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Universität Stuttgart Stuttgart, den 18.07.2008 Philosophisch-Historisches Institut Geschichte der Naturwissenschaft und Technik Dozent: Prof. Dr. Klaus Hentschel SS/08 Seminar Interviews von Technikern und Naturwissenschaftlern Transkription des Interviews mit Prof. Dr. Ing. Dr. phil. Paul Laufs Dipl. Chem. Peter Friebe Weinstraße 34 74382 Neckarwestheim Matrikelnummer: 2359432 Fachsemester: 4

Transkription des Interviews mit Prof. Dr. Ing. Dr. phil ... · Dann, China-Syndrom, schmilzt alles zusammen und so weiter. ... Edward Teller 7, den man ja als Vater der Wasserstoffbombe

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Universität Stuttgart Stuttgart, den 18.07.2008 Philosophisch-Historisches Institut Geschichte der Naturwissenschaft und Technik Dozent: Prof. Dr. Klaus Hentschel SS/08 Seminar Interviews von Technikern und Naturwissenschaftlern

Transkription des Interviews mit Prof. Dr. Ing. Dr. phil. Paul Laufs

Dipl. Chem. Peter Friebe Weinstraße 34 74382 Neckarwestheim Matrikelnummer: 2359432 Fachsemester: 4

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LaufsFriebeInterviewTranskription03-6.doc Seite 2 von 2 10.09.2008 09:08

Datum des Interviews: 01.07.2008 (Teil 1) und 08.07.2008 (Teil 2) Wörtliche Transkription mit geringen sprachlichen Glättungen. Interviewer und Trankribend: Peter Friebe Fußnoten vom Interviewer und Transkribenden (Ausnahmen sind

gekennzeichnet mit Anm. v. PL) Unterstreichungen: : vom Sprecher besonders betonte Passagen. In Klammern : Anmerkungen des Transkribenden [h:mm:ss] : Zeit in der Tonaufnahme (Teil 1 und Teil 2 jeweils bei null

beginnend)

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LaufsFriebeInterviewTranskription03-6.doc Seite 3 von 3 10.09.2008 09:08

Tei 1 Datum des Interviews: 01.07.2008 (Aufnahmegerät zu spät eingeschaltet, da das Gespräch zunächst nur als Vorgespräch gedacht war.) …. Das Gespräch kam auf die wesentlichen Fragen, die H. Laufs in der damaligen Zeit bewegt haben…beispielsweise im Gebiet der Kernenergienutzung. L: …. Sie wissen, dass da zwei Fragen immer im Vordergrund waren. Die erste war: wie

verhindern wir den Zerknall eines RDB1, denn je nachdem, wie die Risse laufen, nicht wahr, wenn Sie einen Rundriss unter dem Deckel hätten, dann haben Sie 30000 Tonnen, die Ihnen den Deckel nach oben jagen. Je nachdem, wie die Risse laufen - davon hängt das sehr stark ab - ist die Energiefreisetzung – und die kann Tonnen von herkömmlichen Sprengstoff entsprechen – …. Tonnen…. . Das heißt, dass auch Ihr Sicherheitsbehälter in Mitleidenschaft gezogen wird. Vor allem auch mit Bruchstücken, die da durch die Gegend fliegen. Das haben wir ja alles erlebt, z. B. beim Abdrücken eines fertiggestellten Kessels in Wolverhampton in England, wo ein Bruchstück eine Hallenwand durchschlagen hat und 50 Meter weit durch die Gegend flog und auf einem Pkw-Parkplatz landete. Und das war nur eine Wasserdruckprobe. … Wasserdruckprobe.

Also, das eine war der RDB. Das Zweite: Was ist wenn wir die Nachwärme nicht abführen können? Dann, China-Syndrom, schmilzt alles zusammen und so weiter. Also, Kernnotkühlung und Integrität des Reaktordruckbehälters, das waren die zwei großen Fragen, um die sich herum riesige Forschungsprojekte entwickelt haben, wo Hunderte von Millionen D-Mark (damals) der Industrie und gleichviel und noch mehr Hunderte von Millionen D-Mark Steuergelder aufgewendet worden sind. Und ich war da ja im Bundestag – ich habe Ihnen meine Lebensdaten mitgebracht (überreicht dem Interviewer ein Blatt Papier, Kopie des Lebenslaufs aus der Promotion bei der GNT) – als Seiteneinsteiger „eingebrochen“ sozusagen. Und da ich einer der ganz wenigen Ingenieure und Naturwissenschaftler im deutschen Bundestag war, sind mir all diese Aufgaben sozusagen automatisch zugefallen. Da hieß es immer: „Reaktorsicherheit, oooohh, das soll der Laufs machen, Datenschutz, oooohh!, ist das kompliziert, soll der Laufs machen, Umweltschutz – da geht es ja auch um viele naturwissenschaftliche technische Fragen – soll der Laufs machen. Da bin ich sozusagen wie die Jungfrau zum Kind zu vielen Themen gekommen, mit denen ich mich – z. B. mit der Kerntechnik – ja zunächst überhaupt nicht befasst hatte. Und ich wurde dann sehr schnell auch Vorsitzender so eines Unterarbeitsausschusses im Innenausschuss der sich speziell mit Strahlenschutz und Reaktorsicherheit beschäftigte und ich wurde dann, so nach und nach, Sprecher und Stellvertretender Fraktionsvorsitzender und dann in der Regierung Kohl über 6 Jahre lang Staatssekretär. Allerdings in zwei Ressorts, zunächst bei Töpfer Umwelt und Reaktorsicherheit und solche Sachen, und dann später Post und Telekommunikation, was ja auch was Technisches ist an sich und wir haben ja dann den ganzen Postbereich abgewickelt, aus einer Bundesbehörde ein privates Unternehmen gemacht, was eine gigantische Leistung war. Wir sind immer noch heute überrascht, wie das überhaupt gelungen ist. Wir mussten das Grundgesetz ändern.

F: Welches ist das Unternehmen, das daraus entstanden ist?

1 RDB = Reaktordruckbehälter

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L: Es sind drei Unternehmen daraus entstanden. Die Deutsche Telekom, die Deutsche Post und die Postbank, als selbständige Unternehmen, wobei zunächst der Bund noch- natürlich- die Mehrheit hatte oder sagen wir mal, alleiniger Aktienbesitzer war ..... Man hat aber im Postbereich sehr schnell nicht nur die Rechtsform privatrechtlich gemacht, sondern auch den ganzen Bereich liberalisiert, so dass Wettbewerb war, damit andere da tätig werden konnten. Eine gigantische Leistung, die nur deshalb gelingen konnte, weil wir nach der Wiedervereinigung ein sehr gutes Wahlergebnis hatten. Also CDU/CSU und FDP hatten ja zusammen, ich glaube 58% oder was,2 der Mandate, so dass wir nur 44 Sozialdemokraten brauchten für die Grundgesetzänderung. Und die haben wir..... mit allen politischen Tricks, ... und Zugeständnissen, haben wir das hingebracht. ….

F: Kostet das Geld, so etwas?

L: Ja, wir mussten zum Beispiel - vom SPD Verhandlungsführer MdB Hans Gottfried Bernrath3 nachdrücklich gefordert – neue Positionen schaffen, die hoch dotiert waren, und die im Grunde gar nicht notwendig, überhaupt nicht notwendig waren.

F. In einem dieser Unternehmen ?

L Nee, wir mussten so ein Konstrukt machen, und im Grundgesetz verankern4, dass es so eine Bundesanstalt für Post und Telekommunikation gab. Die gibt es bis heute noch.

F Und was sind die formalen Funktionen dieser Organisation?

L Sie soll sich sozusagen im Interesse der Allgemeinheit um diese Unternehmen noch kümmern, für die Bediensteten in der Übergangszeit gab es da noch Aufgaben. Das waren ja alles Beamte, im wesentlichen Beamte.

F Hat die einen Namen im Grundgesetz, oder…?

L Ja, ja, im Grundgesetz allgemein umschrieben, zwingend zu errichten. Das Gesetz über die Bundesanstalt für Post und Telekommunikation kam im September 1994. Und mit einem Präsidenten5, Stellvertreter usw. CDU/CSU und FDP hätten dies alleine nie so gemacht. Die Postgewerkschaft war erbittert gegen die Postreform. Das Postministerium war ja genau zwischen Bonn und Bad Godesberg und da gab es noch einen Zwickel, der der Stadt Bonn gehörte und die SPD-Oberbürgermeisterin verpachtete den, diesen Zwickel der Postgewerkschaft. Und die hat da ein par Tonnen Geräuschmaschinen installiert und hat pausenlos das Postministerium beschallt. Die Beamten mussten Ohropax benutzen und man war teilweise nicht in der Lage sich richtig zu unterhalten, so laut war da der Lärm und die Reden gegen die Postreform, die wir da vornehmen wollten. Das war also unglaublich. Davon hat natürlich die Öffentlichkeit auch nichts

2 Ergebnis Bundestagswahl 02.12.1990 in %: CDU: 36,7, CSU: 7,1, FDP: 11,0, SPD: 33,5, B.90/Grüne: ,8. Mandate: CDU: 268, CSU: 51, FDP: 79, SPD: 239, B.90/Grüne: 8, PDS: 17. (. CDU/CSU und FDP 398 von 662 Mandaten (60,12%). Die Grünen, die nur in Westdeutschland antraten, hatten 3,8% und erhielten keine Mandate. B.90/Grüne nur im Osten über 5% und erhielten bundesweit 1,2% aber nach VfG-Urteil 8 Mandate. (Anm. v. PL) Vergl. auch: http://www.wahlen-in-deutschland.de/buBTW.htm und http://www.bundeswahlleiter.de/ergebalt/d/t/bt-int90.htm (30.08.2008) 3 Hans Gottfried Bernrath, geb. 1927. Ministerialdirektor im Postministerium a. D. 1980-1994 MdB (SPD), Deutsche Postgewerkschaft seit 1948. (Anm. v. PL) 4 Art. 87f Abs. 3 GG (Anm. v. PL) 5 Präsident (Vorstandsvorsitzender) von 1994 bis 1999 war Hans Gottfried Bernrath (Anm. v. PL)

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mitbekommen. Kurzum, das ist uns geglückt. Ich will da ja nicht ausschweifen, sondern Ihnen sagen, ich war nicht nur von Anfang an Mitglied des Innenausschusses sondern auch Mitglied im Forschungsausschuss. Und habe dann im Forschungsausschuss, ein ganz spezieller Freund von mir war und ist der Heinz Riesenhuber, der dann Forschungsminister wurde unter Kohl, und den ich von der Jungen Union aus her kenne. Und deshalb bin ich da gerne auch immer hingegangen, in den Ausschuss und wenn die da eine gemeinsamen Exkursion oder irgendetwas Besonderes machten, bin ich da immer mitgegangen. So, dass ich auch aus der Nähe erleben konnte, welche Aufwendungen die Bundesrepublik Deutschland auf sich nahm, um im Bereich der Reaktorsicherheit die Dinge voranzutreiben. Und was mich sehr bewegt hat, das muss ich wirklich so sagen, war die Tatsache, dass die international aufsehenerregenden Ergebnisse dieser Forschungen von der politischen Öffentlichkeit der Bundesrepublik Deutschland nicht zur Kenntnis genommen worden sind.

F: Wie kann so etwas passieren?

L: Da kommt nun die Politik voll mit herein. Wir hatten die 68’ger Bewegung. Die 68’er Bewegung wollte ja eine Zäsur haben in diesem Staat. Und zwar in allen Bereichen. Die waren also gegen die Banken, die waren gegen die Bundeswehr, die waren gegen die Westintegration, sie waren gegen den Parlamentarismus, die repräsentative Demokratie. Zurück zu den Räten und solches Zeug ging da ja um. Und sie waren vor allem gegen das, was sie als bedrohlich empfunden haben im Bereich der Technik, also die Großchemie, die Großkraftwerke, und vor allem die Atomkraft. Der Kampf gegen die Atomkraft ist ja konstitutiv gewesen für die Entstehung der Grünen und ist es bis heute für sie, der Boden auf dem sie leben. Sie haben ja alles mögliche abschwören müssen. Ihre Ablehnung der Bundeswehr, und der Nato und so weiter, das alles ist ja inzwischen Geschichte. Nur an einem halten sie noch fest. Das ist: diese unheimliche Atomkraft muss beseitigt werden, es müssen alle Spuren hier verwischt werden. Und das haben leider auch die linken Intellektuellen in der Sozialdemokratie übernommen, obwohl die Sozialdemokratie ja am Anfang der Atomkraftnutzung mit einer unglaublichen Euphorie die Atomkraft in Deutschland einführen und nutzen wollte. Die haben ja einen Parteitag dazu gemacht, in München, [1:13: 27] im Juli 1956, wo sie riesige Beschlüsse zur Atomkraft gefasst haben.6 Dort war die Hoffnung, dass mit Hilfe dieser ungeheuren Energiequelle sozusagen das ganze Elend und die Last der Arbeiterschaft beseitigt werden können. Wenn man so viel Energie hat, die man nutzen kann, dann braucht man diese entwürdigende schwere körperliche Arbeit nicht mehr. Dann hat man ganz andere Perspektiven für die Entwicklung des Landes. So ungefähr war die Euphorie damals. Die Union war nie gegen die Atomkraft, aber sie war immer auch kritisch. Wenn sie sich anschauen: die ersten Proteste gegen die Atomkraft sind ausgegangen von CDU-Stadträten in Karlsruhe. Als man dort das Kernforschungszentrum begründete, wollten die wissen, und haben Flugblätter dazu gemacht, wie sieht es aus mit dem Strahlenschutz für die Bevölkerung? Welche Sicherheiten haben wir denn eigentlich, dass nicht Schädliches für uns und unsere Kinder dort passiert? Das waren die Sorgen, die die gehabt haben. Und wenn Sie die Landtagsdebatten anschauen damals, Veith (SPD) Wirtschaftsminister, in der ersten großen Koalition unter Gebhard Müller, der hat „gepowert“ für die Atomkraft und die

6 Aus der Präambel der Godesberger Parteitagsbeschlüsse (Nov. 1959): ,,Das ist der Widerspruch unserer Zeit, daß der Mensch die Urkraft des Atoms entfesselte und sich jetzt vor den Folgen fürchtet; .... Aber das ist auch die Hoffnung unserer Zeit, daß der Mensch im atomaren Zeitalter sein Leben erleichtern, von Sorgen befreien und Wohlstand für alle schaffen kann, wenn er seine täglich wachsende Macht über die Naturkräfte nur für friedliche Zwecke einsetzt..". Zit. aus: Dowe, Dieter und Klotzbach, Kurt (Hg.), Programmatische Dokumente der deutschen Sozialdemokratie. Bonn 1990 .

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CDU-Landtagsabgeordneten aus dem Bereich Karlsruhe, drei oder vier, die haben ihre Sorgen dargestellt und haben gesagt: „und was macht ihr denn… und wir haben doch da Hinweise…“. Es war ja die Atomkonferenz von 1955 in Genf gewesen. Und in Genf hat Edward Teller 7, den man ja als Vater der Wasserstoffbombe bezeichnet, der auf jeden Fall bei der Entwicklung der Kernkraft im militärischen Bereich, aber dann auch im wirtschaftlichen, privatwirtschaftlichen Bereich enorm viel beigetragen hat. Dieser Edward Teller hat mit aller Klarheit da einen Vortrag gehalten, [klopft im Rhythmus der Worte mit der Hand auf den Tisch] welche Gefahren mit der Kernenergie verbunden sind ! Mit aller Klarheit ! Nichts zurückgehalten! Und da kamen dann die Landtagsabgeordneten aus Karlsruhe und haben gesagt: „ na schaut doch mal, das muss man doch ernst nehmen!“ und „wie sieht das aus jetzt in Karlsruhe, denkt ihr an so etwas?“

F: Wie kommt das, dass solche Ängste dann plötzlich anderswo einfließen, oder kehrt sich das komplett um?. Da wundert man sich doch!

L: Da wundert man sich…. Es ist so gewesen, ich habe das ja in meiner Doktorarbeit auch am Rande dargestellt, weil ich da noch Zeitzeugen auftreiben konnte, kennen lernen konnte. Wie z.B. den Lindackers, der damals von Bedeutung war….

F: Haben Sie die Leute auch persönlich interviewt?

L: Ja, ja, na klar, und mir das dann auch schriftlich geben lassen. Und vor allem dieser Lindackers8: hat eine Promotion gemacht an der RWTH in Aachen und hat – seine Doktorarbeit berührt das gar nicht – einen Doktorvortrag gehalten, wie das dort damals üblich war. Er war gerade von einer Tagung aus England zurück gekommen. Und in England gab’s so einen Fall Windscale9, der ein Spezialfall ist. Da wurde Wigner-Energie frei. Also die haben ja zunächst eine ganz andere Technik benutzt, nämlich ….

F: Windscale, das ist doch die Aufbereitungsanlage, mit einem Kernkraftwerk mit mehreren Blöcken …

L: Ja, ja… . Die haben einen Block gehabt, mit Gas gekühlt, CO2 gekühlt, Natur-Uran und moderiert mit Graphit. Und das hat ja der Eugene Wigner10, der Professor war in Berlin

7 Edward Teller (1908 - 2003) (Ungarisch: Ede Teller). Ungarisch-amerikanischer Physiker. 1934 zunächst nach England, 1935 in die USA emigriert. Mitglied des Manhattan-Projekts. Gilt als Vater der Wasserstoffbombe. 8Lindackers, Karl-Heinz Dr. -Ing., geboren am 15. 7. 1932 in Düsseldorf, diplomierte 1965 über Untersuchung verschiedener Methoden zur Bestimmung der Radioaktivität der Luft und promovierte 1970 über Einflüsse des atomrechtlichen Genehmigungsverfahrens in der Bundesrepublik Deutschland auf die technische Auslegung und den Betrieb von Kernkraftwerken seit 1979. Honorarprofessor für Umweltbelastung durch Energieumwandlung an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen vgl. http://www.archiv.rwth-aachen.de/1995.htm (25.8.08) 9 Windsacale (heute Sellafield): Seit 1947 Nuklearstandort in England. Zur Energieversorgung und zur Herstellung von waffenfähigem Plutonium wurden zwei Kernkraftwerksblöcke (Graphitmoderiert, Gasgekühlt) installiert. Auf dem Anlagengelände befinden sich heute zwei Wiederaufbereitungsanlagen für abgebrannte Brennelemente kommerzieller Kernkraftwerke. 10 Eugene Paul Wigner (Ungarisch: Wigner Jenő Pál) 1902–1995. Ungarisch-amerikanischer Physiker und Nobelpreisträger. Studium: Chemie-Ingenieurwesen. 1925 Promotion an der Technischen Hochschule Berlin (heutige Technische Universität Berlin). 1926 Assistent von Richard Becker an der Technischen Hochschule Berlin. Wegen seiner jüdischen Herkunft verlor er 1933 seine dortige Professur und emigrierte in die USA. Engagierte sich für das amerikanische Atombombenprojekt in Los Alamos. Im Manhattan-Projekt plante Wigner den Bau des ersten Industrie-Reaktors, der Plutonium als bombentaugliches Material erbrütete.

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und später Nobelpreisträger11 geworden ist, der dann 1933 auch emigriert ist im einzelnen untersucht. Das war ja diese Gang12 aus Budapest. Szilárd13, also zu deutsch „Spitz“, der Edward Teller und der Eugene Wigner. Alle etwa gleich alt, alle aus Budapest nach Deutschland gekommen um in Deutschland zu studieren. Z. B. der Teller hat in Karlsruhe und Leipzig studiert und promoviert beim Heisenberg. Die sind was geworden. Wie der Szilárd ja auch. Die drei waren die treibende Kraft für das Atomprogramm in den USA. Die sind gekommen und haben gesagt, da tut sich was in Deutschland und wir befürchten, dass Hitler die Atombombe bauen lässt. Die Deutschen haben jetzt in der Tschechoslowakei die ganzen Uranvorkommen usurpiert für sich. Die sind dann zum Einstein gefahren und haben gesagt: „Einstein, Sie müssen an den Präsidenten der Vereinigten Staaten einen Brief schreiben und darauf hinweisen; Sie haben die Autorität, wir haben die nicht“. Und dann haben die dem Einstein den Brief entworfen und der Teller war bei Einstein, und sie haben den Roosevelt dazu gebracht, dass der dieses Atomprogramm gestartet hat. Und in diesem Atomprogramm waren diese drei Ungarn, die aus Deutschland kamen, die in Deutschland gearbeitet hatten, promoviert haben und was geworden sind von großer Bedeutung; die haben wirklich schon einen Namen gehabt. Z.B. der Wigner war ein ganz berühmter Quantenmechaniker. Wenn Sie heute die alte Zeitschrift für Physik aufschlagen, finden Sie Artikel von dem Wigner. Und der Wigner hat ja gefunden, dass durch die Neutronenbombardements die Kristallstrukturen verändert werden. Die Atome werden versetzt und, dass insbesondere in Graphit mit der Zeit die Moderationsfähigkeit zurückgeht, das versprödet, verhärtet sozusagen und, dass man eigentlich nichts anderes machen muss zum Regenerieren, als den Graphit auf eine höhere Temperatur zu bringen, dann allerdings wird wieder zusätzliche Energie frei, diese Wigner-Energie, weil nun diese Versetzungen rückgängig gemacht werden. Dabei wird Energie frei. Und da haben sie nicht aufgepasst in England. Als die ihren Graphit regeneriert haben, haben sie nicht genug Kühlung gemacht. Und dann plötzlich hatten sie eine Leistungsexkursion. Da wurde so viel Wigner-Energie frei, dass das Ding anfing zu brennen und durchzuschmelzen14. Am zweiten Tag hatten sie größere Freisetzungen, weil die ja keine Containments hatten bei diesen gasgekühlten riesigen Apparaten. Da hatten sie Freisetzungen von radioaktivem Iod und anderen Elementen und deshalb haben sie sich sehr intensiv in England immer mit der Frage auseinandergesetzt: „ was geschieht bei der Freisetzung von radioaktiven Stoffen?“ Und da war so eine Tagung in London und dieser Lindackers war dort und noch ein paar Deutsche, es waren acht oder zehn. Und da haben englische Wissenschaftler vorgeführt wie viel Tote es gibt usw. abhängig von der Freisetzungshöhe, und von der Wetterlage usw. und haben das eindrucksvoll aufgeführt. Und dieser Lindackers hat, weil damals der Reaktor für die Chemie im Gespräch war in Ludwigshafen, der BASF-Reaktor, der hat nun diese Überlegungen aus England angewandt auf den Standort Ludwigshafen mit seinem Umfeld Mannheim, Ludwigshafen, Heidelberg usw., was da an großen Städten außen ´rum ist und kam da zu sensationellen Ergebnissen. Tausende Sofort-Tote, unglaublich. [21:33] So, und das hat er vorgetragen als seinen Promotionsvortrag in Aachen. Das ist nie publiziert worden, sondern gewisse Zuhörer haben ihn gebeten, ihnen das Manuskript zu geben zur Ablichtung, weil sie das so interessant fanden. Und dieses Papier- nirgends publiziert worden- von dem ich auch

11 1963: Nobelpreis für Physik: Eugene Wigner zusammen mit J. Hans D. Jensen und Maria Goeppert-Mayer 12 Eugene Wigner, Leo Szilárd, Edward Teller und John von Neumann: Vier Wissenschaftler des Manhattan Projektes ungarischer Abstammung. Sie wurden sie wegen ihrer „überirdischen“ geistigen Fähigkeiten von ihren amerikanischen Kollegen als „martians“ bezeichnet. 13 Leó Szilárd (1898 - 1964). Ungarisch-amerikanischer Physiker und Molekularbiologe. Bekannt durch seine Beteiligung am Manhattan-Projekt. 1933 über Wien nach England, 1938 nach USA emigriert. 14 Am 10. Oktober1957 kam es in einem Kernkraftwerk der Anlage in Windscale zu einem Brand. Dies führte zu einer erheblichen Freisetzung radioaktiven Materials wurde. Die Radioaktive Wolke breitete sich über England und das europäische Festland aus.

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von Lindackers eine Kopie erhalten habe, wie ein Lauffeuer hat sich das verbreitet. Davon sind hunderttausende von Kopien gemacht worden. Und das ging dann in diese Grundströmung ein in Deutschland. Die Adenauer-Zeit war zu Ende, viele junge Leute fanden: das ist alles so verkrustet und wir brauchen mehr Demokratie, wir müssen ganz neu herangehen, müssen offen mit den Problemen umgehen. Und da gab es sofort eine ziemlich rührige Gruppierung in Deutschland, ziemlich viele Menschen, die beunruhigt waren darüber und sich der Antiatomkraft-Bewegung angeschlossen haben. Das kann man zeigen, wie sich das entwickelt hat, insbesondere in Wyhl15.

F: Das geht ja bis heute so, kann man sagen.

L: Ja, ja. In Wyhl, Brokdorf16 usw., und dann gab’s diese Prozesse, den Wyhl-Prozess vor allem. Ich habe das ja in meiner Arbeit auch ein bisschen dargestellt. Kurzum: Das habe ich erlebt ! [in beschwörenden Tonfall, kneift die Augen zusammen] und hab’ dann gesehen, wie die Ergebnisse unserer Forschung nicht mehr zur Kenntnis genommen worden sind [klopft im Rhythmus der Worte mit der Hand auf den Tisch]. Man kann das charakterisieren mit dem Wort: „Die Dogmatisierung von Irrtümern in einer hochgradig ideologisierten politischen Landschaft“. Und dann redet man nicht mehr darüber…

F: Sie hatten vorhin gesagt: „die Öffentlichkeit hat nichts mitbekommen“. Das war bezogen auf die Gewerkschaften, die das Ministerium beschallen und solche Sachen… . So was kann man ja hier auf etliche Themen auch beziehen.

L: Ja, …. Ja, … natürlich.

F: Und erstaunlicherweise kriegte die Öffentlichkeit nur bestimmte Sachen mit und bestimmte andere nicht. Und da ist wirklich ein Punkt, der ganz wichtig ist….

L: Das ist ein ganz, ganz wichtiger Punkt. Kurt Tucholsky hat sich gewundert darüber, dass jeden Tag genauso viel passiert wie in der Zeitung Platz hat. Die Wahrheit ist natürlich, dass die, die die Zeitung machen, aus einer unendlichen Vielfalt von Ereignissen und Geschehen immer gewisse Dinge auswählen. Und sie wählen das aus, was sie selber interessant finden.

F: Aber ich meine: diese Promotionsrede, von der Sie sprachen, ist ja eine Sache gewesen, die hätte auch Brisanz gehabt, die hätte auch – sagen wir mal – anders unter die Leute gebracht werden können, als so unter der Hand kopiert.

L: Und ist auch von den Medien immer wieder zitiert worden. Diese Rede von dem Lindackers hat noch viele Jahre später selbst in Bundestagsgremien eine große Rolle gespielt. Und der Lindackers hat sich natürlich überhaupt keine Gedanken gemacht, wie z. B. diese Masse an Spaltprodukten bodennah direkt freigesetzt werden können. Man muss sich ja mal vorstellen, wie so ein Kernkraftwerk aussieht und wie dann die

15 Gemeinde Wyhl am Kaiserstuhl. Überregional bekannt wurde Wyhl Anfang der 70er Jahre aufgrund des Wiederstandes gegen den geplanten Bau des Kernkraftwerkes Süd (KWS) bei Wyhl (zwei Blöcke, el. Leistung: je 1375 MW). Der Bau wurde eingestellt. 16 Gemeinde Brokdorf im Kreis Steinburg, Schleswig-Holstein. Kernkraftwerk Brokdorf (KBR): Nach ihr benanntes Kernkraftwerk an der Unterelbe. El. Leistung 1480 MW. Bekannt wurde der Standort insbesondere durch die 1976 und 1981 stattgefundenen zum Teil unfriedlichen Demonstrationen gegen den Bau (1976), bzw. Weiterbau (Feb. 1981). Feb. 1981: 100000 Demonstranten, 10000 Polizisten, 128 verletzte Polizisten und ca. ebenso viele Demonstranten.

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Freisetzungsmechanismen ablaufen können, im Rahmen der Physik und der Chemie. All diese Gebäudeteile, die wir da haben. Natürlich kann man das intellektuell und theoretisch sagen, gut ich gehe mal von dem Modell aus, dass alles bei 1 m Höhe bei Inversionswetterlage bei einer Windgeschwindigkeit von einem Meter pro Sekunde in Bodennähe freigesetzt wird. Und dann schau ich mal, was wird daraus. Und, dass da Schlimmes draus wird, ist klar. Also, wenn man sich Tschernobyl anschaut: über was ich wirklich verblüfft bin bis heute, das ist die sehr geringe Zahl von akuten Toten die es dort gegeben hat. Im Wesentlichen eben die Einsatzkräfte, die man da gleich ´reingeschickt hat mit Feuerwehrschläuchen usw., etwa 30 bis 40, etwa diese Größenordnung. Das eigentliche Verbrechen von Tschernobyl war, dass man nachher Hunderttausende im Hinblick darauf, dass sie nur begrenzt belastet werden, nur kurze Zeit ´reingeschickt hat, deshalb hat man hunderttausende gebraucht. Aber die sind da ´rein ohne jeden Schutz, in Strahlenbelastungen wo sie nicht länger als 20 oder 30 Sekunden sich aufhalten sollten. Dann hatten Sie schon ihre Lebensdosis weg. Und die sind da mit der Schaufel am Arm rein und haben dann die hochradioaktiven Brocken da weggeschafft. Und hatten überhaupt keine Kontrollgeräte an sich, alle Alarme waren sowieso ausgeschaltet, weil die sonst ununterbrochen Alarm gegeben hätten. Da ist wirklich ein großes Verbrechen passiert. Und wie viele Tote daraus abzuleiten sind, dass weiß man bis heute nicht. Es gibt Schätzungen, dass es tausende sind, die deshalb früher sterben müssen. Bei der akuten Situation: … Da ist man verblüfft, wie wenig Tote es da gegeben hat in Tschernobyl bei dieser enormen Freisetzung.

Ich weiß nicht, wo eigentlich Ihr Schwerpunkt ist. Ich kann Ihnen darstellen, wie ich sozusagen in die Politik hineingeschlittert bin, wie ich dann als Naturwissenschaftler, als Ingenieur gewisse Aufgaben übernommen habe in meiner Fraktion, und wie mich, die Erfahrungen insbesondere mit den Medien immer sehr bewegt haben (mit beschwörender Stimme). In der Politik kommt es ja nicht, - das ist auch eine Erfahrung die ein Ingenieur erst mal machen muss -kommt es nicht an auf das, was wahr ist, was Sache ist, was beweisbar und belegbar ist, sondern es kommt darauf an, was die Leute für wahr halten. Und das ist in der Regel identisch mit dem, was die Massenmedien verbreiten. Und da kann ein enormer Gegensatz sein. Und den habe ich schlimm erlebt [mit tiefer Stimme, langsam gesprochen]. Als ein ehrlicher Ingenieur und Naturwissenschaftler hat mich das sehr geschlaucht, dass es nicht möglich ist, Sachen ´rüberzubringen, die eigentlich ganz klar sind. Ich kann Ihnen einige schöne Beispiele dazu geben. Aber…. Als ich aus dem Bundestag ´raus bin, da gibt’s natürlich unterschiedliche Motive. Ein großes Motiv ist natürlich für jeden, der so 100% gefordert ist und dann in der logischen Sekunde der Konstituierung des neuen Bundestages auf null gefahren wird. Sie sind voll im Amt, wir haben noch Sondersitzungen gehabt, noch nach der Bundestagswahl usw., noch der alte Bundestag. Und dann plötzlich ist man auf null. Das hält ja kein Mensch aus. Man kann nicht plötzlich stillgelegt werden. Da muss man sich überlegen, was man tut. Und da kam dann das zweite Motiv, nämlich: es muss doch mal dargestellt werden, was da alles geleistet worden ist. Das darf doch nicht verloren gehen. Dann habe ich geguckt, wer hat denn darüber geschrieben. Es gibt eine riesige Literatur über die Kernenergienutzung in der Bundesrepublik Deutschland. Die ist im wesentlichen geschrieben worden von 68ern. Man merkt so richtig von Anfang an, manchmal, die schreiben da über Teufelszeug. Denen geht’s vor allem darum, mit langen Fingern auf diese Verbrechertypen in der Industrie usw. zu deuten, die sozusagen für Profite, die sie da mit diesen Maschinen machen, über Leichen gehen. So ungefähr ist die Einstellung aus dieser unsäglichen Ecke. Und wenn man deren Schriften liest, dann merkt man, dass sie von der Sache null Ahnung haben und richtig schlimme Fehler machen.

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F: Da fragt man sich doch: wieso kann das passieren, dass Leute, die keine Ahnung haben, so eine große Wirkung haben?

L: Richtig: weil sie ideologisch richtig liegen. Oder die Vervielfältiger auf ihrer Seite haben. Die, die dann laut das hinausposaunen und verstärken, was sie in Anführungszeichen „wissenschaftlich“ erarbeitet haben.

F: Denn es ist ja schon ein Phänomen, dass das so ist.

L: Das ist ein phantastisches Phänomen. Und das muss dargestellt werden. Das ist ganz entscheidend. [mit beschwörender Stimme]. Sie müssten eigentlich noch viel tiefer gehen. Wir sind ja in einem Umbruch der Kultur, was gar nicht so richtig wahrgenommen wird, weil er schleichend erfolgt. Der Kern davon ist, dass das Wort und die Sprache ersetzt wird, durch das Bild, durch die Fotografie. Sprich, dass immer mehr Menschen ihre Kenntnis der Realität der Welt nicht mehr aus Schriften beziehen, sondern aus dem Fernsehen. Nun ist die Schrift unverzichtbar, wenn man kategorisieren will, wenn man Zusammenhänge darstellen will. Ein Bild kann keine Zusammenhänge darstellen. Ein Bild ist ein Bild. Ein Bild erzählt keine Geschichte. Sie müssen bereits Bescheid wissen, wenn Sie ein Bild richtig einordnen wollen. Wenn Sie nicht die Hintergründe kennen, wenn Sie nicht Bescheid wissen, kann ein Bild alles bedeuten.

F: Es gibt ja den schönen Spruch: ein Bild sagt mehr als tausend Worte….

L: Richtig, wenn Sie die Tausend Worte haben, wenn Sie die schon haben, dann kann ein Bild sozusagen wirklich schlaglichtartig eine Situation deutlich machen. Und ein Bild wirkt auf die Sinne ein. Lesen sie nach in den zahmen Xenien von Goethe17, der sagt, man kann großen Unsinn….Er hat das ja wunderschön ausgedrückt; ich habe jetzt den Wortlaut hier nicht, ich kann es nur mit meinen Worten sagen: Man kann großen Unsinn schreiben und erzählen. Das hat nicht die Wirkung, wie wenn ein falsches Bild da ist, das die Sinne gefangen nimmt. Und immer mehr Menschen beziehen ihr Wissen um die Realitäten dieser Welt aus dem Fernsehen. Und das Fernsehen hat nun seine eigenen Gesetzmäßigkeiten. Im Fernsehen muss alles unterhaltsam sein. Es muss alles emotional berührend sein, es muss alles attraktiv sein und deswegen [35:02: kurze vorübergehende Störung des Interviews durch Arbeiten an Rauchmeldern] werden die tatsächlichen Zusammenhänge völlig verfälscht. Und unsere Zeitungen werden ja auch immer mehr zu Bildzeitungen, selbst die FAZ, selbst die Zeit usw., die früher natürlich die Nase gerümpft haben, wenn man nur „Bildzeitung“ gesagt hat. Die werden inzwischen auch zur Bildzeitung. Und was machen sie? Sie machen ja das Selbe wie das Fernsehen. Sie stellen die Wirklichkeit nicht mehr so dar wie sie wirklich ist, sondern wie es gefällig ist und wie das attraktiv ist usw.. Dieser Tage kam ja ein typisches Beispiel: selbst in der FAZ auf der ersten Seite ganz groß dieses Hubschrauberbild von den Indianern im brasilianischen Regenwald. Sie haben das ja auch gesehen, wie die mit ihren Pfeilen den Hubschrauber bekämpfen und da steht drunter: man hat da eine Ethnie oder eine Volksgruppe gefunden, die noch nie Kontakt zur Zivilisation hatte. Und da sah man also die nackten Männer da unten - oder die halbnackten - die mit ihren Pfeilen nach oben schießen. Da gibt es so viele Fragen sofort. Warum haben die noch nie Kontakt gehabt? So eine kleine Gruppe ist doch auf Dauer gar nicht lebensfähig, wenn sie nicht Kontakt mir anderen Gruppen hat.

17 Von Goethe und Schiller gemeinsam verfasste Distichen (Distichon: Zweizeiler bestehend aus einem Hexameter und einem Pentameter). Die Xenien von Goethe und Schiller sind meist polemische und kritische Angriffe auf die Literaturzunft. Xenie: gr. Gastgeschenk eines Fremden. Xenien nannte der römischen Dichter Marcus Valerius Martialis seine als Begleitverse für Geschenke gedachten Epigramme.

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Und der Regenwald ist derartig gut schon erforscht, dass sie selbstverständlich schon Kontakte gehabt haben müssen. Dass sie vielleicht den Hubschrauber nicht wollen und ihn nicht landen lassen wollen, ist vielleicht naheliegend. Aber viele Dinge, die einen sofort berühren und Fragen wie: „wo sind denn die Frauen?, die Kinder? Da sieht man gar nichts! Es sind nur ein paar wenige Hütten. Wie leben die? usw. Das alles wird einem nicht mehr gesagt, sondern man sieht nur die Oberfläche, ein par nackte Männer mit ihren Pfeilen. Und dann wird drunter eine Behauptung aufgestellt, die bei kurzem Nachdenken sich als sehr zweifelhaft herausstellt. Also, kurzum: Das ist heute unsere Art, die Wirklichkeit zu erleben und aufzunehmen: nämlich nur die Oberfläche, nur dort wo es emotional ist, wo es attraktiv ist. Und Zusammenhänge werden schon gar nicht mehr dargestellt.

F: Jetzt gibt es aber doch kluge Köpfe in allen Bereichen, sowohl in der Wissenschaft, der Technik, in Unternehmen, in der Politik, die für die Allgemeinheit Verantwortung tragen und auch die Entscheidungen treffen….

L: Die haben keine Chance…

F: Wie kommt es, dass an dieser Stelle das technische Grundwissen nicht dort ankommt, wo die Entscheidungen getroffen werden?

L: Ich sage Ihnen…weil….

F: Und warum redet man da aneinander vorbei? Oder redet man nicht aneinander vorbei?

L: Doch man redet natürlich aneinander vorbei bzw. die anderen haben schon resigniert. Die Wirklichkeit ist eben kompliziert.. Auch Ingenieure gehen ihren eigenen Weg. Sie erkennen dann, dass etwas so nicht gemacht werden kann, sondern es muss anders gemacht werden. Das ist ein „trial and error“ Verfahren, bis man zum Ergebnis kommt. Und der Ingenieur - das hat mich dann auch sehr motiviert - der Ingenieur versucht immer, nur seine Ergebnisse darzustellen. Sein Werk. Und er vergisst alle seine Irrwege, die er vorher gegangen ist, um zum Werk zu kommen. Er stellt das Werk dar. Darauf ist er stolz. Das ist es. Wie er dazu gekommen: das vergisst er sehr schnell. Aber das gehört eben auch dazu.

F: Über Misserfolge und Fehler berichtet man ja nicht so gerne

L: Ich sage Ihnen auch, es sind noch im Jahr 1980 Kessel zerknallt. Mit großem Schaden. In Deutschland hergestellt. Ohne dass wir davon erfahren, wenn es keine Toten gibt und der Staatsanwalt sich dafür interessieren muss – z. B. in Huckingen, ging da ein Kessel mitten in der Nacht hoch und in der Halle war niemand. Es gab also keine Verletzten, keine Toten, einen riesigen Sachschaden, aber nach außen hin, über den Kraftwerkszaun hinaus gab es keine Einwirkungen, also hat man das niedrig gehängt. Möglichst gar nicht drüber reden, steckt man weg. Woher weiß ich, was da passiert ist? Wenn natürlich – da geht es auch um viel Geld: Gewährleistungen, wer hat den Kessel gemacht, hat den Fehler gemacht? Dann werden solche Dinge an die Materialprüfanstalt gegeben. Und da war eben die erste Adresse, hier Stuttgart. Da fand ich dann die ganzen Unterlagen. Über die Sie sonst nirgendwo was erfahren. Niemand spricht gern davon. Dass da so ein Kessel zerknallt ist. Das ist ja ein tolles Ding….

F: Wer hängt das niedrig?

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L: Alle! Die Industrie hat kein Interesse. Die Exportindustrie, die so abhängt von Kunden überall, hat doch kein Interesse, groß zu sagen: unsere Produkte zerknallen. Auch der Kraftwerksbetreiber hat kein großes Interesse daran zu sagen: „also passt mal auf, bei mir können schreckliche Dinge passieren“. Im Nachbarort wohnen die Leute, die bei ihm arbeiten. Der hat auch kein Interesse. Also wird das niedrig gehängt, möglichst. Und wenn in Spanien in den Ensidesa Hüttenwerken noch in den 70er Jahren ein Kessel im Betrieb zerknallt, acht Tote, hundert zum Teil schwer Verletzte und im Umkreis von drei Kilometern alle Fensterscheiben hin, dann wird das in der deutschen Presse auch klein gebracht und vor allem wird nicht gesagt, dass das ein deutscher Kessel von Rheinstahl war und so. Da geht’s gleich um Interessen und Arbeitsplätze und Ansehen der Deutschen usw.

F: Halten Sie das nicht auch für ein Problem, Dinge niedrig zu halten, die wichtig sind?

L: Aber natürlich,…. natürlich. ….

F: Denn diejenigen, die sowieso ein bisschen ängstlich sind oder von der Sache nicht genug verstehen, um das beurteilen zu können, werden dann ja misstrauisch.

L: Ja klar, es ist immer besser, mit offenen Karten zu spielen, wenn es gelingt, wirklich die Sache überzubringen. Aber da ist ein riesiger Filter. Und das heißt: Öffentliche Medien. Die können nicht in die Einzelheiten gehen. Das ist nicht möglich. Selbst in der Zeitung ist man sehr begrenzt. Und sie können von den Leuten nicht verlangen, von den normalen Bürgern draußen, dass die etwas verstehen von der Technik.

F: Und dann hängt die Politik davon ab.

L: Die Politik geht immer den bequemen Weg. Sie hängt sich an die veröffentlichte Meinung an und versucht sich darzustellen als der Retter in der Not, als der, der dann dafür sorgt, dass das in der Zukunft nicht mehr passiert usw. Und wenn dann mal die Öffentliche Meinung so abgefahren ist, wie sie abgefahren ist in Sachen Kernkraft, dann ist es sehr schwierig, da ´rauszukommen.

F: Gibt es keine Lösung, da `rauszukommen aus diesem Dilemma?

L: Aber natürlich. Natürlich kommt man wieder `raus und ich sage Ihnen durch das Beispiel der Nachbarn. Die Schweizer haben in Beznau18 und in Gösgen19 ja schon mit Volkabstimmungen beschlossen, neue Kernkraftwerke zu bauen. Volksabstimmungen….

F: Das wäre jetzt meine nächst Frage gewesen.

L Ja, in England haben sie beschlossen, eine sozialistische Regierung, zwanzig neue Kernkraftwerke zu bauen, in Frankreich sind welche in Bau, in USA sind welche in Bau. Überall sind welche in Bau. Und wenn man den Leuten sagt: „es macht keinen Unterscheid, das wissen wir ja nun aus Tschernobyl, ob das Kernkraftwerk nun ein par Kilometer jenseits unserer Grenzen in der Schweiz steht oder bei uns steht. Und die haben

18 Kernkraftwerk Beznau befindet sich auf dem Gebiet der Gemeinde Döttingen (Kanton Aargau) am der Aare. Zwei Blöcke (1 und 2), mit Druckwasserreaktoren mit je 365 MW el. Leistung. Hersteller: Westinghouse. 19 Kernkraftwerk Gösgen: liegt an der Aare zwischen Aarau und Olten, auf dem Gebiet der Gemeinde Däniken. Eine Block, elektrische Leistung 1020 MW. Hersteller: Siemens – Kraftwerkunion.

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die großen Vorteile und wir? Wir dürfen den extrem teuren Strom aus Windmühlen und von Solaranlagen, der sowieso nicht ausreicht beziehen…. Leute, das ist ein Irrweg, in den uns die 68er da getrieben haben. Das muss erst langsam wieder kommen. Im Augenblick ist es so: Wenn in Neckarwestheim eine Leiter umfällt, dann kriegen die Stuttgarter Zeitungen Schreikrämpfe. Wenn die Italiener beschließen, dass sie neue Kernkraftwerke bauen, dann ist das keine Meldung wert. So ist halt die Lage noch. In den Redaktionsstuben sitzen die 68er, die da ihre festen Dogmen haben. Ich sage noch mal, Dogmatisierung von Irrtümern. Der Irrtum ist, dass man glaubt, dass die Atomkraft, die sehr große Gefahrenpotentiale hat, nicht beherrscht werden kann. Das ist der Irrtum. Man kann sie beherrschen und gerade wir Deutschen haben mit riesigem Aufwand nachgewiesen, dass sie beherrschbar ist. Aber das hat man nicht mehr zur Kenntnis genommen. Das war schon abgefahren. Ich habe mir ja das Vergnügen gemacht, als weit über tausend – letztlich weit über tausend – Hochschulprofessoren mit ihrem Memorandum20 die Bundesregierung aufgefordert haben, in einen neuen Dialog zur Kernkraft einzutreten, weil inzwischen viele neue Erkenntnisse vorliegen, die früher, als die Ausstiegsbeschlüsse gefasst worden sind, noch nicht da waren. der Bundesregierung eine parlamentarische Anfrage zu stellen. Das können Sie jetzt in den Drucksachen des Bundestages nachlesen21 Sie hat erklärt, es gibt keinen Beratungsbedarf mehr für uns, wir sind festgelegt, wir reden nicht mehr drüber. Ja gut, das ist eine ideologische Position, die erfolgreich war. Und wenn dann wieder irgendwo, wie in Krümmel22 vor kurzem, weit außerhalb des Kraftwerks selber, ein Trafo durchbrennt und da schwarze Rauchwolken hochgehen, dann brennen alle Sicherungen wieder durch in Deutschland. Die deutsche Pflicht zur Hysterie…. Da können Sie wieder reden so lange sie wollen. Wenn die Medien nicht bereit sind, der Sache Respekt zu zollen und die Sache so darzustellen, wie sie wirklich ist, dann haben Sie keine Chance. [47:01] . Das war ja neulich auch so bei den Bundespolitikern. Die wollten wie den Beamten auch sich selber die Gehälter erhöhen. Auch um die 3 % oder was das war. Dann lief das ja durch die Medien: Unanständig, Selbstbedienung! Unanständig, Selbstbedienung! Da haben Sie keine Chance! Wenn sie nicht wollen, dass Ihre Parteiumfragewerte in den Keller gehen und die von den Linken in den Himmel hochgehen, müssen Sie sofort einen Rückzieher machen. Den haben sie natürlich gemacht, wie schon so oft, mit dem Ergebnis, dass jetzt ein Bundesminister-Gehalt sich dem eines beamteten Staatsekretärs annähert, was ja im Grunde genommen nicht in Ordnung ist. Aber so ist das. Wer die Macht über die Bilder hat, hat die Macht im Land. So einfach ist das. In der Situation sind wir.

F: Sie sprachen über das Memorandum der tausend Hochschulprofessoren, in dem Sie einen neuen Dialog zur Kernkraft fordern. Was kann denn neu sein an dem Dialog?

L: Zum Beispiel, dass man die Ergebnisse dieser enormen Forschungsvorhaben, die wir – Industrie und Bundesregierung – durchgezogen haben in den siebziger und achtziger Jahren mal zur Kenntnis nimmt. Dann gibt es neue Techniken zur Beseitigung von hoch

20 Memorandum (August/September 1999) verfasst von: Prof. Dr. Adolf Birkhofer, Garching Prof. Dr. Joachim Grawe, Leinfelden Prof. Dr. Manfred Popp, Karlsruhe Prof. Dr. Alfred Voß, Stuttgart Prof. Dr. Dietrich Wegener, Dortmund. Unterzeichnet zunächst von ca. 650 Professoren von 50 deutschen Hochschulen und Forschungseinrichtungen. Das Memorandum wurde am 29. September in Berlin der Bundesregierung übergeben. In dem Memorandum wird die Bundesregierung aufgefordert eine ernsthafte Neubewertung der Kernenergie vorzunehmen. 21 Antwort des Staatssekretärs Rainer Baake vom 29.02.2000, Bundestags-Drucksache 14/2850, S. 50 (Anm. v. PL) 22 Das Kernkraftwerk Krümmel liegt südöstlich von Hamburg an der Elbe, beim Geesthachter Ortsteil Krümmel. Es ist das weltgrößte Kernkraftwerk mit Siedewasserreaktor. Die elektrische Leistung liegt bei 1402 MW

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radioaktiven Abfällen. Alles neue Entwicklungen. Dass man darüber mal spricht und sagt: ist das denn der Weg? Ich bin der Meinung: er ist zu teuer. Der andere Weg ist ja schon klar. Ich war ja auch zuständig für die Entsorgung von Kernkraftwerken, über zwanzig Jahre Berichterstatter. Ich war sicher schon ein halbes Dutzend mal in Gorleben. Ich war natürlich in der Asse23 und überall. Das was jetzt über die Asse gebracht wird, ist ja auch wieder ein Unfug ! [betont langsam gesprochen] sondergleichen. Wo die Leute wieder hinter die Fichte geführt werden, wie sie verschaukelt werden, nach Strich und Faden. Die Asse war nie gedacht als ein Endlager. Nie. Sondern man hat da gewisse Forschungen gemacht. Und der Salzstock ist doch durchlöchert wie ein Schweizer Käse, ich glaube hundertfünfzig oder wie viel Durchbrüche gab es ja in den Berg hinein, vom Salz in den Berg hinein. Das war ja ein Salzbergwerk. Und ist es doch klar, dass aus lauter solchen Löchern irgendwo das Wasser `reinkommt. Und, dass man da zu viel Wasser hat…. Ist doch alles bekannt! Man hat einen kleinen Bereich genommen, um die Auswirkung von Wärme und ähnliche Dinge zu erforschen. Also, Leute, das wird nun dargestellt als Beweis dafür, dass die Probleme nicht gelöst seien in Deutschland. Ich sage Ihnen: „sie sind gelöst“! Nur politisch dürfen sie nicht genutzt werden, damit man ideologische Vorurteile nicht der Unwahrheit überführen kann. Deshalb haben die Rot-Grünen ein Moratorium24 gemacht. Wir waren ganz kurz davor nachzuweisen, dass Gorleben25 ideal geeignet ist. Geeignet ist [klopft auf den Tisch]. Es muss nicht am besten geeignet sein, sondern es muss geeignet sein. Und dieser Nachweis hätte nur wenige Monate noch gebraucht. Hätte man führen können. Dann haben die alles schlagartig abgebrochen, so dass man die letzten Daten eben nicht mehr gewinnen konnte und deshalb nicht den Nachweis erbringen konnte. Verstehen Sie? Das wird nie dargestellt, das wird nicht dargestellt! [klopft mehrmals auf den Tisch].

F: Gut, ich kenne so ein bisschen natürlich diese Historie, die Sie erzählen, auch.

L: Also, kurzum. Das kann ich Ihnen bieten, wenn Sie daran interessiert sind. Wenn sie nicht daran interessiert sind, dann sparen wir uns die Zeit, das ist klar.

F: Nein, nein, das ist schon sehr in Ordnung und wenn ich das alles so Revue passieren lasse, haben Sie schon viel erzählt von dem was man hätte fragen können und wir können auch darüber reden, ob das, was wir jetzt aufgenommen haben, schon ein Teil ist dessen, was ich verwenden kann.

L: Das können Sie verwenden, natürlich. Sie können danach noch Nachfragen bringen.

F. Das können wir machen. Für mich wäre vielleicht ein Punkt, den wir noch ein bisschen mehr breittreten müssten, dieses Thema, was wir jetzt zum Schluss hatten, nämlich: wieso redet man aneinander vorbei? Welches sind die wirklichen Faktoren und, wie Sie gerade gesagt haben: „neuer Dialog“, die Sachen sind bekannt, warum und mit wem müsste man das machen? Gibt es Leute, die in diese Richtung aufnahmefähig sind im weitesten Sinn.

23 In der Schachtanlage Asse, einem ehemaligen Salzbergwerk, wurden von 1965 bis 1995 Forschungs- und Entwicklungsarbeiten für die Endlagerung radioaktiver Abfälle in Salzformationen durchgeführt. Eine Einlagerung von radioaktiven Abfällen findet seit 1979 nicht mehr statt. 24 In der Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Energieversorgungsunternehmen vom 14. Juni 2000 wurde neben dem Ausstieg aus der Atomkraftnutzung auch ein Moratorium für das geplante Endlager Gorleben vereinbart. Die Erkundung des Salzstockes ist daher seit Oktober 2000 ausgesetzt. 25 Gorleben: Gemeinde im Landkreis Lüchow-Dannenberg in Niedersachsen. Bekannt wurde Gorleben durch des geplante Endlager für radioaktive Abfälle aus abgebrannten Brennelenten von Kernkraftwerken

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L: Das ist wirklich eine zentrale Frage. Es gibt ein schönes Wort von dem Herrmann Lübbe26, der gesagt hat: „noch nie gab es eine Zivilisation, deren Grundlagen von den Menschen so wenig verstanden worden ist wie unsere“. Wir steigen in den Zug ein, wir nutzen Handys usw. Und wir wissen nicht, was da abgeht. Noch nie gab es eine Zivilisation, die ihre existenziellen Grundlagen so wenig verstanden hat, wie die unsrige. Das ist ein ganz wichtiges Wort von Hermann Lübbe, und daraus kann man gleich vieles ableiten. Es hat sich noch nie jemand darüber beklagt, dass es ihm an Verstand fehlt. Man sucht immer die Ursachen bei anderen, vor allem wir Schwaben, wenn wir 40 Jahre alt sind. Man fragt nie: „weiß ich eigentlich genug, um richtige Fragen zu stellen zu können?“ Man kann nicht alles wissen, aber man sollte so viel wissen, dass man richtige Fragen stellen kann, um sich dann vertiefen zu können. Aber in unserer Fernsehwelt die immer oberflächlicher wird, geht das völlig verloren. Und das ist das eigentliche Elend unserer Zeit: dass die Sachen immer komplizierter werden und die Wahrnehmung immer oberflächlicher. [53:46] .

F: In wie weit ist es ein Problem, dass man den Menschen sagt: „das ist so kompliziert, das verstehst Du nicht“? Denn das wir ja oft gemacht.

L: Das wird oft gemacht. Man kann vieles schon verstehen und darstellen; einfach, damit man gewisse Grundlagen hat. Aber man muss sich anstrengen. Der Betroffene muss sich anstrengen. Es geht nicht auf dieser Ebene der reinen Unterhaltung, wie das im Fernsehen ist. Im Fernsehen werden die wissenschaftlichen Programme ja nur in Richtung Unterhaltung gemacht. Das muss unterhaltsam sein, aber in die Dinge einzudringen, ist mühsam, kostet Kraft und Fleiß und Zeit und das geht nicht auf dieser Ebene der reinen Unterhaltung, der gefälligen Unterhaltung. Und das ist eigentlich ein tiefes Problem in unserer Gesellschaft. Ich kann nur immer wieder versuchen – und es müsste auch in der Technikgeschichte mehr aufgegriffen werden, diese Frage – bewusst zu machen in welcher Situation wir sind. Einfach nur mal bewusst zu machen, in welcher Situation wir sind. Damit die, die bereit sind nachzudenken Anhaltspunkte finden, Einladung haben, neue Wege zu gehen und auch mitzugehen und sich zu überlegen: was läuft falsch in unserer Gesellschaft.

F: Kann es auch sein, dass die Geschwindigkeit für die Mehrheit der Menschen zu groß ist?

L: Das ist richtig. [55:47]. Das ist richtig, das ist sicher ein ganz wesentliches Moment. Wenn ich mich erinnere – Sie sich erinnern – als wir Kinder waren und mal ein Auto in die Kleinstadt kam, rannten wir drum herum. Da gab es kein Fernsehen, es gab keine Handys. Zwei oder 3 Leute hatten ein Telefon in der Kleinstadt, von knapp zehntausend Einwohnern und das ganze spielte sich im Wesentlichen auf der Straße ab. Wenn Sie das vergleichen mit den Kindern heute, was die haben und mit was die schon umgehen, das ist atemberaubend. Und auch das hat ja Hermann Lübbe untersucht, hoch interessant, dass eben erfahrungsstabilisierte Einstellungen zum Leben nicht mehr da sind weil alles überworfen worden ist. Traditionen sind verlorengegangen und es fehl die Zeit und die Kontinuität neue Traditionen zu entwickeln. Das ist auch ein ganz wichtiges Moment in unserer gesellschaftlichen Entwicklung. Damit fertig zu werden und damit in einer Art und Weise fertig zu werden, dass das auch Hand und Fuß hat, der Sache gemäß ist. Und stattdessen wird alles nur immer oberflächlicher. Auf Unterhaltung und Emotionen abgestellt und die Zusammenhänge gehen völlig verloren. Das ist das eigentlich

26 Hermann Lübbe (geb. 1926 in Aurich, Ostfriesland), bekannter deutscher Philosoph der Gegenwart.

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Schlimme. Das ist ein weites Feld, aber man müsste sich viel intensiver mit solchen Fragen auseinandersetzen. Das sind die entscheidenden Fragen in unserer Gesellschaft.

F: Gibt es Sachen, wo Sie sagen würden: aus Ihrer Erfahrung insbesondere aus der Politik, die sie von vorne herein anders einfädeln würden. Z. B. irgend etwas offener darlegen oder mehr an die Öffentlichkeit gehen oder weniger, oder es eben anders gestalten, so dass die Zustimmung eher geschehen kann, Die Vorteile besser darlegen, die Ängste eher erklären…

L: Was sehr, sehr wichtig gewesen wäre und was man versäumt hat, das ist naturwissenschaftlich gebildete Journalisten in größerer Zahl heranzubilden. Also Leute, die in der Lage sind etwas darzustellen. Das ist ja auch eine Kunst und dieses Talent muss einer haben. Dinge darstellen zu können und gleichzeitig das Wissen zu haben über das was er da schreibt. Heute haben wir einen Journalismus, der fragt zunächst einmal: „was ist der Renner“? was reißt die Leute vom Stuhl. Was kommt toll ´rüber. Ich erinnere mich wirklich schmerzhaft an die Zeit, wo wir öffentliche Hysterie über die Castor27-Transporte hatten. Erstens waren die deutschen Castoren nicht die Ursache. Die haben keine Probleme gemacht. Sondern es waren die französischen Transportbehälter, die eben nicht so konstruiert waren wie die deutschen und deshalb gewisse Probleme gebracht haben. Im Grunde ging es um eine Lapalie. Man kann sagen: man hat den Fehler gemacht, dass man auch für solche Transporte die selben Grundlagen genommen hat wie beim Versenden von medizinischen Nuklearproben, wo man gesagt hat, dass die Briefe in denen diese Proben versandt werden, so sauber sein müssen, dass nicht mehr als 4 Bq/cm2 Kontamination an der Oberfläche ist. Und die Deutschen haben gesagt, ja das schaffen wir mit unseren Castor-Behältern auch, lasst das, übernehmt das. Die Franzosen haben das nicht geschafft, weil die so verwinkelte Radiatoren haben, so dass man das nicht sauber auswaschen konnte und, dass da an Ecken und Falten noch Reste von Kontaminationen waren und eben nicht die vier Becquerel28 waren, sondern vier Tausend usw. Und dann lief das auf der Ebene: tausendfache Überhöhung der zugelassenen Werte, die Welt geht unter! So ungefähr lief das. Wir haben öffentliche Sitzungen gemacht dazu im Ausschuss und haben die Fachleute vortragen lassen. Da hat der Christian Reiners,29 der Chef der Strahlenschutzkommission gesagt: „ich hätte das alles verspeisen können“, das was da jetzt alles als große Katastrophe dargestellt wird. Wäre mir nichts passiert. Ich habe einen Journalisten getroffen, der auch wieder eine unsägliche Reportage gemacht hat, voller krasser Fehler [betont pausiert gesprochen]. Es ist deutlich geworden, dass der Mann null Ahnung hatte. Der hat einen Weltuntergang dargestellt. Den, habe ich mir zur Brust genommen und habe gesagt: „wissen Sie eigentlich was Becquerel sind“? Der hatte natürlich keine Ahnung. Ich habe ihm gesagt: so wie ich vor Ihnen stehe, habe ich zehn tausend Becquerel. Da ist er erschrocken einen Schritt zurückgegangen. Dann habe ich gesagt: „Sie haben gleichviel“! Er war auch ein großer Mann. [kann vor Fassungslosigkeit kaum die nächsten Worte finden]. Wie kommt es, dass wir Journalisten haben, die mit ihren Falschmeldungen in Millionen Stuben hinein kommen und die Leute verrückt machen können, die keine Ahnung von der Sache haben.!?

27 Castor: Abkürzung für "cask for storage and transport of radioactive material". Castor ist ein geschützter Markenname der Firma GNS (Gesellschaft für Nuklear Service GmbH). 28 Nach dem französischen Physiker Antoine Henri Becquerel benannte SI Einheit für die Radioaktivität (Bq). Die Radioaktivität, d. h. die Anzahl von Atomen, die pro Sekunde zerfallen, wird in Bq angegeben. Ein Bq entspricht einem Zerfall pro Sekunde. (1 Bq = 1/sec). 29 Prof Dr. Christoph Reiners, Vorsitzender der Strahlenschutzkommission (Anm. v. PL)

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F: Sie sagten: naturwissenschaftliche ausgebildete Journalisten sollte man haben. Wer kann das machen, wer sollte das steuern….

L: Ja, da müsste man…. Aber alles, was mit den Medien zu tun hat, ist ja für die Politik unberührbar. Wir, die Politiker, sind der Gegenstand der Kritik, wir haben uns immer zurückzuhalten. Wenn es um Medien geht, darf man ja keine Kritik machen. An uns wird kritisiert und nicht umgekehrt an den Medien. Wo ist die Institution, die so etwas aufbrechen kann? Ja, da bietet sich zum Beispiel die Universität an. Aber schauen Sie sich doch mal die Lehrkräfte an. Es gibt einen Kommunikationswissenschaftler in Deutschland, der wirklich versucht der Sache gemäß die Dinge darzustellen, das ist der Kepplinger30 in Mainz. Dessen Schriften werden nicht besprochen, werden sozusagen immer unter den Teppich gekehrt, weil das nicht angenehm ist für die Journalisten, das zu lesen, was der da berichtet. Deshalb, um sich selber zu schonen, stellen sie das natürlich nicht groß ´raus, was der Kepplinger da mit seinen wissenschaftlichen Arbeiten ans Tageslicht bringt. So ist das.

F: Sind die Medien die man dabei verwendet noch zeitgemäß? Also wenn ein Kepplinger in Mainz etwas schreibt, erfährt das ja auch kaum einer.

L: Nein, das finden die Historiker später mal in den Regalen der Bibliothek.

F: Klar, und das ist ja kein Medium das die Öffentlichkeit erreicht.

L: Nein, überhaupt nicht.

F. Das Medium, was die Öffentlichkeit erreicht ist das Fernsehen.

L: Und das Fernsehen hat kein Interesse, Berichte herauszubringen die nachweisen, wie schlecht das Fernsehen ist.

F: Wenn man Ihnen so zuhört, dann hat man ja wenig Hoffnung.

L: Ja, wir sind in einer dramatischen Situation, nach meiner Einschätzung aufgrund meiner jahrzehntelangen Arbeit im öffentlichen Bereich. Ich könnte Ihnen so viele tolle Erlebnisse berichten. Und man kann sich natürlich Gedanken machen und das ist auch wichtig: woher kommt das? Warum ist die Lage so, wie sie ist. Und sie ist bei uns um einige Nuancen verschärft gegenüber anderen Ländern obwohl es dort auch schlecht ist. Denn das Medium Fernsehen hat eben die Tendenz, überall nur die Oberfläche zu zeigen, nur unterhaltsam zu sein und nicht die notwendige Hintergründe und Zusammenhänge darzustellen. Haben Sie schon mal gesehen, dass ein Fernsehbericht damit begann, dass gesagt wurde: „es ist nicht sinnvoll den jetzt folgenden Streifen anzuschauen, wenn Sie nicht die Sendung A, B, C schon gesehen haben“? Gibt es nicht. Es ist immer voraussetzungslos. Wenn Sie sich mit einer Geschichte auseinander setzen oder mit naturwissenschaftlichen Zusammenhängen, dann brauchen Sie immer einen Vorlauf, Sie müssen sich entwickeln. Das gibt’s im Fernsehen nicht. Sondern immer voraussetzungslos und deswegen immer absolut oberflächlich und emotional und unterhaltsam. Und wenn man diese Bruchstücke an Realität, die da geliefert werden, als die eigentliche Realität der

30 Hans Mathias Kepplinger (geb. 1943 in Mainz). Deutscher Kommunikationswissenschaftler. Seit 1982 Professor für empirische Kommunikationswissenschaft am Institut für Publizistik der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.

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Welt hinnimmt, und das machen immer mehr Menschen. Und die dritte Fernsehgeneration wird das überwiegend so machen…. [01:06:29]

F. Sie haben gerade gesagt, dass es bei uns um Nuancen schlechter ist als in anderen Ländern.

L: Ja. Das hängt damit zusammen, dass wir eine 68er Bewegung hatten, die viel intensiver war als in anderen Ländern. So, dass also bei uns, gewisse Themen nie eine Rolle gespielt haben, die in Frankreich monatelang die Menschen bewegt haben, z. B. als Courtois31 oder Furet32 ihre Bücher herausgebracht haben das Schwarzbuch des Kommunismus, wo also nachgewiesen wird, dass hundert Millionen Menschen ihr Leben verloren haben bei den Versuchen den Kommunismus zu realisieren [01:07:19] [Atmet schwer]. Können Sie verlangen von Journalisten, die sozialisiert worden sind mit „Ho, Ho, Ho Chi Min“ Gesängen und mit der Mao Bibel, die damals Mao Tse Tung als den großen Führer der Welt angesehen haben, dass die nun groß darüber berichten wollen, dass unter Mao Tse Tung zig Millionen ihr Leben gelassen haben? Das war eben bei uns intensiver. Deswegen werden bei uns gewisse Themen sehr stark ausgeklammert und es findet die Diskussion nicht statt, die in andern Ländern stattfindet. So auch zur Kernkraft. Selbstverständlich gibt’s die Diskussion in Italien, Frankreich sowieso und so weiter. Das Schlimme war nicht nur, dass nicht berichtet worden ist, dass die sozialistische Regierung in Großbritannien nun 18 neue Standorte für Kernkraftwerke ausgewiesen hat, sondern dass dieser Ausweisung der neuen Standorte ein „Public Inquiry“ eine „consultation“ vorausging: über zwanzig Wochen, wo Tausende gehört worden sind, Hunderte oder Tausende von Gutachten eingegangen sind und geprüft worden sind. Es gab noch nie ein so langes „Public Inquiry“. Und am Schluss kommen sie zu dem Ergebnis nach Abwägung aller pro´s und con´s: Wir bauen neue Kernkraftwerke. Darüber ist in Deutschland überhaupt nicht berichtet worden. Das ist doch unglaublich.

F: Wäre da vielleicht ein Weg gangbar in Richtung Volksbefragung möglich. Sie haben vorhin die Schweiz genannt, jetzt das „Public Inquiry“ in England…

L: Nein, Volksbefragung ist natürlich noch viel schlimmer.

F: In der Schweiz hat es ja funktioniert.

L: Ja, in der Schweiz, die haben eine ganz andere Tradition als wir. Bei uns kriegen sie die Antworten, die das Fernsehen in die Stuben `reinbringt. Umfragen sind nichts anderes als Reflexe auf Meinungsbildung in den Massenmedien. Nichts anderes. Die Leute haben doch aus eigener Einsicht nicht die Möglichkeit, darüber zu urteilen ob Kernkraft beherrschbar und verantwortbar ist.

F: Könnte es sein, dass die Existenz von Volksbefragungen die Art der Berichterstattung beeinflusst, weil es ja dann um die Sache geht.

31 Stéphane Courtois: (geb. 1947). Französischer Historiker. 1997 Herausgeber des Schwarzbuches des Kommunismus. Directeur de recherche am „Groupe d'Etude et d'Observation de la Démocratie“ der Universität Paris X in Nanterre und seit 1982 Mitgründer und Redakteur der wissenschaftlichen Zeitschrift „Communisme“. 32 François Furet: 1927-1999. Französischer Historiker. Ab 1960 Professor (Directeur d'Études) an der EHESS, 1985 gleichzeitig Professor an der Universität von Chicago. Dr. h.c. der Universitäten von Tel Aviv und Harvard sowie Mitglied der American Academy of Arts and Sciences und der American Philosophical Society. Ritter der Ehrenlegion. Am 20. März 1997 in die Académie française gewählt. Erfolgreichstes Buch: Das Ende einer Illusion

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L: Nein. Die Väter und wenigen Mütter des Grundgesetzes haben aus den Erfahrungen mit Volksbefragungen in der Weimarer Zeit ganz klar auf die repräsentative Demokratie gesetzt. Die haben gesagt: „lasst diesen Unsinn“. Und es ist auch ein Unsinn so schwierige Fragen dem Volk vorzulegen. Es gibt die Möglichkeit: z. B. in Bayern. In Bayern gab es in den neunziger Jahren ein Gesetz der Mehrheit im Landtag über die Müllentsorgung. Und es gab ein Volksbegehren und dann anschließend eine Volksbefragung zu einem besseren Müllkonzept, das von Bürgerinitiativen gemacht worden ist. Beide Gesetzentwürfe sind auf dem Stimmzettel gewesen. Der Stimmzettel war mehrere Meter lang, in der Gesetzessprache, konnte keiner verstehen. Was war das Ergebnis? Das Ergebnis war, dass die Wahlbeteiligung weit unter 50% war und, dass eben die, die gesagt haben: „na ja, CSU macht es ja ganz richtig“, die haben dann ein bisschen die Mehrheit gehabt. Aber das Ergebnis war fast zufällig. Solche Dinge kann man nicht per Volksbefragung machen. Deshalb haben wir doch die repräsentative Demokratie.

F: Ja, wir können jetzt hier Schluss machen, das ist klar.

L: Wir müssen einen Termin machen wo wir so richtig das Interview machen. Überlegen sie sich noch ein par Dinge. Und Sie geben es mir ja noch mal zum Nachlesen.

F: Ja, klar. Ich muss das erst mal alles schreiben und Sie kriegen es zur Einsicht. Zum Termin Anfang nächster Woche würden wir uns dann noch mal telefonisch absprechen. Wäre Ihnen das recht?

L: Ja. machen wir es so.

F: OK, dann bedanke ich mich erst mal.

Ende des ersten Teils

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Teil 2

Datum des Interviews: 08.07.2008

F: Wir sind hier zusammen am 08.07.2008 mit Professor Dr. Ing. Paul Laufs und ich habe die Ehre H. Laufs, heute interviewen zu dürfen. Wir hatten ja schon ein Gespräch am 01.07.2008 gehabt, an das wir jetzt anknüpfen und ich habe ein par Fragen, um einzusteigen und damit fangen wir gleich mal an. Vielen Dank noch, dass Sie bereit waren für dieses Interview. Herr Laufs, Sie sind geboren 1938 in Tuttlingen. Wie hat Sie ihr Elternhaus geprägt?

L: Natürlich hat mich das Elternhaus außerordentlich stark geprägt. Meinen Vater habe ich sozusagen erst relativ spät kennen gelernt. Er war vom ersten Tag an im zweiten Weltkrieg. Er war Arzt und wurde in den Sanitätsabteilungen gebraucht. Er war einige Jahre ganz vorne an der Front, um die Verletzten zu versorgen. Später war er in einem Lazarett in Finnland tätig. Er kam erst 1946 aus der Kriegsgefangenschaft zurück. Ich habe ihn nur als sporadischen Besucher kennen gelernt. Ich habe sehr viel stärker kennen gelernt, meinen Großvater Adolf Laufs, der Unternehmer war. Er war Handwerksmeister – Bauschreiner – und hatte eine Bauschreinerei in Düsseldorf. Er war Zentrums-Kommunalpolitiker, ist von den Nazis verfolgt worden, hat noch zu den ganz wenigen gehört die bei den letzten noch freien Wahlen als Bürgerlicher gewählt worden ist, in Düsseldorf, ist dann später in der Aktion Gewitter von der Gestapo geholt und „eingelocht“ worden. Er hat die Zelle teilen müssen mit dem späteren Ministerpräsidenten Karl Arnold, der auch ein Zentrumspolitiker war. Er war in den frühen 40er Jahren öfters bei uns in Süddeutschland. Meine Großmutter – seine Frau – stammte aus Stuttgart und mein Vater hatte seine Praxis in Südwürttemberg, im Kreis Tuttlingen, in der Stadt Tossingen, wo wir lebten, während er im Krieg war. Mein Großvater kam oft zu uns, ich weiß nicht, vielleicht hat er Zuflucht gesucht, vielleicht ist er untergetaucht in Süddeutschland, denn er war immer ein sehr aufrechter, bekennender Mann, der es deshalb nicht leicht hatte. Er war dann nach dem Krieg Mitbegründer der CDU. Das hat mich sicher sehr beeindruckt und sehr geprägt, wie überhaupt die ganze Kriegs- und Nachkriegszeit, die ja eine furchtbare Zeit war, mit Bombenangriffen, die wir auch erlebt haben und all dem was damit zusammenhängt. Sehr geprägt haben mich auch meine vier Geschwister, die alle ein Universitätsstudium absolviert haben, die auch teilweise sehr bekannt geworden sind als Jurist, als Mediziner – ich habe zwei Geschwister, die Mediziner sind, einen Juristen und einen Philologen – und ich war von klein auf der praktische, der Techniker, der große Freude hatte mit allen möglichen Flugmodellen und Motormodellen und was man damals in der Zeit des Krieges als technische Artefakte finden konnte. Das war immer mein Metier gewesen.

F: Wie kam es zum Studium des Maschinenbaus, oder der Ingenieurwissenschaften überhaupt?

L: Die sind eigentlich in der Familie nicht vertreten. In der nächsten Generation gibt es ein paar Ingenieure, aber damals nicht. Wie ich schon sagte, ich hatte große Freude an den technischen Dingen und war auch sehr praktisch im Reparieren von Fahrrädern und was auch immer. Und nachdem meine älteren Geschwister schon – ich hätte mir auch denken können, Arzt zu werden – diese Bereiche schon abgedeckt haben, war es für mich dann

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klar, dass ich Ingenieur werden wollte und ich hatte mir vorgenommen, nicht nur in Stuttgart sondern auch noch an einer anderen Universität zu studieren. So ging ich zunächst nach München, um dort mein Vordiplom zu machen und erst nach dem Vordiplom bin ich dann nach Stuttgart gekommen, um sozusagen ernsthaft zu studieren.

F: War da von Anfang an schon klar, dass Sie in die Luftfahrttechnik möchten?

L: Ja, ich war ... Schulbub dazu gekommen, wie ein Flugzeug notlanden musste. Wir waren ja viel draußen im freien Feld und da ist ein französisches Flugzeug notgelandet und ich war der erste am Ort und konnte ein bisschen behilflich sein, dem Mann ´raushelfen und das Flugzeug selbst hat mich ungeheuer fasziniert. Einmal sind wir angegriffen worden mit Bordwaffen von Flugzeugen, die unser Haus angegriffen und beschossen haben, wobei ich Glück hatte, wir sind gerade noch davongekommen. Das ganze Umfeld im Krieg auch der Fliegerei war natürlich für Buben ungeheurer faszinierend. Und ich war mir nicht ganz sicher als ich anfing zu studieren, ob ich Flugzeugingenieur werden möchte. Ich habe auf jeden Fall mit Maschinenbau begonnen - sozusagen einem soliden Grundstudium - und bin dann erst in Stuttgart stärker auf die Luftfahrttechnik gekommen.

F: Haben Sie sich damals eventuell schon für irgendwelche nicht technischen Dinge interessiert oder war der Schwerpunkt rein diese technische Faszination?

L: Ja …, ich hatte natürlich wie meine Geschwister auch - wir waren immer außerordentlich diskussionsfreudig - und es ging bei uns zu Hause immer sehr laut zu. Wir haben immer miteinander – ja, gestritten – auf jeden Fall diskutiert, über alle möglichen Dinge, über Gott und die Welt. Und es war uns allen klar, dass wir uns aus den Erfahrungen der Kriegszeit, der Nazizeit und insbesondere durch das Vorbild unseres Großvaters, dass wir uns auch politisch engagieren wollten. Das saß wirklich tief in uns drinnen. Und ich habe mich damals schon als Student dafür interessiert und bin auf Versammlungen gegangen verschiedener politischer Persönlichkeiten. Aus Trossingen, wo ich aufgewachsen bin, stammt Hans Lenz, ein Bundesschatzminister, den wir und meine Familie sehr gut kannten. Wir besuchten uns gegenseitig und diese Persönlichkeit hat mich auch außerordentlich fasziniert und es war dann klar, dass ich nach dem Studium mich politisch engagieren wollte, ohne Absicht, sondern nur einfach aus dem Bewusstsein heraus, dass wir die jungen Demokratie stützen müssen und stärker tragen müssen, als das in der Weimarer Zeit durch die Bevölkerung geschehen war.

F: Gab es da schon konkrete Vorstellungen, wie so etwas gestaltet werden soll?

L: Nein, Überhaupt nicht. Sondern das war dann mehr so ein zufälliges sich entwickeln. Man wird dann Mitglied in der Jungen Union und dann gibt es Wahlen, es werden Delegierte gesucht. Man lässt sich wählen, man ist dann plötzlich Delegierter auf einem Landesparteitag. Der Kreisvorsitzende der Jungen Union in Stuttgart war damals Manfred Wörner, der spätere Bundesverteidigungsminister. Er fand einen vakanten Wahlkreis – Göppingen – und plötzlich suchten die Stuttgarter einen neuen Kreisvorsitzenden und mich haben dann Freunde vorgeschlagen. Ich kandidierte, es gab da mehrere Kandidaten und sieh da: plötzlich gewann ich das und plötzlich war ich Kreisvorsitzender, plötzlich war ich wer, saß dann im Kreisvorstand der CDU, war dann gefragt bei Wahlkämpfen usw. und daraus ergab sich eine gewisse Automatik der Entwicklung, an die ich vorher überhaupt nicht gedacht hatte.

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F: Sie haben dann ihr Studium abgeschlossen in Stuttgart: 1967 Promoviert zum Dr. Ing. Was waren zu dieser Zeit ihre Interessengebiete während des Studiums. Waren Sie da noch nicht in der JU ?

L: Nein, nein. Ich hatte bewusst gesagt: ich möchte mich jetzt auf das Studium konzentrieren. Ich habe das ein bisschen locker gehalten in München, wo es ja sehr viel Möglichkeiten gab – Ski zu fahren und Sommers in die Berge zu gehen usw. Ich habe zwar ein gutes Vordiplom gemacht, aber das Studium eher ein bisschen locker genommen und dann ging ich ins Schwäbische nach Stuttgart, und habe gesagt: nun will ich wirklich ernsthaft studieren und das gut zum Abschluss bringen und dann will ich mich politisch engagieren. Und das habe ich auch so gemacht. 1963 nach Beendigung meines Studiums bin ich dann auf die Kreisgeschäftsstelle hier in Stuttgart gegangen und habe gesagt, hier bin ich, ich möchte gerne Mitglied werden und die haben gesagt: herzlich willkommen. So war der Beginn.

F: Das war eigentlich eine langfristige Entscheidung…

L: Das hatte ich langfristig so vorgehabt. Wie gesagt, die Partei die war klar aufgrund des großen Einflusses meines Großvaters, war das eigentlich selbstverständlich.

F: Sie haben dann nach Ihrem Studium bei der IBM Deutschland gearbeitet…

L: Ja, Bei dem Institut bei dem ich war – Aerodynamik/Gasdynamik –war Professor Arthur Weise33 in der Zeit, als ich bei ihm wissenschaftlicher Assistent war, auch noch Rektor der Universität Stuttgart, so dass man auch sehr viel Lehrverpflichtungen von ihm übernehmen musste und ziemlich angespannt war, auch die anderen Kollegen. Ich habe mir dann eine theoretische Arbeit gesucht – Promotionsarbeit – die dann auch mein Professor Weise angenommen hat und ich war schon nach 4 Jahren fertig. Nach den 4 Jahren Assistenzzeit war ich dann auch schon promoviert, also sehr schnell im Vergleich zu den anderen Kollegen. Und damals ging es der deutschen Luftfahrttechnik nicht gut, insgesamt der Industrie nicht gut. Ich hatte ein Angebot von Silvius Dornier in Friedrichshafen, der einen Mann wie mich suchte. Er hatte mich mal kennen gelernt in Zusammenhang mit irgend einer politischen Veranstaltung, auf der ich aufgetreten war und er dachte sich, das ist der richtige Mann für meine Firma Dornier und zwar als Lobbyist in Bonn, um dort dafür zu sorgen, dass Aufträge, Staatsaufträge aus dem Verteidigungsministerium nach Friedrichshafen kommen.

F: Da waren sie ja noch gar nicht Bundestagsabgeordneter?

L: Nein, nein. Überhaupt nicht. Sondern er sagte: ich brauche einen, der so ein bisschen politisches Talent hat und der eben auch den Hintergrund hat, der promoviert ist usw. und sich auskennt, den brauche ich als ein Mann in Bonn, der eben die Kontakte pflegt zu den Ministerien, insbesondere zum Verteidigungsministerium, damit wir in Immenstaad unsere Aufträge bekommen. Und er hat mir ein sehr schönes Angebot gemacht. Ich war auch mal in Immenstaad mit meiner Frau. Aber es war mir klar: es war eine reine Lobby Aufgabe. Ich fühlte mich noch zu jung für eine reine Lobbyaufgabe. Ich wollte als Ingenieur tätig sein.

33 Prof. Arthur Weise: Gründete 1946 das Institut für Aerodynamik und Gasdynamik (IAG) der Universität Stuttgart als "Institut für Gasströmungen" s.: http://www.iag.uni-stuttgart.de/IAG/institut/beschreibung.html

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F: Was versteht man unter Lobbyaufgabe?

L: Ja, Klinkenputzen, Kontakte herstellen, mit den Leuten reden, Angebote unterbreiten, Terrain vorbereiten, die Landschaft pflegen, damit Aufträge erteilt werden. Und das behagte mir nicht, das wollte ich nicht. Sonst gab es keine Angebote. Ich hatte noch ein Angebot aus den USA. Ich hätte da an irgend ein College gehen können. Aber auch das erschien mir nicht verlockend genug. Und in dieser Zeit suchte die Firma IBM dringend junge Leute. Das war die Zeit, wo sich IBM außerordentlich entwickelt hat und da ich vor allem auch mit numerischer Mathematik zu tun hatte – ich hatte ja eine theoretische Arbeit gemacht – bin ich dann zu IBM gegangen, die mir ein gutes Angebot gemacht hat und vor allem konnte ich ein halbes Jahr zunächst mal auf Kosten der IBM ´mich einarbeiten in die Dinge der Datenverarbeitung, und dann bin ich also zur IBM gegangen. Ich bin weg von der Uni, hatte da noch eine Lehrauftrag bekommen über Hyperschallströmungen, den ich dann eben noch so nebenher erfüllt habe, aber ich war dann IBM-Ingenieur.

F: Wie schätzen Sie heute diese Tätigkeit ein, diese Zeit bei IBM. Wie hat die Sie beeinflusst, hat die Sie gefördert?

L: Das erste war, dass ich natürlich Amerika kennen lernte und auch die amerikanische Sprache, was ja sehr wichtig ist, in jeder Hinsicht wichtig war. Das war eine sehr interessante Tätigkeit. Ich war im Bereich der Datenfernverarbeitung beschäftigt. Ich bin dann auch relativ schnell auf „Assignments“ (d. h. Abordnungen) geschickt worden. Die Amerikaner haben sozusagen, wenn Sie ein Spezialproblem hatten, haben sie geguckt: welche Talente haben wir in der IBM weltweit, in Japan, in Deutschland, in England, wo auch immer und die ziehen wir zusammen oder wir fragen da mal ´rum: habt ihr da jemand, der das machen könnte, der da in einem Team für ein halbes Jahr oder ein Jahr ein Projekt durchziehen kann und so bin ich relativ schnell in ein Projekt gekommen, das sehr interessant war. [17:57] Wir haben Simulationsprogramme entwickelt – und zwar war das in Raleigh, North Carolina – zusammen da mit Chapel Hill, diese berühmte Universität und das war in einem Zusammenhang auch mit diesen Apollo Flügen. Diese „Landing Modules“ die hatten „Triplex“-Computer an Bord und mussten – was damals wahnsinnig viel war – 50 Nachrichten pro Sekunde verarbeiten und dann mussten sie, und zwar innerhalb sehr kurzer Zeit – die Zeiten waren vorgegeben – die Ergebnisse errechnet haben. Man musste das simulieren. Schaffen das die Computer? Wie lange werden die Warteschlangen für die einzelnen Nachrichten, bis sie verarbeitet werden können? Usw. Und das haben wir abgebildet damals. Simulationsprogramme sind entwickelt worden und ich habe das sogenannte Environment Programm“ gemacht – das Umfeldprogramm, um den eigentlichen Computer herum, dort wo die Nachrichten empfangen werden, natürlich stochastisch, wie sie dann in Warteschlangen eingewiesen werden, wie sie dann schließlich in die Zentrale kommen. Das war eine hochinteressante Tätigkeit. Wir haben dann auch Amerika ein bisschen kennen gelernt, die ganze Familie war dabei. Eine meiner Töchter ist da in Raleigh auch geboren worden. Es war eine hochinteressante Zeit. Da habe ich sehr viel gelernt. Ich wollte diese Zeit nicht missen.

F: Ja, nach dem Ende dieser Zeit kam ja dann der eigentliche Wechsel in die Politik, kann man das so sagen?

L: Richtig, ja. In der CDU in Stuttgart war ich jemand und saß da natürlich auch im Kreisvorstand. Und es gab damals drei Bundestagswahlkreise in Stuttgart, vier Landtagswahlkreise. Schon bei der Landtagswahl 1968 hat man Zweitkandidaten

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händeringend gesucht. Man wollte Leute haben, die man vorzeigen kann, jung sind, dynamisch, schon gewisse Erfolge im Beruf hatten usw. die halt irgendwie attraktiv erschienen. Ich habe dann in einem Wahlkreis, der von vorne herein für die CDU nicht zu holen war, als Zweitkandidat 1968 kandidiert, wohl wissend, dass da nie was draus wird. Man muss sich eben bereit finden, zu solchen Dienstleistungen. Und dann hat man für die Bundestagswahl 1969 dringend einen Kandidaten gesucht für den Wahlkreis Stuttgart zwei. Das ist Gaisburg Hedefingen Wangen, der Osten Stuttgarts, der für die CDU überhaupt nicht zu holen war, da hatte die CDU kaum 30% Punkte. Und man hat einen wieder gesucht. Und ich habe dann wieder gesagt, na gut, dann opfere ich halt meinen Urlaub und mach den Wahlkampf, mal sehen, man kann ja nur Erfahrungen gewinnen. Der Wahlkampf war sehr munter, sehr lustig und ich habe auch etliche Prozentpunkte dazu gewonnen aber natürlich war der Wahlkreis nicht zu holen. Aber auf diese Art und Weise habe ich auch den Bundeskanzler Kiesinger und andere Persönlichkeiten kennen gelernt, war auch bei ihm mal zu Hause, das war auch ein hochinteressante Zeit. Und weil ich gut abgeschnitten hatte in diesem für die CDU hoffnungslosen Wahlkampf, war man dann im Rems-Murr-Kreis auf mich aufmerksam geworden. Und die suchten dann auch einen Kandidaten. Der Wahlkreis Waiblingen war zwar in der Hand der SPD, aber sehr knapp, relativ knapp, so dass man gesagt hat, den kann man holen. Und da ich eben Familie hatte und da ich beruflich sehr engagiert war, konnte ich nicht die Ochsentour gehen, die so der Manfred Wörner und andere gegangen sind. Zunächst mal Mitarbeiter im Landtag bei der Landtagsfraktion, und dann bei einem Minister usw. und dann schaut man sich im ganzen Land um, wann wird ein Wahlkreis vakant, baut sich dort schon im Vorfeld auf, um dann schließlich Kandidat zu werden oder auf die Liste irgendwo zu kommen, wobei man dann in der ganzen Partei außerordentlich viel Zeit aufbringt. Das konnte ich nicht. Deshalb war ich immer Seiteneinsteiger sozusagen, der es halt mal probiert hat, vier Wochen lang und wenn es nichts wurde, dann wurde es halt nichts. Und ich sollte für die Wahl 1973 Kandidat sein, ich war auch dazu bereit, man hat mich dazu gerufen. Es gab natürlich noch andere Bewerber, das ist klar. Aber nachdem sich der Kreisvorstand und andere für mich ausgesprochen hatten, war das nachher klar, dass ich Kandidat werde. Nur durch das vorgezogene Misstrauensvotum Bundeskanzler Brandts – Barzel gegen Brandt – gab es Neuwahlen früher. Ich musste also 1972 sozusagen aus dem Stand heraus einen Wahlkampf führen in einem Kreis, der mir völlig unbekannt war. Ich hätte es beinahe – es fehlten 2000 Stimmen – geschafft, obwohl es ja die große „Willy, Willy“ Wahl war, Ich Ging zwei Jahre wieder nach USA, wieder auf „Assignment“. Ich war ein bisschen länger da, meine Familie ging nach zwei Jahren zurück wegen der Kinder, die in der Schule sonst Probleme bekommen hätten. Und als ich dann 1976 zurück war, bin ich in Waiblingen nochmal angetreten, obwohl über die Liste ein anderer Kandidat der CDU , die Frau Dr. Paula Riede, über die Landesliste in den Bundestag eingezogen war aus diesem Kreis und die wollte natürlich auch das Direktmandat haben. Wir mussten hart auf hart gegeneinander antreten. Ich habe dann aber bei dieser Nominierungsversammlung den Sieg davontragen. Und dann wurde ich gewählt im Herbst 1976. Und ich habe das auch alles in meinem Urlaub gemacht; noch wenige Tage vor der Wahl musste ich die IBM vertreten in London und hatte noch andere Termine, die ich selbstverständlich immer wahrgenommen habe, weil ich gedacht habe: wenn es wieder schief geht… Nun gut, das war mein Vergnügen, aber meine Arbeit hat nicht drunter gelitten. Ich war immer voll da für die IBM und werde immer voll da sein für die IBM. Ich hatte schon die ersten Interviews für eine Management-Position hinter mir, die ich dann angetreten hätte aber ich wurde gewählt und ich musste dem damaligen Chef von IBM, einem H. Bösenberg, dann am Montagmorgen nach der Wahl per Telefon mitteilen, dass er ein Problem hat: dass einer seiner Mitarbeiter im Bundestag ist und dass wir eine

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Lösung finden müssen wie das später weitergeht…. [26:13] Denn der Wahlkreis ist nicht bombensicher, sondern man weiß nicht, ob man das nächste Mal dabei ist.

F: Wollten Sie eine Übergangslösung oder so etwas?

L: Nein, was wir dann gemacht haben – IBM war hier sehr großzügig und hat gesagt: Sie können jederzeit an unseren Fortbildungsmaßnahmen teilnehmen, wir erwarten das sogar, und Sie sollen sich so auf den Laufenden halten, dass wenn Sie das nächste Mal nicht gewählt werden, Sie wieder gleich voll für die Firma arbeiten können. So haben wir den Vertrag dann auch gestaltet, ich war sehr zufrieden damit und ich habe das auch wahrgenommen. Ich bin auch hingegangen, regelmäßig zu Fortbildungsveranstaltungen um wirklich auf dem Laufenden zu bleiben, denn im Bereich der Datenverarbeitung entwickelt sich ja alles so schnell. Man ist sofort inkompetent, wenn man nicht auf dem Laufenden bleibt. Aber als ich dann wieder gewählt wurde und sich abzeichnete, dass ich länger im Bundestag sein werde, haben wir das zurückgefahren – etwas – aber die IBM war da immer sehr aufgeschlossen und wirklich großzügig, um mir die Weiterentwicklung auch im Bereich der Datenverarbeitung zu ermöglichen.

F: Hatten Sie in der Zeit noch ein Arbeitsverhältnis mir der IBM ?

L: Ja, ja. Gerade in diesem Umfang war ich weiterhin Mitarbeiter.

F: Mit einer bestimmten Anzahl von Stunden

L: Ja.

F: Ich bin als Seiteneinsteiger „eingebrochen“, haben Sie beim letzten Mal gesagt. Wie meinten Sie dieses Wort „eingebrochen“ ?

L: Es gibt gerade im Rems Murr Kreis – auch in Stuttgart – gewachsene Strukturen in den politischen Parteien. Ich will das überhaupt nicht abwertend sagen. Leute, die eben sich langfristig engagieren und immer da sind über die Jahre und dann bereit sind, alle möglichen Aufgaben zu übernehmen und dabei auch eine Entwicklung machen nach oben, bis sie dann mal die Chance bekommen, bei einer Stadtratswahl als Kandidat aufzutreten. Wenn sie im Stadtrat sind, gibt es irgendwann die Möglichkeit Landtagsabgeordneter zu werden. Diesen langen Weg konnte ich nie gehen. Die IBM hat einen sehr gefordert, und wenn Sie eine Familie mit fünf Kindern haben sind Sie genauso gefordert. Dann können Sie das nicht bringen. Sondern Sie haben nur die Chance, zu kommen und zu sagen: „schaut mich an, wenn ich der richtige bin, dann wählt mich. Ihr werdet für den Wahlkampf einen hundertprozentigen Kämpfer finden“. So ungefähr. Und wenn Sie keine zu starken Gegner haben – ich hatte da immer den Vorsitzenden der Jungen Union in Waiblingen, im Rems-Murr-Kreis gegen mich bei diesen Nominierungen und andere Persönlichkeiten, die aber sozusagen wenig Chancen hatten, vor allem, wenn der Kreisvorstand sich vorher schon sehr sorgfältig umgesehen und man mit all diesen Herrschaften schon seine Gespräche geführt hat – dann hat man schon eine Chance. Was mir als Klotz am Bein hing war die Tatsache, dass ich halt verschiedentlich schon verloren hatte. Da hieß es: da kommt der ewige Verlierer. Der hat schon mal in den Landtag kommen wollen, obwohl das nicht stimmt. Ich habe mal auf Stuttgarter CDU-Gemeinderatsliste auf Platz 60, auf dem letzten Platz kandidiert, weil man dringend noch Leute gesucht hat. Von 60 Kandidaten, von denen vielleicht 15 oder 18 gewählt worden sind, da hat man keine Chance von da hinten. Ich wurde vielleicht zehn oder fünfzehn

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Plätze vorgewählt. Aber trotzdem war man halt Verlierer. Und auch bei der Landtagswahl hatte ich nie die Absicht, zu gewinnen. Trotzdem war man der Verlierer. Das hat die Gegenseite natürlich außerordentlich stark dargestellt. Nun gut. In dem Augenblick, wo Sie dann mal gewonnen haben, ist das alles abgeräumt.

F: Kommen wir noch mal zu dem Punkt: Ämter, Funktionen in Organisationen, Kommissionen und Arbeitsgruppen. Sie haben ja zahlreiche dieser Ämter gehabt. Können Sie sagen, so aus dem Stegreif, welches war von diesen Ämtern (oder welche) die ihnen am meisten Spaß gemacht haben, die sie am meisten interessiert haben, wo es die interessantesten Dinge gab?

L: Die größten Möglichkeiten zur Gestaltung hatte ich natürlich als Staatssekretär. Und da muss ich sagen: so gerne ich bei Klaus Töpfer war, im Bereich der Post und Telekommunikation konnte ich natürlich mithelfen, wirklich Berge zu versetzen. Wir haben das Grundgesetz geändert, wir haben den Post und Telekommunikationsbereich nicht nur privatisiert, sondern auch liberalisiert. Das sind gewaltige Reformen gewesen, die man in relativ kurzer Zeit zu Wege bringen konnte, mit großem Einsatz. Und es ging auch ganz knapp zu. Ich habe das letztes Mal ja auch ein bisschen angedeutet. Das war schön. Aber auch gilt, wenn Sie im Bundestag sind – vor allem in meiner Fraktion CDU/CSU – : Sie können nicht kommen und sagen hoppla, da bin ich und jetzt will ich die Nummer eins oder wenigstens die Nummer zwei oder drei werden. Das geht nicht. Sie müssen zunächst einmal sich Ihren Acker aussuchen, auf dem Sie sozusagen die Sachherrschaft haben. Und da ich einer der ganz wenigen Ingenieure war– damals gab es sehr wenig Ingenieure, nach der Wiedervereinigung gab es sehr viele, die kamen dann alle aus dem Osten, weil sie unbelastet waren, aber damals in der Bonner Zeit gab es wenig Ingenieure und es gab wenige, die aus der Naturwissenschaft kamen, so dass mir diese Themen fast automatisch zugefallen sind. Da haben sie gesagt, der Laufs soll das machen. Oh schrecklich, schrecklich, das soll der machen. Entsorgung der Kernkraftwerke, Nukleare Abfälle und so, schrecklich, schrecklich, soll der Laufs machen. So fiel mir sehr viel zu. Und dann kommt der Augenblick, wo es Vakanzen gibt. Das sind dann immer Kettenreaktionen von oben nach unten. Da wird irgendeiner ins Bundesverfassungsgericht berufen oder wird Oberbürgermeister oder irgend so etwas, und dessen Funktion wird dann frei: dann rückt einer nach, dann wird wieder eine Position darunter frei und so gibt es Kettenreaktionen bis dann ´runter in die Ausschüsse und so wurde ich dann – wobei ich sagen muss, immer in offenen Feldschlachten, in offenen kameradschaftlichen, aber harten Auseinandersetzungen, in denen man dann gewählt wird oder nicht – wurde ich dann Obmann im Innenausschuss. Damals hat der Innenausschuss auch die ganzen Fragen des Umweltschutzes und der technischen Sicherheiten usw. umfasst. Dann, als Kohl Bundeskanzler wurde, da gab’s dann den großen Schub, da wurde ich dann Sprecher im innenpolitischen Bereich, aber immer in Auseinandersetzung mit anderen, die das auch gerne geworden wären. Und in dieser Zeit, in den 80er Jahren als Sprecher, konnte ich gerade den Umweltbereich, aber auch den Bereich der Sicherheitsgesetze beackern. Wir haben den plastifizierten Personalausweis eingeführt, gegen viele Widerstände. Wir haben eine Menge gemacht. Und da war ich dann als der Sprecher der größten Regierungsfraktion natürlich eine wichtige Person. [35:17] . Es gab da gewisse Kränzchen - vor allem als am Anfang der Kohlschen Ära die CDU noch die Mehrheit im Bundesrat hatte –diese Kränzchen mit den Fachministern aus den Ländern zusammen mit dem Sprecher der CDU Bundestagsfraktion. Und hier konnte man gestalten. Da hat man gesagt: wir wollen das Gesetz machen, wir wollen es so machen. Und es wurde dann sehr intensiv diskutiert und das, was man dann in diesen Kränzchen beschlossen hatte, das wurde dann umgesetzt. Dann musste man natürlich erst noch die FDP mit ins Boot

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nehmen, hat man natürlich auch gemacht und sie auch manchmal mitgenommen zu diesen Kränzchen die dann abwechselnd rundum in den Ländern stattfanden. Da konnte man auch sehr viel gestalten. Da haben wir wichtige Gesetze gemacht.

F: Welches war da das wichtigste? Können Sie da ein oder zwei nennen?

L: z. B. das Abfallgesetz. Früher war ja die Abfallbeseitigung eine Sache der Seuchenhygiene. Wir haben ein Abfallwirtschaftsgesetz daraus gemacht. Z. B. all die Grundlagen dafür geschaffen, dass es die Verpackungsverordnung geben konnte, Deponieverordnungen, die Verbesserung der Qualität bei den Deponien, das waren gewaltige Dinge, die wir da gemacht haben. Wir haben z. B. dann nach Tschernobyl,…. das Strahlenschutzvorsorgegesetz mit meinem Namen im Parlament eingebracht und beraten. Ich habe damals – gestützt von den Regierungsfraktionen – den Antrag zur Einsetzung der Enquete-Kommission „Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre“ also die „Klima Enquete“ eingebracht im Jahr 1987, bevor das international zum großen Thema wurde, mit großen Ergebnissen34. Ich habe neulich einen der alten Professoren getroffen, den wir damals berufen haben – unter anderen haben wir den Paul Crutzen35 berufen der dann später für seine Luftchemie den Nobelpreis für Chemie bekommen hat – ich habe also den Prof Seiler36 getroffen, der hat gesagt: Wenn Sie sich die Papiere wieder zur Hand nehmen, die wir damals erarbeitet haben 1988/89, da steht schon alles drin was jetzt in den großen „Assessment Reports“ von IPCC37 da gemacht wird, im Weltklimarat, steht schon alles drin. Schon vor zwanzig Jahren haben wir das alles so erkannt. Ja, gut. Man konnte damals schon was gestalten und das hat mich natürlich fasziniert und natürlich auch meine Kräfte sehr in Anspruch genommen.

F: Gab es auch Aufgaben, die Ihnen da gar nicht gepasst haben ?

L: Ach,….[stöhnt etwas, denkt nach und spricht die nächsten zwei Sätze leiser] Das könnte ich eigentlich nicht sagen… Könnte ich eigentlich nicht sagen. [38:35] Das Verhältnis unter uns Kollegen war sehr freundschaftlich, und es gab so viel Arbeit, dass keiner dem anderen irgendwie neidisch sein musste. Man muss, wenn man in der Politik - in der Demokratie - Erfolg haben will, immer Mehrheiten haben. Man braucht die Mehrheit im Ausschuss, man braucht die Mehrheit in der Fraktion, man braucht die Mehrheit im Bundestag. Das Politische Geschäft besteht im wesentlichen darin, eben solche Mehrheiten zu finden. Das heißt, man muss auf andere zugehen, man muss sie einbeziehen, man muss sie beteiligen, sonst läuft so etwas nicht. Man kann nicht als Einzelkämpfer mit dem Kopf durch die Wand. Das geht in der Demokratie nicht.

34 Antrag der Abgeordneten Dr. Laufs u. a.: Einsetzung einer Enquete-Kommission „Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre“, Bundestags-Drucksache 11/533 vom 24.06.1987 (Anm. v. PL) 35 Prof. Dr. Paul Crutzen geb. 1933 in Amsterdam. Seit Ende 2000 emeritiert. 1980 - 2000 Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz. Nobelpreis für Chemie zusammen mit Mario J. Molina und F. Sherwood Rowland für ihre Arbeit über die Chemie der Atmosphäre, insbesondere über auf die Bildung und den Abbau von Ozon. 36 Prof. Dr. Wolfgang Seiler, Institut für Meteorologie und Klimaforschung, Fraunhofer Institut für Atmosphärische Umweltforschung, Garmisch-Partenkirchen (Anm. v. PL) 37 IPCC: Intergovernmental Panel on Climate Change (auf Deutsch oft als Weltklimarat bezeichnet). 1988 von der UNEP (United Nations Environment Programme) und der WMO (World Meteorological Organization) gegründete internationale Organisation mit Sitz in Genf. Hauptaufgabe der Organisation ist es Entscheidungsträgern und anderen am Klimawandel interessierten Personen objektive Informationsquellen zur Verfügung zu stellen. Internet Seite: http://www.ipcc.ch/index.htm.

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F: Damit haben wir schon eine Überleitung zu dem Thema, was wir ja schon am 01.07.08 in unserem ersten Gespräch bereits angeschnitten hatten, nämlich: wie schafft man Mehrheiten in den Dingen die negativ irgendwie besetzt sind entgegen der fachlichen Überzeugung, der Sachüberzeugung, oder der fachlichen Richtigkeit, die ja nur eine sein kann? Und warum gelingt das nicht immer? Warum hat da die Politik ihre Probleme?

L: Sie wissen das ja vom letzten Gespräch her wie meine Position hier ist. Um das auf einen ganz einfachen Nenner zu bringen: Die Sachzusammenhänge werden immer komplizierter. Die öffentliche Wahrnehmung, die natürlich für den Politiker entscheidend ist, wir immer oberflächlicher. Und es ist nicht möglich Sachzusammenhänge, schwierige Sachzusammenhänge zu vermitteln. Das geht nicht. Sondern alles reduziert sich dann auf Zeugenaussagen oder auf eindrucksvolle Bilder. Die Zeugen, auf die es dann ankäme – mit großer Autorität – sind auch sehr vorsichtig.

F: Sie meinen jetzt mit Zeugen: Wissenschaftler?

L: Ich will Ihnen ein Beispiel sagen. Es gibt in Deutschland nicht das, was die Engländer haben: die Royal Commissions38. Also: wissenschaftlicher Sachverstand mit hoher Autorität, wobei die entsprechenden Mitglieder von der Königin höchst selbst ausgesucht und nominiert werden. Gibt es bei uns nicht. Es gibt auch die Academy of Science, In den USA, also eine oberste wissenschaftliche Autorität der Amerikaner. Das gibt es bei uns nicht. Ich habe versucht, verschiedene Bundespräsidenten für den Gedanken zu gewinnen, dass sie so etwas bräuchten wie eine Nationale Akademie der Wissenschaften.39 In denen Persönlichkeiten tätig werden, die vom Bundespräsidenten höchst selbst berufen werden. Die Bundespräsidenten – ich fing an mit Carl Carstens, dann von Weizsäcker, dann Roman Herzog, mit denen allen habe ich gesprochen und sie eindringlich gebeten, so etwas zu schaffen, damit diese chaotischen öffentlichen Diskussionen kanalisiert werden können. Diskussionen, in denen ein Professor für Musikwissenschaften plötzlich auftritt mit Ideen zur Atomkraft, wobei aber nicht gesagt wird, dass er Musikwissenschaftler ist. Wo die Dinge sehr chaotisch ablaufen. Meine Vorstöße sind immer gescheitert. Es ist nie gelungen, die Länder dafür zu überzeugen denn die Länder haben nach unserer Verfassung die Hoheit in diesem Bereich. Es gibt ja auch in Baden-Württemberg in Heidelberg eine Akademie der Wissenschaften, auch in anderen Ländern gibt es solche Akademien. Die Länder waren nicht bereit, sozusagen ein Stück ihrer Souveränität abzugeben und zu sagen: Über unseren Akademien gibt es dann noch eine nationale Akademie. Das sei verfassungsrechtlich überhaupt nicht darstellbar. Dafür müsste man die Verfassung ändern, also Finger weg. Ich hatte immer die Hoffnung, das es gelingen könnte, da irgend ein Zwischending zu finden. Das war nicht möglich. Vorweg will ich Ihnen noch sagen, dass die deutschen Medien geprägt sind von großer Aufgeregtheit.

F: Das sind sie in England z. B. ja auch. Oder?

L: Ja,…vielleicht nicht ganz in diesem Maß. Also, England: auch. Die Hysterisierung die man hier in Deutschland findet, ist unglaublich. Wenn dann solche Kampagnen in den Medien laufen – wir haben ja diesen Rudeljournalismus – dann hat keiner mehr eine

38 Royal Commissions: Neben den unmittelbaren Verhandlungen zwischen Parteien wird in Großbritannien und Neuseeland (für wichtige Reformvorhaben) von Expertengremien Gebrauch gemacht. (André Kaiser: Mehrheitsdemokratie und Institutionenreform. Verfassungspolitischer Wandel in Australien, Großbritannien, Kanada und Neuseeland im Vergleich. Campus Verlag, 2002. s. 320) 39 Im Jahr 2008 wurde die traditionsreiche Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina zur Nationalen Akademie mit Politikberatungsfunktionen ernannt.

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Chance, dagegen anzukommen. Und da hilft Ihnen auch nicht das beste sachliche Argument. Ich hatte ein Schlüsselerlebnis. Ende 87/88 hatten wir den Transnuklear-Skandal in Deutschland. Die Firma Transnuklear, eine Tochter von Nukem40, die eben schwach oder mittelaktive Abfälle transportiert hat, überwiegend nach Mol41 in Belgien zur Konditionierung. Das sind diese riesigen Massen an kontaminierten Arbeitskleidern, Arbeitsmitteln aus Kernkraftwerken, aus der Industrie, aus der Medizin usw. Diese Materialien wurden verbrannt und die Aschen wurden dann einbetoniert in Stahlfässer. Eine harmlose Geschichte. Nur, in dieser Firma Transnuklear gab es eine schwarze Kasse für Schmiergelder, mit denen Leute, die Aufträge für den Transport solcher Materialien erteilt haben, geschmiert worden sind. 1987 kam dann ein neuer Geschäftsführer, und bei der Einarbeitung in die Dinge fiel ihm auf, dass ein Bereich voller Korruption war. Er hat das dann seinen vorgesetzten Gremien mitgeteilt, man hat dann noch gewartet, bis die Landtagswahl in Hessen vorbei war und hat das dann dem Staatsanwalt und der Öffentlichkeit übergeben. Dann ging eine ziemliche Hysterie ab, die Dezember 87 Januar 88 ungeheure Ausmaße annahm. Es war nämlich so, dass aus Mol Gebinde zurückkamen, die andere Stoffe enthielten als die, die man nach Mol geliefert hatte. [46:40] Es waren auch Gebinde dabei mit Spuren von Plutonium. Woher das Plutonium genau kam, hat man nie feststellen können. Es waren sehr geringe Mengen. Damals, als das Ganze hochging, hatte man über dreihundert Fässer und in jedem dieser dreihundert Fässer war der Bruchteil eines Gramms Plutonium enthalten. Dann wurden noch andere Dinge damit verquickt. Auch die Tatsache, dass bei Nukem, die Brennelemente fertigte, manchmal – weil das ja sehr genau im Rahmen der Non-Proliferation alles dokumentiert worden ist - gewisse Differenzen an Plutonium oder anderen spaltbaren Materialien vorkamen, ein Delta plus oder minus. Das wurde dann alles mit vermengt und am Schluss stand im Raum, dass in diesen zurückkommenden Behältern nicht deklariertes Plutonium drinnen ist. Das war rechtswidrig, also ein glatter Verstoß gegen die Vorschriften. Die brisante Frage war: Wozu brauchte man das Plutonium ? Um Bomben zu bauen! Mafia, Mafia in Deutschland! Das war also dramatisch. Ich musste dann in diesem Januar 1988 als Sprecher die Rede halten und als gut gelernter Ingenieur habe ich eine ganz ruhige, sachliche Rede gehalten, in der ich gesagt habe: zwei Dinge sind ganz klar: 1. Es ist nie jemand gefährdet worden durch die Transporte. 2. Es ging immer um nichtwärmeerzeugende Abfälle, um schwach radioaktive Abfälle. Es ist keine Gefahr von denen ausgegangen. Die Spuren an Plutonium, die wir da drinnen finden, wenn man damit eine Bombe bauen wollte, bräuchte man nicht die 300 Fässer sondern – ich hatte das hochgerechnet – ich weiß nicht mehr wie viel, zig tausend Fässer. Man bräuchte einen riesigen Aufwand an Chemie und Technik, um diese Spuren da herauszuholen. Dann wäre das auch ein Plutonium, das nicht besonders geeignet wäre zum Waffenbau. Also mit andern Worten: Skandal, dass Transnuklear rechtswidrig gehandelt hat. Sache für den Staatsanwalt, Überprüfung ihrer Zuverlässigkeit. Alles klar, wird nichts beschönigt. Aber mit Atombomben hat das nichts zu tun. Das ist ein lächerlicher Unsinn. Das war meine Rede. Die wurde natürlich übertragen.

F: Wo war die Rede ?

L: Im Deutschen Bundestag. Damals im Wasserwerk. Der neue Bundestag war ja damals im Bau. Das wurde natürlich übertragen und ich habe noch nie so heftigen Protest und so

40 Deutsches Nuklearunternehmen mit den Schwerpunkten Urananreicherung, Brennelementherstellung und Entsorgung radioaktiver Abfälle. 41 Belgische Kleinstadt Mol (Provinz Antwerpen). Seit 1952 Sitz des größten belgischen Kernforschungszen-trums. 1967-1974 Betrieb einer Wiederaufarbeitungsanlage für abgebrannte Brennelemente. Anlage zur Konditionierung von radioaktiven Abfällen.

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böse Reaktionen erlebt wie auf diese Rede. Und einer hat das wirklich auf den Punkt gebracht. Und hat gesagt: der größte Lügner – oder hat er gesagt Rosstäuscher, ich weiß es nicht mehr – der größte Lügner sind Sie. Denn, wenn das zuträfe, was Sie da im Deutschen Bundestag gesagt haben, dann könnte man ja die ganze Aufregung nicht verstehen. In der Tat. Wenn das mal in der Kampagne in allen Medien läuft, haben Sie null Chancen. Selbst wenn Sie in aller Ruhe und Sachlichkeit nachweisen, dass das, was da draußen jetzt in den Köpfen herumschwirrt falsch ist, haben Sie keine Chance, gehört zu werden. Beziehungsweise, Sie werden dann sofort in die Ecke gestellt. Lügner, völlig unglaubwürdig, denn er sagt ja genau das Gegenteil, was alle andern sagen. Und wenn alle andern das so sagen, dann kann es ja nicht falsch sein. Und das ist nun das Problem z. B. jedes Ministers, der seinen Bereich vertreten muss, in der Bundesregierung, natürlich auch gegenüber der Öffentlichkeit. Wenn so eine Kampagne fährt, haben Sie kaum eine Chance. Und da will ich Ihnen noch ein schönes Beispiel sagen. Nach Tschernobyl haben wir ja radioaktive Niederschläge gehabt. Am stärksten in Südbayern, aber am allerstärksten in Berchtesgaden. In Südbayern, wo Sie viel Grünlandwirtschaft haben, da haben also die Tiere das Gras gefressen und die Milch war kontaminiert. Die konnte man nicht mehr verkaufen, sondern eine Firma in Rosenheim, die eine tolle Eindampfanlage hatte, hat das übernommen. Butter und Käse war kein Problem, Iod-131 zerfällt so schnell. Da bleibt das Caesium 134 und 137 nicht drinnen, sondern das war in der sogenannten Molke, also der Flüssigkeit, die dann noch übrigbleibt, mit Eiweiß und Milchzucker vor allem, da ist dann das Caesium drinnen gewesen. Dann wurde eingedampft und dann hatte man 5 tausend Tonnen von dieser sogenannten Molke, als Pulver in Papiersäcken. [52:02] . Das Pulver war stärker kontaminiert – über 2000 Bq/kg – war also so nicht zu verwenden, zunächst. Aber man hätte es – und das war der Gedanke – vermischen können mit anderen Materialien, so dass man unter die 1800 Bq/kg gekommen wäre. Ich habe Ihnen hier das Umfeld hierzu aus meiner Dissertation mal abgelichtet, damit Sie sehen, was da alles abging. Deshalb ganz kurz, schließlich: Firmen wollten daraus Futter machen. Dann wurden Wagons nach Bremen und nach Köln transportiert, wo diese Futtermittelhersteller waren. Als das in die Öffentlichkeit kam, ging der Sturm los. Hochradioaktiv sei alles, in Köln haben sogenannte Umweltschützer Säcke heraus geklaut, geöffnet und das Mehl zerstreut. Dann rückte die Feuerwehr aus und maß fünffach überhöhte Belastungen usw. , war dann ganz dramatisch… und durfte nicht entladen werden, Polizei stand da überall herum und der Lokomotivführer mit tränenerstickter Stimme vor den Kameras, dass eine Tochter von ihm an Leukämie verstorben sei und er nicht bereit sei, den Zug weiter zu transportieren, es sei denn, man würde Leerwagons zwischen die Lok und diese schrecklichen Wagons mit diesem Pulver zwischenschalten. Da war eine Hysterie, unglaublich. Ich als Sprecher rief noch spät abends im Palais Schaumburg an, wo der Umweltminister Walter Wallmann residierte und wollte ein Gespräch mit ihm haben. Ich wurde auch sofort vorgelassen. Und dann habe ich ihm erst mal erklärt – dem Herrn Wallmann – wie das alles ist, was Caesium 134 ist, wie das zerfällt, Xenon und Barium usw. das Caesium 137, wie die Halbwertszeiten sind – das eine nur zwei Jahre, das andere dreißig usw. – und habe ihm erklärt, dass die Kontamination so gering sei, dass man jeden Tag in sein Müsli einen Esslöffel davon ohne weiteres reinrühren könnte, ohne dass man irgendwelche Schäden davontrüge. Und dass das, was da abliefe, ein Spuk sei, für den man sich schämen müsse, in einem Land wie Deutschland mit seiner Wissenschaftskultur, mit seiner Geschichte. „Diesem Spuk müssen sie ein Ende bereiten!“ habe ich gesagt. Sie müssen als die Autorität der Bundesrepublik Deutschland auf diesem Gebiet, nach draußen gehen und sagen: „Stoppt diesen Unsinn!“. …… (Spricht wieder betont ruhig) Wallmann hörte mich sehr genau an. Er stellte auch Fragen. Ich merkte, dass seine Beamten ihn auch schon gebrieft hatten. Er sagt er würde alles in seinem Herzen bewegen

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und entließ mich wieder. Am nächsten Tag hat er das gemacht, was ein Vollblutpolitiker machen muss und ich sah, dass ich zum Minister nie geeignet wäre. Er hat das gemacht, was man machen muss in diesem Umfeld. Er hatte null Chance, mit Caesium 137 und den Zerfällen und all den naturwissenschaftlichen Fakten irgendeinen Punkt zu machen. Oder mit der Tatsache, dass das nicht weiter gefährlich ist. Alfred Dick hat das ja gemacht und wurde zum Gespött der ganzen Nation.

F: Wer ist Alfred Dick ?

L: Dick war der Umweltminister in Bayern. Der hat so einen Sack Molkepulver aus Rosenheim mitgebracht und hat eine große Pressekonferenz gemacht, hat den Sack aufgemacht, und hat den Löffel genommen – das Zeug schmeckt schrecklich – und aß dieses grünlich gelbe Zeug vor der ganzen Mannschaft der Journalisten und sagte: „das tut mir nichts“ und: „nun hört mal auf mit dieser Hysterie“.

F: Was hat ihm das gebracht oder wie hat es ihm geschadet?

L: Ja, man hat ihn lächerlich gemacht. Der spinnt, der Mann. [spricht noch lauter] Der spinnt! Der ist nicht mehr zu halten als Umweltminister, wenn einer derartig ausrastet und solches Zeug isst. Furchtbares Beispiel. Also kurzum, was hat der Wallmann gemacht? Er hat nach dem ganz einfachen, aber sehr wirksamen politischen Rezept gehandelt und hat gesagt: „aus den Augen aus dem Sinn“. Er hat sich – obwohl er gar nicht zuständig war – für zuständig erklärt. Er hatte vorher mit dem Verteidigungsminister gesprochen, hat ein Abstellgleis in Meppen, irgendwo weit draußen auf einem Bundeswehrgelände, wo niemand Zutritt hatte, ein Abstellgleis gefunden und hat dann die ganze Molke dort hinschaffen lassen, ins Emsland, nach Meppen irgendwo, weit und breit niemand. Aus dem Auge, aus dem Sinn, und schon war das Problem gelöst. Er hat nichts dazu beigetragen zu klären, was nun die wirkliche Gefahr ist, weil er keine Chance dazu gehabt hätte. Man hätte ihn nur lächerlich gemacht! Man hätte ihn nur lächerlich gemacht! So wie den guten alten Alfred Dick.

F: Gab es da nicht die Möglichkeit, Experten, renommierte Wissenschaftler die auf dem Gebiet wirklich eine Autorität sind, einzuschalten und zu sagen: „erarbeitet ein Konzept“?

L: Es gibt den schönen Spruch: „sorgfältige Recherche macht die Story kaputt“ bei den Journalisten. Wir haben selbstverständlich damals den Professor Dr. Dr. Oberhausen ein hochrenommierter Mann, natürlich als Chef der Strahlenschutzkommission, wir haben andere hoch angesehene Leute in den Ausschuss geholt und haben den Ausschuss öffentlich gemacht. Da waren dann die Journalisten da. 1998, als diese Castor-Transportgeschichte lief sagte der Vorsitzende der Strahlenschutzkommission Prof. Reiners sinngemäß: „ich könnte das alles verspeisen woraus ihr da diese Weltuntergangsstimmung macht! Würde mir nicht schaden“! (beschwörend, langsam und leise gesprochen). Glauben Sie, das hätte irgendeiner gebracht? Seine Story wäre kaputt gegangen. Hat niemand gebracht! Sie können das nachlesen, das wird ja alles wörtlich protokolliert was da gesagt worden ist im Ausschuss, zu welchem Zeitpunkt und was die Presse daraus gemacht hat. Die Presse hat natürlich nicht berichtet – oder das Fernsehen – über diese Ausschusssitzung. Sondern sie hat dann einen gefragt von den Grünen oder von den Linken oder von der SPD, was das nun gebracht hätte die Ausschusssitzung. Und der hat natürlich gesagt, hat nichts gebracht! Skandal! Skandal! usw. Das haben sie dann verbreitet. Sie haben keine Chance (spricht leise). In so einer Situation haben Sie keine Chance (langsam und fast beschwörend). Und deshalb hat der Wallmann, wie ich

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nachträglich sagen muss, richtig gehandelt, hat nicht auf mich gehört, sondern er hat das Problem politisch richtig gelöst. Er hatte natürlich nie ein Verhältnis zu den technischen Dingen.

F: Sie sagen, er hat politisch richtig gehandelt aber sachlich falsch, oder nicht notwendig. [1:00:04]

L: Ja, sachlich war das nicht notwendig. Sie werden es sehen – ich habe das ja kurz dargestellt, ich hab natürlich nicht dargestellt meine Gespräche mit Wallmann – aber dargestellt, dass selbstverständlich das Ministerium immer wieder gesagt hat: „es gibt keine Rechtsvorschriften die verhindern könnten, diese kontaminierte Molke zu Futtermittel zu verarbeiten. Das ist ein Wirtschaftsgut, das kann hier so verarbeitet werden“. Aber wenn sämtliche Sicherungen durchgehen, in Köln und in Bremen und die Polizei anrückt und verhindert wird, dass abgeladen werden kann usw. , da haben sie halt eine neue Situation.

F: Hatten Sie mehrere Gespräche mit Wallmann?

L: Ich hatte natürlich dauernd Gespräche mit Wallmann. Wallmann kam ja in dieses Amt als Umweltminister ohne dass er viel Sachkunde mitbrachte. Er war der erste deutsche Bundesumweltminister. Er war vorher Oberbürgermeister in Frankfurt und wurde von dort zum Umweltbundesminister berufen – als erster – und blieb das bis … legen Sie mich nicht fest, in den ersten Monaten 1987 war die Hessenwahl, die er knapp gewonnen hat mit der FDP. Und dann wurde er ja Ministerpräsident in Hessen. Und dann wurde sein Nachfolger Töpfer. Töpfer war vorher Umweltminister in Mainz.

F: Ja, Sie hatten mehrere Gespräche mit Wallmann ….

L: Ja, natürlich, als er Bundesminister wurde, legte er großen Wert darauf, dass ich Sprecher werde. Wir mussten ja den alten Innenbereich aufteilen in Inneres – klassisch Inneres – und Umwelt. Früher war ja die Umwelt im Innenbereich und ich hatte also die Wahl, ob ich im Innenbereich bleibe oder ob ich in den Umweltbereich gehe. Ich habe mich dann für den Umweltbereich entschieden. Ich hatte viele Gespräche mit Wallmann in denen ich versucht habe, ihn einzuführen in diesen Bereich aus der Sicht des Parlamentariers, was sich tut, welche Fragen hier zu behandeln sind usw. und er hat auch immer großen Wert darauf gelegt, dass wir ihn in der Fragestunde unterstützen, dass ich immer wieder zu ihm kam und sagte: „also, passen sie auf, das ist ein Problem, jenes ist ein Problem, dazu müssen Sie noch informieren usw. Ich erinnere mich noch sehr genau, wie ich an einem der ersten Tage, nachdem er Minister war, mit seinem beamteten Staatssekretär Christean Wagner an einem kleinen Tisch im Palais Schaumburg saß – mit ihm, wir zu dritt an einem kleinen Tisch – und ich malte ihnen auf, wie ein Kernkraftwerk aussieht im Schnitt und was ein Sumpf ist, was Dampferzeuger sind und wie das alles zusammenhängt usw. und was ein Reaktorkern ist und so. Die hatten natürlich wenig Ahnung. Die kamen aus einer ganz anderen Ecke der Politik. Aber ein Bundesminister muss nicht der Super-Fachmann sein. Töpfer war das. Töpfer war das! Alle Vorgänge gingen über seinen Schreibtisch. Und er war sehr misstrauisch. Und er hat sich alles immer selber ganz genau angeguckt. Wallmann weniger. Wallmann hat ein großes Gespür gehabt, wie das öffentlich alles abging und wie das politisch gemanaged werden muss, ohne dass man da in die Bits und Bytes geht und in Zerfallsreihen von radioaktiven Stoffen und Nukliden und all das. Er war sich darüber im Klaren, wie jeder Bundesminister, dass all diese Feinheiten nicht vermittelbar sind. Dass die Zusammenhänge nicht vermittelbar sind.

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F: Gab es unter H. Töpfer auch solche Beispiele, die man nennen könnte?

L: Also wenn man den guten Töpfer heute fragt, was sein größter Fehler war, dann sagt er: sein Bad im Rhein (lacht). Er wollte damit demonstrieren, dass das Rheinwasser wieder so gut ist, dass man darin baden kann. Die Medien, haben ihm das nicht durchgehen lassen, sondern sie haben versucht, ihn lächerlich zu machen mit diesem Bad im Rhein. Ich hatte einmal eine Auseinandersetzung mit ihm und zwar: er war immer einer, der die Medien gesucht hat und immer versucht hat, als erster an der Szene zu sein und damit die Dinge verbal bestimmen zu können. Während er im Ausland war und ich sein Vertreter war – als parlamentarischer Staatssekretär – da gab es eine Brandkatastrophe in Nordrhein-Westfahlen, wo irgendein Chemiewerk gebrannt hat, mit großem Umweltschaden auch. Ich bin eingeladen worden, vor Ort zu gehen. Da habe ich gesagt, nein, ich gehe nicht. Das ist nämlich nicht die Aufgabe des Bundesministers, sondern des Landesministers. Das fällt in seine Zuständigkeit. Der soll sich mal um seinen Kram kümmern, bevor er andere aus der Bundesebene vorschickt, die ihre Nase in die Fernsehkameras hängen sollen und sozusagen die Schuld da übernehmen sollen. Das war dem Töpfer fremd. Er wäre sofort hingegangen. Ich habe ihm dann erklärt, warum ich da nicht hingegangen bin und er hat das dann akzeptiert. Wie es dann lief, war es dann auch OK. Der politische Schaden ging auch mit dem damaligen – Matthiesen hieß er glaube ich – SPD-Umweltminister in Nordrhein-Westfahlen heim und die Bundesebene ist dann draußen geblieben. Wenn irgendwo ein Unglück passiert, muss man ja nicht gleich sagen, da bin ich zuständig, wenn man gar nicht zuständig ist.

F: Ja, H. Laufs, welches würden Sie sagen waren ihre größten Erfolge in der Politik?

L: Man ist immer Teil einer Mehrheit in der Demokratie. Man kann nie sagen, das ist mein Erfolg. Sondern es sind immer mehrere, die mitwirken. Aber man kann Initiativen ergreifen, die dann mitgetragen werden von anderen. Und mit diesen anderen zusammen hat man da sozusagen den Erfolg. Wie gesagt, was ich im Umweltbereich als wichtig ansehe ist, dass es gelungen ist diese Enquete-Kommission zum Klimaproblem zu installieren. Das war meine Initiative. Es gibt auch im Umweltbereich ein paar Sachen, also nachweislich, wo ich bei der Ausgestaltung von Gesetzen wesentlich der Initiator war. Da gibt es einiges, auf was wir stolz sein können und ich auch, beispielsweise, dass ich mitwirken konnte bei der großen Postreform mit Grundgesetzänderung. Das war eine gewaltige Geschichte.

F: Würden Sie diese Postreform – es sind ja viele Jahre her, man weiß ungefähr, wie die Einzelunternehmen sich weiterentwickelt haben – genauso positiv bewerten?

L: Ja, würde ich. Ich glaube, dass wir wenig Fehler gemacht haben. Ich habe Ihnen im letzten Gespräch gesagt, dass wir Zugeständnisse machen mussten, die unnötig waren, aber die trotzdem erforderlich waren um das Ganze zum Laufen zu bringen, um die Grundgesetzänderung zu Wege zu bringen. Aber sonst würde ich sagen, könnte man nicht viel anders machen als wir das damals gemacht haben. Dann im Wahlkreis selber konnte ich mitwirken, dass das große Postzentrum – eines der größten in ganz Deutschland – für den Großraum Stuttgart nach Waiblingen kam, also in meinen Wahlkreis. Ich war damals Staatssekretär in diesem Bereich und habe den Vorschlag gemacht für Waiblingen. Natürlich wurde das sehr genau geprüft, Verkehrsanbindung usw. was dazu notwendig ist, ob die Flächen da sind usw. Aber immerhin habe ich die Initiative ergriffen und gesagt, das wäre eine Möglichkeit. Das konnte dann umgesetzt werden, wäre vielleicht so nicht gekommen, wenn ich nicht die

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Initiative ergriffen hätte. Also, das gehört sicher auch zu den Erfolgen. Dann konnte ich mitwirken, dass Bundesstraßen im Rems–Murr Kreis gebaut worden sind. Also wie gesagt, man wirkt immer mit, man ist nicht der große Zampano. Man kann Initiativen ergreifen, man kann dafür werben, man kann andere finden, die dann mit streiten usw. Man kann schon etwas tun und bewegen, aber man kann nie sagen, das war ich jetzt alleine. Man ist immer in der Gemeinschaft.

F: In Zusammenhang mit all den Dingen die wir besprochen haben, gibt es da Punkte, wo Sie sagen würden, das würde ich heute anders machen?

L: [Atmet schwer]. Ja im Nachhinein muss ich sagen, diese frühen Engagements, diese frühen Wahlkämpfe, die ich gemacht habe. Sie haben mir viel Erfahrung gebracht, sie haben mich auch viel gekostet. Das würde ich vielleicht heute nicht mehr so machen. Ich würde dann warten auf die große Chance. Da habe ich vielleicht in der Begeisterung ein bisschen zu viel gemacht. Jeder Verlust, jede Niederlage schmerzt natürlich sehr. Im Nachhinein muss ich sagen. war das für meine Familie sehr gut. Es wäre sicher nicht gut gewesen, ich wäre schon so jung und früh mit den ganz kleinen Kindern und der Familie entzogen worden durch ein Bundestagsmandat. Das wäre für die Familie nicht gut gewesen. Im Nachhinein versucht man ja immer alles zu verklären und das Positive zu sehen. Aber wahrscheinlich war es gut, dass ich für die Familie einige Jahre da war, und dass ich erst 1976 gewählt worden bin und wahrscheinlich wäre es besser gewesen, ich hätte ein oder zwei Wahlkämpfe zuvor nicht gemacht.

F: H. Laufs, ich bin mit meinen Fragen am Ende. Haben Sie sonst noch etwas, was Sie an dieser Stelle noch sagen möchten?

L: Nein. Wenn sie noch irgendwelche Nachfragen haben, stehe ich jederzeit zur Verfügung, sehr gerne natürlich. Das, was Sie transkribieren, will ich natürlich prüfen, noch mal lesen, vielleicht noch diese und jene Anmerkung machen, aber schreiben Sie nicht alles ab. Das ist viel zu viel.

F: Ok, H. Laufs, dann bedanke ich mich für das Interview heute und am 01.07.2008, das wir ja schon geführt hatten und werde mich jetzt an die Arbeit machen. Vielen Dank nochmal.

L: Ich bedanke mich auch, Herr Friebe.