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170 Tagwerk Die Aufsteigerin Die dienstälteste Bergführerin der Schweiz, Käthi Flühmann, 46, kommt aus Unterbach BE und ist berühmt für ihre Wyber- und Örgeli-Touren. Egal, wo ich übernachte, daheim in unserem Hüsli in Unterbach bei Meiringen oder in einer SAC-Hütte, ich bin morgens sofort hellwach, gleich auf 180! Dazu brauche ich nicht mal Kaffee, eine Tasse Tee oder Milch ist mir sowieso lieber. Ich habe mir immer gewünscht, mein Geld mit Freude zu verdienen. Dieser Wunsch ging in Erfüllung, ich mache, was ich wirklich liebe: bergsteigen und Skitouren. Ich habe zwei total unterschiedliche Tagesabläufe, je nachdem, ob ich als Bergführerin unterwegs oder als Hausfrau zu Hause bin. Daheim stehe ich oft um fünf Uhr auf und erledige den Bürokram. Zusammen mit meinem Mann Dani – auch er ist Bergführer – und einem Kollegen führen wir das Bergsportunternehmen www.hasliguides.ch. Sieben Monate im Jahr bin ich unterwegs, fünf daheim. Wir haben zwei Kinder, Toni ist zwanzig, Peter siebzehn. Als sie klein waren, wechselten Dani und ich uns ab: Einer war je eine Woche mit Gästen unterwegs, der andere kümmerte sich um Haushalt und Kinder. Wenns ganz strub kam, halfen Tanten und Grosi aus. Jetzt, wo die Buben gross sind, ist alles viel einfacher. Ich machte eine Lehre als Verkäuferin. Und war total un- glücklich. Das sollte schon alles sein im Leben? Zum Glück entdeckte ich die Natur, die Berge und das Klettern. Nach der Lehre arbeitete ich als Rinderhirtin auf einer Alp. Erst ab 1984 war es für Frauen möglich, Bergführer zu werden, vorher wurden nur Militärdienstleistende zugelassen. Mit 22 Jahren begann ich als zweite Frau in der Schweiz mit der Ausbildung. Meine Eltern hatten zuerst keine Freude. Mein Vater war Krankenauto-Chauffeur und erzählte oft von Alpinisten, die er einsammeln musste. Die Briefe des Bergführerverbandes an mich waren anfangs immer mit Herrnadressiert. Mit siebzig Männern sass ich am ersten Kurstag im Saal, der Chefausbilder sagte: Zum ersten Mal haben wir hier ein Fräulein. Schenken tun wir ihr nichts, aber häbet Sorg zu ihr! Ich wurde vom ersten Tag an voll akzeptiert. 1988 erhielt ich das Bergführer-Brevet. Zwei Drittel meiner Gäste sind weiblich. Legendär ist meine Wyber-Woche, eine Skitour nur für Frauen. Hei, das ist lustig, wir haben so viel zu lachen. Begehrt ist auch meine Örgeli- Woche, tagsüber Skitouren, abends spiele ich Schwyzer- örgeli. Schmunzeln muss ich, wenn Gäste meinen, als Berg- führerin hätte ich auf jeder Tour Ferien. Wir tragen eine riesige Verantwortung. Mit meinem Lohn bin ich zufrieden, ich verdiene etwa so viel wie ein Handwerker. Angst? Habe ich nie, Respekt schon. Einmal ist mir ein Gast sechzig Meter den Hang hinun- tergerutscht, hat über- lebt und sich bloss den Fuss verletzt. Sonst ist in fünfundzwanzig Jahren weder mir noch einem Gast Schlimmes pas- siert – Holz aalänge! Am schönsten beim Bergsteigen ist der Sonnenaufgang, vor allem auf meiner Lieb- lingstour via Mittellegi- grat zum Eiger. Manch- mal gönne ich mir auf dem Gipfel e chlini Sünd – eine Zigarette. Die Bergschuhe haben sich in all den Jahren enorm verbessert. Früher aus gstabigem Leder, sind sie heute sehr bequem. Mir ist egal, ob ein Berg gross oder klein ist, ich gehe jeden Tag einfach gern in die Natur. Einmal machte ich in Tunesien Strandferien, all inclusive – läck, war das lang- weilig. Auf einem Achttausender stand ich auch schon, dem Shishapangma. Der Everest? Nein, gluschtet mich gäng wie weniger, zu viel Kommerz und Gstürm am Berg. Um zehn gehe ich ins Bett. Fernsehen gucke ich selten, vor dem Bildschirm nicke ich drum sofort ein.» C Aufgezeichnet von Marcel Huwyler Foto Karl-Heinz Hug Ihr Tagwerk führt zum Gipfel: Bergführerin Käthi Flühmann. « Netzwerk www.hasliguides.ch j www.haslital.ch V www.4000plus.ch E www.slf.ch

Tagwerk Die Aufsteigerin - Gueti Gschichte · 2011. 4. 17. · 170 Tagwerk Die Aufsteigerin Die dienstälteste Bergführerin der Schweiz, Käthi Flühmann, 46, kommt aus Unterbach

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    Tagwerk

    Die AufsteigerinDie dienstälteste Bergführerin der Schweiz, Käthi Flühmann, 46, kommt aus

    Unterbach BE und ist berühmt für ihre Wyber- und Örgeli-Touren.

    Egal, wo ich übernachte, daheim in unserem Hüsli in Unterbach bei Meiringen oder in einer SAC-Hütte, ich bin morgens sofort hellwach, gleich auf 180! Dazu brauche ich nicht mal

    Kaffee, eine Tasse Tee oder Milch ist mir sowieso lieber. Ich habe mir immer gewünscht, mein Geld mit Freude zu verdienen. Dieser Wunsch ging in Erfüllung, ich mache, was ich wirklich liebe: bergsteigen und Skitouren. Ich habe zwei total unterschiedliche Tagesabläufe, je nachdem, ob ich als Bergführerin unterwegs oder als Hausfrau zu Hause bin.

    Daheim stehe ich oft um fünf Uhr auf und erledige den Bürokram. Zusammen mit meinem Mann Dani – auch er ist Bergführer – und einem Kollegen führen wir das Bergsportunternehmen www.hasliguides.ch. Sieben Monate im Jahr bin ich unterwegs, fünf daheim. Wir haben zwei Kinder, Toni ist zwanzig, Peter siebzehn. Als sie klein waren, wechselten Dani und ich uns ab: Einer war je eine Woche mit Gästen unterwegs, der andere kümmerte sich um Haushalt und Kinder. Wenns ganz strub kam, halfen Tanten und Grosi aus. Jetzt, wo die Buben gross sind, ist alles viel einfacher.

    Ich machte eine Lehre als Verkäuferin. Und war total un-glücklich. Das sollte schon alles sein im Leben? Zum Glück entdeckte ich die Natur, die Berge und das Klettern. Nach der Lehre arbeitete ich als Rinderhirtin auf einer Alp. Erst ab 1984 war es für Frauen möglich, Bergführer zu werden, vorher wurden nur Militärdienstleistende zugelassen. Mit 22 Jahren begann ich als zweite Frau in der Schweiz mit der Ausbildung. Meine Eltern hatten zuerst keine Freude. Mein Vater war Krankenauto-Chauffeur und erzählte oft von Alpinisten, die er einsammeln musste. Die Briefe des Bergführerverbandes an mich waren anfangs immer mit ‹Herrn› adressiert. Mit siebzig Männern sass ich am ersten Kurstag im Saal, der Chefausbilder sagte: Zum ersten Mal

    haben wir hier ein Fräulein. Schenken tun wir ihr nichts, aber häbet Sorg zu ihr! Ich wurde vom ersten Tag an voll akzeptiert. 1988 erhielt ich das Bergführer-Brevet.

    Zwei Drittel meiner Gäste sind weiblich. Legendär ist meine Wyber-Woche, eine Skitour nur für Frauen. Hei, das ist lustig, wir haben so viel zu lachen. Begehrt ist auch meine Örgeli-Woche, tagsüber Skitouren, abends spiele ich Schwyzer-örgeli. Schmunzeln muss ich, wenn Gäste meinen, als Berg-führerin hätte ich auf jeder Tour Ferien. Wir tragen eine riesige Ver ant wortung. Mit meinem Lohn bin ich zufrieden,

    ich verdiene etwa so viel wie ein Handwerker. Angst? Habe ich nie, Respekt schon. Einmal ist mir ein Gast sechzig Meter den Hang hinun-tergerutscht, hat über-lebt und sich bloss den Fuss verletzt. Sonst ist in fünfundzwanzig Jahren weder mir noch einem Gast Schlimmes pas-siert – Holz aalänge!

    Am schönsten beim Bergsteigen ist der Sonnenaufgang, vor allem auf meiner Lieb-lingstour via Mittellegi-grat zum Eiger. Manch-mal gönne ich mir auf dem Gipfel e chlini Sünd – eine Zigarette. Die Bergschuhe haben sich in all den Jahren enorm verbessert.

    Früher aus gstabigem Leder, sind sie heute sehr bequem. Mir ist egal, ob ein Berg gross oder klein ist, ich gehe jeden Tag einfach gern in die Natur. Einmal machte ich in Tunesien Strandferien, all inclusive – läck, war das lang-weilig. Auf einem Achttausender stand ich auch schon, dem Shishapangma. Der Everest? Nein, gluschtet mich gäng wie weniger, zu viel Kommerz und Gstürm am Berg.

    Um zehn gehe ich ins Bett. Fernsehen gucke ich selten, vor dem Bildschirm nicke ich drum sofort ein.» C

    Aufgezeichnet von Marcel Huwyler Foto Karl-Heinz Hug

    Ihr Tagwerk führt zum Gipfel: Bergführerin Käthi Flühmann.

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