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Textechichten und Interpolationen in D. 23, 5, 7 pr. I. Bei der Frage, ob neben dem Codex Florentinus eine zweite Handschrift, der sogenannte Codex S (ecundus) in allen, oder wenigstens in einzelnen Teilen der Digesten echte Lesarten beisteuerte, hat D. 23, 5, 7 pr. seit eh und je eine wichtige Rolle gespielt 1 ). Der Text erhält eine erhöhte Bedeutung, ihm sind weitere Gesichtspunkte abzugewinnen, sobald drei Fragen an das Fragment herangetragen werden: 1. Wie hat der Herausgeber einer Digestorum editio vulgata D. 23, 5, 7 pr. darzustellen? 2. Wie hat ein Herausgeber der Digesta Iustiniani Augusti das Fragment zu behandeln? Und schließlich 3. Welcher Text ist julianisch? Welchen Text nimmt der Herausgeber der Digesten Iulians in eine Ausgabe auf? Den gestellten drei Fragen dürften drei unterschiedlich ausfallende Antworten entsprechen. Die erste Frage zielt darauf ab, die kritische Arbeit der Glossatoren herauszukristallisieren; die zweite geht auf die Wiederherstellung des Justi- nianischen Digestentextes; bei der dritten kommt alles darauf an, den als justi- nianisch erkannten Text von Überlagerungen durch Glossen und Interpolationen zu befreien. Die Aufgabe des Kritikers besteht also darin, die jeweils jüngere Textschicht von der älteren abzutragen, um auf diese Weise zu dem echten julianischen Text vorzustoßen. Zul: Bereits Savigny hat in seiner epochemachenden „Geschichte des römischen Rechts im Mittelalter" auf die Frage, woran man die Vulgata erkenne, recht genau geantwortet: mit Sicherheit an der Übereinstimmung aller oder fast aller Handschriften und alten Drucke ; in gewöhnlichen Fällen, wo kein besonderer Zweifel entstehe, könne auch schon die Übereinstimmung weniger, alter Drucke genügen 2 )! Greift man nun beispielsweise zu der Ausgabe des Digestum vetus !) Cujaz, Obs. XI, 28 (opera omnia: Venetiis 1758, tom. 3, 1, p. 294) geht bei der Auslegung von der Vulgatlesart aus. Savigny, Geschichte des römischen Rechts im Mittelalter, Bd. 3, 2 1834, 457 (Nachdruck 1961) ; Zusätze von Biener, Bd. 7, 2 1851, 82f., 84. Mommsen, „Über die kritische Grundlage unseres Digestentextes" in: Jahrbücher des gemeinen Rechts 5, 1862, 407—448 = Ges. Schriften 2, 2, 1905, 122. Miquel, SZ 81 (1964) 317f. - Interpolationenkritische Literatur, die später als die im Index interpolationum zitierte erschienen ist: Biondi, La categoria romana delle „Servitutes", Milano 1938, 295f.; Le ser- vitù prediali nel diritto romano (Corso di lezioni), Milano 1946, 289f. Solazzi, Specie ed estinzione delle servitù prediali, Napoli 1948, 192f. Grosso, Le servitù prediali nel diritto romano, Torino 1969, 277. 2 ) Geschichte 3, 483, Anm. c. Eine Ausgabe der littera Bononiensis hat diesen Prozeß der Ausformung der vulgata antiqua zur vulgata communis aufgrund des handschriftlichen Materials nachzuzeichnen. Es gibt natürlich keinen fest- stehenden Vulgattext, weil dieser niemals in einer einzelnen Urkunde niedergelegt wurde (Savigny, a. a. 0.). Das hat Brenkmann doch ganz richtig erkannt, wenn er in seiner Historia Pandectarum schreibt : „Vulgata igitur non est certa quaedam editio certumve exemplar, sed consensus plurium exemplorum in eandem lec- tionem, vulgo jam pridem receptam" (261). Nur durfte Brenkmann den Begriff der Vulgata nicht negativ fassen und auf Editionen beschränken („Mihi sane Vulgatam constituit ea lectio, in quam plures antiquae editiones, quae vulgo in manibus omnium erant, conveniunt, maxime quae ante Noricam & Florentinam prodiere..."). Andererseits schießt Savigny in seinem Urteil, die Zitate der Vulgata in Gebauers Noten seien völlig unbrauchbar, weit über das Ziel hinaus. Berechtigte Kritik jetzt bei Bernhard H. Stolte, Henrik Brenkman 77, 42. Brought to you by | Heinrich Heine Universität Düsseldorf Authenticated | 134.99.128.41 Download Date | 9/19/13 12:34 PM

Textechichten und Interpolationen in D. 23, 5, 7 pr

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Textechichten und Interpolationen in D. 23, 5, 7 pr.

I . Bei der Frage, ob neben dem Codex Florentinus eine zweite Handschrift , der sogenannte Codex S (ecundus) in allen, oder wenigstens in einzelnen Teilen der Digesten echte Lesarten beisteuerte, ha t D. 23, 5, 7 pr. seit eh und je eine wichtige Rolle gespielt1). Der Text erhält eine erhöhte Bedeutung, ihm sind weitere Gesichtspunkte abzugewinnen, sobald drei Fragen an das Fragment herangetragen werden: 1. Wie hat der Herausgeber einer Digestorum editio v u l g a t a D. 23, 5, 7 pr. darzustellen? 2. Wie ha t ein Herausgeber der Digesta I u s t i n i a n i Augusti das Fragment zu behandeln? Und schließlich 3. Welcher Text ist julianisch? Welchen Text nimmt der Herausgeber der Digesten I u l i a n s in eine Ausgabe auf?

Den gestellten drei Fragen dürften drei unterschiedlich ausfallende Antworten entsprechen. Die erste Frage zielt darauf ab, die kritische Arbeit der Glossatoren herauszukristallisieren; die zweite geht auf die Wiederherstellung des Justi-nianischen Digestentextes; bei der dritten kommt alles darauf an, den als justi-nianisch erkannten Text von Überlagerungen durch Glossen und Interpolationen zu befreien. Die Aufgabe des Kritikers besteht also darin, die jeweils jüngere Textschicht von der älteren abzutragen, um auf diese Weise zu dem echten julianischen Text vorzustoßen.

Zul: Bereits S a v i g n y ha t in seiner epochemachenden „Geschichte des römischen Rechts im Mittelalter" auf die Frage, woran man die Vulgata erkenne, recht genau geantwortet: mit Sicherheit an der Übereinstimmung aller oder fast aller Handschriften und alten Drucke ; in gewöhnlichen Fällen, wo kein besonderer Zweifel entstehe, könne auch schon die Übereinstimmung weniger, alter Drucke genügen2)! Greift man nun beispielsweise zu der Ausgabe des Digestum vetus

!) C u j a z , Obs. XI , 28 (opera omnia: Venetiis 1758, tom. 3, 1, p. 294) geht bei der Auslegung von der Vulgatlesart aus. S a v i g n y , Geschichte des römischen Rechts im Mittelalter, Bd. 3, 21834, 457 (Nachdruck 1961) ; Zusätze von B i e n e r , Bd. 7, 21851, 82f., 84. M o m m s e n , „Über die kritische Grundlage unseres Digestentextes" in: Jahrbücher des gemeinen Rechts 5, 1862, 407—448 = Ges. Schriften 2, 2, 1905, 122. M i q u e l , SZ 81 (1964) 317f. - Interpolationenkritische Literatur, die später als die im Index interpolationum zitierte erschienen ist: B i o n d i , La categoria romana delle „Servitutes", Milano 1938, 295f.; Le ser-vitù prediali nel diritto romano (Corso di lezioni), Milano 1946, 289f. S o l a z z i , Specie ed estinzione delle servitù prediali, Napoli 1948, 192f. G r o s s o , Le servitù prediali nel diritto romano, Torino 1969, 277.

2) Geschichte 3, 483, Anm. c. Eine Ausgabe der littera Bononiensis ha t diesen Prozeß der Ausformung der vulgata antiqua zur vulgata communis aufgrund des handschriftlichen Materials nachzuzeichnen. Es gibt natürlich keinen fest-stehenden Vulgattext, weil dieser niemals in einer einzelnen Urkunde niedergelegt wurde (Savigny, a. a. 0.) . Das hat B r e n k m a n n doch ganz richtig erkannt, wenn er in seiner Historia Pandectarum schreibt : „Vulgata igitur non est certa quaedam editio certumve exemplar, sed consensus plurium exemplorum in eandem lec-tionem, vulgo jam pridem receptam" (261). Nur durfte B r e n k m a n n den Begriff der Vulgata nicht negativ fassen und auf Editionen beschränken („Mihi sane Vulgatam constituit ea lectio, in quam plures antiquae editiones, quae vulgo in manibus omnium erant, conveniunt, maxime quae ante Noricam & Florentinam prodiere. . .") . Andererseits schießt S a v i g n y in seinem Urteil, die Zitate der Vulgata in Gebauers Noten seien völlig unbrauchbar, weit über das Ziel hinaus. Berechtigte Kritik jetzt bei Bernhard H . S t o l t e , Henrik B r e n k m a n 77, 42.

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R. Röhle, D 23, 5, 7pr. 511

von B a p t i s t a de T o r t i s , die im Jahre 1483 in Venedig gedruckt worden ist, und verbindet diesen Text mit den Lesarten der Vulgathandschriften, die B r e n k m a n n 3 ) , Kaus le r 4 ) , Blume 5 ) und Mommsen 6 ) nachverglichen haben, so könnte man den nachfolgenden Text als Litera vulgata bezeichnen.

Julianus libro sexto decimo digestorum. Si maritus fundum Titii servientem dotali praedio acquisierit servitus confunditur. Sed et sia) eundemb) Titio0) reddideritd) sine restaurationee) servitutis hoc marito imputabitur')^) et hoc casu maritus litis aestimationem praestabit. quod si maritus solvendo non erit utiles actiones adversus Titium mulieri ad restaurandam servitutem dantur.

») Sed et si Cod. bibl. Univ. Leidensis BPL 6 C, sed si VU: et si Pal. vat. 734, 735, 739, 741, Vat. lat. 1408, Barb. lat. 1459, Trevisani, Cod. bibl. Univ. Leidensis BPL 11 D: et Pal. vat. 737: si Pal. vat. 731.

b) eundem fundum Pal. vat. 731, 733, 734, 739, Cod. Laurentianus bibl. S. Cru-cis plut. VI sin. Cod. I I I , Trevisani, Reg. Lat. 1121, Cod. bibl. Univ. Leidensis BPL 6 C, BPL 11D, Cod. Erl. (Glück, Erl. d. Pand. 25, 122, 97), V°U: eundem *fundum* Vat. lat. 1406.

c) eundem Titio: eidem fundum Titio Pal. lat. 737. d) postea reddiderit Pal. vat. 738, Cod. Erl. e) stauracione U : restitutione Pal. vat. 737, Beg. lat. 1121, Trevisani, P b . f) hoc marito imputabitur: et hoc marito imputabitur Pal. vat. 735, 736, Vat.

lat. 1408, Cod. Laurentianus bibl. 8. Crucis plut. VI sin. III: hoc imputabitur Pal. vat. 738: hoc imputabitur marito Cod. bibl. Univ. Leidensis BPL 6 C, PhU.

e) ideo quod eodem alienato postea fundo eidem ticio non redintegratur servitus addit Ub.

3) B r e n k m a n n schöpfte aus folgenden Codices des Digestum vetus: Vat. lat. 1405 (s. XII , 1); 1406 (s. XI/XII) , 1408 (s. XII /XIII ) . Pal. vat. 731 (s. XIV); 733 (s. XIV); 734 (s. XIV); 735 (s. XIII /XIV); 736 (s. XIV); 737 (s. XII) ; 738 (s. XIV); 739 (s. XIII /XIV); 741 (s. XI I I , 2). Barb. lat. 1459 (s. XIV). Reg. Christ, 1121 (s. X I I I ex.). Cod. bibl. Univ. Leidensis BPL 6 C (s. XI I I , 1), Cod. bibl. Univ. Leidensis BPL 11 D (s. XIV). Cod. Laurentianus bibl. S. Crucis plut. VI, sin. Cod. I I I (s. XIII) . Cod. Trevisani (?). Vgl. meine Aufstellung in: Iulii Pauli ic. quaestionum, Kassel, 1975, 12f. u. (erweitert) in LABEO 22 (1976) 3. Über B r e n k m a n n s unvollendete Digestenausgabe handelt jetzt die wichtige Studie v a n den B e r g h s in: TR 45, 1977, 227ff. Van den B e r g h (250, 252) und jetzt auch Bernhard H. S t o l t e , Henrik B r e n k m a n , Groningen 1981, 109f., fügen der Aufstellung noch den Schlüssel zu den Turiner Handschriften hinzu. Solange jedoch nicht einzelne Varianten B r e n k m a n s an den Hss. in Turin überprüft worden sind, steht hier alles auf dem schwankenden Boden der Vermutung.

4) K a u s l e r verglich für S c h r ä d e r den Codex Parisinus 4450 (s. XI/XII), s. M o m m s e n , Praef. XXXXVIII .

5) B l u m e verglich für S c h r ä d e r den Vat. lat. 1406 (s. XI /XII) ; nicht gerade sorgfältig, wie wir von M o m m s e n selbst erfahren (s. Praef. XXXXVIII) . Die Mängel sind gravierend, wie wir aus P e s cani s Nachvergleichung des ersten Buches der Digesten wissen (« La posizione del V 1406 nella ricostruzione della prima parte del Digesto» in: Studi Grosso 5 (1972) 81, 89f. Vgl. schon früher Pe s can i : « La Litera Florentina e Bononiensis e la futura edizione del Digesto » in: Annali Camerino 32 (1966) 303, 310 et passim). Bereits B r e n k m a n hat im Jahre 1711 den Vat. lat. 1406 kollationiert. Dies war M o m m s e n an sich bekannt (Jur. Sehr. 2, 1905, 127). Er verschweigt diese Tatsache in der Praefatio zur editio maior. Schon K a n t o r o w i c z hat aber auf diesen Sachverhalt mit Recht aufmerksam gemacht (SZ 31 [1910] 82, I l a . E.).

e) M o m m s e n kontrollierte die Kauslersche Nachvergleichung des Cod. Par. 4450 (Praef. XXXXVIII) . Nach P e s c a n i s Urteil ist der kritische Apparat, was Ρ betrifft, akzeptabel, in einzelnen Punkten aber nicht immer zuverlässig (Annali

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512 Miszellen

Aus dem zusammengestellten kritischen Apparat dürften allgemeine Schluß-folgerungen abzuleiten sein, wie die Digestenvulgata zu D. 23, 5, 7 pr. ent-standen ist. Zunächst sollte der Hinweis B r e n k m a n n s beachtet werden, daß in den Codices vat. lat. 1405 und 1406 ursprünglich der ganze Satz sed si ... im-putabitur fehlte; er ist später hinzugefügt worden7). B l u m e bestätigte diese Beobachtung, als er die Handschrift Vat. lat. 1406 kollationierte8). Weiterhin stellte M o m m s e n für die beiden Hss. Parisinus 4450 und Lipsiensis 873 fest : „In der Pariser ist der ganze Anfang dieses Abschnittes bis praestabit quod auf Rasur im 14. Jahrhundert geschrieben und ebenso ist in der Leipziger zwischen servitus confunditur und vendo non erit eine Zeile radiert und darauf von viel jüngerer Hand die Vulgatlesung geschrieben"9). Schließlich steht ursprünglich im Codex Patavinus 941 ( — U) lediglich: sed si eundem fundum titio reddiderit sine restauracione servitutis hoc imputabitur marito. Später ist dies durch U b um den Satz ideo quod — servitutis erweitert worden. Beides, die Ergänzung sed si — imputabitur und die Erweiterung ideo quod — servitutis lesen wir in der Vulgat-ausgabe des Digestum vetus von Baptista de Tortis in einer Art endgültigen Redaktion. Der Querschnitt durch die Vulgatüberlieferungen zeigt dreierlei. E r s t e n s : Mehrere der besten Hss. des 11. und 12. Jahrhunderts kennen die Ergänzung sed si — imputabitur nicht. Sie sind von ihr frei. Z w e i t e n s : Die Ergänzung taucht dann vereinzelt in den Hss. des 12. Jahrhunderts auf, um im 13. und 14. Jahrhundert einen wahren Siegeszug anzutreten und fast alle anderen Hss. zu beherrschen. D r i t t e n s : Die Streuung der Varianten ist breit. Es fällt auf, daß eundem fundum für einfaches eundem auftr i t t . Das ungewöhnliche restauratio servitutis wird durch restitutio servitutis ersetzt. Überhaupt verrät die Ausdrucksweise restauratio servitutis mittelalterliche Provenienz. Das verdächtige Verbalsubstantiv restauratio ist der Juristensprache fremd. Denn die einzige Parallelstelle bei den Juristen zeigt erkennbar justinianisches Latein (restauratio eremodicii: D. 4, 4, 7, 12)10). Daneben taucht restauratio moenium publicorum noch in C. Th. 5, 13 (14), 35 ( = C. 11, 70, 3 - a. 395) auf. Alle weiteren Stellen deuten auf kirchlichen Sprachgebrauch hin11). Diese Überlegungen führen m. E.

Camerino 32, 302,303; St. Grosso 88). Ferner verglich M o m m s e n selbst den Cod. Patavinus 941 ( = U, s. XI I ) und den Cod. Lipsiensis 873 ( = L, s. XII ) , s. Praef. X X X X V I I I .

7) S. G e b a u e r - S p a n g e n b e r g , Corpus Juris Civilis, Göttingen 1776, 411, 12 („in totum haec aberant a Vat. I et I I in quibus ex postfacto conspiciuntur adiecta").

8) S. M o m m s e n , Digesta Justiniani Augusti, I , 693, 34 (krit. App.: om. Va). 9) M o m m s e n , Krit . Grundlage 122. 10) VIR 5, 179, 25. Index Itp. , Suppl. I , p. 67 ahi. K ä s e r , Das röm. Zivil-

prozeßrecht, München 1966, § 71 I I , S. 37655 u. § 93 I I , 4, S. 50055. u ) Ich gebe hier einen Überblick über die Schriftsteller, bei denen restauratio

vorkommt. Auf die genauen Zitate, die mir freundlicherweise die Redaktion des TLL zugänglich machte, möchte ich im Rahmen dieser Beweisführung verzichten. Die zu den aufgeführten Autoren und deren Werken hinzugefügte Jahreszahl ist dem Index librorum scriptorum des TLL von 1904 (Suppl. 1958) entnommen. Es verwenden restauratio unter anderen: Irenaeus episcopus Lugdunensis (der vetus interpres übersetzt άποκατάστασις mit restauratio; Iren. Í , 21, 3 — libri V contra haereses, s. I I — I I I ) ; Hilarius episcopus Picta-vorum (tractatus super psalmos, post 360); Lucifer episcopus Caralitanus

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zu dem zwingenden Schluß, daß die Ergänzung sed si — imputabitur mittel-alterliche Zutat ist, auf einer Konjektur aus der Glossatorenzeit beruht. Sie war S fremd.

Zu 2: Eine Rezension der Digesta Justiniani Augusti stützt sich vornehmlich auf zwei Hilfsmittel : a) Den Wortlaut des Codex Florentinus und b) die griechische Übersetzung der Digesten in den Basiliken. Demgemäß stellen wir beide Über-lieferungen gegenüber.

a) Ρ = Mo. 1, 693, 33 -694 , 2. b) Bas. 29, 6, 7 (Heimbach 3, 489; Iulianus libro sexto decimo dige- Scheltema—van der Wal 4,1500). storum. Si maritus fundum Titii Si fundum tuum servientem inaestimato servientem dotali praedio adqui- 'Εάν τον άγρόν σου δονλεύοντα τω άδιατιμήτφ sierit servitus confunditur et hoc dotali fundo adquisierit maritus casu maritus litis aestimationem προικιμαΐφ κτησηται δ άνήρ praestabit. quod si maritus sol- confunduntur Servitutes et praestat vendo non erit utiles actiones συγχέονται, ai δουλεϊαι. καί δίδωσι adversus Titium mulieri ad aestimationem litis. Non solvente restaurandam servitutem dantur. την άποτίμησιν της δίκης, άπορονντος δε

marito utiliter conveniris a του άνδρός ούτιλίως ενάγη παρά mutiere de redintegranda Servitute. της γυναικός επί τω άνανεώσαι την δουλείαν.

Anonymus weicht in folgenden Punkten vom Text der Florentina ab : Das fundum Titii verwandelt er in ein fundum tuum. Daher ist er im zweiten

Satz gezwungen, von der unpersönlichen Konstruktion in der dritten Person (a° adversus aliquem alicui datur) in eine solche in der zweiten Person über-zugehen (ενάγη παρά της γυναικός — conveniris a muliere). Weiterhin spricht er von einem nicht geschätzten Dotalgrundstück (άδιατιμήτος). In F fehlt dieser Zusatz. Aus dem Singular servitus confunditur wechselt Anonymus unversehens in den Plural (συγχέονται ai δουλεϊαι = confunduntur Servitutes). Das hoc casu

Sardus (ob. fere 370), epistula; Symmachus, Q. Aurelius (relationes ad principes. 384—385); Scholia Bernensia ad Vergilii bucolica et geórgica (s. VII—IX); Claudius Hermerus (mulomedicina, s. IV); Ambrosiaster (366—384); Ps. Ambrosius, acta Sebastiani martyris; Turranius Rufinus presbyter Aquileiensis (345—410), Adamanti libri; Augustinus episcopus Hipponensis (sermones 393); Ps. Augustinus, sermo (s. IV) ; Quodvultdeus (liber de promissionibus et prae-dicationibus, s. V med.); Sacramentarium Leonianum (s. V—VI); Rusticus diaconus Romanus (s. VI); Acta conciliorum oecumenicorum; Excerpta Valesiana (s. VI?); Ruricius episcopus Lemovicinus (ob. post 507), epistula; Incerti Arriani opus imperfectum inMatthaeum (s. V—VI); Älcimus Ecdicius Avitus episcopus Viennensis (ob. 518), homilía; Magnus Felix Ennodius episcopus Ticinensis (ob. 521), dictiones; Incerti auctoris in Matthaeum tractatus; Concilium Ro-manum (a. 501) ; Jordanie Geta (de summa temporum vel origine actibusque gentis Romanorum, 501); Gregorius Magnus papa (moralia s. expositio in librum lob, fere 580—590); Ferreoli episcopus Ucetiensis Galli (ob. 581), regula mona-chorum; Passio Andreae apostoli longior. — Hinzuzufügen sind noch die Stellen bei Du Cange , Glossarium mediae et infimiae Latinitatis 7, 154 s. v. restauratio. Er zitiert Iren. 1, 21, 3 u. D. 23, 5, 7 pr. Die Pluralform restaurationes (Ecclesi-arum, Monasteriorum) weist er nach in einem praeceptum Caroli M., den Gesta Aidrici Episcopi Cenomani (nach 841) und einer Urkunde des Jahres 1228. Der Ausdruck restauratio servitutis war so ungewöhnlich, daß die Glossatoren ihn alsbald durch restitutio servitutis ersetzten !

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in F hat Anonymus ausgelassen. Von diesen formalen Veränderungen abgesehen, stimmen die Passung von F und Β sachlich überein. B i e n e r hebt deshalb mit Recht hervor, der Text der Basiliken sei gegen die Ergänzung der Vulgathand-schriften12). M o m m s e n wiederholt diese Auffassung. Er kehrt hervor, daß der Vulgattext in entschiedenem Widerspruch zum Basilikentext stehe13). In seiner Anmerkung zum Text von F in der editio maior bemerkt er kurz idem, legerunt Graeci11). Damit beschreibt M o m m s e n aber vollkommen richtig das Verhältnis von F zu B. Der Anonymustext kann also ganz und gar nicht den überlieferten Digestentext der Vulgata stützen. Der Herausgeber M o m m s e n beurteilte diesen Sachverhalt durchaus zutreffend. Er verbannte daher die bolognesische Kon-jektur sed si — imputabitur zu Recht aus dem Text.

Man hat indessen geglaubt, aus zwei Scholien etwas anderes herleiten zu können. Beide Scholien, das eines Ungenannten und das des Cyrillus, erläutern das Wort ούτιλίως in Bas. 29, 6, 7. Das erste Scholion lautet:

a) Fabrot, 4, 721, Schol. m; Heimbach, 3, 489 — Proleg. 47, 7; Scheltema-Holwerda, 5, 2145, 3.

την ϊμφακτοιΡ) νόησον, iva κινοϋσαΡ) ή γυνή κατά τον πράτου φησί κατά τον άγρόν ώνησάμενος δ άνήρ πάλιν αυτόν άναδέδωκε τω πράτχ\, της δουλείας δηλονότι άπηλλαγμένον. Οντω και Θαλέλαιος ό μακαρίτης.

a) Ιν φάκτουμ F a b r o t , H e i m b a c h . b) κινη F a b r o t , H e i m b a c h . c) φησί κατά: επί τω άνανεώσαι την δονλείαν F a b r o t , H e i m b a c h : φησί (γαρ)

κατά (την τινών παράδοσιν το ρητόν) M i que l

Fraglich dürfte sein, wer dieses Scholion verfaßt hat. B i e n e r spricht von dem Scholion eines Ungenannten, der sich auf Thaleläus berufe16). M o m m s e n schließt sich dieser Meinung wohl an16). Dagegen schreibt H e i m b a c h das Scholion dem Stephanus zu17). Für die Ansicht H e i m b a c h s dürften zwei Ge-sichtspunkte ausschlaggebend sein. Der Text verwendet die Form der παραγραφή. Sie unterliegt dem Schema τοϋτο νόησον κτλ. Stephanus hat diese formelhafte Wendung oft gebraucht18). Ganz nach dem Muster unseres Scholions stoßen wir im Codex Parisinus gr. 1351 auf eine überzeugende Parallele. Die Handschrift überliefert eine adnotatio zu D. 24, 6, 17. Ihr Anfang lautet19):

τοϋτο νόησον, φησί Στέφανος hoc intellege, ait Stephanus, cum φρονίμως ... ratione . . .

Richten wir das Scholion des Ungenannten nach unserem Muster aus, dann müssen wir das φησί, das in unserem Text am Schlüsse steht, weiter nach vorne

12) S a v i g n y , Gesch. 7, 84. 13) Krit. Gründl. 122. «) Digesta Just. Aug. 1, 693, 1. ») S a v i g n y , Gesch. 7, 84. 16) Digesta 1, 693, krit. App. zu Z. 34 (scholium quo Thalelaeus dicitur). 17) S. die Zusammenstellung der Thaleläus-Zitate in: Prolegomena Basili-

corum (Neudruck Amsterdam 1962), 47, 7 und Manuale Basilicorum 6, 289. l s) H e i m b a c h , Proleg. 50 (rechte Spalte). M) Proleg. 53 (rechte Spalte).

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rücken. Wir gewinnen mit dieser Umstellung einen glatt lesbaren und verständ-lichen Text dieser Art20) :

τήν îv φάκτουμ νόησον φησί (Στέφανος), ίνα κινούσα ή γυνή κατά τον πράτον κατά ... a e m in factum intellege, ait Stephanus, u t mulier, agens cum emptore, secundum . . .

Wir folgen also aus den vorgetragenen Gründen H e im b a c h und halten Stepha-nus für den Verfasser unseres Scholions.

Der Text bricht nach dem zweiten κατά ab. Daran schließt sich ein Thaleläus-zitat an. Stephanus nennt Thaleläus einen μακαρίτης, einen eben Verstorbenen21). Wir erinnern uns, daß Stephanus wie auch Thaleläus die Basiliken zu der zweiten Fall variante auslegen (quod si marìlus solvendo non erit etc. = άπορονντος δ è τοϋ ανδρός). In diesem Zusammenhang schwebt ihnen eine besondere Fall-gestaltung vor Augen.

τον άγρόν ώνησάμενος δ άνήρ Cum fundum emisset maritus πάλιν αυτόν άναδέδωκε τω πράτη rursus eum reddidit venditori, της δουλείας δηλονότι άπηλλαγμένον. Servitute scilicet liberatum.

Ein Scholion des Cyrillus, ebenfalls zu dem οντιλίως in Bas. 29, 6, 7 überliefert, dürfte diesen Text bestätigen. Zunächst die Überlieferung.

b) Fabrot, 4, 721, Sch. m zweiter Absatz; Heimbach, 3, 489; Scheltema-Hol-werda, 5, 2145, 4.

Κυρίλλον. El το δονλεϋον κτήμα άγοράση ό άνήρ, απαιτεί αντον ή γυνή τήν διατίμη-σινΛ). ει δέ απορός εστι, τον πράτην, εΐ έπεκτήσατω τον άγρόν. Ει όέ τοϋ άνδρός ήν ό άγρός, άνανεοϊ αύτη τήν δονλείαν, εί νέμεται.

a) διατίμηαιν της δουλείας Fabrot, Heimbach.

Cyrillus wiederholt zunächst den ersten Satz von D. 23, 5, 7 pr. Beim zweiten Fall {εί δέ απορός έστή erwähnt er kurz, daß die Ehefrau den Verkäufer ver-klagen kann, um dann einzuschränken, daß dies nur für den Fall gelte, wenn der Verkäufer das Grundstück zurückerhalten habe (εί έπεκτήσατο τον άγρόν = si fundum recepii). Diese Einschränkung liefert also einen weiteren Anhaltspunkt für die von Stephanus-Thaleläus gebotene Fallgestaltung.

Beide Scholiasten greifen auf ein Stück Überlieferung zurück, das zum Ver-ständnis der zweiten Fallvariante unerläßlich ist. In die Diktion Julians über-setzt, könnte man es etwa in dieser Weise ausdrücken22) : quod si maritus solvendo non erit (et eundern fundum Titio reddiderit) ... Den Scholiasten war es zu ihrer Zeit durchaus noch möglich, auf das von Justinian exzerpierte Exemplar der Digesten Julians zurückzugreifen. So können wir bekanntlich über die byzan-tinische Scholienliteratur hier und dort einen Blick hinter die justinianische

20) Die Ergänzungen von F a b r o t (κινή, επί τφ άνανεώσαι τήν δονλείαν), die H e i m b a c h kritiklos übernimmt, stehen gegen den handschriftlichen Befund. Das gilt auch von Mi q u e l s Versuch einer Bereinigung des Textes, der er selbst allerdings nur einen sehr relativen Wert beimißt, SZ 81 (1964) 321.

21) S. die weiteren Stellen bei H e i m b a c h , Proleg. 13, 30; 51, 20. 22) Ähnlich M o m m s e n , Krit . Gründl. 122: „Thalelaeus scheint hinter quod

si maritus solvendo non erit entweder in seinem Text gefunden oder doch in Gedanken ergänzt zu haben Titiusque fundum receperit".

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Page 7: Textechichten und Interpolationen in D. 23, 5, 7 pr

516 Miszellen

Fassung werfen23). Wir glauben daher, daß beide Scholiasten den vorstehenden Text in den Digesten Julians lasen und in ihr Scholion aufnahmen, weil entweder F oder das justinianische Digestenexemplar auf einer Überlieferung fußt, die gestört war.

Mit dieser Feststellung haben wir zugleich einen entscheidenden Unterschied zwischen der lectio vulgata von D. 23, 5, 7 pr. und der Überlieferung in den byzantinischen Scholien herausgearbeitet. Das Scholion des Stephanus-Thaleläus und das des Cyrillus stellen die Variante si fundum Titio reddiderit hinter quod si maritus solvendo non erit. Die Vulgathandschriften ergänzen si eundem Titio reddiderit etc. hinter servitus confunditur. Damit verbietet es sich, die beiden Scholien als Beweismittel für die lectio vulgata ins Feld zu führen24). Beide Ergänzungen sind voneinander unabhängig. Sie gehören verschiedenen Text-schichten an. Die Lesart bei Stephanus-Thaleläus und Cyrillus führt auf vor-justinianische Exemplare der Digesten Julians zurück. Die lectio vulgata gründet auf gelehrte Konjektur im kirchlichen Bereich aus der ersten Hälfte des 12. Jahr-hunderts.

Wir haben einen Blick in drei verschiedene Textschichten von D. 23, 5, 7 pr. geworfen. Dabei sind wir zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangt. Sie lassen sich in dieser Weise zusammenfassen:

1. Der Satz sed si — imputabitur stellt eine mittelalterliche Konjektur dar. Er ist in eine Ausgabe der Digestenvulgata aufzunehmen und als Konjektur zu kennzeichnen.

2. Der Herausgeber der justinianischen Digesten hat den Text von F darzu-stellen und diesen in allen Bereichen durch die Überlieferung der Basiliken abzustützen. Th. Mo mm se η hat hier bei D. 23, 5, 7 pr. den rechten Weg ge-wiesen.

3. Der julianische Digestentext erschließt sich mit Hilfe der Basilikenscholien (und weiterer vorjustinianischer Quellen). Er ist als solcher in einer Einzel-ausgabe der Digesten Julians herauszugeben25). Wir wiederholen nun an dieser

23) Dazu grundsätzlich W e n g e r , Die Quellen des röm. Rechts, Wien 1953, § 85, 2, S. 723f.

24 ) Das tut aber Mi que l , wenn er von einer authentischen Emendation des Satzes sed si ... imputabitur in D. 23, 5, 7 pr. ausgeht. Er glaubt aufgrund des Scholions des Cyrillus, daß der Satz sed si — imputabitur in der betreffenden lateinischen Vorlage hinterpraestabit und nicht hinter confunditur stand (a.a.O. 321). Diese Schlußfolgerung kann nur dann richtig sein, wenn man mit Mique l annimmt, daß sed si ... imputabitur in S und in den Vorlagen des Thaleläus und des Cyrill in gleichem Wortlaut an der gleichen Stelle gestanden haben. Aber die lectio vulgata beruht auf frühmittelalterlicher Konjektur und die beiden Scholien führen, wie oben dargelegt, zu einem Einschub bei der Fall-variante quod si maritus solvendo non erit. Beide Gründe sprechen entschieden gegen Mique l s Ergebnis einer authentischen Emendation von sed si ... imputa-bitur.

25) Ich habe das für die Paulusquästionen versucht, bin aber bisher auf eine eher abwartende bis ablehnende Resonanz gestoßen (Julii Pauli quaestionum fragmenta etc., Kassel, 1975, hierzu die Kritik von K r a m p e SZ 94 (1977) 424 und meine Stellungnahme SDHJ 45 (1979) 552, 16,23 (lediglich zu D. 22, 2, 6).

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R. Röhle, D 23, 5, 7pr. 517

Stelle den Wortlaut der ältesten für uns erschließbaren Textschicht, um uns darauf ihrer Auslegung zu widmen.

I I . Si maritus fundum Titii servientem dotali praedio adquisierit servitus con-funditur et hoc casu maritus litis aestimationem praestabit. Quod si maritus solvendo non erit (et eundem fundum Titio reddiderit)") utiles actiones adversus Titium mulieri ad restaurandam servitutem dantur. (1) sed cum uxor fundum cui praedia viri servitutem debebant in dotem dat fundus ad maritum pervenit amissa Servitute, et ideo non potest videri per maritum ius fundi deterius factum, quid ergo est? Officio de dote iudicantis continebitur u t redintegrata Servitute iubeat fundum mulieri vel heredi eius reddi.

a) πάλιν αυτόν άναδέδωκε τω πράτγι (— rursus eum reddiderit venditori) ΒΣ (Steph.-Thal.) ; et επεκτήσατο τον άγρόν = si receperit fundum) ΒΣ (Cyr.).

Eine Ehefrau bringt ein Grundstück als Mitgift ein. Zu dem Grundstück gehört eine Grunddienstbarkeit, die auf dem Grundstück des Titius lastet. Der Ehemann kauft das Grundstück des Titius26). Da er während der Ehe Eigentümer des Mit-giftgrundstücks ist, vereinigt sich das Eigentum am herrschenden Mitgiftgrund-stück und dienenden Grundstück in einer Hand. Aufgrund der alten Regel nulli res sua servit geht die Grunddienstbarkeit unter27). Nach Ehescheidung klagt die Frau gegen den Mann mit der actio rei uxoriae auf Rückgabe des Mitgiftgrund-stücks. Für die untergegangene Grunddienstbarkeit hat er Wertersatz zu leisten28).

Es hätte sich aber auch noch eine andere Lösung des Falles angeboten. Julian hätte dem Ehemann bei Rückgabe des Grundstücks die Pflicht auferlegen können, die Grunddienstbarkeit wiederherzustellen. Die römischen Juristen sprechen hier von servitutem denuo imponi pati2"). Aber Julian hat den Anspruch der Frau offenbar beschränkt auf a) Rückgabe des Mitgiftgrundstücks und b) Leistung von Wertersatz für die verlorengegangene Dienstbarkeit30). Eine Wiederbegründung der untergegangenen Dienstbarkeit Schloß er offensichtlich aus.

26) Der Scholiast (Bas. schol. άγοράζων zu κτήσηται â άνήρ) und die Glossa ordinaria erklären das acquisierit als Kauf des Ehemannes.

27) Gai. D. 8, 6, 1; Paul. D. 8 ,2 , 30 pr.; eod. 1 (kein Untergang bei Kauf eines Teilgrundstückes, weil die Dienstbarkeit an der Restparzelle noch bestehen bleibt); Flor. D. 30,116, 4. Zum Grundsatz des nulli res sua servit: Afric. D. 8, 3, 33, 1 ; Pap. D. 7, 1, 57 pr. (Wiederaufleben eines Nießbrauchs nach zwischen-zeitlicher consolidatio)-, Paul. D. 8, 2, 26; Ulp. D. 7, 6, 5 pr.

2β) Bas. schol. τουτέστι zu της δίκης. 2β) Im Kaufrecht: Paul. D. 19, 1, 8 pr.; Marc. D. 8, 2, 35. Beim Erbschafts-

kauf: Pomp. D. 8, 4, 9; Ulp. D. 18, 4, 19. Beim Legat: Paul.-Pap. D. 8, 1, 18; Jul. D. 30, 84, 4; Flor. D. 30, 116, 4.

30) Daher trifft M o m m s e n , so geistvoll seine Ergänzung auch sein mag, im Ergebnis nicht das Richtige (1,693,1: . . . (maritus) obligatus erit, u t ei servitutem denuo imponi patiatur). Für eine Ergänzung auch L e n e l , Paling. 1,364,2. Leider geht B i o n d i auf die Konjektur M o m m s e n s nicht ein, s. Categoria 295 und Le servitù prediali 289 („II testo risulta così oscuro e contratto che gli editori dopo „hoc casu" hanno sentito il bisogno di inserire tut to un lunghissimo tratto che reputo superfluo riferire").

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Page 9: Textechichten und Interpolationen in D. 23, 5, 7 pr

518 Miszellen

Der Jurist wandelt im folgenden Satz den Ausgangsfall ab. Der Ehemann als Eigentümer des herrschenden Mitgiftgrundstücks kauft das dienende Grundstück von Titius. Dann wird er zahlungsunfähig. Darauf gibt er das Grundstück wieder an Titius zurück. Nach Ehescheidung verklagt die Frau den Mann mit der actio rei uxoriae auf Rückgabe des Mitgiftgrundstücks.

Der Gedankengang des Juristen dürfte folgender sein. Bei der Rückgabe des Grundstücks an Titius hätte der Mann dafür Sorge tragen müssen, daß das Grundstück wieder als d i e n e n d e s Grundstück dem Titius zurückgegeben wurde, damit bei Rückgabe der Mitgift an die Frau diese wiederum ein herr-schendes Grundstück erhielt31). Das ist aber nicht geschehen. Der Ehemann hat ein fundus liberus verkauft32). Da der Mann zahlungsunfähig ist, kann ein Wert-ersatz für die untergegangene Dienstbarkeit nicht berücksichtigt werden. Die actio rei uxoriae stößt insoweit ins Leere. Offenbar ging Julian bei der Fallgestal-tung aber von einem bewußten Zusammenwirken, von einem abgekarteten Spiel zwischen Ehemann und Titius zu Lasten der Frau aus33). Für diesen Fall gewährt der Text der Frau actiones utiles gegen Titius, die auf Wiederherstellung der Dienstbarkeit gerichtet sind. Seit Bese l e r fragen wir uns nun, was für actiones utiles hier gemeint sind und warum es gleich mehrere sein müssen34). Der Plural actiones utiles deutet darauf hin, daß Julian mindestens zwei ausdrücklich benannte Klagen erwog. Jedenfalls verdeutlicht Stephanus in seinem Scholion das utiliter conveniris der Basiliken, indem er ausführt, darunter sei eine actio in factum zu verstehen. Diese actio in factum war wohl eine der von Julian erwogenen Klagemöglichkeiten. Die Kompilatoren haben die Ausführungen Julians zu-sammengeschnitten und die Klagen in actiones utiles aufgehen lassen. Mit der herrschenden Meinung sehen wir daher actiones utiles als interpoliert an35).

In § 1 eod. gibt die Ehefrau ein Grundstück als Mitgift, zu dessen Gunsten eine Grunddienstbarkeit besteht. Die Dienstbarkeit lastet auf Grundstücken des Ehe-mannes: herrschendes Grundstück ist das Mitgiftgrundstück der Frau, die dienenden Grundstücke gehören dem Manne. Die Dienstbarkeit lastet also von Anfang an auf Grundstücken des Ehemannes, die dieser nicht erst von Titius erwirbt. Deshalb geht die Servitut nicht durch den Grundstückskauf des Ehe-mannes unter. Vielmehr führt die Ehefrau selbst durch Hingabe des Mitgift-grundstücks den Untergang der Servitut herbei. Julian kehrt diesen entscheiden-den Gesichtspunkt deutlich hervor: das Grundstück gelangt in das Eigentum des Ehemannes, nachdem die Servitut untergegangen ist36). Die Ehefrau gibt die Dienstbarkeit offenbar selbst auf, sie gewährt dem Manne ein Grundstück ohne Servitut, ein reines Grundstück. Um dieses Ergebnis zu stützen, trägt Julian ein

31) So sehr deutlich C u j a z , Obs. 11, 28. 32) Paul. D. 8, 2, 30 pr. : et si rursus vendere vult nominatim imponencia servitus

est. alioquin liberae veniunt. Μ) B i o n d i , Cat. 296 und Serv. pred. 290, spricht zu recht von „una macchina-

zione intervenuta tra il marito ed il terzo ai danni della donna". 34) B e s e l e r , Beitr. 4, 80. 35) S. Index interpolationum ad h. 1.; So lazz i , Spezie 192; Gros so , Le

servitù pred. 277, 4. 3e) Das hat der Glossator zu verstehen versucht, wenn er in der Glosse zu

factum ausführt: cum ipsa perventione perdatur servitus, nisi postquam pervenit!

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weiteres Argument vor. Es ist nicht der Ehemann gewesen, der durch den Grundstückskauf den Untergang der Servitut herbeigeführt hat, sondern es war die Ehefrau, die mit Hingabe des Grundstücks als Mitgift die rechtliche Qualität des Grundstücks verschlechtert hat37). Diese Begründung Julians führt zu dem weiteren Ergebnis, daß die Ehefrau keinen Wertersatz für die verlorene Grund-dienstbarkeit erhalten kann. Dazu paßt nun allerdings ganz und gar nicht das ratlose Quid ergo est?. Es leitet zu einer überraschenden Schlußfolgerung über. Im pflichtgemäßen Ermessen des über die Mitgift urteilenden Richters soll es liegen, die Rückgabe des Mitgiftgrundstücks an die Ehefrau (oder deren Erben) unter Wiederherstellung der Servitut anzuordnen. Damit hätte Julian zu diesem Ergebnis eine entgegengesetzt lautende Begründung geliefert. Das ist für einen logisch folgernden Juristen unmöglich. Wir haben daher allen Grund anzu-nehmen, daß hier Justinian spricht. Er wollte offenbar über Julian hinausgehen und auch in diesem Fall bei der Rückgabe der Mitgift die Grunddienstbarkeit wiederherstellen, aber nicht durch Klage gegen den Ehemann, sondern von Amts wegen, im Rahmen der actio rei uxoriae. Mit der herrschenden Meinung halte ich aus den vorgetragenen Gründen quid ergo est rei. für interpoliert38).

Wir stehen damit am Schlüsse des zweiten Teiles unserer Überlegungen, ob nämlich der als „julianisch" überlieferte Text in allen seinen Teilen als echt anzusehen ist. [Utiles actiones] erweist sich hierbei als ein den Text verkürzender justinianischer Eingriff, während [quid ergo est rei.] auf justinianische Rechts-fortbildung hindeutet. Beide Interpolationen sind in einem Index interpolationum zu vermerken. Sie sind aber keineswegs in eine Ausgabe der Digesta Justiniani aufzunehmen39). So können wir im Principium unseres Fragments verschieden alte, aufeinander aufbauende Textstufen voneinander abschichten. Andererseits stand der Text mit vollem Recht im Mittelpunkt des Interesses der Interpola-tionenkritik. Wie die Textkritik die Bedingungen untersucht, unter denen die Überlieferung steht, forscht Interpolationenkritik stets und ständig nach den formalen und sachlichen Echtheitskriterien des so überlieferten Textes. Beide Zielsetzungen schließen sich daher bei der Auslegung eines Textes nicht gegen-seitig aus, sondern ergänzen sich wechselseitig wie zwei Seiten einer einzigen Medaille.

Kassel R o b e r t R ö h l e

37) Ins fundi meint die rechtliche Lage, Beschaffenheit, das Rechtsverhältnis des Grundstücks. Zur Auslegung der Formel ius fundi deterius factum non esse beim Grundstückskauf: Proc. D. 50, 16, 126. Zum deteriorerà facere s. G r a d e n -w i t z , ZS 8,1887, 298.

3e) S. Index itp. und So lazz i , Spezie 193; B i o n d i , Servitù prediali 338; Gros so , Servitù prediali 277, 5.

8·) So schon M o m m s e n , Digesta Iustiniani Augusti, Praef. LXXVIII , LXXVIIII . Richtig K ä s e r , Ein Jahrhundert Interpolationenforschung an den röm. Rechtsquellen, Wien 1979, 112, 71.

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