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BILDUNGSWESEN POLITIK KULTUR GESELLSCHAFT UNIVERSITÄT HEIDELBERG 1900 –1918 Wintersemester 1908/1909 Sprunghafter Anstieg der Zahl der Studentinnen Erst im Wintersemester1908/1909 kommt es zu einem Sprung in der Zahl der weiblichen Studierenden in Deutschland von 375 auf 1132 Studentinnen, nach- dem Preußen als letztes der großen Länder des Deutschen Reiches am 11. Juni1908 Frauen den Zugang zur Universität gewährt. 1900–1914 Studium an der philosophischen Fakultät Vor dem Ersten Weltkrieg studieren 80 Prozent der Frauen in Deutschland ein philosophisches Fach. Mit diesem Studium können sie den Beruf der Lehrerin ergreifen. Ende 19. bis Anfang 20. Jahrhundert – Lehrerinnen Der Beruf der Lehrerin ist bei den Studentinnen sehr beliebt. Zu Beginn des Jahrhunderts eröffnet er für Frauen die sicherste Aussicht auf eine spätere Berufsausübung. Er ist als Beruf für Frauen öffentlich am längsten anerkannt, die Protagonistinnen der Frauenbewegung waren fast alle Lehrerinnen. Und bereits seit 1890 gibt es mit dem „Allgemeinen Deutschen Lehrerinnen- verein“ eine eigene Berufsorganisation für Lehrerinnen. Die Aufstiegschancen sind jedoch schlecht, männliche Kollegen weh- ren sich vehement gegen die größer werdende weibliche Kon- kurrenz. Außerdem müssen Lehrerinnen nach einem Erlass von 1892 ledig bleiben („Lehrerinnenzölibat“). Wenn sie heiraten, werden sie aus dem Schuldienst und aus dem Beamtenverhältnis entlassen. 1914/1915 Studentinnen für den Krieg Zu Beginn des Krieges sind viele Studentinnen begeistert für die vaterländische Sache. Während sich ihre männlichen Kommili- tonen freiwillig zum Militärdienst melden, erklären sie sich zu verschiedenen Hilfsarbeiten bereit: Einige arbeiteten in Laza- retten und Krankenhäusern, andere sammeln Leckereien und Zigaretten und verschicken sie als Proviantpäckchen an die Kommilitonen an der Front. Obwohl viel dafür geworben wird, können sich nur wenige Studentinnen dazu entschließen, in einer Munitionsfabrik zu arbeiten. Das liegt zum einen an der Ge- fährlichkeit der Arbeit, zum anderen aber auch daran, dass viele dazu gezwungen sind, für den eigenen Lebensunterhalt Geld zu verdienen. 1914 –1917 Erster Weltkrieg Im Ersten Weltkrieg wächst die Zahl der weiblichen Studierenden weiter, während die Männer zwar immatrikuliert bleiben, in den Hörsälen jedoch nicht anwesend sind, weil sie für den Kriegs- dienst beurlaubt sind. Die Zahl der Studentinnen an der Uni- versität Heidelberg wächst von 266 im Sommersemester 1914 auf 451 im Sommersemester1917. In diesem Semester machen die Frauen mehr als 50 Prozent der anwesenden Studierenden aus. Damit ist in Heidelberg der Frauenanteil im Krieg insgesamt höher als an anderen Universitäten. Luise Klebs (1865–1931) Luise Klebs, geborene Sigwart, kommt am 13. Juni1865 in Tübingen zur Welt. Nach ihrer Heirat mit dem Botaniker Georg Klebs lebt sie zunächst in Basel und Halle. 1907 kommt sie nach Heidelberg. Sie studiert an der Universi- tät und nimmt aktiv an den Gesprächskreisen Marianne Webers teil. Hier in Heidelberg wendet sie sich ganz der Ägyptologie zu. Sie wird ständiges Mitglied des ägyptologischen Instituts und be- faßt sich intensiv mit der ägyptischen Kulturgeschichte, bis sie1931 auf einer Reise stirbt. Ihre Publikationen gehören noch heute zu den Grundlagen auf diesem Gebiet. In Anerkennung ihrer Leistun- gen verleiht ihr die Universität Tübingen die Ehrendoktorwürde. Gertrud Bäumer (1873–1954) Gertrud Bäumer ist eine der wichtigsten Ver- treterinnen der Frauenbewegung, zu der sie über ihren Beruf stößt. Sie ist Lehrerin in Magdeburg und Mitbegründerin des dortigen Lehrerinnenvereins. Bei der Gründungsver- sammlung lernt sie Helene Lange kennen. Aus dieser Begegnung entwickelt sich eine lang- jährige Lebens- und Arbeitsgemeinschaft. Zusammen geben sie das fünfbändige „Handbuch der Frauen- bewegung“ und die Zeitschrift „Die Frau“ heraus. Gertrud Bäumer studiert von1900 an in Berlin und promoviert 1904 zum Dr. phil. Neben der „Frau“ arbeitet sie noch an anderen Zeitschriften mit: Sie ist Redakteurin der „Neuen Bahnen“ (Zeitschrift des All- gemeinen Deutschen Frauenvereins), Mitherausgeberin von „Die Hilfe“ (mit Friedrich Naumann). Von 1910 an ist Gertrud Bäumer Vorsitzende des Bundes Deutscher Frauenvereine (BDF) und gründet 1914 den „Nationalen Frauendienst“. Nach dem Krieg wird sie für die Deutsche Demokratische Partei (DDP) Mit- glied in der Verfassunggebenden Nationalversammlung und bis 1930 Reichstagsabgeordnete der DDP. Als erste deutsche Ministeri- alrätin wird sie 1922 in die kulturpolitische Abteilung des Reichs- innenministeriums berufen. Nach der Machtergreifung der Natio- nalsozialisten wird sie zwar vom Dienst suspendiert, kann aber trotzdem die Zeitschrift „Die Frau“ weiter herausgeben. Auch nach dem Krieg engagiert sie sich politisch in der CSU und CDU. Gertrud Bäumer stirbt am 25. März 1954. 1905 Neue Studentinnenorganisation 1904/1905 löst sich der Heidelberger Studentinnenverein auf. Eine neue Gene- ration von Studentinnen ist zu größeren Zugeständnissen gegenüber den männ- lichen Verbindungen bereit.1905 wird die neue „Organisation der Studentinnen Heidelbergs“ gegründet. Die „Organi- sation“ versteht sich als Zusammenschluss aller Studentinnen; der tatsächliche Bei- tritt ist nicht entscheidend. Der Verein orientiert sich mehr an den männlichen Verbindungen, er gibt Offenheit und Toleranz auf: Hospitantinnen, Auslände- rinnen und Jüdinnen werden nicht mehr zugelassen. Sommersemester 1906 – Studienfächer Im Sommersemester 1906 sind in Heidelberg 57 Frauen ordentlich immatrikuliert: 28 an der Medizinischen Fakultät 22 an der Philosophischen Fakultät 4 in Mathematik und den Naturwissenschaften 1 in den Staatswissenschaften 2 an der Juristischen Fakultät Frauen wenden sich v.a. den Fächern zu, die eine Berufsausübung nach dem Abschluss ermöglichen. Da es lange Zeit im juristi- schen und theologischen Bereich keine berufliche Perspektiven für Frauen gibt, konzentrieren sie sich auf die Medizinische und Philosophische Fakultät. 1912 Theologie 1912 beginnt die erste Theologiestudentin in Heidelberg ihr Studium. Mit einem abgeschlossenen Theologiestudium können Frauen lange Zeit keinen qualifizierten Beruf ergreifen. Erst 1925 werden Frauen zur theologischen Pfarrhelferin und erst 1956 als Pfarrerin bzw. Pastorin zugelassen. Wintersemester 1912/1913 Studentinnenorganisationen Im Wintersemester 1912/1913 sind von den immatrikulierten 219 Heidelberger Studentinnen 44 Mitglieder im Studentin- nenverein (29 aktiv, 13 Altmit- glieder, die Übrigen an anderen Universitäten). Die aktiven Mit- glieder machen 13,2 Prozent der Studentinnen aus. An kleinen Universitäten ist der Organisa- tionsgrad im allgemeinen höher (Tübingen mit 89 Prozent) als an großen (Berlin mit 5,5 Prozent). 1913 Der Jüdische Studentinnen-Verein Am 30. Juni1913 genehmigt der Senat der Universität Heidelberg die Statuten des „Jüdischen Studentinnen-Vereins“. Ziel des Vereins ist es, die Mitglieder zu bewussten Jüdinnen zu erziehen. Auf dem Programm des Vereins steht darum das Studium der jüdischen Geschichte, Literatur und Kunst. Die Mitglieder sind ver- pflichtet, an den Vorträgen, Veranstaltungen und anderen Ge- selligkeiten teilzunehmen. Sommersemester 1917 Heidelberger Studentinnen im Krieg Heidelberger Studentinnen betreuen Verwundete im akade- mischen Krankenhaus und sind in der Verwaltung des örtlichen „Akademischen Hilfsbundes“ mit einer Stimme vertreten. 1900–1918 Wohnen als Studentin Die Wohnsituation ist für Studentinnen schwieriger als für ihre männlichen Kommilitonen. Sie können nicht auf günstige, schlecht gelegene Unterkünfte zurückgreifen, weil das ihrem Ruf schaden und ihrem Bedürfnis nach Sicherheit nicht entsprechen würde. Viele Wirtinnen haben große Vorurteile gegenüber den studierenden Frauen, weil diese höhere Ansprüche als Studenten stellen: sie wollen in den Zimmern auch Kochen und ihre Kleider säubern. Für Frauen war es damals allgemein unüblich, mit einer Freundin oder gar alleine Essen zu gehen. Wohnheime sind vor dem Krieg noch sehr selten. 1908 Juristische Emanzipation 1908 ist das Jahr des größten rechtlichen Durchbruchs für die Frauen: in diesem Jahr lässt Preußen als größtes Land im Deutschen Reich die Immatrikulation von Frauen zu. Endlich wird auch das Verbot aufgehoben, das Frauen, Schülern und Lehrlingen die Mit- gliedschaft in politischen Vereinen und die Teilnahme an politi- schen Veranstaltungen verweigert. Das Gesetz war 1850 als Reak- tion auf die Beteiligung von Frauen an der Revolution von 1848 erlassen worden und ist bis zu seiner Aufhebung eines der größten Hindernisse für den Fortschritt der Frauenbewegung gewesen. 1914 Kriegsbegeisterung Die Führerinnen der Bürger- lichen Frauenbewegung stellen sich hinter die Kriegserklärung Kaiser Wilhelms II. Sie sehen im Kriegsdienst eine Chance für die Frauen, sich die An- erkennung des Staates verdie- nen zu können. Sie hoffen auf die Gewährung des Wahl- rechts und die Verbesserung der Berufslage für Frauen. Gertrud Bäumer gründet den „Natio- nalen Frauendienst“ (NFD), um alle Frauenvereine zur Kriegs- unterstützung zu organisieren. Sogar die Proletarische Frauenbe- wegung, die für die „Sache des Vaterlandes“ ihre Differenzen mit der bürgerlichen Frauenbewegung bei Seite legt, engagiert sich im NFD. 1914 Der Nationale Frauendienst Bei Kriegsbeginn schließen sich fast alle Frauenvereine zum „Nationalen Frauendienst“(NFD) zusammen. Der NFD soll die Fürsorgetätigkeit der unter- schiedlichen Vereine im Krieg koordinieren. Die soziale Mobil- machung der Frauen entspricht der militärischen Mobilma- chung der Männer. Die Frauen sehen sichals „Heimkämpferinnen“ für das Vaterland. Auch der „Verband der Studentinnenvereine Deutschlands“ schließt sich1915 dem NFD an. Die Frauenbewegung stellt ihre Forderungen zurück, hofft aber, nach dem Krieg mit dem Wahlrecht und der Gewährung von besseren beruflichen Positionen belohnt zu werden. 1914 –1918 Scheitern der internationalen Frauensolidarität Mit Kriegsbeginn zeigt sich, dass die Politik der internationalen Frauenverbände gescheitert ist. Nationale Interessen rücken sofort in den Vordergrund, obwohl Friede neben dem Stimmrecht in der internationalen Frauenarbeit als Thema eine große Rolle spielt. Die Frauenverbände der verfeindeten Nationen frieren ihre Beziehungen ein und sagen den nächsten bereits geplanten Kongress ab. Dass dennoch im April1915 in Den Haag eine außer- ordentliche Konferenz für den Frieden mit immerhin 1200 Dele- gierten stattfinden kann, ist vor allem Anita Ausgspurg, einer bedeutenden Vertreterin der radikalen Frauenbewegung, zu ver- danken. Die deutschen Teilnehmerinnen am Haager Kongress werden nicht nur polizeilich verfolgt und überwacht, auch der Vorstand des Bundes Deutscher Frauenvereine (BDF) findet, dass ihr Engagement mit „vaterländischer Gesinnung“ unver- einbar ist. „Die Wirkung des Ewig-Weiblichen habe ich persönlich nie an mir erfahren“, Studentinnen-Karikatur. Kriegsbeginn 1914. Der Nationale Frauendienst bietet Soldaten am Bahnhof Verpflegung an. Verteilung der Studentinnen auf die Fächer 1900–1919 Oft ein Himmelfahrtskommando: Arbeiterinnen in einer Munitionsfabrik. Die ersten Vorstandsmitglieder des Heidelberger Studentinnenvereins. Zeitschrift der Frauenbewegung (1893–1944), hrsg. von Helene Lange und Gertrud Bäumer. Otolia Gräfin Kraszewska: Das dritte Geschlecht. „Was schreiben Sie denn jetzt, Fräulein Lilienstiel?“ – „Einen Roman.“ – „Wie heisst er?“ – „Messalina.“ – „ Also historisch?“ – „Nein, hysterisch.“ Jugend Nr. 31, 1900, S. 525. Flugblatt der „Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit“.

tafel - Heidelberg University · 1892 ledig bleiben („Lehrerinnenzölibat“). Wenn sie heiraten, werden sie aus dem Schuldienst und aus dem Beamtenverhältnis entlassen. 1914/1915

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Page 1: tafel - Heidelberg University · 1892 ledig bleiben („Lehrerinnenzölibat“). Wenn sie heiraten, werden sie aus dem Schuldienst und aus dem Beamtenverhältnis entlassen. 1914/1915

BILDUNGSWESEN

POLITIKKULTURGESELLSCHAFT

UNIVERSITÄTHEIDELBERG

1900–1918

Wintersemester 1908/1909 Sprunghafter Anstieg der Zahl der StudentinnenErst im Wintersemester 1908/1909 kommtes zu einem Sprung in der Zahl der weiblichen Studierenden in Deutschlandvon 375 auf 1132 Studentinnen, nach-dem Preußen als letztes der großen Länderdes Deutschen Reiches am 11. Juni 1908Frauen den Zugang zur Universitätgewährt.

1900–1914 Studium an der philosophischen Fakultät Vor dem Ersten Weltkrieg studieren 80 Prozent der Frauen inDeutschland ein philosophisches Fach. Mit diesem Studium könnensie den Beruf der Lehrerin ergreifen.

Ende 19. bis Anfang 20. Jahrhundert – LehrerinnenDer Beruf der Lehrerin ist bei den Studentinnen sehr beliebt. Zu Beginn des Jahrhunderts eröffnet er für Frauen die sichersteAussicht auf eine spätere Berufsausübung. Er ist als Beruf fürFrauen öffentlich am längsten anerkannt, die Protagonistinnender Frauenbewegung waren fast alle Lehrerinnen. Und bereitsseit 1890 gibt es mit dem „Allgemeinen Deutschen Lehrerinnen-verein“ eine eigene Berufsorganisation für Lehrerinnen. Die Aufstiegschancen sind jedoch schlecht, männliche Kollegen weh-ren sich vehement gegen die größer werdende weibliche Kon-kurrenz. Außerdem müssen Lehrerinnen nach einem Erlass von1892 ledig bleiben („Lehrerinnenzölibat“). Wenn sie heiraten,werden sie aus dem Schuldienst und aus dem Beamtenverhältnisentlassen.

1914/1915 Studentinnen für den KriegZu Beginn des Krieges sind viele Studentinnen begeistert für dievaterländische Sache. Während sich ihre männlichen Kommili-tonen freiwillig zum Militärdienst melden, erklären sie sich zuverschiedenen Hilfsarbeiten bereit: Einige arbeiteten in Laza-retten und Krankenhäusern, andere sammeln Leckereien undZigaretten und verschicken sie als Proviantpäckchen an die Kommilitonen an der Front. Obwohl viel dafür geworben wird,können sich nur wenige Studentinnen dazu entschließen, ineiner Munitionsfabrik zu arbeiten. Das liegt zum einen an der Ge-fährlichkeit der Arbeit, zum anderen aber auch daran, dass viele dazu gezwungen sind, für den eigenen LebensunterhaltGeld zu verdienen.

1914–1917 Erster WeltkriegIm Ersten Weltkrieg wächst die Zahl der weiblichen Studierendenweiter, während die Männer zwar immatrikuliert bleiben, in den Hörsälen jedoch nicht anwesend sind, weil sie für den Kriegs-dienst beurlaubt sind. Die Zahl der Studentinnen an der Uni-versität Heidelberg wächst von 266 im Sommersemester 1914 auf 451 im Sommersemester 1917. In diesem Semester machen dieFrauen mehr als 50 Prozent der anwesenden Studierenden aus.Damit ist in Heidelberg der Frauenanteil im Krieg insgesamt höherals an anderen Universitäten.

Luise Klebs (1865–1931)Luise Klebs, geborene Sigwart, kommt am 13. Juni 1865 in Tübingen zur Welt. Nach ihrerHeirat mit dem Botaniker Georg Klebs lebt sie zunächst in Basel und Halle. 1907 kommt sienach Heidelberg. Sie studiert an der Universi-tät und nimmt aktiv an den Gesprächskreisen Marianne Webers teil. Hier in Heidelberg wendet sie sich ganz der Ägyptologie zu. Sie

wird ständiges Mitglied des ägyptologischen Instituts und be-faßt sich intensiv mit der ägyptischen Kulturgeschichte, bis sie 1931auf einer Reise stirbt. Ihre Publikationen gehören noch heute zuden Grundlagen auf diesem Gebiet. In Anerkennung ihrer Leistun-gen verleiht ihr die Universität Tübingen die Ehrendoktorwürde.

Gertrud Bäumer (1873–1954)Gertrud Bäumer ist eine der wichtigsten Ver-treterinnen der Frauenbewegung, zu der sie über ihren Beruf stößt. Sie ist Lehrerin inMagdeburg und Mitbegründerin des dortigenLehrerinnenvereins. Bei der Gründungsver-sammlung lernt sie Helene Lange kennen. Ausdieser Begegnung entwickelt sich eine lang-jährige Lebens- und Arbeitsgemeinschaft.

Zusammen geben sie das fünfbändige „Handbuch der Frauen-bewegung“ und die Zeitschrift „Die Frau“ heraus. Gertrud Bäumerstudiert von 1900 an in Berlin und promoviert 1904 zum Dr. phil.Neben der „Frau“ arbeitet sie noch an anderen Zeitschriften mit:Sie ist Redakteurin der „Neuen Bahnen“ (Zeitschrift des All-gemeinen Deutschen Frauenvereins), Mitherausgeberin von

„Die Hilfe“ (mit Friedrich Naumann). Von 1910 an ist Gertrud Bäumer Vorsitzende des Bundes Deutscher Frauenvereine (BDF)und gründet 1914 den „Nationalen Frauendienst“. Nach demKrieg wird sie für die Deutsche Demokratische Partei (DDP) Mit-glied in der Verfassunggebenden Nationalversammlung und bis1930 Reichstagsabgeordnete der DDP. Als erste deutsche Ministeri-alrätin wird sie 1922 in die kulturpolitische Abteilung des Reichs-innenministeriums berufen. Nach der Machtergreifung der Natio-nalsozialisten wird sie zwar vom Dienst suspendiert, kann abertrotzdem die Zeitschrift „Die Frau“ weiter herausgeben. Auch nachdem Krieg engagiert sie sich politisch in der CSU und CDU. Gertrud Bäumer stirbt am 25. März 1954.

1905 Neue Studentinnenorganisation1904/1905 löst sich der HeidelbergerStudentinnenverein auf. Eine neue Gene-ration von Studentinnen ist zu größerenZugeständnissen gegenüber den männ-lichen Verbindungen bereit.1905 wird die neue „Organisation der StudentinnenHeidelbergs“ gegründet. Die „Organi-sation“ versteht sich als Zusammenschlussaller Studentinnen; der tatsächliche Bei-tritt ist nicht entscheidend. Der Vereinorientiert sich mehr an den männlichenVerbindungen, er gibt Offenheit undToleranz auf: Hospitantinnen, Auslände-rinnen und Jüdinnen werden nicht mehr zugelassen.

Sommersemester 1906 – StudienfächerIm Sommersemester 1906 sind in Heidelberg 57 Frauen ordentlichimmatrikuliert: 28 an der Medizinischen Fakultät

22 an der Philosophischen Fakultät4 in Mathematik und den Naturwissenschaften1 in den Staatswissenschaften2 an der Juristischen Fakultät

Frauen wenden sich v.a. den Fächern zu, die eine Berufsausübungnach dem Abschluss ermöglichen. Da es lange Zeit im juristi-schen und theologischen Bereich keine berufliche Perspektiven fürFrauen gibt, konzentrieren sie sich auf die Medizinische und Philosophische Fakultät.

1912 Theologie1912 beginnt die erste Theologiestudentin in Heidelberg ihr Studium. Mit einem abgeschlossenen Theologiestudium könnenFrauen lange Zeit keinen qualifizierten Beruf ergreifen. Erst 1925 werden Frauen zur theologischen Pfarrhelferin und erst1956 als Pfarrerin bzw. Pastorin zugelassen.

Wintersemester 1912/1913 StudentinnenorganisationenIm Wintersemester 1912/1913sind von den immatrikulierten219 Heidelberger Studentinnen44 Mitglieder im Studentin-nenverein (29 aktiv, 13 Altmit-glieder, die Übrigen an anderenUniversitäten). Die aktiven Mit-glieder machen 13,2 Prozent

der Studentinnen aus. An kleinen Universitäten ist der Organisa-tionsgrad im allgemeinen höher (Tübingen mit 89 Prozent) als angroßen (Berlin mit 5,5 Prozent).

1913 Der Jüdische Studentinnen-VereinAm 30. Juni 1913 genehmigt der Senat der Universität Heidelbergdie Statuten des „Jüdischen Studentinnen-Vereins“. Ziel des Vereins ist es, die Mitglieder zu bewussten Jüdinnen zu erziehen.Auf dem Programm des Vereins steht darum das Studium derjüdischen Geschichte, Literatur und Kunst. Die Mitglieder sind ver-pflichtet, an den Vorträgen, Veranstaltungen und anderen Ge-selligkeiten teilzunehmen.

Sommersemester 1917 Heidelberger Studentinnen im KriegHeidelberger Studentinnen betreuen Verwundete im akade-mischen Krankenhaus und sind in der Verwaltung des örtlichen

„Akademischen Hilfsbundes“ mit einer Stimme vertreten.

1900–1918 Wohnen als Studentin Die Wohnsituation ist für Studentinnen schwieriger als für ihremännlichen Kommilitonen. Sie können nicht auf günstige,schlecht gelegene Unterkünfte zurückgreifen, weil das ihrem Rufschaden und ihrem Bedürfnis nach Sicherheit nicht entsprechenwürde. Viele Wirtinnen haben große Vorurteile gegenüber denstudierenden Frauen, weil diese höhere Ansprüche als Studentenstellen: sie wollen in den Zimmern auch Kochen und ihre Kleidersäubern. Für Frauen war es damals allgemein unüblich, mit einer Freundin oder gar alleine Essen zu gehen. Wohnheime sindvor dem Krieg noch sehr selten.

1908 Juristische Emanzipation 1908 ist das Jahr des größten rechtlichen Durchbruchs für dieFrauen: in diesem Jahr lässt Preußen als größtes Land im DeutschenReich die Immatrikulation von Frauen zu. Endlich wird auch dasVerbot aufgehoben, das Frauen, Schülern und Lehrlingen die Mit-gliedschaft in politischen Vereinen und die Teilnahme an politi-schen Veranstaltungen verweigert. Das Gesetz war 1850 als Reak-tion auf die Beteiligung von Frauen an der Revolution von 1848erlassen worden und ist bis zu seiner Aufhebung eines der größtenHindernisse für den Fortschritt der Frauenbewegung gewesen.

1914 KriegsbegeisterungDie Führerinnen der Bürger-lichen Frauenbewegung stellensich hinter die KriegserklärungKaiser Wilhelms II. Sie sehenim Kriegsdienst eine Chancefür die Frauen, sich die An-erkennung des Staates verdie-nen zu können. Sie hoffen aufdie Gewährung des Wahl-rechts und die Verbesserung

der Berufslage für Frauen. Gertrud Bäumer gründet den „Natio-nalen Frauendienst“ (NFD), um alle Frauenvereine zur Kriegs-unterstützung zu organisieren. Sogar die Proletarische Frauenbe-wegung, die für die „Sache des Vaterlandes“ ihre Differenzen mit der bürgerlichen Frauenbewegung bei Seite legt, engagiertsich im NFD.

1914 Der NationaleFrauendienst

Bei Kriegsbeginn schließen sichfast alle Frauenvereine zum

„Nationalen Frauendienst“(NFD)zusammen. Der NFD soll dieFürsorgetätigkeit der unter-schiedlichen Vereine im Kriegkoordinieren. Die soziale Mobil-machung der Frauen entsprichtdermilitärischen Mobilma-

chung der Männer. Die Frauen sehen sich als „Heimkämpferinnen“für das Vaterland. Auch der „Verband der StudentinnenvereineDeutschlands“ schließt sich 1915 dem NFD an. Die Frauenbewegungstellt ihre Forderungen zurück, hofft aber, nach dem Krieg mitdem Wahlrecht und der Gewährung von besseren beruflichenPositionen belohnt zu werden.

1914–1918 Scheitern der internationalen FrauensolidaritätMit Kriegsbeginn zeigt sich, dass die Politik der internationalenFrauenverbände gescheitert ist. Nationale Interessen rückensofort in den Vordergrund, obwohl Friede neben dem Stimmrechtin der internationalen Frauenarbeit als Thema eine große Rollespielt. Die Frauenverbände der verfeindeten Nationen frieren ihre Beziehungen ein und sagen den nächsten bereits geplantenKongress ab. Dass dennoch im April 1915 in Den Haag eine außer-ordentliche Konferenz für den Frieden mit immerhin 1200 Dele-gierten stattfinden kann, ist vor allem Anita Ausgspurg, einerbedeutenden Vertreterin der radikalen Frauenbewegung, zu ver-danken. Die deutschen Teilnehmerinnen am Haager Kongresswerden nicht nur polizeilich verfolgt und überwacht, auch derVorstand des Bundes Deutscher Frauenvereine (BDF) findet, dass ihr Engagement mit „vaterländischer Gesinnung“ unver-einbar ist.

„Die Wirkung des Ewig-Weiblichen habe ich persönlich nie an mir erfahren“,

Studentinnen-Karikatur.

Kriegsbeginn 1914.Der Nationale Frauendienst bietet Soldaten am Bahnhof Verpflegung an.

Verteilung der Studentinnen auf die Fächer

1900–1919

Oft ein Himmelfahrtskommando:

Arbeiterinnen in einer Munitionsfabrik.

Die ersten Vorstandsmitglieder des Heidelberger Studentinnenvereins.

Zeitschrift der Frauenbewegung (1893–1944), hrsg. von Helene Lange und Gertrud Bäumer.

Otolia Gräfin Kraszewska: Das dritte Geschlecht.

„Was schreiben Sie denn jetzt, Fräulein Lilienstiel?“ – „Einen Roman.“ – „Wie heisst er?“ –

„Messalina.“ – „ Also historisch?“ – „Nein, hysterisch.“

Jugend Nr. 31,1900, S. 525.

Flugblatt der „Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit“.