Tauler Predigt 46

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  • 8/9/2019 Tauler Predigt 46

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    J o h a n n e s T a u l e r P r e d i g t 4 6

    Diese Predigt aus dem Evangelium des heiligen Lukas auf den zehnten Sonntag nach

    Pfingsten1 spricht davon, da unser Herr ber Jerusalem weinte und die Kufer undVerkufer aus dem Tempel jagte; sie tadelt streng Weltleute und Geistliche, die leichtsinnig

    dem Vergngen nachgehen, und bedroht sie mit den furchtbaren Strafen der ewigenVerdammnis.

    ALS UNSE'R HERR sich Jerusalem nherte und die Stadt (vor sich liegen) sah, weinte er ber sie und sprach: "Jerusalem, wenn du die Tage kenntest, die dir

    bevorstehen, so wrdest auch du weinen, denn deine Feinde werden eindringen, dichzerstren und keinen Stein auf dem anderen lassen." Dann setzte er seinen Weg fort,trat in den Tempel, trieb die Kufer und Verkufer mit Schlgen hinaus und sagte:"Mein Haus ist ein Haus des Gebetes, ihr aber habt es zu einer Ruberhhlegemacht."

    Die Stadt, ber die unser Herr geweint hat, ist vor allem die heilige Kirche, die heiligeChristenheit. Sodann hat unser Herr ber die weltlich gesinnten Menschen geweint,und in der Tat ist hierzu aller Grund. Alle Menschen knnten und vermchten nichtgenug ber diese weltlichen Menschen weinen; diese nmlich kennen nicht den Tagihrer Heimsuchung, und sie wollen ihn auch gar nicht kennen. Und wenn sie ihnknnten! Das wrde ihre Ruhe nicht stren. Auch die Einwohner von Jerusalembeunruhigte das nicht, da der Heiland ber sie weinte. Was sind das fr Leute? Alledie, welche nach Lust und Begier ihrer ueren Sinne leben, die bewahren Ruhe. Wenn sie des Gutes genug haben, Herrschaft, Freunde und Verwandte, Gut undEhre, und wonach ihr Herz gelstet, so haben sie Ruhe nach Herzenslust, nachHerzens Begehr; sie haben Wonne und Freude, als ob sie ewiglich leben sollten. Siegehen wohl zur Beichte, beten auch: es dnkt sie, sie seien gut daran. Sagt man ein

    einzig Wort, da es nicht gut um sie stnde, so ist das in den Wind gesprochen. Sieruhen sich in ihrer (Selbst)Gerechtigkeit aus und glauben sich darin vollkommensicher.

    Aber was kommt nach diesen Freuden, diesem Frieden, dieser Sicherheit? IhreFeinde werden ber sie kommen und keinen Stein auf dem anderen lassen. Wenn dieZeit ihrer Heimsuchung kommt, dann, wenn Gott sie heimsuchen wird,

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    Diese Angabe entstammt wie die ber den Predigten stehenden Inhaltsangaben zumeist den von K. Schmidtabgeschriebenen Straburger Hss. A 89, A 88, A 91, bei Vetter zusammenfassend als Hs. S bezeichnet, oder auch nur einervon ihnen. -Corin III, 283 gibt an: 2. Pred, auf den 8. Sonntag nach Dreifaltigkeit.

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    in der Stunde ihres Todes, dann kommt der Feind und schliet sie mit den Grbenqualvollen Verzweifelns ein; welchen Weg sie dann auch fliehen wollen, sie strzenstets hinein und knnen nicht einen einzigen Gedanken an Gott denken.

    Das ist kein Wunder: Gott war nie in ihnen, sie haben nie auf ihn gebaut, nie ihn alsGrundfeste (ihres Lebens) betrachtet, ihm nie Aufmerksamkeit geschenkt, sondern(nur) ihren sinnlichen, zeitlichen Freuden. Und strzt der Grund, das Fundament,dann strzt auch der Friede, der darauf gebaut war. Und daraus folgt ein qualvoller,ewiger Unfriede, vor dem alle Menschen 'erbeben, nicht allein Trnen vergieen,sondern verdorren mten, auer sich geraten und blutige Trnen darber weinen.

    Christus hat nicht ohne triftigen Grund geweint; es war und ist Grund, zu weinen, zuklagen, da sie ihren Zustand nicht erkennen, wie Christus sprach: "Erkenntest du(was dir bevorsteht), du weintest." Ach, welche Genugtuung, welche Ruhe! Es steht

    im ersten Brief des heiligen Johannes geschrieben: "Die ganze Welt kennt nurBefriedigung der Sinne, Lust des Leibes, Hoffart des Lebens." Wie Gott das richten wird, wollte Gott, ihr wtet das und httet eine Vorstellung von diesemschrecklichen Tag des Urteils, von diesem Unfrieden, auf den nie Friede folgen wird.Das hrt nicht als mein Wort, sondern als das des heiligen Gregor in seinerErluterung (zu dieser Stelle der Heiligen Schrift).

    Dann ging unser Herr weiter in den Tempel und trieb mit Schlgen alle die hinaus,die dort verkauften und kauften, und sprach: "Mein Haus soll ein Haus des Gebetes

    sein, ihr habt es zu einer Mrdergrube gemacht." Ein Mordhaus, eine Mrdergrube!Beachtet, welches der Tempel ist, der so zur Mrdergrube geworden ist! Das istSeele und Leib des Menschen, im eigentlicheren Sinn ein Tempel Gottes als alleTempel, die je gebaut wurden, denn Sankt Paulus sprach: "Der Tempel Gottes istheilig, und der seid ihr." Wenn unser Herr diesen Tempel besuchen will, findet er ihnzum Mordhaus und Kaufhaus geworden. Was bedeutet "kaufen" und "verkaufen"?Die Leute geben zum Beispiel Korn (das sie haben) gegen Wein, den sie nicht haben:das ist ein Kauf.

    Wer sind diese Kaufleute? Das sind die, die das, was sie haben, gegen das geben, wassie nicht haben. Nun hat der Mensch nichts so sehr eigen als seinen freien Willen;mit dessen .Preisgabe erkauft er die Genugtuung an zeitlichen Dingen, welcher Artsie immer seien. Sie geben ihren eigenen Willen hin und suchen Befriedigung anSpeisen, an Kleidern, die sie ansammeln, an Schmuck, Gefallen an sich selbst und anden Leuten, wo immer sie knnen. "Wahrlich, wir mssen schlielich auch einenLiebhaber haben, ein Herz, das schadet nichts, es ist eine geistliche Liebe, wirmssen uns ergtzen, Zeitvertreib haben; darauf wollen wir nicht verzichten." Nunwisse von mir, solch einen Kauf tust du stets, wenn du deinen freien Willen hingibst;

    solange du in solchen Umstnden bleibst, wird dir Gott immer fremder und ferner.

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    Sankt Bernhard sprach: "Gttlicher Trost ist so zart, da er in keiner Weise sich dafindet, wo man anderen Trost empfngt." -"Aber, Herr, wir sind Ordensleute, wirgehren einem Orden an." -"Nun, tu alle Mntel und Gewnder an, die du willst, tustdu nicht das, was du von Rechts wegen tun sollst, so ntzt dir das alles nichts."

    Ein Mann hatte ein Unrecht begangen; er trat in einen Orden, machte sein Unrechtaber nicht gut; der Teufel kam, zerri ihn in hundert Stcke, lie die Kutte ganz undnahm den Mann mit Leib und Seele mit sich, da man es sah. Seid also ferner mehrauf der Hut! Wie ist doch die Welt solcher Kaufleute voll, unter Priestern und Weltleuten, Ordensleuten, Mnnern wie Frauen; ach, das ist ein weitlufigerGegenstand (fr einen), der das erkunden wollte, wie so voll des Eigenwillens jeglicher ist, so voll, so voll! Und gerade unter den starken Mnnern sind wenige diesich Gott unterwerfen. Die es tun -und wie gering an Zahl sind sie -, sind arme

    Frauen; denn .alles wird von der Natur beherrscht, von der Eigensucht: und damitsuchen sie das Ihre in allen Dingen.

    Wollten sie mit Gott einen Kauf tun und ihm ihren Willen geben, es wre ein seligerKauf! Was haben sie jetzt davon? Sie haben steten Unfrieden. Und doch sind sie besser daran als die (von denen wir oben sprachen), sie haben doch Leid undSchmerzen ; und dadurch werden sie vor dem ewigen Tod bewahrt, was bei jenennicht der Fall ist. Diese sind in stetem Unfrieden; denn wie die Schrift sagt, da ein jeglicher ungeordneter Geist sich selbst eine Marter und eine Last ist, leben sie in

    Unruhe und wissen selbst nicht, was mit ihnen ist: und das heit, da ihr Tempel einKaufplatz ist und sie nicht davon lassen wollen. Sankt Bernhard sagt auch: "Wenn derMensch Freunde und Verwandte verlt, Erbe und Eigentum und die ganze Welt,hat er sich nicht selbst verlassen, so ist das nichts. Er soll seines Eigenen so frei sein,als er war, da Gott ihn schuf." Nun, der Mensch mu sich selbst genugtun: er muessen, trinken, schlafen, sprechen,. hren und dergleichen noch mehr, was alles ihmbildhafte Vorstellungen bringt.

    Merke: der Mensch soll Gott gnzlich im Sinn haben, er soll ihm nachjagen, ihn in allseinem Tun suchen; und hat er das getan, so lasse er die Bilder der Dinge ganz undgar fahren und leere seinen Tempel und halte ihn rein, als wenn es nie andersgewesen wre; dann darf er mit der Braut (im Hohenlied) sprechen: "Unser Lagerist mit Blumen geschmckt"; es ist voll himmlischer Vorstellungen und Gedanken.Wre der Tempel entleert und httest du Kufer, Verkufer und die Phantasien, dieihn eingenommen haben, hinausgeworfen, so knntest du ein Gotteshaus werden,nicht eher, was du auch tust; du httest den Frieden deines Herzens und Freude, unddich strte nichts mehr (von dem), was dich jetzt stets strt, dich bedrckt und dichleiden lt.

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    An anderer Stelle heit es: Unser Herr lie einen Propheten den Tempel vonJerusalem schauen und sprach: "Grabe durch die Mauern in den Tempel durch." Alsder Prophet das getan, sprach er: "Herr, hier innen sind furchtbare Bilder zu sehen."Unser Herr antwortete: "Diese furchtbaren Bilder hat die Tochter Israel sich selbst

    geschaffen; die hat sie sich selber gemacht mit manchem nichtigen Bild; davon musie (nun) auch manche ungeordnete Traurigkeit haben."

    Und daran wird man den Unterschied zwischen den Erwhlten und denNichterwhlten erkennen: denn die Erwhlten finden in ungeordneten Dingen keinevollkommene Ruhe. Selbst wenn sie zuweilen sich selbst verlieren und ihr Wesen (alsdas eines Erwhlten) 'abgestreift und alle gttlichen Dinge hinter sich geworfenhaben, so haben sie doch groe Furcht, groen Schmerz, den Vorwurf desGewissens, sobald sie zu sich selber kommen : das bewirkt der Heilige Geist; wie

    denn geschrieben steht, da der Heilige Geist fr uns bitte mit seufzendem Flehen.Diese Leute bereuen schlielich ihr ungeordnetes Leben; sie weinen darber, und so werden sie zuletzt gerettet: aber das dauert zuweilen recht lange. Das ist eineunermeliche Gnade Gottes; selig der, dem Gott das gibt, da er gemahnt undgewarnt wurde, es sei von innen oder von auen.

    Aber es ist leider an dem, da die Dinge sich ndern werden; in vielen Lndern kannman nicht mehr lehren, nicht predigen, nicht warnen. Das sage ich euch im voraus,solange ihr das Wort Gottes noch habt; denn man wei nicht, wie lange das noch

    sein wird: macht es euch zunutze! Lat das Wort zu eurer Vernunft gelangen, woman es verstehen kann. Das edle Gotteswort wird wenig verstanden; das liegt daran,da es in den 'Sinnen steckenbleibt und nicht bis ins Innere gelangt. Was trgt Schulddaran? Das kommt daher, da der Weg versperrt ist, eingenommen, gestrt durchandere Bilder, da also das (gttliche) Wort nicht ,zur richtigen Stelle kommen kann,es sei denn, die Wege wrden gerumt, die (gott)fremden Freuden, die Bilder derGeschpfe ausgetrieben: sonst wird die Wahrheit nicht verstanden.

    Heute predigt man eine Wahrheit, morgen dieselbe, und so oft; und doch soll mandasselbe stets mit Liebe und Flei anhren, denn allerwege ist eine neue Wahrheitverborgen, die entdeckt werden mu und nie ganz und gar verstanden wird; die vorallem haben groen Nutzen, die mit freier Seele dahin kommen; aber viel vom WortGottes geht verloren und bleibt unverstanden bei denen, deren Seele noch2 nicht freiist; es gelangt bei ihnen in die Sinne, die Phantasie und kommt der Hindernissewegen nicht bis an seinen wahren Platz. Wren diese Hindernisse weg, die Kaufleuteausgetrieben, der Tempel gerumt, so wrde der Mensch gnzlich ein Haus des

    2Wrtlich: "die nicht frei sind" ; erluternd: "deren Seele noch nicht frei ist",

    oder: "die in sich noch nicht frei sind" (letzteres Hs. 5).

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    Gebetes, ein Haus Gottes, in dem Gott wohnte: er wre ganz und gar ein Haus desGebetes.

    Welches dieses Gebet und welches dieses Beten sei, davon ein andermal!

    Da wir so die Kaufleute austreiben und von uns tun, damit unser Haus Gottgenehm werde, dazu helfe uns Gott.

    AMEN.

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