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TTIP vor Ort Folgen der transatlantischen Handels- und Investitions- partnerschaft für Bundesländer und Kommunen Thomas Fritz im Auftrag von campact

TTIP vor Ort - Campact

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CAMPACT – THOMAS FRITZ: Die Auswirkungen von TTIP auf Bundesländer und Kommunen 1

TTIP vor OrtFolgen der transatlantischen Handels- und Investitions-partnerschaft für Bundesländer und Kommunen

Thomas Fritzim Auftrag von campact

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CAMPACT – THOMAS FRITZ: Die Auswirkungen von TTIP auf Bundesländer und Kommunen 2

THOMAS FRITZ arbeitet als freier Autor seit vielen Jahren zu internationalen Handels- und Investitionsabkommen. Er veröffentlichte zahlreiche Aufsätze, Studien und Bücher u. a. zur Welthandels-organisation WTO, zum Dienstleistungs-abkommen GATS, zu EU-Handelsverträgenund zu ausländischen Direktinvestitionen.Die sozialen und ökologischen Folgen von Liberalisierung und Privatisierung gehörenzu den Schwerpunkten seiner Arbeit.

CAMPACT e. V. organisiert Kampagnen, beidenen sich Menschen via Internet an gesell-schaftlichen Debatten beteiligen können.Der Campact-Newsletter verbindet über 1,4 Millionen politisch interessierte und aktive Menschen.

CAMPACT ermutigt Menschen, Politik auchjenseits von Wahlen selbst mitzudenken und engagiert mitzugestalten – bei Online- petitionen und Aktionen vor Ort, bei bundes -weiten Aktionstagen und Demonstrationen.Unsere Aktivitäten ermuntern Politiker/-innen auf Bürgeranliegen zu reagieren undstellen Öffentlichkeit für eine sozial ge-rechte, ökologisch nachhaltige und friedliche Gesellschaft her.

CAMPACT finanziert sich durch Spenden aus dem Kreise der Campact-Aktiven und regelmäßige Beiträge der Campact-Förder innen und -Förderer. Eine detaillierte Aufstellung der Herkunft und Verwendungder Campact-Mittel finden Sie im Finanz-und Transparenzbericht 2013: www.campact.de/2013glasklar

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort 4

1. Einführung 5

2. Schiedstribunale: Kommunale Entscheidungen vor internationalen Gerichten 6

3. Investitionen und Dienstleistungen: Schutz privater Gewinninteressen 9

4. Daseinsvorsorge: Gemeinwohl unter Liberalisierungsdruck 12

5. Subventionen: Streit um staatliche Beihilfen 14

6. Ausschreibungspflicht: Eingriff in die kommunale Organisationshoheit 15

7. Zusammenfassung 17

TTIP vor OrtFolgen der transatlantischen Handels- und Investitions-partnerschaft für Bundesländer und Kommunen

Thomas Fritzim Auftrag von campact

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Vorwort

S eit über einem Jahr ver-handeln EU und USA hinterverschlossenen Türen über

das Handels- und Investitionsab-kommen TTIP (Transatlantic Tradeand Investment Partnership).Zahlreiche Verhandlungsdokumentesind inzwischen durchgesickertund haben TTIP zum derzeit wohlam heftigsten umstrittenen politischen Vorhaben in Europa gemacht. Medienberichte und öffentliche Debatte drehten sichbisher vor allem um die zubefürchtende Aufweichung vonStandards im Gesundheits-, Verbraucher- und Umweltschutz.Doch so wichtig diese Themensind: Sie decken nur Teile der absehbaren Auswirkungen vonTTIP ab.

Ob es sich um die Vergabe vonAufträgen und Subventionen, dieErteilung von Bau- und Betriebs-genehmigungen oder um Vorhabenzur Rekommunalisierung handelt:Bundesländer und Kommunen werden in ihrem politischen Gestaltungsspielraum erheblicheingeschränkt, wenn TTIP in Krafttritt. Kommunale Entscheidungenkönnen zum Gegenstand von Kla-gen internationaler Investorenwerden, über die eine abseits desRechtsstaats stehende kommer-zielle Schiedsjustiz befindet.

In den Parlamenten von Städtenund Gemeinden herrscht hierzunoch weitgehend Unkenntnis. Hierwill diese Kurzstudie von ThomasFritz Abhilfe leisten. Der Autor befasst sich seit vielen Jahren mitHandels- und Investitionsabkom-men und zeigt auf, welche konkreten Auswirkungen die inTTIP vorgesehenen Klauseln in der Praxis haben können.

Zur Analyse wurde dabei auch derbereits fertig ausgehandelte Textdes EU-Kanada-Abkommens CETAherangezogen, das als Blaupausefür TTIP gilt. Während die Studieentstand, veröffentlichte die ARD-Tagesschau den offiziell immernoch geheimen CETA-Vertrag.Schon mit CETA droht TTIP „durchdie Hintertür“, da US-Unternehmenmit Niederlassungen in Kanada dieCETA-Bestimmungen für sich in Anspruch nehmen können.

Heribert Prantl, Chefredakteur derSüddeutschen Zeitung, nennt TTIPeinen „Anschlag auf die parlamen-tarische Demokratie“. Er wünschtsich, dass das Abkommen schei-tert, dass Parlamente ihre Zustim-mung verweigern. Dem können wiruns mit bisher 625.000 Menschen,die den Campact-Appell gegenTTIP unterzeichneten, nur an-schließen.

Der Lackmustest wird bald kom-men: Schon im Herbst 2014 solldie Ratifizierung von CETA begin-nen. Wenn diese gelingt, werdenentsprechende Klauseln bei TTIPkaum mehr zu verhindern sein.

Die Bundesregierung muss sich imHerbst 2014 zum vorliegendenCETA-Text positionieren und im Europäischen Rat abstimmen. Das Europäische Parlament wird voraussichtlich ebenfalls bald danach befragt werden.

Wie diese Gremien entscheiden,wird auch davon abhängen, welcheStellung die Länder, Städte undGemeinden in dieser Debatte beziehen. Es wird Zeit, dass siesich vernehmlich zu Wort melden.Dazu soll diese Kurzstudie Material liefern.

Annette SawatzkiCAMPACT e. V.

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1. Einführung

S eit Juli 2013 verhandelt dieEuropäische Union mit denUSA über ein Freihandels-

abkommen, die TransatlantischeHandels- und Investitionspartner-schaft TTIP (Transatlantic Tradeand Investment Partnership). DieFolgen dieses Vertrags könnten bisauf die regionale und lokale Ebeneder EU-Mitgliedstaaten spürbarwerden, auch in Deutschland.Denn TTIP berührt zahlreiche Bereiche, in denen die Bundes -länder und Gemeinden über eigeneKompetenzen verfügen.

Das breite und für die Allgemein-heit überaus bedeutsame Aufga-benspektrum von Bundesländernund Kommunen (siehe Box 1)hätte es gerechtfertigt, sie aktivbereits in die Entscheidungsfin-dung über die Aufnahme der TTIP-Verhandlungen einzubinden. Dochdies ist nicht geschehen. Ebensowie große Teile der Öffentlichkeiträtseln Landes- und Kommunal -vertreter über den Inhalt, die

Reichweite und die möglichenKonsequenzen dieses Vertrags. Die vorliegende Kurzstudie wirftdaher einige Schlaglichter aufmögliche Folgen des EU-US-Han-delsabkommens für Bundesländerund Gemeinden. Allerdings könnenaufgrund der noch laufenden Verhandlungen und des mangeln-den Zugangs zu aktuellen Verhand-lungsdokumenten bisher nur rechtgrobe und vorläufige Einschätzun-gen präsentiert werden. Viele derhier angesprochenen Bereiche, indenen TTIP die regionale undkommunale Regulierungshoheit berührt, bedürfen vertiefender Un-tersuchungen, um Risiken realis-tisch abzuschätzen. Die Analysestützt sich auf eine Reihe durch -gesickerter Dokumente, darunterdas Verhandlungsmandat der EU-Kommission sowie Textentwürfeverschiedener Kapitel und Ver-tragsanhänge.

Die TTIP-Verhandlungen umfassenein sehr breites Spektrum von

Themen, aus dem hier nur solchebetrachtet werden, die für die Landes- und kommunale Ebene vonbesonderer Bedeutung sind. Dazugehören in erster Linie die geplan-ten Investor-Staat-Schiedsverfah-ren, die Regelungen für Inves- titio nen und Dienstleistungen, dieBehandlung der öffentlichen Daseinsvorsorge sowie die für Länder und Gemeinden besonderswichtigen Fragen zu Subventionenund dem öffentlichen Auftrags -wesen.

Thomas FritzAutor

Aufgaben der Bundesländer und Gemeinden (Beispiele)

Bundesländer GemeindenBildungswesen Wasserver- und -entsorgung Gesundheitswesen EnergieversorgungRechtswesen AbfallbeseitigungPolizei Öffentlicher NahverkehrKultur KrankenhäuserRundfunk- und Medienwesen Alten- und PflegeheimeWohnungsbauförderung SchulbauSteuerverwaltung Volkshochschulen, MusikschulenOrdnungsrecht Kultur (Theater, Museen, Bibliotheken)Naturschutz und Landschaftspflege KindergärtenRaum- und Bodenordnung FlächennutzungspläneLadenschluss- und Gaststättenrecht BaugenehmigungenLandesbanken und Bausparkassen SparkassenDenkmalschutz Sportstätten und Bäder

Box 1

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2. Schiedstribunale: Kommunale Entscheidungenvor internationalen Gerichten

M it dem im Dezember 2009in Kraft getretenen Lissa-bon-Vertrag erhielt die

EU-Kommission die ausschließlicheKompetenz für ausländischeDirektinvestitionen. Dies erlaubtes ihr, in ihre Handelsabkommenweitreichende Bestimmungen überden Investitionsschutz aufzuneh-men, die bisher bereits in zahl-reichen bilateralen Investitions-schutzabkommen enthalten waren.Auch das TTIP-Verhandlungsman-dat, das der Rat der EuropäischenUnion der Kommission erteilte,sieht die Aufnahme des Investiti-onsschutzes, einschließlich einesInvestor-Staat-Schiedsverfahrensvor (Investor-State Dispute Settle-ment – ISDS). Diese Möglichkeitstellte der Rat allerdings unter denVorbehalt eines insgesamt „zufrie-denstellenden“ Verhandlungsergeb-nisses für die EU.

Aufgrund der zunehmenden Kritikan den überaus intransparentenprivaten Schiedsverfahren, setztedie Kommission die Verhandlungenüber diesen Punkt aus und führteeine dreimonatige Konsultationüber die Modalitäten des Investiti-onsschutzes in TTIP durch. Bis zumStichtag 13.7.2014 gingen fast150.000 Stellungnahmen bei derEU ein, was das starke öffentlicheInteresse bezeugt. Eine Analyseder Stellungnahmen und Vor-schläge über nächste Schritte sindlaut Kommission nicht vor Novem-ber 2014 zu erwarten. Der Fragen-katalog der Konsultation zielteallerdings nur auf mögliche ISDS-Reformen ab, nicht auf die Option,auf ISDS ganz zu verzichten. Als

Bezugstext verwies die Kommis-sion dabei auf den Entwurf des EU-Freihandelsabkommens mit Kanada(CETA – Comprehensive Economicand Trade Agreement), das eben-falls ein solches Schiedsverfahrenenthält.1

Investor-Staat-Verfahren ermögli-chen es ausländischen Investoren,die nationale Gerichtsbarkeit zu

umgehen und vor internationalenSchiedstribunalen auf Entschädi-gung zu klagen, wenn ihre Gewinnedurch staatliche Maßnahmen beein-trächtigt werden. Das am häufigs-ten genutzte Forum für derartigeTribunale ist das bei der Weltbankangesiedelte ICSID (InternationalCenter for Settlement of InvestmentDisputes). Die Zahl der ISDS-Verfah-ren hat weltweit in den letzten

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Jahren stark zugenommen. Anfangder 1990er-Jahre gab es nur etwazehn bekannte Fälle, Ende 2013kletterte ihre Zahl auf 568.2

Diese Verfahren unterscheiden sicherheblich von ordentlichen Gerich-ten. Üblicherweise wird für jedenFall ein Tribunal aus drei Schieds-richtern bestellt. Jede Streitparteibenennt einen eigenen Schieds-richter und beide Seiten einigensich auf einen Vorsitzenden. DieSchiedsrichter arbeiten meist fürgroße Wirtschaftskanzleien undwirken oft an mehreren Fällengleichzeitig mit. Da ISDS-Verfahrenüberaus lukrativ sind, versuchendie Kanzleien, möglichst viele Fällezu akquirieren. Aktiv ermuntern sieUnternehmen zu Investitionskla-gen, um anschließend sowohl denKlägern als auch den beklagtenRegierungen ihre Dienste anzubie-ten. Die Verfahrenskosten einesdurchschnittlichen ISDS-Falls be-laufen sich auf acht Millionen US-Dollar; mitunter erreichen sie über30 Millionen US-Dollar. Die Tribu-nale tagen unter Ausschluss derÖffentlichkeit und halten die meis-ten Dokumente unter Verschluss.Ihre Urteile sind bindend und esgibt keine Berufungsinstanz.3

Mit TTIP könnte die Zahl der Inves-tor-Staat-Klagen stark anwachsen,da allein über die Hälfte des Be-stands der US-Investitionen (rund2,4 Billionen US-Dollar im Jahr2013) in der EU angelegt sind, bis-her aber nur neun osteuropäischeStaaten ein Investitionsschutzab-kommen mitsamt ISDS mit den USAunterzeichnet haben.4 Käme es zueinem TTIP-Abschluss, könnten erst-mals nicht nur Tausende von US-In-vestoren, sondern auch europäischeNiederlassungen in den USA in denGenuss dieser Klagerechte kommen.Nach Angaben der amerikanischenVerbraucherorganisation Public Citi-zen unterhalten US-Firmen knapp51.000 Niederlassungen in der EU,darunter in Deutschland rund 6.800. EU-Firmen wiederum verfügen über

24.000 Niederlassungen in denUSA.5

Entschädigungen in Milliardenhöhe

Da die Entschädigungszahlungenbei ISDS-Klagen teils enorme Größenordnungen annehmen – bei hohen Investitionen kommenleicht Milliardenbeträge zusam -men –, stellt sich für Länder undKommunen zunächst die Frage der Haftung. Nach der im April 2014beschlossenen EU-Verordnung überdie finanzielle Zuständigkeit beiInvestor-Staat-Streitigkeiten haf-tet die Union in den Fällen, indenen Entschädigungszahlungenaufgrund von Verstößen der EU-Behörden festgesetzt werden. Be-gehen Mitgliedstaaten Verstöße,müssen sie mögliche Entschädi-gungen schultern, es sei denn, diebeklagten Maßnahmen waren auf-grund von EU-Recht erforderlich.6

Was aber geschieht, wenn eine In-vestitionsklage aufgrund einer vonLändern oder Kommunen ergriffe-nen Maßnahme erfolgreich ist?

Nach internationalem Recht haftetder Zentralstaat für sämtliche sei-ner Verstöße gegen internationaleVerträge, einschließlich jener, dieregionale oder lokale Regierungenbegehen. In Deutschland regeln dasGrundgesetz (Artikel 104a Abs. 6)sowie das Lastentragungsgesetz(§1 Abs. 1 und 2) die Haftungsver-teilung zwischen Bund und Län-dern bei Verletzung völkerrecht-licher Verpflichtungen. Danachsind finanzielle Leistungen auf-grund von Pflichtverletzungen vonderjenigen Ebene zu tragen, inwelcher der Verstoß erfolgte. Be-gehen sowohl der Bund als auchein Bundesland eine Pflichtverlet-zung, verteilen sich die Kosten imVerhältnis des Umfangs, in demBund oder Land zur Pflichtverlet-zung beigetragen haben.

Folglich würden die Bundesländerdurch eine Aufnahme von Inves-

tor-Staat-Verfahren in TTIP inter-nationalen Entschädigungsrisikenausgesetzt. Zwar können Länderund Kommunen auch aufgrund desdeutschen Staatshaftungsrechtsmit Schadensersatz- oder Entschä-digungsforderungen konfrontiertwerden. Bei den ISDS-Verfahrenjedoch entstehen besondere Risi-ken, die von der konkreten Ausge-staltung des TTIP-Investitions-kapitels und dessen Interpretationdurch Investitionstribunale abhän-gen.

Ein Blick auf die vor diesen Ad-hoc-Tribunalen verhandelten Fällezeigt: Maßnahmen unterhalb derzentralstaatlichen Ebene führtenschon des Öfteren zu Entschädi-gungsklagen (siehe Box 2). AmBeispiel der Vattenfall-Klage gegendie Umweltauflagen Hamburgslässt sich zudem erkennen, dassInvestoren gar nicht unbedingt einUrteil benötigen, um ihre Interes-sen durchzusetzen. Schon dieEinreichung einer Klage kannRegierungen dazu nötigen, aufnotwendige Regulierungen zuverzichten. Aufgrund der bereitsverhängten, teils in die Milliardengehenden Entschädigungszahlun-gen kann schon die bloße Klagean-drohung diese Wirkung haben –zumal viele Länder und Kommunenunter Überschuldung leiden.

Das Beispiel der Lone-Pine-Klagegegen Kanada wiederum zeigt:Auch deutsche und andere euro-päische Unternehmen mit Nieder-lassungen in den USA könntendank TTIP vor internationale Tribu-nale ziehen, um Deutschland zuverklagen. Über 3.500 deutscheUnternehmen sind in den USA nie-dergelassen und könnten den Gangvor die Privatgerichte antreten.7

Auch Briefkastenfirmen stündedieser Weg offen. Zwar behauptetdie EU-Kommission, nur Unterneh-men mit „substanziellen Ge-schäftsaktivitäten“ würden unterTTIP klageberechtigt.8 Doch auf-grund der sehr breiten Definition

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Investitionsstreitfälle: Länder und Kommunen im Visier der Tribunale

Freie und Hansestadt Hamburg:Vattenfall gegen Deutschland

Im Jahr 2009 klagte der schwedi-sche Energiekonzern Vattenfallvor einem ICSID-Tribunal gegenDeutschland. Grund waren dieAuflagen, die die Hamburger Um-weltbehörde bei der Betriebsge-nehmigung für das KohlekraftwerkMoorburg machte. Sie zielten da-rauf ab, eine Beeinträchtigung derWasserqualität der Elbe durch diegeplante Entnahme von Kühlwas-ser und die Einleitung von Abflut-wasser zu ver meiden. Vattenfallaber be haup tete, durch die Aufla-gen würde die Investition unwirt-schaftlich. Seine Klage stützteVattenfall auf die von Deutsch-land unterzeichnete Energie-charta, einen zwischenstaatlichenVertrag, der den Gang vor interna-tionale Schiedsgerichte ermög-licht. Von Deutschland fordertendie Schweden eine Entschädigungüber 1,4 Milliarden Euro. DerICSID-Streitfall wurde im März2011 mit einem Vergleich beige-legt, dem wiederum eine Ver-gleichsvereinbarung vor demOberlandesgericht Hamburg zu-grunde lag. Diese verpflichtete dieUmweltbehörde dazu, Vattenfalleine „modifizierte wasserrechtli-che Erlaubnis“ zu erteilen, d. h.die ursprünglichen Auflagen wur-den zugunsten des Betreibers auf-geweicht.9

Provinz Quebec: Lone Pine Resources gegen Kanada

Der kanadische Öl- und Gaskon-zern Lone Pine Resources bean-

tragte im September 2013 dieEinrichtung eines Schiedstribu-nals und verlangte eine Entschä-digung von 250 MillionenUS-Dollar, weil die kanadischeProvinz Quebec 2011 ein Fra-cking-Moratorium verhängte undeinzelne Bohrlizenzen widerrief.Lone Pine nutzte für die Klage dieRegistrierung seiner Dachgesell-schaft in dem US-Bundesstaat De-laware, einer bekannten Finanz-oase, und konnte sich dadurch aufdas Inves titionsschutzkapitel dernordamerikanischen Freihandels-zone NAFTA berufen. Lone Pine be-klagt, das Vorgehen der kana -dischen Provinz sei „willkürlich,unberechenbar und illegal“ gewe-sen.10

Gemeinde Guadalcázar: Metalclad gegen Mexiko

Das US-Unternehmen Metalcladerhielt von mexikanischen Bun-desbehörden die Genehmigung füreine Sondermülldeponie in derGemeinde Guadalcázar im Bundes-staat San Luis Potosí. Die Ge-meinde aber verweigerte dieErteilung einer Betriebsgenehmi-gung aus Furcht vor Wasserver-schmutzung. Anwohner klagtenschon seit Jahren über kontami-niertes Trinkwasser. Später unter-stützten auch Behörden desBundesstaats die Gemeinde underklärten die Region der Deponiezum Naturschutzgebiet. Aufgrundder verweigerten Genehmigungnutzte Metalclad den NAFTA-Streitschlichtungsmechanismusund klagte vor einem ICSID-Tribu-nal. Dieses verurteilte Mexiko im

Jahr 2000 wegen „indirekter Ent-eignung“ zu einer Entschädigungvon 16,6 Millionen US-Dollar.11

Provinz Santa Fe: Suez gegen Argentinien

Ein Konsortium unter Führung desfranzösischen Versorgers Suez er-hielt eine Konzession über dieWasserver- und -entsorgung in derargentinischen Provinz Santa Fe.Nach einer Abwertung der argen-tinischen Währung scheiterten dieVerhandlungen des Konsortiumsmit den Provinzbehörden übereine Anhebung der Wassergebüh-ren. Die Gebührensteigerungen,denen die Provinz zustimmte, er-achteten die Investoren als unzu-reichend. Nachdem sich dasKonsortium als zahlungsunfähigerklärte, beendete die Provinzre-gierung die Konzession im Jahr2006. Vor einem ICSID-Tribunalklagt das Konsortium seither aufEntschädigung. In einer erstenEntscheidung befand das Tribunal,dass Santa Fe die „legitimen Er-wartungen“ der Investoren gebro-chen und damit gegen das Gebotder „billigen und gerechten Be-handlung“ verstoßen habe. Einabschließendes Urteil über dieHöhe der Entschädigung ist nochnicht ergangen. Suez allein bezif-fert seinen Verlust auf fast 200Millionen US-Dollar.12

Box 2

von Investitionen (siehe Kapitel 3),bräuchte eine deutsche Briefkasten-

firma im US-Staat Delaware nur einkleines Aktienpaket zu halten, um

Deutschland vor ein solches Schat-tengericht zerren zu können.

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3. Investitionen und Dienst-leistungen: Schutz privater Gewinninteressen

I m Februar 2014 veröffent-lichte „Zeit Online“ einendurchgesickerten Entwurf der

geplanten TTIP-Kapitel über Inves-titionen und Dienstleistungen.Dieser Entwurf enthielt bereitseinige Elemente, die spezifischLänder und Kommunen betreffen.13

So legt der Vertrag eine sehr breiteDefinition von Investitionen zu-grunde, die auch Aktien, Anleihen,Kredite, Konzessionen, Bauver-träge und geistige Eigentums-rechte umfasst. Unter den Investi-tionsschutz fallen somit auchDienstleistungskonzessionen, diein der kommunalen Daseinsvor-sorge eine wichtige Rolle spielen.Dienstleistungskonzessionen wur-den erst kürzlich in das EU-Richtli-nienpaket zum Vergabewesenaufgenommen, dies aber mit wich-tigen Ausnahmen für die Wasser-versorgung, Rettungsdienste undKommunalkredite. Kommunalver-treter setzten sich dafür ein, dassdiese Ausnahmen auch in TTIP gel-ten. Ob sie damit Gehör finden,wird erst das Verhandlungsendezeigen.

Regulierung wird riskant

Der TTIP-Entwurf enthält weitereRegelungen, die kommunale Ho-heitsrechte wie die Planungs-, Sat-zungs-, Finanz- und Organisations-hoheit betreffen. Die Bestimmun-gen zum Niederlassungsrecht etwaverbieten eine Reihe von quantita-tiven Beschränkungen des Markt-zugangs (Article 4: Market Access),und zwar hinsichtlich der Zahl zu-gelassener Unternehmen (Quoten,

Monopole, wirtschaftliche Bedarfs-tests), des Werts der Investition,der Menge des Outputs oder derHöhe ausländischer Kapitalbeteili-gungen. Ferner untersagt sind Auf-lagen, die den Unternehmen die

Wahl einer Rechtsform vorschrei-ben.

Verschiedene kommunale Maßnah-men könnten in Konflikt mit die-sen Marktzugangsverpflichtungen

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geraten, etwa die Verweigerungvon Betriebsgenehmigungen, umVerdrängungskonkurrenz durch Ein-kaufszentren oder Supermärkte zuvermeiden – Bereiche, in denensich auch viele US-Investoren en-gagieren. An deutschen Einkaufs-zentren etwa sind diverseUS-Investoren beteiligt, so dieSimon Property Group (Center inBerlin, Dresden, Duisburg, Hildesheim), TIAA-CREF (Berlin,München) oder die CBRE Group(Hannover).14 Der US-Finanzkon-zern Prudential kaufte kürzlich83 Supermarktimmobilien, zuderen Mietern u. a. Aldi, REWE undLidl gehören.15 Auch gegen Maß-nahmen, die Liefer- und Besucher-verkehr eindämmen sollen,könnten diese Investoren TTIP inStellung bringen.

Verkehrsunternehmen dürftenebenfalls an den Marktzugangsre-geln Interesse zeigen. So setzt diemilliardenschwere US-Onlineplatt-form Uber, ausgestattet mit Risiko-kapital von Google und GoldmanSachs, derzeit in mehreren deut-schen Städten das durch Konzes-sionen geregelte Taxigewerbeunter Wettbewerbsdruck. Mitspeziellen Taxi-Apps vermittelt sieprivate Fahrer an Kunden undunterläuft damit die kommunalenRegulierungen einer Branche, inder ohnehin Niedrigsteinkommengrassieren.16 Gegen die nun ergrif-fenen Gegenmaßnahmen, darunterein Verbot seines Dienstes inHamburg, könnte Uber künftig perinternationalem Schiedsverfahrenvorgehen.17

Daneben bieten die Marktzugangs-regeln diverse Hebel, um die Priva-tisierung von Sparkassen zuerzwingen. Einige Bundesländererlauben es Sparkassen, Stammka-pital zu bilden, was u. a. die Aus-schüttungen an die Kommunenerhöht. Aufgrund der Handelbar-keit des Stammkapitals birgtdieses Manöver das Risiko derPrivatisierung. Die Bundesländer

haben die Übertragbarkeit desStammkapitals meist in der Höhegedeckelt und den Erwerb auf öf-fentlich-rechtliche Institute be-schränkt (d. h. auf Sparkassen,Landesbanken oder deren Ver-bände). Doch die Zulässigkeitdieser Beschränkungen sind schoneuroparechtlich umstritten. US-Fi-nanzinstitute oder deutsche Ban-ken mit US-Niederlassungenkönnten nun zusätzlich auf jeneTTIP-Regeln pochen, die Beschrän-kungen ausländischer Kapitalbetei-ligungen und der Rechtsform vonInvestitionen verbieten. Das Abkommen würde ihnen dabei helfen, die Veräußerung desStammkapitals an Privatbankendurchzusetzen.18

Investorrecht auf Gleich-behandlung – und mehr

Zu den TTIP-Regeln gehören auchNichtdiskriminierungsprinzipienwie die Inländerbehandlung (Arti-cle 5: National Treatment), dieeine Gleichbehandlung in- undausländischer Anbieter in ver-gleichbaren Situationen verlangt.Doch gehen moderne Freihandels-abkommen wie TTIP längst überdie Nichtdiskriminierung hinaus.Denn sie erstrecken sich auch aufstaatliche Maßnahmen, die auslän-dische Anbieter gar nicht unbe-dingt diskriminieren, sondern alleInvestoren gleichermaßen betref-fen können. Solche Fälle sind beizwei weiteren wichtigen TTIP-Standards möglich, nämlich der„billigen und gerechten Behand-lung“ und dem Schutz vor Enteig-nung.

Die „billige und gerechte Behand-lung“ (Article 12: Treatment of In-vestment) ist der meistgenutzteInvestitionsstandard in ISDS-Ver-fahren. Der durchgesickerte TTIP-Entwurf definiert ihn anhand einerReihe von Tatbeständen, darunterdie „offensichtliche Willkür“ sowieder „Bruch der legitimen Erwartun-gen von Investoren“, welche die

Regierungen geweckt haben sol-len. Dies sind Standardklauseln,die Unternehmen bereits bei zahl-reichen Investitionsklagen in An-schlag gebracht haben. So beklagtzum Beispiel das UnternehmenLone Pine, das Fracking-Morato-rium der kanadischen Provinz Quebec sei „willkürlich“ gewesen.In einem anderen Fall befand einICSID-Tribunal, dass die argentini-sche Provinz Santa Fe durch dieVerweigerung von Gebührenerhö-hungen die „legitimen Erwartun-gen“ des Wasserversorgers Suezmissachtet habe (siehe Box 2). Der Schutz vor Enteignung (Article14: Expropriation) umfasst sowohldie direkte als auch die indirekteEnteignung, wobei Letztere einebesonders wichtige Rolle spielt.

Der TTIP-Entwurf definiert die in-direkte Enteignung als Maßnahmeoder Serie von Maßnahmen, derenWirkung einer Enteignung gleich-kommt, indem sie die Verfügungs-rechte des Investors an seinemEigentum beeinträchtigt. Da dieserStandard einen überaus breiten Interpretationsspielraum öffnet,findet auch er häufig Anwendung.Ein ICSID-Tribunal z. B. beurteiltedie Verweigerung einer Betriebs-genehmigung für eine Sondermüll-deponie durch die mexikanischeGemeinde Guadalcávar als eine in-direkte Enteignung (siehe Box 2).Viele weitere Maßnahmen könnenmit diesen beiden Investitions-standards kollidieren. Ein Beispielwäre die in Deutschland geplanteMietpreisbremse (siehe Box 3).

Schirmklausel für alle Verträge

Eine beträchtliche Ausweitung desInvestorenschutzes schließlich er-laubt die von der EU in das TTIP-Investitionskapitel integrierteSchirmklausel (Umbrella Clause).Diese versteckt sich hinter einemSatz im Artikel 12.3 des durchgesi-ckerten Entwurfs. Danach musseine TTIP-Vertragspartei „jegliche

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Verpflichtung erfüllen, die sie be-züglich eines Investors der ande-ren Partei oder einer Investitiondieses Investors eingegangenist“.22 Nach weiten Interpretatio-nen internationaler Schiedstribu-nale umfasst die Schirmklauselsämtliche Verpflichtungen, dieStaaten oder staatliche Behördengegenüber Investoren eingegangensind, seien diese vertraglicher odergesetzlicher Natur.23

In der Konsequenz führt jeglicheVerletzung eines Vertrags zwischenUS-Investoren einerseits und Län-dern und Kommunen andererseitsautomatisch zu einer TTIP-Verlet-zung, die die Tür zu dessen Streit-schlichtungsmechanismen öffnet.

Die Schirmklausel hebt gewöhn -liche Vertragsstreitigkeiten, die üblicherweise vom nationalen Vertragsrecht geregelt werden, auf die internationale Ebene eines

Handelsabkommens. Dies gilt auchfür Verträge, die gar keine interna-tionale Streitschlichtung vorgese-hen haben. Die Schirmklauselerfasst viele Streitfälle, die zumkommunalen Alltag gehören. Sieermöglicht es Investoren bei-spielsweise, städtische Nachforde-rungen bei mangelhafter Aus -führung von Bauaufträgen mit Gegenforderungen vor internatio-nalen Tribunalen zu kontern.

TTIP kontra Mieterschutz

Die von der Bundesregierung ge-plante Mietpreisbremse soll denBundesländern die Möglichkeitgeben, die hohen Preissprüngebei Neuvermietungen in beson-ders nachgefragten Wohngebie-ten einzudämmen. Bundesländersollen Gebiete mit „angespann-tem Wohnungsmarkt“ ausweisenkönnen, in denen der Mietpreisbei Neuvermietungen höchstenszehn Prozent über dem Niveauder ortsüblichen Vergleichsmieteliegen darf. Dies aber könntenImmobilieninvestoren als Bruchihrer „legitimen“ Gewinnerwar-tungen und damit als Verstoßgegen das Prinzip der „billigenund gerechten Behandlung“ auf-fassen.

An deutschen Wohnimmobiliensind zahlreiche US-Finanzinves-toren beteiligt, darunter Firmenwie Cerberus, Blackrock, Cohen &Steers, Lone Star oder der Immo-bilienvermögensverwalter RREEF,eine US-Tochter der DeutschenBank. Vielfach stammt deren Be-teiligungsbesitz aus den privati-sierten Beständen des sozialen

Wohnungsbaus. Das Geschäfts-modell der Finanzin vestoren istoftmals nur auf kurzfristige Ge-winnmaximierung ausgerichtet,häufig auf Kosten der Mieter. Siefusionieren Wohnungsunterneh-men und bringen diese an dieBörse, um die Aktienpakete nachWertsteigerungen gewinnbrin-gend abzustoßen. Die Wertstei-gerungen erzielen sie durchMinimierung des Instand -haltungsaufwands und maximaleAusschöpfung des Mieterhö-hungsspielraums (vor allem beiNeuvermietung und Modernisie-rung). Bevorzugt sanieren sieWohnungen in Boomlagen undvernachlässigen jene in schlech-teren Lagen.

Gewinnerwartungen stattSozialchartas

Diese Methoden haben Erfolg: Soverkauften Cerberus und GoldmanSachs nur ein Dreivierteljahrnach dem Börsengang der ehe-maligen Berliner Wohnungsge-sellschaft GSW Anfang 2012 ihregesamten Aktienpakete, und dies

mit exorbitanten Gewinnen.19

Ebenso stieß der US-InvestorFortress im Juni 2014 sein letz-tes großes Aktienpaket an derGAGFAH ab, die ebenfalls voneinem gemeinnützigen in einbörsennotiertes Unternehmenverwandelt wurde.20

Im Zuge der Privatisierung ihrerWohnungsgesellschaften verein-baren Länder und Kommunenhäufig Sozialchartas, die denMietern einen gewissen Schutzvor Kündigungen, Mieterhöhun-gen oder Luxussanierungen ga-rantieren sollen. Diese gehenzwar nicht über den gesetzlichenRahmen hinaus, führten aberdennoch immer wieder zu Streitzwischen Mietern, Kommunenund den Vermietern.21 GegenForderungen, Sozialchartas ein-zuhalten, könnten sich die In-vestoren künftig mit Verweis aufTTIP zur Wehr setzen. Ebensowäre es ihnen möglich, die Neu-berechnungen ortsüblicher Ver-gleichsmieten als Bruch ihrer„legitimen Erwartungen“ anzu-greifen.

Box 3

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4. Daseinsvorsorge: Gemeinwohlunter Liberalisierungsdruck

L aut TTIP-Verhandlungsman-dat verfolgt die EU das Ziel,Dienstleistungen „auf dem

höchsten Liberalisierungsniveau“zu binden, das EU und USA in allihren bisherigen Freihandelsab-kommen eingegangen sind. Fernersollen „im Wesentlichen alleSektoren und Erbringungsarten“erfasst und gleichzeitig „neueMarktzugangsmöglichkeiten“

erschlossen werden. Die einzigenexplizit ausgeschlossenen Bereichesind Dienstleistungen, „die in Aus-übung hoheitlicher Gewalt erbrachtwerden“, sowie „audiovisuelleDienste“.24 Der Großteil der Da-seinsvorsorge bleibt damit Ver-handlungsgegenstand.

Der Verweis auf die in „hoheitli-cher Gewalt“ erbrachten Dienst-

leistungen bezieht sich auf diesehr enge Definition im GATS-Ab-kommen der Welthandelsorganisa-tion WTO, wonach hoheitlicheAufgaben „weder zu kommerziellenZwecken noch im Wettbewerb miteinem oder mehreren Dienstleis-tungserbringern“ erbracht werdendürfen. Doch in weiten Bereichender kommunalen Daseinsvorsorgekonkurrieren private mit öffentli-

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chen Anbietern, sei es bei denStadtwerken, im Nahverkehr, imBildungs-, Gesundheits- und Kul-turbereich. Da es hier überall Wett-bewerbssituationen gibt, fallendiese Bereiche grundsätzlich unterdie TTIP-Regeln.

Wie weitreichend die Liberalisie-rungsangebote sind, lässt sich an-hand eines durchgesickertenTTIP-Angebots der EU vom 26. Mai2014 ersehen.25 Dieses enthält denEntwurf einer Verpflichtungslistefür Dienstleistungen und Investi-tionen, das auf einem EU-Angebotaus den parallelen Verhandlungenüber das DienstleistungsabkommenTiSA (Trade in Services Agreement)aufbaut. Ihr TiSA-Angebot veröf-fentlichte die EU-Kommission kürz-lich auf ihrer Website.26

Die TTIP-Verpflichtungsliste ent-hält eine Ausnahmeklausel für öf-fentliche Dienstleistungen („publicutilities“), die diese von denMarktzugangsregeln des Abkom-mens ausnehmen. In dieser Klauselheißt es: „Dienstleistungen, dieauf nationaler oder örtlicher Ebeneals öffentliche Aufgaben betrach-tet werden, können staatlichenMonopolen oder ausschließlichenRechten, die privaten Betreiberngewährt werden, unterliegen.“27

Anschließend folgt eine exemplari-sche Liste von Sektoren, in denendiese Formen öffentlicher Erbrin-gung anzutreffen sind. Die Aus-nahme aber enthält großeSchlupflöcher.

Öffentliche Unternehmenund Auflagen werden angreifbar

So werden viele kommunaleDienstleistungen gar nicht als„Monopol“ oder „ausschließlichesRecht“ privater Träger erbracht,etwa Pflegeheime, Volkshochschu-len oder Musikschulen. Problema-tisch ist auch, dass die Ausnahmesich nur auf den Marktzugang,nicht aber auf die Inländerbehand-

lung und die wichtigen Standardszum Investitionsschutz bezieht.Aufgrund dieser Lücke können US-Unternehmen städtische Auflagenoder konkurrierende öffentlicheDienstleistungen immer noch alsVerstoß gegen die „billige und ge-rechte Behandlung“ oder als „indi-rekte Enteignung“ angreifen.

Amerikanische Anbieter von IT-Schulungen wären dadurch z. B. inder Lage, gegen EDV-Kurse derVolkshochschulen vorzugehen. DieTTIP-Verpflichtungsliste gewährtden privat finanzierten Dienstleis-tern in der Erwachsenenbildungden dafür erforderlichen Marktzu-gang.28 Für zentrale kommunaleVersorgungsaufgaben wie die Ab-wasserbeseitigung (Waste WaterServices) und die Abfallentsorgung(Refuse Disposal Services) räumtdie EU-Liste ebenfalls den Markt-zugang ein.29 Dieses Zugeständniskönnten sich auch die großen eu-ropäischen Versorgungsunterneh-men mit Niederlassungen in denUSA zunutze machen, um gegenlästige Wartungsauflagen Front zumachen, die deutsche Städte ihrenhiesigen Betrieben vorschreiben.So sind etwa die französischenKonzerne Veolia und Suez wichtigePlayer sowohl in der US-amerikani-schen als auch in der deutschenWasser- und Energiewirtschaft.30

Auch Krankenhäusern und Pflege-einrichtungen erlaubt die EUgrundsätzlich den Marktzugang,den sie allerdings an die Bedin-gung von Konzessionen und dieMöglichkeit wirtschaftlicher Be-darfstests koppelt. Deutschlandbehält sich daneben das Recht vor,Rettungsdienste an Non-profit-Un-ternehmen zu vergeben.31 Hat einGesundheitsdienstleister aber ersteinmal eine Konzession erhalten,kann er mit TTIP gegen unliebsameMaßnahmen zu Felde zu ziehen.

Damit öffnet sich auch ein Ein-fallstor für US-Investoren, die sichin die großen privaten Klinik-

ketten einkauften. An Freseniusetwa, zu dem die HELIOS Klinikengehören, halten mehrere amerika-nische Firmen Aktienpakete, darunter BlackRock und The Capi-tal Group Companies. Unter den Aktionären der RHÖN-KLINIKUM AGwiederum finden sich die Finanz-konzerne Goldman Sachs und Morgan Stanley.32

Rekommunalisierung wäreVertragsbruch

Hinzu kommen weitere Regeln, dieden politischen Handlungsspiel-raum auch von Ländern und Kom-munen massiv einschränken. DieTTIP-Verpflichtungsliste folgteinem sogenannten Hybridlisten-ansatz, wie er auch beim TiSA-Abkommen angewendet wird. DieEU-Kommission veröffentlichtezwei Dokumente mit Erläuterun-gen, wie derartige Listen zu lesensind.33 Danach unterliegt ein Groß-teil der Maßnahmen, die vomGeltungsbereich der Inländerbe-handlung ausgenommen werden,den Prinzipien des „Standstill“ unddes „Ratchet“. Standstill heißt,dass die Beschränkungen denrechtlichen Status quo fixieren:Hinter das derzeit erreichte Maßan Liberalisierung (Deregulierun-gen, Privatisierungen etc.) darfnicht mehr zurückgefallen werden.

Ratchet (Sperrklinkeneffekt)verlangt, dass auch künftigeLiberalisierungen automatisch zuTTIP-Verpflichtungen werden.Diese später zu revidieren, wäreebenfalls nicht mehr erlaubt. Diepraktische Konsequenz ist, dassdie Rücknahme oder Revision einereinmal vorgenommenen Liberali-sierung, etwa eine Rekommunali-sierung, einen Vertragsverstoßdarstellt. Mit diesen Regeln birgtTTIP die Gefahr, eine flexible, amGemeinwohl orientierte Regional-und Kommunalpolitik zu untergra-ben.

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5. Subventionen: Streit umstaatliche Beihilfen

B esonders kritisch für diekommunale Daseinsvorsorgeist die Frage, wie staatliche

Beihilfen in TTIP geregelt werden.Die bisher vorliegenden Entwürfelassen dazu noch keine belastbarenAussagen zu, da das geplante Kapi-tel über staatliche Beihilfen bishernoch nicht bekannt wurde. EineOrientierung allerdings bietet dasFreihandelsabkommen mit Kanada(CETA), das als Blaupause für TTIPgilt und dessen letzter Entwurfkürzlich von der Tagesschau veröf-fentlicht wurde.34

Verteilt über mehrere Kapitel ent-hält der CETA-Vertrag unterschied-liche Regelungen zu staatlichenBeihilfen. Laut dem Subventions-kapitel (Abschnitt 9: Chapter onSubsidies) kann eine VertragsparteiKonsultationen mit der anderenPartei einfordern, wenn „eine Sub-vention oder ein Teil einer staatli-chen Unterstützung für denDienstleistungshandel“ ihre Inte-ressen beeinträchtigt. Die ange-sprochene Partei soll sich darumbemühen, ihre Unterstützungsmaß-nahmen entweder zu „eliminieren“oder „jegliche negativen Effekte zuminimieren“ (Article x.3). Aller-dings gäbe es hier keine weitereSanktionsmöglichkeit, da dieserArtikel vom Streitschlichtungsme-chanismus des Abkommens ausge-nommen wurde. Das Kapitel überden grenzüberschreitenden Dienst-leistungshandel wiederum schließtSubventionen grundsätzlich vonseinem Anwendungsbereich aus(Article X-01 (g)). Anders aber dasInvestitionskapitel: Dieses klam-mert Subventionen nur von denMarktzugangs- und Nichtdiskrimi-nierungsregeln aus, nicht aber vondem Prinzip der billigen und ge-

rechten Behandlung und dem Ent-eignungsschutz (Article X.14 (5b))– eine gefährliche Lücke.

Schon von einem Konsultationsme-chanismus kann Druck zur Beseiti-gung öffentlicher Zuwendungenausgehen, besonders problema-tisch ist aber das Schlupfloch desInvestitionskapitels. Würden ähnli-che Bestimmungen in TTIP aufge-nommen, könnten private Wett-bewerber die Subventionierungihrer im öffentlich Auftrag tätigen Konkurrenten für Umsatz-einbußen verantwortlich machenund als eine Form indirekter Ent-eignung darstellen. KommunaleAusgleichszahlungen an die Trägerder freien Wohlfahrtspflege, Kran-kenhäuser oder gemeinnützigeWohnungsgesellschaften gerietenwomöglich durch Investitionstribu-nale unter Beschuss.

Ausgleichszahlungen unterBeschuss

Der zukünftige Handlungsspielraumder Bundesländer würde gleichfallsschrumpfen. Beeinträchtigt dieEinführung neuer Förderinstru-mente für Bildung, Kultur oder Medien die Geschäftsmöglichkeitenbereits am Markt tätiger US-Anbie-ter, könnten diese einen Bruchihrer „legitimen Erwartungen“ reklamieren und einen Verstoßgegen die „billige und gerechteBehandlung“ geltend machen.

Wie entschlossen private Betreibergegen kommunale Zuwendungenfür öffentliche Aufgaben vorgehen,zeigt das Beispiel des Bundesver-bands Deutscher Privatkliniken(BDPK). In einem Musterprozessverklagte der Verband den Land-

kreis Calw wegen dessen Aus-gleichszahlungen für die Kreis-kliniken. Diese betrachtet er alsVerstoß gegen das EU-Beihilfe-recht. Das Landgericht Tübingenwies die Klage zwar im Dezember2013 ab, der BDPK kündigte aberbereits an, in Berufung zu gehen.35

Beobachter fürchten, der BDPKkönne den gesamten Instanzenwegvom Oberlandesgericht Stuttgartüber den Bundesgerichtshof biszum Europäischen Gerichtshof be-schreiten. Anders als für den Land-kreis sind die Prozesskosten für ihnoffenbar kein Problem. Dies kannauch nicht verwundern, gehörendem BDPK doch große Kranken-hausketten wie die HELIOS Klini-ken von Fresenius an, die mitUS-Kapital gewappnet sind. TTIPwürde es amerikanischen Frese-nius-Anteilseignern wie Blackrockkünftig erlauben, zusätzlichenDruck auf die Kommunen durchEntschädigungsklagen vor denSondergerichten auszuüben.36

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6. Ausschreibungspflicht: Eingriff in die kommunale Organisationshoheit

D ie öffentlichen Aufträgestaatlicher Stellen sindvon beträchtlicher wirt-

schaftlicher Bedeutung (siehe Gra-fik). Daher kann es kaum verwun-dern, dass der Zugang zu den öf-fentlichen Aufträgen beiderseitsdes Atlantiks zu den zentralenTTIP-Interessen der Industrie -verbände gehört. Laut Verhand-lungsmandat will die EU einen„verbes- serten beiderseitigen Zu-gang zu den Beschaffungsmärktenauf allen Verwaltungsebenen (na-tional, regional, lokal)“ erreichen.Im handelspolitischen Ausschussdes EU-Rats bekannten sich Kom-missionsvertreter zu dem Ziel,einen integrierten Beschaffungs-markt im Sinne eines „Buy Transat-lantic“ zu etablieren.37

Schleichende Privatisierungder Daseinsvorsorge

Länder und Kommunen kämpfenschon seit Jahren mit dem immerrestriktiveren europäischen Verga-berecht, das sie oberhalb bestimm-ter Auftragswerte zur europa-weiten Ausschreibung von Liefer-,Dienstleistungs- und Bauaufträgenzwingt. Der Ausschreibungszwangengt ihre Möglichkeiten ein, Auf-träge an eigene, gemeinnützigeoder ortsansässige private Unter-nehmen zu vergeben. Da durch diewettbewerblichen Ausschreibungs-verfahren immer mehr Konzernezum Zuge kommen, wirken sie alsein effektiver Hebel zur schlei-chenden Privatisierung der Da-seinsvorsorge. Zudem erhält in denVergabeverfahren meist das bil-

ligste Angebot den Zuschlag, so-dass soziale und Umweltkriterienins Hintertreffen geraten.39

Solange das geplante TTIP-Be-schaffungskapitel noch nicht vor-liegt, bietet auch hier dasCETA-Abkommen Hinweise aufmögliche Vertragsbestandteile.40

Das CETA-Kapitel über das staatli-che Auftragswesen (GovernmentProcurement) erfasst den Einkaufvon Waren, Dienstleistungen undBauleistungen durch Beschaffungs-

stellen der EU, des Bundes, derBundesländer und der Gemeinden.Anhänge des Kapitels weisen dieSchwellenwerte aus, ab denen dieBeschaffungsstellen ihre Aufträgegegenüber kanadischen Bieternöffnen müssen. Die Schwellen-werte werden dabei in Sonderzie-hungsrechten, einem Währungs-korb des IWF, angegeben. 1 SZRentspricht derzeit 1,1431 Euro(18.8.2014).

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So müssen laut Anhang 2 Bundes-länder und Gemeinden Waren undDienstleistungen ab einem Wertvon 200.000 SZR transatlantischausschreiben. Diese Pflicht gilt ex-plizit für Krankenhäuser, Schulen,Universitäten und soziale Dienste(Wohnen, Sozialversicherung,Pflege); andere Beschaffungsstel-len hingegen müssen ab 355.000SZR ausschreiben. Für Bauaufträgegilt eine Schwelle von fünf Millio-nen SZR. Der Annex 3 des Kapitelslegt die Schwellenwerte für die Be-schaffung von netzgebundenen öf-fentlichen Versorgern im BereichTrinkwasser, Energie und Verkehrfest. Diese betragen 400.000 SZRbei der Beschaffung von Warenund Dienstleistungen und fünf Mil-lionen SZR bei Bauaufträgen. Aller-dings hat sich die EU hier nocheinige, jedoch recht enge Ausnah-men vorbehalten.

Die öffentliche Hand verliert damitSpielräume, diese Schwellenwertewieder zu ändern. Daher verlangender Städtetag, der Landkreistagund der Städte- und Gemeinde-bund eine deutliche Anhebung derSchwellenwerte, um mehr kommu-nale Aufträge ausschreibungsfreivergeben zu können.41 Doch dieEU-Kommission lehnte entspre-

chende Forderungen bereits beiden Verhandlungen um das jüngsteVergabepaket ab und verwies dazuauf internationale Verpflichtungender EU.42 Der europäische Arbeit-geberverband BUSINESSEUROPEschließlich fordert, „die existieren-den Schwellenwerte zu senken“.Setzen sich die Wirtschaftslobbyis-ten durch, geraten sogar nochmehr kommunale Aufträge unterAusschreibungszwang.43

Sozialstandards fehlen

Daneben berührt TTIP auch die aktuellen Ansätze für eine sozial-ökologische Reform des Vergabe-wesens, etwa die Vergabe- und Tariftreuegesetze der Bundeslän-der, in denen diese sich zu einemnachhaltigen Einkauf verpflich-ten.44 Da noch kein diesbezügli-cher TTIP-Text vorliegt, bietetauch hier das CETA-Beschaffungs-kapitel zumindest einige Hinweise.Das Kanada-Abkommen bietet ei-nige Klauseln, die es ermöglichenkönnten, die Auftragsvergabe zu-mindest an ökologische Kriterienzu koppeln.

Deutlich restriktiver aber erscheintes hinsichtlich sozialer Standards.So sieht der Artikel III (Security

and General Exceptions) Ausnahmenzum Schutz der öffentlichen Moral,Ordnung und Sicherheit sowie zumSchutz der Gesundheit von Men-schen, Tieren und Pflanzen vor.Sozialstandards wie die Einhaltungvon Tarifverträgen fehlen jedoch. Laut Artikel IX.6 dürfen Beschaf-fungsstellen technische Spezifizie-rungen vorschreiben, die u. a. demSchutz natürlicher Ressourcen oderder Umwelt dienen. Sozialstan-dards aber fehlen auch hier. ArtikelXIV schließlich legt fest, dass alsZuschlagskriterien a) das vorteilhaf-teste Angebot gilt oder b), wennder Preis einziges Kriterium ist, derniedrigste Preis den Ausschlag gibt.Juristen streiten sich aber, ob das„vorteilhafteste Angebot“ auch so-ziale Kriterien einbeziehen würde.45

Einigen sich EU und USA auf ähnli-che Regelungen auch für TTIP, wür-den Vergabe- und Tariftreuegesetzewohl nicht als Ganzes als Verstoßbetrachtet werden.

Einzelne Elemente aber – vor allemdie arbeits- und sozialpolitischen –könnten dennoch unter Druck ge-raten. Eine mangelnde Verankerungvon Sozialstandards, wie es inCETA schon der Fall ist, macht dieKopplung der Vergabe an Tarifver-träge jedenfalls angreifbar.

Der EU-Beschaffungsmarkt

Die Europäische Kommission verweist auf Schätzungen, wonach die öffentliche Beschaffung von Güternund Dienstleistungen in der EU 16 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) ausmacht.38 Im Jahr 2013belief sich das EU-BIP auf 13 Billionen Euro. Der Wert der öffentlichen Beschaffung von Gütern und Dienst-leistungen in der EU beträgt folglich rund zwei Billionen Euro.

Box 4

EU-BIP2013 gesamt:13 Billionen Euro

€ €€

16%2 Billionen Euro

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7. Zusammenfassung1. Kommunale Maßnahmen, dieGeschäftsinteressen transatlan-tisch tätiger Investoren beein-trächtigen, würden durch TTIPvermehrt zu Entschädigungsklagenvor internationalen Tribunalen führen. Die dazu vorgesehenen Investor-Staat-Schiedsverfahrensind schon in der Vergangenheitdes Öfteren angerufen worden, umgegen kommunale oder regionaleEntscheidungen vorzugehen, besonders gegen Umweltauflagen,Konzessionsbedingungen oder ver-weigerte Betriebsgenehmigungen.Aufgrund des sehr hohen transat-lantischen Investitionsbestands,der erstmals unter den Investiti-onsschutz fallen würde, dürfte dieZahl derartiger Klagen deutlichsteigen.

2. Die geplanten TTIP-Kapitel überDienstleistungen und Investitionenberühren kommunale Hoheits-rechte wie die Organisationsfrei-heit, dies vor allem aufgrund derweitreichenden Marktzugangs-,Nichtdiskriminierungs- und Inves-titionsschutzregeln. Maßnahmenetwa zur Beschränkung von Gewer-beansiedlungen, zum Schutz vorVerdrängungskonkurrenz, zum Erhalt von Sparkassen oder zum Mieterschutz könnten als TTIP-Verstöße unter Druck geraten.

3. Da es keine grundsätzliche Aus-nahme der öffentlichen Daseins-vorsorge von TTIP gibt, ist eineweitere Liberalisierung und Privati-sierung kommunaler Leistungen zubefürchten. Die in den ersten Ent-würfen der EU-Verpflichtungslisteenthaltene Ausnahmeklausel füröffentliche Dienstleistungen („pu-blic utilities“) bietet zu vieleSchlupflöcher, um diese effektiv zuschützen. Dies eröffnet privatenUnternehmen zahlreiche Möglich-keiten, gegen den Wettbewerbdurch kommunale oder im öffentli-chen Auftrag tätige private Unter-nehmen vorzugehen. Durch dieStandstill- und Ratchet-Klauselnschließlich werden Revisionen ver-gangener Liberalisierungen, wieetwa Rekommunalisierungen, zuVertragsverstößen.

4. Bisher liegen noch keine TTIP-Entwürfe vor, die belastbare Aussa-gen über die Ausgestaltung derSubventionsregeln zulassen. FolgtTTIP aber dem Muster des EU-Han-delsabkommens mit Kanada(CETA), würden die Ausgleichszah-lungen für öffentliche Aufgabenangreifbar. Dies wäre u. a. dann zubefürchten, wenn Subventionen als„indirekte Enteignung“ aufgefasstwerden – ein Möglichkeit, die zu-mindest CETA nicht ausschließt.

Private Anbieter wie die großenKlinikketten, die schon jetzt gegenkommunale Ausgleichszahlungenklagen, könnten solche Klauselnausnutzen.

5. Erhält TTIP ähnliche Vergabe-regeln wie CETA, entsteht ein vertiefter transatlantischer Beschaffungsmarkt, der öffentlicheAufträge privaten Unternehmenbeiderseits des Atlantiks leichterzugänglich macht. Durch die Fixie-rung von Schwellenwerten, abdenen transatlantisch ausgeschrie-ben werden muss, verliert die öffentliche Hand Spielräume füreine autonome Einkaufspolitik. Sozial-ökologische Reformen desBeschaffungswesens wie Vergabe-und Tariftreuegesetze könnten mitTTIP-Regeln in Konflikt geraten.Aufgrund einer mangelnden Veran-kerung von Sozialstandards, wie esin CETA bereits der Fall ist, würdengerade soziale Vergabekriterien an-greifbar.

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