Tauler Predigt 65

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  • 8/9/2019 Tauler Predigt 65

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    Und dazu ruft er uns: da wir seinem Vorbild nachfolgen; denn er ist der Weg, den wir einschlagen sollen; er ist die Wahrheit, die uns auf diesem Weg die Richtung weisen, er das Leben, das unser Ziel sein soll und (das) wir, soweit wir vermgen,nicht allein mit Gedenken und Danken, sondern mit tugendhaftem Leben und

    geduldigem Leiden nachahmen sollen.

    Das dritte: welches der Ruf sei und wann er ruft. Der Ruf, mit dem Gott denMenschen ruft, ist von mancherlei Art: innen im Grunde ruft Gott den Menschenohne Unterla mit mancher Mahnung und innerlicher Warnung Nacht und Tag voninnen und auch von auen: mit harten Strafen, mit all den Schickungen, die er beruns verhngt und die in mancher Weise kommen: jetzt Freude, dann Leid: das sindall die lauten Stimmen, mit denen Gott den Menschen ruft. Wollte der Mensch denliebe vollen, sanften Rufen folgen, so bedrfte es nicht harter Stimmen, w manchen

    Leides und mancher Schickung. Das vierte ist: wie wir jetzt wrdig wandeln sollenmit aller Geduld, Demut und Sanftmut.

    Jetzt wollen wir betrachten, wen Gott ruft: das sind dreierlei Leute. Das sind zuerstdie beginnenden Leute: die werden auf die niederste Stufe gerufen; danach die (inder Vollkommenheit) zunehmenden Leute: die werden auf die zweite Stufe gerufen;die Armen, das sind die vollkommenen Menschen, die auf die oberste Stufe derVollkommenheit gerufen werden. Und das soll niemand Gott verbeln, denn er istder Herr und kann tun was er will: damit wir seinem eingeborenen, ihm von Natur

    (gleichen) Sohne hnlich

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    und seine liebsten Kinder werden. Nun wollen wirberlegen, wie wir auf diesen Ruf antworten ollen. Etliche Dinge sind uns geboten,andere verboten. Unter denen, die uns geboten sind, ist uns als hchstes geboten:dass wir Gott ber alles lieben sollen. Da sagen viele Leute: sie liebten Gott beralles; aber sie wollen von den Dingen nicht lassen, die tiefer in ihre Liebe und ihrBegehren eingegangen sind als Gott; und sie haben mehr Lust und Freude daran alsan Gott und das hindert sie ganz und gar an der gttlichen Liebe. Sie mgen zusehen, wie sie Gott lieben! - Das zweite (Gebot) heit: "Du sollst deinen Nchsten liebenwie dich selbst das heit, indem du ihm das gleiche Gute wnschest wie dir. Ferner:

    Du sollst Vater und Mutter ehren, das heit alle, die ber dir stehen. Sodann: Dusollst den Namen Gottes nicht unehrerbietig aussprechen. Schlielich: Du sollst dieFeiertage halten. Dies alles ist uns geboten; das mssen wir tun3 , damit wir errettetwerden.

    2Vetter 241,22: "mitformig" = "von gleicher Form" ; Corins bersetzung mit semblable" in Sermons III, 112 bedeutet:

    "nach Wesen und Art hnlich ;Oehl, S. 75: "damit wir gleichfrmig werden seinem eingeborenen Sohne von Natur ... " Ichhabe dieses letztere Wort an eine fr das Verstndnis gnstigere Stelle gerckt.

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    Courin macht Sermons III, 113, Anm. 2 mit Recht darauf aufmerksam da von den vier angekndigten "Geboten" einesein Verbot ist.

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    Aber ihr kommt ja nicht bis in euer Inneres, noch kennt ihr eure Berufung; heutebeginnt ihr mit diesem, morgen mit jenem, je nachdem was ihr von auen sehet undhret und was euch eure Sinne zutragen; das ist aber nicht das Rechte fr euch, undso bleibet ihr nicht dabei, und aus all (der Bemhung) wird nichts, weil ihr alles

    blindlings tut. Wisset, des einen Menschen leben ist des anderen Menschen Tod.

    Kehrt euch zu euch selbst, sehet, womit ihr umgeht, vernachlssigt euch nicht. Wit,es gibt manche Frau in der Welt, die Mann und Kinder hat, und mancher Mann stelltSchuhe her, und sie suchen Gott (indem sie arbeiten) und versuchen dadurch, sichund ihre Kinder zu ernhren. Und mancher arme Mensch im Dorf fhrt Mist undgewinnt sein bichen Brot in harter, saurer Arbeit. Und es kann wohl sein, da diesealle hundertmal besser fahren (als ihr), indem sie in schlichter Weise dem (an sieergangenen) Ruf (Gottes) folgen: und das ist doch ein traurig Ding! Diese

    Menschen leben in der Furcht Gottes in ihrer Armut, demtig, und folgen inSchlichtheit dem Ruf (Gottes). Armer, blinder, geistlicher Mensch, sieh dich vor,nimm deines Rufes mit allem Flei von innen wahr; (sieh,) wohin der himmlischeVater dich haben will! und folge ihm, und verirre dich nicht auf seinem Weg.

    Der hchste und oberste Weg des Rufes (Gottes) besteht darin, dem liebevollen Vorbild seines ber alles geliebten Sohnes nach auen und innen zu folgen, inwirkender und in leidender Weise, (in der Betrachtung) mit Hilfe der Bilder oder inder Beschauung jenseits aller Bilder. Und wer diesem (Vorbild) ganz lauter und

    gnzlich nachfolgt, der wird das alleroberste und allerhchste Ziel erreichen. Undhierbei sollt ihr euch selber Erkennen, wie nahe oder wie ferne ihr diesem Vorbildseid. Ihr sollt diesem Vorbild auch in eurem Innern folgen und es da suchen; indiesem Grunde lebt es seinem Sein und Wirken nach.

    Von diesem Eingang (in uns selbst) steht bei Jeremias geschrieben: "Du sollst michVater heien; im habe dich heute geboren, und du sollst nicht aufhren, (in, mich)einzugehen."4 Das soll heien, da du ohne Unterla eingehen sollst, du sollst nichtaufhren einzugehen. Und Laban sprach zum Patriarchen Jakob dieses Wort:"Gebenedeiter Gottes, geh ein, warum stehst du auen?"

    So kann ich auch zu euch sprechen. Gesegnet sind die Menschen, die ihres Rufeswahrgenommen haben, zuerst in der Befolgung der 'Gebote, dann der heiligen Rte,schlielich in der Nachahmung des wrdigen Vorbildes unseres Herrn, und die wrdig (ihrer Berufung) gewandelt sind, wie Sankt Paulus spricht, in aller Demutund Geduld.

    4Die bersetzung bei Parsch, a. a. O. und in der Echter-Bibel, 2. Lfg., S. 16 zu Jeremias 3, 19 fgt sich schlecht zu dem

    Fortgang des Textes (vgl. Vetter 243,32): daher wurde hier von der sonst gebrauchten bersetzung abgewichen.

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    Diese Menschen sollen in das Innere (ihrer Seele) eintreten, zuweilen in begehrender und bildhafter Weise, zuweilen in Stille und Schweigen ohne jeglicheTtigkeit und Bildhaftigkeit; sie sollen sorgfltig darber wachen, wie sie die Einheit,des Geistes im Band des Friedens bewahren, ein Geist und ein Gott in der

    berformung der geschaffenen Geister durch den ungeschaffenen. Dieseberformung ist um so hher, je wrdiger man gewandelt ist nach dem wrdigenVorbild unseres Herrn J esus Christus in aller Geduld, Demut und Sanftmut. Einesentspricht dem anderen, nicht mehr und nicht weniger.

    "Die Sorgfalt, die Einheit des Geistes zu wahren", bedeutet einen wacker,en, heiligen,lebendigen Flei, Tag und Nacht, den Ruf des Geistes wahrzunehmen, im Inneren in(der bung der) Tugenden, im ueren ein jegliches nach seiner Eigenart, wie esgerade kommt. Zuweilen soll der Mensch sich ben im Dienst der heiligen Li,ebe,

    wie es gerade erforderlich ist und wie es an ihn kommt, zuweilen sich diesenDiensten in liebevoller und heimlicher Weise entziehen und sich heiligem inneremGebet zuwenden, heiliger Betrachtung und heiligen Vorbildern, oder auch ohneeines von bei den zu tun, wie ' der heilige Anselmus sagt: "Entzieh dich derZerstreuung durch uere Werke, la den Sturm der inneren Gedanken sich stillen,setze dich, ruhe dich aus und erhebe dich ber dich selber."

    Denn wenn der Mensch die Ruhe in sich hat einkehren lassen, wenn all der Lrmsich gelegt hat, dann kommt der Herr, wie er es bei Elias tat, in einem stillen Raunen,

    in einem Wispern, und verbreitet Licht im Geist (dieses Menschen). Und wenn desMenschen Geist oder der Mensch selbst der Gegenwart Gottes gewahr wird, sogeschieht ihm, wie es mit, Esther geschah, als sie vor Knig Aswerus kam und ihnanblickte: sie verlor die Besinnung und fiel in Ohnmacht. So war es auch mit Elias,als er den Herrn gegenwrtig vor sich sah, obwohl er den Mantel ber sein Gesichtgezogen hatte, um es zu bedecken. Folgt aber die Seele der Gegenwart Gottes, sogert sie ganz auer sich, und die Sinne vergehen ihr. Esther neigte sich und sank um,und der Knig mute sie aufrichten. So geht es auch dem Menschen: er gert auersich, die Sinne vergehen ihm, das heit (es entschwindet ihm) jegliche Sttze; alles

    dessen, was sein war, dem entsinkt er hier in jeder Weise; und in allem taucht erunter ganz und gar in sein lauteres Nichts. Und wrde er nicht von den liebevollen Armen der Kraft Gottes gehalten, so msste er, wie ihm dnkt, gnzlich zu einemlauteren Nichts werden, und der Mensch kommt sich (da) in all seinem Verstehen bei weitem schlimmer und geringer vor als alle Geschpfe: zum Tod bestimmt,hinfllig, unvernnftig, ja rger als der bse Feind oder Luzifer; er wei nicht, wastun, was lassen5.

    5was tun, was lassen", zu Vetter 25 4,11 : hier als Ausdruck der Rat- und Hilflosigkeit des Menschen eingesetzt.

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    Knnte er aus Liebe (zu Gott) vergehen, er tt es gerne. Wenn der Knig sieht, dadie Seele so ganz auer sich gert, so sttzt er sie, richtet sie auf und gibt ihr den Kuseiner gttlichen Liebe. Diese Erhebung kommt von der Erniedrigung; denn je mehrman sich erniedrigt, um so mehr wird man erhht; wer sich erniedrigt, wird erhht,

    und zwar um so mehr, je mehr er sich erniedrigt hat. Da entspricht eines demanderen, und es entsteht ein einiges Eins. Gottes Hoheit blickt recht eigentlich undallermeist in das Tal der Demut.

    Wenn der Mensch sich auf solch liebevollen Wegen ergangen hat und , auf eine garhohe Stufe gelangt ist, ereignet es sich wohl da dann der Feind sich an ihn machtund ihn mit geistliche: Hoffart versucht. Damit der Mensch seines Nichts dann nochtiefer sich bewut werde, lt ihn Gott in einen kleinen Fehler fallen: vielleicht gibt ereiner Neigung zum Zorn nach, oder ihm entschlpft ein hartes, verletzendes Wort.

    Nun, das lt dich selbst und andere, die es sehen oder hren, deine Kleinheit fhlen,und du wirst damit noch tiefer in dein Nichts versenkt; schme dich dessen nicht;sobald du dadurch noch tiefer in dein Nichts sinkst und du dich (besser) erkennst,wird des noch guter Rat, und um so wrdiger wirst du nach diesem

    in der Einheit des Geistes wandeln in den Banden des Friedens".

    Wer so wandelt und dem ehrwrdigen Vorbild unseres Herrn Jesus in aller Geduldund Sanftmut und Demut und in all der Weise, wie ihr hier gehrt habt, nachfolgt, indem wird der Friede geboren, der alle Sinne bertrifft:, der hienieden beginnt und

    ewig whren wird. Und dieser Friede wird des Menschen Leben und Sein verklren.

    Da wir dies alle erreichen mgen, dazu helfe uns der ewige Gott.

    AMEN.