Tauler Predigt 63

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  • 8/9/2019 Tauler Predigt 63

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    J oh an n e s T au l e r P r e di g t 6 3 Diese Predigt ber die Briefstelle beim heiligen Paulus vom sechzehntem Sonntag (nach Dreifaltigkeit) lehrt unter vielen anderen tiefen Betrachtungen, wie der Mensch mit Hilfedreier Tugenden in die Hhe der ber allem Sein erhabenen Gottheit gelangen kann: durchGelassenheit infolge der Ergebung in Gottes Willen, Entsagung gegenber ueren Dingenund Verzicht darauf, sich selbst etwas zuzuschreiben (weil alles von Gott kommt)1.

    SANKT PAULUS SPRICHT: Ich beuge meine Knie vor dem Vater unseres HerrnJesus Christus, von dem jeder Vatername kommt im Himmel und auf Erden, damitihr nicht um meiner Leiden willen verzagt, die ich fr euch erdulde, und er euch denReichtum seiner Herrlichkeit gebe und mit Tugenden seines Geists in dem inneren

    Menschen strke und Christus in eurem Herzen wohnen lasse, eingewurzelt durchden heiligen Glauben in der Liebe, damit ihr begreift mit allen Heiligen, welches dieBreite und Lnge, die Hhe und Tiefe sei, um so die hchste Liebe Christi zuerkennen und mit aller Gottesflle erfllt zu werden."

    Diese Worte sind so reich und so voll des Sinnes, da wir nicht zu den Erluterungenzu greifen brauchen, um sie einzusehen oder etwas zu ergnzen. Als Sankt Paulusdiesen Brief schrieb, lag er gefangen und wollte (nur), da seine Freunde sich darumnicht betrbten, wie er sagt: da etlichen Menschen meine Gefangenschaft

    Kummer bereitet, das ist mir wahrlich leid, und sie sind mir darum um nichts lieber".Und da er in dem Gefngnis war, verwies er seine Freunde auf den Weg derGelassenheit: sie sollten sich weder ber seine Gefangenschaft noch ber sonstetwas betrben; etlichen Menschen geht ihrer Freunde Leid nher als ihr eigenes;damit wollen sie sich entschuldigen, aber es ist doch unrecht (von ihnen)2. Das wollte er, da sie allerwege recht gelassen wren; denn rechte Gelassenheit macht(einen Menschen) empfnglich fr alle Gnaden, Gaben und Tugenden, die Gott jegab oder jemals geben wird. Er wollte sie ohne Betrbnis wissen; denn Betrbnissesind ein groes Hindernis: sie ersticken das Leben, verdunkeln das Licht, verlschen

    das Feuer der Liebe. Und darum sagt Sankt Paulus: "Freuet euch stets in unseremHerrn, nochmals sage ich: Freuet euch!" Dann sagt er: Ich beuge meine Knie"; ermeinte das in einem inneren Sinn und sprach nicht von den leiblichen Knien.

    1Vetter 366,29 : .. lidikeit" deutet auf "geduldiges Ertragen"; Corin, Wi 2, S. 191,19 und App. 2 wie auch fters "ledicheit"

    wre durch E ntsagung gegenber ueren Dingen" umschreibend wiederzugeben; auch . Lossagung, Loslsung. vonueren Dingen" kommt in Frage. Auch unanemlichheit bedarf einer Umschreibung mit erluterndem Zusatz. So wieoben sind diese Begriffe auch im folgenden aufzufassen; die Umschreibungen in jedem Einzelfall erbrigen sich dann.2

    Die Drucke, der AT und KT, geben zum Sinn dieser Stelle - s. Corin Wi 2, S. 190,8 und Lesarten - einen erluterndenTextzusatz : .obwohl es doch! keine wahre Gelassenheit ist, m an soll alles Gott anbefehlen'.

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    Denn die Innerlichkeit ist hunderttausendmal weiter und breiter, tiefer und lnger alsdas, was uerlich ist. Die Knochen geben uns den ueren Halt; ebenso soll derMensch all sein Knnen vor Gott beugen. Alles, was er ist und kann, soll er ganzunter die gewaltige Hand und Kraft Gottes beugen und soll von Grund aus sein

    natrliches und sein gebrechliches Nichts erkennen. Das natrliche Nichts, das ist,.da wir von Natur aus nichts sind; das gebrechliche Nichts ist unsere Snde, die unszu einem Nichts gemacht hat3.

    Mit diesem doppelten Nichts sollen wir uns vor Gottes Fe legen. DiesesNiederbeugen weist uns auf eine rechte Unterwerfung, auf rechte Gelassenheit, aufEntsagung (gegenber ueren Dingen) und auf den Verzicht jeglicher Anmaung.Diese drei sind recht wie drei Schwestern, die die gleichen Kleider tragen: wahreDemut. Der Mensch soll in geordneter Ausgeglichenheit stehen gegenber Lieb und

    Leid, Haben und Darben, Hart und Weich und jegliches Ding (als) von Gott(gekommen) annehmen und nicht von den Geschpfen. Der Mensch ist gleichsamaus dreien zusammengefgt.

    Den Menschen der Sinne soll man zwingen, soweit man immer kann, gelassen zusein und ihn in den zweiten Menschen ziehen, derinnen ist; das ist der geistigeMensch, das heit, der seinen Sinnen nachlebende Mensch darf nicht ttig sein oderirgendwohin laufen, auer nach den Anweisungen des geistigen Menschen, und nichtnach seinen tierischen Trieben handeln. Wenn dann der zweite Mensch, der geistige,

    in rechter, entsagender Gelassenheit steht und sich nicht Dinge zuschreibt (die vonGott sind), dann hlt er sich in seinem lauteren Nichts, lt Gott den Herrn sein .undunterwirft sich ihm. Dann wird der dritte . Mensch (in diesem Menschen) zu seinerganzen Gre aufgerichtet, bleibt ungehindert, kann sich in seinen Ursprung kehrenund in den Zustand seiner Ungeschaffenheit, worin er ewig gewesen ist, und steht daohne Bilder und Formen in rechter Entsagung (eigenen Tuns). Da gibt ihm (denn)Gott nach dem "Reichtum seiner Herrlichkeit"4. So reichlich geschieht das, dadavon die niederen, mittleren und oberen Krfte beschenkt und gestrkt werden inempfindender und verkostender Weise.

    Das ist es, was Gott nach dem Reichtum seiner Herrlichkeit schenkt. Hier wird derMensch mit Tugenden gestrkt, was den inneren Menschen betrifft. Gebe euchGott, da Christus in eurem Herzen wohne. Versteht mir diese Worte recht: wohnendurch den heiligen Glauben.

    3Diese Stelle - Vetter 365,22 - findet im KT einen erluternden Zusatz der manches fr sich hat und den ich in die

    bersetzung aufgenommen habe:

    4Vgl. Rsch, a. a. o. Eph. 3,16 u. Regensburger NT, Bd. 7, S. 142.

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    So wie der Mund spricht: "Ich glaube an Gott Vater, den Allmchtigen", so besitzendiese Menschen den Glauben innerlich in einer viel hheren Weise, ihn empfindendund verkostend. Gleichermaen wie wenn ein sechsjhriges Kind dieses Bekenntnissprche und ein Lehrmeister von Paris auch: es ist zwar ein Bekenntnis, aber es wird

    von beiden sehr unterschiedlich verstanden: so haben diese Menschen es in deminneren Menschen, im Licht, in Klarheit und mit Unterscheidung. In dem dritten,dem obersten Menschen, dem verborgenen, da besitzen sie diesen Glauben oberhalbdes Lichtes im Dunkel ohne Unterscheidung, jenseits der Bilder und Formen und(begrifflichen) Unterscheidungen in einfacher Einheit.

    Diese Leute besitzen den Glauben in fhlbarer, empfindlicher, verkostender Weise.Sankt Paulus sagt: "Gott gebe euch, dass Christus in euerem Herzen wohne.""Christus" bedeutet soviel wie "Salbung"5. Wo Gott den Grund (eines Menschen) so

    bereitet und ihm zugekehrt findet, dahin fliet die Salbung Christi und wohnt da;dadurch werden diese Menschen von Grund aus so gtig und freundlich und knnenkeine Hrte mehr zeigen. Wo diese drei Tugenden in dem Grunde gefunden werden:Gelassenheit, Entsagung6 , die Nichtanmaung (gttlichen Gaben gegenber), dafliet die Salbung Christi ununterbrochen hinein und macht den Grund so gtig undfreundlich. Knnten diese Menschen sich selbst gleich einer Salbung allen Menschenmitteilen, das bedeutete eine Freude fr sie. Ihre Liebe weitet und verbreitet sich: sieumschliet alle, und sie mchten (gerne), wie Sankt Paulus, alle Menschen seligmachen; er war den Heiden ,ein Heide, den Juden ein Jude, damit er alle

    gewinnenach dem Beispiel unseres Herrn Jesus Christus, der mit den Sndern aund mit ihnen verkehrte.

    Christi Salbung durchfliet sie in gtiger, allgemeiner Liebe. Nun sagt Sankt Paulusauch: "auf da ihr verwurzelt und gegrndet seiet in der Liebe". Liebe Schwestern!Danach strebt mit all eurer Kraft, da ihr verwurzelt werdet und gegrndet seid inder Liebe. Je tiefer der Baum und je besser er verwurzelt ist, um so hher und weiterund breiter wchst er. Ach, wie wird mancher krftig scheinende Baum, derscheinbar so schn geblht hat, niederstrzen zu Boden, wenn die heftigen Winde

    kommen! Unser Herr spricht: "Alle Pflanzen, die nicht mein Vater gepflanzt hat, werden mit den Wurzeln ausgerissen werden." Seht zu, da ihr in der Liebefestgewurzelt und gegrndet seid, damit ihr begreifen knnt mit allen Heiligen,welches die Breite, die Lnge, die Hhe und die Tiefe (Gottes) ist.

    5Wrtlich : Salbe" (Vetter 366,25).

    6Vgl. der erluternden Zustze wegen Anm. 1 zu dieser Predigt.

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    Die Breite in Gott bedeutet, da man seiner Gegenwart berall gewahr werde7 an jedem Orte, bei jeder bung, in jeder Arbeit. Sankt Augustinus sagt: "Mensch, dukannst dich Gottes Gegenwart nicht entziehen; verlssest du ihn, wenn er dir einfreundliches Antlitz zeigt, wohlwollend, liebreich, so wirst du ihn mit

    furchterregender Miene wiederfinden, grimmig zrnend, verurteilend." Diese Breitekennt in Gott keine Grenze. Man soll sie auch in uns erkennen: sie stellt sich dar alsuneingeschrnkte Liebe. Die Liebe ist in diesen schlimmen Zeiten ganz erloschen.Man kennt nur noch die Liebe mit Vorbehalten: "indem einer (nur) seinenMitbruder, die Mitglieder seines Ordens oder seines Konvents liebt, stets nur eine bedingte Liebe!" Nein, meine Lieben, die Liebe mu allen erzeigt werden, soweit esnur geht. Die allgemeine Liebe schliet alles in sich. Knnte sie sich allen Menschenmitteilen, sie tte es gerne, wie unser Vater, der heilige Dominikus, getan; er bot sichselber feil, da man mit dem Erls denen hlfe, die Not litten. Man soll stets aus dem

    Geist der Liebe wirken und, so man kann, alles darin einschlieen. Dann die Lnge(Gottes).

    Das bedeutet, da man sich in da immerwhrende Jetzt der Ewigkeit kehre, derenLnge weder ein Vorher noch ein Nachher kennt und ganze Unwandelbarkeit ist.Dort kosten, erkennen und lieben die Heiligen dasselbe, was Gott verkostet. Wirsollten mit ihnen zusammenwirken, liebreich mit ihnen lustwandeln ohne Unterla,wirkend und kostend, soweit das uns hienieden mglich ist. Die Tiefe, die in Gott ist:ein solcher Abgrund, da alle geschaffene Erkenntniskraft sie nicht erreichen noch

    durchdringen kann, nicht einmal die Seele unseres Jesus Christus; sie kann auchnicht erreicht oder ergrndet werden als nur von Gott allein. Dieser Tiefe sollen dieMenschen in der Weise nachgehen, da sie ihr mit (ihrer eigenen) Tiefe begegnen,das heit der bodenlosen Tiefe unergrndlicher Selbstvernichtung. Knnten sie,anders gesagt, zu einem lauteren Nichts werden, das dnkte sie recht und billig. Daskommt aus der Tiefe und der Erkenntnis ihres Nichts. Sie gehen unter die verblendeten verdorbenen Snder, erleiden qualvollen, empfindlichen Schmerz,empfindliches Leiden und haben Erbarmen mit deren Blindheit.

    Ihre Tiefe ist so unergrndlich, da sie in den Grund der Hlle gezogen werden, soda - wre das mglich und htte es Gott so bestimmt, was er aber nicht getan hat -alle, die in der Hlle sind, sie verlassen drften, sie selbst aber an ihrer aller Stattdableiben': das tten sie aus Liebe gerne. Aber niemand darf das tun noch auch nurdaran denken, auer im Gebet, denn sonst wre es gegen die gttliche Ordnung.

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    Nach Corin, Wi 2, S. 195,12-13, da Vetter 367,12 und seine bersetzer Lehmann 2,175 und Oehl S. 119 eine auf eineLcke deutende Kurzfassung aufweisen.

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    Liebe und Demut aber haben sie so benommen gemacht wie den liebevollen Paulusder diesen Wunsch aussprach: "Herr, tilge mich aus dem Buch der Lebenden, damitsie gerettet werden." Diese Tiefe wird in uns

    geboren aus dem Abgrund der unergrndlichen Tiefe Gottes die kein Verstand derMenschen oder Engel, erreichen und begreifen kann. Wie sollte man etwas darberaussagen knnen, was sie ist? Es ist uns unbekannt; darin 'liegt nichts Erstaunliches8.

    Dann (sprechen wir) von der Hhe Gottes. Ach, dergleichen gibt es sonst nicht. Sieist derart, da Gott, der alles kann, kein so edles, so erhabenes Geschpf htteschaffen knnen, ber den Cherubim und Seraphim stehend, das aus seiner Naturdie Hhe Gottes htte erreichen oder erkennen knnen. Selbst dann aber wresolche Hhe ein abgrndiges Nichts vor Gottes Hhe da sie ja geschaffen wre.Diese Menschen streben der Hhe Gottes in der Weise nach, da ihr Seelengrund

    zur Hhe berschumt, oberhalb von allem, mit so groer Dankbarkeit und solchhohem Gedankenflug, da es ohnegleichen ist. Gott erscheint diesen Menschendann so gro, da alles, was nicht Gott ist, ihnen klein und nichtig erscheint, wie derProphet spricht: "Der Mensch wird sich erheben zu einem hohen Herzen: da wirdGott erhht." Denn Gott ist fr den Menschen niemals hoch und gro, der etwas,das geringer ist als Gott, fr hoch und gro halten kann.

    Wer aber die Hhe Gottes verkostet hat, dem erhebt sich sein Seelengrund so hochin Liebe und Dankbarkeit und im Gefhl von Gottes hoher Wrde, da ihm nichts

    mehr zusagt, was unterhalb Gottes ist. Denn alles Geschaffene steht sounaussprechlich tief unter Gott wie ein reines Nichts gegenber vollkommenemSein9. Diese Hhe des ber allem Wesen stehenden Seins zieht des MenschenSeelengrund hoch ber sich hinaus in Liebe, Dankbarkeit und Lob. Sie erheben sichwie im Flug so weit ber sich hinaus, da sie all ihr Lob und das der Geschpfe, derEngel und Heiligen hinter sich lassen. Wenn sie diesen in liebevollem Begehren begegnen, so dringt ihr Lob ber all diese empor (zu Gott). Gleichwie durchEntzndung vieler Kohlen ein ganz groes Feuer entsteht und die helle Flamme beralle Kohlen und alle Dinge in die Hhe schlgt, so soll der Mensch in einer ber alleGedanken und Vorstellungen und Wirkungen seiner niederen und oberen Krftehinausgehenden Weise seinen Grund durchdringen lassen, auf zur Hhe, weit beralles Vermgen und Wirken seiner selbst und aller Geschpfe, zur jenseits allesWesens stehenden Gottheit.

    8Von Wie sollte ... " ab nur In Corin, Wi 2, S. 199,2-4. Vgl. Vetter 368,15

    9

    Eine wohl schon frh durch Textnderung schwer verstndlich gewordene Stelle, da bereits der von Vetter eingeseheneBT - vgl. Vetter, Lesart zu 368,22 _ bessert, wie spter auch Lehmann 2,177 und Oehl, S. 122.

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    Dergleichen erlebte eine junge Frau, die in der Ehe lebte: ihr Geist schwang sich indie Hhe, und darin ward ihr ihr eigener Grund entdeckt und gezeigt, und sie sah ihnin unaussprechlicher Klarheit und unerreichbarer Hhe, die kein Aufhren hatte, inendloser Lnge, Breite und Tiefe, alles unergrndlich.

    So also, wie ihr jetzt gehrt habt, gelangt man zu dem, was Sankt Paulus in die Wortefate: "damit ihr erkennet die Hhe, die Lnge, die Breite und Tiefe Gottes". LiebeSchwestern!10 Die, welche ohne die genannten drei Tugenden, rechte Gelassenheit,Entsagung und Nichtanmaung (gegenber gttlichen Gaben), alle gekleidet inDemut, hierherkommen - und diese Tugenden wohnen im Kloster der Liebe - unddie nicht in rechter bung hier durchgegangen sind, strzen in den Abgrund. Aberdu bist hierhergekommen mit diesen Tugenden, so bleibt dir jener Stand, und dustehst (fest) darinnen. Entfllt er dir (wirklich), so kann das (nur) von der

    Anmaung (dir die Gaben Gottes zuschreiben zu wollen) und vom Eigenwillengekommen sein. Hier wird die Gnade geboren. Der Same ergiet sich in den Grund.

    "Tretet zu mir herber und sttigt euch an den Frchten meiner Geburt" (Sir. 24,19).' Man mu ber all diese (Irdischen) Dinge hinauskommen. Das wird wohlmanchen gezeigt, ist aber nicht mit ihnen geboren. Der Mensch Jedoch, der auenwie innen auf rechte Gelassenheit abzielt, in dem kann jene Geburt geschehen, fallser jenen Weg durchlaufen hat. Von diesem Geist finde ich etwas in jungen Leuten; inden alten aber ist er verdorben; denn sie halten sich zu sehr mit Eigenwillen auf ihren

    Vorhaben und ihren alten erfahren und sind mrrisch und voll absprechendenUrteils; Ihnen fehlt der Geist liebevoller Sanftmut. Sanftmut jedoch dient diesemmeinen Geist, sie hat mehr Wirkung nach innen als Gelassenheit; die hat mehr mitdem ueren Menschen zu tun.

    Dieser innere Grund mu notgedrungen denen verborgen bleiben, die mit Ihrerganzen Wirksamkeit im uerlichen, sinnlichen Menschen (stecken)bleiben. Solchein Mensch ist zu burisch und zu grob fr diesen edlen, grundlosen Geist. Denn esgibt manchen, der sich sehr hochstehend dnkt und (doch) nicht einmal dieniederste Stufe seines inneren Menschen kennenlernte.

    Und wenn Gott die Menschen in die Innerlichkeit ziehen will und sie aufGelassenheit und Verzicht hinweist, so treiben sie Gott mit all Ihren Krften ganz von sich weg, als wenn er der Teufel wre; sie verharren bei ihren eigenenLebensgewohnheiten, in ihrer Anmaung dessen, was von Gott kommt, und in ihrerUngelassenheit. Das ist wie ein recht bser Mehltau; wie diese Pflanzenkrankheit dieFrucht verdirbt, so verderben jene Menschen die Frucht, die hier geboren werdensollte.

    10Die, folgende Stelle, Vetter 369,16, ist im BT stark verndert, wohl weil. man eine Erluterung fr angebracht hielt, die

    sich bei Vetter, a. a. O. unter den Lesarten findet.

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    Wie hoch du immer steigen magst:....- besitzest du die drei miteinander verschwisterten 'Tugenden nicht, so wird nichts aus deinem Streben; dann kommtder bse Feind und wartet, ob er da nichts fr sich finde. Findet er dich anhnglich(an uere Dinge), so hlt er sich daran.

    Was soll im von diesem edlen Sein zu denen sprechen, die ihren ueren Menschennicht fernhalten von diesem Geplapper und der vielen ueren Ttigkeit, ihren vielen Vigilien, die alle ihrer Natur nach Geplapper sind. Liebe Schwester! sprich eine Vigilie nach guter Ordnung nach auen gerichtet und zwei nach innen blickend mitliebevollem Geist.

    Wieviel du da, nach innen gerichtet, auch redest11, es kann nicht zuviel sein. La dichbei diesem inneren Gebet von niemandem hindern oder von ihm abziehen. Deineninneren Menschen sollst du niemandem unterwerfen auer Gott; aber deinen:

    ueren Menschen, den unterstelle in aller Demut unter alle Geschpfe. Der uereMensch sei wie ein Knecht, der unttig vor seinem Herrn steht, wartend auf das, wasdieser von ihm getan haben will. So soll auch der uere Mensch innerlich warten, was ihm der innere gebietet, um dem auf jede Weise mit jeder Arbeit genugzutun.Das tun die nicht, die nur mit dem ueren Menschen auf ihre sinnliche Weise nachauen wirken und andere Menschen auf denselben Weg ziehen und zuvielschwtzen.

    Liebe Schwester, schweige, bleib gesammelt, dulde! Httest du diese liebreichen

    Tugenden, von denen du gehrt hast: Gelassenheit, Entsagung, Fehlen jeder Anmaung (gegenber den Gaben Gottes), du knntest dich einen ganzen Tagmitten in aller Unruhe aufhalten, es wrde dir nicht schaden, es sei denn, du wrestzu schwach dazu: dann gehe deinen Weg. Liebe Schwestern! Wenn ich diesen wahrhaften Grund finde, dann rate ich, was mir Gott zu sagen gibt, und lasse jeglichen mich verwnschen und mich schelten, soviel er nur will. UnsereSchwestern haben in dieser Sache ein gutes Verhalten: will sich von ihnen eine inihren Seelengrund kehren, so sind sie dessen froh und geben ihr soviel Erlaubnis, alssie haben will; das geht doch weit und sehr ber eure Satzungen hinaus: es ist aberein liebliches und heiliges Ding, vom Heiligen Geist ins Werk gesetzt. LiebeSchwester! Bleib stets im Konvent der drei vorgenannten Tugenden, und hte dichvor deren Stiefschwester, der Anmaung, und vor selbstschtiger Liebe:

    der mu man wirklich den Kopf abschlagen, denn die will immer etwas (fr sich)haben. Sie geht zur Predigt, zum Tisch des Herrn, (nur) immer, da sie etwas (frsich) habe. Wer Ohren hat, zu hren, der hre!

    11Wrtlich: klaffest", Vetter 370,2i. Hier ist dieses Wort vermieden, um einem M iverstndnis vorzubeugen.

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    Nun spricht Sankt Paulus: "Da ihr die Liebe12 Christi erkennet." Nun hret, wasdarunter zu verstehen ist. Seine Liebe zeigte sich, als er des Teufels List durch denbittersten, schndlichsten Tod berwand, den ein Mensch je erlitt und womit er unsalle erlste. Und als er vor allen Menschen der verlassenste war, da war er seinem

    Vater am wohlgeflligsten, als er rief: "Mein Gott, mein Gott, wie hast du michverlassen!"

    Denn er war bitterlicher verlassen, als je ein Heiliger verlassen war. DieseVerlassenheit erkannte er bereits, als er auf dem Berg Blut schwitzte. Und war dochzu gleicher Zeit nach seinen oberen Krften im Besitz dessen, wessen er sich (auch)jetzt erfreut: der Gottheit, die er selber war.

    Das ist die Liebe Christi: sie ginge ber alles Wissen, wenn der Mensch von auenund innen auf jeglichen Trost verzichten, wenn er, verlassen und aller Sttze beraubt,

    in rechter, sich Gleichbleibender Gelassenheit verharren knnte, so wie unser Herr Jesus Christus verlassen war. Wer in dieser Verlassenheit und Trostlosigkeit am wahrhaftigsten wre, gefiele dem (himmlischen) Vater am meisten. In solch einemMenschen herrscht und waltet Gott, und in dieses Menschen inwendigem Geist wirdder wesentliche Friede geboren. Diesen Frieden, den dir Gott da gegeben hat, sollstdu dir nimmer nehmen lassen, weder von Menschen noch Engeln, noch Teufeln;doch soll man den ueren Menschen in Zucht halten, in niedergedrckterUnterwerfung, ihn beargwhnen, ihm nicht trauen oder glauben, sondern ihn

    niederhalten, da er dem inneren Menschen in keiner Weise zum Hindernis werde,besonders nicht in seinen sinnlichen Begierden.

    Denn solange der Mensch in dieser Zeitlichkeit lebt, kann er nicht frei vonBefriedigung sein. Aber hier soll die Einsicht Meisterin bleiben, damit alle Lust, alleBefriedigung in Gott oder durch Gott sei; und man soll bei Gott Hilfe suchen. Undunser Herr strkt mit eigener Kraft die, welche innerlich bei ihm Hilfe suchen: mitseiner Weisheit erleuchtet er, mit seiner Gte durchdringt er sie. . . . Mchten wirdoch alle der liebevollen Mahnung des helligen Paulus folgen, damit wir die Wahrheitihrem vollen Sein nach erlangen.

    Dazu helfe uns Gott!

    AM E N.

    12Das in den Texten stehende Wort kunst" kann nicht wrtlich mit Liebe" bersetzt werden. Doch stimmen

    bedeutende bersetzer in dieser Wiedergabe der bei Vetter 371,22 angefhrten Stelle aus Paulus, Eph. 3, 14 berein.