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Theater Erlangen Programmheft Der Theatermacher

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Programmheft zum Stück "Der Theatermacher" von Thomas Bernhard

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DER THEATERMACHER von Thomas Bernhard

BRUSCON, THEATERMACHER … Thomas MarxFRAU BRUSCON, THEATERMACHERiN … Regine Vergeen

FERRUCCiO, DEREN SOHN … Robert NaumannSARAH, DEREN TOCHTER … Linda Foerster

DER WiRT … Winfried WittkoppERNA, DESSEN TOCHTER … Daniela Schulze

REGiE … Dominik von GuntenBÜHNE UND KOSTÜME … Carolin Mittler

DRAMATURGiE … Katja PrussasLiCHT … Ernst Schießl

REGiEASSiSTENZ/SOUFFLAGE … Florian Götz | REGiEHOSPiTANZ … Corinna Kratzer DRAMATURGiEHOSPiTANZ … Thomas Renner | TECHNiSCHE LEiTUNG … Ernst Schießl

PRODUKTiONSLEiTUNG … Sabine Winkler | BÜHNENMEiSTER … Horst UllmerLEiTUNG BELEUCHTUNG … Ernst Schießl | LEiTUNG TON … Jennifer Weeger

LEiTUNG KOSTÜM … Karin Anders | LEiTUNG REQUiSiTE … Pier Angelo MombelliLEiTUNG MASKE … Brigitte McNaughtan | WERKSTATTLEiTUNG … Barbara HoffmannSTELLVERTRETERiN … Frauke Bornfeld | WERKSTATT … Elisabeth Popp, Patrick Lang,

Jörg Seifert, Harald Stockmeyer | BÜHNENTECHNiK … Daniel Drechsler, Dima Riewe, Antonin Slaby, Helmut Stumvoll, Bernd Wagner, Sebastian Ebert, Axel Hack | BELEUCHTER/iNNEN … Stephanie Borchardt, Franziska Budschigk | TONTECHNiKER … Christoph Panzer | GEWANDMEiSTERiN …

Renate Aurnhammer | SCHNEiDEREi/GARDEROBE … Jelena Graupner, Stefanie Luft REQUiSiTEURiN … Madita Petzold | AZUBiS BÜHNENTECHNiK … Daniela Schulze, Paula Smejc-Biord,

Gunnar Anheuer, Vedran Avramovic

PREMiERE am 17. März 2011 im MarkgrafentheaterAufführungsrechte: Suhrkamp Theater und Medien, Berlin

Aufführungsdauer: ca. 2 h 5 Min., eine Pause

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Bringt mir Schnaps, Ruhm und Liebe

Bringt mir Schnaps, denn ich will vergessen!Vertun will ich heute

alle Geschöpfe in mir und alle Qual, – dazu esse ich Fisch und ein Stück vom Schwein!

Bringt mir Ruhm, dann kann ich mich ruhig töten,bevor meine Seele aufschwillt

und mein stolzes Gehirn sich blähtund alle mich Narren begaffen!

Bringt mir eure Liebe an den Tisch,ich will sie trinken, schwimmend tief im Himmel,

hundert Krüge, tausend Krüge, alle Krüge der Welt, –ersaufen will ich in eurer Liebe.

Thomas Bernhard

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NATURGEMÄSSÜBER EINEN öSTERREIchISchEN NESTBESchMUTzER

ist es ironie des Schicksals, dass Herta Bernhard ihren unehelichen Sohn, der sich zum Schrecken Österreichs mausern sollte, am 9. Februar 1931 im nieder-ländischen Heerlen zur Welt brachte, aus Angst vor übler Nachrede in der Heimat? Aufgewachsen bei den Großeltern im Salzburger Land findet der junge Thomas Bernhard durch seinen Großvater, den Schriftsteller Johannes Freumbichler, früh zur Literatur. Nach ersten Gehversuchen als Journalist und Lyriker, gelingt Bernhard 1963 mit dem Roman FROST der literarische Durch-bruch. Es folgen weitere – zum Teil preisgekrönte – Romane und Erzählungen wie VERSTÖRUNG (1967), HOLZFÄLLEN (1984) und AUSLÖSCHUNG (1986). Der autobiografische Zyklus DiE URSACHE, DER KELLER und DER ATEM (1975–78) dokumentiert zum einen seine Kindheit in einem nationalsozialistisch gepräg-ten internat und zum anderen seine Jugend, die er aufgrund seiner chronischen Lungentuberkulose-Erkrankung in zahlreichen Sanatorien verbrachte. Bereits 1970 zählt Bernhard zu den erfolgreichsten deutschsprachigen Literaten und sein Ruf als düsterer, gleichzeitig provokanter und nicht zu vergessen komischer Autor war gefestigt. im selben Jahr schreibt er sein erstes Theaterstück, EiN FEST FÜR BORiS. Fortan folgt – oft skandalträchtig – alljährlich ein weiteres Stück, u. a. DER iGNORANT UND DER WAHNSiNNiGE (1972), MiNETTi (1977) und HELDENPLATZ (1988).

Sein Stück aus dem Jahre 1984 DER THEATERMACHER ist ein Meister-werk, angesiedelt zwischen hellem Scharfsinn und reinem Blödsinn – vom Erhabenen zum Albernen ist es nur ein kleiner Schritt: Der Staatsschauspieler Bruscon macht mit seinem Familien-Schauspielensemble Station im Gasthaus „Schwarzer Hirsch“ in Utzbach. Hier möchte er seine Menschheitskomödie „Das Rad der Geschichte“ zur Aufführung bringen. Der geborene Theaterma-cher ist im Umgang mit seinen Mitmenschen ein unbarmherziger Tyrann und dies bekommt nicht nur der ortsansässige Wirt, sondern auch seine gesamte Familie zu spüren. Doch der hehren Kunst des Theatermachers sind in Utzbach profane Grenzen gesetzt: Es ist Blutwursttag! Die Komödie vereinigt zum einen die Geschichte einer perfiden Familienbande und zum anderen das Drama des alternden Künstlers. Die unbändige Lust an der Sprache, die kunstvollen, formbewussten und hoch musikalischen Versuche, die Welt zu durchdringen prägen – wie alle anderen Werken – dieses Stück. Elfriede Jelinek (Literatur-nobelpreisträgerin) sagte einmal über Thomas Bernhard: „Er ist das Maß der österreichischen Literatur. Keiner wird je mit ihm mithalten können.“ Als er 1989 starb, schockierte er seine Heimat mit der testamentarischen Verfügung, keines seiner Stücke dürfe für die Dauer des Urheberrechtes im Lande aufgeführt werden und keines seiner Bücher gedruckt werden. Die Rolle des „Nestbe-schmutzers“ und „Hofnarr der Wiener Gesellschaft“, die er zeitlebens so virtuos gespielt hat, war mit seinem Tod nicht beendet.

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FRITTATENSUPPE AM BLUTWURSTTAGThoMAS BERNhARdS kULINARISchES ThEATER

in Thomas Bernhards achtzehn Theatertexten und beinahe in allen Dramoletten ist nicht nur vom Essen, Trinken und/oder Kochen die Rede, sondern Speisen werden aufgetischt, gegessen, ausgespuckt oder schlicht verschmäht. Auch in der Prosa wird die Esskultur verschiedener Gesellschaftsschichten ganz selbst-verständlich mit einbezogen, wobei die Welt der Dorfgasthäuser, und da vorwiegend der oberösterreichischen, oft in den Vordergrund rückt. So auch in DER THEATERMACHER aus dem Jahre 1984. Der Staatschauspieler Bruscon ist nicht nur bezüglich der inszenierung seines „Rad der Geschichte – eine Menschheitskomödie“ sondern auch hinsichtlich seines leiblichen Wohls außerordentlich anspruchsvoll.

An jenem Tag, an dem er mit seiner Truppe im „Schwarzen Hirsch“ Station macht, ist Schlachttag: Blutwursttag, wie der Wirt Bruscon erklärt, da das frische Schweineblut sofort in Würste verarbeitet werden müsse. Trotz der vielen Arbeit, die an einem Schlachttag anfällt, stellt es für die Wirtsleute kein Problem dar, für Bruscon Frittatensuppe zuzubereiten. Diese Suppe bevorzugt der Theatermacher, ja, er bezeichnet sie sogar als seine „Existenzsuppe“. Zwar schätzt Bruscon ebenso die Leberknödelsuppe – wie er dem Wirt erklärt –, doch erscheint sie ihm zu schwer, um nach dem Genuss dieser Suppe noch Theaterspielen zu können. Das mag wohl daran liegen, dass in Oberösterreich die Leberknödel zusätzlich noch gebacken werden. Die Frittatensuppe hinge-gen ist durchaus bekömmlich, sofern die Suppe nicht zu fett ist. Die Frittaten-suppe ist eine ganz wienerische Angelegenheit, die aber ihren Siegeszug selbst in die unengagierteste Wirtshausküche angetreten hat. Das hängt mög-licherweise mit der Einfachheit der Zubereitung zusammen, und sie liegt als Resteverwertung (von Palatschinken) geradezu auf der Hand. Man benötigt Rindsuppe und in feine Streifen geschnittene Palatschinken, die als Einlage kurz vor dem Servieren in die heiße Suppe gegeben werden.

Nach der Vorstellung wünscht sich Bruscon ein opulentes Schauspieler-nachtmahl – so seine Formulierung. Die Wirtsleute bieten ihm zwei typisch oberösterreichische Gerichte an: das gekochte Rindfleisch mit Semmelkren oder Wasserspatzen mit Fleischsalat. Wegen der Schwüle, die an diesem Tag herrscht und die sich in den Abendstunden noch verstärkt, ändert Bruscon seine Meinung hinsichtlich des Nachtmahls. Nach etwas Leichtem ist ihm plötzlich zumute, ein Stück Lungenbraten schwebt ihm vor, dabei wird ihm höchstwahrscheinlich Schweinslungenbraten zubereitet. in Gaspoltshofen habe er nach dem gutbesuchten Theaterabend – immerhin 830 zahlende Gäste waren anwesend – eher schwer gegessen, nämlich Ente. Bruscon ist überzeug-ter Fleischesser, denn er meint, ein wirklich guter Schauspieler müsse Fleisch essen. Seine Frau hingegen ist Vegetarierin, für Bruscon indiz ihrer schauspiele-rischen Untalentiertheit; vielleicht zwingt er sie gerade deshalb, die Rindsuppe aufzuessen … im Oberösterreichischen wird ohnehin wenig ihrem Geschmack Entsprechendes angeboten. Es ist nicht anzunehmen, dass die Wirtin Gemüse

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in originellen, schmackhaften Variationen kocht, wenn überhaupt gibt es vielleicht Kraut, und wenn dann Stöckelkraut. Doch kommt es tatsächlich zu gar keinem Nachtmahl, nicht einmal zu einer Aufführung des „Rads der Geschich-te“, obwohl der Saal bereits mit zahlreich erschienenen Zuschauern besetzt ist. Die geplante Theaterattraktion wird von einer anderen abgelöst: Der Pfarrhof steht in Flammen, die Zuschauer, die Wirtsleute und der Feuerwehrhauptmann stürmen aus dem Tanzsaal hin zum Feuer. Diesmal macht tatsächlich ein Brand dem Theatermacher einen Strich durch die Rechnung.

Österreich ist das „beste Rindsuppenland“, sagt Claus Peymann in CLAUS PEYMANN KAUFT SiCH EiNE HOSE UND GEHT MiT MiR ESSEN. Es gibt freilich zahlreiche Möglichkeiten eine hervorragende Rindsuppe zuzubereiten.

Man benötigt: 4 Stück schöne weiße Rindsknochen ohne Mark2kg Tafelspitz½ kg Beinfleisch (nach Geschmack)1 großes Suppengrün (Petersilienwurzel, Sellerie, Karotte, gelbe Rübe, Lauch)ca. 5 Petersilienstengel1 große gelbe Zwiebel mit Schale1–2 Lorbeerblättereine Handvoll schwarzer Pfefferkörner5 WacholderbeerenSalz, eventuell Eierschalen

Die Suppe darf 2 ½ Stunden gekocht werden, aber nie wallend kochen, sonst wird sie trüb und die Suppe vor dem Servieren durch ein Sieb gießen.

Für 6–8 Palatschinken benötigt man: 3 Eier, Mehl, Milch, 1 Prise Salzgeschmacksneutrales Öl zum Herausbacken

Eier versprudeln und soviel Mehl beigeben, dass man einen dicken Brei (Ach-tung keine Bröckchen!) erhält. Nun soviel Milch beigießen, dass ein dünnflüssi-ger Teig entsteht, wenig salzen. Es empfiehlt sich, den Teig ca. 20 Minuten ruhen zu lassen. in einer guten flachen Pfanne wenig Öl stark erhitzen, mit einem Suppenschöpfer den Teig in die Pfanne rinnen lassen. Rütteln, damit die Palatschinke nicht am Boden kleben bleibt. Höchstens eine Minute backen, dann sofort wenden. Die Palatschinken feinnudelig schneiden. in die heiße Suppe einlegen und mit Schnittlauch bestreuen.

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hABEN dIE LEUT’ kEINEN hUMoR odER WAS?ThoMAS BERNhARd ÜBER SchAUSPIELER UNd hUMoR

Wenn ich ein Geld verdien’, sind’s nur die Stücke, oder wie man’s halt nennen will. ich weiß nicht, ob das Stücke sind, das ist auch wurscht, es ist halt was fürs Theater. Schluß. Und das ist eben für mich ein Spaß und für einen gewissen Schauspieler auch. in dem Moment, wo das nicht einen Spaß macht, macht’s ja niemand. Das ist ja alles simpel und einfach. Es wird niemand gezwungen, irgendwo was aufzuführen oder irgendwas zu lesen, das ist bei all diesen Leuten der freie Wille.

ich glaub’, spielen wollen mich bestimmt die Schauspieler. Also Theaterdirek-toren lehnen das im Grunde ab, weil sie nicht viel damit verdienen, auch keinen Ruhm ernten beim Publikum, was die Stücke betrifft, aber den Schauspielern gilt es halt was. Ja, ich weiß, dass am Burgtheater Schauspieler sind, die diese Sachen im Grunde nicht spielen wollen, weil sie ihnen zu schwierig sind, zu langwierig und außerdem im Hintergrund keine Garantie auf Erfolg von vorn-herein da ist.

Die Schauspieler, die sind so. Die wollen ja, wie beim Zauner, köstliche Sachen servieren und sich des Preises sicher sein, den sie kriegen. Und das steht schon auf der Speisekarte drauf, was sie dafür kriegen. Bei mir servieren sie Dinge, und sie kriegen eigentlich nichts.

Verglichen mit dem Wirthaustheater auf dem Land, sei das Theater in allen Städten allabendlich die inszenierung eines vorgeschichtlichen Leichnams … auf allen Bühnen (auch auf dem Burgtheater, dem inbegriff von Provinz!) herrsche das Königreich des Dilettantismus. Wo Dummheit und Hochmut zusammen den Vorhang aufmachen, sei das Theater tot und auf der Bühne ein fauler Witz. Aus der Bühnenöffnung käme nichts als der üble Mundgeruch des Bürokratismus.

Aber ich weiß nicht, haben die Leut’ keinen Humor oder was? ich weiß es nicht. Mich hat’s immer zum Lachen gebracht, bringt mich auch heut’ noch. Wenn mir fad’ ist oder es ist irgendwie eine tragische Periode, schlag’ ich ein eigenes Buch von mir auf, das bringt mich noch am ehesten zum Lachen.

Das Scherzmaterial ist ja immer da, wo’s nötig ist, wo ein Mangel ist, irgendeine geistige oder körperliche Verkrüppelung. Über einen Spaßmacher, der völlig normal ist, lacht ja kein Mensch, nicht, sondern der muß hinken und einäugig sein oder jeden dritten Schritt hinfallen oder (lacht) sein Arsch explodiert und schiaßt a Kerz’n heraus oder was. Darüber lachen die Leut’, immer über Mängel und über fürchterliche Gebrechen. Über was anderes hat ja noch nie jemand gelacht, nicht?

Thomas Bernhard

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MEINE ÜBERTREIBUNGSkUNST dAS GEhEIMNIS dES GRoSSEN kUNSTWERkS IST dIE ÜBERTREIBUNG

Wir steigern uns oft in eine Übertreibung derartig hinein, habe ich zu Gambetti später gesagt, daß wir diese Übertreibung dann für die einzige folgerichtige Tatsache halten und die eigentliche Tatsache gar nicht mehr wahrnehmen, nur die maßlos in die Höhe getriebene Übertreibung. Mit diesem Übertreibungs-fanatismus habe ich mich schon immer befriedigt, habe ich zu Gambetti gesagt. Es ist manchmal die einzige Möglichkeit, wenn ich diesen Übertreibungsfana-tismus nämlich zur Übertreibungskunst gemacht habe, mich aus der Armselig-keit meiner Verfassung zu retten, aus meinem Geistesüberdruß, habe ich zu Gambetti gesagt. Meine Übertreibungskunst habe ich so weit geschult, dass ich mich ohne weiteres den größten Übertreibungskünstler, der mir bekannt ist, nennen kann. ich kenne keinen anderen. Kein Mensch hat seine Übertreibungs-kunst jemals so auf die Spitze getrieben, habe ich zu Gambetti gesagt und darauf, daß ich, wenn man mich kurzerhand einmal fragen wollte, was ich denn eigentlich und insgeheim sei, doch darauf nur antworten könne, der größte Übertreibungskünstler, der mir bekannt ist. Darauf ist Gambetti wieder in sein Gambettilachen ausgebrochen und hat mich mit seinem Gambettilachen angesteckt, so lachten wir beide auf dem Pincio an diesem Nachmittag, wie wir noch niemals vorher gelacht hatten. Aber auch dieser Satz ist natürlich wieder eine Übertreibung, denke ich jetzt, während ich ihn aufschreibe, und Kenn-zeichen meiner Übertreibungskunst. Damals habe ich zu Gambetti gesagt, daß die Kunst der Übertreibung eine Kunst der Überbrückung sei, der Existenz-überbrückung in meinem Sinn, habe ich zu Gambetti gesagt. Durch Übertrei-bung, schließlich durch Übertreibungskunst, die Existenz auszuhalten, habe ich zu Gambetti gesagt, sie zu ermöglichen. Je älter ich werde, desto mehr flüchte ich in meine Übertreibungskunst. Die großen Existenzüberbrücker sind immer große Übertreibungskünstler gewesen, ganz gleich, was sie gewesen sind, geschaffen haben, Gambetti, sie waren es schließlich doch nur durch ihre Über-treibungskunst. Der Maler, der nicht übertreibt, ist ein schlechter Maler, der Musiker, der nicht übertreibt, ist ein schlechter Musiker, sagte ich zu Gambetti, wie der Schriftsteller, der nicht übertreibt, ein schlechter Schriftsteller ist, wobei es ja auch vorkommen kann, daß die eigentliche Übertreibungskunst darin besteht, alles zu untertreiben, dann müssen wir sagen, er übertreibt die Untertreibung und macht die übertriebene Untertreibung so zu seiner Übertreibungskunst, Gambetti. Das Geheimnis des großen Kunstwerks ist die Übertreibung, habe ich zu Gambetti gesagt, das Geheimnis des großen Philosophierens ist es auch, die Übertreibungskunst ist überhaupt das Geistes-geheimnis, habe ich zu Gambetti gesagt. Thomas Bernhard

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WEGGEFÄhRTENdokUMENTE ÜBER ThoMAS BERNhARd

in Ottnang gingen wir wieder ins Gasthaus Geswagner essen. Von der Wirtin wurde uns dann eine Konduktsuppe mit einer Konduktsemmel und gekochtes Rindfleisch offeriert. Es war gegen 13 Uhr, und während wir das Essen auf den Tisch bekamen, wurden an den anderen Tischen, an denen der Kirchenchor und andere Sänger saßen, bereits einige Liter Wein aufgetischt. Zum Antrunk wurde von der ganzen Gaststube „Ein Prost mit harmonischem Klange“ gesun-gen, und als nächstes folgte das Bergmannslied. Es folgte dann ein Lied nach dem anderen, zum Andenken an den Toten, wie man von den Nachbartischen hören konnte. Thomas war nicht nur vom Essen, sondern auch von den Sängern begeistert. ich fragte Thomas, ob er nun nicht für sich selbst den Friedhof in Ottnang in Erwägung ziehe, weil er hier ein sehr lustiges Begräbnis haben würde. Aber Thomas sagte, der Friedhof von Ottnang sei einer der scheuß-lichsten, die er je gesehen habe. Hier will er nicht begraben werden. Eine gute Verwesung würde ich allerdings hier auch haben.

Karl ignaz Hennetmair, 16. Dezember 1972

Lieber Thomas Bernhard, ich freue mich, dass wir uns am 10. Februar sehen werden. Wir haben uns einfach zu lange nicht mehr gesprochen, deshalb die irritationen, Zweifel und Stimmungen. Einen Punkt müssen wir nochmals bereden: „Der Theaterma-cher“. Sie erinnern sich, dass Sie mir diesen einen persönlichen Wunsch erfüllt haben: im Rahmen des 1000er-Programms der suhrkamp taschenbücher wollten wir von den wichtigsten Autoren Bücher im Taschenbuch verlegen. Band 1000 sind die „Notizen“ von Ludwig Hohl, ihm folgen Bücher von Brecht, Hesse, Joyce, Proust, Beckett, Hildesheimer und Neuerscheinungen von Muschg, Walser, Kühn, Johnson; in diesem 1000er-Programm haben wir den „Theatermacher“ aufgenommen, wir haben das angezeigt, 15 000fach, und der Buchhandel ist also darüber informiert. ich kenne doch ihre Vorliebe für die Bibliothek Suhrkamp, und Sie wissen, dass ich ihren Wunsch, dass die Stücke dort erscheinen mögen, immer berücksichtigt habe. Wir können das auch in Zukunft so machen, aber, bitte, belassen wir doch dieses eine Stück im Rahmen der suhrkamp taschen bücher. Selbstverständlich kann der Text jederzeit, erscheinen, wir haben ihn jetzt für Juli 1984 vorgesehen, gleichgültig, ob die Aufführung 1984 oder 1985 herauskommen wird. im übrigen sollten wir die Aufführung in diesem Jahr noch nicht aufgeben! Und wenn wir weitere Pläne haben: am 1. und 2. März werde ich erneut in Wien sein, wir könnten uns, wenn Sie zu diesem Zeitpunkt ebenfalls dort sein sollten, für den Abend des 2. März verabreden.

ihr Siegfried Unseld, Frankfurt am Main 3. Februar 1984

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Wenn wir ehrlich sindist das Theater an sich eine Absurditätaber wenn wir ehrlich sindkönnen wir kein Theater machenweder können wir wenn wir ehrlich sindein Theaterstück schreibennoch ein Theaterstück spielenwenn wir ehrlich sindkönnen wir überhaupt nichts mehr tunaußer uns umbringenda wir uns aber nicht umbringenweil wir uns nicht umbringen wollenwenigstens bis heute und bis jetzt nichtda wir uns also bis heute und bis jetzt nicht umgebracht habenversuchen wir es immer wieder mit dem Theaterwir schreiben für das Theaterund wir spielen Theaterund ist das alles auch das Absurdesteund VerlogensteThomas Bernhard

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Kunst Kunst Kunst Hier wissen sie ja gar nicht

was das istder wahre Künstler

wird in den Dreck gezogendem Verlogenen dem Nichtsnutzigen

laufen sie alle nachmachen den Buckel

vor dem ScharlatanismusThomas Bernhard

NACHWEiSE: Thomas Bernhard AUF DER ERDE UND iN DER HÖLLE, Salzburg 1957Thomas Bernhard DiE ROMANE, Frankfurt am Main 2008

Thomas Bernhard & Siegfried Unseld DER BRiEFWECHSEL, Frankfurt am Main 2009Krista Fleischmann MONOLOGE AUF MALLORCA, Suhrkamp 2008

Hilde Haider-Pregler / Birgit Peter DER MiTTAGESSER, Wien und München 1999Karl ignaz Hennetmair EiN JAHR MiT THOMAS BERNHARD – Das versiegelte Tagebuch 1972,

Salzburg und Wien 2000 | Kurt Hofmann AUS GESPRÄCHEN MiT THOMAS BERNHARD, Wien 1988.

FOTOS: S. 3, Thomas Marx; S. 8–9, Thomas Marx, Winfried Wittkopp; S. 13 v.l.n.r. v.o.n.u., 1 Linda Foerster, Robert Naumann; 2 Robert Naumann, Thomas Marx, Linda Foerster; 3 Regine Vergeen; 4 Winfried Wittkopp, Thomas Marx; 5 Daniela Schulze,

Winfried Wittkopp; 6 Linda Foerster, Thomas Marx; 7 Robert Naumann, Thomas Marx; 8 Robert Naumann, Thomas Marx

iMPRESSUM: Programmheft Nr. 3 | Spielzeit 2010.2011 | intendantin: Katja OttRedaktion: Katja Prussas | Mitarbeit: Thomas Renner | Fotos: Jochen Quast | Gestaltung: Neue

Gestaltung | Druck: Druckerei Conrad Nürnberg GmbH

Bild- und Tonaufnahmen während der Vorstellung sind nicht gestattet. Textkürzung sind nicht gekennzeichnet, Überschriften stammen zum Teil von der Redaktion

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Das Leben besteht aus einer Aneinanderreihung von Blödsinn.

Wenig Sinn, aber fast nur Blödsinn.Thomas Bernhard