavon. Jetztbin ichnochganz fit,abersowill ichnichtmehrweitermachen. Mit der Migräne kann ich leben, ich will nicht mehr warten, bis die sichendgültig verabschiedet. Ich werde meine Zeit jetzt anders nützen.......und ich brauchekeinenÄrzteundkeinenBehandlungenmehr.....Danke!“WirvereinbartenkeineweiterenTerminemehr.IchtrafHerrW.zufällignachmehrerenMonaten, er erzählte mir es gehe ihm sehr gut, Migräne war schon noch manchmalanwesend,aberaufeinemsehrniedrigenNiveau.ErkonntejetztseinLebenalsRentnersinnvollgestaltenundgenießen.In meiner Praxis bitte ich mittlerweile die Patienten oft ein Diagramm zu erstellen,damit sie eine Skalierung ihrer Symptome durchführen können. Ich habe damit vielepositive Erfahrungen sammeln können. Eine kleine Geschichte möchte ich hier nocherzählen.EinePatientinmittlerenAlters kam zu mir in diePraxis, mit multiplenBeschwerden.Auchsiebat ich,einDiagrammmitSkalierunganzufertigenundzumnächstenTerminmit zunehmen.Bei dernächstenBehandlunghatte sie ihrDiagrammzuHause liegenlassen,abersiesagte:„ Ichhabefestgestellt,dassichgarnichtsooftSchmerzenhatte,wieichdachte.Eigentlichgehtesmirvielbesseralsichangenommenhatte,ichwerdemichdamitnocheinwenigauseinandersetzen.“

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ReflexionManmussnichtimmerdenStaubanalysieren,umdasHausreinigenzukönnen.(ChristlLieben)Dieser Satz, gelesen im wunderbaren Buch Verzeihung. Sind Sie mein Körper?(Lieben/Renoldner), hat mich in hohen Maßen inspiriert und diesen Spruch habe ichauchdesÖfterenmit meinenPatientengeteilt. VielePatienten inmeinerPraxis sindschon mehrfach schulmedizinisch untersucht worden, oft ohne eindeutige Diagnosen.EntwederdiegefundenenAbweichungenvomNormbefundkorrespondiertennichtmitder wahrgenommenen Symptomatik, oder es gab mehrere, sehr unterschiedlicheDiagnosen und Behandlungsvorschläge. Kurzum diese Patienten sind unsicher, undsuchen weiter nach Erklärungen und alternativen Untersuchungen. „Ich will jetztendlich mal wissen, woher diese Schmerzen kommen.“ oder „Keiner findet die Ursache,könnenSiemirsagen,wasmirfehlt?“sindFragen,diemiroftbegegnen.InderSchulmedizinwirdnachderUrsachedesSymptomsausführlichgeforscht.EswirdgesuchtnachzumBeispielLaborwertenaußerhalbderNorm,BesonderheitenineinemRöntgenbildoderKernspintomographieusw.Aberauch jederweitereTherapeutsuchtmit seinem eigenen diagnostischen Verfahren nach „zu viel“, „zu wenig“, „zu fest“,„zulocker“usw.Zusammenfassend kann man sagen, es wird Ursachenforschung betrieben, und einBehandlungsplan ist darauf ausgerichtet, dass das was „nicht gut“ ist (wieder) „gut“gemacht wird (Ursache-Wirkungsprinzip). Die oben zitierten Aussagen der Patientenillustrieren, dass auch sie manchmal gefangen sind in dieser Grundhaltung. DieseGrundhaltungimplizierteineAnnahme,dasswenndieUrsachenochnichtgefundenist,noch nicht an eine Behandlung gedacht werden kann, beziehungsweise eine Heilungzugelassen werden kann. Hieraus resultiert eine manchmal verzweifelte Unruhe desPatienten.Sowohlfürmich,alslangjährigeTherapeutin,alsauchfürPatientenwarderPerspektivwechsel: „ManmußnichtimmerdenStaubanalysieren,umdasHausreinigenzukönnen“oft das Tor zu neuen Horizonten. Das Problem oder die Beschwerde stehtnichtmehrimMittelpunktundderWegzurHeilungkanninErscheinungtreten.WennesdenPatientengelang,sichdiesenPerspektivwechselzuermöglichen,warderWegineinenLösungs-undRessourcenorientiertenBehandlungsprozessfrei.Direkt nach dem ersten Seminarwochenende dieser Ausbildung fing ich an, michintensiv mit dem Begriff „ Auftragsklärung“ auseinanderzusetzen und am Anfang derBehandlung immer neumit denPatienten zuverhandeln.Auf den erstenBlick ist dieErwartung seitens der Patienten an einen Therapeuten meistens relativ deutlich.„MachebittemeineSchmerzenweg“oder„Sorgedafürdassichwiedergesundwerde“.

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Fragen,wie:+waserwartensievondieserBehandlungheute,undindennächstenWochen/Monaten+waswäreschoneingutesResultatfürheute?+welchenBeitragdenkenSie,dassichdazubeitragenkann?sindinzwischenfestenBestandteilmeinerAnamnese.Die Skalierungsfragen habe ich lieb gewonnen und die Hausaufgabe einSkalierungsdiagramm zu erstellen, ist fester Bestandteil meiner Praxistätigkeitgeworden. Ich möchte hier nochmals auf meine beiden oben beschriebenen Fällenhinweisen.GeradeinFall2bewirktedasSkalierungsdiagrammErstaunliches.Verbesserungs-undVerschlimmerungsfragengehörenzumdiagnostischenAlltageinertherapeutischen Praxis egal welcher Couleur. Verbesserungsfragen bekommen aussystemischem Blickwinkel aber noch eine andere Dimension, die Frage nachRessourcen.DieHandlungsimperative„WennDuweißtwasfunktioniert,machemehrdavonzeigtauchan, inwelcherRichtungÜbungengehenkönnen,dieeinPatientzuhausemachenkannumdieosteopathischeBehandlungzuunterstützen.DieAntwortenaufdieFrage:+WashabenSiebisjetztoderwaskönntenSieimZukunftdazubeitragen,damitsichIhrenBeschwerdenverbessern?eröffnenwiederRessourcen,diemanchmallängstvergessensind,aberjederMenschinsich trägt. Diese Frage als „Hausaufgabe“ mitzugeben, war nicht selten der Stein, derdenHeilungsprozessrichtiginsRollenbrachte.WieimerstenFallbeispielbeschriebenstelleichmanchenPatienten„dieWunderfrage“+WiesiehtIhrLebenaus,wenndieBeschwerdenplötzlichverschwundenwären?+WaswürdenSiedanntun,wasSiejetztnichttun?WiewürdenSiesichfühlen?+WoranmerkendieMenscheninIhrerNähe,dasssiesichveränderthaben?+Werwürdedasgutfinden,undwervielleichtweniger?IchhabebessereErfahrungengemacht,wennichdiese„Wunderfrage“zueinemetwasspäteren Zeitpunkt im Behandlungsprozess gestellt habe. Der Versuch „dieWunderfrage“ während eine osteopathische Behandlung zu stellen, hat sich meinerErfahrungnachbewährt.GeradedasgleichzeitigeKombinierenzweierTherapieformenfindeichsehrspannendundmöchteichzukünftigweiterentwickeln.

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DieFragennachAusnahmenwarwiederumeinhilfreichesMittel,dieFixierungaufdieSymptome zuverringern.DerFokus desPatienten (undTherapeuten)bekommteineChance Lösungen zu entwickeln und sich von den Symptomen und Beschwerden zuentfernen. Auch das Reframen und die positive Konnotation sind Methoden dersystemischenTherapie,die ich inmeinerPraxisanwendeunddie ichschätzengelernthabe.Die von mir in Fall 1 ausführlich beschriebeneKurzinterventionmitBodenankern, isteine sehr wertvolle Ergänzung meiner Therapie, ich werde das weiter entwickeln.Spannend finde ich auch, Erfahrungen zu sammeln mitden Strukturaufstellungen,dieChristaLiebenweiter entwickelthatund in ihremBuchbeschreibt (*). Ich freuemichweitere Erfahrungen zu sammeln wenn ich eine osteopathische Behandlung alsVorbereitungaufeinesystemischeIntervention,z.B.eineStrukturaufstellungausführenwürde.KönnenPatienteneventuellschnellerund/oderintensiverinKontakttretenzuihren Gefühlen, Emotionen und Gedanken, damit ein Heilungsprozess schnellereintretenkann?Schon seit über 20 Jahre ist mir dass Phänomen, das wir KörpertherapeutenBeschwerdenundSymptomenunsererPatientenübernehmenkönnenbekannt,undichhabe das auch oft selber erfahren. Die Trennung zwischen dem was zum Patientengehörtundwaszurmirselbergehört istauchnach jahrzehntelanger Erfahrungnichtimmer leicht. Diese Ausbildung mit ihren vielen praktischen Elementen hat meinenProzess dieser Trennung immer aufs Neue bewusst zu werden und zu vollziehen,gefördert.DieFähigkeit,michsoweitwienötigaufdiePatienteneinzulassenundmichin sie hinein zu versetzen, um danach wieder aus dieser Situation( analogStellvertreterposition)herauszubegeben,habe ichdeutlichentwickelnunderweiternkönnen.MeinVertrauenindieRichtigkeitmeinerWahrnehmungdiesbezüglichhatsichindenletztenzweiJahrenerheblichgestärktundichkannesinzwischenalseinegroßeRessourcenützen.Insgesamt habe ich in dieser Ausbildung viele Impulse, neue Ideen und Gedankenkennenlernendürfen,dieichsowohlinmeinemberuflichenKontextalsauchinmeinempersönlichen Umfeld einsetzen kann und eingesetzt habe. Es hat mein Leben aufvielerleiArtbereichertundichbinneugierigaufdaswasnochkommenwird.

Rastatt,Mai2014(*)Christa Lieben führte die Position „was heilt“ und den „Weg heraus (aus dem Symptom)“ in Ihre Strukturaufstellungen ein.

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LiteraturverzeichnisArist von Schlippe, Jochen Schweizer 2012: Lehrbuch der systemischenTherapieundBeratung1,dasGrundlagenwissen.Vandenhoeck&Ruprecht.RainerSchwing,AndreasFryszer2012:SystemischesHandwerkWerkzeugfürdiePraxis.Vandenhoeck&Ruprecht.Kristine Alex 2011: Mein Körper erinnert sich, SymptomaufstellungenlassenGefühlesprechen.VerlagshausAlex.Dr.med.IlseKutschera,ChristineSchäffler:Wasistnurlosmitmir?KrankheitssymptomeundFamilienstellen.KöselChristlLieben,ChristaRenoldner2011:Verzeihung,sindSiemeinKörper? Körper-undSymptomaufstellungen ineinerkörperfernenZeit.Kösel.StephanHausner,2010:Auch wenn es mich das Leben kostet. Systemaufstellungen bei schwerenKrankheitenundlanganhaltendenSymptomen.Carl-AuerVerlag.MatthiasVargavonKibéd/InsaSparrerGanzimGegenteil.GrundformenSystemischerStrukturaufstellungen.Carl-Auer-SystemeVerlag.TorstenLiem/PeterSommerfeld/PeterWührl2008TheorienosteopathischenDenkensundHandelns.HippokratesVerlag.TexteCLAROKarlsruheGerlindeMeijer/HeribertDöring-Meijer