Tauler Predigt 43

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  • 8/9/2019 Tauler Predigt 43

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    Johannes Tauler Predigt 43

    Diese Predigt auf die Geburt des heiligen Johannes des Tufers spricht von zwei Arten

    Leiden, wodurch die Gnade Gottes in jedem Menschen geboren wird, so da er auf geistliche Weise das Priesteramt auszuben vermag; auch lehrt sie, das falsche Licht vom

    wahren zu unterscheiden.

    HEUTE BEGEHT MAN den ehrwrdigen Festtag des auserwhlten heiligen Johannes des Tufers; keines anderen Heiligen Geburt wird in dieser Weise begangen. Der Name "Johannes" bedeutet, kurz gesagt, den, "in dem die Gnade ist".Wo aber die Gnade geboren werden soll, da mu zuvor der Weg beschritten werden,von dem ich gestern sprach. Ich sprach da von zwei Arten von Leiden: das eine liegt

    in der Natur und rhrt vom ersten Fall des Menschengeschlechtes her; das andereist ein Leiden in Pein.

    Das erste Leiden besteht darin, da der Mensch zu Gebrechen geneigt ist, und das istseiner Natur eingepflanzt, und diese Anflligkeit soll dem Menschen allerwegenzuwider sein, und er soll seinen Willen mit ganzer Kraft davon abkehren, soweit nurimmer dieses bel Gott widerwrtig ist.

    Das andere Leiden ist aus dem ersten entstanden: das ist eine Pein und ein Schmerz,der soll den Menschen bereitwillig finden und ihm willkommen sein; denn diesesLeiden fllt auf ihn, damit er dem liebevollen Vorbild unseres Herrn Jesus Christusnachfolge, der zeit seines Lebens groes und schweres Leiden erduldete.

    Nun lt Gott oft die Leiden menschlicher Gebrechlichkeit auf einen Menschenkommen in der Absicht, da dieser in schmerzlichem Fall sich besser erkenne, da erzu lieben lerne, sich bereitwillig auf den Weg der Pein fhren lasse in seinen Leiden,die auf ihn fallen oder auf ihn zukommen. Wer, ihr Lieben, sich diesem Wegberlassen knnte, das wre ein kstlich Ding, und auf diesem seligsten Weg desLeidens soll der Mensch allzeit auf seine Schwche herniedersehen, auf sein

    Unvermgen, seine Unwrdigkeit, sein Nichts. Ja, wer diesen Weg (zu gehen) lernteund ihn verstnde und sonst keine bung (der Frmmigkeit) vornhme, als da ernur ohne Unterla niedershe auf sein Nichts, sein Nichtssein, sein Unvermgen, indem wrde wahrlich Gottes Gnade geboren.

    Nun hat, meine Lieben, der Mensch gar nichts von sich selbst; alles gehrt ganz undausschlielich Gott, Groes und Kleines, zu vollem und unmittelbarem Eigentum.Der Mensch ist von sich aus nichts, als da er ein Verderber alles Guten ist, in- undauswendig; und wenn etwas in ihm ist, so ist das nicht des Menschen Eigentum.

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    Dessen sollte er stets gedenken und in sein Nichts blicken; und da er sehr zu allemBsen neigt, soweit die Natur frei ist, sollte er sehr trachten, sich selber zu erkennen,zu sehen, wohin sein Grund ziele, seine Gesinnung, Zuneigung, sein Streben, ob keinUnkraut darunter wachse. Denn der Grund mu lauter und einzig auf Gott gehen

    und nichts anderes im Sinn haben als ihn.

    Auch sollst du in jeder Weise deinen ueren Wandel betrachten, dein Reden undTun, deine Sitten und dein Verhalten, deine Kleidung und deinen Umgang; undfindest du, da du irgendwie gefehlt hast in all deinen Tagen, so sollst du es vollSchmerz Gott klagen, dich ihm schuldig geben, ein innerliches Seufzen1 zu Gottsenden, und so ist alles bald in Ordnung gebracht.

    Dieses inwendige Forschen von Grund aus ist sehr ntzlich. Dies taten die heiligenApostel nicht ihrer Snde wegen, sondern weil das Verbleiben im Irdischen bei allen

    Menschen so stark ist und weil sie ohne Unterla ein Drngen zu Gott hin fhlten. Wenn dem. Menschen gegeben wird, einen Blick in die Ewigkeit zu tun und ihrereinen Vorgeschmack zu genieen, entsteht in ihm ein innerliches Seufzen, das dieueren Sinne durchdringt; das ist gleichsam der uere Altar, der auen vor demAllerheiligsten2 steht, auf dem man Gott Bcke und Ochsen darbrachte. So opferthier der Mensch sein fleischliches Blut als Entgelt fr das so teuere Blut unseresHerrn Jesus Christus.

    Bei diesem Blick in seine Gebrechlichkeit soll sich der Mensch sehr demtigen und

    sich Gott zu Fssen werfen, da er sich seiner erbarme. So darf er ganz und garhoffen, da Gott (ihm) alle Schuld nachsieht. Und aus diesem Grunde der Demut wird all sogleich Johannes, das heit die Gnade, geboren; denn je niedriger dieDemtigung, desto hher die Erhebung: das ist ein und dasselbe.

    Hiervon sprach Sankt Bernhard: "Alle uere bung der Frmmigkeit, die man nurimmer vernimmt, gleicht nicht dem Besitz tiefer Demut. In dem Tal der Demutwchst Sanftmut, Gelassenheit, Stille, Geduld, Gte. Das ist der rechte, (der) wahre Weg. Wer den nicht einschlgt, geht in die Irre. Und wie viele uere Werke auch

    einer tut, das hilft (ihm) doch gar nichts; solche Werke erzrnen Gott mehr, als sieihn vershnen.

    Werfen wir jetzt einen Blick ins Evangelium, so lesen wir da unter anderem, daZacharias oberster Priester war und er und seine Frau unfruchtbar und da dies frsie eine groe Schande bedeutete. Zacharias ging allein in das Allerheiligste, dasganze Volk blieb drauen, und er sollte sein hohes priesterliches Amt ausben.

    1Die Lesart der Drucke, des LT, AT, BT, KT .seufftzen" entspricht dem Sinn der Stelle; Corin, Wi 1, S. 65, 13 .schten" istdie niederrheinische entsprechende Form, die nichts mit suchen" (Vetter 164,2) zu tun hat.

    2Hier ist an den Tempel zu Jerusalem zu denken.

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    Da sah er den Engel Gabriel beim Altar stehen, der ihm ankndigte, ein Sohn werdeihm geboren, der Johannes heien solle, welcher Name soviel bedeutet wie einen, "indem die Gnade wohnt".

    Da Zacharias dieser Botschaft keinen vollen Glauben schenkte, verlor er die Sprache,bis all dies vollendet war. Der Name Zacharias (aber) bedeutet soviel wie "an Gottdenken, sich Gottes erinnern". Dieser Mensch, dessen Gedanken bei Gott sind, istein innerlicher Mensch; er soll Priester sein und darf das Allerheiligste betreten unddas ganze Volk auen stehen lassen.

    Bedenkt nun, was das Wesen eines solchen Menschen sei und sein Amt, wodurch einPriester (wirklich) Priester ist. Sein Amt, wodurch ein Mensch Priester ist und heit, besteht darin, dass er den eingeborenen Sohn seinem himmlischen Vater fr dasVolk zum Opfer darbringe.

    Nun frchte ich, und es zeigt sich auch (deutlich), da nicht alle Priester vollkommen sind und da, stnden sie am Altar nur in eigener Person, anstatt indieser die (ganze) Christenheit darzustellen, manche (von ihnen) der Christenheitmehr Schaden brchten als Nutzen und Gott mehr erz rnten, als da sie ihn vershnten. Aber sie ben ihr heiliges Amt aus anstelle der heiligen Kirche, unddarum ben sie ihr Amt sakramentalich aus. In dieser Weise knnen nur Mnnerdieses Amt verrichten, den heiligen Leib konsekrieren und segnen und sonstniemand.

    Aber in geistiger Weise - was wahrhaft den Priester ausmacht und wodurch erPriester ist (denn was recht eigentlich sein Amt ausmacht, ist eben das Opfer) -, ingeistiger Weise also kann eine Frau dieses Opfer ebenso darbringen wie ein Mann,und das, wann immer sie will, des Nachts oder des Tages. Dann soll sie allein ins Allerheiligste treten und das ganze niedrige Volk drauen lassen. Allein soll sie dahineingehen, das bedeutet, dass sie mit gesammeltem Geist in sich selbst gehen undalle sinnlich (erfabaren) Dinge auen lassen soll und da das liebliche Opfer demhimmlischen Vater darbringen: seinen geliebten Sohn mit allen seinen Werken,

    Worten und all seinem Leiden und seinem heiligen Leben, fr alles, wofr sie esbegehrt, und fr alles, was in ihren Gedanken ist; und mit aller Andacht soll sie daeinschlieen alle Menschen, die armen Snder, die Gerechten, und die Gefangenendes Fegfeuers. Das ist eine sehr wirksame bung.

    Bischof Albrecht schreibt, da der oberste Priester auf folgende Art seinen Dienstversah: er betrat das Allerheiligste und nahm mit sich Blut von einem roten Klbleinund brennendes Feuer. Und drinnen bestrich er all die goldenen Gefe mit demBlut und z ndete dann eine Mischung 'der alleredelsten Kruter an, wovon ein

    wohlriechender Rauch, einem Nebel gleich, entstand. Und in dem Nebel erschienGott und redete zu ihm.

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    Meine Lieben! Dieser oberste Priester, das ist ein jeder gute, innerliche Mensch, derin sein Inneres geht und mit sich das hochwrdige Blut unseres Herrn. Jesus Christusfhrt und das Feuer der Andacht und der Liebe, und alle die goldenen Gefewerden mit diesem Blut bestrichen.

    Das sind alle, die in Gottes Gnade stehen und die noch zu seiner Gnade kommensollen, und die armen Seelen, die der Seligkeit harren. Alle diese werden getrstetund bereichert durch das priesterliche Amt. Ihr, meine Lieben, wit nicht, was frein liebliches Ding das ist, Und der Mensch soll sich selbst in das Herz des(gttlichen) Vaters hinaufheben und in seinen vterlichen Willen, damit der Vatermit ihm verfahre, wie ,es ihm gefllt, in Zeit und Ewigkeit. Nun wenden manche ein:"Wenn wir uns solcher innerlichen Weise zuwenden, so geht uns das Bild des Leidensunseres Herrn verloren." Nein, meine Lieben! Wendet euch zum Grunde: da allein

    wird Gnade wahrhaft geboren. Und mit ihrer Hilfe blickt Leiden und Leben unseresHerrn in dich hinein in vlliger Liebe und Einfalt mit einem Blick der Einfachheit, wie wenn alles vor dir st nde, nicht in der Vielfalt einzelner Bilder, (sondern) so, wieich euch alle mit einem Blick sehe, als ob ein jegliches vor mir stnde3 - und so werdees dem Vater dargeboten.

    Und dieses Aufblicken ist weit ntzlicher, als wenn du fnf Monate zubrchtest undin getrennten Betrachtungen daran dchtest, wie Jesus sich an jedem Punkt seinesLeidens verhalten habe, an der Geielsule oder da und dort. In dieser liebevollen

    Ausfhrung des priesterlichen Amtes, wenn der Mensch allein (das Allerheiligste) betreten hat und mit gespannten Krften dasteht und kein Wort fllt: da steht derEngel Gottes, der Gabriel heit, bei dem Altar, wo der wrdige, heilige Dienst getanwird. (Der Name) Gabriel bedeutet "gttliche Kraft". Diese Kraft wird dem Priestergegeben, damit er alle Dinge im Namen unseres Herrn vollbringen knne. DerHohepriester legt wohlriechende Kruter zuhauf, entzndet sie, und aus dementstehenden Dampf spricht Gott zu. ihm. Diese Kruter sind eine Vereinigungheiliger Tugenden, wie Demut, Gehorsam, Sanftmut und vieler anderer. Denn werdie Tugenden nicht besitzt noch sie sammelt, es sei in dem niedersten, mittleren oder

    obersten Grad, dessen Leben ist Unwahrhaftigkeit und taugt nichts.In dieser Vereinigung der Tugenden geschieht die Entzndung des Feuers durch denBrand der Liebe, und ein Nebel, eine Finsternis entsteht, in der dein Geist (dir)geradewegs entzogen wird, etwa fr die Dauer eines halben Ave-Maria, derart, dadu deinen Sinnen und deiner Vernunft entrckt bist. Und in diesem Dunkel spricht

    3Die Lesart der Drucke, des LT, AT, KT "vor mir stunde" beseitigt eine Schwierigkeit an dieser Stelle - vgl. Lesarten zu Z.

    12, S, 72 in Wi 1 (Corin), Corin, Sermons II, 240-241 gibt eine anspruchsvollere, doch vielleicht richtige Deutung; auch

    Lehmann bersetzt entsprechend 1,175.

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    Gott in Wahrheit zu dir, wie geschrieben ,steht: "Als alles in vlliger Ruhe lag und dieNacht, das Dunkel seinen Lauf vollendet hatte, da ward dein gttliches Wort vondem hchsten Knigsstuhl herabgesandt. "Hier wird ein geheimes Wort gesprochen,und die, welche Ohren haben, vernehmen den Hauch seines Flsterns4.

    Hier wird die Geburt verkndet, von der groe und viele Freude ausgehen wird. Undsie soll durch Elisabeth geschehen; dieser Name bedeutet soviel wie "gttliches Vollbringen". Dann wird von der gttlichen Kraft verkndet (durch den EngelGabriel), da dieses Werk der Liebe, diese frohe Geburt geschehen solle. Doch diesalles geht noch in den niederen Krften vor sich.

    Da kommen die" Vernnftler" mit ihrer natrlichen Einsicht und leuchten mit ihreminneren natrlichen Licht in ihren ledigen, leeren, bilderlosen Grund und bedienensich da ihrer natrlichen Einsicht als ihres Eigentums, gerade als ob es Gott (selbst)

    sei, und es ist doch nichts als blo ihre natrliche Vernunft. Bei Gott (aber) ist mehrFreude, als alle Sinne zu geben vermgen. Da jene aber bleiben wie sie sind und ihrnatrliches Licht mit Eigensinn besitzen, so werden sie die bsesten (Menschen), die(da) leben, und die schdlichsten.

    Man erkennt sie an folgenden Zeichen: sie sind nicht den Weg der Tugend gegangen,und um die bungen (der Frmmigkeit), die zum heiligen Leben und zurberwindung der Laster fhren, kmmern sie sich nicht. Denn sie lieben ihre innerefalsche Willenstrgheit, die nicht nach der Bettigung der Liebe strebt, weder innen

    noch auen, und haben vor der Zeit auf die Bilder der Sinne, die sie zur Frmmigkeitfhren knnten, verzichtet.

    Dann kommt der Teufel und flt ihnen ein falsches Behagen und falscheErleuchtung ein, und damit verleitet er sie, so dass sie ewig verloren gehen. Wozu ersie ihrer Natur nach geneigt findet, es sei Unenthaltsamkeit, Geiz oder Hoffart, dahinf hrt er sie. Und weil sie in ihrem Innern empfinden, sie seien erleuchtet - wasihnen der Teufel vorspiegelt -, sagen sie, es komme von Gott, und wollen sich nichtsnehmen lassen von dem, was sie mit Eigenwillen besitzen; davon fallen sie in

    ungeordnete Freiheit und treiben das, wozu ihre Natur sie zieht. Solche Menschensoll man mehr fliehen als den bsen Feind, denn sie sind, soweit man sie sehen kann,auen wie innen (den Gerechten) so hnlich, da man sie nicht leicht zudurchschauen vermag.

    4Die bei Vetter unklare Stelle, 166,34 f., kann auf mehrfache Weise geklrt werden. Auch Corins Darlegungen, Wi 1, S.

    74,13 mit Lesarten und Erluterungen wollen nur ein Versuch sein.

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    Aber die Gerechten unterscheiden sich auf folgende Weise von ihnen. Sie haben den Weg der Tugend durchlaufen: Demut, Gottesfurcht, Gelassenheit, Sanftmut. Unddiese sind in groer Besorgnis und wagen es nicht, sich der Freiheit zu berlassen,trauen sich aus eigener Kraft nichts zu, befinden sich in groer Bedrngnis und

    (schwerem) Druck und begehren, da Gott ihnen helfe.

    Aber jene, welche sich falscher Freiheit berlassen5 sind dreist, vermessen,streitschtig und ungelassen, und wo man sie trifft, zeigen sie bald Bitterkeit, fallenlstig in Benehmen und Worten, sind voller Hoffart und wollen nicht erniedrigt sein.

    Ach, welch eine berraschung, welch furchtbaren Jammer wird man erleben in jener Welt, die man nicht mehr verlassen wo man sich nicht mehr bekehren kann,mit dem, was nun so schn scheint. Und man mu dort immer bleiben undfurchtbare Schmerzen erdulden; Htet euch davor, das rate im euch, kehret euch

    zum wahren Grunde, wo die wahre gttliche Geburt stattfindet, von der der ganzenChristenheit so viel Freude kommt, frwahr Gottes heiliger Christenheit!

    Nun braucht ihr mich nicht mehr zu fragen, ob ihr den rechten oder unrechten Wegeingeschlagen habt; ihr habt die Unterschiede gehrt, wenn ihr prfen wollt, ob ihrden geraden oder den krummen Weg geht. Seid ihr den sicheren Weg der Tugendgegangen? Befindet ihr euch auf der untersten, der mittleren, der hchsten Stufe?Das mt ihr nachprfen!

    Diese Geburt (Gottes im Seelengrunde) wird groe Freude mit sich fhren. Wennsie geschieht, erzeugt sie im Geist eine solch groe Freude, da man es gar nicht zusagen vermag. Solche Menschen soll man nicht stren, indem man sie nach auenzieht in die Mannigfaltigkeit (uerer Werke); lasse man doch Gott sein Werk inihnen vollenden! Im Hohenlied sagt unser Herr: "Ich beschwre euch, ihr TchterJerusalems, bei den Hindinnen oder Gazellen auf freier Flur: weckt die Liebe nicht, bis sie es selbst will!"6 Jene Menschen sollen auch selber keine Lehrmeister fragen,die sie nicht verstehen wrden; diese wrden sie gar sehr verwirren, und es knntewohl gar so ausgehen7 , dass sie auch innerhalb von zwanzig oder vierzig Jahren nicht

    mehr an ihren Ausgangspunkt zurckgelangen knnten.

    5Gemeint sind die sog. Freien Geister" jener Zeit.

    6Unter Heranziehung 'von Parsch und der Echter-Bibel, a. a. O. Hohel. 2,7.

    7Zu Vetter 168,17: dem Sinnzusammenhang nach wiedergegeben; Corin,

    Sermons II, 244 gibt eine etwas andere, doch auch dienliche Obersetzung.

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    Diese Leute mssen auf sich selber sehr achten, denn jene Freude ist so gro, da sieinnen quillt wie neuer Wein, der im Fa steigt. Es ist besser, da (die Freude) nachauen ausbreche, als da die Natur die Spannung nicht mehr ertrage8. Denn dann bricht das Blut aus Mund und Nase. Aber (auch) das ist vom hchsten Grad weit

    entfernt und bleibt noch in der niederen Natur, im Bereim der Sinne.

    Der Engel (der die Geburt des Johannes verkndete) sprach jedoch: "Diese wahreFrucht (der Gnade Gottes) soll keinen Wein noch anderes berauschendes Getrnkzu sich nehmen." Das bedeutet, da der Mensch, in dem diese Geburt vor sich gehensoll in der obersten Weise und auf der hchsten Stufe, einen hheren Weg gefhrt wird, denn es gibt (hierin) drei Grade: den hheren, den besseren, denausgezeichneten Weg. Die Menschen diees Weges drfen nichts von dem trinken, was in ihnen eine Trunkenheit erzeugen knnte, wie es bei denen der Fall war, von

    deren Freude wir gesprochen haben, die ihnen in den Gegenstnden (ihrerBetrachtung) geschenkt wurde, es sei in wahrnehmender oder empfindender Weise,beschauend .oder genieend.

    Aber jene werden auf einen engen Weg gebracht und gezogen, der ganz finster undtrostlos ist, auf dem sie eine unendliche Drangsal verspren und den sie doch nicht verlassen knnen. Nach welcher Seite sie sich auch wenden, sie finden nur tiefesElend, wst, trostlos, finster. Dahinein mssen sie sich wagen und sich dem Herrnauf diesem Weg berlassen, solange es ihm gefllt. Und zuletzt9 tut der Herr, als ob

    er von ihrer ual nichts wisse; da ist ein unleidliches Darben und groes Verlangen,und doch (mu alles) in Gelassenheit (ertragen werden). Das nennt man einewesentliche Umkehr: ihr entspricht der allerwesenhafteste Lohn. Anderen Arten derUmkehr folgt nur zufallender Lohn.

    Hierber schreibt Sankt Thomas, da groe uere Werke, wie gro sie auch seinmgen, insofern sie Werk sind, nur zufallenden Lohn erhalten. Aber die Einkehr desGeistes innerlich zu Gottes Geist, aus dem Grunde ohne allen Zufall, die Gott alleinsucht, ledig und lauter, jenseits aller Werke und Weisen, jenseits aller Gedanken undaller Vernunft - Sankt Dionysius sprach frwahr:

    8Nach Corin, Wi 1, S. 79,15 : . Zu quait werde" , was dem gegebenen Wortlaut in etwa entspricht. Vgl. den AT zur

    gleichen Stelle, S. 79, 12.

    9Hier scheint die von Corin, Wi 1, S. 80,25 vorgezogene Lesart . in deme leyst in der herre" (ebenso der KT) gegen ber

    Vetter 169,1, dem LT, AT nicht berzeugend : beide geben einen guten Sinn.

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    "Das ist eine unvernnftige, eine unsinnige Liebe", die ist eine wesentliche Einkehr;ihr mu allerwege wesenhafter Lohn zuteil werden und Gott mit sich selber. Eineandere Umkehr kann wohl auch in gewhnlicher uerer Weise eine wesenhafteKehr genannt werden: dann nmlich, wenn der Mensch nur Gott in Lauterkeit im

    Sinn hat, nichts sonst, kein Warum als nur Gott durch sich selbst und in sich selbst.

    Die erste Kehr besteht jedoch in einem form- und weiselosen, inneren Gef hl derGegenwart (Gottes), in einem Hineintragen des geschaffenen Geistes jenseits allesSeins in den ungeschaffenen Geist Gottes. Knnte der Mensch zeitlebens eine solcheKehr erleben, ihm wre wohl geschehen.

    Dem Menschen, der Gott so folgsam ist und ihm in dieser Drangsal treu geblieben,dem wird Gott dadurch vergelten10 , da er sich ihm selber gibt und ihn sounergrndlich in sich selbst und seine eigene Seligkeit hereinzieht. Dahinein wird der

    (menschliche) Geist in so kstlicher Weise gezogen, so ganz von der Gottheitdurchflossen und berstrmt und so in die Gottheit entrckt, da er in dergttlichen Einheit alle (menschliche) Vielfalt verliert.

    Das sind die Menschen, die Gott (schon) in der Zeitlichkeit fr all ihre Notentschdigt, und sie haben einen wahren Vorgeschmack dessen, was sie ewiglichgenieen sollen. Auf diesen beruht die heilige Kirche, und wren sie in der heiligenChristenheit nicht vorhanden, so bestnde diese keine Stunde. Denn ihr Daseinallein, die bloe Tatsache, da sie sind, ist etwas, viel kstlicher und n tzlicher als

    alle Ttigkeit der Welt. Von ihnen sagte der Herr: "Wer sie angreift, greift mir insAuge." Darum htet euch, ihnen Unrecht zuzufgen!

    Knnten wir doch alle auf die schnellste und die fr Gott lblichste Weise dahingelangen!

    Dazu helfe uns Gott!

    AM E N.

    10Zu Vetter 169,21: eine dem Sinne der Stelle entsprechende Wortwahl

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