3
Verstrickungen der Mimesis Kunst und aktuelle Medienkultur 2 Torsten Meyer

Torsten Meyer Verstrickungen der Mimesis Kunst und ...mms.uni-hamburg.de/blogs/kiss/wp-content/uploads/2010/05/kiss10... · »In mimetischen Prozessen ›gleicht‹ sich der Mensch

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Torsten Meyer Verstrickungen der Mimesis Kunst und ...mms.uni-hamburg.de/blogs/kiss/wp-content/uploads/2010/05/kiss10... · »In mimetischen Prozessen ›gleicht‹ sich der Mensch

Verstrickungen der MimesisKunst und aktuelle Medienkultur 2

Torsten Meyer

Page 2: Torsten Meyer Verstrickungen der Mimesis Kunst und ...mms.uni-hamburg.de/blogs/kiss/wp-content/uploads/2010/05/kiss10... · »In mimetischen Prozessen ›gleicht‹ sich der Mensch

Was wie Kunst aussieht

»Was machen, was wie Kunst aussieht«, das klingt so herrlich unschuldig. So befreiend. Der ganze Ballast der Jahrhunderte, die Bürde der kultu-rellen Übermittlung, das Abendland, die Moderne, das Erhabene, aber auch der Avantgarde-Zwang, die bedeutungsschweren Expressionismen, die postkoloniale Verantwortlichkeit, einfach so dahin mit einem unbe-schwerten »als ob« und »so wie«.

Aber, war das vielleicht gar nicht nur so unschuldig dahingesagt? War das möglicherweise sogar eine sehr tiefgreifende Wahrheit? Könnte das eventuell auf alle (zumindest viele) aktuelle Künstler zutreffen: Dass sie etwas machen, »was wie Kunst aussieht.« Die wenigsten würden das zugeben, selbstverständlich. Aber könnte es nicht sein, dass viele aktuelle Künstler Sachen machen, die »wie Kunst aussehen«? Heimlich? Könnte es sein, dass viele aktuelle Künstler insofern auch eher aktuelle Künstler-darsteller sind als aktuelle Künstler? Dass sie den Künstler nur mimen, nur imitieren, nur so tun als ob? Und die aktuelle Kunst dann also durch-zogen wäre von lauter Imitaten?

Höhere Wesen

Aktuelle Künstler oder in diesem Sinn aktuelle Künstlerdarsteller arbeiten nicht mehr nach der Natur (Mimesis 1. Ordnung) und auch nicht wie die Natur (Mimesis 2. Ordnung = Kunst der Moderne), sondern nach dem Wie die Natur (Mimesis 3. Ordnung). Solch komplexes mimetisches Prozes-sieren ist dann nicht etwa der Versuch von Kunst im Sinne des Als-ob, sondern muss vielmehr verstanden werden als Kunst 2. Ordnung. Was aktuelle Künstler machen, sieht aus wie Kunst (der Moderne), ist aber keine Kunst (der Moderne). Es sieht nur so aus, und das auch nur von weitem. Es beruht auf optischer Täuschung. Bei genauerem Hinsehen ist es im Hinblick auf die Abbildungslogiken und das Prozessieren der Mimesis ganz erheblich komplexer.

Als höhere Wesen Sigmar Polke 1969 befahlen, die rechte obere Ecke schwarz zu malen, war das eine Auseinandersetzung mit dem Künstlerbild der Moderne, hier bezogen auf die metaphysischen Konnotationen des abstrakten Expressionismus. Jonathan Monk nimmt nun Polkes inzwischen interessanterweise zur Klassik gewordenes Bild und dreht die Mimesis-Logik noch einen Schritt weiter. Er kopiert Polke formal und maßstabsge-treu, tut dabei aber genau das Gegenteil von dem, was die höheren Wesen befahlen. Er färbt die obere rechte Ecke in allen erdenklichen Farben, orange, blau, braun, gelb, grau – nur nicht in schwarz. Er setzt sich mit und über Polke hinaus über jene höheren Wesen hinweg, zu denen er und Sigmar Polke und die abstrakten Expressionisten und eben überhaupt alle »Künstler« (im Sinne der Moderne) eigentlich einen ganz besonders kurzen Draht hätten haben sollen, weil eben dieser besonders kurze Draht das Künstler-Sein doch ausmachen sollte.

Was wie Polizeiauto aussieht

Aktuelle Künstler scheinen an diesen kurzen Draht nicht mehr recht zu glauben. Oder könnten es jene höheren Wesen gewesen sein, die Michael Sailstorfer befahlen, ein Schlagzeug aus dem Blech eines Polizei-autos zu bauen? Oder eine Sternschnuppe mittels Straßenlaterne darzustellen? Irgendwie scheint Mi-chael Sailstorfer alles genauso falsch zu machen wie Jonathan Monk, wenn auch auf anderer Ebene und mit anderen Mitteln. Die Baumhütte sieht aus wie ein Segelflugzeug, das Porträt des Hauses in der Herterichstraße sieht aus wie ein – allerdings recht unbequem wirkendes – Sofa. Das ist alles irgendwie falsch, falsch verstanden. Und zwar mit Absicht. Keiner hört mehr wirklich auf die höheren Wesen. Vielmehr sind sie zu einer Art Anti-Autorität ge-worden, der man nun fast slapstick-artig begegnet.

Man kann das lustig finden und Jonathan Monk oder Michael Sailstorfer als »humorvolle Künstler« bezeichnen, weil sie das, was sie machen sollen, immer irgendwie falsch machen. Aber darin erschöpft sich ihre Arbeit nicht. Dafür ist zum Beispiel die Sailstorfer’sche Mimesis zu komplex. Ist das Schlag-zeug ein Polizeiauto? Ist das Schlagzeug wirklich ein Polizeiauto? Oder ist das Polizeiauto ein Schlag-zeug und stellt ein Polizeiauto also nur dar? Oder doch umgekehrt? Ist das Schlagzeug in Wirklichkeit ein Polizeiauto und stellt ein Schlagzeug also nur dar? Was ist Schein? Was ist Sein? Dieser »Modell-bastler für eine andere Sicht auf die Welt«3 bastelt vor allem an unserem Verständnis von Mimesis.

»Mimese« ist der biologische Fachbegriff für eine Form der Anpassung eines Lebewesens an seine Umwelt, die mit »Tarnung« gut gefasst ist. Stabheuschrecken sehen aus wie trockene Äste, Zahnspinner imitieren die Rinde bestimmter Laubbäume und Gespenstschrecken werden von optisch orientierten Fressfeinden für grüne Blätter gehalten. Die Tiere ahmen Gestalt, Farbe, Haltung eines Teils ihres Lebensraumes nach, so dass potenzielle Feinde sie nicht mehr von der Umgebung unterscheiden können oder für uninteressant halten. Sie fallen nicht auf. Aus dieser Tarnung ergibt sich in der Regel ein Überlebensvorteil.

Nachbildnerei

Im Kontext Kunst wird der griechische Terminus Mimesis nicht nur mit »Darstellung« und »Ausdruck« übersetzt, sondern beschreibt auch das Vermögen des Menschen, seine Umwelt im Bild (auch Text und Schau-spiel) nachzuahmen. Im engeren Sinn war damit in der Antike zunächst das Abbilden »nach der Natur« gemeint, das Widerspiegeln der »Wirk-lichkeit«. Kunst war das allerdings zunächst nur, insofern das altgriechische Wort ›techné‹ auch »Kunstfertigkeit« im Sinne eines handwerklichen »Könnens« bezeichnete. Für Platon war das, was wir bis gestern »bildende Kunst« nannten, trügerische »Nachbildnerei«. Mimesis, das war lediglich die Nachahmung von »Schattenbildern« an den Höhlenwänden der plato-nischen Ideenlehre. Es war eben keine »Kunst« im Sinne der später so genannten »septem artes liberales«, die die Erziehung des »freien Mannes« ausmachen sollten. Darum waren die mimetischen (abbildenden) Künste mit ihrem »unnützen Blendwerk« im Gegensatz zu den poietischen (her-vorbringenden) Künsten auch nicht gern gesehen, wenn es um die Bildung der Jugend ging. Bei seinen Überlegungen zur Ausbildung der zur Führung des idealen Staates Auserwählten schloss Platon die Maler und Zeichner deshalb schlichtweg aus.1

Kunst

Zu Kunst wurde die Abbildnerei erst deutlich später. Anders als es manch mythologisierende »Geschichte der Kunst« behauptet, ist die Kunst im Singular ein relativ spät in der abendländischen Moderne auftau-chendes Phänomen, das sich mit den kulturellen Innovationen im Umfeld der Zentralperspektive, des Buchdrucks und der damit zusammenhängenden Erfindung des Subjekts gebildet hat. Die ehemaligen Handwerker der Abbildnerei profitierten zunächst von dem in der Renaissance erwachten neuen Inter-esse an der sichtbaren Welt und wurden dann in-nerhalb kürzester Zeit zu den nun nicht mehr nach der Natur, sondern wie die Natur schaffenden »Genies«, die noch heute manche Akademie (und Volkshochschule) bevölkern.

Die mimetischen Prozesse fanden nicht mehr zwi-schen den Bildern und einer außerhalb ihrer liegenden Wirklichkeit statt, sondern zwischen dem Bilderma-cher und einer außerhalb der Wirklichkeit liegenden Schöpfungsinstanz. »Genie ist die angeborene Gemütslage (ingenium), durch welche die Natur der Kunst die Regeln gibt«, hieß es bei Kant.2 Die Pro-dukte des mimetischen Prozessierens verwandelten sich in der Moderne entsprechend vom Ähnlichen über das Schöne zum Erhabenen. Die Kunst der Mo-derne kann man insofern verstehen als Nachahmung zweiter Ordnung. Das Künstlergenie imitiert nicht, was ihm als Gegenstand der Natur gegenüber steht, sondern es ahmt die produktive Freiheit der Natur selbst nach, es mimt die Produktion der Produktion. Im Kontext der aktuellen Kunst potenzieren sich die mimetischen Bezüge noch ein weiteres Mal. Aktuelle Künstler ahmen in gewisser Weise die Produktion der Kunst der Moderne, also in diesem Sinn die ›Pro-duktion der Produktion der Produktion‹ nach. Eine Hamburger Studentin hat das kürzlich auf den Punkt gebracht. Aus ihrer Studienbiografie an der Hochschule für bildende Künste berichtet sie: »Im ersten Jahr habe ich versucht, was zu machen, was wie Kunst aussieht.«

1 Platon: Politeia, Buch VII. Die Übersetzung von Mimesis als »Nachahmung« gibt nur einen Aspekt des Begriffs wieder. Zur weiteren und komplexeren Diskussion vgl. Gebauer, Gunter; Wulf, Christoph: Mimesis. Kultur – Kunst – Gesellschaft, Reinbek bei Hamburg, 2. Aufl. 1998, S. 50–68 sowie Petersen, Jürgen: Mimesis – Imitatio – Nachahmung, München 2000, S. 19–37.

2 Kant, Immanuel (1790): Kritik der Urteilskraft, § 46.3 Hollein, Max: Michael Sailstorfer. Für Immer war gestern.

Hg. von Nicolaus Schafhausen für die Ursula Blickle Stiftung, Nürnberg 2006, S. 16–19.

Fotos auf den folgenden Seiten:»kiss«-Workshop in Hamburg

Torsten Meyer10 / 11 kiss

Page 3: Torsten Meyer Verstrickungen der Mimesis Kunst und ...mms.uni-hamburg.de/blogs/kiss/wp-content/uploads/2010/05/kiss10... · »In mimetischen Prozessen ›gleicht‹ sich der Mensch

»In mimetischen Prozessen ›gleicht‹ sich der Mensch der Welt an«.9 Mimesis ermöglicht es ihm, die Außenwelt in die Innenwelt hineinzuholen und die Innenwelt auszudrücken. In diesem Sinn ›gleichen‹ sich aktuelle Künstler der aktuellen Medienkultur an, wie Hacker sich den Codestrukturen an-gleichen müssen, die sie verändern, die sie subvertieren wollen. Cultural Hacking kann in diesem Sinne als eine zwar besondere, vielleicht radikale, vielleicht aber einfach nur interaktive Angleichung an und Aneignung von Kultur verstanden werden.

Ist es möglich, Kunstpädagogik als Anstoß zum Cultural Hacking zu denken? Als Anstoß zur interaktiven Aneignung von Kultur?

Staging und Reenactment

Auch Jeanne Faust verwickelt uns in komplexe mimetische Prozesse. Der Reiz ihrer Arbeiten besteht wesentlich in einem subtilen Spiel zwischen dokumentarischem Sein und aufgeführtem Schein. Der Rezipient ihrer Filmarbeiten weiß nie ganz genau, was gerade objektiv berichtet, nach der Natur dokumentiert wird und was gerade – hochgradig inszeniert – vorgeführt und dargestellt wird. Beide Ebenen geraten dauernd durch-einander. Die Klammer, die beide Ebenen verbindet, ist die geradezu auf-dringliche Erinnerung an das Medium Kinofilm, die aber doch immer nur Erinnerung bleibt und nie konkret wird. Es erinnert ans Kino, aber es ist kein Kino. Die Arbeiten ahmen Kino nach. Mimesis n-ter Ordnung. Sie stoßen die Erinnerung an, aber dem Vergnügen des Wiedererkennens kann sich der Rezipient dann doch nie hingeben. Irgendwas ist immer anders gemeint.

Auch Eran Schaerf arbeitet mit den eher dynamischen Aspekten der Mime-sis. Er untersucht das Verhältnis von individueller und kollektiver Erfah-rung zum Beispiel ausgehend von der Form der Wiederaufführung, des Reenactments historischer Ereignisse vor dem Hintergrund aktueller politischer Phänomene. Indem die immersiven Erfahrungen des nachstel-lenden Schauspielers mit der distanzierten Kollektiv-Perspektive nach historisch objektiviertem »Drehbuch« vielschichtig verwoben werden, geht das Reenactment über die Ebene des bloßen Imitierens und Abbildens deutlich hinaus. Vielmehr kommt in der Abweichung des Individuellen vom Kollektiven gerade die Interpretation und damit die Interpretierbarkeit der sozialen Codes zum Vorschein, die das Symbolische und die Logik des Mimetischen strukturieren.

Kunst der Einmischung

Dirk Baecker versteht unter einem Hacker ganz all-gemein jemanden, der in der Lage ist, einen Code zu knacken, »sei es ein technischer, ein sozialer oder ein psychischer Code.« Der Hacker ist ein »Spie-ler« und ein »Krieger«, der sich »wie ein Parasit« in bestehende Bild- und Sprachspiele einnistet und sie mit seinen Interventionen »zum Rauschen« bringt und dadurch möglicherweise auch neue Codes in Umlauf bringt (deshalb sind in diesem Sinn auch Jacques Lacan, Bill Gates, Stephen King und Jacques Derrida »Hacker«).4

Die Arbeit von M+M könnte man in diesem Sinn als Hacking bezeichnen, als Cultural Hacking.5 M+M betreiben eine Kunst der Einmischung, indem sie in die Weltkonstruktion durch Zeichenprozesse selbst eingreifen. Dabei bezeichnet »Einmischung«, wie Stefan Iglhaut beschreibt,6 durchaus auch im Sinne dessen, was ein Disk-Jockey tut, das Hinzumischen von ähnlichen oder passend getakteten Sequenzen aus ganz anderen kulturellen Quellen. M+M verar-beiten die durch technische Medien erzeugten Wirk-lichkeiten, nutzen den kulturellen Hintergrund von Wirklichkeitssimulation, um künstlerische Simulati-onen in der kulturellen Wirklichkeit zu platzieren.

Der Hacker installiert einen »Virus«, eine Störung nicht am, sondern im System, die die Codestrukturen dieses Systems in mimetischer Weise vorführt. Und wie Graffiti an den Mauern der urbanen Peripherie markiert ein solches Virus jedes Mal, wenn der Code zur Geltung kommt, weil er fast oder vollständig zusammenbricht, »dass jemand da war, der ›ich‹ sagt, obwohl ihm von den Sprachspielen keine Chance eingeräumt wurde.«7

Interaktive Aneignung

Solches Cultural Hacking kann als mimetisches Handeln verstanden werden. Es ist eine bestimmte Aufführung, eine individuelle Interpretation eines Codes, der zwar anders gedacht war, aber dennoch auch bei vermeintlicher Fehlinterpretation oder Zweckentfremdung als symbolische Basis benutzt wird. Hacking ist nicht (nur) Destruktion, aber ganz sicher auch nicht Abbildung. Es ist eine von »wild pleasure«8 getragene Nachahmung, die nicht Kopie ist. Es ist die interaktive Nutzung eines Codes, eine relativ freie performative Anwendung eines »Drehbuchs«, einer Vor-Schrift, eines Pro-gramms. Im Unterschied zur Mimese, die eher sta-bilisierende Funktion hat, geht es hier jedoch eher um Abweichung und Innovation.

4 Baecker, Dirk: »Intellektuelle I«, in: Ders.: Nie wieder Vernunft. Kleinere Beiträge zur Sozialkunde, Heidelberg 2008, S. 74–81, hier S. 80.

5 Düllo, Thomas; Liebl, Franz (Hg.): Cultural Hacking. Kunst des strategischen Handelns, Wien/New York 2005.

6 Iglhaut, Stefan: »M+M: Sampling und Simulation. Von der Kunst der Einmischung«, in: M+M: ein – aus, Texte von Ulrich Schneider und Stefan Iglhaut, Ausst.-Kat. Suermondt Ludwig Museum, Aachen 1998.

7 Baecker, a.a.O.8 Levy, Steven: Hackers: Heroes of the Computer Revolution, New York 1984, S. 23.9 Gebauer, Gunter; Wulf, Christoph: Mimesis. Kultur – Kunst – Gesellschaft, Reinbek

bei Hamburg, 2. Aufl. 1998, S. 11.

12 / 13 kiss‚Torsten Meyer