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Kapitel 3 Stoffaustausch zwischen zwei fluiden Phasen Der Wärmeaustausch zwischen zwei Medien erfolgt in technischen Prozessen über- wiegend indirekt also über feste Wände hinweg, um eineVermischung der Medien zu vermeiden. Dagegen findet der Stoffaustausch mit wenigen Ausnahmen (z. B. Umkehrosmose s. Abschn. 9.5.5) direkt statt, da eine feste Trennwand üblicherweise mit einem unzulässig großen Stofftransportwiderstand verbunden ist. Die beteiligten Medien sind hierbei allenfalls geringfügig mit einander mischbar. Derartige zwei- oder mehrphasige Systeme können zu einer Reihe komplexer Problemstellungen für eine mathematische Beschreibung führen. So ist beispielsweise beim Aufstieg einer Gasblase in einer Flüssigkeit weder deren Größe noch ihre Form noch ihre Aufstiegsgeschwindigkeit bekannt. Zusätzlich tritt an der Phasengrenzfläche auf- grund ihrer freien Beweglichkeit nicht mehr zwingend eine Geschwindigkeit von null auf, wie dies bei festen Berandungen der Fall ist. Die Geschwindigkeit an der Phasengrenze ihrerseits übt einen starken Einfluss auf die Energie- und Stofftrans- portprozesse aus und muss in den entsprechenden mathematischen Modellansätzen oder Berechnungen berücksichtigt werden. Formal wird das Gebiet der Mehrphasensysteme nach den beteiligten Aggregat- zuständen eingeteilt. Eine feste Phase tritt ausschließlich in Form von Partikeln auf und demzufolge diskontinuierlich als so genannte disperse Phase. Die kontinuier- liche Phase wird stets durch ein Fluid also ein Gas oder eine Flüssigkeit gebildet. Flüssige als auch gasförmige Phasen können auch eine disperse Phase (Tropfen, Blasen) bilden. Es sind allerdings auch zwei kontinuierliche fluide Phasen möglich (z. B. beim Rieselfilm). Ein ganz wesentlicher Aspekt mehrphasiger Systeme ist die Tatsache, dass sie durch äußere Einwirkungen – z. B. einen aufgeprägten Volumenstrom oder einen mechanischen Energieeintrag – permanent aufrechterhalten werden müssen, da sie sich ansonsten infolge der Dichteunterschiede mehr oder weniger schnell trennen. Um die Komplexität derVorgänge nicht noch weiter zu steigern, ohne dass sich hieraus ein wesentlicher, zusätzlicher Erkenntnisgewinn erzielen lässt, werden im Weiteren bis auf wenige Ausnahmen zweiphasige Systeme betrachtet. Das Ziel dieses Kapitels ist die Erläuterung der wesentlichen Modellansätze zur vereinfachten Modellierung des Stoffaustausches zwischen zwei Fluiden. Zusätzlich M. Kraume, Transportvorgänge in der Verfahrenstechnik, 79 DOI 10.1007/978-3-642-25149-8_3, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012

Transportvorgänge in der Verfahrenstechnik || Stoffaustausch zwischen zwei fluiden Phasen

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Kapitel 3Stoffaustausch zwischen zwei fluiden Phasen

Der Wärmeaustausch zwischen zwei Medien erfolgt in technischen Prozessen über-wiegend indirekt also über feste Wände hinweg, um eine Vermischung der Medienzu vermeiden. Dagegen findet der Stoffaustausch mit wenigen Ausnahmen (z. B.Umkehrosmose s. Abschn. 9.5.5) direkt statt, da eine feste Trennwand üblicherweisemit einem unzulässig großen Stofftransportwiderstand verbunden ist. Die beteiligtenMedien sind hierbei allenfalls geringfügig mit einander mischbar. Derartige zwei-oder mehrphasige Systeme können zu einer Reihe komplexer Problemstellungenfür eine mathematische Beschreibung führen. So ist beispielsweise beim Aufstiegeiner Gasblase in einer Flüssigkeit weder deren Größe noch ihre Form noch ihreAufstiegsgeschwindigkeit bekannt. Zusätzlich tritt an der Phasengrenzfläche auf-grund ihrer freien Beweglichkeit nicht mehr zwingend eine Geschwindigkeit vonnull auf, wie dies bei festen Berandungen der Fall ist. Die Geschwindigkeit an derPhasengrenze ihrerseits übt einen starken Einfluss auf die Energie- und Stofftrans-portprozesse aus und muss in den entsprechenden mathematischen Modellansätzenoder Berechnungen berücksichtigt werden.

Formal wird das Gebiet der Mehrphasensysteme nach den beteiligten Aggregat-zuständen eingeteilt. Eine feste Phase tritt ausschließlich in Form von Partikeln aufund demzufolge diskontinuierlich als so genannte disperse Phase. Die kontinuier-liche Phase wird stets durch ein Fluid also ein Gas oder eine Flüssigkeit gebildet.Flüssige als auch gasförmige Phasen können auch eine disperse Phase (Tropfen,Blasen) bilden. Es sind allerdings auch zwei kontinuierliche fluide Phasen möglich(z. B. beim Rieselfilm).

Ein ganz wesentlicher Aspekt mehrphasiger Systeme ist die Tatsache, dass siedurch äußere Einwirkungen – z. B. einen aufgeprägten Volumenstrom oder einenmechanischen Energieeintrag – permanent aufrechterhalten werden müssen, da siesich ansonsten infolge der Dichteunterschiede mehr oder weniger schnell trennen.

Um die Komplexität der Vorgänge nicht noch weiter zu steigern, ohne dass sichhieraus ein wesentlicher, zusätzlicher Erkenntnisgewinn erzielen lässt, werden imWeiteren bis auf wenige Ausnahmen zweiphasige Systeme betrachtet.

Das Ziel dieses Kapitels ist die Erläuterung der wesentlichen Modellansätze zurvereinfachten Modellierung des Stoffaustausches zwischen zwei Fluiden. Zusätzlich

M. Kraume, Transportvorgänge in der Verfahrenstechnik, 79DOI 10.1007/978-3-642-25149-8_3, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012

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80 3 Stoffaustausch zwischen zwei fluiden Phasen

zu den Stoffübergangstheorien werden der Stoffdurchgang und seine aus der Thermo-dynamik bedingten Besonderheiten im Vergleich zum Wärmedurchgang behandelt.Abschließend werden dieAuswirkungen einer homogenen chemischen Reaktion dar-gestellt und unter Verwendung der Penetrations- und der Filmtheorie mathematischbeschrieben.

3.1 Stoffübergangstheorien

Der konvektive Stoffübergang kann für einfache Geometrien und Strömungsver-hältnisse, wie in den drei anschließenden Kapiteln gezeigt wird, durch Nutzungder fundamentalen Bilanzgleichungen sowie der jeweiligen Transportprozesse ma-thematisch beschrieben werden. In vielen technischen Fällen liegen komplexereStrömungen oder Geometrien vor, die einer exakten mathematischen Modellie-rung nicht oder nur mit hohem numerischen Aufwand zugänglich sind. In allenFällen werden Stoffübergangskoeffizienten (Definitionsgl. (1.27)) zur Beschreibungherangezogen. Die Berechnung des Stoffübergangskoeffizienten β kann dabei in ver-schiedener Weise erfolgen. Bei einfachen Strömungsverhältnissen und Geometrienliefern analytische oder numerische Lösungen exakte Werte für β (s. Kap. 5, 6 und 7).In komplexen Systemen werden bestimmte Stoffübergangstheorien zur Beschrei-bung genutzt. Die wichtigsten sind die Film-, die Grenzschicht-, die Penetrations-sowie die Turbulenztheorie, die im Folgenden erläutert werden.

3.1.1 Filmtheorie

Die Filmtheorie stellt die einfachste und älteste Modellvorstellung dar (Lewis undWhitman 1924). Zur Erläuterung der Filmtheorie werde angenommen, dass voneiner festen oder ruhenden flüssigen Oberfläche, in Abb. 3.1 als ebene Schicht ge-zeichnet, ein Stoff A an ein strömendes Fluid B übertragen wird. Die Konzentrationdes Stoffes A fällt vom Wert cA0 an der Schichtoberfläche auf den Wert cAδ im In-nern des vollständig vermischten Fluids. Die Filmtheorie geht nun von der häufigzutreffenden Annahme aus, dass der Stoffübergang nur in einem dünnen wandna-hen ruhenden Fluidfilm der Dicke δ stattfindet, daher der Name Filmtheorie. GemäßAbb. 3.1 ist eine solche Vereinfachung selbst in Systemen mit Konvektion zulässig,wenn die Geschwindigkeitsgrenzschicht δw deutlich größer als die Konzentrations-grenzschicht δc ist, da dann die Fluidgeschwindigkeiten innerhalb δc sehr niedrigsind. Diese Verhältnisse treten üblicherweise bei Flüssigkeiten (Sc > 1) auf.

Konzentrationen und Geschwindigkeiten sollen sich nur in Richtung der y-Achse,nicht aber, so wird weiter angenommen, mit der Zeit oder in Richtung der anderenKoordinatenachsen ändern. In diesem Film findet der Stofftransport allein durchmolekulare Diffusion statt. Das hat zur Folge, dass bei stationärer Strömung diein Richtung der y-Achse übertragene Stoffmengenstromdichte nA zeitlich konstant

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3.1 Stoffübergangstheorien 81

Abb. 3.1 Konzentrations- und Geschwindigkeitsprofil an einer überströmten Oberfläche nach derFilmtheorie

bleibt. Wäre dies nicht der Fall, würde also in ein Volumenelement des Fluids bei-spielsweise mehr Stoff A ein- als ausströmen, so würde sich in dem Volumenelementdie Konzentration des Stoffes A mit der Zeit ändern, oder es müsste in x-RichtungStoff A abfließen, damit sich die Konzentration nicht mit der Zeit ändert. Beides istaber voraussetzungsgemäß nicht zulässig. Nach der Filmtheorie ist somit:

dnA

dy= 0. (3.1)

Daraus ergibt sich für verschwindenden Konvektionsstrom, also bei äquimolarerDiffusion (s. Abschn. 1.1.3) n = nA + nB = 0 in Richtung der y-Achse, wegen

nA = nAm + xAn = nAm = −DAB dcA/dy

auch

d2cA

dy2 = 0,

wenn man konstante Werte von DAB voraussetzt. Das Konzentrationsprofil im Filmist eine Gerade (s. Abb. 3.1):

cA − cA0

cA∞ − cA0= y

δc. (3.2)

Weiterhin lässt sich der Stoffübergang auch mit dem Stoffübergangskoeffizientenβ beschreiben:

nA = β(cA0 − cA∞) = −DAB

(

dcA

dy

)

y=0

. (3.3)

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82 3 Stoffaustausch zwischen zwei fluiden Phasen

Nach Gl. (3.2) ist

−DAB

(

dcA

dy

)

y=0

= −DAB

δc(cA∞ − cA0) = DAB

δc(cA0 − cA∞)

und daher:

(3.4)

Da die Filmdicke δc meistens nicht bekannt ist, kann man aus dieser Gleichungzwar keine Stoffübergangskoeffizienten β berechnen, man kann sich diese jedochfür die in der Praxis häufig vorkommenden Fälle aus der einschlägigen Literatur(z. B. (Brauer und Mewes 1971; Perry et al. 1984)) verschaffen und dann mitGl. (3.4) die Konzentrationsfilmdicke abschätzen. Dies ist dann von Vorteil, wennder Einfluss einer chemischen Reaktion auf den Stoffübergang diskutiert wird. Indiesen Fällen ist die Reaktion bisweilen auf das Filmvolumen beschränkt, da nurdort die übergehende Komponente auftritt. Die Kenntnis dieses Reaktionsvolumenseröffnet dann die Möglichkeit, entsprechende Reaktionsströme zu berechnen.

Der Stoffübergangskoeffizient β für äquimolare Diffusion ist nach der Filmtheo-rie proportional dem Diffusionskoeffizienten. Zu einem anderen Ergebnis kommtman für die einseitige Diffusion. Wie in Abschn. 1.1.3 gezeigt, berechnet sich dieStoffstromdichte nach:

neinsAm = n

aquiAm + nAv = − c

c − cADAB

dcA

dy. (1.16)

Diese Stromdichte setzt sich aus einem diffusiven und einem konvektiven Anteilzusammen. Der Stoffübergangskoeffizient berücksichtigt in diesem Fall demzufolgesowohl konvektive als auch diffusive Beiträge:

neinsAm = βeins(cA0 − cA∞). (3.5)

Für den Stoffübergangskoeffizienten gilt bei einseitiger Diffusion:

βeins = − c

c − cA

1

(cA0 − cA∞)DAB

(

dcA

dy

)

y=0

. (3.6)

Das Konzentrationsprofil bei einseitiger Diffusion wird in diesem Fall beschriebendurch:

c − cA

c − cA0=(

c − cA∞c − cA0

)y/δc

. (3.7)

Für den Gradienten an der Phasengrenzfläche (y = 0) gilt demzufolge:(

dcA

dy

)

y=0

= − (c − cA0)

δcln

(

c − cA∞c − cA0

)

. (3.8)

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3.1 Stoffübergangstheorien 83

Durch Einsetzen in Gl. (3.6) folgt für y = 0 (cA = cA0):

βeins = DAB

δc

lnc − cA∞c − cA0

cA0 − cA∞c. (3.9)

Das Verhältnis der Stoffübergangskoeffizienten βeins/βaqui ergibt sich aus den

Gln. (3.4) und (3.9) zu:

βeins

βaqui=

c ln

(

c − cA∞c − cA0

)

cA0 − cA∞≥ 1. (3.10)

Durch den Stefan-Strom wird, wie bereits in Kap. 1 erläutert, der Stoffübergangdemzufolge intensiviert.

Findet der Stofftransport zwischen zwei fluiden Phasen statt, so muss derTransportwiderstand in beiden Filmen berücksichtigt werden (Zweifilmtheorie,s. Abschn. 3.2).

3.1.2 Grenzschichttheorie

Der Grenzschichttheorie liegt ebenso wie der Filmtheorie die Vorstellung zugrun-de, dass der Stoffübergang wie in Abb. 3.1 skizziert in einer dünnen, wandnahenSchicht erfolgt. Im Gegensatz zur Filmtheorie werden jedoch einerseits konvektiveStoffströme berücksichtigt, und andererseits dürfen sich die Konzentrationen undGeschwindigkeiten nicht nur in Richtung der y-Achse, sondern auch in Richtungder x-Achse ändern. Die Grenzschichttheorie liefert dann brauchbare Ergebnisse,wenn ∂2cA/∂x2∂2cA/∂y2 gilt. In diesem Fall liegt eine dünne wandnahe Kon-zentrationsgrenzschicht vor, in der die Änderung des Konzentrationsprofils großim Vergleich zur Änderung in Richtung der übrigen Koordinatenachsen ist. Danngenügt es, bei der Diffusion nur diejenige in Richtung der y-Achse zu berücksich-tigen. Die analoge Annahme wird für das Geschwindigkeitsprofil getroffen, so dassdie Geschwindigkeitsänderung in x-Richtung gegenüber derjenigen in y-Richtungvernachlässigt werden kann.

Da die Grenzschichttheorie vor allem für Vorgänge in der Nähe fester über-strömter Grenzflächen große Bedeutung besitzt, wird die Grenzschichttheorie in denAbschn. 6.1 und 6.2 für Strömungen an ebenen Platten hergeleitet und diskutiert. ImFolgenden wird kurz auf den engen Zusammenhang zwischen Geschwindigkeits-und Konzentrationsprofilen in überströmten Systemen eingegangen, der sich mithilfeder Grenzschichttheorie gut herausstellen lässt.

Die Grenzschichttheorie betrachtet eine stationäre, reibungsbehaftete, zweidi-mensionale Strömung in x und y Richtung, in der keine Feldkräfte auftreten. Fürdie x-Richtung mit den dimensionslosen Größen wx

∗ = wx/wx∞; wy∗ = wy/wx∞;

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84 3 Stoffaustausch zwischen zwei fluiden Phasen

x∗ = x/L und y∗ = y/L lautet die Navier-Stokes-Gleichung unter Vernachlässigungdes Viskositätsterms in x-Richtung dann:

w∗x

∂w∗x

∂x∗ + w∗y

∂w∗x

∂y∗ = 1

ReL

∂2w∗x

∂y∗2. (3.11)

Hierin ist ReL ≡ wx∞ L/ν die Reynoldszahl1. Diese wohl bekannteste dimensi-onslose Kennzahl ist für nahezu alle Transportprozesse, die in strömenden Medienauftreten, bedeutsam.

Bei der Formulierung der Stofftransportgleichung wird angenommen, dassdie Diffusion in x-Richtung gegenüber der in y-Richtung vernachlässigbar ist:∂2cA/∂y2 � ∂2cA/∂x2. In Abschn. 2.1.1 wurde der Stofferhaltungssatz für die sta-tionäre zweidimensionale Diffusion ohne chemische Reaktion bereits abgeleitet.Berücksichtigt man die Vereinfachungen gemäß Grenzschichttheorie, lautet hierfürder Stofferhaltungssatz mit dimensionslosen Größen:

w∗x

∂ξ

∂x∗ + w∗y

∂ξ

∂y∗ = 1

P eL

∂2ξ

∂y∗2. (3.12)

Hierin ist PeL ≡ wx∞ L/DAB die Pécletzahl2 der Stoffübertragung. (Zwischen derPéclet- und der Reynoldszahl besteht folgender Zusammenhang:

Pe = Re · Sc.Die dimensionslose Schmidtzahl3 Sc ≡ ν/DAB beschreibt das Verhältnis von visko-sem Impulstransport und diffusiven Stofftransport. Außerdem enthält Gl. (3.12) diedimensionslose Konzentration ξ, die wie folgt definiert ist:

ξ ≡ cA − cA∞cA0 − cA∞

. (3.13)

Hierin ist die Größe cA0 die Konzentration an der Phasengrenze und cA∞ dieKonzentration im großen Abstand davon, vgl. Abb. 3.1.

Die Erhaltungssätze für den Impuls (Gl. (3.11)) und den Stoff (Gl. (3.12)) sindanalog, und darüber hinaus sind sogar die Randbedingungen ähnlich.

Für die Strömung gilt:

1. RB: y∗ = 0: w∗x = 0

2. RB: y∗ → ∞: w∗x = 1

1 Osborne Reynolds 1842–1912, britischer Physiker, neben seinen Arbeiten zur Strömungsmecha-nik befasste er sich auch mit der Dilatanz von Sand.2 Jean Claude Eugène Péclet 1793–1857, französischer Physiker, Professor an der École Centraledes Arts et Manufactures in Paris.3 Ernst Schmidt 1892–1975, deutscher Thermodynamiker, beschäftigte sich u. a. mit derThermodynamik von Raketenmotoren.

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3.1 Stoffübergangstheorien 85

Für die Diffusion gilt, wenn die Komponente A gemäß Abb. 3.1 in das Fluid wandert:

1. RB: y∗ = 0: ξ = 12. RB: y∗ → ∞: ξ = 0

Hieraus folgt, dass für den Fall ReL = PeL, also für Sc = 1, die dimensions-losen Profile der Geschwindigkeit und der Konzentration sich entsprechen. Fürdiesen Sonderfall kann also die Steigung – (∂ξ/∂y∗)y∗=0 des Konzentrationsprofilsan der Phasengrenze gleich der Steigung (∂w∗

x/∂y∗)y∗=0 des Geschwindigkeitsprofilsgesetzt werden:

(

∂w∗x

∂y∗

)

y∗=0

= −(

∂ξ

∂y∗

)

y∗=0

.

Im Falle der laminar überströmten Platte gilt (s. Kap. 6.1.1)

(

∂wx

∂y

)

y=0

= 0,332

w3x∞νx

(6.9)

woraus in der dimensionsbehafteten Darstellung folgt:(

∂cA

∂y

)

y=0

= −0,332

wx∞νx

(cA0 − cA∞). (3.14)

So erhält man für die Stoffstromdichte an der Phasengrenze:

nAy

y=0 = −DAB

(

∂cA

∂y

)

y=0

= 0,332 DAB

wx∞νx

(cA0 − cA∞). (3.15)

Aufgrund der Definition des lokalen Stoffübergangskoeffizienten β(x) gemäß

nAy

y=0 = β(x)(cA0 − cA∞) (3.16)

erhält man schließlich

β(x) = 0,332 DAB

wx∞νx

(3.17)

und

Shx = xβ(x)

DAB= 0,332

wx∞xν

= 0,332√

Rex (3.18)

bzw. für die mittlere Sherwoodzahl:

(3.19)

Diese Gleichung für den örtlichen Stoffübergang der laminar überströmten Platteist nur für Sc = 1, kleine Stoffstromdichten (äquimolare Diffusion) und konstanteWerte für c und DAB gültig.

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86 3 Stoffaustausch zwischen zwei fluiden Phasen

Wenn die Schmidtzahl Sc< 1 ist, was für Gase zutrifft, ist die Dicke derGeschwindigkeitsgrenzschicht kleiner als diejenige der Konzentration. Bei Flüs-sigkeiten (Sc> 1) ist es umgekehrt. Für Sc �= 1 sind die entsprechenden Sherwood-Beziehungen in Gleichungen (6.25a) und (6.25b) angegeben und in (Pohlhausen1921) hergeleitet.

Eine analoge dimensionslose Beziehung lässt sich für den Wärmeübergang inForm einer Beziehung für die Nußeltzahl4 Nu ≡ αL/λ ableiten.

3.1.3 Penetrations- und Oberflächenerneuerungstheorie

Die Film- und die Grenzschichttheorie setzen einen stationären Stofftransportvoraus, gelten also nicht mehr, wenn sich in einemVolumenelement Stoff ansammelt,so dass sich die Konzentration mit der Zeit ändert. In vielen Stoffaustauschap-paraten werden jedoch Fluide miteinander oder Fluide mit Feststoffen währendso kurzer Zeiten in Kontakt gebracht, dass sich kein stationärer Zustand einstel-len kann. Steigt beispielsweise eine Luftblase in Wasser auf, so wird nur an denStellen Wasser in die Luftblase verdunsten, an denen sich die Blase gerade befin-det. Die Kontaktzeit mit der Wassermenge, welche die Luftblase umgibt, ist etwagleich der Zeit, die erforderlich ist, damit sich die Luftblase um einen Durchmesserweiter bewegt. An einem festen Ort wird daher nur kurzzeitig Stoff übertragen.Die so genannte Penetrationstheorie wurde von (Higbie 1935) für den hier ge-schilderten kurzzeitigen Stoffaustausch zwischen Dampfblasen und Flüssigkeitenentwickelt. Nach dieser Vorstellung wird die Annahme von laminaren Grenzschich-ten an der Grenzfläche aufgegeben und stattdessen eine Ausbreitung der Turbulenzbis zur Grenzfläche vorausgesetzt. Durch diese Turbulenzeinflüsse gelangen ausdem vollständig vermischten Kern einer Flüssigkeit fortwährend frischeFluidteil-chen an die Phasengrenze, welche demzufolge einer kontinuierlichen Erneuerungunterworfen ist (s. Abb. 3.2). Diese neuen Flüssigkeitselemente besitzen eine kon-stante Anfangskonzentration cA, die derjenigen des Flüssigkeitskerns entspricht.An der Phasengrenze tritt nun ein instationärer Stofftransport durch Diffusion indas Element hinein oder aus ihm heraus auf. Es kommt damit zu einer An- bzw.Abreicherung des StoffesA im Element. Nach der Kontaktzeit τ tritt das Flüssigkeits-element von der Phasengrenzfläche in den Flüssigkeitskern zurück und vermischtsich vollständig mit ihm. Der entscheidende Gedanke dieses Modells besteht in derAnnahme, dass die Eindringtiefe oder Penetrationstiefe δc der Komponente A sehrklein ist. Die Konzentration cA fällt also innerhalb dieser dünnen Schicht vom Ober-flächenwert cA0 auf den Wert im Flüssigkeitskern cA, der bei entsprechend hohenReaktionsgeschwindigkeiten gegen null gehen kann.

Wie Higbie zeigte, ist der mittlere Stoffübergangskoeffizient umgekehrt propor-tional der Wurzel aus der Kontaktzeit τ und gegeben durch:

4 Wilhelm Nusselt 1882–1957, deutscher Physiker, begründete u. a. die Ähnlichkeitstheorie derWärmeübertragung und entwickelte die Nußeltsche Wasserhauttheorie.

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3.1 Stoffübergangstheorien 87

Abb. 3.2 SchematischeDarstellung desStoffaustauschvorgangsgemäß Penetrationshypothese

(3.20)

Diese Beziehung wurde bereits in Abschn. 2.2.1 abgeleitet: Während der Kontaktzeitdes Fluidelements an der Phasengrenze belädt es sich zunehmend mit der Übergangs-komponente, wobei dieser Vorgang als instationärer Stofftransport in eine ebeneSchicht (s. Abb. 2.9) mathematisch behandelt wird und mit dem entsprechendenStoffübergangskoeffizienten beschrieben werden kann.

In Gl. 3.20 ist β der mittlere Stoffübergangskoeffizient von der Zeit t = 0 bis zurZeit τ. Wie die Erfahrung zeigt, erhält man brauchbare Werte des Stoffübergangsko-effizienten, wenn man die Kontaktzeit aus der mittleren Steig- oder Sinkgeschwindig-keit wP von Blasen oder Tropfen und ihrem Durchmesser dP berechnet: τ = dP/wP.Schwieriger ist es, die Kontaktzeit in gasdurchströmten Füllkörperschüttungen zubestimmen, in denen eine Flüssigkeit herabrieselt.

Die von (Danckwerts5 1951) entwickelte Oberflächenerneuerungstheorie stellteine Erweiterung der Penetrationstheorie dar. Während Higbie stets an allen Or-ten eines Apparates gleiche Kontaktzeiten zwischen den Phasen voraussetzte, nahmDanckwerts an, dass Fluidelemente, die miteinander in Kontakt geraten, verschie-dene Verweilzeiten haben, die durch ein Verweilzeitspektrum beschrieben werden.Gemäß dieserVorstellung läuft der Stoffaustausch zwischen zwei fluiden Phasen ver-schiedener miteinander in Kontakt gebrachter Stoffe in einzelnen Strömungszellenab. Die Kontaktzeit zwischen den einzelnen Fluidelementen gehorcht einer Vertei-lungsfunktion, und nach einer gewissen Zeit kann ein Fluidelement wieder von derKontaktfläche verdrängt und durch ein anderes ersetzt werden. Aus diesem Grund

5 Peter Victor Danckwerts (1916–1984), Professor für Chemical Engineering an der UniversitätCambridge. Forschte vor allem im Bereich Mischvorgänge und Gasabsorption.

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88 3 Stoffaustausch zwischen zwei fluiden Phasen

spricht man von Oberflächenerneuerungstheorie. Sie ist mit Erfolg auf dieAbsorptionvon Gasen in gerührten Flüssigkeiten angewandt worden. Meistens sind jedoch dieZeitanteile bis zur Oberflächenerneuerung ebenso wenig bekannt wie die Kontakt-zeiten der Penetrationstheorie, so dass beide Theorien zwar für das Verständnis vonStoffaustauschvorgängen nützlich, zu deren Berechnung oft jedoch nicht anwendbarsind.

3.1.4 Turbulenztheorie

Die Stoffübertragung in turbulenten Strömungsfeldern ist technisch sehr bedeutsam,so dass gegenwärtig großeAnstrengungen unternommen werden, die entsprechendenTransportvorgänge mittels der Turbulenztheorie zu beschreiben. Typische Eigen-schaften einer solchen Strömung wie Geschwindigkeit, Druck, Temperatur undKonzentration sind vom Ort und von der Zeit abhängig und unterliegen stocha-stischen Schwankungen (s. Abschn. 1.4). Bezeichnet man eine solche Eigenschaftallgemein mit der Größe gi(t), so gilt:

gi(t) = gi + g′i . (3.21)

Die instationäre Größe gi(t) addiert sich aus dem zeitlichen Mittelwert gi und demSchwankungswert g′

i. Der zeitliche Mittelwert folgt aus:

gi = 1

τ

τ∫

0

gi(t)dt. (3.22)

Es ist üblich, verschiedene Turbulenzarten zu unterscheiden, ausgelöst durchunterschiedliche Ursachen (s. Abb. 3.3) (Brauer 1979):

a. Reynoldssche Turbulenz: Werden Rohre oder Kanäle einphasig durchströmt oderwerden Körper wie Platten, Zylinder, Partikel oder dergl. einphasig überströmt,tritt von gewissen Reynoldszahlen an Reynoldssche Turbulenz auf. Turbulenz in-nerhalb einer Phase in turbulent strömenden Mehrphasensystemen kann ebenfallsReynoldsscher Art sein.

b. Deformationsturbulenz wird durch stochastische Formänderungen der fluidenPhasengrenze in zwei- oder mehrphasigen Systemen ab bestimmten Re-Zahlenhervorgerufen. Beispiele hierfür sind fluide Partikel wie Blasen und Tropfen mitFormänderungen sowie wellige Rieselfilme.

c. Gitterturbulenz tritt auf, wenn ein Fluid feste Widerstände wie Gitter, Einbau-ten oder Schüttungen durchströmt und dabei Ablösevorgänge verursacht werden,welche Turbulenz induzieren.

d. Schwarmturbulenz wird durch einen Schwarm freibeweglicher fluider oder festerPartikeln in dem umgebenden Fluid erzeugt.

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3.1 Stoffübergangstheorien 89

Abb. 3.3 Arten der Turbulenz

Abb. 3.4 Toluol- (links) und Acetylaceton- (rechts) Tropfen in Wasser. Düsendurchmesser jeweils2 mm. Links stabile Oberfläche, rechts mit Grenzflächeninstabilität infolge Grenzflächenturbulenz(Marr 1978)

e. Grenzflächenturbulenz tritt in fluiden Phasengrenzflächen auf, wenn es dar-in lokale Unterschiede der Grenzflächenspannung aufgrund von Temperatur-oder Konzentrationsunterschieden gibt. Diese Unterschiede lösen turbulenteStoffströme an der Grenzfläche aus und führen zu dieser Turbulenzart mit sto-chastischen Bewegungen der Phasengrenze als Folge (s. Abb. 3.4) die auch alsMarangonikonvektion bezeichnet wird.

Zur quantitativen Beschreibung des turbulenten Transports werden die jeweiligenauf zeitlicher Mittelung basierenden turbulenten Austauschkoeffizienten verwendet(Abschn. 1.4). Diese hängen von Art und Intensität der Turbulenz ab. Die Bestim-mung der turbulenten Austauschkoeffizienten ist i. Allg. schwierig. Zur Berechnung

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90 3 Stoffaustausch zwischen zwei fluiden Phasen

Abb. 3.5 Molanteile beimStoffübergang von einerGas- in eine Flüssigphase

von Stoffübergangskoeffizienten in turbulent strömenden Flüssigkeiten gibt es eineReihe unterschiedlicher Beziehungen, die in den folgenden Kapiteln betrachtet wird.

3.2 Stoffdurchgang

Während Wärme häufig von einem Fluid durch eine feste Wand an ein anderes Fluidübertragen wird, werden bei der Stoffübertragung meistens eine oder mehrere Kom-ponenten aus einer Phase in eine andere überführt, die sich direkt berühren und nichtdurch eine feste Wand getrennt sind. In strömenden Fluiden wird die Phasengrenzedurch die zwischen den Fluiden ausgeübten Kräften unregelmäßig verformt.

Als Beispiel sei die Übertragung einer Komponente A betrachtet, die aus einemgasförmigen Zweistoffgemisch der Komponenten A und B in eine Flüssigkeit Ctransportiert wird, in der sich nur StoffA und nicht B löst. DenVerlauf des MolanteilsyA in der gasförmigen und xA in der flüssigen Phase gibt Abb. 3.5 wieder.

Mit yA und xA sind die integralen Mittelwerte des Molanteils in jeder Phasebezeichnet. Die KomponenteA hat auf ihrem Weg von der gasförmigen in die flüssigePhase drei Stofftransportwiderstände zu überwinden:

Den der gasförmigen Phase, einen Widerstand beim Übergang von der gasförmi-gen in die flüssige Phase und einen Widerstand bei der Wanderung in die flüssigePhase hinein. Der Stoffübergang der Komponente A von der gasförmigen in die flüs-sige Phase an der Phasengrenze läuft jedoch sehr schnell ab verglichen mit dem viellangsameren Transport durch die gasförmige und die flüssige Phase. Die Phasengren-ze wird also als unendlich dünn und ohne Speicherkapazität betrachtet. Tatsächlichbewegt sich die Dicke von Phasengrenzen in der Größenordnung von etwa 10 nm.Der Stoffübergangswiderstand der Phasengrenze wird vernachlässigt und gleichzei-tig thermodynamisches Gleichgewicht hinsichtlich des Stoffaustausches unterstellt.Da der Stoffübergang durch die Diffusion an der Grenze zwischen den beiden Phasenbestimmt wird, spricht man von der Zweifilmtheorie des Stoffaustausches.

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3.2 Stoffdurchgang 91

Abb. 3.6 Verlauf derMolanteile der KomponenteA in der Gas- und derFlüssigphase im Bereich derPhasengrenzfläche

Im Fall des Gleichgewichts an der Phasengrenze sind bei vorgegebenen Wertenvon Druck oder Temperatur die Molanteile yA0 und xA0 an der Phasengrenze durcheine Beziehung

yA0 = f (xA0) (3.23)

miteinander verknüpft, wie in Abb. 3.6 dargestellt. Die eingezeichnete Geradekennzeichnet die in beiden Phasen auftretenden Konzentrationsbereiche.

Beachtet man den Zusammenhang zwischen Molanteil und molarer Volumenkon-zentration, so gilt für die Stoffstromdichte in der Gasphase

nA = βgcg(yA − yA0) = βg(cAg − cA0g) (3.24)

und in der Flüssigphase:

nA = βf cf (xA0 − xA) = βf (cA0f − cAf ). (3.25)

Daraus folgt

yA − yA0 = nA

βgcg(3.26)

und:

xA0 − xA = nA

βf cf. (3.27)

Die Molanteile yA0 und xA0 an der Phasengrenze sind hierin durch eine thermo-dynamische Beziehung (3.23) voneinander abhängig. Da Gase nur schwach inFlüssigkeiten löslich sind, ist der Molanteil xA0 meistens sehr klein. Gl. (3.23) kann

Page 14: Transportvorgänge in der Verfahrenstechnik || Stoffaustausch zwischen zwei fluiden Phasen

92 3 Stoffaustausch zwischen zwei fluiden Phasen

Abb. 3.7 Abhängigkeit des Henry-Koeffizienten von der Temperatur für verschiedene Gase inWasser

daher in vielen Fällen durch den als Henrysches6 Gesetz bekannten linearen Ansatzder

Form

yA0 = HxA0/p (3.28)

angenähert werden, in dem der Henry-Koeffizient H(T) für Zweistoffgemische nurvon der Temperatur abhängt, wie dies Abb. 3.7 für die Löslichkeit einiger Gase inWasser verdeutlicht.

Dem Molanteil xA in der Flüssigkeit kann mit Hilfe der jeweiligen Gleich-gewichtsbeziehung ein fiktiver Molanteil yAeq in der Gasphase zugeordnet wer-den, der mit der Flüssigkeit im Gleichgewicht steht (s. Abb. 3.6). Wenn dieGleichgewichtskurve nicht allzu stark gekrümmt ist, kann das Steigungsmaß, derGleichgewichtskoeffizient m, für weitere Rechnungen verwendet werden:

m ≡ dy∗A

dxA≈ yA0 − yAeq

xA0 − xA≈ yA − yA0

xAeq − xA0. (3.29)

Mit (3.29) geht (3.27) über in:

yA0 − yAeq = nAm

βf cf. (3.30)

6 William Henry 1775–1836, englischer Chemiker, erforschte insbesondere das Verhalten vonGasen.

Page 15: Transportvorgänge in der Verfahrenstechnik || Stoffaustausch zwischen zwei fluiden Phasen

3.2 Stoffdurchgang 93

Die Addition von (3.26) und (3.30) ergibt:

yA − yAeq = nA

[

1

βgcg+ m

βf cf

]

.

Dies lässt sich auffassen als

nA = kg(yA − yAeq) (3.31)

mit dem auf den Unterschied der Molanteile in der Gasphase bezogenen Stoffdurch-gangskoeffizienten:

1

kg= 1

βgcg+ m

βf cf. (3.32)

Eliminiert man in (3.26) die Differenz yA − yA0 auf analoge Weise durch (3.29), soerhält man mit (3.27) die der Gl. (3.31) äquivalente Beziehung

nA = kf (xAeq − xA) (3.33)

mit dem auf den Unterschied der Molanteile in der Flüssigphase bezogenenStoffdurchgangskoeffizienten:

1

kf= 1

mβgcg+ 1

βf cf. (3.34)

Der Widerstand für den Stoffdurchgang nach (3.32) und (3.34) setzt sich aus denStoffübergangswiderständen in der Gas- und in der Flüssigphase zusammen. Ausbeiden Gleichungen erkennt man, wie sich der Stoffübergangswiderstand auf diePhasen verteilt. Damit lässt sich nachprüfen, ob einer der Stoffübergangswiderstän-de im Vergleich zum anderen vernachlässigt werden kann, so dass man nur denStoffübergang in einer Phase zu untersuchen hat.

Stoffdurchgangskoeffizienten lassen sich jedoch nur dann in so einfacher Weise,wie hier gezeigt, aus den Stoffübergangskoeffizienten bilden, wenn das Phasen-gleichgewicht durch einen linearen Ansatz nach Art von Gl. (3.29) beschriebenwerden kann. Dieses trifft hauptsächlich auf Vorgänge der Absorption von Gasenin Flüssigkeiten zu, weil die Löslichkeit von Gasen in Flüssigkeiten gering ist unddaher durch das Henrysche Gesetz (3.28) beschrieben werden kann; in diesem Fallist m = H/p.

Das Gleichgewicht zwischen zwei flüssigen Phasen lässt sich durch ein ähnli-ches Gesetz, das Nernstsche7 Gesetz beschreiben, sofern wiederum eine verdünnteLösung vorliegt:

yA = KAxA. (3.35)

7 Walther Nernst 1864–1941, deutscher Physiker und Chemiker, erhielt für seine Arbeiten in derThermochemie den Nobelpreis für Chemie 1920.

Page 16: Transportvorgänge in der Verfahrenstechnik || Stoffaustausch zwischen zwei fluiden Phasen

94 3 Stoffaustausch zwischen zwei fluiden Phasen

Hierin ist die Größe yA der Molanteil in der Raffinat- und xA der Molanteil in derExtraktphase. Der Gleichgewichts- oder Verteilungskoeffizient KA hängt von denWechselwirkungen der verschiedenen Molekülarten ab. Schließlich lassen sich auchsogenannte ideale Flüssigkeitsgemische durch einen linearen Ansatz beschreiben(Raoultsches Gesetz). Sie kommen in der Technik jedoch nur selten vor. Aufgrundder oftmals sehr komplexen Gleichgewichtszusammenhänge spielen Berechnungenmit Stoffdurchgangskoeffizienten in der Stoffübertragung eine geringere Rolle alsdas Rechnen mit Wärmedurchgangskoeffizienten in der Wärmeübertragung.

3.3 Stoffaustausch mit homogener chemischer Reaktion

Systeme mit zwei fluiden Phasen treten nicht nur in rein physikalischen Stofftrans-portprozessen (z. B. Rektifikation, Extraktion) auf, sondern sind häufig auch mitchemischen bzw. biologischen Umwandlungen verknüpft. Für das Verständnis der inentsprechenden Apparaten ablaufenden Stofftransportprozesse ist die Kenntnis überdas Zusammenwirken von diffusiven und konvektiven Transportmechanismen mitstofflichen Umsetzungen, die durch eine chemische Reaktion hervorgerufen werden,notwendig. Beispielhaft werde der Stofftransport in einem System betrachtet, dasaus zwei aneinandergrenzenden Fluidschichten besteht. Der Transportprozess mithomogener chemischer Reaktion wird sowohl unter Anwendung der Penetrations-als auch der Filmtheorie beschrieben. Hierbei besteht ein enger Zusammenhang mitden bereits in Abschn. 2.1.2 abgeleiteten Gesetzmäßigkeiten.

3.3.1 Penetrationstheorie

In den weiteren Ausführungen wird ein ruhendes System betrachtet, in dem eininstationärer Stofftransport lediglich in y-Richtung aus der Gas- in die Flüssigphaseerfolgt. Die allgemeine Bilanzgleichung (1.84) vereinfacht sich daher zu:

∂cA

∂t= DAB

∂2cA

∂y2+ rA.

Die Penetrationstheorie geht von kleinen Flüssigkeitselementen aus, die aus demKern der ideal durchmischten Flüssigkeit an die Phasengrenzfläche transportiertwerden, dort die Kontaktzeit τ verbleiben und anschließend in den Flüssigkeits-kern zurückkehren und sich dort wieder vollständig vermischen (s. Abb. 3.2). AlleFlüssigkeitselemente aus dem Flüssigkeitskern weisen die Anfangskonzentration cA

auf. An der Phasengrenzfläche findet der Stofftransport durch Diffusion statt.Definitionsgemäß sei A eine reagierende Komponente, daher ist die Reaktions-

geschwindigkeit negativ. Im Fall einer Reaktion 1. Ordnung gilt:

rA = −k1cA. (3.36)

Page 17: Transportvorgänge in der Verfahrenstechnik || Stoffaustausch zwischen zwei fluiden Phasen

3.3 Stoffaustausch mit homogener chemischer Reaktion 95

Damit lautet die beschreibende Differenzialgleichung:

∂cA

∂t= DAB

∂2cA

∂y2− k1cA. (3.37)

Aus dem eigentlich stationären Vorgang entsteht durch die Annahme der Penetra-tionstheorie ein instationäres Problem. Zur Lösung werden folgende Anfangs- undRandbedingungen benötigt:

AB t = 0 y > 0 : cA = cA = 0 (y = 0 : Phasengrenzfläche)1. RB t > 0 y = 0 : cA = cA0

2. RB t > 0 y → ∞ : cA = cA = 0

Die zweite Randbedingung folgt aus der für die Penetrationstheorie charakteristi-schen Annahme, dass die Eindringtiefe für Stoff A sehr klein im Vergleich zur Aus-dehnung der gesamten Flüssigkeit ist. Aus diesem Grund bleibt der Flüssigkeitskernvon den Transportvorgängen an der Oberfläche (im Bereich der Penetrationstiefe)vollständig unbetroffen. Damit ergibt sich die Lösung für den Konzentrationsverlauf(zum mathematischen Lösungsweg s. z. B. Westerterp et al. 1984):

cA

cA0= 1

2exp

(

−y√

k1

DAB

)

[

1 − erf

(

y

2√DABt

−√k1t

)]

+1

2exp

(

y

k1

DAB

)

[

1 − erf

(

y

2√DABt

+√k1t

)]

.

(3.38)

(Den Verlauf der Fehlerfunktion erf x = 2√π

x∫

0

e−t2dt zeigt Abb. 2.8).

Qualitativ ist dieser Konzentrationsverlauf in Abb. 3.8 dargestellt. Mit zunehmen-der Zeit dringt die Komponente A tiefer in die Flüssigkeit ein, ohne dass hierdurchgemäß der Voraussetzung der Flüssigkeitskern betroffen wird.

Aus der Ableitung von cA nach y an der Phasengrenzfläche y = 0 lässt sich diemomentane Stoffstromdichte über die Phasengrenzfläche zur Zeit t berechnen:

nAt = −DAB

(

∂cA

∂y

)

t ,y=0

= √k1DAB

[

erf (√

k1t) + 1√πk1t

e−k1t

]

cA0. (3.39)

Aus der Mittelung dieses Flusses über die Kontaktzeit τ

nAτ = 1

τ

τ∫

0

nAtdt

folgt der mittlere Molenfluss während der gesamten Kontaktzeit τ, gültig für cA = 0:

nAτ = √k1DAB

[(

1 + 1

2k1τ

)

erf(√

k1τ)

+ 1√πk1τ

e−k1τ

]

cA0. (3.40)

Page 18: Transportvorgänge in der Verfahrenstechnik || Stoffaustausch zwischen zwei fluiden Phasen

96 3 Stoffaustausch zwischen zwei fluiden Phasen

Abb. 3.8 Änderung derKonzentrationsverläufe undder Konzentrationsgradientenan der Phasengrenzfläche(y = 0) mit der Zeit(Penetrationshypothese) ineinem Fluidelement, das zumZeitpunkt t = 0 an diePhasengrenze transportiertwurde

Die Abhängigkeit der Molenflüsse nAt bzw. nAτ gemäß der Gln. (3.39) und (3.40)von dem Produkt k1t bzw. k1τ zeigt Abb. 3.9. Beide Molenflüsse nehmen mit derZeit t bzw. der Kontaktzeit τ ab. Einfache asymptotische Lösungen der Gl. (3.39)können für k1t < 0,5 bzw. k1t > 2 angegeben werden. Für k1t > 2 ergibt sich derstationäre Minimalwert des Stoffflusses (erf(

√k1t) ≈ 1, exp (−k1t) 1)

nAt = √k1DAB cA0. (3.41)

Für k1 τ > 2 vereinfacht sich Gl. (3.40) zu (erf(√

k1τ) ≈ 1, exp (−k1τ) 1):

nAτ = √k1DAB

(

1 + 1

2k1τ

)

cA0. (3.42)

Für k1τ> 5 wird die Stoffstromdichte annähernd unabhängig von τ(< 10% Abwei-chung):

nAτ = √k1DABcA0. (3.43)

Im Fall des rein physikalischen Transports, also ohne chemische Reaktion, tritt imstationären Zustand kein Stoffstrom mehr auf, da dann die Sättigung der Flüssigkeitmit A erreicht ist. Dagegen bleibt bei einer homogenen Reaktion 1. Ordnung gemäßGl. (3.36) stets eine Konzentrationsdifferenz zwischen Flüssigkeitskern und Grenz-schicht bestehen, und es tritt eine von null verschiedene Stoffstromdichte auf. Beik1τ > 5 kann das Konzentrationsprofil als stationär angesehen werden. Das dimensi-onslose Produkt k1τ lässt sich auffassen als Verhältnis der Reaktionsgeschwindigkeitzur Rate der Flüssigkeitselementerneuerung (1/τ) und damit der rein physikalischenTransportgeschwindigkeit. k1τ ist dementsprechend umso größer, je höher die Re-aktionsrate im Vergleich zum physikalischen Stofftransport ist. Offensichtlich ist fürk1τ > 5 die Reaktionsgeschwindigkeit so hoch, dass nahezu der gesamte Umsatz anA im Bereich der Grenzfläche stattfindet. Daher ist der Stofffluss dann unabhängig

Page 19: Transportvorgänge in der Verfahrenstechnik || Stoffaustausch zwischen zwei fluiden Phasen

3.3 Stoffaustausch mit homogener chemischer Reaktion 97

Abb. 3.9 Stofffluss als Funktion der dimensionslosen Zeit t bzw. mittlerer Stofffluss als Funktionder dimensionslosen Kontaktzeit τ

von der dimensionslosen Zeit k1τ, weil ein stationäres Konzentrationsprofil bereitszuvor (k1t > 2) erreicht wird.

Gemäß Gl. (3.20) gilt bei Anwendung der Penetrationshypothese für den mitt-leren Stoffübergangskoeffizienten (zur besseren Unterscheidung wird dieser reinphysikalisch bedingte Stoffübergangskoeffizient hier als βoR bezeichnet):

βoR = 2

DAB

πτ.

Daraus folgt für das Produkt k1τ:

k1τ = k14DAB

πβ2oR

= 4

πHa2. (3.44)

Die Größe√

k1DAB/β wird, wie in Abschn. 2.1.2 bereits erwähnt, als HattazahlHa für Reaktionen 1. Ordnung bezeichnet. Die Hattazahl stellt das Verhältnis vonReaktions- zur Stofftransportgeschwindigkeit dar und ähnelt sehr stark der Damköh-lerzahl, die das Verhältnis von Reaktions- zur Diffusionsgeschwindigkeit beschreibt.Durch Einsetzen von Gl. (3.44) in Gl. (3.42) folgt

nAτ = √k1DAB

(

1 + π

8Ha2

)

cA0, (3.45)

gültig für k1τ > 2 bzw. Ha >√

π/2. Für k1τ > 5 oder Ha >√

5π/4 ≈ 2 ergibt sichentsprechend:

nAτ = √k1DAB cA0. (3.46)

Aus Gl. (3.38) folgt, dass für k1t > 2 das Konzentrationsprofil als stationär angesehenwerden kann (wie auch Abb. 3.9 verdeutlicht):

cA

cA0= exp

(

−y√

k1

DAB

)

. (3.47)

Page 20: Transportvorgänge in der Verfahrenstechnik || Stoffaustausch zwischen zwei fluiden Phasen

98 3 Stoffaustausch zwischen zwei fluiden Phasen

Demzufolge verringert sich die Eindringtiefe für die KomponenteA mit zunehmenderReaktionsgeschwindigkeit bzw. abnehmendem Diffusionskoeffizienten.

Eine weitere Grenzbetrachtung lässt sich für den Stofffluss durchführen, wennk1t < 0,5 ist. Für k1t < 0,5 lässt sich Gl. (3.39) vereinfachen zu

nAt ≈√

DAB

πt(1 + k1t) cA0 (3.48)

bzw. Gl. (3.40)

nAτ ≈ 2

DAB

πτ

(

1 + k1τ

3

)

cA0 (3.49)

für k1τ < 0,5. Falls k1τ < 0,1 entsprechend Ha <√

0,1π/4 ≈ 0,3 ist, lässt sichdiese Beziehung noch weiter vereinfachen:

nAτ ≈ 2

DAB

πτcA0 = βoRcA0. (3.50)

In diesem Grenzfall ist die Reaktionsgeschwindigkeit im Vergleich zum Stofftrans-port derart niedrig, dass die Reaktion keinen Einfluss auf den Transportvorgangausübt. Gl. (3.50) entspricht demzufolge der angegebenen Gl. (3.20) von Higbie.In allen anderen Fällen findet eine Beschleunigung des Stofftransports durch dieReaktion statt. Hervorgerufen wird dies durch die Vergrößerung des Konzentrati-onsgradienten ∂cA/∂y an der Phasengrenzfläche, die durch den zusätzlichen Abbauvon A infolge der Reaktion entsteht. Dieser Effekt wird durch den bereits inAbschn. 2.1.2 eingeführten Beschleunigungsfaktor

EA ≡ βmit Reaktion

βoR(3.51)

beschrieben. Für beide Stoffflüsse wird hierbei die gleiche treibende Konzentrati-onsdifferenz zwischen Phasengrenzfläche und Flüssigkeitskern herangezogen (hiercA = 0). Aus den obigen Ausführungen folgt, dass der Beschleunigungsfaktorzwischen EA = 1 für Ha < 0,3 und

EA =√k1DAB

βoRcA0cA0 = Ha (3.52)

für Ha > 2 bzw. k1τ > 5 variiert, wenn eine Reaktion 1. Ordnung und cA = 0vorliegt.

3.3.2 Filmtheorie

Der Filmtheorie liegt die Vorstellung zugrunde, dass ein linearer Konzentrationsab-fall von der Phasengrenzfläche zum Flüssigkeitskern innerhalb einer Konzentrati-onsgrenzschicht δc stattfindet (s. Abschn. 3.1.1). Die chemische Reaktion muss in

Page 21: Transportvorgänge in der Verfahrenstechnik || Stoffaustausch zwischen zwei fluiden Phasen

3.3 Stoffaustausch mit homogener chemischer Reaktion 99

der Massenbilanz als additiver Term berücksichtigt werden, daher ergibt sich einegegenüber Gl. (3.1) erweiterte Bilanzgleichung:

0 = DAB∂2cA

∂y2+ rA. (3.53)

Die zugehörigen Randbedingungen lauten (vgl. Abb. 3.1)

1. RB y = 0 : cA = cA0

2. RB y = δc : cA = cA∞

Bei Annahme einer Reaktion 1. Ordnung rA = −k1cA ergibt sich für den Bereich derGrenzschicht 0 ≤ y ≤ δc folgende Lösung:

cA

cA0= 1

sinhΦ

[

sinh

(

Φ− y

k1

DAB

)

+ cA∞cA0

sinh

(

y

k1

DAB

)]

mit Φ = δc

k1

DAB. (3.54)

(Der Verlauf hyperbolischer Funktionen wird in Abb. 2.3 dargestellt.) Die physikali-sche Bedeutung des Parameters�wird deutlich, wenn dieser etwas anders dargestelltwird:

Φ2 = k1cA0δc

DAB

δc(cA0 − 0)

. (3.55)

�2 entspricht dem maximalen Reaktionsumsatz im Film bezogen auf die Phasen-grenzfläche, dividiert durch den maximalen diffusiven Stofftransport durch den Filmbei Abwesenheit einer Reaktion. Für die Filmdicke in Fluiden gilt:

δc = DAB

βoR.

Damit ergibt sich �2 als:

Φ2 = k1DAB

β2oR

= Ha2. (3.56)

Die Ableitung von Gl. (3.54) nach y führt zum Stofffluss nA durch die Grenzfläche:

nA0 = −DAB

(

dcA

dy

)

y=0

= DAB

δc

(

cA0 − cA∞coshΦ

) �

tanhΦ. (3.57)

Hier wird deutlich, dass der Stofffluss in Wirklichkeit nicht proportional zur Kon-zentrationsdifferenz (cA0 − cA∞) ist. Für den Stofffluss existieren wie bei derPenetrationshypothese zwei asymptotische Lösungen für �> 2 und �< 0,3. Für

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100 3 Stoffaustausch zwischen zwei fluiden Phasen

� > 2 ist cA∞/ cosh� cA0 sowie tanh � = 1. Demzufolge ist die chemischeReaktion derart schnell, dass die mittlere Konzentration an A im Kern der Flüssigkeitgleich null ist. Damit vereinfacht sich Gl. (3.57) für � > 2 zu:

nA0 = DAB

δccA0Φ = √k1DAB cA0. (3.58)

Der Molenfluss bei rein physikalischem Stofftransport für den Fall, dass cA∞ gleichnull ist, ergibt sich gemäß:

nAoR = βoR(cA0 − cA∞) = βoRcA0 = DAB

δccA0. (3.59)

Der Beschleunigungsfaktor berechnet sich für � > 2 demzufolge nach:

EA = βmit Reaktion

βoR= nA mit Reaktion

nAoR=DAB

δcΦcA0

DAB

δccA0

= Φ. (3.60)

Dieses Ergebnis stimmt exakt mit dem der Penetrationstheorie überein. Die Reakti-onsgeschwindigkeit ist in diesem Fall derart hoch, dass die übergehende Komponentebereits innerhalb der Grenzschicht vollständig abgebaut wird. Im Fall geringerReaktionsgeschwindigkeiten � < 0,3 ergibt sich

sinhΦ ≈ tanhΦ ≈ Φ, coshΦ ≈ 1

nA0 = DAB

δc(cA0 − cA∞) = βoR(cA0 − cA∞).

(3.61)

und damit dieselbe asymptotische Lösung wie im Fall der Penetrationstheorie fürcA∞ = 0 (s. Gl. (3.50)).

3.3.3 Generelle Auswirkungen einer homogenen Reaktion ersterOrdnung auf den Stofftransport

Die vorgestellten Stofftransportmodelle unterscheiden sich nachhaltig in ihrer Kon-zeption. Auch die abgeleiteten mathematischen Beziehungen scheinen auf den erstenBlick sehr unterschiedlich. Betrachtet man jedoch die rein numerischen Ergebnisse,so sind die Unterschiede weitaus weniger stark ausgeprägt. Tatsächlich beträgt diemaximale Abweichung der Stoffflüsse aus beiden Modellen (bei Ha = 1) wenigerals 10 % für cA∞ = 0 bzw. weniger als 20 % für cA∞ �= 0.

Ein wichtiger Gesichtspunkt ist die Tatsache, dass für

δc

k1

DAB> 2

Page 23: Transportvorgänge in der Verfahrenstechnik || Stoffaustausch zwischen zwei fluiden Phasen

3.5 Aufgaben 101

der Stofftransport vom Stoffübergangskoeffizienten unabhängig wird. Für derartschnelle Reaktionen muss zwangsläufig auch die Konzentration der übergehendenPhase im Flüssigkeitskern gleich null sein. Damit verhält sich dieser Flüssig-keitsanteil bezüglich der Reaktion inert. Demzufolge ist der Strömungszustand imFlüssigkeitskern für den Stofftransport bedeutungslos.

3.4 Verständnisfragen

1. Von welchen Annahmen gehen die Film- bzw. die Grenzschichttheorie aus?2. Leiten Sie den Zusammenhang zwischen dem Stoffübergangskoeffizienten

β und den Diffusionskoeffizienten DAB bei Gültigkeit der Filmtheorie ab.3. Wann können die Ergebnisse der Grenzschichttheorie für das Strömungsfeld auf

die Verhältnisse beim Stofftransport übertragen werden?4. Von welchen Überlegungen gehen die Penetrations- und die Oberflächenerneue-

rungstheorie aus?5. Welche Turbulenzarten werden unterschieden?6. Welche Widerstände treten beim Übergang eines Stoffes aus einer gasförmigen

in eine flüssige Phase auf und wie werden sie mathematisch beschrieben?7. Welche Zusammenhänge gelten für die auf die Gas- bzw. Flüssigphase bezoge-

nen Stoffdurchgangskoeffizienten bei Gültigkeit des Henryschen Gesetzes?8. Skizzieren Sie schematisch die Änderung des Konzentrationsverlaufs sowie des

Gradienten an der Phasengrenzfläche beim Stofftransport gemäß Penetrations-theorie von der Gas- in die Flüssigphase.

9. Was lässt sich über das Verhältnis von Reaktions- zu Oberflächenerneuerungs-geschwindigkeit bei Ha < 0,3 bzw. Ha > 2 feststellen, und was bedeutet diesfür den Stofftransport?

10. Woraus resultiert die Beschleunigung eines Stofftransports? Wie hängt derBeschleunigungsfaktor von der Hattazahl ab?

11. Worauf beruht der Stoffübergang bei der Filmtheorie?12. Wann ist beim Stoffübergang mit homogener Flüssigphasenreaktion der Strö-

mungszustand im Kern der Flüssigkeit bedeutungslos?

3.5 Aufgaben

1. Auf eine Wasserschicht wird eine Schicht aus Toluol zum Zeitpunkt t = 0aufgebracht8. Beide nicht mischbaren Flüssigkeiten enthalten 10 kg/m3 ei-ner jodhaltigen Komponente I. Der Verteilungskoeffizient dieser KomponenteI zwischen Toluol und Wasser beträgt K = cit/ciw = 10. Das Verhältnis derDiffusionskoeffizienten von I in Wasser und Toluol beträgt 4.

8 nach (Beek et al. 1999).

Page 24: Transportvorgänge in der Verfahrenstechnik || Stoffaustausch zwischen zwei fluiden Phasen

102 3 Stoffaustausch zwischen zwei fluiden Phasen

a. In welche Richtung wird die Komponente I transportiert?b. Berechnen Sie für kurze Zeiten die Konzentrationen an der Phasengrenzfläche

in beiden Phasen unter der Annahme, dass der Transport rein diffusiv erfolgt.c. Skizzieren Sie die Konzentrationsverläufe in beiden Phasen.

2. Ein kurzer laminarer Wasserstrahl (T = 20 ◦C) fällt durch reines SO2 (T = 20 ◦C,p = 1 bar) (s. Fußnote 8).

a. Mit welcher Stofftransporttheorie lässt sich die Absorptionsrate des Gasesbeschreiben?

b. Berechnen Sie die Oberflächentemperatur des Wasserstrahls unter der Annah-me einer Gleichgewichtskonzentration des SO2 in Wasser von 1,54 kmol/m3

unter den herrschenden Bedingungen. Die Lösungsenthalpie beträgt 28 kJ/molund die Lewiszahl (Le = a/DAB) ist gleich 90. Der Wärmeübergang in dieGasphase und in den Strahlkern kann vernachlässigt werden.

c. Um wie viel nimmt die Absorptionsrate zu, wenn die Strahlgeschwindigkeitverdoppelt wird?

d. Welchen Einfluss besitzt der Strahldurchmesser bei konstantemVolumenstromauf die Absorptionsrate?

3. Für reibungsfreie Fluide ergibt sich für den Stoffübergang bei laminarer Rohr-strömung und geringen Einlaufkennzahlen z∗ der Zusammenhang

Sh = 2√π

Ped

z

wie in Abb. 5.13 dargestellt.

a. Leiten Sie diese Beziehung unter Anwendung der Penetrationstheorie ab.

Hinweis

Aufgrund der geringen Eindringtiefe kann die Aufgabe als ebenes Problembehandelt werden.

b. Überprüfen Sie die Gültigkeit des vereinfachenden Hinweises. Hierzu istdie Eindringtiefe zu bestimmen, bis zu der die diffundierende Komponen-te eingedrungen ist, wenn die Sherwoodzahl gemäß Abb. 5.13 signifikant vonderjenigen der Penetrationstheorie abweicht.

4. Der Flüssigkeitsinhalt εf in einer Füllkörperkolonne lässt sich bei niedrigen Gas-belastungen in Anlehnung an die Gleichung des laminaren Rieselfilms berechnengemäß:

εf = a

(

3vf ηf

ρf ga

)1/3

(in m3f/m

3Kolonne)

Page 25: Transportvorgänge in der Verfahrenstechnik || Stoffaustausch zwischen zwei fluiden Phasen

3.5 Aufgaben 103

Hierbei ist vf die Flüssigkeitsleerrohrgeschwindigkeit Vf/AKol. Die Filmdickeberechnet sich analog zum laminaren Rieselfilm nach:

δ = 3

3Vf

B· ηf

ρf gB: Filmbreite

Die mittlere Verweilzeit beträgt:

τf = εfH

vfH: Höhe des Füllkörpers

Bestimmen Sie den Stoffübergangskoeffizienten in einer Füllkörperkolonne, diemit 25 mm Raschigringen (a = 200 m2/m3) bei einer Flüssigkeitsleerrohrge-schwindigkeit vf = 10−3 m/s mit Wasser betrieben wird (DAB = 2,5×10−9 m2/s).

5. Ein Reaktant A liegt gasförmig mit der Konzentration cAg = 0,01 kmol/m3 in ei-ner Mischung mit Stickstoff vor9. Das Gas wird in einer Flüssigkeit dispergiert, inderA absorbiert und in einer Reaktion 1. Ordnung umgesetzt wird. Der absorbier-te Anteil ist so gering, dass die Konzentration von A in der Gasphase als konstantbetrachtet werden kann. Für das thermodynamische Gleichgewicht gilt m = 1.Weiterhin gilt βg = 10−2 m/s, βf = 10−4 m/s und DAB = 10−9 m2/s. Die Ge-schwindigkeitskonstante k1 variiert je nach Katalysatorkonzentration zwischen4 × 10−3 und 40 × 106 s−1.

a. Es soll ein analytischer Ausdruck für die Stoffstromdichte nA von A durchdie Phasengrenzfläche hergeleitet werden, die allein die bekannten Parametersowie k1 enthält.

b. Die Abhängigkeit von nA sowie dem Beschleunigungsfaktor EA von Ha =√k1DAB/βf ist grafisch darzustellen.

6. Am Beispiel eines Rieselfilms soll einVergleich der Filmtheorie mit der Penetrati-onstheorie durchgeführt werden. Beide Ergebnisse sollen anschließend mit einertheoretisch abgesicherten numerisch gewonnenen Lösung verglichen werden.

Annahmen:

• Der Stofftransport erfolgt von der Gas- in die Flüssigphase.• Widerstand gegen den Stofftransport tritt nur in der Flüssigphase auf.• An der Phasengrenzfläche gilt das Henrysche Gesetz

Daten:

L = 0,5 m δf = 0,5 mmηf = 10 mPas ρf = 1000 kg/m3

DAB = 1 × 10−9 m2/s δc(x = L) = δf/2

9 nach (Westerterp et al. 1984).

Page 26: Transportvorgänge in der Verfahrenstechnik || Stoffaustausch zwischen zwei fluiden Phasen

104 3 Stoffaustausch zwischen zwei fluiden Phasen

a. Filmtheorie

– Skizzieren Sie den Konzentrationsverlauf unter Annahme der Filmtheorie.– Erläutern Sie den Ansatz für die Berechnung des Stoffübergangskoeffizi-

enten.– Bestimmen Sie die für die Filmtheorie entscheidende Grenzschichtdicke.– Berechnen Sie den Stoffübergangskoeffizienten.

b. Penetrationstheorie

– Bestimmen Sie die Kontaktzeit eines Fluidelementes.– Berechnen Sie den Stoffübergangskoeffizienten.

c. Berechnen Sie den Stoffübergangskoeffizienten mit Hilfe der für den Rie-selfilm numerisch bestimmten Gleichung für die Sherwoodzahl (s. Abschn.11.3.1).

Shδ = 3,41 + 0,276 · x∗−1,2

1 + 0,2 · x∗−0,7 x∗ = 1

Peδ· xδf

(11.30)

Peδ = Re · Sc = w · δfDAB

w = wmax

1,5wmax = g δ2

f

d. Vergleichen Sie die drei Ergebnisse und erklären Sie auftretende Abweichun-gen.

Literatur

Allgemein

Baehr HD, Stephan K (2010) Wärme- und Stoffübertragung, 7. Aufl. Springer, BerlinBeek WJ, Muttzall KMK, van Heuven JW (1999) Transport phenomena, 2. Aufl. Wiley, ChichesterBird RB, Stewart WE, Ligthfoot EN (2002) Transport phenomena, 2. Aufl. Wiley, New YorkGrassmann P, Widmer F (1974) Einführung in die thermische Verfahrenstechnik. Verlag Walter de

Gruyter, BerlinMersmann A (1986) Stoffübertragung. Springer, BerlinTrambouze P, van Landeghem H, Wanquier (1988) Chemical reactors. Editions Technip, ParisWesterterp KA, van Swaaij WPM, Beenackers AACM (1984) Chemical reactor design and

operation, 2. Aufl. Wiley, Chichester

Speziell

Brauer H, Mewes D (1971) Stoffaustausch einschließlich chemischer Reaktion. Verlag Sauerländer,Aarau

Brauer H (1979) Turbulenz in mehrphasigen Strömungen. Chem Ing Tech 51:934–948

Page 27: Transportvorgänge in der Verfahrenstechnik || Stoffaustausch zwischen zwei fluiden Phasen

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