Tauler Predigt 44

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    Johannes Tauler Predigt 44

    Diese zweite Predigt ber Johannes den Tufer spricht von

    zweierlei Licht, dem der Gnade und dem der Glorie, und sagtuns, wie wir das Zeugnis aufnehmen sollen, damit wir dieliebreiche, die schmerzhafte, die entrckende1 Liebeempfinden.

    "ER KAM, ZEUGNIS ZU GEBEN von dem Licht." Unsere Mutter,die heilige Kirche, begeht diese Woche das Fest desehrwrdigen heiligen Johannes des Tufers. Ihn mit (unseren)Worten zu loben, will nicht .viel bedeuten; denn unser Herr

    Jesus Christus hat ihn auf wrdige und erhabene Weise gelobtund gesagt, unter den von einer Frau Geborenen sei keiner sogro wie er.

    Er hat auch gesagt: "Was seid ihr zu sehen gekommen? EinenPropheten? Hier ist mehr als ein Prophet! Wozu seid ihrgekommen? Einen Menschen in weichlichen Kleidern zu sehen?Ein Rohr, das vom Wind hin und her bewegt wird? Dergleichenwerdet ihr hier nicht finden." Und Johannes sagte von sich

    selbst, er sei die Stimme eines Rufenden in der Wste: "Bereitetden Weg unserem Herrn, und ebnet seine Pfade." Man singtdiese Woche' von ihm, er sei. eine Leuchte, hell brennend.Sankt Johannes, der Evangelist, schreibt von ihm, da er "einZeugnis des Lichtes" sei. Und von diesem Wort wollen wir(heute) sprechen.

    Knnten wir diesen Heiligen noch mehr loben? Wir greifendieses Wort auf: "ein Zeuge des Lichtes". Das Licht, dessen

    Zeuge er war, ist ein seinshaftes2

    , ein alle Erkenntnisberschreitendes, ein alles bertreffendes Licht. Dieses Lichtleuchtet in das Allerinnerste, in den tiefen Grund (der Seele)des Menschen. Aber wenn dieses Licht und dieses Zeugnis aufden Menschen trifft und ihn berhrt, so wendet sich derMensch, statt es zu pflegen, da wo es ist, von seinem Grundeab, kehrt die Ordnung um3und will fortlaufen auf Trier zu oderwas wei ich, wohin sonst, und nimmt das Zeugnis nicht an um

    1Versuch, das von Corin, Sermons, S.248, Anm. 1 gebrauchte Wort liberateur" zu veranschaulichen:

    sich hier um Liebe, die zur Ekstase fhrt.

    2 Hierzu ist die Erluterung, die Kunisch in seinem Textbuch zu S. 93 in Anm. 5 gibt,heranzuziehen, ebenso Anm. 5 bei Corin, Sermons II, 249.

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    seiner (Neigung zu) sinnenhaften ueren Werken willen.

    Es gibt auch noch andere Leute, die dieses Zeugnis nichtannehmen: "Er kam in sein Eigentum, und die Seinen nahmen

    ihn nicht auf." Solche leisten dem Licht Widerstand. Sie sindweltlichen Sinnes, so wie die Phariser, die Sankt Johannes"Natterngezcht" nannte und die sich doch als Kinder Abrahamsbezeichneten. Sie widerstreben allen, die das Licht lieben. Dasist ein sorgen erregendes, bengstigendes Ding. DieseMenschen hngen kaum (noch) mit einem Faden an dem Lichtund dem Glauben.

    Nun sollen wir bedenken, da die Natur schwach ist und nichts

    vermag; darum hat ihr der barmherzige Gott einebernatrliche Hilfe gewhrt, eine bernatrliche Kraftverliehen: das Licht der Gnade, ein erschaffenes Licht: es hebtdie Natur hoch ber sich hinaus und bringt alle -Kost mit sich,deren die Natur nach ihrer Art bedarf. Darber gibt es noch einungeschaffenes Licht: das Licht der Glorie, ein gttliches Licht,Gott selber. Denn wenn wir Gott erkennen sollen, so mu dasgeschehen durch Gott, mit und in Gott, Gott durch Gott, wie derProphet sagt: "Herr, in deinem Licht sehen wir das Licht." Dasist ein berstrmendes Licht, das jeden Menschen erleuchtet,der in diese Welt kommt. Dieses Licht leuchtet ber alleMenschen, bse und gute, so wie die Sonne scheint auf alleGeschpfe: sind sie blind, ihrer ist der Schaden. Wre einMensch in einem finstern Hause, so wre er in dem Licht,knnte er nur soviel Helligkeit haben, um ein offenes Fensteroder ein Loch zu finden, durch das er seinen Kopf steckte. Einsolcher Mensch gibt Zeugnis von dem Licht.

    Nun wollen wir hren, wie der Mensch sich zu Beginn demZeugnis gegenber verhalten solle, damit er es aufnehmenknne: er mu sich von allem, was zeitlich und vergnglich ist,trennen. Denn dieses Zeugnis wird den niederen und denoberen Krften (in ihm) gegeben. Die niederste ist die Kraft desBegehrens und des Zrnens: es ist (also) die (Kraft des)Begehrens, die das Zeugnis (zuerst) aufnehmen soll: die musich zum ersten trennen von dem natrlichen und sinnlichen

    3 Lehmann ist an dieser Stelle Opfer eines Missverstndnisses geworden, indem erschreibt: " ... verlt seinen Orden": 2,135.

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    Verlangen da, wo es eine Befriedigung findet, es sei anMenschen oder an Kleidern oder, kurz gesagt, das, woran dieSinne ihre Freude finden; was der Mensch braucht, das gnntGott dem Menschen wohl.

    Es ist wahrlich eine Einsamkeit, in die Gottes Stimme (denMenschen auf diese Weise) ruft: das nennt man einabgeschiedenes Leben, diese Loslsung von aller Lust desGeistes und der Natur, der inneren wie der ueren. Sodannwird dieses Zeugnis der zrnenden Kraft gegeben: da wird demMenschen Stetigkeit und Strke gelehrt, da der Menschunerschtterlich werde, einem sthlernen Berg gleich, wenn erdieses Zeugnis empfangen hat, und sich nicht mehr

    niederwerfen lasse wie ein Rohr.Wenn unser Herr sagte, Johannes sei kein Mensch, der sichweichlicher Kleider bediene, so versteht man darunter Leute,die des Leibes Behagen lieben und suchen. Nun gibt es zwarsolche, die das verschmhen; aber sie gleichen darin dem Rohr,da sie durch ein trichtes, dummes, spttiges oder hartesWort hin und her bewegt und umgeworfen werden. Frwahr,beglckter Mensch, was kann dir ein Wort schaden? Aber dakommt der bse Feind und flstert dir jetzt dies, dann das zu,und du wirst in ungeordneter Weise traurig: bald froh, baldunfroh, jetzt so, dann so: ihr seid doch ein Volk, hin und herbewegt wie das Rohr. Dieses Zeugnis wird auch in die oberenKrfte gegeben: in die Vernunft, den Willen und die Liebe. In derVernunft wirkt es wie ein Prophet. Dieses Wort bedeutet

    jemanden, der weithin sieht: videns. Die Vernunft sieht weit, soweit, da es ein Wunder ist, wie weit sie sieht. Wenn einerleuchteter Mensch darin noch nicht so weit gelangt ist und erverborgene, geheimnisvolle Dinge hrte, so gibt ihm sein Grunddavon Zeugnis und spricht: "So ist es recht!" Nun sagt unserHerr: "Er ist mehr als ein Prophet", das bedeutet: in diesemGrunde, in den die Vernunft nicht gelangen kann, sieht man dasLicht in dem Licht, das heit, befindet man sich in deminwendigen Licht, das heit, im Licht der Gnade; so sieht undversteht man in dem geschaffenen Licht (das heit mittels derVernunft) das Gttliche4.

    Das geschieht zuerst in verdeckter Weise; in diesen Grund4Eine bei Vetter 330,29 ff. offensichtlich verdorbene Stelle. Die bersetzung kann demSinn der Stelle nur nachspren: so auch Kunisch, Textbuch S. 96, Anm. 1; Corin, SermonsII, 252 Am]'. 1; Lehmann 2, 136-137.

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    knnen die Krfte nicht gelangen, nicht einmal sich ihm bis auf.tausend Meilen nhern. Die Weite, die sich in dem Grund dazeigt, besitzt weder die Form eines Bildes noch einer Gestalt,noch (sonst) eine Art und Weise; es gibt kein Hier noch Dort;

    denn es ist ein unergrndlicher Abgrund, der in sich selberschwebt, ohne Grund, so wie die Wasser wogen und wallen;jetzt sinken sie in einen Abgrund, und es scheint, als sei garkein Wasser da; kurz darauf rauscht es daher, als ob es allesertrnken wolle. (So auch hier.)

    Es geht (wie) in einen Abgrund: darin ist Gottes Wohnung, vieleigentlicher als im Himmel oder in allen Geschpfen. Werdahinein gelangen knnte, der fnde wahrlich Gott darin, und

    sich selbst fnde er mit Gott vereint

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    ; denn Gott wrde sich niemehr von ihm trennen; ihm wre Gott gegenwrtig; und dieEwigkeit wre hier zu empfinden und zu verkosten; es gibt daweder ein Zuvor noch ein Nachher.

    In diesen Grund kann kein geschaffenes Licht hineinreichenoder hineinleuchten; denn hier ist allein Gottes Wohnung undStatt. Diesen Abgrund knnen alle Geschpfe nicht ausfllen;sie knnen seinen Grund nicht erreichen; sie knnen ihm mitnichts Genge tun noch ihn befriedigen; niemand kann dasauer Gott allein in seiner Grenzenlosigkeit. Diesem Abgrundentspricht, allein der gttliche Abgrund. "Abyssus abyssuminvocat." Dieser Grund --wer darauf fleiig achtete --leuchtet indie Krfte unter sich; er neigte und risse die oberen wie dieniederen zu ihrem Beginn, ihrem Ursprung, wenn der Menschnur darauf achtete und bei sich selber bliebe und auf dieliebevolle Stimme hrte, die in der Einsamkeit, in diesemGrunde ruft und alles immer mehr da hineinfhrt. In dieserWstung herrscht eine solche Einsamkeit, da ein Gedanke nieda hineinkommen kann. Wahrlich, nein! All die Gedanken derVernunft, die je ein Mensch ber die heilige Dreifaltigkeitgedacht hat -manche machen sich viel damit zu schaffen --,keiner kann je in diese Einsamkeit gelangen.

    Nein, ganz gewi nicht. Denn (dieses Sein)6 ist so innerlich, so

    5Ich versuche Taulers Sinn -- Vetter 331,10 -unter Vermeidung von Wrtern wie.einfltig" (Lehmann 2, 137) oder einfltiglich" (Kunisch,. Textbuch S. 96) zu treffen.

    6Um im Hinblick auf Kunisch, Textbuch, S. 97 Anm.3 den Eindruck des Gemthaften zu

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    weit, so weit (drinnen): es hat weder Zeit noch Ort. Es isteinfach und ohne Unterschied, und wer auf rechte Weise dahineinkommt, dem ist, als ob er hier ewig gewesen sei und ereins mit Gott sei, obwohl das (stets) nur fr Augenblicke gilt.

    Aber diese kurzen Augenblicke werden empfunden underscheinen wie eine Ewigkeit. Dies erleuchtet und bezeugt, dader Mensch, ehe ,er geschaffen wurde, von aller Ewigkeit her inGott war. Als er in ihm war, da war der Mensch Gott in Gott.SanktJohannes schreibt: "Alles, was gemacht ist, hatte Leben inihm." Dasselbe, was der Mensch jetzt in seiner Geschaffenheitist, war er von Anbeginn her in Gott in Ungeschaffenheit, mitihm ein seiendes Sein. Und solange der Mensch nichtzurckkehrt in diesen Zustand der Bildlosigkeit7, mit dem er aus

    dem Ursprung herausflo, aus der Ungeschaffenheit in dieGeschaffenheit, wird er niemals wieder in Gott hineingelangen.

    Solange er nicht ganz und gar die Neigungen, dieAnhnglichkeit, die Selbstgeflligkeit ablegt, berhaupt alles,was den Grund durch irgendein Gefhl des Habenwollensbefleckt hat, was der Mensch je mit Lust sein eigen nannte,freien Willens, im Geist oder in seiner (menschlichen) Natur,was je Eingang in ihn fand, in ungeordneter Weise und mitWissen und Willen aufgenommen wurde,

    kurz, solange das (in ihm) nicht restlos ausgetilgt wird, wie eswar, als der Mensch aus Gott hervorging 8, so lange gelangt ernicht wieder in seinen Ursprung.

    Aber damit ist der Befreiung (des Menschen) von menschlichenBildern und Formen noch nicht Genge geschehen, es sei denn,der (menschliche) Geist werde zuvor mit dem Licht der Gnadenberformt. Wer dieser berformung (seines menschlichenWesens) nun vllig folgte und in rechter Ordnung in seineninneren Grund eingekehrt wre, dem knnte wohl (schon) indiesem Leben ein Anblick der hchsten berformung zuteil

    vermeiden, fge ich .dieses Sein" hinzu.

    7Um die irrige Vorstellung zu vermeiden, die sich fr uns heute mit dem Worte.Lauterkeit" verbindet, habe ich im Anschlu an Kunisch, Textbuch, S. 97, Anm. 8 das

    Wort .Bildlosigkeit" gewhlt.8Die Feststellung des Sinnes der Stelle bei Vetter 332,9 fhrt bei Kunisch, Lehmann undCorin zu einem voneinander abweichenden Ergebnis.

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    werden, obwohl sonst niemand in Gott gelangen noch Gotterkennen kann als in dem ungeschaffenen Licht, das heit inGott selber: "Domine, in lumine tuo videbimus lumen." Wer oftin seinen Grund sich kehrte und ein vertrautes Verhltnis zu

    ihm htte, der erhielte wohl manchen erhabenen (kurzen) Blickauf diesen inneren Grund, der ihm noch klarer und deutlicherzeigte, was Gott ist, deutlicher als seine leiblichen Augen dieSonne am Himmel zu sehen vermgen.

    Mit diesem Grunde waren (schon) die Heiden vertraut; sieverschmhten vergngliche Dinge ganz und gar und gingendiesem Grunde nach. Dann aber kamen die groen MeisterProklos und Platon und gaben denen, die das nicht selbst finden

    konnten, eine klare Auslegung. Sankt Augustinus sagt, daPlaton das Evangelium "Im Anfang war das Wort ..." schon vlligausgesprochen habe bis zu der Stelle: "Es ward ein Mensch vonGott gesandt." Das geschah freilich mit verborgenen,verdeckten Worten. Aber die Heiden, fanden die Lehre von derheiligen Dreifaltigkeit. Das, meine Lieben, kam (ihnen) alles ausdiesem inneren Grunde zu: sie lebten fr ihn, sie pflegtenseiner.

    Es ist doch ein schwerer Schimpf und eine groe Schande, dawir armen Nachzgler, die wir Christen sind und so groe Hilfehaben -die Gnade Gottes, den heiligen Glauben, das heiligeSakrament und noch manch andere groe Untersttzung -,recht wie blinde Hhner herumlaufen und unser eigenes Selbst,das in uns ist, nicht erkennen und gar nichts darber wissen':das ist die Wirkung unseres zerteilten und nach auengerichteten Wesens, und da wir zuviel Nachdruck auf dieSinne legen, wenn wir ttig sind, auf unsere (eigenen)

    Vorhaben, (das Beten der) Vigilien, Psalter und hnlicherbungen, die uns so stark beschftigen, da wir niemals in unsselbst kommen knnen.

    Liebe Schwestern, wer seine Fsser nicht mit edlem Zypernwein fllen kann, der flle sie doch mit Steinen und Asche,damit sie nicht ganz leer und ungefllt bleiben und der Teufel

    sich darin niederlasse. Das wre immer noch besser, alsvielmals Rosenkrnze herunterzubeten9.9Corin, Sermons Ir, 257 f. und Lehmann 2,139 weichen hier in der Auffassung von

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    Noch ein anderes Zeugnis findet sich in den oberen Krften, dasist die Kraft des Liebens, des Wollens. Wir haben diese Wochevom heiligen Johannes gesungen: lucerna lucens et ardens: erist ein leuchtendes, ein brennendes Licht. Diese Leuchte gibt

    Wrme und Licht. Du empfindest die Wrme an der Hand undsiehst doch kein Feuer, es sei denn, da du oben hinein'blicktest, und das Licht siehst du nur durch die Hornscheibenschimmern. Ach, wer doch den Sinn (in diesem Vergleich)wahrnhme und auf dieses Licht und diese Wrme hufigerachtete.! Da ist die verwundende Liebe, die dich in diesenGrund fhren wird. Und solange du sie in dir fhlst, sollst dudich antreiben lind mit ihr voranstrmen und deinen Bogen aufdas aller hchste Ziel hin spannen.

    Kommst du aber in diesem verborgenen Abgrund in diegefangene Liebe, so mut du dich ihr nach ihrem Willenberlassen; da hast du nicht mehr Gewalt ber dich selbst; duhast in dir weder einen Gedanken noch eine bung der Krfte,auch kein Werk der Tugend. Aber gewinnst du' so viel Platz undso viel Freiheit, da du wieder einen Gedanken fassen kannstund zurck in die verwundende Liebe fllst, so nimm deineganze Kraft zusammen, richte dich auf, und reie dich (wie) imSturm mit der Liebe voran, und begehre und er(bitte) und treibesie vorwrts. Kannst du nicht sprechen, so denke und begehre,wie der heilige Augustinus es ausdrckte: "Herr, du befiehlstmir, dich zu lieben, gib mir das, was du mir gebietest; dubefiehlst mir, dich zu lieben von ganzem Herzen, aus ganzerSeele mit allen Krften, aus meinem ganzen Gemte. Gib mir,Herr, da ich dich vor allem und ber alles liebe. Und kannstdu das nicht in Gedanken fassen, so sprich es mit dem Mundaus. Das versumen die zu tun, die sich ohne bungniedersetzen, als ob alles (bereits) getan sei: die lernen dieseLiebe nicht kennen.

    Hierauf kommt die qulende Liebe und schlielich, an vierterStelle, die entrckte Liebe. Ach, liebe Schwestern, die Liebe ist(heute) gar sehr untergegangen und die Vernunft rechtaufgestiegen. Die Menschen waren (noch) nie so vernnftigbeim Zahlen und Verkaufen wie heute. Die Liebe derEntrckung ist gleich der Lampe.

    Kunisch ab (Textbuch S. 99). Bei der Stellung Taulers zu ueren Frmmigkeitsbungen,zu denen keine entsprechende innere Haltung kommt, ist es wohl denkbar, da er selbstein geringes Ma inneren. Lebens -die Fllung der Fsser mit Asche und Steinen -deruerlichen bung des Gebetes vorzieht.

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    Der Mensch wird ihres Feuers wohl gewahr; sie macht ihnungestm in all seinen Krften: er seufzt (voll Angst) nachdieser Liebe und wei nicht, da er sie besitzt. Sie verzehrt ihm

    Mark und Blut. Hier sieh dich vor, da du die Natur nicht mitdeinen eigenen ueren bungen (der Frmmigkeit) verdirbst.Wenn die Liebe ihr Werk tun soll, so darfst du dich ihr nichtentziehen, du mut ihr in ihren Strmen und in ihremHinausdrngen folgen. Da sagen etliche, sie wollten sich vordem Sturm schtzen, um nicht zugrunde zu gehen: das gehrenicht zu ihrem Leben. Meine Lieben! Wenn die Liebe derEntrckung (ber einen Menschen) kommt, geht allesmenschliche Werk unter; da kommt unser Herr und spricht

    durch diesen Menschen ein Wort: erhabener undnutzbringender als hunderttausend Wrter, die alle Menschen jesprechen knnten.

    Sankt Dionysius sprach: "Wenn das ewige Wort in den Grundder Seele gesprochen wird und der Grund so viel Bereitschaftund Empfnglichkeit zeigt, da er das Wort aufnehmen kann inseiner Ganzheit und in erzeugender Weise, nicht (nur) teilweise,sondern gnzlich: da wird der Grund eins mit dem Wort inWesenheit; doch behlt der Grund seine Geschaffenheit inseinem Wesen noch in der Vereinigung. Das bezeugt unser Herrmit den Worten: ,Vater, la sie eins werden (mit dir), wie wireins sind'; und zu Augustinus: ,Du sollst in mich verwandeltwerden.' Dazu kommt niemand auer ber die Liebe. -Nunsagte Johannes, er sei die Stimme eines Rufenden 'in derWste: "Bereitet den Weg des Herrn"; damit meint er den Wegder Tugenden. Dieser Weg ist gar eben. Und er fhrt fort:"Machet gerade, richtet aus seine Pfade." Fupfade fhrenrascher zum. Ziel als Wege. Wer (freilich) jetzt im Korn dieFupfade suchen wollte, dem mte das wohl sauer werden,und er verliefe sich gar; und doch fhren sie auf einemgeraderen und krzeren Weg zum Ziel als die allgemeinen,breiten Straen.

    Meine Lieben! Wer die Pfade auffinden knnte, die in den Grundfhren, wie wrde der seinen Weg zielgerecht whlen und ihnso sehr abkrzen, da er irgend etwas des Grundes wahrnhmeund vor allen Dingen bei sich selbst bliebe und auf die PfadeaChtete; denn die sind gar wild, (nur) fr den Geschicktengeeignet, dunkel, unbekannt und (unserer Natur) fremd. Wer

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    das beachtete, der trfe auf keine Widerwrtigkeit, auf keineDrangsal, weder auen noch innen, ja auch nicht auf dieGebrechen, die den Menschen befallen: alles wrde zumGrunde hinleiten, locken und treiben.

    Man ' sollte die Pfade auch im Innern ebnen, auf sie achten undauf die Wege des (menschlichen) Geistes zu Gott und Gottes zuuns, denn die sind nur mit Geschick zu begehen und verborgen.Und das kehren viele Leute um und laufen ihren ueren(Frmmigkeits)bungen und uerer Wirksamkeit nach; sieverhalten sich wie jener, der nach Rom reisen wollte, das istlandaufwrts, und das Land abwrts ging auf Holland zu. Jemehr er voranging, um so mehr kam er von seinem Ziel ab.

    Und wenn diese Menschen (dann) zurckkommen, sind sie alt,der Kopf schmerzt sie, und sie knnen dem Werk der Liebe undihren Strmen nicht mehr gengen.

    Meine Lieben, wenn der Mensch in diesem Sturm der Liebesteht, soll er nicht an seine Snde denken noch an Demut, nochan irgend etwas anderes, sondern nur daran, da er der Liebein ihrem Werk genugtue. Der Sturm der Liebe kann auch einenkalten, gelassenen, harten Menschen berkommen. Da soll mansich der Liebe berlassen, ihr ganze Treue bewahren und sichfrei und ledig halten alles dessen, was nicht Liebe ist; begehrenach dieser Liebe stets eifrig, habe ein ganz festes Vertrauen zuihr, halte dich an ihr fest, und du wirst ebenso stark undebensoviel empfinden, als je ein Mensch in dieser Zeitlichkeitempfand. Wenn deine Treue nicht vollkommen ist, so wird deinBegehren geschwcht, und deine Liebe verlischt, und aus (all)dem wird nichts. Und wenn du alle Wahrzeichen hast, die manhaben kann, und empfindest nicht das Zeugnis der Liebe, so istalles verloren.

    Das mag dich wohl hart bedrcken; der Feind lt dir gerne alleanderen Merkmale, wenn dir nur das wahre Zeugnis der Liebenicht wird. Die betrogene Liebe berlt er dir. ManchenMenschen bednkt, er besitze die Liebe; she er aber tief inseinen Grund, er fnde wohl, wie es um seine Liebe steht. Alles,woran es euch gebricht, ist: ihr knnt nicht in -den Grundgelangen; gelangtet ihr dahin, ihr fndet die Gnade, die eud1ohne Unterla antriebe, euch mit erhobenem Geiste ber euchselbst zu erheben. Dieser Mahnung widersteht der Mensch sosehr und so oft: er macht sich (dadurch) ihrer so unwrdig, da

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    sie ihm in alle Ewigkeit nicht mehr zuteil wird; das verdirbt derMensch alles durch seine Selbstgeflligkeit. Wre der Menschdem Gnadenblicke (Gottes) gehorsam, er wrde ihn zu solcheiner Vereinigung (mit Gott) fhren und bringen, da er in

    dieser Zeitlichkeit das empfnde, dessen er sich in alle Ewigkeiterfreuen soll; das hat Erfahrung uns bereits gezeigt.

    Da uns allen dies geschehe, dazu helfe uns Gott.

    AMEN.