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5 5 Energieumsatz bei chemischen Reaktionen Zusammenfassung Bei chemischen Prozessen wird Energie aufgenommen oder abgegeben. Die Thermochemie befasst sich mit den Energiebeträgen, die als Wärme umgesetzt werden. Die Wärmekapazität eines Körpers ist die benötigte Wärmemenge, um den Körper um 1 °C zu erwärmen. Der Wärmeumsatz einer chemischen Reaktion wird mit Hilfe eines Kalorimeters bestimmt. Dabei wird aus der Temperaturänderung des Kalorimeters und seines Inhalts sowie aus deren Wärmekapazitäten die umgesetzte Wärmemenge berechnet. In jedem Stoff steckt eine bestimmte innere Energie. Die Differenz der inneren Energien von Produkten und Reaktanden einer chemischen Re- aktion ist die Reaktionsenergie >U. Wird die Reaktion bei konstantem Druck p durchgeführt (offenes Reaktionsgefäß) und tritt bei der Reaktion eine Volumenänderung >V der Stoffe ein, dann wird gegen den Atmosphären- druck die Volumenarbeit p>V geleistet; dies ist bei der Bildung oder dem Verbrauch eines Gases der Fall. Die Reaktionsenthalpie ist definiert als >H = > U + p>V , sie gibt den als Wärme beobachtbaren Anteil der Reaktionsenergie an. Wenn bei der Reaktion Wärme freigesetzt wird, spricht man von einer exothermen Reaktion, > H ist dann negativ. Bei einer endothermen Reaktion wird Wärme aufgenommen, > H ist positiv. Eine thermochemische Gleichung besteht aus einer Reaktionsgleichung und der Angabe des zugehörigen >H-Werts. Rechnungen damit erfolgen wie bei stöchiometrischen Rechnungen. Die > H-Werte können durch ka- lorimetrische Messung bestimmt werden. Nach dem Satz von Hess ist der Wert von >H unabhängig davon, ob eine Reaktion in einem oder mehreren Schritten abläuft. Mit Hilfe von Standard-Bildungsenthalpien > H 0 f kann die Reaktionsenthalpie einer Reak- tion mit der Gleichung >H 0 = 7>H 0 f (Produkte) 7> H 0 f (Reaktanden) berechnet werden. Mit mittleren Bindungsenergien kann der > H-Wert einer Reaktion abgeschätzt werden; > H ergibt sich als Summe aller >H-Werte für die Energie, die zum Aufbrechen der Bindungen der Reaktanden be- nötigt wird, und der >H-Werte für die Energie, die bei der Bildung neuer Bindungen in den Produkten frei wird. Übersicht 5.1 Energiemaße · 46 5.2 Temperatur und Wärme · 47 5.3 Kalorimetrie · 47 5.4 Reaktionsenergie und Reaktionsenthalpie · 48 5.5 Der Satz von Hess · 51 5.6 Bildungsenthalpien · 52 5.7 Bindungsenergien · 54 Übungsaufgaben · 57 Schlüsselworte (s. Glossar) Energie Wärme Thermochemie Temperatur Spezifische Wärme Joule Kalorie Wärmekapazität Kalorimeter Reaktionsenergie Innere Energie Enthalpie Reaktionsenthalpie Volumenarbeit Endotherme Reaktion Exotherme Reaktion Gesetz der konstanten Wärmesummen (Satz von Hess) Bildungsenthalpie Standard-Bildungsenthalpie Dissoziationsenergie Bindungsenergie mittlere Bindungsenergie aus: Mortimer, Müller, Chemie (ISBN 9783134843101) © 2010 Georg Thieme Verlag KG

Thieme: Chemie - Das Basiswissen der Chemie 1.741353.pdf · 5 5.1 EinBombenkalorimeter 5.2 TemperaturundWärme WärmeisteineFormvonEnergie,dieinjedemKörperinunterschiedlicher Mengeenthaltenseinkann.ZwischenzweiKörpern

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5 Energieumsatzbei chemischen Reaktionen

Zusammenfassung

Bei chemischen Prozessen wird Energie aufgenommen oder abgegeben.Die Thermochemie befasst sich mit den Energiebeträgen, die als Wärmeumgesetzt werden.

DieWärmekapazität eines Körpers ist die benötigte Wärmemenge, umden Körper um 1°C zu erwärmen. Der Wärmeumsatz einer chemischenReaktion wird mit Hilfe eines Kalorimeters bestimmt. Dabei wird aus derTemperaturänderung des Kalorimeters und seines Inhalts sowie aus derenWärmekapazitäten die umgesetzte Wärmemenge berechnet.

In jedem Stoff steckt eine bestimmte innere Energie. Die Differenz derinneren Energien von Produkten und Reaktanden einer chemischen Re-aktion ist die Reaktionsenergie U. Wird die Reaktion bei konstantem Druckp durchgeführt (offenes Reaktionsgefäß) und tritt bei der Reaktion eineVolumenänderung V der Stoffe ein, dann wird gegen den Atmosphären-druck die Volumenarbeit p V geleistet; dies ist bei der Bildung oder demVerbrauch eines Gases der Fall. Die Reaktionsenthalpie ist definiert als

H = U + p V ,

sie gibt den als Wärme beobachtbaren Anteil der Reaktionsenergie an.Wenn bei der Reaktion Wärme freigesetzt wird, spricht man von einerexothermen Reaktion, H ist dann negativ. Bei einer endothermen Reaktionwird Wärme aufgenommen, H ist positiv.

Eine thermochemische Gleichung besteht aus einer Reaktionsgleichungund der Angabe des zugehörigen H-Werts. Rechnungen damit erfolgenwie bei stöchiometrischen Rechnungen. Die H-Werte können durch ka-lorimetrische Messung bestimmt werden.

Nach dem Satz von Hess ist der Wert von H unabhängig davon, obeine Reaktion in einem oder mehreren Schritten abläuft. Mit Hilfe vonStandard-Bildungsenthalpien H0

f kann die Reaktionsenthalpie einer Reak-tion mit der Gleichung

H 0 = H0f (Produkte) − H0

f (Reaktanden)

berechnet werden. Mitmittleren Bindungsenergien kann der H-Wert einerReaktion abgeschätzt werden; H ergibt sich als Summe aller H-Wertefür die Energie, die zum Aufbrechen der Bindungen der Reaktanden be-nötigt wird, und der H-Werte für die Energie, die bei der Bildung neuerBindungen in den Produkten frei wird.

Übersicht

5.1 Energiemaße · 465.2 Temperatur und Wärme · 475.3 Kalorimetrie · 475.4 Reaktionsenergie und

Reaktionsenthalpie · 485.5 Der Satz von Hess · 515.6 Bildungsenthalpien · 525.7 Bindungsenergien · 54

Übungsaufgaben · 57

Schlüsselworte (s. Glossar)

EnergieWärmeThermochemie

TemperaturSpezifische WärmeJouleKalorie

WärmekapazitätKalorimeter

ReaktionsenergieInnere EnergieEnthalpieReaktionsenthalpieVolumenarbeit

Endotherme ReaktionExotherme Reaktion

Gesetz der konstantenWärmesummen (Satz von Hess)

BildungsenthalpieStandard-Bildungsenthalpie

DissoziationsenergieBindungsenergiemittlere Bindungsenergie

aus: Mortimer, Müller, Chemie (ISBN 9783134843101) © 2010 Georg Thieme Verlag KG

James Joule* 1818 Salford bei Manchester† 1889 Sale bei Manchester

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auch eine Energieumsetzung. Berechnungen mit den fraglichen Energie-beträgen sind ebenso von Bedeutung wie die Berechnungen der umge-setzten Stoffmassen. Die freigesetzte oder aufgenommene Energie kannin verschiedenen Formen in Erscheinung treten: als Licht, als elektrischeEnergie, als mechanische Energie und vor allem als Wärme. Unter Ther-mochemie versteht man die Untersuchung der Wärmemengen, die beichemischen Prozessen umgesetzt werden.

5.1 Energiemaße

Wenn auf einen Körper mit Masse m eine Kraft F ausgeübt wird, so wirder in Bewegung gesetzt und beschleunigt. Die Beschleunigung a ist dieGeschwindigkeitszunahmepro Zeiteinheit. Nach demNewton-Gesetz sindKraft und Beschleunigung einander proportional. Die Beschleunigungwirdin m/s2 gemessen. Die SI-Einheit der Kraft ist das Newton (abgekürzt N).1 Newton ist die Kraft, mit der dieMassem = 1kgmit a = 1m/s2 beschleu-nigt wird.

Beim Beschleunigen des Körpers wird Arbeit geleistet. Die Arbeit W istdefiniert als das Produkt der wirkenden Kraft mal derWeglänge s, die vomKörper aufgrund der Krafteinwirkung zurückgelegt wird. Im internatio-nalen Einheitensystem ist die Einheit für die Arbeit das Joule (abgekürztJ). 1 Joule ist die Arbeit, die bei der Ausübung einer Kraft F = 1N über eineWegstrecke von s = 1m geleistet wird.

Energie ist die Fähigkeit, Arbeit zu leisten. Energie kann in unterschied-lichen Formen auftreten, zum Beispiel als Bewegungsenergie (kinetischeEnergie), elektrische Energie, Wärme(-energie) oder chemische Energie.Nachdem ein Körper der Masse m auf die Geschwindigkeit v beschleunigtwurde und dabei die ArbeitW aufgewandt wurde, verfügt der Körper überkinetische Energie; mit der kinetischen Energie kann wieder Arbeit geleis-tet werden, wenn der Körper gegen eine Kraft wirkt und dabei seine Ge-schwindigkeit verliert, d.h. verzögert wird (Verzögerung = negative Be-schleunigung). Die dabei geleistete Arbeit ist genauso groß wie die Arbeit,die beim anfänglichen Beschleunigen des Körpers geleistet wurde. Die imbewegten Körper steckende kinetische Energie entspricht genau dem Be-trag dieser Arbeit. Die kinetische Energie Ekin steht mit der Masse m undder Geschwindigkeit v in Beziehung.

Energie kann von einer Form in eine andere umgewandelt werden, siekann aber nie erzeugt oder vernichtet werden. Auf diesen Satz der Erhal-tung der Energie (Erster Hauptsatz der Thermodynamik) kommen wir imKapitel 21 (S. 341) zurück. Auch bei der Umwandlung von mechanischerEnergie in Wärmeenergie, zum Beispiel wenn ein bewegter Körper gegeneine Wand prallt und seine kinetische Energie in Wärme umgewandeltwird, wird aus einer bestimmten Energiemenge immer eine definierteMenge an Wärme erhalten; dies wurde von James Joule entdeckt. DasMaß für die Energie entspricht dem Betrag der Arbeit, die damit geleistetwerden kann; 1 Joule ist die Einheit für die Energie, unabhängig von derForm, in der sie auftritt.

F = m · a

1N = 1kg · m/s2

W = F · s

1 J = 1N · m = 1 kg · m2/s2

Ekin = W = 12 mv2

46 5 Energieumsatz bei chemischen Reaktionen

Im Verlaufe einer chemischen Reaktion wird von den beteiligten StoffenEnergie freigesetzt oder aufgenommen, zu jeder Stoffumsetzung gehört

aus: Mortimer, Müller, Chemie (ISBN 9783134843101) © 2010 Georg Thieme Verlag KG

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5.1 Ein Bombenkalorimeter

5.2 Temperatur und Wärme

Wärme ist eine Form von Energie, die in jedemKörper in unterschiedlicherMenge enthalten sein kann. Zwischen zwei Körpern, die in Kontakt mit-einander sind, fließt Wärme von einem zum anderen, wenn die Tempe-raturen der Körper verschieden sind. Die Temperatur ist ein Maß dafür,in welcher Richtung der Wärmefluss erfolgt. Als Einheit zur Temperatur-messung verwenden wir neben dem Grad Celsius (°C) das Kelvin (SymbolK); beide unterscheiden sich durch die Wahl des Nullpunktes, währenddie Einheiten selbst gleich groß sind. Die Temperatur in K ist gleich derTemperatur in °C nach Addition des Wertes 273,15.

Die spezifische Wärme einer Substanz ist die Wärmemenge, die benö-tigt wird, um 1g der Substanz um 1°C zu erwärmen. Für lange Zeit dientedie spezifischeWärme desWassers als Maßeinheit für die Wärmeenergie:die Kalorie (cal) war definiert als die Wärmemenge, die zum Erwärmenvon 1g Wasser nötig ist. Es gibt mehrere Umrechnungsfaktoren von Ka-lorien auf Joule. Obwohl deshalb nicht eindeutig ist, was gemeint ist,werden Energieangaben oft immer noch in Kalorien gemacht.

5.3 Kalorimetrie

DieWärmekapazität C einesKörpersmit derMassem ist dieWärmemenge,die benötigt wird, um die Temperatur des Körpers um 1°C zu erhöhen.Sie ist das Produkt aus der spezifischen Wärme mal der Masse. Um einenKörper von der Temperatur T1 auf die Temperatur T2 zu erwärmen, ist dieWärmemenge Q erforderlich:

Q = C · (T2 − T1)

Beispiel 5.1

Wasser hat bei 20 °C eine spezifische Wärme von 4,18 J · g 1K 1. Die Wär-mekapazität von 125g Wasser beträgt:

C = 125g · 4,18 J · g 1K 1 = 523 J/K

Um 125g Wasser von 20,0 °C (293,15 K) auf 25,0 °C (298,15K) zu erwär-men, benötigt man die Wärmemenge:

Q = 523 J · K 1 · (25,0 − 20,0) K = 2,61 · 103 J = 2,61 kJ

Ein Kalorimeter dient zumMessen derWärmemengen, die bei chemischenReaktionen freigesetzt oder aufgenommen werden. Ein Bombenkalorime-ter ( 5.1) wird verwendet, um die bei Verbrennungsprozessen freigesetz-te Wärme zu messen. Die Messung wird folgendermaßen durchgeführt:1. Eine sorgfältig abgewogene Menge der Probe wird in die Bombe ein-

gebracht, die dann mit Sauerstoff unter Druck gefüllt und geschlossenwird.

2. Die Bombe wird in einer abgewogenen Menge Wasser versenkt, dassich in einem gegen Wärmeaustausch isolierten Gefäß befindet. DurchRühren wird für eine gleichmäßige Temperatur des Wassers im ganzenGefäß gesorgt.

3. Die Anfangstemperatur T1 wird gemessen.

1 cal = 4,184 J (thermochemische Kalorie=Wärmekapazität von 1 gWasser bei17 °C an Luft unter Atmosphären-druck)

1 cal = 4,1858 J (Wasser bei 15 °C)1 cal = 4,1819 J (Wasser bei 20 °C)1 cal = 4,1868 J (internationale Kalorie)

Q = C · (T2 − T1)

5.3 Kalorimetrie 47

aus: Mortimer, Müller, Chemie (ISBN 9783134843101) © 2010 Georg Thieme Verlag KG

5.2 Ein Gas, das bei einer chemischenReaktion entsteht, leistet mechanische Ar-beit gegen die Außenatmosphäre, erkenn-bar amHerausdrücken eines Kolbens. Auchwenn der Kolben fehlt (offenes Gefäß),wird die gleiche Arbeit geleistet (Außenluftwird verdrängt).

4. Durch elektrische Zündung wird die Verbrennungsreaktionausgelöst.

5. Die freigesetzte Wärme sorgt für eine Erhöhung der Temperaturauf den Endwert T2.

6. Sowohl das Wasser als auch das Kalorimeter nehmen Wärme auf. DieWärmekapazität desWassers kann aus derMasse desWassers berechnetwerden. Diejenige des Geräts wird experimentell ermittelt, indem dieTemperaturerhöhung nach Zufuhr einer bekannten Wärmemenge (z.B.durch elektrische Beheizung) gemessen wird. Die Wärmekapazität er-gibt sich als Summe beider Werte:

Cgesamt = CWasser + CGerät

7. Die beim Experiment freigesetzte Wärme Q wird aus der gemessenenTemperaturerhöhung berechnet:

Q = Cgesamt · (T2 − T1)

Beispiel 5.2

In einem Bombenkalorimeter wird Traubenzucker (C6H12O6) verbrannt:

C6H12O6 (s) + 6O2 (g) 6CO2 (g) + 6H2O (B)

Das Kalorimeter habe eine Wärmekapazität von CGerät = 2,21kJ/K, und essei mit 1,20 kg Wasser gefüllt. Die Anfangstemperatur sei T1 = 19,00°C;nach Verbrennung von 3,00 g Traubenzucker steigt die Temperatur auf T2= 25,50°C. Welche Wärme wird bei der Verbrennung von 1mol Trauben-zucker frei?

Berechnung der Wärmekapazität des Kalorimeters:

Cgesamt= 1,20 kg · 4,18 kJ · kg–1K–1 + 2,21kJ · K–1 = 7,23 kJ · K–1

Berechnung der Wärmemenge:

Q = Cgesamt · (T2 − T1) = 7,23 kJ · K–1 · 6,50 K = 47,0 kJ

Diese Wärmemenge wird bei der Verbrennung von 3,00 g Traubenzuckerabgegeben. Mit M (Traubenzucker) = 180 g · mol–1 gilt:

Q = 47,0 kJ ·180 g · mol–1

3,00 g= 2,82 · 103 kJ/mol

5.4 Reaktionsenergie und Reaktionsenthalpie

Wenn in einem geschlossenen Gefäß eine Reaktion abläuft, bei der einGas entsteht (oder mehr Gas entsteht als verbraucht wird), so wird derDruck innerhalb des Gefäßes ansteigen. Wenn das Gefäß ein Zylinder ist,der mit einem beweglichen Kolben verschlossen ist, dann wird durch denDruckanstieg der Kolben in Bewegung gesetzt, es wirdmechanische Arbeitgeleistet. Die Kraft, gegen welche die Arbeit geleistet wird, ist durch denvon außen gegen den Kolben wirkenden Atmosphärendruck p bedingt( 5.2). Der Kolben kommt zum Stillstand, wenn durch die Volumenver-größerung im Inneren des Zylinders der Druck auf den gleichen Wert pwie der Außendruck gesunken ist.

48 5 Energieumsatz bei chemischen Reaktionen

aus: Mortimer, Müller, Chemie (ISBN 9783134843101) © 2010 Georg Thieme Verlag KG

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Der Querschnitt des Kolbens habe eine Fläche A. Die von außen aufden Kolben wirkende Kraft beträgt dann

F = A · p

Wenn der Kolben um eine Wegstrecke s nach außen geschoben wird,erhöht sich das Volumen im Zylinder um

V = V2 − V1 = A · s (V1 = Anfangs-, V2 = Endvolumen)

Die geleistete Arbeit beträgt

W = F · s= A · p · s= V · p

Sie wird Volumenarbeit genannt. Die gleiche Volumenarbeit wird auchgeleistet, wenn die Reaktion in einem offenen Gefäß abläuft; das entste-hende Gas leistet Arbeit, indem es gegen den Druck der Außenatmosphärewirkt und die umgebende Luft verdrängt ( 5.2).

Bei einer Reaktion, die im geschlossenen Gefäß abläuft, zum Beispielin einem Bombenkalorimeter, wird keine mechanische Arbeit geleistet.Die gesamte bei der Reaktion freigesetzte Energie kann als Wärmeenergieanfallen. Diese Gesamtenergie nennen wir Reaktionsenergie. Jeder Stoffhat in sich Energie in irgendeiner Form gespeichert, wir nennen sie dieinnere Energie U. Die Summe der inneren Energien der Reaktanden seiU1, die der Produkte U2. Die Reaktionsenergie U ist deren Differenz.

Diemeisten chemischen Reaktionenwerden in offenenGefäßen durch-geführt. Wenn dabei Volumenarbeit geleistet wird, kann diese nicht mehrals Wärmeenergie anfallen, d.h. freigesetzte Reaktionsenergie teilt sichauf Volumenarbeit und einen restlichen, als Wärme erhältlichen Energie-anteil auf. Diesen restlichen Anteil nennen wir Reaktionsenthalpie (Reak-tionswärme, Wärmetönung); sie wird mit dem Symbol H bezeichnet.

Reaktionen, bei denenWärme freigesetztwird, heißen exotherme Reak-tionen, für sie hat H ein negatives Vorzeichen. Endotherme Reaktionenbenötigen die Zufuhr von Wärme, H hat positives Vorzeichen. Man be-achte bei der nebenstehenden Definitionsgleichung für die Reaktionsen-thalpie die Definition für die Vorzeichen! U1 und V1 sind die innere Energiebzw. das Volumen vor der Reaktion, U2 und V2 nach der Reaktion. WennU1 >U2, so haben die Produkte eine geringere innere Energie; in diesemFall wird Energie an die Umgebung abgegeben und U =U2 − U1 ist negativ.Wenn V1 <V2, so ist das Volumen nach der Reaktion größer, es wird me-chanische Arbeit geleistet, und W = p · V = p · (V2 − V1) ist positiv. Wennzu einem negativen U-Wert ein positiver W-Wert addiert wird, ist derresultierende H-Wert weniger negativ als U, d. h. die abgegebene Re-aktionswärme ist weniger als die Reaktionsenergie.

Beispiel 5.3

Bei der Reaktion

H2SO4 (B) + CaCO3 (s) CaSO4 (s) + H2O (B) + CO2 (g)

wird das Gas CO2 entwickelt. 1mol CO2 beansprucht bei 25°C und einemAtmosphärendruck von p = 101kPa ein Volumen von 24,5 L/mol. Wegen

Reaktionsenergie

U = U2 − U1

U positiv: Energie wirdaufgenommen

U negativ: Energie wird abgegeben

Reaktionsenthalpie

H = U + p · V

H negativ: Wärmeenergie wirdabgegeben

H positiv: Wärmeenergie wirdaufgenommen

5.4 Reaktionsenergie und Reaktionsenthalpie 49

aus: Mortimer, Müller, Chemie (ISBN 9783134843101) © 2010 Georg Thieme Verlag KG

5.3 Enthalpie-Diagramm für eineexotherme Reaktion

5.4 Enthalpie-Diagramm für eineendotherme Reaktion

der Volumenvergrößerung von V = 24,5 L/mol wird folgende Volumenar-beit geleistet:

p · V= 101 · 103N · m 2 · 24,5 · 10 3 m3 · mol 1

= 2,5 · 103 J/mol = 2,5 kJ/mol

Die Reaktionsenergie beträgt U = −96,1kJ/mol, das negative Vorzeichenzeigt uns die Abgabe von Energie an. Als Wärmeenergie erhält man nur dieReaktionsenthalpie mit dem kleineren Betrag

H = U + p V = (−96,1 + 2,5) kJ/mol = −93,6 kJ/mol

Genauso wie die Reaktionsenergie U als Differenz der inneren Energienvon Produkten und Reaktanden zu verstehen ist, kann man die Reaktions-enthalpie H als Differenz von Enthalpien oder Wärmeinhalten H2 undH1 der Produkte bzw. Reaktanden auffassen:

H = H2 − H1

Bei einer exothermen Reaktion haben die Produkte einen geringerenWär-meinhalt als die Reaktanden ( 5.3), bei einer endothermen Reaktion istes umgekehrt ( 5.4).

Die Enthalpien chemischer Substanzen hängen von der Temperatur,dem Druck und dem Aggregatzustand ab. Durch Konvention werden diefür chemische Reaktionen angegebenen H-Werte auf Bedingungen bei25°C und Norm-Atmosphärendruck (101,3 kPa) bezogen; abweichendeBedingungen müssen spezifiziert werden.

ThermochemischeAngabenmüssen sich auf einebestimmteReaktions-gleichung beziehen. Der Wert für H wird neben die Reaktionsgleichunggeschrieben und bezieht sich auf die in der Gleichung aufgeführten Stoff-mengen in Mol. Die Molzahlen dürfen auch Bruchzahlen sein. Wenn 1molH2 mit einem halben mol O2 unter Bildung von Wasser reagiert, wird dieWärmemenge von 286 kJ freigesetzt:

H2 (g) +12O2 (g) H2O (B) H = −286 kJ/mol

Der Aggregatzustand aller beteiligten Substanzen muss angegeben wer-den: (g) für gasförmig, (s) für fest (solidus), (l) für flüssig (liquidus) und(aq) für Lösung in Wasser (aqua). Die Notwendigkeit der Angabe wirddurch Vergleich der folgenden Gleichung mit der obigen Gleichung deut-lich:

H2 (g) +12O2 (g) H2O (g) H = −242 kJ/mol

Wenn das Reaktionsprodukt Wasserdampf anstelle von flüssigem Wasserist, werden 44 kJ pro mol H2O weniger an Wärme frei. Dies entsprichtdem Energiebetrag, der notwendig ist, um 1mol H2O(l) in 1mol H2O (g)bei 25 °C und Atmosphärendruck zu überführen.

Bei Umkehrung der Formulierung einer Reaktionsgleichung wird dasVorzeichen von H umgekehrt:

12H2 (g) +

12 A2 (s) HA (g) H = +25,9 kJ/mol

HA (g) 12H2 (g) +

12 A2 (s) H = −25,9 kJ/mol

griechisch: en = darinthalpos = Wärme

50 5 Energieumsatz bei chemischen Reaktionen

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5.5 Enthalpie-Diagramm zurVeranschaulichung des Hess-Satzes

Werden die Koeffizienten der Gleichung mit einem Faktor multipliziert,dann wird auch der Wert von H mit diesem Faktor multipliziert; Mul-tiplikation der letztgenannten Gleichung mit 2 ergibt:

2HA (g) H2 (g) + A2 (s) H = −51,8 kJ/mol

Thermochemische Berechnungen werden in der gleichen Art wie an-dere stöchiometrische Berechnungen durchgeführt. Sie können gleicher-maßen auch mit den Reaktionsenergien U angestellt werden, wenn dieReaktionen im geschlossenen Gefäß, d.h. bei konstantem Volumen durch-geführt werden.

Beispiel 5.4

Die Thermitreaktion ist stark exotherm:

2AB (s) + Fe2O3 (s) 2Fe (s) + AB2O3 (s) H = −848 kJ/mol

Wie viel Wärme wird freigesetzt, wenn 36,0 g Aluminium mit überschüs-sigem Eisen(III)-oxid (Fe2O3) reagieren?

n (AB) =m (AB)M (AB)

=36,0 g

27,0 g · mol 1 = 1,33 mol

Wenn mit n (AB) = 2 mol H = −848 kJ freigesetzt werden, sind es mit1,33 mol Aluminium:

1,33 mol2,00 mol

· (−848 kJ) = −565 kJ

5.5 Der Satz von Hess

Grundlage vieler kalorimetrischer Berechnungen ist das Gesetz der kon-stanten Wärmesummen, das 1840 von Germain H. Hess nach experimen-tellen Befunden formuliert wurde. Nach dem Hess-Satz ist die Reaktions-enthalpie einer Reaktion konstant, unabhängig davon, ob sie in einemSchritt oder über Zwischenstufen abläuft. Bei der Verbrennung vonGraphitentsteht zum Beispiel Kohlendioxid:

C (Graphit) + O2 (g) CO2 (g) H = −393,5 kJ/mol

Der Prozess kann auch in zwei Schritten ablaufen:

C (Graphit) + 12O2 (g) CO (g) H = −110,5 kJ/mol

CO (g) + 12O2 (g) CO2 (g) H = −283,0 kJ/mol

C (Graphit) + O2 (g) CO2 (g) H = −393,5 kJ/mol

Die Reaktionsenthalpien der beiden Teilschritte addieren sich zur Reak-tionsenthalpie der Gesamtreaktion ( 5.5).

Durch dieMöglichkeit, Reaktionsenthalpien additiv zu behandeln, kön-nen die Werte für bestimmte Reaktionen aus den Werten anderer Reak-tionenberechnetwerden. ZumBeispiel kannMethan (CH4) nicht direkt ausGraphit und Wasserstoff hergestellt werden. Die Reaktionsenthalpie fürdiesenVorgangkannmanabermitHilfe folgenderGleichungenberechnen:

Konventionen zum Formulierenvon thermochemischenGleichungen:

1. Bei exothermen Reaktionen (Abgabevon Wärmeenergie) ist H negativ. Beiendothermen Reaktionen (Aufnahmevon Wärmeenergie) ist H positiv.

2. Wenn nicht anders angegeben, bezie-hen sich alle H-Werte auf Bedingungenbei 25°C und Normdruck (Atmosphä-rendruck auf Meereshöhe, d.h.101,3 kPa oder 1,013 bar).

3. Der Aggregatzustand aller Substanzenist anzugeben.

4. Die Koeffizienten in der Gleichung be-zeichnen die Zahl der umgesetzten Mo-le für jede Substanz, der H-Wert be-zieht sich auf diese Stoffmengen.

5. Bei Multiplikation der Koeffizienten miteinem Faktor wird auch der H-Wertmit dem gleichen Faktor multipliziert.

6. Bei Umkehrung der Richtung der Reak-tionsgleichung wird das Vorzeichen vonH umgekehrt.

7. Die gleichen Regeln gelten auch für Re-aktionen bei konstantem Volumen (ge-schlossenes Gefäß), wobei an die Stelleder Reaktionsenthalpie H die Reak-tionsenergie U tritt.

5.5 Der Satz von Hess 51

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C (Graphit) + O2 (g) CO2 (g) H = −393,5 kJ/mol2H2 (g) + O2 (g) 2H2O (B) H = −571,8 kJ/molCO2 (g) + 2H2O (B) CH4 (g) + 2O2 (g) H = +890,4 kJ/mol

C (Graphit) + 2H2 (g) CH4 (g) H = −74,9 kJ/mol

Beispiel 5.5

Gegeben seien:

4NH3 (g) + 3O2 (g) 2N2 (g) + 6H2O(B) H = −1531 kJ/mol (1)N2O (g) + H2 (g) N2 (g) + H2O (B) H = − 367,4 kJ/mol (2)H2 (g) +

12O2 (g) H2O (B) H = − 285,9 kJ/mol (3)

Welche Reaktionsenthalpie hat die Reaktion (4)?

2NH3 (g) + 3N2O (g) 4N2 (g) + 3H2O (B) (4)

Gleichung (4) ergibt sich additiv aus:12 · [Gleichung (1)] + 3 · [Gleichung (2)] − 3 · [Gleichung (3)].

Mit den gleichen Faktoren sind die H-Werte zu versehen:

H = − 12 · 1531 − 3 · 367,4 + 3 · 285,9 kJ/mol = −1010,0 kJ/mol

5.6 Bildungsenthalpien

Ein bequemer Weg, Reaktionsenthalpien zu berechnen, geht von tabel-liertenWerten aus, diewir Standard-Bildungsenthalpien nennen. Die Stan-dard-Bildungsenthalpie ist der H-Wert, der zur Bildung von 1mol reinerSubstanz aus den reinen Elementen unter Standard-Bedingungen gehört.Standard-Bedingungen bedeuten: Sowohl die Elemente (Reaktanden) wiedie Verbindungen (Produkte) liegen bei Norm-Atmosphärendruck(101,3 kPa = 1,013 bar) und bei einer Standard-Temperatur vor, die in derRegel 25 °C (298 K) beträgt. Von den Elementen wird die bei 101,3 kPa undder Standard-Temperatur stabilste Form genommen. Kohlenstoff kommtzum Beispiel als Graphit und als Diamant vor; Graphit ist die stabilsteForm, für die Umwandlung Graphit Diamant gilt H0 = +1,9 kJ/mol.

Das Symbol H 0 dient allgemein zur Bezeichnung von Reaktionsen-thalpien unter Standard-Bedingungen. H0

f ist das Symbol für die Stan-dard-Bildungsenthalpie.

Soweit Standard-Bildungsenthalpien nicht direkt gemessen werdenkönnen, werden sie aus anderen thermochemischen Daten mit Hilfe desHess-Satzes berechnet. Die im Abschnitt 5.5 (s. oben) aufgeführte Berech-nung für die Bildung von Methan aus Graphit und Wasserstoff ist einesolche Berechnung,d.h. der dort ermittelteWert ist die Standard-Bildungs-enthalpie des Methans, H0

f = −74,9 kJ/mol. Weitere Werte für H0f sind

in 5.1 aufgeführt.Standard-Reaktionsenthalpienkönnen allgemein aus den Standard-Bil-

dungsenthalpien der beteiligten Verbindungen berechnet werden. ZumBeispiel kann die Reaktionsenthalpie (25 °C; 101,325 kPa) für die Reaktion

C2H4 (g) + H2 (g) C2H6 (g)

Standard-Bedingungen

Normdruck = 101,325kPaStandard-Temperatur, meist 25°C

52 5 Energieumsatz bei chemischen Reaktionen

aus: Mortimer, Müller, Chemie (ISBN 9783134843101) © 2010 Georg Thieme Verlag KG

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5.1 Einige Standard-Bildungsenthalpien bei 25°C und 101,3 kPa

Verbindung H0f /(kJ · mol 1) Verbindung H0

f /(kJ · mol 1)

AgCB (s) − 127,0 CS2 (B) +87,86AB2O3 (s) −1669,8 Fe2O3 (s) −822,2BaCO3 (s) −1218 HBr (g) −36,2BaO (s) −588,1 HCB (g) −92,30CaCO3 (s) −1206,9 HCN (g) +130,5CaO (s) −635,5 HF (g) −269Ca(OH)2 (s) −986,59 HgBr2 (s) −169Ca3P2 (s) −504,17 HA (g) +25,9CF4 (g) −913,4 HNO3 (B) −173,2CH4 (g) −74,85 H2O (g) −241,8C2H2 (g) +226,7 H2O (B) −285,9C2H4 (g) +52,30 H2S (g) −20,2C2H6 (g) −84,68 MgO (s) −601,83C6H6 (B) +49,04 NaCB (s) −411,0CH3CB (B) −132 NF3 (g) −113H3CNH2 (g) −28 NH3 (g) −46,19H3COH (g) −201,2 NH4NO3 (s) −365,1H3COH (B) −238,6 NO (g) +90,37H5C2OH(B) −277,6 NO2 (g) +33,8CO (g) −110,5 PH3 (g) +9,25CO2 (g) −393,5 SO2 (g) −296,9COCB2 (g) −223 ZnO (s) −348,0

aus den Standard-Bildungsenthalpien für Ethen, C2H4 (g), und Ethan,C2H6 (g), berechnet werden:

2C(Graphit) + 2H2 (g) C2H4 (g) H0f = 52,30 kJ/mol

2C(Graphit) + 3H2 (g) C2H6 (g) H0f = −84,68 kJ/mol

Man formuliert die erste dieser Gleichungen in umgekehrter Richtung:

C2H4 (g) 2C(Graphit) + 2H2 (g) H0 = −52,30 kJ/mol

und addiert sie zur zweiten Gleichung; es bleibt:

C2H4 (g) + H2 (g) C2H6 (g) H0 = −136,98 kJ/mol

Der Wert H0 der Reaktion ist somit nichts anderes als

H0 = H0f (C2H6) − H0

f (C2H4)

Allgemein gilt für beliebige Reaktionen:

H0 = H0f (Produkte) − H0

f (Reaktanden)

Beispiel 5.6

Welche ist die Reaktionsenthalpie (25°C, 101,3 kPa) der Reaktion

2NH3 (g) + 3CB2 (g) N2 (g) + 6HCB (g)?

Mit den Werten aus 5.1 berechnet man:

H0f (Produkte) = 6 · H0

f (HCB, g)

H0f (Reaktanden) = 2 · H0

f (NH3, g)

Berechnung vonReaktionsenthalpien ausStandard-Bildungsenthalpien

1. Zuerst wird die chemische Reaktions-gleichung formuliert.

2. Man berechne

H0 = H0f (Produkte) −

H0f (Reaktanden)

Bei der Bildung der Summe wird der H0f -

Wert jeder Verbindung mit dem zugehöri-gen Koeffizienten (Zahl der Mole) aus derReaktionsgleichungmultipliziert. Kommenin der Gleichung Elemente in ihrer norma-len (stabilen) Form vor, so ist der zugehö-rige H0

f -Wert null. Der berechnete H0-Wert gilt nur für Standard-Bedingungen.

5.6 Bildungsenthalpien 53

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Für CB2 (g) und N2 (g) sind die Werte null, da es sich um die Elemente inihrer stabilsten Form handelt.

H0= 6 · H0f (HCB, g) − 2 · H0

f (NH3, g)= − 6 · 92,30 − 2 · (−46,19) kJ/mol= − 461,4 kJ/mol

Beispiel 5.7

Welche ist die Standard-Reaktionsenthalpie für die Reaktion

Fe2O3 (s) + 3CO (g) 2Fe (s) + 3CO2 (g)?

H0= 3 H0f (CO2, g) − [ H0

f (Fe2O3, s) + 3 H0f (CO, g)]

= − 3 · 393,5 − [−822,2 − 3 · 110,5] kJ/mol

= − 26,8 kJ/mol

Beispiel 5.8

Mit Hilfe der Reaktion

B2H6 (g) + 6H2O (B) 2H3BO3 (s) + 6H2 (g) H0 = −493,4 kJ/mol

soll die Standard-Bildungsenthalpie für Diboran (B2H6) berechnet werden.

H0f (H3BO3, s) = −1088,7 kJ/mol

Es gilt:

H0 = 2 H0f (H3BO3, s) − 6 H0

f (H2O, B) − H0f (B2H6, g)

− 493,4 kJ/mol = −2 · 1088,7 + 6 · 285,9 kJ/mol − H0f (B2H6, g)

H0f (B2H6, g) = +31,4 kJ/mol

5.7 Bindungsenergien

Die Atome in Molekülen werden durch chemische Bindungen zusammen-gehalten (Näheres folgt in Kapitel 7–9). Die Energie, die zum Aufbrechender Bindung eines zweiatomigen Moleküls benötigt wird, ist die Dissozia-tionsenergie. Die Energie wird in Kilojoule pro Mol Bindungen angegeben.Die Bindungsstriche in den folgenden Beispielen symbolisieren die che-mische Bindung:

HĞH (g) 2H (g) H = +435 kJ/molCBĞCB (g) 2CB (g) H = +243 kJ/molHĞCB (g) H (g) + CB (g) H = +431kJ/mol

Die vorstehenden H-Werte sind positiv, das Aufbrechen der Bindungenerfordert die Zufuhr von Energie. Die Dissoziation des H2-Moleküls erfor-dert den höchsten Energiebetrag, d.h. im H2-Molekül liegt die stärkste derdrei aufgeführten Bindungen vor. Werden zwei Atome zu einem Molekülzusammengefügt, so wird der entsprechende Energiebetrag freigesetzt.

Mit Hilfe der Werte von Dissoziationsenergien können die Reaktions-enthalpien für manche Reaktionen berechnet werden.

54 5 Energieumsatz bei chemischen Reaktionen

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5

Beispiel 5.9

Berechnung der Reaktionsenthalpie für die Reaktion

H2 (g) + CB2 (g) 2HCB (g)

aus den Dissoziationsenergien der beteiligten Moleküle:

HĞH (g) 2H (g) H = 435 kJ/molCBĞCB (g) 2CB (g) H = 243 kJ/mol2H (g) + 2CB (g) 2HCB (g) H = −2 · 431 = −862 kJ/mol

HĞH (g) + CBĞCB (g) 2HĞCB (g) H = −184 kJ/mol

Die Reaktion ist somit exotherm.

Die Betrachtung kann auf mehratomigeMoleküle ausgedehnt werden. Beider vollständigen Dissoziation einesWasser-Molekülsmüssen zwei HĞO-Bindungen aufgebrochen werden:

HĞOĞH (g) 2H (g) + O (g) H = 926 kJ/mol

Der H-Betrag bezieht sich auf das Trennen von zwei Mol HĞO-Bin-dungen. Die Hälfte des Betrags, 463 kJ/mol, ist die mittlere Bindungs-energie für eine HĞO-Bindung. Werden die Bindungen nacheinander ge-trennt, so beobachtet man tatsächlich unterschiedliche Werte:

HĞOĞH (g) H (g) + OĞH(g) H = 501kJ/molOĞH(g) H (g) + O (g) H = 425 kJ/mol

Die erste HĞO-Bindung des Wasser-Moleküls erfordert mehr Energie zurTrennung als die zweite. Das Fragment, das nach Abtrennung eines H-Atoms verbleibt, das OĞH-Molekül, ist weniger stabil als das Wasser-Mo-lekül. Die tatsächlichen Energiebeträge für solche Einzelschritte sind füruns weniger wichtig; bei den Rechnungen bedienen wir uns der mittlerenBindungsenergie.

Beispiel 5.10

Wie groß ist die Reaktionsenthalpie für die Reaktion

2NH3 (g) + 3CBĞCB (g) N N (g) + 6HĞCB (g)?

Man betrachtet die aufzuwendenden Energiebeträge, um alle Bindungenaufzubrechen, und stellt sie den Beträgen gegenüber, die bei der Knüpfungder neuen Bindungen frei werden:

2NH3 (g) 2N (g) + 6H (g) H = 6 · 389 = 2334 kJ/mol3CB2 (g) 6CB (g) H = 3 · 243 = 729 kJ/mol2N (g) N2 (g) H = −941 kJ/mol6H (g) + 6CB (g) 6HCB (g) H = 6 · (−431)= −2586 kJ/mol

2NH3 (g) + 3CB2 (g) N2 (g) + 6HCB (g) H = −464 kJ/mol

Der im Beispiel 5.6 (S. 53) berechnete Wert für die gleiche Reaktion(−461,4 kJ/mol) ist zuverlässiger als der aus den Bindungsenergien abge-leitete Wert.

5.7 Bindungsenergien 55

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Die Stärke einer Bindung in einem Molekül hängt von der Struktur desGesamtmoleküls ab. Die Bindungsenergie eines bestimmten Bindungstypsin verschiedenen Molekülen, die diese Bindung enthalten, ist nicht diegleiche. Zum Beispiel ist die Bindungsenergie einer HĞO-Bindung imHĞOĞH-Molekül nicht die gleiche wie in einem HĞOĞCl-Molekül. Diein 5.2 angegebenen Werte sind Mittelwerte; H-Werte, die damit be-rechnet werden, sind Schätzwerte.

In manchen Molekülen sind Atome durch Mehrfachbindungen mitein-ander verknüpft. Je nach Molekül können zwei Stickstoff-Atome zum Bei-spiel durch eine einfache (NĞN), eine doppelte (NğN) oder eine dreifache(N N) Bindung verbunden sein.Wieman denWerten in 5.2 entnehmenkann, nimmt die Bindungsenergie in der Reihenfolge zu:

Einfachbindung < Doppelbindung < Dreifachbindung

Beim Umgang mit Bindungsenergien ist zu beachten:Alle hier angegebenen Werte sind nur auf gasförmige Verbindungenanwendbar.Mit mittleren Bindungsenergien berechnete H-Werte sind nur Schätz-werte.In manchen Verbindungen liegen besondere Verhältnisse vor, die eineAnwendung mittlerer Bindungsenergien nicht zulassen.

5.2 Dissoziationsenergien von zwei-atomigen Molekülen und mittlere Bin-dungsenergien für mehratomige Moleküleim gasförmigen Zustand

Bindung Bindungsenergie/(kJ · mol–1)

BrĞBr 193CĞC 347CğC 619C C 812CĞCB 326CĞF 485CĞH 414CĞN 293CğN 616C N 879CĞO 335CğO 707CBĞCB 243FĞF 155HĞBr 364HĞCB 431HĞF 565HĞH 435HĞ A 297AĞ A 151NĞCB 201NĞH 389NĞN 159NğN 418N N 941OĞCB 205OĞF 184OĞH 463OĞO 138O2 494PĞCB 326PĞH 318SĞCB 276SĞH 339SĞS 213

56 5 Energieumsatz bei chemischen Reaktionen

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Übungsaufgaben(Lösungen s. S. 695)

Kalorimetrie

5.1 Welche Wärmekapazität haben 325g Wasser bei20°C?

5.2 Wie viel Kilojoule Wärme benötigt man, um 1,50kgWasser von 22,00 auf 25,00°C zu erwärmen?

5.3 Welche ist die spezifische Wärme von Alkohol, wenn129 J benötigt werden, um 15,0 g von 22,70 auf 26,20°Czu erwärmen?

5.4 Welche ist die spezifische Wärme von Eisen, wenn186 J benötigt werden, um 165g von 23,20 auf 25,70°Czu erwärmen?

5.5 Blei hat eine spezifische Wärme von 0,129 J · g 1K 1.Wie viel Joule benötigt man, um 207g Blei von 22,25 auf27,65°C zu erwärmen?

5.6 Nickel hat eine spezifische Wärme von 0,444J · g 1K 1. Wenn 32,3g Nickel 50,0 J zugeführt werden,welche Temperatur erreicht es, wenn die Anfangstempe-ratur 23,25°C war?

5.7 1,45 g Essigsäure (CH3CO2H) wurden mit überschüs-sigem Sauerstoff in einem Bombenkalorimeter verbrannt.Das Kalorimeter selbst hat eine Wärmekapazität von2,67kJ/K und enthält 0,750 kgWasser. Es wurde eine Tem-peraturerhöhung von 24,32 auf 27,95°C beobachtet. Wel-che Wärmemenge wird bei Verbrennung von 1,00mol Es-sigsäure frei?

5.8 Bei der Verbrennung von 2,30g Benzochinon (C6H4O2)in einem Bombenkalorimeter wurde eine Temperaturer-höhung von 19,22 auf 27,07°C beobachtet. Das Kalorime-ter selbst hat eine Wärmekapazität von 3,27 kJ/K und ent-hält 1,00kg Wasser. Welche Wärmemenge wird bei derVerbrennung von 1,00mol Benzochinon frei?

5.9 Bei der Verbrennung von Glucose (C6H12O6) wird eineEnergie von 2,82 · 103 kJ/mol freigesetzt. 1,25g Glucosewurden in einem Kalorimeter verbrannt, das 0,950kgWas-ser enthält, wobei ein Temperaturanstieg von 20,10 nach23,25°C beobachtet wurde. Welche Wärmekapazität hatdas Kalorimeter?

Thermochemische Gleichungen

5.10 Bei der Reaktion

NH4NO3 (s) N2O (g) + 2H2O (B) U = −127,5 kJ/mol

wird bei einem Druck p = 95,00 kPa 1mol Lachgas (N2O)mit einem Volumen von 26,09 L gebildet. Wie groß ist dieReaktionsenthalpie?

5.11 Wie groß ist die Reaktionsenergie für

C(Graphit) + 12O2 (g) CO (g) H 0 = −110,5 kJ/mol?

Bei den Standardbedingungen nimmt 1mol CO ein um12,2 L größeres Volumen ein als 1

2mol Sauerstoff.

5.12 Bei der Verbrennung von 1,000g Benzol, C6H6 (B), mitO2 wird CO2 (g) und H2O(B) erhalten, und es wird eineWärmemenge von 41,84kJ freigesetzt. Formulieren Sie diethermochemische Gleichung für die Verbrennung von ei-nem Mol C6H6 (B).

5.13 WelcheWärmemenge wird freigesetzt, wenn 1,000gHydrazin, N2H4 (B), verbrennt?

N2H4 (B) + O2 (g) N2 (g) + 2H2O (B)H = −622,4 kJ/mol

5.14 Die alkoholische Gärung von Glucose (C6H12O6) ver-läuft gemäß:

C6H12O6 (s) 2H5C2OH (B) + 2CO2 (g)H = −67,0 kJ/mol

Welche Wärmemenge wird umgesetzt, wenn ein LiterWein entsteht, der 95,0 g Alkohol (H5C2OH) enthält? Istdie Reaktion exo- oder endotherm?

5.15 Die Zersetzung von Natriumazid verläuft nach

2NaN3 (s) 2Na (s) + 3N2 (g) H = +42,7kJ/mol.

Welcher ist der H-Wert, um 1,50 kg N2 (g) zu erhalten?Muss Wärme zugeführt werden oder wird sie frei?

Übungsaufgaben 57

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