4
Tafel 4 12 kleine Lebewesen an der Echaz Eigentlich sind diese zwölf und ihre Verwandten die interessantesten Lebewesen der Echaz. Sie sind klein, aber in großer Menge vorhanden. Durch ihren enormen Stoffumsatz beherrschen sie den Haushalt des Flusses, seine Ökologie. Sie können uns als lebende Anzeiger Bioindikatoren Auskunft über die Gewässergüte geben. Man muß sie nur kennen! 1. Brunnenlebermoos Marchantia polymorpha. Manche Steine der Uferbefestigung tragen über dem Wasser dunkelgrüne Matten von Brunnenlebermoosen. Ihr plattgedrückter Pflanzenkörper ist nicht in Stiele und Blätter gegliedert, sondern ein "Lager" aus leberförmigen Lappen. Wie kleine Schirmchen stehen die männlichen Geschlechtsorgane in die Höhe, wie Schirmgestelle die weiblichen. Brutbecher bilden ungeschlechtliche Vermehrungskörperchen. Durch ihre üppige Entwicklung zeigen die lappigen Lebermoose eine "Wohlfahrtswirkung" der Echaz an: sie wirkt wie ein riesiger Luftbefeuchter für die trockene Stadtluft 2. Bach-Kurzbüchsenmoos Brachythecium rivulare. Dieses Laubmoos mit hellgrün beblätterten Stengeln braucht dauernde Berieselung mit Wasser. Man findet es daher auf überrieselten Steinen und im "Spritzwasserbereich" der Ufermauer; d. h. dort, wo der Wellenschlag Wassertropfen hinwirft. Säuren und Giftstoffe im Wasser bringen das Bach-Kurzbüchsenmoos zum Absterben. In der glorreichen Gerber- und Färberzeit, als die Echaz manchmal rot und blau, stinkend und schäumend durch die Stadt floß, gab es diesen Klarwasserzeugen nicht an dieser Stelle. 3. Fiebermoos oder Gemeines Brunnenmoos Fontinalis antipyretica. Trotz seines angsteinflößenden ersten Namen ist dieses Wassermoos ein Hoffnungsträger. Es gedeiht nämlich am Grund von sauberen oder nur schwach verschmutzten Fließgewässern. Darauf weist sein zweiter deutscher Namen hin. Bislang - 1999 - sucht man beim eingezeichneten Punkt 2 vergeblich seine über 10 cm langen flutenden Stengel mit in drei Reihen angeordneten Blättchen. Im Zug der Sanierung der Echaz ist das Brunnenmoos aber schon vom Oberlauf bis an die Stadtgrenze von Reutlingen vorgerückt. Wird dieser Bioindikator der Reinwasserzone je beim Echaz- Uferpfad zu sehen sein? (Gewässergüte-Klasse (GWK) I/II gering belastet). 4. Schwingfaden-Bakterie Oscillatoria agardhii. Die kleinen blaugrünen Flecken auf der Schwelle und auf anderen Unterlagen fühlen sich glitschig an. Mit dem Mikroskop sieht man tausende von hin und her schwingenden Fäden (kleines Bild). Die einzelnen Zylinderchen in den Fäden besitzen keinen richtigen Zellkern; es sind Blaugrüne Bakterien. Mit Chlorophyll- Farbstoffen erzeugen sie im Licht aus Kohlendioxid Stärke. Als Abfallprodukt ihrer Lichtarbeit (Photosynthese) entlassen die Millionen von lebenden chemischen Produktionsstätten Sauerstoff ins Echazwasser! Agardhs Schwingfaden-Bakterie ist ein Bioindikator der mäßig belasteten Fließgewässer: GWK II. 5. Schiffchen-Kieselalge Navicula spec. Große goldbraune Teppiche aus Kieselalgen kennzeichnen Gewässerabschnitte der Güteklasse II. Mit durch die Algen erzeugtem Sauerstoff werden die organischen Wasserverunreinigungen abgebaut. Die beiden Schalen einer Kieselalge stecken ineinander wie bei einer Käseschachtel. Mit einem über die Schalen fließenden Schleimband kann die Zelle auf dem Boden gleiten oder im Wasser schwimmen. Milliarden von Kieselalgen leisten mit ihren Chlorophyll- Körnern den ganzen Tag Photosynthesearbeit in der Echaz.

Tafel 4 12 kleine Lebewesen an der Echaz

  • Upload
    others

  • View
    0

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Tafel 4 12 kleine Lebewesen an der Echaz

Tafel 4

12 kleine Lebewesen an der Echaz Eigentlich sind diese zwölf und ihre Verwandten die interessantesten Lebewesen der Echaz. Sie sind klein, aber in großer Menge vorhanden. Durch ihren enormen Stoffumsatz beherrschen sie den Haushalt des Flusses, seine Ökologie. Sie können uns als lebende Anzeiger ― Bioindikatoren ― Auskunft über die Gewässergüte geben. Man muß sie nur kennen! 1. Brunnenlebermoos Marchantia polymorpha. Manche Steine der Uferbefestigung tragen über dem Wasser dunkelgrüne Matten von Brunnenlebermoosen. Ihr plattgedrückter Pflanzenkörper ist nicht in Stiele und Blätter gegliedert, sondern ein "Lager" aus leberförmigen Lappen. Wie kleine Schirmchen stehen die männlichen Geschlechtsorgane in die Höhe, wie Schirmgestelle die weiblichen. Brutbecher bilden ungeschlechtliche Vermehrungskörperchen. Durch ihre üppige Entwicklung zeigen die lappigen Lebermoose eine "Wohlfahrtswirkung" der Echaz an: sie wirkt wie ein riesiger Luftbefeuchter für die trockene Stadtluft 2. Bach-Kurzbüchsenmoos Brachythecium rivulare. Dieses Laubmoos mit hellgrün beblätterten Stengeln braucht dauernde Berieselung mit Wasser. Man findet es daher auf überrieselten Steinen und im "Spritzwasserbereich" der Ufermauer; d. h. dort, wo der Wellenschlag Wassertropfen hinwirft. Säuren und Giftstoffe im Wasser bringen das Bach-Kurzbüchsenmoos zum Absterben. In der glorreichen Gerber- und Färberzeit, als die Echaz manchmal rot und blau, stinkend und schäumend durch die Stadt floß, gab es diesen Klarwasserzeugen nicht an dieser Stelle. 3. Fiebermoos oder Gemeines Brunnenmoos Fontinalis antipyretica. Trotz seines angsteinflößenden ersten Namen ist dieses Wassermoos ein Hoffnungsträger. Es gedeiht nämlich am Grund von sauberen oder nur schwach verschmutzten Fließgewässern. Darauf weist sein zweiter deutscher Namen hin. Bislang - 1999 - sucht man beim eingezeichneten Punkt 2 vergeblich seine über 10 cm langen flutenden Stengel mit in drei Reihen angeordneten Blättchen. Im Zug der Sanierung der Echaz ist das Brunnenmoos aber schon vom Oberlauf bis an die Stadtgrenze von Reutlingen vorgerückt. Wird dieser Bioindikator der Reinwasserzone je beim Echaz-Uferpfad zu sehen sein? (Gewässergüte-Klasse (GWK) I/II gering belastet). 4. Schwingfaden-Bakterie Oscillatoria agardhii. Die kleinen blaugrünen Flecken auf der Schwelle und auf anderen Unterlagen fühlen sich glitschig an. Mit dem Mikroskop sieht man tausende von hin und her schwingenden Fäden (kleines Bild). Die einzelnen Zylinderchen in den Fäden besitzen keinen richtigen Zellkern; es sind Blaugrüne Bakterien. Mit Chlorophyll- Farbstoffen erzeugen sie im Licht aus Kohlendioxid Stärke. Als Abfallprodukt ihrer Lichtarbeit (Photosynthese) entlassen die Millionen von lebenden chemischen Produktionsstätten Sauerstoff ins Echazwasser! Agardhs Schwingfaden-Bakterie ist ein Bioindikator der mäßig belasteten Fließgewässer: GWK II. 5. Schiffchen-Kieselalge Navicula spec. Große goldbraune Teppiche aus Kieselalgen kennzeichnen Gewässerabschnitte der Güteklasse II. Mit durch die Algen erzeugtem Sauerstoff werden die organischen Wasserverunreinigungen abgebaut. Die beiden Schalen einer Kieselalge stecken ineinander wie bei einer Käseschachtel. Mit einem über die Schalen fließenden Schleimband kann die Zelle auf dem Boden gleiten oder im Wasser schwimmen. Milliarden von Kieselalgen leisten mit ihren Chlorophyll- Körnern den ganzen Tag Photosynthesearbeit in der Echaz.

Page 2: Tafel 4 12 kleine Lebewesen an der Echaz

6. Ast-Grünalge Cladophora crispata. Büschel aus verzweigten Fäden sitzen mit einem Haftorgan auf Holz und Steinen. Sie fühlen sich rauh an, im Gegensatz zu weichen unverzweigten Grünalgen. Die Gekräuselte Astalge kommt in mäßig verschmutzten Gewässern vor (GWK II), die Knäuelige Astalge von GWK I/II bis III (stark verschmutzt). Wie alle Produzenten des Flusses (u.a. Nr. 1 – 7) erbringen die Algen eine Wohlfahrtswirkung für Reutlingen: Soweit ihr produzierter Sauerstoff nicht im Fluß selber verbraucht wird, trägt er zur Luftverbesserung der Stadt bei. 7. Ausläuferbildendes Straußgras Agrostis stolonifera. Das Kriech-Straußgras ist ein Spezialist der überschwemmten Ufer. Mit seinen oberirdischen Kriechtrieben überlebt es auf dem bewegten Untergrund des Kieses, auf sauerstoffarmem Schlammboden und auf dem Kalktuff absetzenden Gewässergrund der oberen Echaz. 8. Bach-Flohkrebs Gammarus ssp. Drei Arten der Flohkrebse laufen am Grund der Echaz zwischen Steinen und Wasserpflanzen umher. Ab und zu schwimmen sie ein Stück weit. Als Fresser von Fallaub und darauf sitzenden Bakterien und Pilzen sind sie ein wichtiges Mitglieder der Putzkolonne des Fließgewässers. Für ihre Kiemen benötigen sie so viel Sauerstoff, wie er nur in Gewässern ab GWK II aufwärts vorhanden ist. Denselben Anspruch an die Wasserqualität stellen auch Fische, die in der Nahrungskette auf die Flohkrebse folgen. 9. Eintagsfliege Ephemeroptera. „Es brennt – Rauch an der Echaz!“ geht der Alarmruf, wenn an einem Sommerabend Wolken aus tausenden von Eintagsfliegen zum Paarungsspiel über dem Fluß aufsteigen. Sie leben nur ein paar Stunden, fressen nicht und widmen sich der Fortpflanzung. Ihre Larven dagegen weiden zwei Jahre lang Algen und Bakterien von den Steinen der Echaz ab. GWKII; im schnell strömenden Oberlauf der GWK I findet man auch abgeplattete Eintagsfliegenlarven und solche mit zwei Schwanzanhängen. 10. Bachbungen-Ehrenpreis Veronica beccabunga. Im Bachröhricht des nassen Ufers kommen außer der blau blühenden Bach-Bunge immer mehr Arten vor, je klarer und sauerstoffreicher das Wasser echazaufwärt ist: Bach-Berle, Brunnenkresse, Sumpf- Vergißmeinicht, Flutender Schwaden und Igelkolben. 11. Schlammröhrenwurm Tubifex tubifex. An strömungsarmen Stellen lagert sich faulender Zerreibsel von Pflanzen und Tieren ab, weil dort im Wasser zu wenig Sauerstoff für den vollständigen Abbau vorhanden ist. Mit dem Vorderteil fressen tausende von Schlammwürmen im Faulschlamm. Mit dem hin und her pendelnden Hinterende fächeln sie frisches Wasser für ihre Darmatmung heran. An roten Blutfarbstoff Hämoglobin erkennt man die Spezialisten der Bachputzkolonne für sauerstoffarme Stellen im Gewässer, GWK IV (übermäßig verschmutztes Wasser). 12) Brennessel Urtica dioica. Die Brennessel, ein Stickstoffzeiger des Ufers, führt mit Spritzwasser und bei Überschwemmungen sozusagen eine Gewässeranalyse durch: geschlossene Brennesselfelder am Ufer zeigen einen hohen Stickstoffgehalt des Gewässers an (starke organische Belastung), getrennte Trupps einen mittleren, Einzelpflanzen einen geringen Stickstoffgehalt. Wie ist die Belastung hier am Echaz-Uferpfad? Wissenschaftliche Untersuchungen der Echaz mit chemischen Methoden und mit Bioindikatoren ergaben an der Probestelle „beim ADAC/Zoohandel″ noch im Jahr 1981 Gewässergüteklasse (GWK) III: kritisch belastet, seit 1998 bis heute Gewässergüteklasse II: mäßíg belastet. Gewässergüteklasse III: Stark verschmutzt

Page 3: Tafel 4 12 kleine Lebewesen an der Echaz

Die Farbe Grau herrscht vor, das Wasser stinkt. Fische, Schnecken, Muscheln, Flohkrebse und andere sauerstoffbedürftige Tiere fehlen, ebenso Blütenpflanzen und Wassermoose. Nahezu alle Steine sind auf der Unterseite schwarz von Schwefeleisen. Überall in der Strömung wehen Kolonien von grauen Abwasserpilzen („Abwasserfahnen″). Auf dem Gewässergrund teilweise gärender schwarzer Faulschlamm; darin ist die rote Zuckmückenlarve häufig. Nur Tiere dieser Stufe können überleben, z.B. Stechmückenlarven, Zuckmückenlarven, Wasserassel, Rattenschwanzlarve. Sauerstoffgehalt manchmal unter 1 mg/l. Ammoniak meist mehrere mg/l. Gewässergüteklasse II―III: Kritisch belastet Das Wasser entweder trüb durch Bakterien und organische Stoffe oder grünlich durch Planktonalgen, riecht aber kaum. Fischsterben infolge Sauerstoffmangel möglich. Nur wenige Wasserpflanzen sind vorhanden, aber oft in Massenbeständen, so wie manche fädige Algen. Dann schwankt der Sauerstoffgehalt vom Defizit am Morgen bis zur Übersättigung in den Nachmittagsstunden. Steinfliegenlarven und Köcherfliegenlarven, Bachflohkrebs fehlen, ebenso die meisten Arten der Eintagsfliegenlarven; Egel und Wasserassel häufig. Schlamm oberflächlich oxidiert (grau). Sauerstoffgehalt sinkt oft bis 4 mg/l ab. Ammoniak steigt bis 1 mg/l. Gewässergüteklasse II: Mäßig belastet Das Wasser ist meist klar und geruchlos. Forellen und andere Fische sind häufig. Vielerlei Kleintiere und Wasserpflanzen kommen vor, auch Köcherfliegenlarven, Libellenlarven und Bachflohkrebs. Schmutzwasserlebewesen der Stufen III und IV fehlen. Gewässergrund steinig, kiesig, sandig, fast ohne Faulschlamm. Sauerstoffgehalt schwankend durch Regenwassereinleitung und Algensterben, meist jedoch über 6 mg/l. Ammoniak selten über 0,3 mg/l. Prof. Dr. Werner Grüninger, Reutlingen

Page 4: Tafel 4 12 kleine Lebewesen an der Echaz