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Tom Bresemann: Berliner Fenster. Gedichte. LESEPROBE

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LESEPROBE Tom Bresemann: "Berliner Fenster. Gedichte" Berlin Verlag, 2011. (c) Berlin Verlag ISBN 9783827009739

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tom Bresemann

Berliner FensterGedichte

Berlin VerlAG

Ich wünsche ein Buch, in das ihr alle vorn hineingehen

und hinten herauskommen könnt.

Nicolas Born

die augen öffnen und die welt

verschließen: wir sind das,

was jetzt hier leuchten soll.

win/win-situationen

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leitmotiv

das nennst du weltkrieg? hier ist alles in ordnung.

(szenarien, die bei aller gegenseitigen wertschätzung unverhandelbar bleiben.)

sollen sie sich doch umbringen.immerhin ist das ihr menschenrecht.

(wenn wir denen aufklärung bringen wollenist kunst eben einfach nicht das richtige mittel.)

die insel von der sicheren seite aus betrachten.das hier ist europa. es ist gut dabei zu sein.

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stellt angestellte aus

und aufsteller ein!karma kapitalismus:wieder so ein ohrwurm.reclaim the claims.

im fernsehn grassieren flüchtlings-camps, supported by Reebok.

du auf der couch, mit deinen tele-prompteraugen, und ichnebenan, als host-age eines realityformats.ist das jetzt eine dieser win/win-situationen?

der unmittelbare kontaktvon mensch zu menschist der intensivste,den eine marke erzielen kann.

und ich hab schon wieder mit einem wallpaper geschlafen,es tut mir leid, ich glaube, diesmalhab ich mir dabei was eingefangen.

du lachst, verbuchst dasunter ressort- und ressourcenpflege.

du und ich baby, you and meund die sommer der welt, wirrücken zusammen und machen in100 % polyestertrikotagen.

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neue wege der supply chain

und kursverläufe auf höhe der zeit hinterlassen. eben den meeresboden abernten, bevor du auch nur in die nähe der fernbedienung kommst.

im angstschnappen luft holen, sich am bloßen lebensunterhalt zu tode langweilen, die füße im laufrad der bildbearbeitung vertreten, was soll sein? ein korrekturmuster, bei dem es tatsächlich darum geht, zwischen der seriösen und der unseriösen art schlecht zu riechen unterscheiden zu lernen –

herzrhythmische elliottwellen im 24/7 takt. mit awareness hat das nichts zu tun, wenigstens unter uns sollte man jedoch transparenz erwarten können, schließlich schwitzen wir hier auch um deine zivilisation.

und das, da uns der messbare rest der weltunverhohlen zumutet, jede sekunde unterzugehen. obwohl sich mittlerweile auch ausrotten lässt, was nicht auf den bildschirm gerät. das ist, zugegeben, tatsächlich ein ganz neues fortschrittskonzept.

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clearing

die aufbrüche abbrechenden durchbruch abbrechendie großwetterlage resettenden luftdruck ausgleichendie messwerte verbesserndie kontraktionen im keim ersticken

die portfolios selektierendie inhalte veräußerndie aufsteller abstellendie expansion verinnerlichen

ein lächeln, aufgesetzt als rund-schreiben und nebenproduktendloser zeitreihen, in denen das bloße augenmaß als einzig verfügbaresvolatilitätsbarometer hoch-achtungsvoll verbleibt.

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jetzt ist nah

wir pflanzten frisches in den wind,den hügel hinab, durch die siedlung.schon trug man uns früchte nach.und nichts mehr von morgen.plötzlich stürzte sich leben auf uns. ein lächeln, dass wir jeden schmerz bestritten.an jenem tag war das glück ein ort,bei sonnenschein, bequemmit dem fahrrad erreichbar.näher als wir dachten.

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auf der zunge

ein zitat vom grabbeltisch

heute trag ich das karierte,heute putz ich meine schuhe,fahr zum zoo und lass mir einen blasen –

so beginnt ein tag wohl-gesetzten epigonentums.

und wenn schon –wenigstens well dressed, ich frage:wenn das gute nicht zu kaufen ist,was kann dann gutes daran sein?

ich sage: das unverkäufliche verbieten,die konsumfreien zonen ausmerzen,ich sage: da wo man kauft,da lass dich ruhig nieder, nurschlechte menschen kennen keinen preis.

und ich will nimmer davon hören,habe ein gehalt und irre immer nochdurch diese servicewüste,die mein körper ist, in diesen teuren schuhen, vor diesem billigeren lächeln,das meinen penis blankpoliert als nächste,beste injektion des tages, echtes schnäppchenvon einem goldenen schuss.

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da kann ich nicht umhin,aufs potential zu insistieren,

weißt du denn nicht – du hast daeinen zipfel seele auf der zunge.

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die feierstunden

1im herzstill

-stand begehen, so gott will,

einen körper in gedichte verwickelnwie in geschenkpapier.

bin ich nun endlichherr im licht

-spielhausbetrieb dieser ghospel-shoppingfiliale?

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2– – – geboren wird ja immer,tage, die dir zufallen,

jeder, wie er will, die anderen sind dochauch nonkonform erzogen,

und du zupfst das jackett zurecht,und wolltest doch was reißen – – –

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3mitten im heiligkeitsgedränge,wagte ich nicht

den krippensang, überreiztedie orgeln, für nichts als ein augvoll?

mangelte es nicht allerortenan godbless?

so entflammte ich die galeria,erlöste diese wucherung

von nächstenliebe, verriss den stammwuchs,

und forderte die knappe not,als nichts als glanz verblieb,

in jedem nebenraum, denn weihnacht war: the stores all closed.

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4es muss das fest der liebe sein,selbst die bordelle ruhn ab vier,

und es muss unverkäuflich sein:die liebe, überschwang

des jahresendverlangensnach einer unverbrauchten jacke,

einer idee von nahauslagein diesem wechselschlussbereich.

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der duft des erfolgs

ist wie der geschmackvon fischpudding, du lächelstund spreizt mir deineGUCCI-tasche ins gesicht.