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TIFTUF ТИФТУФ טיפטוףFörderverein für jüdisches Leben in Bingen heute Jahresbericht 2009 (im jüdischen Jahr 5769/70) „ TIFTUF “ ist hebräisch und bedeutet „Tröpfeln“- Tröpfchen für Tröpfchen - Stück für Stück - soll eine jüdische Gemeinde wachsen, so wie Pflanzen in der Wüste durch Tröpfchenbewässerung wachsen.

TIFTUF e.V. - Jahresbericht 2009 · 2013-08-04 · Mirjam Link, Martin Rector, Prof. Dr. Eva Schuster, Dr. Menahkim Shterental, Moysey Vaisman. Martin Rector und Dorothea Dürsch

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TIFTUF ТИФТУФ טיפטוף

Förderverein für jüdisches Leben

in Bingen heute

Jahresbericht 2009

(im jüdischen Jahr 5769/70)

„ TIFTUF “ ist hebräisch und bedeutet „Tröpfeln“-

Tröpfchen für Tröpfchen - Stück für Stück -

soll eine jüdische Gemeinde wachsen,

so wie Pflanzen in der Wüste durch

Tröpfchenbewässerung wachsen.

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Jahresbericht 2009 Seite 2

TIFTUF - Förderverein für jüdisches Leben in Bingen heute

Entwicklungen und Veranstaltungen 2008/2009

Am Anfang war eine Idee. Alles begann mit einem Besuch von Klaus und Dorothea Dürsch bei dem Ehepaar Victor Sanovec und Barbara Fuchs in Oberwesel. Der aus Tschechien stammende

renommierte Künstler ist Vorsitzender des Vereins Rabbi Hillel, Oberwesel e.V. In der ehemaligen Synagoge der Stadt sind heute zehn Wohnungen ausgebaut. Der Verein Rabbi Hillel hatte in einer der

Wohnungen, in der noch gebogene Fenster zu sehen sind, wieder eine Synagoge eingerichtet. Vor einigen Jahren hatte D. Dürsch die Wohnung in der ehemaligen Synagoge in Bingen in der

Rochusstrasse 10 gesehen, in der noch Gewölbe und Kapitelle sichtbar sind. Die Bewohnerin Frau Schätzel hatte sie ihr damals gern gezeigt. „Da wohnt man wie in einer Kirche“, kommentierte eine

Nachbarin. Im Mai 2008 ist die alte Frau gestorben. So entstand die Idee das auch in Bingen Juden diese Räume der Synagoge wieder nutzen könnten.

Als ersten Ansprechpartner wurde am 8.8.2008 per Mail Kontakt mit dem „Arbeitskreis jüdisches

Bingen“ aufgenommen und versucht die Vorsitzenden für die Idee zu gewinnen - leider ohne Erfolg. Nach einigen Mails, ohne persönliches Gespräch, teilte Beate Goetz am 6.9.2009 mit: „Der Vorstand

(des AKJB) bat mich, Ihnen mitzuteilen, dass wir keine Möglichkeit sehen, Sie bei Ihren Vorstellungen zu unterstützen, unsere Zielsetzung ist eine völlig andere“. Angeblich gäbe es auch keine Juden in

Bingen. Sie wünschte „eine lohnende Aufgabe anderenorts“ und versagte weiteren Kontakt.

Zu Binger Juden bestanden schon vorher verschiedene Kontakte, besonders zu den jüdischen Kontingentflüchtlingen, die meist aus Russland, Kasachstan, der Ukraine oder Moldawien gekommen

waren und vorübergehend in einem ehemaligen Hotel in der Rochusstraße wohnten. Die Idee wurde mit immer mehr Leuten diskutiert. Plötzlich meldeten sich unterschiedliche Menschen mit jüdischen

Wurzeln. Bei diesen Gesprächen stellte sich heraus, dass zwei Jahre zuvor eine Gruppe Binger Juden zusammen mit der Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde Mainz Frau Stella Schindler- Siegreich (durch

sie bestätigt am 3.9.2009) schon einmal versucht hatte Räume für jüdische Versammlungen bei der Stadt zu bekommen. Leider wurde ihnen nur ein Raum mit anderen Gruppen zusammen im

Kulturzentrum zugewiesen, der als die jüdische Gruppe ihn in Anspruch nehmen wollte belegt war. Letztlich verlief die Anfrage im Sande. Nun mit der frei gewordenen Wohnung in der Rochusstraße 10,

die Symbolcharakter hat und mit dem sich Juden identifizieren, sollte erneut die Initiative ergriffen werden. Die Idee manifestierte sich, die historischen Räume sollten multifunktional als Versammlungs-

, Gedenk-, Ausstellungs-, Fest- und Gebetsräume genutzt werden. Für die Stadt Bingen wäre die Wiedernutzung durch Juden ein großer Imagegewinn. Das Gebäude, das nach dem Krieg

zwangsverkauft wurde, hatte mehrmals den Besitzer gewechselt. Zuletzt kam es an die Stadt, die der jüdischen Gemeinde in Mainz einen Preis dafür bezahlt hatte. 1970 wurden die Reste, bis auf den

rechten Synagogenflügel, abgerissen und eine Feuerwache sowie drei Wohnungen eingerichtet.

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Jahresbericht 2009 Seite 3

TIFTUF - Förderverein für jüdisches Leben in Bingen heute

18.9.2008 Erster Brief an die Oberbürgermeisterin Frau Collin – Langen

Sehr geehrte Oberbürgermeisterin Frau Collin – Langen

In der ehemaligen Synagoge in Bingen in der Rochusstraße 10, im ersten Stock ist eine Wohnung frei geworden. Nur in diesen Räumen sind noch Gewölbe und Reste der ehemaligen Synagoge erhalten. Die einzige Bewohnerin dieser Wohnung ist verstorben.

Seit einigen Jahren leben in Bingen wieder jüdische Bürger. Wie in anderen Städten in Deutschland sind die meisten aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion eingewandert. Manche sind sehr gut ausgebildet, andere haben weniger gute berufliche Chancen und leben vielfach in prekären wirtschaftlichen Verhältnissen. Bei Menschen mit niedrigem Einkommen ist das politische und bürgerschaftliche Engagement,

wie Sie wissen, meist sehr niedrig. Sie treten selten öffentlich für ihre Interessen ein. Dennoch ist bei den etwa 60 – 80 jüdischen Bürgern der Stadt eine Sehnsucht nach einer jüdischen Gemeinschaft zu spüren. Die Menschen suchen eine Anlaufstelle und eine Chance jüdisches Leben aufbauen zu können. Insofern übernehmen wir hier Anwaltsfunktion.

Diese Initiative setzt sich dafür ein, dass in der leer stehenden Wohnung in der Rochusstraße 10 eine jüdische Gemeinschaft entstehen kann. Das Konzept knüpft einerseits an das einst bedeutende jüdische Leben an, das sich einst in den Räumen der historischen Synagoge abspielte, gleichzeitig geht es um den Aufbau einer jüdischen Gemeinschaft heute. Die Räume müssten multifunktional genutzt werden:

- Möglichkeit sich zu versammeln, sich zu treffen, zu feiern - Gebetsraum - Stätte des Gedenkens - Ausstellungsmöglichkeit zu jüdischen Themen - Religionsunterricht für Kinder und Jugendliche Binger Juden könnten in Eigenverantwortung die Räume nutzen. Die jüdische Gemeinde in Mainz als Körperschaft des öffentlichen Rechts

ist zuständig für Binger Juden. Mit der Leitung Frau Schindler- Siegreich ist diese Initiative abgesprochen. Frau Schindler- Siegreich wird nach dem nun bevorstehenden jüdischen Neujahrsfest mit Ihnen in Kontakt treten.

15.10.2008 Der Brief wurde von der Oberbürgermeisterin abschlägig beantwortet mit dem Hinweis, dass die Räume an die Feuerwehr bereits vergeben sind, sie aber gern bei der Suche nach Alternativräumen helfen will.

30.10.2008 Brief von Landrat Claus Schick; als Anlage neun Fotos aus den renovierungs-bedürftigen Räumen der ehemaligen Synagoge der Unteren Denkmalschutzbehörde.

2.11.2008 Erste Versammlung von Juden in der Binger Bühne (deren frühere Funktion noch unerforscht ist- es könnte evt. einer der Keller der Synagoge gewesen sein oder einst ein Weinkeller). Diskutiert wird wie erreicht werden kann, dass die freigewordenen Räume in der Rochusstraße 10 von Juden genutzt werden können. Die 48 Personen auf der Anwesenheitsliste zeigen wie groß das Interesse war. Ein Feuerwehrmann (er wollte anonym bleiben) gab zu bedenken, dass es auch für die Feuerwehrleute „nicht einfach ist in einem Gebäude mit dieser tragischen Geschichte untergebracht zu sein“, zumal die Feuerwehr in der Pogromnacht 1938 die Juden und die Synagoge nicht schützte, sondern die umliegenden Gebäude mit Wasser bespritzte, damit sie kein Feuer fangen. Die Initiative wies ausdrücklich darauf hin, dass sich das Bestreben nicht gegen die heutigen Feuerwehrleute richtet, sondern im Gegenteil deren Rettungsarbeiten sehr schätzt. Die ehemalige Bürgermeisterin Brigitte Giesbert vom „Arbeitskreis jüdisches Bingen“ schlug vor, dass die „Neubürger“ in den AKJB eintreten könnten, wandte sich jedoch nachdrücklich gegen die Wiedernutzung der ehemaligen Synagoge, da die Räume bereits an die Feuerwehr vergeben seien.

19.11.2008 Da die CDU regierte Stadt die Initiative ablehnte wandten wir uns an die SPD um Unterstützung. In einem kurzen Schreiben vom 25.11.2008 teilte deren Vorsitzender Dr. Müller- Heidelberger allerdings mit, dass er von der Oberbürgermeisterin gehört habe, dass andere Räumlichkeiten geprüft werden und die Feuerwache diese Räume benötigt. Es waren „Bündnis 90 - die Grünen“, die als einzige Partei sogleich Unterstützung zusagte. Mitglied der Grünen Herr Martin Rector wurde später Gründungsmitglied von TIFTUF.

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Jahresbericht 2009 Seite 4

TIFTUF - Förderverein für jüdisches Leben in Bingen heute

Auch Prof. Dr. Eva Schuster von der Katholischen Hochschule Mainz stellte sich hinter die Initiative und wurde Gründungsmitglied.

14.12.2008 Dr. Menakhim Shterental, 2. Vorsitzender der jüdischen Gemeinde Mainz riet der Initiative einen Verein zu gründen. Die Gründungsversammlung von TIFTUF fand am 14.12.2008 im Gemeindesaal der evangelischen Johanniskirche in Bingen statt. Die Gründer konstituierten sich und gaben sich eine Satzung. Als Ziel wurde festgelegt die Reste der ehemaligen Synagoge wieder mit jüdischem Leben zu füllen. Es wurde ein Name für den Verein gefunden: „TIFTUF Förderverein für jüdisches Leben in Bingen heute“. TIFTUF ist ein hebräisches Wort und wird für die „Tröpfchenbewässerung“ in Israel benutzt. Wie in Israel Tröpfchen für Tröpfchen in der Wüste die Pflanzen wachsen und blühen, soll eine jüdische Gemeinschaft in Bingen wachsen.

Die Stadt lehnte das Begehren trotz einer Unterschriftenliste von inzwischen 175 Unterzeichnern erneut ab. Nun war Eile geboten, bevor die Stadt unumkehrbare Fakten schaffte.

Der erste Vorstand wurde gewählt. 1. Vorsitzende wird Tamara Schmedro, Schriftführerin Dorothea Dürsch, Kassenwart Oleg Doroschenko, Beisitzer: Mirjam Link, Martin Rector, Prof. Dr. Eva Schuster, Dr. Menahkim Shterental, Moysey Vaisman.

Martin Rector und Dorothea Dürsch Viele Interessierte bei der Gründung von TIFTUF – u.a. Mitglieder der jüdischen Gemeinde Mainz

Gründung von TIFTUF und erste Versammlung im Saal der evangelischen Johannisgemeinde

Pressemitteilung Jüdischer Förderverein kämpft für Nutzung der ehemaligen Synagoge in Bingen In Bingen gibt es wieder eine jüdische Gemeinschaft! Als deren Sprachrohr und offizielle Interessenvertretung hat sich am 14. Dezember 2008 „TIFTUF - Förderverein für jüdisches Leben in Bingen heute“ gegründet. In der Gründungsversammlung wurde auch das Raumproblem der jüdischen Gemeinschaft erörtert: Im ehemaligen Synagogenflügel, Rochusstraße 10 in Bingen, ist im ersten Stock eine Wohnung frei geworden. In dieser Wohnung sind noch Reste des alten Gewölbes, Kapitelle und Säulen der alten Synagoge erhalten. Selbstverständlich haben diese Überreste eine große Bedeutung und Symbolcharakter für die Juden. In Anknüpfung an die einst bedeutende jüdische Gemeinde kann diese Wohnung wieder für Versammlungen, Gottesdienste, für Feste, Ausstellungen, Unterricht für Kinder und Jugendliche und für Workshops zu jüdischen Themen einer wachsenden jüdischen Gemeinde heute genutzt werden. Die Oberbürgermeisterin der Stadt Bingen Frau Collin- Langen teilte jedoch in einem Brief mit, „dass diese Räume bereits für die Nutzung durch die Freiwillige Feuerwehr vorgesehen sind“. Für die Juden in Bingen könnte die Stadt ein Ausweichquartier suchen, so die Oberbürgermeisterin. Dem Förderverein ist dies nicht verständlich und bittet deshalb die Stadt freundlichst ihre Entscheidung nochmals zu überdenken diese Wohnung wieder für jüdisches Leben zur Verfügung zu stellen. Die Initiative bezüglich der Nutzung der ehemaligen Synagoge durch Juden in und um Bingen wird von der Mainzer jüdischen Gemeinde ausdrücklich unterstützt, wie Dr. Menahkim Shterental deren 2. Vorsitzender betonte. Für die Stadt wäre es ein großer Imagegewinn, wenn gerade in der alten Synagoge mit den noch vorhandenen historischen Resten eine jüdische Gemeinschaft wieder leben könnte. Zur Pressekonferenz mit „TIFTUF- Förderverein für jüdisches Leben in Bingen heute“ laden wir am 30.12.2008 um 9:30 in der

Rochusstr. 10 ein. Wir freuen uns, wenn Sie kommen, Interesse an dem Thema zeigen und danken Ihnen für Ihre Berichterstattung. Ansprechpartner: Dorothea Dürsch

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Jahresbericht 2009 Seite 5

TIFTUF - Förderverein für jüdisches Leben in Bingen heute

30.12.2008 Pressekonferenz in der Rochusstrasse 10 mit einem Team der Rheinland- Pfalz - Nachrichten, dem SWR und verschiedenen Zeitungen. Mitglieder von TIFTUF machen deutlich, wie wichtig ihnen der Symbolwert des Gebäudes der ehemaligen Synagoge ist. An die einst große Binger jüdische Gemeinde können die heute in Bingen lebenden Juden anknüpfen.

Wunsch nach Räumen mit Symbolwert

Jüdische Gemeinde möchte ehemaligen Synagogen-Flügel in der Rochusstraße nutzen

AZ- Bingen vom 05.01.2009

BINGEN. Der im Dezember gegründete "Förderverein für jüdisches Leben in Bingen heute" kämpft für die Nutzung der

ehemaligen Synagoge. Die 100 Mitglieder zählende jüdische Gemeinde will eine Mietwohnung im ersten Stock der Rochusstraße 10

als Versammlungsort nutzen.

Von Christine Tscherner

Die jüdische Gemeinde in Bingen gedeiht. Vor allem durch Zuzug von Menschen jüdischen Glaubens aus Gebieten der ehemaligen Sowjetunion ist die jüdische Gemeinschaft nach Vereinsangaben inzwischen auf 90 bis 110 Personen angewachsen. Als deren Sprachrohr und offizielle Vertretung tritt der Mitte Dezember gegründete Förderverein "TIFTUF" auf.

"Der Name kommt aus dem Hebräischen und bedeutet Tröpfchen Bewässerung", erläutert Tamara Schmedro. Die 60-jährige Konzertpianistin aus der Südukraine steht an der Spitze des neuen Vereins. "Tröpfchen für Tröpfchen kann etwas Großes erwachsen", mit diesem Leitgedanken will der Verein die jüdische Gemeinschaft unterstützen.

Bereits im September wandte sich Dorothea Dürsch, heute Vizevorsitzende des Vereins, an die Stadtverwaltung. Ihre Bitte: In einer seit Mai leer stehenden Wohnung im ersten Stock der ehemaligen Synagoge solle Binger Juden Raum für Gottesdienste, Versammlungen, Feste, Ausstellungen und Unterricht für Kinder zu jüdischen Themen zur Verfügung gestellt werden.

Doch die Stadt hatte längst andere Pläne. "90000 Euro sind im Haushalt eingestellt, um die Mietwohnung zur Leitzentrale der Feuerwehr

umzubauen" weiß Stadtrat und TIFTUF-Aktiver Martin Rector. Die Platznot der Feuerwehr sei seit Jahren prekär, verwies die Oberbürgermeisterin in ihrem Antwortschreiben auf abgeschlossene Umbaupläne. Deshalb lehnte die Verwaltung die Vereinsbitte ab, bot jedoch Hilfe bei der Suche nach Alternativräumen an.

"Das Angebot steht nach wie vor", so Stadtsprecher Jürgen Port auf AZ-Nachfrage. Allerdings müsse der Verein seinen Raumbedarf konkretisieren. Dass ein Arrangement mit der Feuerwehr in der Rochusstraße möglich ist , sei darum nicht ausgeschlossen.

Bislang treffen sich jüdische Gemeinde-Mitglieder an wechselnden Orten, sind Gäste der evangelischen Gemeinde oder im Caritas-Haus. "Eigene Räume im ehemaligen Synagogen-Flügel würden wir als historische Chance empfinden", stellt Dorothea Dürsch klar. Die erhaltenen Säulen, Kapitelle, Gewölbedecken und Rundbogenfenster der freien Mietwohnung hätten als Überreste der Synagoge Symbolcharakter für Binger Juden.

Den dringenden Wunsch nach Raum vertritt der Verein nachdrücklich. "Wir bitten die Stadt freundlichst, ihre Entscheidung nochmals zu überdenken", so Dürsch in einer einberufenen Pressekonferenz.

Die jüdische Gemeinde in Bingen zählte einst zu den bedeutendsten in Rheinland-Pfalz. Im Jahr 1900 erreichte die Gemeinde mit 713 Mitgliedern (acht Prozent der Einwohner) ihren Höchststand. Die alte Synagoge in der Rheinstraße (heute Jugendhaus) wurde 1905 durch einen großen Neubau an der Rochusstraße ersetzt. In der Reichspogromnacht durch Brandstiftung zerstört, gingen Gebäudereste und Grundstück durch Zwangsverkauf in die Hände des Binger Winzervereins über. 10000 Mark Ausgleichszahlung sollen an die jüdische

Gemeinde nach Mainz geflossen sein. 1960 erwarb die Bezirkswinzergenossenschaft das Gelände und verkaufte es 1962 an die Stadt weiter. Die Immobilie wurde zu Mietwohnungen umgebaut.

Um das Millennium herum hatte Isaac Botler (der ursprünglich von Brasilien nach Bingen

gezogen war) die Idee in der ehemaligen Synagoge ein Museum der Geschichte des jüdischen

Bingens einzurichten und arbeitete Pläne aus. Isaac Botler gehörte seit der Gründung 1998 zum AKJB. Er fühlte sich mit dieser Idee vom Vorstand sehr ablehnend behandelt und nicht

ernst genommen.

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Jahresbericht 2009 Seite 6

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Jahresbericht 2009 Seite 7

TIFTUF - Förderverein für jüdisches Leben in Bingen heute

3.1.2009 Zweiter Brief an Oberbürgermeisterin Frau Collin – Langen Sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin Collin- Langen,

in Bingen gibt es wieder eine jüdische Gemeinschaft. Als deren Sprachrohr und offizielle Interessenvertretung hat sich am 14.12.2008 der "Förderverein für jüdisches Leben in Bingen heute" gegründet. In der Gründungsversammlung wurde auch das Raumproblem der jüdischen Gemeinschaft erörtert . Im ehemaligen Synagogenflügel, Rochusstr.10, ist im ersten Stock eine Wohnung frei. In dieser Wohnung sind noch alte Gewölbe, Kapitelle und Säulen der alten Synagoge erhalten. Selbstverständlich haben diese Überreste eine große Bedeutung und

Symbolcharakter für die Juden. In Anknüpfung der einst bedeutenden jüdischen Gemeinde kann diese Wohnung multifunktional für Versammlungen, Feste, Gottesdienste, Ausstellungen, Unterricht für Kinder und für Workshops zu jüdischen Themen genutzt werden. Im Herbst teilten Sie in einem Brief mit, dass die Räume bereits für die Feuerwehr vergeben sind. Dem Förderverein ist dies nicht verständlich und bittet deshalb die Stadt freundlichst diese Entscheidung nochmals zu überdenken und diese Wohnung wieder für jüdisches Leben frei zu geben. Die Initiative bezüglich der Nutzung der ehemaligen Synagoge durch Juden in und um Bingen wird von der Mainzer jüdischen Gemeinde ausdrücklich unterstützt, wie Dr. Menahkim Shterental, deren 2. Vorsitzender in der Versammlung betonte. Herr Dr. Shterental ist bereit zu Hause angerufen zu werden: … Für die Stadt wäre es ein großer Imagegewinn, wenn gerade in der alten Synagoge mit den noch vorhandenen historischen Resten eine jüdische Gemeinschaft wieder leben könnte. Frau Collin-Langen, der Vorstand des Fördervereins für jüdisches Leben in Bingen heute, Frau Tamara Schmedro (1. Vorsitzende), Dorothea Dürsch (2. Vorsitzende und Schriftführerin ) und Herr Oleg Doroschenko (Kassenwart), sowie einer der Beisitzer Herr Martin Rector bittet Sie um ein Gespräch.

Wir schlagen hierfür Freitag 9.1.2009 10 Uhr vor.

Sollten Sie zu diesem Termin nicht können, bitten wir um andere Terminvorschläge.

Mit freundlichen Grüßen

Dorothea Dürsch

9.1.2009 Auf Einladung der Oberbürgermeisterin Birgit Collin - Langen findet ein erstes Gespräch mit Mitgliedern von „TIFTUF Förderverein für jüdisches Leben in Bingen heute“, dem „Arbeitskreis jüdisches Bingen“ (trotz der Ablehnung gegenüber TIFTUF) und Vertretern der Stadt Bingen im Rathaus auf der Burg Klopp statt. Es sollen Möglichkeiten überlegt werden, wie der Wunsch nach einem Versammlungsraum in dem historischen Gebäude realisiert werden kann. In dem Gespräch stimmte TIFTUF der Teilung der Wohnung mit der Feuerwehr und der Doppelnutzung der verbleibenden Räume mit dem „Arbeitskreis jüdisches Bingen“ sofort zu.

11.1.2009 Große Versammlung der Mitglieder von TIFTUF im Tanzsaal des Caritashauses zur Information und um das weitere Vorgehen zu besprechen. Besonders die Mitglieder, die sich schon zwei Jahre zuvor zusammen mit Frau Schindler – Siegreich von der Mainzer jüdischen Gemeinde um Versammlungsräume für Juden in Bingen bemüht hatten und von der Stadt damals nur auf das Kulturzentrum verwiesen worden waren begrüßten die Initiative.

9.2.2009 Als erstes jüdisches Fest nach 70 Jahren wurde Tu Bischwat (Baumpflanzfest) in Bingen gefeiert. Auf dem Gelände des alten Friedhofes wurde ein roter Ahorn gepflanzt. Anschließend feierten die Mitglieder von TIFTUF zusammen mit Bürgermeister Feser in dem großen Saal der Binger Bühne mit der imposanten Säule einen Seder zu dem bestimmte Texte gelesen werden. Früchte und Wein wurden von Karmi Kadish, einem Mitglied der jüdischen Gemeinde Mainz (aus Canada), Nira Scherer von der jüdischen Gemeinde in Wiesbaden und Batsheva Haijbi- Schmitt von TIFTUF (beide aus Israel) gesegnet. Die Pianistin Tamara Schmedro (aus der Ukraine) begleitete am Klavier.

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Jahresbericht 2009 Seite 8

TIFTUF - Förderverein für jüdisches Leben in Bingen heute

19.2.2009 Amtlich chronologischer Ausdruck des Amtsgerichts Mainz, der die Eintragung von „TIFTUF Förderverein für jüdisches Leben in Bingen heute“ unter dem Kennzeichen VR 40440 mit einer beglaubigten Abschrift bestätigt.

25.2.2009 Zweites Gespräch mit Vertretern der Stadt Bingen, dem „Arbeitskreis jüdisches Bingen“ und TIFTUF. Die Stadt nahm die Idee nun auf. Der Plan manifestierte sich, dass die Räume geteilt werden sollen. Die vorderen 2/3 soll die Feuerwache erhalten. Den hinteren kleineren Teil mit den Kapitellen und Gewölben wird für beide Vereine, AKJB und TIFTUF zur Nutzung eingeplant. Bestimmte Mauern müssen dazu eingerissen, andere hochgezogen werden. Die Stadt Bingen sagt zu die Kosten für die Renovierungsarbeiten zu übernehmen.

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Jahresbericht 2009 Seite 9

TIFTUF - Förderverein für jüdisches Leben in Bingen heute

10.3.2009 Purimfeier im Tanzsaal des Caritashauses mit Verkleidungen, Musik und Tanz.

Die kleine

Ida

mit

ihren

Eltern

Dr. Sascha Matusevych spielte Akkordeon, Bella Mitrofanova Nelli und Vadym Repnin

Vorgelesen wurde die Geschichte der Königin Esther, die sehr mutig ihr Volk vor der Ermordung rettete. Jedes Mal, wenn der Name des bösen Haman im Text vorkommt wurde, wie traditionell üblich, viel Lärm gemacht.

3.4.2009 Mitgliederversammlung im „Tempel zur Freundschaft“ der Freimaurer in Bingen. Wahl der Kassenprüfer: Ludmilla Kanapliova und Dr. Sascha Matusevych. Die Satzung wurde überarbeitet.

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Jahresbericht 2009 Seite 10

TIFTUF - Förderverein für jüdisches Leben in Bingen heute

29.4.2009 Ausflug nach Oberwesel in die dort wieder eingerichtete Synagoge in einer Wohnung des historischen Gebäudes. Wir trafen dort den Künstler Victor Sanovec.

1.3.5.2009 Mirjam Link, aus den Niederlanden stammend, organisiert zusammen mit dem Verein Rabbi Hillel aus Oberwesel und TIFTUF eine Fahrt zu dem LIMMUD- Lernfestival in Berlin. Limmud ist hebräisch und bedeutet lernen. 450 Teilnehmer beschäftigten sich in vielen Workshops mit verschiedensten jüdischen Themen.

27.5.2009 Wohnungsbegehung in der Rochusstr. 10 zusammen mit Vertretern der Stadt.

18.9.2009 Rosh Haschana (jüdische Neujahrsfeier) im Caritashaus. Traditionell werden Äpfel mit Honig gegessen, damit es ein süßes Jahr wird. Wein und Challah (süßes Brot) werden gesegnet, genannt „Kiddusch“.

3.10.2009 Sukkot (Laubhüttenfest). Zunächst fragten wir bei einem Mitarbeiter der Stadt nach, wo wir eine Laubhütte bauen könnten. Er meinte: „nun haben Sie schon die Räume zugesagt bekommen- jetzt wollen Sie auch noch eine Hütte“. Auf dem Gelände der Burg Klopp bauten wir dann gemeinsam eine Laubhütte. Traditionell bauen Juden in aller Welt eine mit Laub bedeckte Hütte zur Erinnerung an die 40 Jahre, die sie nach dem Auszug aus Ägypten durch die Wüste wandern mussten, bevor sie in das gelobte Land kamen. Shmuel Ahdut sprach die Segen.

Shmuel Ahdut aus Yafo/ Israel und Anatoli Simonov sprechen über den Lulav

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Jahresbericht 2009 Seite 11

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Alle packen an beim Bau der Laubhütte Shmuel Ahdut spricht den Segen

Gemütliches Beisammensein in der geschmückten Laubhütte

Sukka in Form des Davidsterns vom Bergfried der Burg Klopp aus

gesehen

10.10.2009 Treffen zu Simchat- Tora (Fest der Torafreude) mit dem in Bad Kreuznach wirkenden Kantor Dani Kieselbach- Danieli und seiner Frau Chava in der Laubhütte. Sogar ein traditioneller Lulav (siehe unten) mit den dazugehörenden Zweigen und dem Etrog (spezielle Zitrusfrucht) war bereit, der während der Festtagsgebete in alle vier Richtungen geschüttelt wird.

Moysey Vaisman schüttelt den Lulav Empfang des Kantors Dani Kieselbach- Danieli mit

Frau Chava in der Sukka

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Jahresbericht 2009 Seite 12

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17.10.2009 Besuch der Ausstellung der Galeristin Aniko Havas (aus Ungarn) in Binger-brück: Sie stellte wertvolle japanische Holzschnitte aus.

28.10. 2009 Beerdigung von Pascha Dyskina auf dem jüdischen Friedhof in Bingen -

"Baruch Dajan HaEmet" ("Gelobt sei der wahre Richter").

18.12.2009 Chanukka (das Lichterfest) wurde zum ersten Mal nach 70 Jahren wieder in Bingen gefeiert, der Segen über die Kerzen gesprochen und an die mutigen Makkabäer erinnert, die dafür kämpften den von den seleuzidischen Griechen entweihten Tempel in Jerusalem zurückzuerobern und für die Juden erneut mit koscherem Öl zu weihen.

Die Neue Binger Zeitung schrieb:

Es war ein sehr ereignisreiches, spannendes, erfolgreiches und frohmachendes Jahr!