Tauler Predigt 57

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  • 8/9/2019 Tauler Predigt 57

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    J oh an n e s T au l e r P r e di g t 5 7 Diese Predigt lehrt, wie wir unsere bsen Neigungen bekmpfen sollen, und legt das

    Verhalten dar, wenn Gott uns im Grunde unserer Seele heimsucht.

    LIEBE SCHWESTERN, in der letzten Predigt habe ich zu euch ber diese Wortegesprochen, die die ewige Weisheit sagte; man bezieht sie auf Unsere Liebe Frau,deren Wrde und Ehre niemand auf irgendeine Weise und mit irgendeinem Wortauszusprechen vermag, denn diese Wrde bertrifft alle Fassungskraft unsererSinne.

    Ich habe, meine Lieben, euch gesagt, welche bungen, welche Werke fr den"beginnenden Menschen" ntig sind, um auf den Weg der Wahrheit zu gelangen, undferner, was die '"zunehmenden Menschen" zu tun haben, und schlielich, wie der"vollkommene Mensch", soweit man hienieden Vollkommenheit erlangen kann, undwo er zu seinem Ziel gelange und welches dieses Ziel sei.

    Und ich habe gesagt, wie der beginnende Mensch notwendigerweise allen Dingen diegroben, unreinen Haare der schweren Snde abscheren msse, als da ist Unreinheit,Geiz, Hoffart, Zorn und die weltliche Eitelkeit des Herzens mit all der trichten Lust

    an all dem, was geschaffen ist, sei dies nun lebend oder tot. Kurz gesagt: ist es so umeinen Menschen bestellt, da er sich nicht mit frisch entschlossenem Herzen undganzem Willen zu Gott kehrt, derart, da er Gott in seinem Grunde lieben will undihn vor allem suchen, so gelangt er nie zu Gott, und tte er ebenso viele gute groe Werke wie alle Menschen zusammen und htte er einen noch so groen Verstandund sprche mit Engelszungen und liee seinen Leib um Gottes willen verbrennenund gbe all sein Gut den Armen, wie Sankt Paulus sagt. Wie knnen die ihre Liebeund ihren Willen auf Gott wenden, die Herzen und Begehr mit freiem Willen denGeschpfen zugekehrt haben; sie wissen, da diese den Platz eingenommen haben,der Gott gebhrt, und da sie ihm diesen Platz wissentlich entziehen.

    So liegt auch Gott an ihren Werken nichts, wenn er der Herzen und der Liebe(dieser Menschen) beraubt ist. Was soll ihm die Spreu, wenn ein anderer das Kornhat? Die beginnenden Menschen haben die groben Haare (der schweren Snden)mit dem scharten, eisernen Flei, von dem ich schon mehr gesprochen habe,abgeschnitten1.

    1Diese Stelle, Vetter 235 ,22 ff. schwer verstndlich, habe ich zerlegt. Corin verfhrt hnlich.

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    Dieser Flei mu wie ein scharfes Schermesser sein, geschrft und gewetzt an dergroen Gerechtigkeit Gottes, der kein Wrtlein, keine Begierde, und seien sie nochso klein, ungestraft lt. Und (geschrft und gewetzt mu das Schermesser auchsein) an dem verborgenen schrecklichen Urteil Gottes, von dem niemand wei, was

    es ihm bringen wird. Ist doch dem Menschen unbekannt, ob er sich unter GottesZorn befinde oder in seiner Huld. Wenn nun der beginnende Mensch die bseUntugend abgeschoren hat, soll er die Schohaare ins Auge fassen, das sind dieNeigungen, die ihm infolge langer Gewohnheit im Grunde geblieben sind: dieentschuldigen sich und geben sich fr Tugenden aus; und sind nur falscher Schein,denn im Grunde verborgen liegt die Hoffart; Und man glaubt sie berwunden zuhaben. Es bleibt aber der Wetteifer in der Kleidung und dergleichenAngelegenheiten; das nennt man Sauberkeit; und die Begierde nach allen Dingen derSinne, nach Speise und Trank nennt man Notdurft. Dann gibt es Menschen voll des

    Zornes und Grimmes: die wollen jeden belehren, und sind dazu schrecklich rasch bereit; und das nennen sie Vernunft und Gerechtigkeit; und wo nichts anderes alsTrgheit ist, da denkt man oft, es sei Schwche. Meine Lieben! Wenn ihr an einemdieser Dinge haftenbleibt, wenn ihr eure eigene Selbstzufriedenheit undSelbstgeflligkeit und eure eigenen vernnftigen hohen Weisen. und Worte zur Schautragt2, dann kommt in eurer Todesstunde der Teufel und

    nimmt euch mit; die, welche so gut daran zu sein glauben, vor allem die mit verborgener Hoffart, und unter dem Schein der Demut und in ihrer vernnftigen

    Lebensweise: die gehren so recht unter Luzifers Banner. Und je hher sie ihreSelbstzufriedenheit erhoben hat, um so tiefer strzen sie in den Abgrund.

    Meine Lieben! Seht euch vor! Es geht nicht um Kleinigkeiten. Mtet ihr Nacht undTag in einer berheizten Stube liegen, das kme euch zu beschwerlich vor. Was sollich da sagen von einem Aufenthalt mitten in der Feuersglut, viele Jahre oder gar fralle Ewigkeit?

    Liebe Schwestern! Kehrt euch zu euch selber; denn "das Reich ist in euch". Schaut,womit ihr umgeht und wo ihr mit all eurem Flei geblieben seid, und seht in eurenGrund und auf eure gewohnheitsmigen Neigungen. Denn wenn ein Mensch einoder zwei Jahre in einem Fehler verharrt, dann wurzelt der sich so tief im Menschenein, da dieser ihn auch mit allem Flei kaum berwinden kann. Darum sollten jungeLeute sich mit allem Flei davor hten, die Gebrechen in ihnen Wurzel fassen zulassen, und sollten sie gleich zu Beginn ausreien; das wre leicht, whrend es sptersehr schwerfiele.

    2Vgl. Anm. 2 zu Predigt 52.

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    Und vor allem soll man mit allem Flei vier Dinge in vier Krften beachten, in derenBereich gar leicht und unmerklich schdliche, bse Haarbschel wachsen. Das ersteist die Freude an ueren sinnlichen Dingen: die hat ihren Sitz in der Begehrlichkeit.Die Menschen lassen sich gewhnlich hier festhalten.

    Wie schdlich das ist, vermag kein Mensch zu sagen. Alle, die gerne gut wren,nehmen sich diese oder jene bung vor und bleiben im Bereich ihrer Sinne undfern von der lauteren Wahrheit; sie kehren sich nicht in sich selbst, und ihr Inneresbleibt ihnen verschlossen, als ob es ein ganz fremdes Ding wre, tausend Meilen undmehr entfernt. Aber uere, sinnliche Dinge, die sind ihnen durchaus gegenwrtig,und dabei bleiben sie und entfremden sich sich selbst, so da sie nicht mehr wissen,woran sie sind.

    Die zweite Kraft ist die des Zornes, davon wird ein recht ungehriger Gebrauch

    gemacht. Sie sollte sich nicht nur auswirken bei Dingen, die Gott zuwider sind; dennsie ist, an sich betrachtet, eine edle Kraft. Aber darin wachsen in manchen Menschengar schlimme Haare, da sie mit Ungestm ber alles herfallen, und das inungeordneter Weise und unter dem falschen Schein der Gerechtigkeit. Sie wollenalles besser haben: Menschen, Lebensweisen, Werke, und betrgen sich selber undandere Leute mit ihrem Ungestm, ihrem hartnckigen Zorn, ihrer mangelndenGelassenheit, die sich in rgenden, harten, peinlichen, Arger erregenden Wortenkundtut.

    Der dritte Fehler entspringt der Kraft der Vernunft; an ihr bleiben gar mancheMenschen auf schadenbringende Weise haften; sie verlassen sich auf ihre Vernunft,dnken sich darin etwas Besonderes und verfehlen durch die Wahrheit der Vernunftdie lebendige und wesentliche Wahrheit. Denn damit, da man die Wahrheiterkennt, besitzt man sie noch nicht. Das machen sich manche Leute selbst vor undglauben, sie besen die Wahrheit, wenn die Vernunft ihnen das vorspiegelt; und sieist ihnen doch hundert Meilen fern, und sie gehen auf solche Weise, indem sie sichselbst und andere Leute tuschen, des edlen Schatzes verlustig, nmlich einer tiefversinkenden Demut.

    Der vierte Schaden entsteht aus der inneren Lust des Geistes. Liebe Schwestern!Dieser Fehler findet sich bei vielen Menschen. Sie lassen sich durch den guten Schein betrgen: die Begierde zieht sie mehr an als die gttliche Liebe, und sie halten dieseBegierde fr Gott; und was sie fr Gott halten, das ist ihre Begehrlichkeit. Dennverginge ihre Lust, so wre es auch bald mit ihrem Eifer zu Ende.

    Seht euch vor! Oft scheint manches Ding aus gttlicher Liebe zu stammen ; es hataber doch so manches an sich, das euer Vergngen, euern Geschmack, eure

    Empfindung mehr reizt, als man denkt; und es kommt bisweilen von einem neuenAnreiz, einer neuen Neigung, aus der Furcht vor der Hlle oder dem Wunsch, seligzu werden, wie es der Mensch von Natur aus begehrt.

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    Wisset: wo man Gott nicht im Sinn hat, erreicht man kein gttliches Ziel undempfngt keinen gttlichen Lohn. - All diese Dinge, von denen ihr gehrt habt,mssen mit eifrigem, eisernem Flei abgeschoren werden.

    Den Flei, das Schermesser soll man an dem strengen Urteil Gottes schrfen und anseiner unerschtterlichen Gerechtigkeit, die kein Ding unbeachtet lt.

    Wenn nun diese ueren groben Gebrechen abgeschoren sind, bleiben im Grundder Neigung die Bilder der frheren Gewohnheit; die soll der Mensch vertreiben mitHilfe der lieblichen Vorbilder unseres Herrn Jesus Christus und soll die Anhnglichkeit an jene Bilder durch die Anhnglichkeit an unseren Herrn (undHeiland) ersetzen und soll dessen Vorbild so innerlich und mit so groer Andacht inden Grund seiner Seele ziehen und einprgen, da alle Ungleichheit (zwischen demgttlichen Vorbilde und uns) in unserem Grunde zunichte und ausgelscht werde.

    Da Gott sein Wort gegeben hat, da ein Stein oder ein Kraut die Kraft haben sollten, viele schwere Krankheiten zu heilen: wieviel mehr Macht, glaubt ihr wohl, hat derlebendige Gottessohn, alle Krankheiten der Seele durch sein heiliges Vorbild, seinLeiden und seinen bitteren Tod zu vertreiben?

    Da also der Mensch von sich aus nichts vermag, soll er das ehrwrdige Leiden(unseres Herrn) in der Form des Gebetes verehren, indem man sich innerlich demhimmlischen Vater zu Fen werfen und um seines geliebten Sohnes und eines jeden

    besonderen Punktes seines Leidens willen ihn bitten soll, da er uns helfe, denn ohneihn vermgen wir nichts. Man soll sich angewhnen, das ehrwrdige Leiden und dasliebevolle Vorbild (unseres Herrn) nie aus dem Herzen zu verlieren, und sich davorhten, da jemals ein fremdes Bild dort Platz finde. Und dann soll man seinen Grundund seinen Geist zu der glorwrdigen hohen Gottheit erheben und sie mit groer,demtiger Furcht und Selbstverleugnung betrachten. Wer so vor Gott seine dunkle,elende Unkenntnis ausbreitet, der versteht, was Job spricht: "Der Geist ging vor mir vorber." Von diesem Vorbergang des Geistes entsteht in (der Seele des)Menschen eine starke Bewegung. Je klarer, wahrer, unverhllter dieser Vorbergang

    ist, um so geschwinder, strker, schneller, wahrer und lauterer ist das Werk, der Antrieb, die Umkehr in diesem Menschen; um so deutlicher erkennt der Menschsein Zurckbleiben (auf dem Weg der Vervollkommnung).

    Und dann kommt der Herr in einem geschwinden Augenblick und leuchtet in denGrund und will da selber Werkmeister sein. Und wird man der Gegenwart des Herrngewahr, so soll man ihm freie Hand lassen und sich unttig verhalten, und alle Krftesollen schweigen und (Gott) eine groe Stille bereiten; in diesem Augenblick wredes Menschen Ttigkeit ein Hindernis (fr Gottes Wirken), sogar seine guten

    Gedanken.

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    Der Mensch aber soll nichts tun, als Gott gewhren zu lassen; wenn er jedoch dann(wieder) sich selbst berlassen wird und Gottes 'Wirken in sich weder empfindetnoch erkennt, dann soll er selber in heiligem Flei wirken und seine frommenbungen (wieder) aufnehmen.

    Und so soll der Mensch bisweilen wirken, bisweilen rasten, je nachdem er innerlich von Gott getrieben und gemahnt wird, und ein jeglicher nach dem, was, wie erempfindet, ihn am meisten zu Gott zieht, sei es im Wirken, sei es in der' Stille. Wernicht mit innerer (beschaulicher) Unttigkeit vorankommt, der versuche es in der Wirksamkeit nach heiligen Vorbildern und bungen, derart, da man "in heiligerLiebe verwurzelt und gegrndet werde, damit ihr begreifen knnet mit allenHeiligen, welches die Hhe, die Lnge, die Tiefe und die Breite" sei, wie man (in derEpistel) des heutigen Tages liest.

    Liebe Schwestern. Das zu begreifen ist unmglich; aber man mu daran hangen inLiebe und mit lauterer Gesinnung; da soll der Geist sich in die ber allem Seinaufragende Hhe schwingen, alle niederen sinnlichen Dinge bersteigen und betrachten, wie Gott, der doch alle Dinge kann, nicht imstande war, ein so edlesGeschpf zu schaffen, das die hohe Seinsflle seines (gttlichen) Seins mit seinernatrlichen Erkenntniskraft erreichen oder ,erkennen konnte; denn die Tiefe desgttlichen Abgrundes ist aller (menschlichen) Vernunft unerreichbar. Aber in dieseTiefe wird man eindringen durch vertiefte Demut.

    Darum verschwieg Unsere Liebe Frau all das groe Gut, das Gott in sie gegossenhatte, und sprach nur von ihrer grundlosen Demut, um derentwillen sie alleGeschlechter seligpreisen sollten, "denn es hat dem Herrn gefallen, diese Niedrigkeitanzusehen".

    Was die Breite Gottes betriff, so soll der Mensch sie verstehen als die allgemeineLiebe, durch die Gott sich gibt an allen Orten, in allen Landen, in jeglicher Art, inallen guten Werken. Nichts ist so gerecht und so allgemein wie Gott, noch so naheunserem innersten Grunde: wer ihn dort suchen will, findet ihn da. Auch finden wir

    ihn jeden Tag im heiligen Sakrament, in allen Gottesfreunden und in jeglichemGeschpf. Dieser Breite soll man mit fleiigem, innigem, ledigem Gemt folgen,unbehindert von allem anderen, und sich dem gegenwrtigen Gott mit allen Krftenanheimgeben: da wird dem Menschen Freiheit des Geistes 'gegeben und einejegliches Sein bersteigende Gnade; der Geist erhebt sich (da) ber alle Bilder undFormen in einem Aufschwung ber alle geschaffenen Dinge.

    Hierzu sagt Sankt Gregorius: "Wenn wir zu einer Erkenntnis der unsichtbaren Dingekommen wollen, mssen wir uns ber die sichtbaren erheben."

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    Die Lnge (Gottes) endlich, das ist die Ewigkeit, die kein Vorher noch Nachherkennt, denn es ist ein stilles, unwandelbares Jetzt, in dem alle Dinge gegenwrtig sindin einem steten, unwandelbaren Anschauen Gottes seiner selbst und aller DingeGegenwart in ihm: dieser "Lnge Gottes" soll der Mensch mit stetem,

    unwandelbarem Geiste folgen, mit einem unwandelbar in Gott versunkenen Geistund sich getrsten der Liebe und des Leides und aller Geschpfe, derart, da mansich in Gott getrsten knne, im Frieden bleibe und alles Gott berlasse.

    Und so geht das edle Wort in Erfllung: "Transite", (das bedeutet,) da man sichber alle Dinge erhebt. Und dies wird vollendet in der Geburt Gottes in uns. Derliebevollen Jungfrau Maria sollen alle Menschen groe Ehre erweisen, so sehr sieimmer knnen; und sollen ihr je eine abgemessene Zeit einrumen, um sie zu ehrenund ihr zu dienen. Knnten wir ihr nun alle so folgen, da wir mit (den Frchten)

    ihrer Geburt gesttigt wrden.Dazu helfe uns Gott.

    AM E N.