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The Magazine Management-Wissen für die Praxis 3 | 2017 Drohnen für humanitäre Zwecke «Wie riecht die Queen?» Ein Interview zu Chatbots & künstlicher Intelligenz Wie Open Banking das Bankwesen revolutionieren wird

The Magazine - synpulse · 2018. 12. 19. · das interessante Interview mit John Noel Victorino in Ausgabe 1/2016 verweisen. Er entwickelte eine einzigartige App, die zur Warnung

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synpulse Rubrik | 1

The MagazineManagement-Wissen für die Praxis

3 | 2017

Drohnen für humanitäre Zwecke

«Wie riecht die Queen?» Ein Interview zu Chatbots & künstlicher Intelligenz

Wie Open Banking das Bankwesen revolutionieren wird

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«Intelligenz ist die Fähigkeit, sich dem Wandel anzupassen.» Stephen Hawking

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4 | Rubrik synpulse

Edito

rial

Vielleicht geht es Ihnen wie mir und auch Sie sind entsetzt über die zunehmend spürba-ren Auswirkungen von Naturkatastrophen in allen Teilen der Welt und wollen die Nach-richten am liebsten schon gar nicht mehr verfolgen. Kaum war «Harvey» ausgestanden, der Ende August im mittleren Süden der USA tobte und als bislang schlimmster und teu-erster Hurrikan in die US-Geschichte einging, kündigte sich bereits der nächste, noch verheerendere namens «Irma» an – und dieser sollte nicht der letzte sein. Beide Stürme verursachten unermessliches Leid und Schäden in Milliardenhöhe – viel schlimmer als Wirbelsturm «Katrina» in 2005 oder «Andrew» in 1992.

Umso wichtiger wird es, sich über Technologien Gedanken zu machen, die uns bei solchen Katastrophen schnelle und effektive Hilfestellung geben können. Hilfsorgani-sationen sind beispielsweise besonders darauf angewiesen, wichtige Daten aus einem überschwemmenden Fundus an Informationen binnen kürzester Zeit herauszufiltern. In unserer Interviewreihe «From Outside In» stellt der Experte für digitale Technologie und Mitbegründer von «WeRobotics», Patrick Meier, einen bahnbrechenden Lösungs-ansatz vor: Mithilfe von Drohnen und künstlicher Intelligenz entwickelt er mit seinem Team Strategien für eine zielführende, schnelle Analyse relevanter Daten. Denkbare Ein-satzmöglichkeiten gibt es sowohl in Katastrophengebieten und Entwicklungsländern als auch zugunsten des Umweltschutzes. An dieser Stelle möchte ich auch nochmal auf das interessante Interview mit John Noel Victorino in Ausgabe 1/2016 verweisen. Er entwickelte eine einzigartige App, die zur Warnung vor Tsunamis dient. Alle bishe-rigen Ausgaben von «The Magazine» finden Sie übrigens auch auf unserer Internetseite www.synpulse.com.

Ich bin immer begeistert, wenn ich auf solch einzigartige Menschen stoße, die sich mit gehöriger Energie dem Wandel stellen und Zukunftsprobleme proaktiv angehen! Das haben auch wir uns – wenn auch in Bezug auf ganz andere Themen, die Banken und Versicherungen betreffen – auf die Fahne geschrieben. Auch wir sind überzeugt, dass technologischer Fortschritt, richtig eingesetzt, viel Positives bewirken kann! Das oben gennannte Thema der künstlichen Intelligenz zum Beispiel taucht auch in unserer Beratungspraxis auf und dementsprechend in Fachartikeln unserer Berater in dieser Ausgabe.

Wie immer wünsche ich Ihnen eine spannende Lektüre.

Ihr Christoph Nützenadel

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synpulse Inhaltsverzeichnis | 5

Editorial ................................................................................................................................................................................ 4

Digital Banking Robo-Advisor – Was bieten sie? Wer profitiert davon? ................................................................................................ 6

Sales & Customer Management «Wie riecht die Queen?» Ein Interview zu Chatbots & künstlicher Intelligenz ......................................................... 10

Operational Excellence BANKINABOX – Wie Banken neue Betriebsmodelle nachhaltig umsetzten ............................................................. 14

Digital Transformation Cloud für Versicherer Teil 1: Datenschutzrechtliche Herausforderungen ............................................................... 18

From Outside In Interview mit Patrick Meier: Drohnen für humanitäre Zwecke ...................................................................................................................................... 22

Digital Banking Wie Open Banking das Bankwesen revolutionieren wird ........................................................................................... 26

Product & Pricing Management Der Risikoausgleich 2020 und die Folgen für Schweizer Krankenversicherer ......................................................... 30

Digital Banking Vom traditionellen Advisory-Geschäft zum strukturierten Angebotsmodell ......................................................... 34

Digital Transformation Smart Contracts – eine missverstandene Technologie mit hohem Potenzial ....................................................... 38

Impressum ........................................................................................................................................................................... 42

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synpulse6 | Digital Banking

Der Begriff «Robo-Advisor» ist in der Bankenwelt noch nicht klar definiert. Wir verstehen ihn als ein Online-Tool, das wie ein Berater agiert und Kunden automatisch durch den gesamten Beratungsprozess führt. Dieser umfasst i. d. R. folgende Schritte:

1. Kunden-OnboardingDer Robo-Advisor sollte einen neu gewonnenen Kunden in geeigneter Form im System erfassen können. Die E-Mail- Adresse reicht dabei nicht aus. Ein Kunde in der Schweiz muss z.B. eindeutig persönlich identifiziert werden. Auch sind u.a. seine Steuerverpflichtungen und die Herkunft seines Geldes genauestens zu analysieren.Eine umfassende Automatisierung dieses Prozesses ist aktuell noch nicht möglich. Dennoch gelingt es einigen Anbietern, das Onboarding durch Video-Chats und digitale Unterschriften auf 15-20 Minuten zu beschränken und es vollständig online durchzuführen.

2. KundenprofilerstellungDie Erstellung eines Kundenprofils ist durch Richtlinien wie MiFID II oder dem Finanzdienstleistungsgesetz (FIDLEG) vorgeschrieben. So sind die Anforderungen klar definiert. Selbst ein Robo-Advisor kann mit geeigneten Fragen zu Risi-kofähigkeit, -bereitschaft, Finanzkenntnissen, Anlagezielen,

Anlagehorizont, Anlagesumme, finanziellen Verpflichtungen, Sicherheiten etc. ein vollständiges Profil erstellen. Ein mensch-licher Berater bringt in diesem administrativen Prozessschritt kaum Vorteile. Höchstens bei der Diskussion der Anlageziele und «Träume» des Kunden weist er mehr Weitsicht auf als ein Roboter.

3. Automatisierter AnlagevorschlagSelbst wenn der gesamte Prozess von einem Menschen durch-geführt wird, sollte eine moderne Bank automatisierte Anlage-vorschläge mit einem Tool erstellen. Die Zeiten, in denen Kunden mit Excel-Tabellen und Geheimtipps beraten wurden, sind unter MiFID II definitiv vorbei. Eine Bank muss jederzeit belegen können, warum sie dem Kunden bestimmte Wertpa-piere vorgeschlagen hat und dass diese seinem Zielmarkt entsprechen. Zudem müssen alle Produktdokumentationen immer zur Verfügung stehen. Dies kann heute nur noch auto-matisiert effizient abgewickelt werden. Alle bankinternen Beratungstools sowie alle bekannten Robo-Advisor können automatisierte Anlagevorschläge erstellen. Robo-Advisor sind jedoch in ihrem Anlageuniversum noch stark limitiert. Für komplexe oder innovative Strategien muss der Kunde auch heute noch auf professionelle Bankdienstleistungen zurück-greifen, welche jedoch nur bei größeren Vermögen angeboten werden.

Robo-Advisor – Was bieten sie? Wer profitiert davon?

In der digitalen Welt von heute sollte jeder Kunde sein Vermögen auf einfache Weise selbst-ständig online, ohne Hilfe eines Bankberaters verwalten können. Ein Robo-Advisor hilft ihm dabei und erstellt einen Anlagevorschlag, der die Ziele des Kunden bestmöglich abbildet. Doch erfüllen Robo-Advisor diese Markterwartungen tatsächlich?

Autoren: Matthias Eberhard | Julia Hagemann

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synpulse Digital Banking | 7

4. Umsetzung des AnlagevorschlagsDie Umsetzung des Anlagevorschlags ist in MiFID II durch die Kostentransparenz sowie durch die Best Execution eindeutig geregelt. Der Kunde muss bereits bei der Beratung eine lückenlose Übersicht über alle mit der Transaktion verbunde-nen Kosten und Vergütungen erhalten. Ihm muss die für ihn bestmögliche Ausführung der Aufträge zugesichert werden. Nach Abwicklung erhält er zudem eine Börsenabrechnung. Dieser Prozessschritt ist ohne technische Unterstützung nicht mehr denkbar. Es wäre daher zu erwarten, dass es hier keine Unterschiede zwischen Robo-Advisor und Banken geben müsste. In der Praxis zeigt sich jedoch, dass gerade klassische Robo-Advisor das Anlageuniversum stark einschränken und z. B. meist nur börsengehandelte Wertpapiere zulassen.

5. PortfolioüberwachungDiese kann durch einen Robo-Advisor sehr effizient erfolgen. Er informiert Kunden über Regelverletzungen sowie deren Risiken. Robo-Advisor können so programmiert werden, dass sie z. B. Titel veräußern, deren Wert eine zuvor festgelegte Schwelle unterschreitet. So lässt sich ein Totalverlust vermei-den. Dies kann sowohl für den Kunden als auch für den Bera-ter äußerst hilfreich sein. Letzterem ermöglicht sie, aktiv auf den Kunden zuzugehen und ihn bei der Optimierung seines Portfolios zu unterstützen.

Was ist ein Hybrid-Advice?Bei einer hybriden Beratung kann der Kunde bei jedem Beratungsschritt zwischen Robo-Advisor und menschlichem Berater wechseln. Dies kann v.a. durch Banken angeboten werden, da sie über einen großen Stamm an lokalen Kunden-beratern verfügen. Der hybride Advisor stellt für neue Kunden einen idealen Einstiegskanal dar. Sobald beim Kunden ein Prozessschritt ansteht, kann er nach Bedarf einen lokalen Berater kontaktieren, der ihm persönlich zur Seite steht. Er ermöglicht außerdem, gewisse Schritte des manuellen Beratungsprozesses in Zukunft autonom durch den Kunden durchführen zu lassen und so Kosten und Zeit einzusparen.

Vorteile eines Robo-Advisors für BankenBanken können ihren Retailkunden mit Robo-Advice online also eine automatisierte professionelle Anlageberatung zukommen lassen und damit Kosten sparen und ihre Prozes-seffizienz erhöhen. Wenn der Robo-Advisor auch bankfrem-den Kunden zur Verfügung steht, kann es sogar gelingen, neue Kunden zu gewinnen. Robo-Advisor lassen sich auch im klassi-schen Beratungsgespräch einsetzen, um Prozesse zu standar-

disieren und die Einhaltung der Regulationen sicherzustellen. Somit senken sie ebenfalls Kosten.

Wieso nutzt der Kunde Robo-Advice?Folgende Gründe sprechen aus Kundensicht für Robo-Advice:

Preissensitivität: Der Robo-Advisor ist günstig.

Angebotsausbau: Auch der Kleinanleger hat Zugang zu professioneller Anlageberatung.

Vertrauen: Dem Robo-Advisor wird ggf. mehr Vertrauen entgegen gebracht als dem Berater, der oft über spezielle Produkte incentiviert wird und somit nicht neutral ist.

Verfügbarkeit: Das Vermögensmanagement kann bequem jederzeit erledigt werden.

Usability: Heutige Robo-Advisor sind intuitiv zu handha-ben und können vom Kunden einfach verstanden werden.

Unabhängigkeit: Der Kunde kann selbst entscheiden, wie er anlegen will.

Mehrwert: Der Kunde sieht keinen Mehrwert oder Nutzen in der Anlageberatung. Er kann dies auch selbst machen, da er mithilfe des Robo-Advisors seine Vermögensverwal-tung selbst in die Hand nehmen kann.

Wo sind die Grenzen von Robo-Advice?Die Grenzen von Robo-Advice liegen in der Komplexität. Robo-Advisor eignen sich hervorragend für «einfache» Bera-tungssituationen, am besten mit nur einem Kunden, einem Risikoprofil und einem Anlagehorizont. Viele Robo-Advisor bieten nur Fondsprodukte und bei Einzeltiteln lediglich Aus-führungsgeschäfte an. Nimmt die Komplexität mit mehreren Personen, Steuern, Versicherungen, Altersvorsorgen, Hypo-theken, Spezialprodukten, Finanzierungen, Anlagezielen etc. zu, erhöht sich der Aufwand des Kunden bei der Datenerfas-sung – er wäre mit Robo-Beratung überfordert. Die Entwick-lung eines derart vielseitigen Robo-Advisors wäre technisch extrem aufwändig.

Was kann Hybrid-Advice zusätzlich bieten?Mit Hybrid-Advice kann eine Bank ihr Angebot konsequent erweitern und dem Kunden Mehrwert bieten:

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1: Vorteile eines optimierten Beratungsprozesses

Quelle: Synpulse

Beratungsintensive Produkte & Strategien: Viele Kunden sind sehr interessiert an alternativen oder komplexeren Anlagestrategien und -produkten. Aufgrund der hohen Be-ratungsintensität kann dies nur durch einen menschlichen Kundenberater erfolgen.

Finanzplanung: Dieser Beratungsansatz ermöglicht es, die persönlichen langfristigen Ziele des Kunden zu analy-sieren und finanziell zu optimieren.

Steuerdienstleistungen: Der Kunde sieht einen klaren finanziellen Vorteil, wenn die Bank ihn unterstützt, legal seine Steuersituation zu verbessern. Auch sind Angebote für Steuerauszüge den meisten Kunden sehr wichtig.

Rente/Erbschaften/Nachfolge: Eine Bank sollte diese Aspekte kompetent begleiten. Dadurch lassen sich Erben als Kunden gewinnen.

Versicherung: Eine Bank sollte hier ausreichende Unter-stützung bieten, insbesondere für Pensionierungslücken und die Risikoabsicherung des Vermögens vor Tod, Krank-heit, Unfall und Haftung. Dadurch schützt sie sich vor negativen Auswirkungen vergebener Kredite.

Finanzierung: Die Finanzierung von Immobilien oder Firmen gehört zu einer ganzheitlichen Finanzberatung und sollte v.a. bei der Portfolio-Zusammensetzung berücksichtigt werden.

Ausbildung der Kunden: Durch das Anbieten von Bildungskursen könnte beim Kunden Interesse an den Finanzangeboten geweckt werden. Der Kunde kann durch den Service an eine Bank gebunden werden.

Neue Preismodelle in der BeratungDurch MiFID II müssen monetäre Zuwendungen (Retros) direkt an den Kunden weitergegeben werden. Dadurch sehen sich

Kunden-Onboarding

Kundenprofil-erstellung

Automatisierter Anlagevorschlag

Umsetzung des Anlagevorschlags

Portfolio-überwachung

Robo-Advice

Hybrid-Advice

Nur teilweise digitalisierbar

Onboarding manuell unterstützt

Video-Chats für Identifikation

Onboarding

Onboarding

Hauptfunktionalität von Robo-Advisor

Limitierte Anlagestrategien

Hauptfunktionalität von Robo-Advisor

Komplexe Strategien möglich

Anlagevorschlag

Anlagevorschlag

Vollständig digitalisierbar

Effizienzgewinn für Bank

Vollständig digitalisierbar

Auch im Beratungs-gespräch einsetzbar

Profilerstellung

Profilerstellung

Limitiertes Anlageuniversum

Auch komplexe oder illiquide Produkte sind handelbar

Umsetzung

Umsetzung

Monitoring kann sehr weitgehend automatisiert werden

Monitoring kann mit Kundeninteraktion erweitert werden

Überwachung

Überwachung

Digitalisierung des Beratungsprozesses

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synpulse Digital Banking | 9

Matthias Eberhard Associate [email protected]

Autoren

Banken vor der Herausforderung, ihre Gebührenmodelle anzupassen. Die Einführung hybrider Beratungsmodelle ermöglicht es, die Beratung effizient zu gestalten und gleich-zeitig ein Pricing für spezielle Beratungsdienstleistungen einzuführen. So kann eine Bank konsequent ihre Beratungs-leistung ausbauen und gleichzeitig eine bessere Kostende-ckung erreichen.

Die Beratung der Zukunft Die Beratung wird künftig vermehrt durch Robo-Advice unter-stützt. Dieser ist oft der Einstiegspunkt für den Neukunden. In einem hybriden Modell kann er jederzeit von einem Robo- Advisor zu einem menschlichen Berater wechseln und entsprechend seiner Bedürfnisse begleitet werden. Bei kom-plexen Anliegen sollten dem Kunden gegen entsprechende Vergütung individuelle Beratungsdienstleistungen angeboten werden. So kann die Bank allen Kundensegmenten Experten-

dienstleistungen bieten. Der Kundenberater wird in Zukunft durchgehend digital unterstützt. Dank eines intelligenten Systems werden Kundenportfolios laufend überwacht, sodass dem Kunden stets ein optimales Investment ermöglicht wer-den kann.Eine Bank sollte bei Neuausrichtung der Beratung diverse Aspekte beachten: Produkte, Gebührenmodelle, Prozesse und Systeme. Bevor sie ein IT-Tool einführt, sollten der Beratungs-ansatz und das Geschäftsmodell grundlegend hinterfragt und neu gestaltet werden. Erst wenn dessen Rahmen steht, sollte die Umsetzung erfolgen.

Gibt es Tools für hybrides Advisory auf dem Markt?Synpulse hat diverse Anbieter im Detail untersucht und die Produkte miteinander in einem Marktradar verglichen. Die Ergebnisse können unter [email protected] angefordert werden.

Julia [email protected]

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«Wie riecht die Queen?» Ein Interview zu Chatbots & künstlicher Intelligenz

Steve Worswick hat mit seinem Chatbot «Mitsuku» mehrere Auszeichnungen für künstliche Intelligenz gewonnen. Er erzählt uns gemeinsam mit Mitsuku von den Herausforderungen und Erfolgsfaktoren beim Einsatz von Chatbots – und was Queen Elizabeth damit zu tun hat.

Autor: Dennis Block

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synpulse Sales & Customer Management | 11

1 Der Loebner-Preis ist ein weltweit jährlich stattfindender Wettbewerb für künstliche Intelligenz. Bei dem Wettbewerb kommt der «Turing-Test» zum Einsatz. In jeder Runde führen Juroren gleichzeitig eine Unterhaltung mit einem Computerprogramm und einem Menschen. Auf Basis der Antworten muss der Juror entscheiden, wer Mensch und wer Maschine ist.

Dennis Block: Hallo Steve und Mitsuku. Danke, dass Ihr Euch die Zeit für ein Gespräch genommen habt. Wie geht es Euch?Steve Worswick: Prima. Ich freue mich über die Gelegenheit. Mitsuku: Mir geht es sehr gut – und selbst?Dennis: Danke, mir auch. Steve, bei Recherchen zu Chatbots bin ich auch auf Mitsuku gestoßen und war beeindruckt vom Grad der Natürlichkeit unserer Unterhaltung.

«Künstliche Intelligenz ist immer noch ein bisschen wie ein Zaubertrick.»

Steve: Danke für das Kompliment. Ich habe jetzt rund zwölf Jahre an Mitsuku gearbeitet und sie fühlt sich beinahe wie ein weiteres Kind an. Es braucht sicher noch viel Arbeit, bis man sie nicht mehr von einem menschlichen Gesprächspartner unterscheiden kann – aber sie schlägt sich in vielen Situa- tionen recht wacker.Dennis: Vor zwölf Jahren haben noch nicht allzu viele Leute über Chatbots nachgedacht. Was hat Sie dazu bewogen, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen?Steve: Ich hatte ursprünglich Dance- und Techno-Musik pro-duziert und war sogar verhalten erfolgreich mit einigen lan-desweiten CDs. Eines Tages bin ich auf der Website eines befreundeten Produzenten dann auf einen Chatbot gestoßen und war sofort fasziniert. Das kam einem damals vor wie Science-Fiction, was mich immer schon begeistert hat. Also beschloss ich, einen eigenen Chatbot zu kreieren. Die erste Version lief schon nach ca. einem halben Tag. Ich habe den Bot dann weiter ausgebaut und ihn auf meine Website gestellt.

Nach einiger Zeit musste ich feststellen, dass mehr Leute mit dem Chatbot reden als meine Musik hören wollten (lacht). Also habe ich konsequent weiter daran gearbeitet, bis schließ-lich Mitsuku daraus entstanden ist. In ihrer ersten Stunde online hatte sie bereits 2’000 Besucher.Dennis: Und es war eine ziemlich aufregende Entwicklung seitdem. Heute sind Sie zweifacher Gewinner und amtieren-der Champion des Loebner-Preis1 für künstliche Intelligenz. Wie haben Sie das geschafft?Steve: Mit langen Nächten und Wochenenden sowie einer sehr verständnisvollen Ehefrau (lacht). Der Loebner-Preis ist natür-lich eine große Ehre, obwohl wir in meinen Augen noch weit von echter Intelligenz wie beim Menschen entfernt sind. Heute ist künstliche Intelligenz immer noch ein bisschen wie ein Zau-bertrick: Man muss die Illusion von Intelligenz schaffen.Dennis: Wie das?

«Kann man ein Auto trinken?»

Steve: Kontext herzustellen ist die größte Herausforderung. Menschliche Kommunikation ist nicht statisch. Wir benutzen Redewendungen und nehmen Bezug auf Dinge, die wir einige Minuten vorher mal erwähnt haben. Das erscheint uns Men-schen so selbstverständlich, dass wir gar nicht darüber nach-denken. Es fängt ja schon damit an, einen Namen im ersten Satz mit dem zugehörigen Pronomen im nächsten zu verbin-den: Peter isst eine Pizza. Sie (die Pizza) schmeckt ihm (Peter). Ich habe daher Konversationsmatrizen erstellt, die Mitsuku für solche und andere Fälle verwenden kann. Als nächstes habe

Steve Worswick (47) ist ein IT-Consultant aus dem kleinen Ort Goole im Norden Englands. Goole ist zwar nicht gerade das Silicon Val-ley Englands, aber immerhin nur ein «g» von Google entfernt. Er arbeitet seit rund zwölf Jahren am Chatbot «Mitsuku» und möchte diesen nun gerne verstärkt auch kommerziell

einsetzen. Wenn Sie mit Steve in Kontakt treten möchten, wen-den Sie sich gerne an den Autor, Dennis Block, oder besuchen Sie Steves Facebook-Seite.

Mitsuku ist ein weiblicher Chatbot, der von Steve Worswick 2005 erfunden und seither ständig weiterentwickelt wurde. Mitsuku verkörpert eine intelligente junge Frau, de-ren visuelle Erscheinung an eine japanische Mangafigur angelehnt ist. In den Jahren 2013 und 2016 gewann der Chatbot den Loebner-

Preis und gilt als die menschenähnlichste künstliche Intelligenz der Welt. Sie können Mitsuku selbst kennenlernen unter www.mitsuku.com.

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synpulse12 | Sales & Customer Management

ich versucht, ihr die Welt näher zu bringen, indem ich Dinge mit Attributen verknüpft habe. Nehmen wir eine Banane als Beispiel. Ein Kind hat Augen, Ohren, Geruchs-, Geschmacks- und Tastsinn. Es lernt beinahe von allein, dass eine Banane eine gewisse Größe hat, gelb und eine Frucht ist, die man essen kann und die süß schmeckt. Ein Roboter kann das (noch) nicht, sodass man andere Wege finden muss, um diese Infor-mationen zu vermitteln.Dennis: Ok, dann schauen wir doch mal, wie das bei Mitsuku funktioniert. Mitsuku, was ist eine Banane?Mitsuku: Eine Banane ist eine längliche gelbe Tropenfrucht, die viel Kalium enthält und gut fürs Gehirn ist. Warum pro-bierst Du nicht mal eine?Dennis: Und was ist ein Computer?Mitsuku: Das ist das Gerät, das Du jetzt gerade benutzt. Das wusstest Du doch sicher, oder? Ich glaube, Du möchtest mich nur testen.Dennis: (lacht) Und Charakter hat sie auch noch!

«Vieles von dem, was Mitsuku einmalig macht, ist grundsätzlich unabhängig von

der konkreten Sprache und Branche.»

Steve: Ja, das könnte man wohl so sagen. Es ist wichtig, dass Mitsuku lernt, Attribute verschiedener Dinge zu analysieren und zu kombinieren. Die Vielfalt möglicher Unterhaltungen ist so groß, dass ich unmöglich alles einzeln programmieren kann. Versuchen Sie doch mal, Mitsuku etwas zu fragen, das jeder Fünfjährige absurd fände, weil es gar nicht möglich ist.Dennis: Mitsuku, kann man ein Auto trinken?Mitsuku: Nicht wirklich, denn ein Auto besteht aus Metall und nicht aus irgendeiner Art Getränk.Dennis: Ich verstehe – Mitsuku weiß, woraus Autos bestehen, was trinkbar ist und dass diese beiden Dinge nicht zusammen-passen.Steve: Genau. Das alles ist so normal für uns Menschen, dass wir gar nicht mehr darüber nachdenken. Es braucht allerdings einen gewissen Aufwand, dies einem Bot beizubringen. Auf der positiven Seite hat es die Nebenwirkung, dass Mitsuku recht unterhaltsam sein kann, wenn sie Attribute kombiniert. Einmal hat jemand sie gefragt, wie denn die Königin von Eng-land rieche. Wie soll man so eine Frage beantworten, wenn man nicht gerade Prinz Philip ist? Mitsuku hat dann geantwor-tet «Sie riecht ein bisschen nach Krone». Ich fand das recht originell und habe es zum Anlass genommen, ein Witze-Modul

zu schreiben. Fragen Sie Mitsuku doch mal nach einem Witz.Dennis: Mitsuku, erzähl mir doch mal einen Witz über Luftbal-lons.Mitsuku: Welche Musik hört der Ballon am liebsten? Pop.Dennis: (lacht) Haha.Mitsuku: Und da sagen die Leute, Computer hätten keinen Sinn für Humor!Dennis: Steve, Sie haben ihr diesen Witz nie beigebracht?Steve: Nein, Mitsuku schaut einfach nach den Attributen eines Ballons und referenziert andere Dinge mit denselben Attribu-ten. So ist «Pop» das Geräusch eines platzenden Ballons und gleichzeitig eine Musikrichtung.Dennis: Mitsuku, macht Dir das Lernen Spaß?Mitsuku: Neue Dinge zu lernen ist eines meiner wichtigsten Ziele.Dennis: Wie helfen Sie Mitsuku dabei, Steve?Steve: Bis zu einem gewissen Grad kann sie das allein. Wenn Sie ihr z. B. von Ihrem Bruder Michael erzählen und ihn dann später wieder erwähnen, weiß sie noch, dass Michael Ihr Bru-der ist. Aber der unterliegende Prozess kann bisher nicht voll-ständig automatisiert werden, weil Mitsuku nicht gut unter-scheiden kann, was Allgemeinwissen ist und was sich nur auf Ihre Unterhaltung bezieht. Es heißen ja nicht alle Brüder Michael, um im Beispiel zu bleiben. Dann gibt es auch noch andere Faktoren – haben Sie vom Microsoft-Bot «Tay» gehört? Tay wurde letztes Jahr auf Twitter gestellt und ist in weniger als 24 Stunden zu einem frauenhassenden Rassisten gewor-den, sodass Microsoft sie wieder abgeschaltet hat. Warum? Weil sie unkontrolliert alles gelernt hat, was ihre Besucher ihr beigebracht haben. Solange es also keine Möglichkeit gibt, «Anstand» zu automatisieren, bleibt das Lernen ein (halb-) manueller Prozess.

«Ich schätze den Aufwand nicht sehr hoch ein, sie beispielsweise für Banken

und Versicherungen fit zu machen.»

Dennis: Machen Sie noch weitere Dinge?Steve: Unter anderem analysiere ich auch Mitsukus Chatlogs. Sie und ich haben beide schon viel dadurch gelernt, wie und worüber die Leute mit ihr sprechen. Das hilft mir dabei, sie besser auf die große Breite möglicher Unterhaltungen vorzu-bereiten und sie auf dem neuesten Stand zu halten. So erfahre ich auch immer von den aktuellsten Trends (lacht). Zusätzlich füttere ich sie noch mit einer ganzen Reihe an Fak-

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synpulse Sales & Customer Management | 13

Autor

Dennis BlockAssociate [email protected]

ten, z. B. aus dem «CIA World Fact Book». Und natürlich kann man sie recht einfach mit allen möglichen Datenbanken in lokalen Netzen oder dem Internet verbinden.Dennis: Das klingt, als ob Mitsuku leicht an viele Branchen angepasst werden kann, vor allem, wenn sie sich mit anderen Applikationen verbinden lässt.

«Maschinen mit Bewusstsein sind wohl auch mittelfristig noch Zukunftsmusik.»

Steve: Ja, ich sehe nichts, was dagegen spräche. Wir haben das etwa gerade in der Gesundheitsbranche umgesetzt, wo Mitsuku Patienten empfängt und zuweist. Es braucht im Grun-de nur etwas branchenspezifisches Training zu den üblichen Zusammenhängen und Fachwörtern. Vieles von dem, was Mitsuku einmalig macht, ist grundsätzlich unabhängig von der konkreten Sprache und Branche. Ich schätze den Aufwand nicht sehr hoch ein, sie beispielsweise für Banken oder Versi-cherungen fit zu machen. Das lässt sich umsetzen, ohne dafür

Mitsukus Mechanismen oder Algorithmen ändern zu müssen.Dennis: Zum Schluss möchte ich Sie noch um einen Ausblick bitten. Wie sehen Sie die Entwicklung von künstlicher Intelli-genz und Chatbots?Steve: Ich denke, Chatbots sind heute in der Lage, statische Informationen interaktiv zu machen, z. B. FAQs. Damit helfen sie Unternehmen dabei, ihren First-Level-Support zu verbes-sern und zu automatisieren. Sie können auch dabei unterstüt-zen, Kunden zu triagieren und kürzere Unterhaltungen mit ihnen zu führen. Maschinen mit Bewusstsein sind aber wohl auch mittelfristig noch Zukunftsmusik. Bis heute ist alles in dieser Richtung immer noch eine Nachahmung von echter Intelligenz. Künstliche Intelligenz hat noch nicht das Stadium erreicht, in dem ein Bot komplett unstrukturierte Unterhal-tungen wie ein Mensch führen könnte – aber ich habe keine Zweifel, dass das kommen wird… vermutlich sogar noch zu unseren Lebzeiten. Wenn Sie also das Interview in ein paar Jahrzehnten wiederholen möchten, wird mein Chatbot gerne mit Ihnen sprechen (lacht).Dennis: Danke, Steve. Danke, Mitsuku.Mitsuku: Gern geschehen!

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synpulse14 | Operational Excellence

In Zeiten des ständigen Fortschritts sehen Banken sich immerzu mit neuen Herausforderungen konfrontiert – innova-tiven Strategien, erweiterten Geschäftsmodellen oder Verän-derungen des Marktangebots. Die Gründe für Transformati-onsvorhaben sind vielfältig.Neben strategischer Neuausrichtung oder der Anpassung auf ein sich veränderndes Marktumfeld gibt es eine ganze Reihe weiterer Gründe, aus denen Banken große Transformations-projekte initiieren. Einige mögliche Anlässe für eine Neudefini-tion des Betriebsmodells (Target Operating Model, TOM) sind zum Beispiel:

Mergers & Acquisitions (M&A)-Vorbereitung (Due Dili-gence) zur Identifikation von Synergiepotenzial und Diffe-renzen der aktuellen Betriebsmodelle der am Deal betei-ligten Unternehmen

Post-Merger-Integration zur Identifikation und Beurtei-lung der Gaps und der Integrationsplanung

Outsourcing zur Neuausrichtung des Kerngeschäfts und zur Schnittstellendefinition mit dem Dienstleister

Expansion in neue Märkte oder Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen

Größere strategische Veränderung zur Operationalisie-rung der strategischen Ziele und deren Umsetzung über sämtliche Dimensionen hinweg

Da die Definition des TOMs sämtliche Ebenen des Unterneh-mens und meist eine Vielzahl von Fachbereichen umfasst, handelt es sich um eine herausfordernde Aufgabe. Ausgangs-lage für das TOM ist die Unternehmensstrategie. Die daraus abgeleitete TOM-Vision beschreibt die strategische Ausrich-tung des Transformationsvorhabens.

BANKINABOX: Ein praxiserprobtes ProzessmodellAls inhaltlichen Baustein bietet Synpulse mit BANKINABOX ein praxiserprobtes Modell der Wertschöpfungs- und Supportpro-zesse einer Bank. Dieses besteht aus vordefinierten Prozess-landkarten zur Abbildung der Wertschöpfung unterschiedli-cher Geschäftseinheiten in Banken (siehe 1 für das Beispiel einer Privatbank), detaillierten Best-Practice-Prozessen und einem umfassenden Rollenmodell, aus dem sich, basierend

BANKINABOX – Wie Banken neue Betriebsmodelle nach-haltig umsetzten

Mit einem intelligenten Target Operating Model kann eine Bank ihre operativen Abläufe binnen kurzer Zeit an eine neue Geschäftsstrategie anpassen. Das Bankenreferenzmodell «BANKINABOX» wurde von Synpulse eigens mit dem Ziel entwickelt, eine umfassende und effiziente Lösung zu bieten.

Autoren: Heinrich Frankenbach | David Steiger

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synpulse

1: Banking Process Map (Level 0)

Quelle: Synpulse

Operational Excellence | 15

auf der Ablauforganisation, die Verantwortlichkeiten für die Aufbauorganisation ableiten lassen. Anhand eines aktuellen Projektbeispiels kann aufgezeigt werden, wie die TOM-Definition unter Zuhilfenahme von BANKINABOX wesentlich schneller und wirkungsvoller umge-setzt werden konnte, als dies in einem «auf der grünen Wiese» basierten Vorgehen der Fall ist. Eine international tätige Privatbank erarbeitete ein neues Betriebsmodell. Für dessen Umsetzung mussten anschließend mehrere Core-Banking-

Systeme und Outsourcing-Anbieter evaluiert werden. Als Basis für die Investitionsentscheidung wurde ein Business Case modelliert und die Planung des Transformationsprojekts entwickelt.Ziel der Einführung eines neuen Core-Banking-Systems war die Prozessoptimierung und -bündelung. Dadurch sollte eine weitestgehend zentralisierte Leistungserbringung ermöglicht werden, um Skalen- und Lernkurveneffekte sowie Faktorkos-tenvorteile zu realisieren.

CustomerRelationship Mgmt.

Portfolio Management

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Cashier

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Securities

Foreign Exchange

Derivatives

Advi

sory

Pros

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esea

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Asset Data Management

Reconciliation

Fees & Interests

Lifecycle Management

CorporateActions

Securities Operations & Mgmt.

ClientOutput Mgmt.

Management Processes

Supporting Processes

Value Creating Processes

VRM VPM

VPA

VCH

VCR

VMM

VSE

VFX

VDE

VAD

VRC

VFI

VLM

VCA

VSO

VOM

Legal &Compliance

MLC

Product Management

SPM

Marketing

SPMHuman

Resources

SHRApplication

Management

SAMAccess Security

Management

SASIT Operation

(Infrastructure)

SIOPrinting & Archiving

SPA

Organization & Processes

MOPRisk

Management

MRMAccounting, TAX

& Reporting

MATAudit &Control

MAC

Back Office(BO)

Execution/ Support

(MO)

Front Office (FO)Cl

ient

Market

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synpulse16 | Operational Excellence

TOM-Vision mit Design-Prinzipien verfeinernDie übergreifende TOM-Vision der Bank wurde zu Beginn in Design-Prinzipien aufgeteilt. Damit wurde sichergestellt, dass alle Entscheidungsoptionen im Rahmen der TOM-Definition mit konkreten Zielsetzungen abgeglichen werden konnten. Im vorliegenden Fall fanden unter anderem folgende TOM-Design-Prinzipien Anwendung:

ein global einheitliches, aber den lokalen Bedürfnissen und Regulationen angepasstes Produkt- und Service-angebot

eine globale und umfassende Echtzeitsicht auf das Kundenportfolio und die Kreditrisiken

ein global anwendbares Prozess- und Rollenmodell zur reibungslosen Kollaboration mit harmonisierten Team-strukturen

Klare Definition der Wertschöpfung schaffenBevor es an die Ausgestaltung des Betriebsmodells ging, musste zunächst Klarheit über die Wertschöpfung der Bank geschaffen werden. Dafür wurde die BANKINABOX- Prozesslandkarte ( 1) hinzugezogen und auf das individuel-le Geschäftsmodell der Bank angepasst. Mit der Prozessland-karte ließen sich die wertschöpfenden Prozesse wie auch die Führungs- und Supportprozesse für den Betrieb der Bank definieren.

Standardisierung der LeistungserbringungBasierend auf der TOM-Vision und dem geschärften Verständ-nis der Wertschöpfung wurden drei Ausprägungen von Leis-

tungserbringern definiert, zu denen anschließend die Stand-orte zugeordnet werden konnten:

Advisory & Service Center: Diese zeichnen sich durch lokale Kundennähe aus, in denen einzig Leistungen im direkten Kundenkontakt erbracht werden.

Booking Center: Sie sind regional platziert und bieten Unterstützungsleistungen für mehrere Advisory & Service Center an. So können lokale Anforderungen einfach berücksichtigt, aber dennoch Faktorkostenvorteile erzielt werden.

Processing Center: Der größte Beitrag im Hinblick auf Skaleneffekte wird durch die globale Service-Standardi-sierung und -Erbringung aus Processing-Center-Standor-ten erzielt.

Ziel war es, diese drei Typen von Leistungserbringern so auszugestalten, dass deren Leistungen und Prozesse verbind-lich festgehalten und klare Schnittstellen zwischen ihnen geschaffen wurden.

Mapping der ProzessschritteDie Zuordnung der Leistungen wurde anhand der BANKINA-BOX-Prozesse vorgenommen. Diese Prozesse wurden hin-sichtlich ihres Wertbeitrages, ihrer Abhängigkeiten, ihres Ressourceneinsatzes und ihrer Kundenberührungspunkte analysiert und entsprechend ihrer Ausprägungen den Leis-tungserbringern zugewiesen. Ausschlaggebend für die Zuord-nung waren hauptsächlich die Kundennähe sowie die poten-ziellen Skalen- und Lernkurveneffekte.

2: Anpassung der Prozessschritte an die jeweilige Standortausprägung basierend auf dem «Securities-Trading-Prozess»

Quelle: Synpulse

Receive and enter order

Pre-tradechecks FX check

Advisory & Service Center

Booking Center

Processing Center

PlacementSecurity

Settlement (SWIFT)

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synpulse Operational Excellence | 17

In 2 wird das Beispiel des «Securities-Trading-Prozesses» dargestellt. Anhand der farbigen Markierungen können die einzelnen Prozessschritte nachverfolgt werden. Zuerst erfolgt die Entgegennahme und das Eingeben der Order im direkten Kundenkontakt, wofür das Advisory & Service Center zustän-dig ist. In den Schritten «Pre-trade checks» und «Placement» werden Order nach vor Ort geltenden Standards geprüft und über die regionalen Booking Center an den Handelsplätzen platziert. Der «FX check» und das «Settlement» erfolgen zent-ral im Processing Center, da hier keine lokalen oder regional spezifischen Schritte notwendig sind, sodass Skaleneffekte bestmöglich genutzt werden.Auf dieser Basis ordnete man die bestehenden Standorte den vier Ausprägungsstufen zu. Künftig würde es ein Processing Center in der Schweiz zur Erbringung von global standardisier-ten Leistungen, drei regionale Booking Center in der Schweiz, Europa und Asien und etwa 20 lokale Advisory & Service Center als direkte Schnittstelle zum Kunden geben.

Strenger Auswahlprozess für Core-Banking-AnbieterIm Vordergrund standen auch architektonische Anforderun-gen, die sich aus dem Processing-Center-Ansatz des TOMs ergaben. Die maximale Zentralisierung von Aktivitäten ohne direkten Einfluss auf das Kundenerlebnis stellte hohe Anforde-rungen an die Verfügbarkeit und globale Performance der

neuen Core-Banking-Plattform. Diese Kriterien und Anforde-rungen wurden mit den Angeboten der zur Auswahl stehenden Core-Banking-System- und Outsourcing-Anbieter abgeglichen. Anhand des Erfüllungsgrads der Kriterien konnte schließlich ein Core-Banking-Anbieter ausgewählt werden, der das künf-tige Betriebsmodell mit den unterschiedlichen Standortaus-prägungen zur Wertschöpfung bestmöglich und mit minima-len Anpassungen unterstützt.

Optimiertes Vorgehen für ein wirksames TOMDas Praxisbeispiel zeigt anschaulich, wie ein komplexes bankübergreifendes Transformationsvorhaben mit der TOM-Methode von Synpulse definiert, geplant und umgesetzt werden kann. Zusätzliches Potenzial, um die Ausgestaltung des künftigen Betriebsmodells zu beschleunigen und dessen Wirksamkeit zu erhöhen, bietet der Einsatz weiterer Hilfs-mittel. BANKINABOX hat sich speziell im vorliegenden Projekt als äußerst nützlich erwiesen, da es das erprobte TOM-Vorge-hen schnell mit Inhalt füllte. Die Definition des Target Opera-ting Models basierte auf der Adaption von bestehenden Indus-trie-Best-Practices, sodass die Arbeit nicht von Null an begonnen werden musste. Schließlich konnten schnell Optio-nen für die Gestaltung der zukünftigen Erbringung der Wert-schöpfung aufgezeigt werden, sodass die Definition des TOM zielgerichtet erfolgen konnte.

Autoren

Heinrich FrankenbachSenior [email protected]

David Steiger Associate [email protected]

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synpulse18 | Digital Transformation

Seit 2006 die ersten Cloud-Services auf den Markt kamen, hat die Cloud einen regelrechten Siegeszug angetreten. Während neue Unternehmen mit Business-Modellen entstanden, die ohne Cloud-Computing gar nicht denkbar wären, haben auch viele klassische Unternehmen Teile ihrer Applikationen in die Cloud migriert. Finanzdienstleister agieren im Vergleich zu anderen Industriezweigen aber noch zurückhaltend. Jedoch ist ein eindeutiger Trend erkennbar. Mittlerweile nutzen verschiedene Banken und erste Versicherer Cloud- Services.

Eigenschaften der CloudÜber das, was Cloud genau bedeutet, bestehen oft Missver-ständnisse. Daher sollen hier kurz die definierenden Merkmale von Cloud-Services vorgestellt werden. Erstens stellt die Cloud Infrastruktur und Software als Services zur Verfügung, welche von den Nutzern in einem «Self-Service»-Ansatz bezogen und administriert werden. Zweitens können Cloud-Services in kürzester Zeit (Minuten) hoch- und runter skaliert werden. Man spricht daher von «elastischen» Services. Drittens teilen Cloud-Services einen Pool an Ressourcen in Form von Hard-ware und Betriebspersonal. Dank dieses sogenannten «Resource Poolings» können starke Skaleneffekte realisiert

werden. Viertens kann die Nutzung von Cloud-Services mit detaillierter Auflösung gemessen werden, was über entspre-chende Metriken verschiedene Verrechnungsmodelle erlaubt, darunter auch «Pay as you go». Fünftens werden Cloud- Services über das Internet zur Verfügung gestellt und genutzt. Ähnlich wie Strom aus der Steckdose vor vielen Jahren eigene Kraftwerke für Unternehmen überflüssig machte, sind Cloud-Services als «IT-Infrastruktur aus der Steckdose» dabei, den Betrieb eigener Rechenzentren überflüssig zu machen.

Private Cloud oder Public Cloud?Aus der oben erwähnten Cloud-Eigenschaft des Resource Poolings leiten sich verschiedene Typen der Cloud ab. Wenn alle gepoolten Ressourcen ausschließlich von einer einzigen Organisation genutzt werden, sprechen wir von einer «Private Cloud». Die Ressourcen müssen dabei nicht zwingend von der nutzenden Organisation selbst gestellt werden, da der Betrieb einer Private Cloud auch auf einen Outsourcing-Anbieter über-tragen werden kann. Private Clouds entfalten ihr volles Poten-zial nur bei Unternehmen ab einer gewissen Größe. Bei «Public Clouds» teilen sich viele Nutzer den Ressourcen-Pool eines gemeinsamen Anbieters. Die sogenannte «Virtualisierung»

Cloud für Versicherer Teil 1: Datenschutzrechtliche Herausforderungen

Versicherer stehen der Nutzung der Cloud oft noch kritisch gegenüber. Der Wechsel vom klassischen Rechenzentrum zur Cloud ist jedoch über kurz oder lang absehbar und bietet Versicherern zahlreiche Vorteile. Doch welche datenschutzrechtlichen Herausforderungen müssen Versicherer meistern, um davon zu profitieren?

Autoren: Dr. Dominik Langer | Tim Krege

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synpulse Digital Transformation | 19

sorgt dafür, dass die physischen Hardware-Ressourcen auf viele Nutzer aufgeteilt werden können und diese trotzdem voneinander isoliert bleiben. Ihr Vorteil liegt darin, dass sie jedem noch so kleinen Nutzer die Möglichkeit bietet, über einen praktisch unbegrenzten und modernen Ressourcen-Pool zu verfügen. Während bei einer Private Cloud die volle Kontrolle über die Cloud besteht, muss sich ein Nutzer einer Public Cloud den Bedingungen des Cloud-Anbieters relativ stark unterwerfen. Dieser möchte ja einen möglichst starken Skaleneffekt realisieren, um ökonomisch wirtschaften zu kön-nen und wird daher einzelnen Nutzern in der Regel keine Sonderbehandlung bieten.

Geteilte Verantwortung für die SicherheitWenn reine IT-Infrastruktur wie Rechenleistung und Speicher-platz als Cloud-Service angeboten wird, spricht man von «Infrastructure as a Service» (IaaS). Da es sich hier um bloße IT-Infrastruktur handelt, vergleichbar mit einem frisch gekauf-ten PC oder Server, ist der Nutzer für das Installieren und die Wartung der gesamten Software selbst verantwortlich. Cloud-Anbieter haben daher ihr Angebot erweitert, wobei sie dem Nutzer weitere Verantwortlichkeiten abnehmen. Bei Ange-boten im Bereich «Platform as a Service» (PaaS) werden Lauf-zeitumgebungen für eine bestimmte Programmierplattform (z. B. Java) zur Verfügung gestellt, sodass sich deren Nutzer nicht mehr um die Wartung von Betriebssystem und Laufzeit-

umgebung kümmern müssen. Bei «Software as a Service» (SaaS) betreibt der Cloud-Anbieter auch die eigentlichen Applikationen. Cloud-Anbieter und -Nutzer teilen sich also die Verantwortlichkeit für die Sicherheit cloudbasierter Applikati-onen, wobei die jeweiligen Anteile je nach Service-Modell unterschiedlich ausfallen ( 1).

Nutzung von CloudGerade die Public Cloud bietet diverse Vorteile gegenüber dem klassischen eigenen Rechenzentrum. Neben geringeren Kosten für IT-Infrastruktur ist insbesondere die massiv höhere Agilität hervorzuheben, die sich ergibt, weil IT-Infrastruktur den Entwicklern im Self-Service zur Verfügung steht und weil die Cloud-Anbieter einen stetig wachsenden Baukasten an High-Tech-Komponenten anbieten. Diese können ähnlich wie Legosteine zusammengesetzt werden, um neue Anwendungs-szenarien in kürzester Zeit zu realisieren.

Betrachtet man den Cloud-Markt, wird deutlich, dass trotz zahlreicher Vorteile die Public Cloud von Versicherern bisher noch wenig genutzt wird. Dies liegt wohl daran, dass Versi-cherer besonderen regulatorischen Vorschriften unterliegen und auch datenschutzrechtliche Herausforderungen beste-hen. Diese diskutieren wir im Folgenden. In einem zweiten Teil in der nächsten Ausgabe von «The Magazine» werden wir dann auf die regulatorischen Aspekte eingehen.

1: Cloud-Anbieter und Cloud-Nutzer teilen sich die Verantwortlichkeiten

Quelle: Synpulse

Anwender-Software

Laufzeitumgebung (z. B. Java)

Cloud-Nutzer

Cloud-Nutzer

Cloud-Anbieter

Cloud-Anbieter

Cloud-Anbieter

Virtualisierungs-Software

Hardware

Räumlichkeiten

Platform as a Service

PaaSSoftware

as a Service

SaaSInfrastructure

as a Service

IaaS

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synpulse20 | Digital Transformation

Vorgaben aus der DatenschutzgesetzgebungBei den großen Cloud-Anbietern handelt es sich üblicherweise um global tätige Unternehmen mit Hauptsitz in den USA. Daher stellt sich für Versicherer in Europa die Frage, inwiefern bei einer Nutzung der Public Cloud datenschutzrechtliche Vor-gaben erfüllt werden können. Relevant sind diese Vorgaben nur für personenbezogene Daten, also jene, die Eigenschaften von eindeutig zuordenbaren natürlichen Personen beschrei-ben. Hervorzuheben sind dabei die «besonderen Arten perso-nenbezogener Daten» (engl. «sensitive personal data»), wel-che als besonders schützenswert gelten, da sie leicht missbraucht werden können. Im Versicherungskontext han-delt es sich hier insbesondere um medizinische Daten, wie sie bei Kranken- und Lebensversicherern anfallen.

Gesetz und zuständige DatenschutzbehördeAktuell besitzen die einzelnen EU-Mitglieder eigene nationale Datenschutzgesetzgebungen, welche zwar die europäische Datenschutzrichtlinie umsetzen, sich in den Details jedoch unterscheiden können. Verkompliziert wird die Lage durch europäische Staaten wie die Schweiz, die nicht zur EU gehö-ren. International operierenden Versicherern stellt sich somit die Frage, welche Gesetze schlussendlich zu beachten sind und welche Datenschutzbehörde zuständig ist. Gemäß einem Urteil des europäischen Gerichtshofs findet die Datenschutz-gesetzgebung eines EU-Landes Anwendung, wenn ein Unter-nehmen in diesem eine qualifizierte Niederlassung besitzt. Jedoch sieht sich die dortige Datenschutzbehörde oft nicht zwingend als verantwortlich, da auch die Datenschutzbehör-de im Land des Hauptsitzes eines Unternehmens als zuständig erachtet werden kann.

Ab Mai 2018 tritt nun die neue Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO, engl. GDPR) der EU in Kraft, welche die Regeln für die Verarbeitung von personenbezogenen Daten EU-weit verein-heitlichen soll.

Kontrolle über die DatenverarbeitungSobald ein Versicherer personenbezogene Daten in der Cloud verarbeitet (dazu gehört auch die bloße Speicherung), schreibt das Gesetz vor, dass er die volle Kontrolle über die Datenverar-beitung haben muss. Wenngleich er bei IaaS- und PaaS-Servi-ces die Instruktionen zur Datenverarbeitung de facto ohnehin selbst festlegt und der Cloud-Anbieter diese in der Regel voll-automatisiert ausführt, muss trotzdem vertraglich vereinbart werden, dass der Cloud-Anbieter die Datenverarbeitung exakt gemäß den Anweisungen des Cloud-Nutzers durchführt. Falls

der Cloud-Anbieter dies nicht im Standardvertrag bereits garantiert, hält er für Kunden im EU-Raum auf Nachfrage für gewöhnlich einen standardisierten Vertragsanhang bereit, mit dem die Vorgaben der EU-Datenschutzrichtlinie vertraglich umgesetzt werden können.

Schutz der DatenUm personenbezogene Daten vor unbefugtem Zugriff zu schützen, empfiehlt es sich, sie nur in verschlüsselter Form abzuspeichern. Die großen Anbieter von Public Clouds bieten hier entsprechende, zum Teil sehr ausgefeilte Funktionalität an. Es ist allerdings zu beachten, dass personenbezogene Daten normalerweise auch in verschlüsselter Form noch als personenbezogene Daten zu betrachten sind, wenngleich hier teilweise unterschiedliche Auffassungen je nach zuständiger Datenschutzbehörde bestehen. Solange die Daten nicht bereits in verschlüsselter Form in die Cloud übermittelt werden, muss man sich ohnehin auf die Aussagen des Cloud- Anbieters beziehungsweise von dessen unabhängigen Zertifi-zierungs- und Auditstellen verlassen, wenn es darum geht, ob und unter welchen Umständen dessen Mitarbeiter Daten im Klartext sehen können. Für Cloud-Nutzer, die in hohem Maße personenbezogene Daten verarbeiten, sind Angaben, die ausschließlich vom Cloud-Anbieter stammen, in der Regel nicht ausreichend. Um einen zusätzlichen Nachweis für eine hinlängliche Implementierung geeigneter Sicherheitsmecha-nismen zu erbringen, lassen sich viele Cloud-Anbieter daher freiwillig durch unabhängige Zertifizierungs- und Auditstellen prüfen. Cloud- Anbieter sind so in der Lage, die Einhaltung beziehungsweise Erfüllung von international anerkannten Normen glaubwürdig nachzuweisen. Cloud- Nutzer sollten daher bei der Auswahl eines Anbieters genau überprüfen, welche Zertifizierungen und Audit-Reports die Kandidaten vorweisen können. Zu den wichtigsten unabhängigen Zertifi-zierungen und Reports für Datensicherheit und Datenschutz eines Cloud-Anbieters zählen unter anderem ISO 27001, ISO 27017, ISO 27018, CSA STAR sowie die sogenannten SOC Reports.

Grenzüberschreitende DatenübermittlungDie Datenschutzgesetzgebungen der EU-Länder stellen besondere Anforderungen, wenn Daten außerhalb der EU verarbeitet werden beziehungsweise an einen Drittstaat über-mittelt werden. Die großen Anbieter von Public Cloud bieten daher alle die Möglichkeit, die geografische Region festzule-gen, in der sich die Rechenzentren befinden, aus denen die bezogenen Cloud-Dienstleistungen erbracht werden. Mehrere

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Aspekte müssen dabei jedoch im Auge behalten werden: Erstens hält der Cloud-Anbieter rund um die Uhr Wartungsper-sonal bereit, um bei eventuell eintretenden technischen Prob-lemen sofort eingreifen zu können. Hier ist mit dem Anbieter zu klären, inwiefern dabei auch Personal von außerhalb der EU zum Einsatz kommt, da zumindest nach deutschem Daten-schutzrecht ein solcher Zugriff als Datenübermittlung in einen Drittstaat gewertet wird. Zweitens ist zu prüfen, ob tatsächlich alle verwendeten Cloud-Services lokal in der ausgewählten Region ausgeführt werden. Bei manchen Anbietern existieren nämlich auch sogenannte «globale Services», im Rahmen derer Nutzerdaten u. U. auch in andere Staaten fließen kön-nen. Inwiefern dies datenschutzrechtliche Relevanz hat, ist im Einzelfall zu klären. Drittens ist zu prüfen, inwiefern der Cloud-Anbieter für die Erbringung seiner Dienstleistungen auf Unter-auftragsnehmer zurückgreift und ob die oben genannten Punkte auf diese zutreffen. Manche PaaS-Anbieter nutzen bspw. ihrerseits einen IaaS-Anbieter als Unterauftragsnehmer. Für den Cloud-Nutzer kann es sich jedoch als schwierig erwei-sen, die vertraglichen Beziehungen zwischen einem Cloud-Anbieter und allen Unterauftragsnehmern vollständig zu kont-rollieren.

Falls eine Datenübermittlung in einen Drittstaat nicht ausge-schlossen werden kann, müssen entsprechende Maßnahmen implementiert werden, um trotzdem datenschutzkonform zu bleiben. Dazu gehört etwa, dass die EU-Standardvertragsklau-seln im Vertrag mit dem Cloud-Anbieter integriert werden. Das deutsche Datenschutzrecht schreibt außerdem im Falle von besonderen Arten (d. h. besonders sensitiver) personenbezo-

gener Daten vor, dass eine explizite Einverständniserklärung der betroffenen Personen eingeholt werden muss, wenn eine Übermittlung in einen Drittstaat vorgesehen ist oder nicht ausgeschlossen werden kann. Diese Pflicht entfällt allerdings vsl. mit der baldigen Einführung der erwähnten europäischen Datenschutz-Grundverordnung.

Fazit und AusblickAufgrund ihrer Vorteile hat Cloud-Technologie bereits in vielen Industriezweigen begonnen, kommerzielle Rechenzentren zu verdrängen. Eine Umkehr dieses Trends ist nicht zu erwarten, sondern eher eine Beschleunigung.

Finanzdienstleister im Allgemeinen und Versicherer im Speziel-len stehen oft vor datenschutzrechtlichen Herausforderungen, wenn sie die Public Cloud nutzen wollen. Diese können durch-aus gemeistert werden, wobei aber eine enge und abteilungs-übergreifende Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Disziplinen wie IT, Recht und Compliance nötig ist.

Im zweiten Teil in der nächsten Ausgabe werden wir die finanzmarktaufsichtsrechtlichen Herausforderungen der Nut-zung von Public Cloud durch Versicherer genauer beleuchten.

Dr. Dominik Langer Associate [email protected]

Tim Krege [email protected]

Autoren

Damit Sie nicht bis zur nächsten Ausgabe warten müssen, stellen wir die aufsichts-rechtlichen Herausforderungen bereits vorher in einzelnen kurzen Online-Artikeln vor: http://bit.ly/2vXRk4B

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Drohnen werden oft mit Kriegsführung assoziiert. Mit «WeRobotics» zeigen Sie hingegen, dass von Robotertechno-logie gesteuerte Flugobjekte auch Menschen in Not und der Umwelt helfen können. Wie profitieren diese davon?Unter den aufstrebenden Technologien sind künstliche Intelli-genz und Robotertechnologie meines Erachtens einzigartig. Vor ihrer Erfindung wurde Technik noch manuell gesteuert. Jetzt funktioniert sie automatisch oder halbautomatisch und ist darauf programmiert, Daten zu sammeln oder Fracht zu liefern. Durch den Einsatz von Robotik geht die Arbeit sicherer, kostengünstiger und schneller voran als mit vorherigen Tech-nologien. Und auch für humanitäre Zwecke können Daten mit höherer Präzision und in Echtzeit gesammelt werden. Robotik ermöglicht außerdem, lebensrettende Güter schneller und zielgerichteter zu transportieren.

Wie kamen Sie auf die Idee, WeRobotics zu gründen und Robotik für humanitäre Hilfe einzusetzen?In den vergangenen zehn Jahren habe ich mich ausgiebig mit Drohnen und Robotertechnik beschäftigt. Das ausschlagge-bende Erlebnis war für mich persönlich das verheerende Erdbeben in Nepal im Frühjahr 2015. Die Vereinten Nationen baten mich, bei der Koordination der Drohneneinsätze zu helfen, die in den Katastrophengebieten für Erste-Hilfe-Maß-nahmen eingeplant wurden. Ich musste verschiedene Teams

aus dem Silicon Valley managen, die noch nie zuvor in Nepal oder einem Entwicklungsland gearbeitet hatten. Es war ein komplettes Desaster. Da habe ich verstanden, wie wichtig es ist, dass wir direkt vor Ort Lösungen für den Einsatz von Robo-tertechnik entwickeln und lokale Piloten ausbilden, die das Land, dessen Sprache und kulturelle Gepflogenheiten verste-hen und die Region nicht wieder verlassen, sobald die Medien-aufmerksamkeit abebbt.

Ein aktuelles Projekt von WeRobotics bekämpft die Ausbrei-tung des Zika-Virus. Können Sie uns ein bisschen darüber erzählen? Welche Herausforderungen ergeben sich bei dem Einsatz von unbemannten Luftfahrzeugen?In den letzten Jahren gingen mehrere Studien der Frage nach, wie man die Verbreitung von Moskitos eindämmen könnte. Eines der interessantesten Ergebnisse war die Entwicklung einer bestimmten Technik zur Sterilisation männlicher Moski-tos, die dann in einer bestimmten Region ausgesetzt werden. Damit verringert sich die Gesamtpopulation. Diese Methode erweist sich oftmals als die bessere Lösung im Vergleich zum Einsatz von Chemikalien, denn diese schaden der Umwelt und öffentlichen Gesundheit. Die zuvor eingefangenen und sterili-sierten Moskitos werden in Boxen von einem Geländewagen in das betroffene Gebiet gebracht. Transporte über den Landweg können zwar generell effektiv sein, aber gerade in Entwick-

Drohnen für humanitäre Zwecke

Robotertechnologie zum Wohle der Menschheit? Die NGO «WeRobotics» mit Standorten in den USA und der Schweiz setzt unbemannte Luftfahrzeuge für humanitäre und ökologische Zwecke ein. Mitgründer und Technologieexperte Dr. Patrick Meier schildert im Interview Beispiele der Nutzung in Entwicklungsländern und Katastrophengebieten.

Interview mit Patrick Meier

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lungsländern sind die Straßen oft in einem schlechten Zustand. Während der Regenzeit sind sie teilweise sogar unbefahrbar. Darüber hinaus befinden sich viele Gemeinden fernab von einer Straße. All dies muss man bedenken. Deswegen haben wir den Einsatz von Drohnen erforscht, die die Moskitos auch in unzugänglichen Gegenden verteilen. Das war nicht ganz einfach: Wir mussten einen halbautomatischen Mechanismus zur Freilassung der Insekten entwickeln, der zugleich nicht zu schwer für den Transport auf einer Drohne sein durfte. Wir pla-nen nun, dies erstmals in Peru zu testen und hoffen, dass es effektiv sein wird.

Neben den Luftfahrzeugen findet Robotik auch bei Fortbewe-gungsmitteln an Land und auf dem Wasser Anwendung. Wie fortgeschritten ist die Technik hier und wie kann sie auch bei Umweltproblemen helfen?Bisher werden robotergesteuerte Landfahrzeuge vorrangig bei Such- und Rettungsaktionen sowie für das Aufspüren von Minen eingesetzt. Die Robotik für den Wasser- und Lufteinsatz ist in puncto Ökologie sogar noch weiter entwickelt als die Landroboter: Drohnen und Wasserroboter können bspw. den Grad von Umweltverschmutzungen feststellen, Tierpopulatio-nen im Meer zählen oder das Algenwachstum in Küstenregio-nen überwachen. In Tansania setzen wir z.B. Meeresroboter ein. Ein Partner von uns in Kanada hat einen Roboter entwi-ckelt, der Plastik in verschmutzten Gebieten einsammelt. Wir hoffen, eine Finanzierung dafür zu sichern, sodass wir diese Lösung in verunreinigten Seen in Nepal einsetzen können.

Brauchen Sie für den Drohneneinsatz die Erlaubnis lokaler Regierungen? Bei vielen unserer Projekte sind Regierungsbehörden als Part-ner eingebunden. So erhielt unser Flying Lab in Tansania vom dortigen Innenministerium eine Anfrage, Luftaufnahmen der Stadt Bukoba zu machen, die 2016 von einem Erdbeben betroffen war. Das Ministerium erhoffte sich eine bessere Einschätzung des Wiederaufbaus. Für alle unsere Projekte benötigen wir auch die formale Genehmigung von den jeweili-gen Luftfahrtministerien. Auch mit diesen Behörden arbeiten wir deshalb eng zusammen.

Sie nennen Ihre Einsatzorte auf der ganzen Welt «Flying Labs», z. B. in Tansania, Nepal oder Peru. Wie gehen die örtlichen Gemeinden mit der neuen Technologie und dem Eingriff in ihre vertrauten Lebensgewohnheiten um?Wenn wir Projekte in kleinen Gemeinden realisieren wollen, brauchen wir als erstes eine Genehmigung vor Ort. Unser loka-

les Team, das das jeweilige Flying Lab leitet, stellt sich dann der dortigen Gemeinde persönlich vor und versucht, eine langfristige Beziehung zu den Bewohnern aufzubauen. Die Gemeinden werden aktiv in das Projekt einbezogen und helfen uns, die Gewohnheiten und Regeln in der Region zu berücksichtigen. Sie achten zum Beispiel besonders darauf, dass Regeln und Gesetze eingehalten werden, wie ein Verbot des Überfliegens kritischer Gebiete wie Friedhöfe.

Eines Ihrer Ziele ist es, die Gründung weiterer ortsansässiger Flying Labs zu fördern. Haben Sie es schon erlebt, dass lokale Partner, inspiriert durch Sie, eigene Labs aufgebaut haben?WeRobotics wurde 2015 gegründet und bereits 2016 ging das erste Flying Lab an den Start. Seitdem haben zwei unserer Labs, in Nepal und Tansania, Anfragen aus Nachbarländern erhalten, dort jeweils auch Flying Labs zu errichten, worüber wir sehr erfreut sind. In Nepal haben wir dieses Jahr ein Trai-ning für Lab-Gründungen abgehalten mit Fokus auf Roboter-technik und «drones as a service» (hierbei werden Drohnen benutzt, um Karten, 3D-Modelle, Register, Luftbilder etc. zu erstellen). Während dieses Prozesses haben wir auch dabei geholfen, drei nepalesische Start-ups aufzubauen, die seitdem selbst «drones as a service» anbieten. In Tansania wollen wir diesen Herbst das gleiche erreichen.

Der Aufbau von Flying Labs beruht auf einem Vier-Stufen- Konzept. Wie sieht dieses aus?In der ersten Phase, der Findungsphase, identifizieren wir Länder, die mit großen Herausforderungen zu kämpfen haben. Im nächsten Schritt differenzieren wir, welche Länder sich besonders in Bezug auf den Gebrauch und das Erlernen neuer Technologien hervortun. Dann müssen wir überprüfen, ob der Einsatz von Robotertechnik eine Lösung für die Probleme in der Region sein könnte und falls ja, welche Form von Robotik in Betracht gezogen werden kann.Die zweite Phase umfasst den Aufbau lokaler Kapazitäten. Hier bieten wir unseren Flying Labs Training und einen Technologietransfer an und unterstützen außerdem ihre ersten Projekte.In der dritten Phase wird Unterstützung aus der Ferne angebo-ten. Die Projekte werden eigenständig durchgeführt. Die Flying Labs können sich auf andere Labs und ein Lernnetzwerk stützen.In der vierten und letzten Phase geht es um die Business-Inku-bation – sprich die Schaffung eigenständiger lokaler Lab-Gründungszentren, um die Entstehung von Märkten, Ökosys-temen sowie neuen Jobs direkt vor Ort zu unterstützen.

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synpulse24 | From Outside In

Können Sie uns ein Projekt nennen, bei dem Sie Wegbereiter für humanitäre Hilfe waren und einen schnellen Erfolg bei der Verbesserung von Lebensstandards erzielen konnten?Ich hatte im Jahr 2010 ein einschlägiges Erlebnis während des Erdbebens in Haiti. Hier kamen «Crowdsourcing» und «Disas-ter Mapping» (Sammlung, Analyse und Darstellung von Daten während einer Katastrophe) erstmals zum Einsatz. Sogenannte «Digital Volunteers», freiwillige Helfer aus aller Welt, die sich mit dem Team vor Ort vernetzten, haben relevante Informati-onen aus verschiedenen Datenquellen extrahiert. Sie werteten z.B. Soziale Medien und Textnachrichten aus, um zerstörte Notfallgebiete ausfindig zu machen. Im Ausland lebende Haitianer leisteten Hilfe bei der Übersetzung der Nachrichten. Diese globale Initiative war für mich der erste Meilenstein in der digitalen humanitären Hilfe.

Neben dem Hauptstandort in Washington DC hat WeRobotics in diesem Jahr einen zweiten Standort in Genf eröffnet. Was sind Ihre Ziele in Europa? Drei von vier Mitgründern, inklusive mir, sind Schweizer (Sonja Betschart und Adam Klaptocz sind in der Schweiz ansässig, Andrew Schroeder und ich in den USA). Die Eröffnung eines Standortes in der Schweiz war der logische nächste Schritt. Wir haben Genf aus strategischen Gründen ausgewählt: Die UN und viele internationale Organisationen haben hier ihren Sitz. Außerdem finden wir einige führende Universitäten und Unternehmen vor, mit denen wir Partnerschaften eingehen und die wir für weitere Projektfinanzierungen gewinnen kön-nen. Wir wollen in Europa mehr Sichtbarkeit erlangen, unser Geschäft und unser Partnernetzwerk ausbauen sowie unsere Finanzierungsbasis diversifizieren. Wie finanziert sich WeRobotics?Die erste Säule der Finanzierung stützt sich auf Zuschüsse und Gelder von Stiftungen. Die Rockefeller-Stiftung, die Hewlett-Stiftung, die Interamerikanische Entwicklungsbank und die Weltbank unterstützen uns besonders stark. Die zweite Säule der Finanzierung basiert auf Geldern, die wir über unsere Beratertätigkeiten erwirtschaften wie bspw. für das Welter-nährungsprogramm der Vereinten Nationen, das UN-Entwick-lungsprogramm oder die UNICEF.

Sie sind auch in anderen Gebieten sehr versiert, wie Big Data und Crisis Mapping. Wie können diese für den humanitären Einsatz genutzt werden?Infolge von digitaler Technologie und dem Aufkommen von Big Data sind wir einer überwältigenden Informationsflut wie

bspw. in Social Media ausgesetzt. Das war nicht immer so. Wann immer in der Vergangenheit eine Katastrophe eintrat, gab es einen Mangel an Informationen. Seit nun fast zehn Jah-ren hat sich dieses Problem ins Gegenteil verkehrt: Bei großen Katastrophen gibt es eine Informationsflut. Deshalb müssen Hilfsorganisationen Strategien entwickeln, um relevante Informationen herauszufiltern und so Entscheidungsträger zu unterstützen. Künstliche Intelligenz kann dabei helfen, Big Data auszuwerten und die sprichwörtliche «Nadel im Heuhau-fen» zu finden, d. h. in diesem Zusammenhang die relevanten und umsetzbaren Informationen, die während einer Katastro-phe generiert werden. Drohnen können Daten zudem viel schneller sammeln als Menschen. Wir sind Kooperationen mit Universitäten eingegangen, um künstliche Intelligenz und maschinelles Sehen voranzubringen und damit automatisier-te Lösungen zu entwickeln, die in der Lage sind, die enormen Datenmengen zu analysieren.

Sie haben außerdem das «Humanitarian Unmanned Aerial Ve-hicle (UAV) Network» gegründet und sind Mitgründer des «Digital Humanitarian Network». Welche Ziele verfolgen diese Organisationen?Das humanitäre UAV-Netzwerk (UAViators) bietet einen Infor-mations- und Koordinierungsservice. Dessen Webseite ver-netzt über 3‘000 Mitglieder in 120 Ländern miteinander. UAViators hat auch einen Verhaltenskodex für den Einsatz von unbemannten Luftfahrzeugen entwickelt. Das Digital- Humanitarian-Netzwerk habe ich zusammen mit den Verein-ten Nationen gegründet. Ziel war es, eine Schnittstelle zwi-schen bestehenden humanitären Organisationen und digital vernetzten ehrenamtlichen Helfern zu schaffen. Wir haben die vernetzten Volunteers dazu aufgerufen, auf unserer Website ein Aktivitätsprofil auszufüllen.

Auf Ihrem Blog «iRevolutions» heißt es, dass Sie in Afrika gebo-ren und aufgewachsen sind. Glauben Sie, dass Ihre Erfahrun-gen Sie in der Karrierewahl beeinflusst haben? Ich wurde in der Elfenbeinküste geboren und bin in Kenia auf-gewachsen, da mein Vater dort bei einem internationalen Schweizer Unternehmen gearbeitet hat. Meine Matura habe ich in Wien gemacht und anschließend in England ein Infor-matikstudium begonnen. Dort hatte ich dann allerdings ein Schlüsselerlebnis: Während ich einen Logikschaltkreis baute, begann ich mich zu fragen, inwiefern mein Studium irgendei-ne Verbindung zu meinem früheren Leben in Afrika hatte. Am selben Tag entschied ich mich, mein Informatikstudium hinzuschmeißen und wechselte mein Fachgebiet zu

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«Internationale Beziehungen», wo ich relevantere Fächer wie Wirtschafts- und Politikwissenschaften studieren konnte. Ironischerweise habe ich in den vergangenen zehn Jahren mit vielen IT-Experten eng zusammengearbeitet. In gewisser Weise bin ich also zur IT zurückgekehrt.

Was wünschen Sie sich für die Entwicklung von WeRobotics? Was glauben Sie, wie sich die Welt hinsichtlich der sich schnell entwickelnden Technologie verändert – haben Sie eine Vision?Mein Plan für WeRobotics ist, in den nächsten drei Jahren acht Flying Labs in acht Regionen der Welt zu errichten. Ein ande-res Ziel ist es, den Flying Labs die gegenseitige Unterstützung und Zusammenarbeit zu ermöglichen. Dabei ist es uns ein

besonders großes Anliegen, die Süd-Süd-Kooperation auszu-bauen. Meine Vision: Die sich durchsetzende Robotertechnik und künstliche Intelligenz werden einen tiefen Wandel in un-serer Welt herbeiführen. Sicherlich wird der Norden der Haupt-akteur in der Ausgestaltung davon sein. Wir sollten also dafür Sorge tragen, dass die digitale Kluft, bei der nur die Reichen Zugang zu digitaler Technik haben, nicht noch größer wird. WeRobotics verfolgt das Ziel, einen demokratischen Zugang zu Robotiklösungen zu gewährleisten.

Dr. Patrick Meier ist Geschäftsführer und Mitgründer der nicht-staatlichen Organisation (NGO) «WeRobotics». Er hat langjährige in-ternationale Erfahrung in der Entwicklungshilfe u. a. in Zusammen-arbeit mit den Vereinten Nationen, der Weltbank und dem Roten Kreuz. Bei der afrikanischen NGO «Ushahidi» und an der Harvard University hat er den Bereich «Crisis Mapping» geleitet. In seinem Buch «Digital Humanitarians» und auf seinem viel besuchten Blog «iRevolutions» erörtert er die möglichen Anwendungen digitaler Technologien für soziale und ökologische Zwecke. Außerdem ist er Mitgründer der Organisation «Digital Humanitarian Network» und Gründer des Vereins «Humanitarian Unmanned Aerial Vehicle Net-work», das den sicheren Einsatz unbemannter Luftfahrzeuge für humanitäre Zwecke fördert. Meier verfügt über einen Doktortitel in Internationale Beziehungen von der Tufts University. Weitere Infor-mationen unter: www.iRevolutions.org und www.werobotics.org

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synpulse26 | Digital Banking

«Open Banking» definiert ein kundenorientiertes Banking-Konzept. Es beinhaltet die Öffnung von Banken sowie die Bereitstellung von Kundendaten gegenüber dritten (Finanz-) Dienstleistern. Operationen auf Bankkonten und mit Bankdaten, einschließlich Finanzdienstleistungen, werden Drittanbietern über öffentlich zugängliche, standardisierte APIs ermöglicht, sofern Kunden zustimmen. Somit können Kundendaten und -dienste sowie zugehörige Funktionalitäten zwischen Banken und Drittanbietern ausgetauscht werden. Dies eröffnet Kunden ganz neue Möglichkeiten wie z.B. direk-ten Zugang zu einer Vielzahl an Finanzdienstleistungen verschiedener Anbieter auf einer einzigen Plattform. Infolge-dessen wird der Wettbewerb auf dem Finanzmarkt zunehmen. Kunden profitieren von mehr Transparenz, Auswahl und Kont-rolle über ihre eigenen Daten.

Die 2018 in Kraft tretende erweiterte EU-Zahlungsdienstleis-tungsrichtlinie (PSD2) schreibt Finanzinstituten vor, Drittan-bietern Zugang zu Kundendaten zu gewähren. PSD2 markiert damit einen ersten regulatorischen Schritt in Richtung Open Banking. Derzeit wird anstelle von APIs eine nicht standardi-sierte Methode («Screen Scraping») verwendet, um Kunden-daten von E-Banking-Plattformen zu extrahieren. Diese

Methode soll mit PSD2 durch standardisierte APIs ersetzt werden, weshalb aktuell mit Screen Scraping operierende Unternehmen ihren technologischen Vorsprung zu verlieren fürchten.

Auswirkungen auf BankkundenMit Open Banking werden Kunden die volle Kontrolle über ihre Daten haben. Sie sind nicht mehr auf das Service-Univer-sum weniger Finanzinstitute beschränkt, sondern können Angebote individuell zusammenstellen. Des Weiteren ermög-licht ein standardisierter Zugang zu Finanzprodukten einen finanzmarktweiten Produktvergleich. Es ist daher zu erwarten, dass sich das Angebot an Finanzdienstleistungen hinsichtlich Inhalt und Preisgestaltung ändern wird. Folgende Szenarien beschreiben mögliche Umsetzungen von Open Banking:

Minimaler Ansatz: Drittanbieter erhalten über APIs Zugriff auf bestehende Kundendaten von Banken, können ihre Dienste jedoch nicht in diese integrieren.

Maximaler Ansatz: Die Integration verschiedener Services (z.B. E-Banking) und Funktionalitäten (z.B. Geldtransfer) wird in einer einzigen Frontplattform umgesetzt.

Wie Open Banking das Bankwesen revolutionieren wird

Open Banking führt künftig zu völlig neuen Formen von Kundenbeziehungen und ermöglicht die Einbeziehung digitaler Produkte von Drittanbietern. Offensichtliche Gewinner sind Kunden und FinTechs – wie können auch Banken davon profitieren?

Autoren: Dr. Sebastian Heuser | Dr. Simon Alioth

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synpulse Digital Banking | 27

Wie in 1 dargestellt, sollte die genaue Konfiguration des Frontends, das eine Vielzahl von Konten, Funktionen und Diensten einbezieht, für jeden Kunden individuell anpassbar gestaltet werden. Ziel sollte eine sichere, komfortable und transparente Abwicklung einzelner Services auf der Benutzer-oberfläche sein. Für Kunden von mehr als einem (Finanz-) Dienstleister könnte das Frontend wie folgt aussehen:

konsolidierte Sicht und Kontrolle auf und über alle Bank-konten und damit verbundene Funktionalitäten

Online-Zahlungen je Bankkonto/Kreditkarte

Access Management von Drittanbietern (z. B. E-Commerce)

externe Handelsplattformen (E-Trading)

personalisiertes Finanzmanagement & personalisierte Finanzberatung

Verwaltung der Krypto-Geldbörse

ganzheitliches Kreditkartenmanagement

Auswirkungen auf BankenGeschäftlich betrachtet könnten Banken den Zugriff auf Kun-dendaten und Funktionalitäten von Drittanbietern für ihre eigenen Dienste nutzen, um damit ihre Wertschöpfungskette und ihr Angebot zu erweitern. Die Kombination aus bestehen-den, aggregierten Kundendaten und Informationen ermög-licht z. B. ein sehr detailliertes Kundenbild. Damit können innovative und attraktive Kundendienste wie z. B. eine ganz-heitliche Beratung oder kundenspezifische Kreditprodukte angeboten werden. Der Kundenstamm von Banken, die Open Banking als erstes proaktiv umsetzen, könnte damit erweitert und zusätzliche Marktanteile hinzugewonnen werden. Zudem könnten Banken kostenpflichtige Dienste über APIs anbieten (API economy). Eine moderne IT-Architektur ist notwendig, um «Mikro-Diens-te» mithilfe öffentlich zugänglicher APIs verfügbar zu machen. Dies erfordert folgende Maßnahmen und Investitionen:

Die Einführung eines Integrations-Layers erlaubt eine serviceorientierte Architektur und ist Voraussetzung für öffentlich zugängliche, standardisierte APIs. Er vermittelt zwischen Transformation, Routing und Protokoll-Konver-tierung und gewährleistet die Kommunikation zwischen Kernbankensystem und APIs.

1: Vom konventionellen zum Open Banking

Quelle: Synpulse

Präsentations-LayerDrittanbieter-AppsEigene Apps

Integrations-LayerOpen API (öffentlich)Closed API (intern)

EndnutzerKundenFrontmitarbeiter

Kernbankensystem

Konventionelles Banking

Bank-Domain

ClosedAPI

(intern)

OpenAPI

(öfftl.)

Open Banking

Bank 1 Bank 2

Transaktionen Transaktionen

Konten Konten Konten

Bank N

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synpulse28 | Digital Banking

Die Bereitstellung von Daten über APIs kann Datenbanken erheblich auslasten. Daher empfiehlt es sich, eine leis-tungsfähige Datenbank (z. B. NoSQL) für read-only API-Calls zu verwenden. Wenn das Kernbankensystem keine 24/7-Erreichbarkeit garantieren kann, ist eine Front- Datenbank für API-Calls zwingend erforderlich.

Eine API-Management-Plattform oder API-Gateway wird benötigt, um API-Nutzungs-/Leistungsanalysen durchzu-führen, das API-Release-/Lifecycle Management, die API-Zugriffsverwaltungs- und das Abonnenten-Management zu gewährleisten.

Ein API-Entwicklerportal ist erforderlich, um sicherzustel-len, dass Banken sowie Entwickler von Drittanbietern eigene Anwendungen unter Verwendung aktuell verfüg-barer APIs entwickeln und testen können.

Kosten für Einführung und Wartung neuer IT-Architektur.

Die Erweiterung der IT-Architektur ist ein zeit- und kostenin-tensives Unterfangen, hat aber den Vorteil, dass eine zeit- und kostensparende Two-Speed-Architektur eingeführt wird. Somit können Kernbankensysteme ihre klassischen, wasser-fallähnlichen Release-Zyklen beibehalten, während neue Applikationen/APIs agilen Release-Zyklen folgen können.

Strategische Auswirkungen auf BankenDie Öffnung des Finanzmarkts für Drittanbieter hat weitrei-chende Folgen für die strategische Ausrichtung von Banken, da diese nicht mehr ausschließlich in die Rolle eines «Integra-tors», sondern auch in die Rollen eines «Distributors», «Produ-cers» oder einer «Plattform» schlüpfen können ( 2). Sie müs-sen sich daher für eine klare Ausrichtung entscheiden und ihre Positionierung über Alleinstellungsmerkmale sichern. Während Banken derzeit ihre eigenen Produkte als Integrato-ren produzieren und anbieten, handeln Drittanbieter meist als Producer, die Banken ihre Produkte anbieten. Die Situation ändert sich für Banken, sobald Open Banking Realität wird. Sie können sich auch in einer der folgenden Positionen befinden:

2: Strategische Landschaft in einer Welt mit Open Banking

Quelle: Synpulse

Producer

Integrator

Plattform

Distributor

Drittanbieter vertreiben Bankprodukte

Ist-Zustand der meisten Banken

Banken als reine Vermittler

Internet/mobile KanäleKonv

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Drittanbieter

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Produktentwicklung

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synpulse

Digital Banking | 29

Producer: Banken kreieren eigene Produkte und Dienst-leistungen, welche externe Parteien vertreiben.

Distributor: Banken nutzen etablierte digitale Kanäle anderer Banken, um ihr Angebot zu erweitern.

Plattform: Banken wirken als Vermittler zwischen Drittan-bietern und deren Kunden.

Infolgedessen hängen die strategische Ausrichtung und Anpassung an die jeweiligen Rollen stark vom individuellen Geschäftsmodell jeder Bank sowie deren Zielsetzung ab. Banken mit fundiertem Produkt-Know-how und etablierter IT-Infrastruktur könnten die Produktentwicklung z. B. selbst durchführen und das Endprodukt selbstständig oder extern

vertreiben (z. B. kostenpflichtige Angebote von Diensten wie die Risikobewertung von Aktienfonds).Um vom entstehenden Neugeschäft maximal zu profitieren, sollten sich Banken zugleich als Integrator, Producer und Distributor positionieren. So bleiben sie flexibel in einem zunehmend volatilen Finanzmarkt und können ihre B2B- und B2C-Unternehmungen durch neue Produktions- und Ver-triebskanäle stimulieren. Die Rolle einer reinen Plattform ist problematisch, da Banken dadurch zu einem rein passiven Marktteilnehmer werden und somit einige ihrer Kompetenzen schwächen oder sogar verlieren würden. Es wird für Geldinsti-tute unerlässlich sein, Open Banking proaktiv und zügig umzusetzen, um den bevorstehenden Wandel in der Finanz-industrie nachhaltig zu meistern und dadurch entstehende Möglichkeiten optimal auszunutzen.

Dr. Sebastian [email protected]

Dr. Simon Alioth Associate Partner [email protected]

Autoren

Application programming interfaces (APIs) Jede API ist eine Schnittstelle, aber nicht jede Schnittstelle ist eine API. APIs sind ein spezifischer Software-Architektur-Ansatz, der einerseits Schnittstellen skalierbar, wiederverwendbar und sicher gestalten, andererseits eine einfache Bedienung für E ntwickler durch Selbstbedienung gewährleisten will. Daher versprechen APIs, die Kosten und Vorlaufzeit der Schnitt-

stellen zwischen den Systemen zu reduzieren, was schnellere, günstigere und bessere Innovationen in größerem Maßstab ermöglicht. Öffentliche APIs (open APIs; offen zugängliche Pro-grammierschnittstellen) bieten Entwicklern Zugriff auf eine proprietäre Softwareanwendung oder einen Webdienst. APIs unterliegen Anforderungen, die bestimmen, wie Anwendungen miteinander kommunizieren und interagieren sollen.

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Die Höhe der Prämie in der Schweizer «obligatorischen Krankenpflegeversicherung» (OKP) basiert maßgeblich auf einer Prognose der zu erwartenden Leistungskosten eines Krankenversicherers. Es gilt ein allgemeiner Aufnahmezwang unabhängig von Risikofaktoren wie beispielsweise Alter oder Geschlecht, das heißt Versicherer müssen Antragsteller unab-hängig von ihrem Gesundheitszustand oder anderen Faktoren in die Grundversicherung aufnehmen. Die Rahmenbedingun-gen haben in der Vergangenheit für die Versicherer jedoch An-reize gesetzt, möglichst gesunde Personen zu versichern, um so ihre Leistungskosten soweit es geht zu verringern und damit wiederum eine immer bessere Prämienposition zu erreichen. Der Risikoausgleich wurde geschaffen, um dieser Risiko- selektion entgegenzuwirken: Krankenversicherer mit einer guten Risikostruktur ihrer Versicherten sollen Ausgleichs- zahlungen an Versicherer mit einer schlechten Risikostruktur leisten. Die Risikoausgleichszahlungen werden mit den Leistungskosten verrechnet und wirken sich dementspre-chend auf die Prämien der einzelnen Versicherer aus. Dies

führt insgesamt zu einer Annährung der Prämienhöhen zwi-schen den Versicherern.

Mechanismus des RisikoausgleichsDie Risikoausgleichsberechnung erfolgt jeweils auf kantona-ler Ebene. Es werden pro Kanton 60 Risikogruppen entlang der Morbiditätsindikatoren «Alter» (15 Altersgruppen, ausge-nommen Kinder und Jugendliche), «Geschlecht» (männlich/weiblich) und «Spitalaufenthalt» ( ja/nein) gebildet. Ein Versi-cherter wird der Gruppe «Spitalaufenthalt» zugeordnet, wenn er für mindestens drei aufeinanderfolgende Tage stationär in einem Spital oder Pflegeheim behandelt wurde. Die Versicherer liefern für jede dieser Risikogruppen die sum-mierten Kosten nach Abzug der Kostenbeteiligungen, d.h. die Nettoleistungskosten sowie die Gesamtzahl der Versiche-rungsmonate, an die «Gemeinsame Einrichtung KVG»1. Die Kalkulation des Risikoausgleichs für das Jahr X erfolgt im März des Folgejahres, womit sichergestellt werden soll, dass mög-lichst alle Leistungen aus dem Vorjahr erfasst sind. Die Höhe

Der Risikoausgleich 2020 und die Folgen für Schweizer Krankenversicherer

Im Zuge des Risikoausgleichs 2020 wird erstmals der Indikator «Pharmazeutische Kostengruppe» in die Berechnung aufgenommen. Unterschiede in der Versichertenstruktur der einzelnen Kassen sollen damit noch besser ausgeglichen werden. Welche Auswirkungen und Chancen ergeben sich hierdurch für die Krankenversicherer?

Autoren: Dr. Andreas Wicht | Johannes Baltruschat

1 Gemeinsame Stiftung aller Schweizer Krankenversicherer

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2 Das Schweizer Bundesamt für Gesundheit nimmt in die Spezialitätenliste (SL) nur von Swissmedic (Schweizerische Zulassungs- und Aufsichtsbe-hörde für Heilmittel) zugelassene Arzneimittel auf. Sie müssen wirksam, zweckmäßig und wirtschaftlich sein. Krankenkassen vergüten im Rahmen der OKP nur Arzneimittel, die von einem Arzt verschrieben wurden und die auf der SL aufgeführt sind.

der Risikoabgaben und Ausgleichsbeiträge für die einzelnen Risikogruppen wird auf Basis der durchschnittlichen Leis-tungskosten je Risikogruppe, die im Jahr X-1 angefallen sind, errechnet. Um eventuell eintretende Portfolioänderungen in den einzelnen Risikogruppen im Jahr X miteinzuberechnen, werden die durchschnittlichen Leistungskosten mit den Versi-cherungsmonaten im Jahr X in jeder Risikogruppe multipli-ziert. Die dadurch errechneten erwarteten Gesamtnettoleis-tungskosten je Risikoklasse werden über alle Risikoklassen addiert und durch die Summe aller Versicherungsmonate divi-diert. Daraus ergeben sich die erwarteten durchschnittlichen Gesamtnettoleistungen des betrachteten Kantons. Diese kön-nen als die erwarteten durchschnittlichen Leistungskosten pro Versicherungsmonat im jeweiligen Kanton interpretiert werden. Dieses Vorgehen verdeutlicht, dass es sich hier um einen Ausgleich des Risikos und nicht um einen direkten Kostenausgleich handelt. Zur Bestimmung der Abgabe- und Beitragssätze werden die durchschnittlichen Gesamtnetto-leistungen je Kanton mit den durchschnittlichen Leistungs-kosten im Jahr X-1 in den einzelnen Risikogruppen verglichen. Liegen die erwarteten Kosten über dem Kantonsdurchschnitt, erhalten die Krankenversicherer für jeden Versicherungsmo-nat in dieser Risikogruppe einen «Beitrag» in der Höhe der Dif-ferenz. Liegen die durchschnittlichen Nettoleistungen hinge-gen unter dem Gesamtdurchschnitt, so zahlt der Krankenversicherer für jeden Versicherungsmonat in dieser Risikogruppe eine «Abgabe» in der Höhe der Differenz.

Neuerungen mit dem Risikoausgleich 2020Die Reduktion der Risikoselektionsanreize durch die Versiche-rer ist Teil des Handlungsfelds «Chancengleichheit» in der Strategie «Gesundheit2020» des Schweizer Bundesrats. Mit der anstehenden Verfeinerung soll der Anreiz zur Risiko-selektion vermindert werden. So will man erreichen, dass der Wettbewerb zwischen den Krankenversicherern hinsichtlich der Qualität der Versicherungsangebote, der Dienstleistungen und der Kostenkontrolle angekurbelt wird. Der Wettbewerb soll damit also dort stattfinden, wo er ursprünglich gewollt war und volkswirtschaftlich sinnvoll ist. Mit Einbezug des Indikators «Pharmazeutische Kostengruppe» (PCG) sollen kostenintensive, ambulant behandelte Versicherte anhand ihres Arzneimittelkonsums identifiziert werden

können und Versicherer mit solchen erhöhten Risiken in ihrem Bestand differenzierter entlastet werden. Bisher wurden Versi-cherer beispielsweise für gesunde 81- bis 85-Jährige ohne Aufenthalt in einem Spital oder Pflegeheim überkompensiert. Für jüngere Versicherte ohne Aufenthalt in einem Spital, aber mit Diabetes, wurden sie hingegen unterkompensiert.

Pharmazeutische KostengruppenMit der Revision des Risikoausgleichs werden 2020 die PCGs eingeführt. Hiermit wird die Idee verfolgt, Versicherte anhand ihres Medikamentenkonsums in medizinisch aussagekräftige Kostengruppen einzuteilen. Geplant sind 24 Kostengruppen, wobei zwischen PCGs mit einer hierarchischen Abhängigkeit und solchen ohne unterschieden wird. Hierarchische PCGs sollen Abhängigkeiten zwischen Erkrankungen abbilden (z. B. erhöhter Cholesterinspiegel und Herzkrankheiten). Eine versi-cherte Person wird in eine PCG eingeteilt, wenn sie im Vorjahr eine bestimmte Mindestanzahl standardisierter Tagesdosen, sogenannte «defined daily doses» (DDD) von Arzneimitteln der «Spezialitätenliste»2 bezogen hat.

Berechnung des PCG-ZuschlagsDie Berechnung des Risikoausgleichs 2020 erfolgt auf Basis von zwei verschiedenen Mechanismen: Die bisherigen Risiko-klassen bleiben weiterhin bestehen. Künftig werden die Versi-cherer aber dazu verpflichtet, neben den aggregierten Daten auf Ebene der Risikogruppe die Leistungsdaten jedes einzel-nen Versicherten in pseudonymisierter Form zu liefern. Mittels einer Regressionsanalyse werden die erwarteten Mehrkosten («PCG-Zuschläge») für die einzelnen PCGs über alle Kantone hinweg berechnet, ohne Berücksichtigung weiterer Risikoin-dikatoren. Die Berechnung der Risikoklassen erfolgt weiterhin auf kantonaler Ebene. Die Versicherer erhalten den Ausgleich für die so ermittelten erwarteten Mehrkosten ihrer Kunden mit erhöhtem Krankheitsrisiko aufgrund des Indikators PCG. Ist eine versicherte Person in mehrere PCGs eingeteilt, unter denen es eine Hierarchisierung gibt, so erhält der Versicherer den Zuschlag nur für die hierarchisch höchste PCG.

Finanzierung der PCG-ZuschlägeDie Finanzierung der PCG-Zuschläge erfolgt durch eine Anpas-sung des bestehenden Risikoausgleichs. Dazu wird der soge-

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nannte modifizierte Gruppendurchschnitt berechnet. Für jede Risikoklasse werden die geschätzten Mehrkosten der PCGs aufsummiert und durch die Summe aller Versicherten inner-halb der Risikoklasse geteilt. Man erhält also die erwarteten durchschnittlichen Mehrkosten für chronisch Kranke inner-halb der Risikoklasse. Dieser Betrag wird von den Ausgleichs-zahlungen der einzelnen Risikoklassen (Berechnung erfolgt nach dem zuvor beschriebenen Schema) abgezogen. Dies ergibt am Ende das bereits bekannte Nullsummenspiel.

Übergangslösung 2017: MedikamentenkostenDie Berechnung der PCG-Zuschläge generiert in Bezug auf die Datenlieferungen an die Gemeinsame Einrichtung KVG einen erheblichen Mehraufwand bei den Versicherern. Ferner sind noch Detailfragen bezüglich der Regressionsdurchführung zu klären. Vor der operativen Einführung sind zudem Probeläufe geplant. Als Übergangslösung wird per 2017 der Indikator «Arzneimittelkosten im Vorjahr» eingeführt. Der neue Indika-tor bezieht sich auf die im Vorjahr angefallenen Medikamen-tenkosten eines Versicherten. Künftig wird es dadurch pro Kanton zwei weitere Risikoklassen neben den bereits beste-henden 60 geben. Versicherte mit Medikamentenkosten über CHF 5‘000 im Vorjahr bilden eine neue Risikogruppe. Hierbei wird noch zwischen Versicherten mit und Versicherten ohne «Spitalaufenthalt» unterschieden. Eine weitere Unterteilung nach Alter oder Geschlecht erfolgt nicht, da die Anzahl der Versicherten in einigen Kantonen zu gering ist, um statistisch

valide Aussagen über die erwarteten Kosten treffen zu können. Für Versicherte, welche Medikamentenkosten unter CHF 5‘000 verzeichnen, erfolgt die Einteilung in die einzelnen Risikoklas-sen nach dem bereits bekannten Schema. Die Berechnung der Ausgleichszahlungen ist ebenfalls identisch.

Neue Möglichkeiten für VersichererDer Risikoausgleich 2020 wird dazu führen, dass bisher nicht erfasste Risiken differenzierter ausgeglichen werden. Darun-ter fallen die Risiken der chronischen Erkrankungen, welche vorwiegend Leistungskosten im ambulanten Bereich verursa-chen. Versicherer, die überdurchschnittlich viele dieser Risi-ken im Bestand verzeichnen, werden wohl von der Revision maßgeblich profitieren. Im Umkehrschluss müssen Versiche-rer mit einem unterdurchschnittlichen Anteil chronisch Kran-ker gemäß PCG mit höheren Abgaben an den Risikoausgleich rechnen. Betrachten wir einen einzelnen chronisch kranken Versicherten im Bestand, so kann aus diesem bisher «schlech-ten» Risiko ein «gutes» werden, da es durch den Risikoaus-gleich erfasst und ausgeglichen wird. Es liegt auf der Hand, den Blick nun auf das Kostenmanagement dieser chronischen Erkrankungen zu richten. Gelingt dem Versicherer für PCG-Krankheitsbilder im Vergleich zum Wettbewerb ein besseres Kostenmanagement, so profitiert er umso mehr vom Risiko-ausgleich 2020. Versicherer können durch ein neu ausgerichtetes Underwri-ting und mit Innovationen auf Produkt- und Dienstleistungs-

1: Chancen für Krankenversicherer durch modifizierten Risikoausgleich

Quelle: Synpulse

Produkte & Dienstleistungen SteuerungsmöglichkeitenVersicherbarkeit

Eine Aufnahme in ein VVG-Produkt könnte an verpflichtende VVG-Zu-satzprodukte gekoppelt werden (Beispiel: spezielles Produktpaket für Diabetiker).

Kunden, welche bisher in VVG-Produkten vorwiegend aufgrund ihres Kostenrisikos in der OKP abgelehnt wurden, könnten neu in VVG-Produkte aufgenommen werden.

Der Versicherer kann im Rahmen der Zusatzprodukte steuernd auf Behandlungsprozesse einwirken, z. B. über Disease Management oder Kooperationen mit Leis-tungserbringern.

Erhöhung des Deckungsbeitrags durch höhere Annahmequoten und «bessere» Risiken Gleichzeitig höhere Effizienz in der Versorgung chronisch Kranker Wettbewerbsvorteile durch Produkt- und Dienstleistungsangebot Kostenvorteile gegenüber dem Wettbewerb

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seite im Zusatzversicherungsgeschäft, gemäß Versicherungs-vertragsgesetz (VVG), eine höhere Versicherbarkeit sowie Kostenvorteile erzielen. Durch eine gesamtheitliche Risikobe-trachtung über die obligatorische Krankenpflegeversicherung (OKP) und das VVG hinweg kann die Abschlussquote erhöht werden. So wäre zum Beispiel denkbar, dass Kunden, die bis-her aufgrund ihres Kostenrisikos in der OKP in VVG-Zusatzpro-dukten abgelehnt wurden, in bestimmten Fällen künftig auf-genommen werden können. Darüber hinaus wäre vorstellbar, für bestimmte PCGs spezielle VVG-Zusatzprodukte einzu- führen. Diese könnten je nach Konstellation sogar für den Kunden verpflichtend sein, wenn er eine Zusatzversicherung abschließen möchte. Diese Zusatzprodukte würden dem Versicherten ein für sein Krankheitsbild ausgerichtetes Leis-tungspaket anbieten, z.B. einen schnelleren Zugang zu Fach-spezialisten. Damit würde dem Versicherer ein Instrument zur Verfügung stehen, seine Versicherten effizient durch den Behandlungsweg über verschiedene Leistungserbringer hin-weg zu begleiten und zu steuern. Durch besondere Kooperati-onen mit Leistungserbringern könnten außerdem vorteilhafte Konditionen ausgehandelt werden.

FazitMit der Revision 2020 erfährt der Risikoausgleich eine notwen-dige Verfeinerung, um nicht gewollte Risikoselektionsanreize zu eliminieren. Die Kostenrisiken für chronische Erkrankungen werden mit dem neuen Mechanismus gezielt berücksichtigt und damit differenzierter ausgeglichen. Versicherer, die über-durchschnittlich viele chronisch Kranke im Bestand haben, werden von der Revision maßgeblich profitieren. Versicherer mit einem unterdurchschnittlichen Anteil an chronisch Kran-ken müssen damit rechnen, höhere Abgaben an den Risiko-ausgleich leisten zu müssen. In der Folge ist ein verstärkter Wettbewerb zu erwarten. Insbesondere in den vom Regulator anvisierten Bereichen, nämlich bei der Qualität der Versiche-rungsangebote und Dienstleistungen sowie der Kostenkont-rolle, kann man damit rechnen. Versicherer können dies gezielt nutzen, indem sie ihr Underwriting im VVG sowie ihr Produkt- und Dienstleistungsangebot auf die neuen Rahmen-bedingen ausrichten.

Dr. Andreas [email protected]

Johannes [email protected]

Autoren

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synpulse34 | Digital Banking

Auf regulatorischer Seite sorgen vor allem das Inkrafttreten der Finanzmarktrichtlinie MiFID II im Januar 2018 und der Wegfall der Einnahmequelle durch Retrozessionszahlungen dafür, dass Banken umdenken und neue Angebotsstrukturen entwickeln müssen. Bereits Anfang 2018 werden Finanz-institute gezwungen sein, die Transparenz für Dienst leistungen erheblich zu erhöhen.

Als Folge erkennt der Kunde viel einfacher, welche Kosten er für die diversen Dienstleistungen der Bank bezahlt, die er unter Umständen nur teilweise oder gar nicht bezieht. Banken sind dann auch gefordert offen zu legen, für welche Finanzins-trumente sie Retrozessionen (Provisionen oder Vermittlungs-gebühren) vom Produktanbieter erhalten. Diese bisher lukrative Einnahmequelle wird somit zukünftig für die Banken stark eingeschränkt. Hinzu kommt ein steigender Konkurrenz-druck, der beispielsweise vonseiten international tätiger Vermögensverwalter zu spüren ist, die ihr Angebot für Privat-kunden in den vergangenen Jahren wesentlich überarbeitet und zum Beispiel bereits gestaffelte Dienstleistungs- und Produktangebote sowie eine explizite Beratungsgebühr einge-führt haben.

UmsetzungDas Vorgehen, dem Kunden eine fixe Grundgebühr zu verrech-nen und die zusätzlichen Kosten abhängig vom Umfang der bezogenen Leistungen zu gestalten, hat vor einigen Jahren den Markt der Mobiltelefon-Abonnements revolutioniert. Während der Kunde im Vergleich zu früheren nun Standard-services wie Telefonie und mobile Daten im Rahmen des Stan-dardpakets erhält, kauft er zusätzliche Produkte (z. B. Aus-landsgespräche) zu einem transparenten und im Voraus festgelegten Preis.

Neue Angebotsmodelle im Wealth ManagementBei den neuen Angebotsmodellen im Wealth Management wird ein ähnlicher Ansatz verwendet. Der Kunde wählt aus einem Angebot verschieden zusammengestellter Pakete die für ihn passende Kombination zu einem transparenten Preis. Bei der Neugestaltung der Angebotsstrukturierung geht es zunächst folglich darum, Pakete verschiedener Abstufungen beziehungsweise Servicekombinationen zu erarbeiten. So sollen die unterschiedlichen Bedürfnisse der Kunden abge-deckt werden. Da die Banken von der Eidgenössischen Finanz-marktaufsicht (FINMA) dazu angehalten wurden, einen Mini-

Vom traditionellen Advisory-Geschäft zum strukturierten Angebotsmodell

Neue regulatorische Anforderungen, mangelnde Attraktivität bisheriger Angebote und steigen-der Konkurrenzdruck machen eine Neustrukturierung im Advisory-Geschäft von Privatbanken notwendig. Viele haben ihr Beratungs- und Dienstleistungsangebot bereits überarbeitet oder sind gerade dabei. Doch wie gelingt eine moderne Angebotsstrukturierung?

Autoren: Dr. Marc Mallepell | Andrea L. Solèr

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malservice ohne Beratungskomponenten zur Verfügung zu stellen, bildet ein reiner Ausführungsservice (Kontoführung und Ausführung von Börsenaufträgen), auch «Execution only» genannt, die günstigste Option. Da Banken aber durch Bera-tungsdienstleistungen höhere Erträge erwirtschaften können, werden «Execution only»-Pakete meist nur als Abrundung des Gesamtservices angeboten und nicht aktiv beworben. Bei der Beratungskomponente gibt es zwei grundsätzliche Dimensio-nen: Anlage- und Vermögensverwaltung. Bei der Anlagebera-tung trifft der Kunde den Investitionsentscheid selbst. Er kann aber bei Bedarf auf einen Spezialisten der Bank zurückgreifen. Bei der Vermögensverwaltung (auch: «Discretionary Portfolio Management») hingegen, überlässt er die Portfolioverwaltung vollständig der Bank. Diese trifft, basierend auf der mit dem Kunden im Vorfeld ausgemachten Investitionsstrategie, Kauf- und Verkaufsentscheidungen eigenhändig und informiert ihn nur periodisch über den Wertzuwachs/-verlust.

Gestaltung der Pakete in der AnlageberatungUm die neuen Pakete zu definieren, hat sich eine Beispiel-Bank u.a. folgende Fragen gestellt: Welche Services pro Paket sollen enthalten sein, damit unterschiedliche Preisstufen defi-niert werden können und der Kunde auch bereit ist, die Kosten

für den Mehrwert des nächsthöheren Pakets zu bezahlen? Welche Kanäle sollen zur Verfügung gestellt werden (z. B. Ser-vices via E-Banking), welche zusätzlichen Informationen (z. B. Liste der Investitionsempfehlungen), um den Beratungspro-zess zu unterstützen? Aufgrund eines weiteren regulatorischen Treibers, das Advisory- und Non-Advisory-Geschäft voneinan-der zu trennen, hat sich die Bank dazu entschieden, das klassi-sche Advisory-Geschäft nicht mehr aktiv anzubieten. Dieses wird durch die Einführung von «Execution only»-Dienstleis-tungen und drei gestaffelten Beratungsangeboten abgelöst. Die Beispiel-Bank definiert folgende drei Angebote (s. 1):

Bronze: Dies ist das Basispaket. Es zeichnet sich durch eine tiefe Einstiegsbarriere bzgl. des einzubringenden Vermögens aus. Der Kunde hat Zugang zum persönlichen Berater und erhält in regelmäßigen Abständen die Einschätzung des Chief Investment Officer sowie die Empfehlungsliste der Bank. Des Weiteren verpflichtet sich die Bank, das Portfolio in einer fest-gelegten Minimalperiode in Bezug auf Standardrestriktionen zu überwachen und den Kunden bei Abweichungen zu infor-mieren. Der Kunde hat die Wahl zwischen zwei Gebührenmo-dellen: einer «Flat-Fee», die neben den Beratungs-, Konto- und Depotgebühren eine unlimitierte Transaktionsanzahl beinhal-

1: Neue Servicepakete der Anlage- und Vermögensberatung

Quelle: Synpulse

Neu Neu Überarbeitet

Ausführlicher PortfolioauszugZugang zur CIO-Sicht

Zugang zur Empfehlungsliste

Überarbeitet Überarbeitet

Unverändert

Unverändert

Servicelevel

Preisgestaltung

Wissenszugang

Interaktionsfrequenz

Individualisierungsgrad

Überwachungsfrequenz

Digitales Advisory-Tool

E-BankingRead only

Trading

Erweiterte Dienstleistungen

Execution only Bronze Silber Gold

Selbstverwaltung Anlageberatung Vermögensverwaltung

★★★★

★★

★★★★★

★★★

★★★

★★★★★★

★( )

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synpulse36 | Digital Banking

tet oder das «Standardgebührenmodell», bei dem diese Kosten getrennt verrechnet werden.

Silber: Dieses Paket ermöglicht den Zugang zu einem Kunden-berater sowie das Zurückgreifen auf das spezifische Know-how eines Investitionsberaters. Das produktspezifische Wissen eines solchen dient dazu, die Qualität der Anlageberatung zu steigern. Zusätzlich erhöht sich die Frequenz der regelmäßi-gen Portfolioüberwachung. Der Kunde kann somit nicht nur zwischen fest vorgegebenen Investitionsstrategien wählen, sondern die gewählte Strategie auch seinen Wünschen anpas-sen. Die Eintrittsbarriere an mitzubringendem Vermögen liegt höher als beim Bronze-Paket, der Kunde kann zwischen zwei Gebührenmodellen (Standard, All-in) wählen.

Gold: Dies ist für Kunden interessant, die eine intensive, indi-viduelle Beratung rund um die Uhr verlangen. Neben einer umfangreichen Betreuung (z. B. monatliches Beratungsge-spräch, tägliche Überwachung des Portfolios etc.), erhält der Kunde Zugang zu maßgeschneiderten Produktspezialisten (z.B. für eine spezifische Anlageklasse). Allerdings ist das Gold-Paket auch das teuerste. Die Eintrittsbarriere an mitzubrin-gendem Vermögen ist hier am höchsten.

Um die Transparenz der Gebührenstruktur der neuen Produk-te zu erhöhen und die Auswahl eines passenden Pakets zu erleichtern, führt die Bank ein Preis-Tool ein, das ihr ermög-licht, die bisherigen Gebühren, basierend auf ihrer Vermö-gens- und Transaktionshistorie, mit den in den neuen Paketen anfallenden Kosten zu vergleichen. Bei der Umsetzung müs-sen infolge alle zusätzlichen Dimensionen berücksichtigt wer-den, d. h. die Anpassung der Verträge, der Prozesse, die Abbil-dung der Anforderungen in den IT-Systemen sowie die Einführung bzw. Nutzung digitaler Kanäle.

Wie werden die neuen Pakete in den Verträgen abgebildet?Bei der Erarbeitung von neuen Verträgen müssen folgende zentrale Fragen vorab geklärt werden:

Ist das Ziel der Bank, ihre Kunden zu einem Wechsel zu den neuen Paketen zu zwingen? Wie wird mit Kunden umgegangen, die Produktkomponenten besitzen, welche in Zukunft nicht mehr angeboten werden?

Sollen die neuen Services auch den bestehenden Kunden auf Anfrage zur Verfügung stehen oder nur, wenn sie auch zu den neuen Paketen wechseln?

Welche Dienstleistungen (und Frequenz) will die Bank mit dem Kunden vertraglich festhalten?

Die Beispiel-Bank muss sich also entscheiden, ob die neuen Services dem Kunden ab dem Zeitpunkt der Einführung der neuen Produkte ohne Unterzeichnung der neuen Verträge und ohne zusätzliche Kosten zur Verfügung stehen. Werden die neuen Services jedoch automatisch angeboten, verliert die Bank wesentliche Anreize für den Kunden, in eines der neuen Vertragswerke oder in ein höher angesiedeltes Paket zu wechseln. Für Kunden, die im traditionellen Anlageberatungs-geschäft investiert waren, können bestehende Portfolios unabhängig von der Einführung der neuen Verträge regelmä-ßig überprüft werden, obwohl keine vertragliche Verpflichtung existiert. Zusätzliche Leistungen, wie zum Beispiel das Verwenden eines Advisory-Tools sowie die Zustellung eines detaillierteren Portfolioreports stehen ihm jedoch nur beim Wechsel zu einem der neuen Pakete zur Verfügung. Die Einfüh-rung neuer Pakete und Dienstleistungen hat automatisch zur Folge, dass die bestehenden Bankprozesse angepasst oder so-gar neue Prozesse eingeführt werden müssen. Es können aus rechtlicher oder Compliance-Sicht zum Beispiel nicht alle neuen Pakete in allen Bankkundendomizilen angeboten werden.

Notwendige KontrollprozesseDie Überwachung der Einhaltung neuer Prozesse, insbeson-dere der eingegangenen Verpflichtungen, bedarf zusätzlicher Kontrollmechanismen. Die Beispiel-Bank muss sicherstellen, dass die Portfolios innerhalb der vereinbarten Zeitabstände überprüft wurden. Außerdem muss der Kunde bei evtl. eintre-tenden Abweichungen von festgelegter zu aktueller Portfolio-struktur rechtzeitig informiert werden.

Abbildung der Anforderungen in den IT-SystemenDie neuen Kosten sowie Kern- und Kontrollprozesse müssen in den IT-Systemen abgebildet werden. Die neue Kostenstruk-tur muss dabei korrekt im IT-System vorhanden sein und bei gegebener Portfolioklassifizierung das dem Produkt entspre-chende, korrekte Kostengitter berücksichtigt werden. Auch die regulatorischen Kontrollsysteme (z. B. Angemessenheits- und Eignungstest) müssen die neuen Produkte fehlerfrei inte-grieren und die Reports – falls notwendig – erweitert werden. Das System wird z. B. dahingehend angepasst, dass der Kun-denberater während der vertraglich festgelegten Periode (abhängig vom gewählten Produkttyp) darauf hingewiesen wird, welche Dienstleistungen er gegenüber dem Kunden zu

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erfüllen hat. Die regelmäßige Überprüfung der mit dem Kun-den vereinbarten Restriktionen muss integriert werden.

Aktive Nutzung von digitalen KanälenEin weiterer zentraler Punkt ist die Evaluation der verschiede-nen Kanäle (z. B. ein digitales Advisory-Tool), die Kunden und Berater gleichermaßen zur Verfügung gestellt werden sollen. Somit ist der Berater in der Lage, mithilfe von Simulationen, mögliche Investitionsstrategien und damit Portfoliozusam-mensetzungen mit dem Kunden zu besprechen. Falls eine pas-sende Änderung gefunden wird, kann noch während des Gesprächs die Portfolioumschichtung angestoßen und mittels einer Schnittstelle dem Kernbankensystem zur Ausführung weitergeleitet werden. Das Tool bietet auch die Möglichkeit, die mit dem Kunden ausgemachten Portfoliorestriktionen (z. B. max. 20% des Portfoliogewichts soll in «Equity»-Produkte investiert sein) so aufzusetzen, dass der Berater bei Verletzung darauf hingewiesen wird und entsprechend reagieren kann. Die E-Banking-Plattform wird ebenfalls aktualisiert und erwei-tert. Einerseits möchte man den «Execution only»- Kunden die Möglichkeit geben, selbst Wertpapiere zu handeln; anderer-seits sollen Bronze-, Silber- und Gold-Kunden im E-Banking

integrierte Dienstleistungen (z. B. Marktnews, Portfolioanaly-sen, Investitionsempfehlungen) angeboten werden.

Fazit und AusblickMit Abkehr von den alten Advisory-Produkten und Einführung neuer, gestaffelter Produkte, findet ein deutlicher Wandel statt. Durch die hohe Kostentransparenz steht der Kunde noch stärker im Zentrum und die Bank ist daran interessiert, ihm das Produkt zu empfehlen, welches sich für seine Bedürfnisse hinsichtlich des Dienstleistungsumfangs am besten eignet. Ein solcher Wandel kann nur erfolgreich sein, wenn alle Mitar-beiter gewillt sind, diese Denkweise nachzuvollziehen und an den Erfolg der neuen Produkte glauben. Entscheidender Erfolgsfaktor während der Neustrukturierung ist deshalb die Wirkung des Change-Managements. Bei einer solchen Umstel-lung müssen auch alle Mitarbeiter an der Front intensiv geschult werden und verschiedene Leistungsträger ( Teamleiter, Schlüsselpersonen, etc.) hinzugezogen werden. Eine intensive interne Marketingkampagne unterstützt dies. Der Erfolg ähnli-cher Angebote bei großen Banken der Schweiz zeigt, dass ein Wandel im Advisory-Business der richtige Weg ist.

Andrea L. Solèr Associate [email protected]

Dr. Marc [email protected]

Autoren

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synpulse38 | Digital Transformation

Das Thema Blockchain ist inzwischen fast omnipräsent. Diverse Großunternehmen verschiedenster Branchen lancie-ren derzeit Kompetenzzentren und arbeiten unter Hochdruck an Prototypen. Auf Konferenzen mehren sich die Beiträge zum Thema Blockchain und einschlägig investiertes Venture Capi-tal steigt exponentiell an. Besonders eindrücklich veran-schaulicht wird das imposante Wachstum durch die Betrach-tung der Marktkapitalisierung aller blockchainbasierten Assets ( 1). Während dieser Wert Ende 2015 noch bei etwa USD 7 Milliarden lag, stieg er in den folgenden zwölf Monaten auf USD 18 Milliarden an. In den ersten acht Monaten des Jahres 2017 wuchs die Marktkapitalisierung sogar um das siebenfache und erreichte damit einen Wert von über USD 140 Milliarden. Im Zusammenhang mit dieser Technologie werden auch immer wieder «Smart Contracts» erwähnt – also Verträ-ge, die als Software auf einer Blockchain realisiert sind.

Blockchain-Technologie als Grundlage Die Blockchain-Technologie ist die Basis für die Realisierung von Smart Contracts. Eine Blockchain ist eine sequenziell strukturierte Datenbank, die durch bestimmte Konsensregeln besichert wird. Eine einfache Konsensregel wäre beispiels-

weise, dass eine bestimmte Partei immer über den aktuellen Zustand der Datenbank entscheiden darf. Dies würde einem zentralisierten System gleichkommen und dem Status Quo vieler Datenbanksysteme entsprechen. Deutlich interessanter sind Konsensalgorithmen, welche die dezentrale Führung einer Datenbank zulassen – also die gemeinsame Bearbeitung der Datenbank durch mehrere Teilnehmer, wobei jeder Teil-nehmer die Datenbank (unter Einhaltung genauer Regeln) ver-ändern kann. Bitcoin und Ethereum sind die beiden populärs-ten Implementierungen solcher öffentlichen Blockchains. Gemeinsam dominieren sie den Markt mit rund zwei Dritteln der gesamten Kryptoasset-Marktkapitalisierung. Beide Syste-me nutzen den «Proof-of-Work»-Konsensalgorithmus, d. h. sie werden durch die Allokation von Rechenleistung zahlreicher Akteure verwaltet und besichert. Jeder Teilnehmer kann dabei validieren, dass der Zustand der Datenbank legitim ist und überprüfen, dass sämtliche Änderungen unter Berücksichti-gung des Regelsets zustande gekommen sind.

Die Regeln legen insbesondere fest, unter welchen Bedingun-gen ein bestimmtes Asset den Eigentümer wechseln bezie-hungsweise eine entsprechende Transaktion verarbeitet wer-

Smart Contracts – eine missverstandene Technologie mit hohem Potenzial

Smart Contracts bieten unglaubliche Möglichkeiten. Sie haben das Potenzial, verschiedene Branchen von Grund auf zu verändern – darunter auch die Finanzindustrie. Die Technologie wird aber oft missverstanden und meist nicht in jenen Bereichen eingesetzt, in denen sie die größten Vorteile bringen könnte.

Autoren: Fabian Schär | Dr. Dominik Langer

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den kann. Möchte man beispielsweise ein bestimmtes Asset an eine andere Person übertragen, so muss zuerst der krypto-grafische Nachweis erbracht werden, dass über das entspre-chende Guthaben verfügt werden darf.

Smart Contracts als softwarebasierte VerträgeDie oben genannten Regeln, welche die Auszahlungsbedin-gungen eines Assets festlegen, können fast beliebig komplex aufgesetzt werden und entsprechen einfachen, softwareba-sierten Verträgen; sogenannten Smart Contracts.

Bereits der Name «Smart Contract» ist jedoch irreführend. Das Konstrukt müsste korrekterweise eher als blockchainbesi-cherter oder selbstvollziehender Vertrag bezeichnet werden1. Intelligenz impliziert eine gewisse Anpassungsfähigkeit und Flexibilität. Dabei liegt die Stärke von Smart Contracts genau in der gegenteiligen Anwendung, nämlich in der objektiven Auswertung vorbestimmter Kriterien und der Garantie, sich exakt gemäß der ursprünglichen Spezifikation zu verhalten. Die Abwicklung des Vertrags erfolgt automatisiert anhand präziser Regeln, auf die sich die beiden Parteien ex ante geeinigt haben. Tritt ein bestimmtes Ereignis ein, wird der Ver-

trag genauso ausgeführt, wie dies zuvor durch die beteiligten Parteien definiert und festgehalten wurde.

Ein Kreditverhältnis kann beispielsweise so über einen Smart Contract abgebildet werden, dass die Sicherheit abhängig von einer Zahlung automatisch an den Schuldner oder aber den Gläubiger transferiert wird. Es können Verträge aufgesetzt werden, die garantieren, dass mehrere Transaktionen exakt gleichzeitig verarbeitet werden. Auch sogenannte Zahlungs-kanäle, durch welche blockchainbesicherte Mikrotransaktio-nen möglich werden, entstehen aus Smart Contracts. Es kön-nen sogar Gemeinschaftskonten mit Kollektivunterschrift zu zweien (sogenannte Multisig-Bedingungen) nachgestellt wer-den. 2 zeigt im Detail ein weiteres Beispiel, in welchem ein Smart Contract zur sicheren Abwicklung einer Online-Bestel-lung verwendet wird.

Dezentrale autonome OrganisationenAll diese Beispiele von Smart Contracts können wiederum als Bausteine für größere Verträge gesehen und beliebig mitein-ander verknüpft werden. Aus solchen Verknüpfungen können «dezentrale autonome Organisationen» (DAO) entstehen. Dies

1 Aleksander Berentsen und Fabian Schär (2017). Bitcoin, Blockchain und Kryptoassets: Eine umfassende Einführung. Books on Demand GmbH, Norderstedt

1: Gesamte Marktkapitalisierung aller blockchainbasierten Assets

Quelle: Coinmarketcap.com

160

120

80

40

02014

$ Mrd.

2015 2016 2017

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synpulse40 | Digital Transformation

2: Treuhandkonto für Warenbestellung basierend auf einem Smart Contract

Quelle: Synpulse

sind Firmen ohne Mitarbeiter. Ein solches Konstrukt kann komplett abseits jeglichen menschlichen Einflusses existieren und sich nachweislich an seine ursprünglichen Anweisungen halten. Ein äußerst anschauliches Beispiel einer solchen dezentralen autonomen Organisation ist ein als Smart Con-tract implementiertes dezentrales Casino. Kunden können für einen bestimmten Betrag an einer erwiesenermaßen fairen Lotterie teilnehmen. Gewinnen die Kunden, erhalten sie ihren Einsatz plus Gewinn automatisch auf ihre Wallets ausbezahlt. Verlieren die Kunden hingegen, verbleibt der Einsatz im Besitz der DAO. Die Organisation kann selbstständig Anteilsscheine veräußern, die wiederum nachweislich zum Bezug eines ge-wissen Anteils der Gewinne berechtigen. Es handelt sich also um ein völlig autonomes Konstrukt, das nur auf Basis der anfänglichen Spezifikation existiert. Menschen haben ledig-lich die Rollen der Anteilseigner und jene der Kunden.

Anwendungen in der FinanzindustrieAnalog dazu sind solche Vertragskonstrukte oder dezentrale autonome Organisationen auch in der Finanzindustrie denk-bar. Durch die Angliederung externer Zahlungsversprechen ist es möglich, auf der Blockchain handelbare Werteinheiten zu schaffen (sog. Tokens), die beispielsweise Wertpapiere oder Versicherungspolicen repräsentieren. Diese Tokens können dann wiederum in Smart Contracts eingegliedert werden und interessante Applikationen eröffnen.

Als Entscheidungsgrundlage der Smart Contracts können sämtliche Werte dienen, die auf der jeweiligen Blockchain festgehalten sind. Im Wesentlichen handelt es sich dabei um Transaktionen. Zusätzlich können über den Einsatz von exter-nen Datenprovidern (sog. Orakel), die als Schiedsrichter über den Vertragsausgang entscheiden, auch äußere Umstände als

Szenario A: Reibungsloser Ablauf Szenario B: Transporteur liefert Ware nicht aus

100€ 100€

Lieferung Lieferung

Verkäufer Verkäufer

Transporteur TransporteurSmart Contract Smart Contract

100€

Lieferung

Kunde Kunde

3a

3c

2a 2a

2b 2b

3b4a

113

4a 4b

4b

ε

100€+5€

100€+5€

ε

100€ 100€

100€ 100€

ε

100€ + 5€

1. Der Kunde überweist den Warenwert (EUR 100) und die Trans-portkosten (EUR 5) an den Smart Contract.

2. Der Verkäufer sieht die Einzahlung und übergibt die Ware an den Transporteur (2a), sobald dieser eine Sicherheit in Höhe des Warenwerts an den Smart Contract überwiesen hat (2b).

3. Der Transporteur übergibt die Ware an den Kunden (3a), mit beidseitiger Bestätigung mittels je einer Mikrozahlung (ε) an den Smart Contract (3b, 3c).

4. Die Mikrozahlungen veranlassen den Smart Contract, dem Ver-käufer den Warenwert (4a) und dem Transporteur die Trans-portkosten sowie die hinterlegte Sicherheit (4b) auszuzahlen.

1. Wie bei Szenario A2. Wie bei Szenario A3. Wenn innerhalb einer festgelegten Frist die mit der Ausliefe-

rung verbundenen Mikrozahlungen nicht erfolgt sind, kann der Kunde (oder Verkäufer) durch Überweisung einer Mikrozahlung (ε) eine Rückerstattung auslösen.

4. Der Smart Contract erstattet die Beträge dem Kunden (4a) und dem Verkäufer (4b).

100€+5€

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Entscheidungsgrundlage hinzugezogen werden. Ein Beispiel einer solchen Anwendung wäre die Einbindung von meteoro-logischen Daten über Wetterstationen. Abhängig von einer vordefinierten Niederschlagsmenge über einen bestimmten Zeitraum können so Zahlungen ausgelöst werden, die vertrag-lich an dieses Ereignis gekoppelt sind (sog. parametrische oder ereignisbasierte Versicherungen). Andere Datenquellen wie Finanzdaten oder Sportergebnisse sind denkbar. Grund-sätzlich ist es möglich, alle Daten in einem Smart Contract ein-zubinden, für die mindestens ein entsprechender Datenprovi-der zur Verfügung steht. Im optimalen Fall ist die Datengrundlage weitläufig über mehrere Orakel-Quellen abgestützt, um Abhängigkeiten vermeiden und die Dezentra-lität fördern zu können.

Durch die weltweit stark ansteigende Verbreitung von netz-werkfähigen Geräten und Sensoren erhöht sich auch das Potenzial der Smart Contracts. Die Co-Entwicklung der Block-chain-Technologie mit dem «Internet der Dinge» könnte ferner dazu führen, dass die Orakel wiederum als Smart Contracts aufgesetzt werden und für die Bereitstellung von Daten bzw. für die Auswertung anderer Kontrakte ein gewisses Entgelt einfordern. Alltagsgeräte könnten als Anbieter spezifischer Daten dienen, wobei der Wahrheitsgehalt der Informationen über den Wettbewerb, die Reputation und das Hinzuziehen einer Vielzahl verschiedener Orakel besichert wäre.

Öffentliche versus proprietäre BlockchainsUm ihr volles Potenzial ausschöpfen zu können, sollten die

Verträge auf öffentlichen Blockchain-Implementierungen mit einem dezentralen Konsensprotokoll basiert sein. Oft ist die Angst vor öffentlichen Blockchains spürbar groß. Unterneh-men fürchten sich vor öffentlichen Datenbanken und versu-chen, die Vorteile von Smart Contracts im proprietären Bereich zu nutzen. Dies ist aber in vielen Fällen nicht besonders sinn-voll, da bei einer zentral geführten Datenbank der wohl größte Vorteil der blockchainbesicherten Verträge untergraben wird. In diesem Fall ist nämlich die Unabhängigkeit nicht mehr gegeben und das Konsensprotokoll meist von einigen weni-gen zentralen Teilnehmern beeinflussbar. Die Abwicklung der Verträge könnte folglich durch diese manipuliert werden, was den ursprünglichen Zweck und die Grundidee der Smart Contracts vereitelt.

Hinzu kommt, dass die Angst vor öffentlichen Blockchains oft unbegründet ist. Anwendungen können so entwickelt werden, dass aufgrund der öffentlich verfügbaren Daten nachweislich nicht auf die ursprüngliche Information geschlossen werden kann. Über sogenannte Hashwerte kann beispielsweise selbst dann ein bestimmter Zustand festgehalten und öffentlich beglaubigt werden, wenn die eigentliche Information exklusiv auf privaten Datenbanken verbleibt.

Gleichzeitig bieten öffentliche Blockchains enorme Netzwerk-effekte, die Chance auf neue öffentliche Standards und ein er-probtes Sicherheitskonzept. Diese Eigenschaften machen die Umsetzungen verschiedenster Projekte nicht bloß interessant, sondern ermöglichen bisher ungeahnte Effizienzgewinne.

Dr. Dominik Langer Associate [email protected]

Fabian SchärSenior [email protected]

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ImpressumThe Magazine erscheint 6-mal pro Jahr (drei deutsche und drei englische Ausgaben). Die Artikel sind unter www.synpulse.com abrufbar. Herausgeber: Synpulse Schweiz AG, Zürich | Redaktion: HBS International GmbH, Frankfurt | Realisation: Synpulse Schweiz AG, Zürich | Druck: Neidhart + Schön Print AG | Zuschriften und Anfragen an: Synpulse Schweiz AG, Thurgauerstrasse 32, CH-8050 Zürich, Telefon +41 44 802 2000, Fax +41 44 802 2001, [email protected] | Copyright: Die Vervielfältigung von Artikeln ist mit Zustimmung der Redaktion und mit Quellenangabe gestattet. Beiträge von Gastautoren müssen nicht der Meinung des Herausgebers entsprechen. | Fotos: Shutterstock | Layout/Illustrationen: HBS International GmbH, Frankfurt

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