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>> familie 144 Télécran 11/2005 Plädoyer für Muße LUDWIG HAAS >>.info ▼ ein Kind überfordert ist, ▼ das Verhältnis zu Schule, Leh- gendliche selbst in der Lage, ihre Aktivitäten zu managen? Meist aber geht der Stress von den Heranwachsenden selbst Télécran 11/2005 145 rer und Mitschülern gestört ist, [email protected]

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144 Télécran 11/2005

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SERVICE_KINDER_TYPISCH_T11 04.03.2005 16:04 Seite 144

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Télécran 11/2005 145

LUDWIG [email protected]

Anna, 15, undPatrick, 16,haben ein an-strengendesVormittags-

programm in der Schulezu bewältigen. Auch dieNachmittage und

Abendstunden sind jedenTag verplant - bei P atrick

mit Gitarreunterricht,Basketballtraining,

Nachhilfe in Matheund F ranzösisch.Am W ochenendekommen nochPunktespiele, Kino-besuch, Jugendclubund Skaten mitFreunden dazu. BeiAnna stehen Ballett-schule, Jazzdance,Klavierstunden undebenfalls Nachhilfe inder Agenda, am W o-chenende Reitstunden,

Discobesuch und Volley-ball. Beide Teens habenauch Pfadfinderjahre

hinter sich, verbrin-gen ihre F erien mit

Sprachaufenthaltenim Ausland und sind oft

im Winter beim Skilau-fen in der Schweiz.

Es ist heute schwierig,sowohl für Jugendliche

als auch Eltern, sich im Angebotvon Freizeit und Schule zurecht-zufinden. Wie viel aktive F reizeitverträgt ein Kind neben derSchule überhaupt? Und sind Ju-

gendliche selbst in der Lage, ihreAktivitäten zu managen?

Verplante Kinder wie Anna undPatrick haben Eltern, die es gutmit ihnen meinen, den Nach-wuchs aber dabei überfordern.So wie diese Eltern gibt es viele,die aus K onkurrenzgedankenoder aus Gründen des Sozial-prestiges von Geburt des Kindesan dessen spätere Karriere pla-nen. Oft sollen die Kids Sport,Musik, Tanz oder Theaterspiel un-ter Wettbewerbscharakter prakti-zieren, um den elterlichen Ehr-geiz zufrieden zu stellen.

„Eltern haben oft ihr eigenes Bilddavon, was ihr Kind erreichenund können soll, und versuchenihrem Kind zu ermöglichen, wassie selbst nie hatten“, erklärtTanja Kieffer , P sychologin amCPOS. „Sie sollten sich deshalbzuweilen fragen, ob sie das fürihr Kind oder eigentlich für sichselbst wollen.“ Im letzteren F allgeht Kindern der Spaß an der Sa-che oft schnell verloren. Späte-stens in der Pubertät rebellierensie dann.

Meist aber geht der Stress vonden Heranwachsenden selbst

Die Interviewpartner dieser Serie (siehe Seite 146) bieten Konfe-renzen zu den vorgestellten Themen im Rahmen der ElternschuleJanusz Korczack der Stiftung Kannerschlass an. Die Elternschuleorganisiert Konferenzen, Seminare und W orkshops zum ThemaErziehung, Familie und Entwicklung des Kindes und richtet sich analle Eltern, Großeltern und andere P ersonen, die im Alltag mitKindern zusammenleben. Weitere Informationen zum Programmunter Tel. 595959-59 (Jeannine Schumann, Koordinatorin), sowieunter www.kannerschlass.lu

>>.info

aus. „Sie sind überbeschäftigt,weil das F reizeitangebot so viel-fältig ist“, so T anja Kieffer. Vieleerlegten sich selbst ein Mammut-programm an V erpflichtungenauf, hetzten von Einsatzort zuEinsatzort. Sei es, um T rendsnicht zu verpassen – sei es, ummit den F reunden gleichzuzie-hen. Dazu kommen stundenlan-gen Fernsehen, Computerspielenoder Surfen im Internet. DieFolge: zu wenig Schlaf , zu kurzeErholungspausen.

Plädoyer für Muße

Kinder und Jugendliche brauchenaber auch anforderungsfreie Mu-ßestunden: zum Musikhören,Zeichnen, Lesen, Spielen, Nach-denken, Träumen oder einfachemNichtstun. „Sonst tritt Stress zutage - seelisch, geistig und kör-perlich“, erläutert die P sycholo-gin. Stress kann natürlich nichtnur in der Freizeit, sondern auchin der Schule auftreten. Etwa,wenn

▼ ein Kind überfordert ist,

▼ das Verhältnis zu Schule, Leh-rer und Mitschülern gestört ist,

SERIE: ERZIEHUNG - DER LANGE WEG (10)

Teens im StressDienstags Klavierunterricht, donnerstags Nachhilfe und am Wochenende

Reitstunden: Jugendliche stehen nicht nur in der Schule, sondern auch in derFreizeit unter Dauerstress. Die typischen Zeitfallen und wie man sie vermeidet.

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>>.interview

Télécran: Warum erleben Ju-gendliche Schule heute stressi-ger als wir früher?

Kieffer: Weil sich Schulsysteme,Gesellschaft, Berufswelt, Freizeitund Sozialisierungsprozesse ver-ändert haben. Die Orientierungist komplexer, die Wahlmöglich-keiten größer und die Zukunftungewisser geworden. Es wer-den auch mehr Anforderungenan die Jugendlichen gestellt, siesollen zum Beispiel autonomerwerden.

Télécran: Und wie kann man die-sem Stress reduzieren?

Kieffer: Zuerst muss man analy-sieren, wie gestresst man ist undwoher der Stress kommt. Danngilt es, die Eigen- und F remder-wartungen zu überdenken undzu sehen, wem man mehr ver-pflichtet ist: den Eltern, Lehrern,Freunden oder sich selbst? Ju-gendliche müssen lernen, Prio-ritäten zu setzen und Entschei-dungen im Einklang mit sichselbst zu treffen. Dazu gehört

auch, „Nein“ zu sagen, sich dieZeit einzuteilen und auf gute Ar-beitsorganisation zu achten.

Télécran: Und wie müsste einstressfreies Elternhaus ausse-hen?

Kieffer: Ein stressfreies Eltern-haus ist weder denkbar noch an-zustreben. Stress heißt auch,dass man lernt, mit nichtharmo-nischen Situationen umzugehen.Deshalb ist es eher Aufgabe derEltern, konstruktive Grenzen zusetzen und auf ihre Einhaltungzu achten. Dazu gehört auch,den Kindern zuzuhören, V er-ständnis zu zeigen, die Ausein-andersetzung nicht zu scheuenund seine eigenen Erwartungenzu hinterfragen.

Télécran: Viele Jugendliche ma-chen sich ihren Stress selbst –warum?

Kieffer: Die Frage ist doch, ob essich tatsächlich um selbst aufer-legten Stress handelt, oder obwir nicht alle dazu beitragen,

Télécran: „Selfmanagement“lautet eines der Zauberwörter inder Stressbekämpfung. W erbringt dem Kind das bei?

Kieffer: Selfmanagement setztvoraus, dass ein Jugendlicher ge-nügend Ressourcen hat, umStress zu bewältigen. Wir wissenjedoch, dass dies eine ideale Si-tuation ist, die nur in den sel-tensten Fällen der Realität ent-spricht. Wir erwarten einfachvom Jugendlichen, dass er ur-plötzlich über diese Ressourcenverfügen soll, ohne sie ihm bei-gebracht zu haben. Da verlassensich Elternhaus und Schule je-weils auf den anderen. Der Ju-gendliche bleibt auf der Strecke,denn allein ist er überfordert. Erbraucht die Hilfe beider Erzie-hungspartner – Eltern und Leh-rer.

Tanja Kieffer ist Psychologin und arbeitet am CPOS. Bei Fra-

gen zu Schulproblemen undBerufswahl ist sie unter Tel.

456464-1 oder E-Mail [email protected] zu erreichen.

dass unsere Kinder sich Stress„auferlegen“, um unsere Erwar-tungen zu erfüllen. Ist es dennunbedingt richtig, dass nur der-jenige später einen anständigenBeruf findet, der gute Schulno-ten vorweisen kann? Besteht nurderjenige in der Gesellschaft, derauch in der Schule besteht? Wa-rum loben wir ein Kind für einegute Note in Mathe, nicht aberin Sport, Kunst oder Musik?

Es gibt kein stressfreies ElternhausWieso sind Jugendliche heute so gestresst – und wie bringt man ihnen besseresSelbstmanagement bei? Fragen an die Psychologin TANJA KIEFFER.

Foto: Serge Waldbillig

▼ sich ein Kind sich selbst unterErfolgsdruck setzt oder

▼ die Eltern zu viel erwarten.

Die F amilienstrukturen habensich in den letzten Jahrzehntengeändert. Jugendliche sind heuteoft für lange Zeit sich selbst über-lassen; es fehlt an Kontrolle, Hilfeund Zuwendung durch die Eltern.Chaotische Tagesabläufe, wie siedas Hin- und Herpendeln zwi-schen geschiedenen Elternteilenoft auslösen, sowie unregelmäßi-ges und ungesundes Essen zäh-len zu den weiteren Stressfakto-ren.

Die Schule versteht es oft nicht,sich auf die „neuen Kids“ einzu-

stellen. Deshalb gilt es, dem Her-anwachsenden zu Hause beizu-bringen, wie er sich gegen dieFremdbestimmung durchFreunde und Medien behauptenund seine eigene Freizeit und Ar-beitszeit planen kann. W enn El-tern selbst keine Hektik verbrei-ten, sondern als ruhender P olfungieren, ist schon viel gewon-nen. Ihnen fällt es auch zu, ihreKinder und deren Tages -und Wo-chenprogramme zu beobachten:

Bleiben genügend Freiräume zumRelaxen? Fühlt sich das Kind nochwohl? Hilfreich dabei sind ge-meinsame Gespräche, um mitden Kindern eine Rangfolge derAktivitäten festzulegen, den Le-bensstil der Sprösslinge zu über-prüfen und falsche V erhaltens-muster abzuschaffen.

Vor allem aber müssen jungeLeute ebenso wie Eltern lernen,Fähigkeiten realistisch einzu-schätzen. Im besten Fall helfen El-

ternhaus und Schule den Ju-gendlichen bei der Planung ihrerFreizeit.

Allein sind die Heranwachsendenmeist überfordert: Sie tappen indie Stressfalle, bewegen sich imFreizeitrad wie der Hamster imLaufrad. Aber es gibt geradebeim Stress einen Ausweg ausdem Dilemma: W as man zu vielhat, kann man auch wieder los-werden. Man muss nur lernen,Nein zu sagen. ■

Skaten, Lernen ... die Tage junger Menschensind oft voll verplant. Beim Managen der

Zeit müssen Eltern helfen, Jugendlicheallein sind damit meist überfordert.

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