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55 2. Uber Azcs&reitung umd Extensiomshraft; vom G. Qzcimcke. Durch eine Reihe Arbeiten im 7. bis 15. Bande dieser Annalen habe ich den Nachweis gefiihrt, daB die von der Oberflachenspannung abhangigen Erscheinungen bei Fliissig- keiten mit sehr verschiedenem Wassergehalt und sehr ver- schiedener Viskositiit verschieden schnell, aber sonst ahnlich verlaufen. Die Oberflachenspannung ist quantitativ, aber nicht qualitativ verschieden. Bei allmahlicher kontinuierlicher Zu- oder Abnahme des Wassergehaltes und der Viskositat iindern sich die Oberflachenspannungen und die Randwinkel kontinuierlich. Die verschiedensten Fliissigkeiten, solange sie iiberhaupt noch fliissig waren, solange ihre kleinsten Teile sich gegeneinander verschieben konnten , zeigten Tropfen- oder Schaumbildung, also das Bestreben der Oberflache, mdglichst klein zu werden. Feste Eorper sind Fliissigkeiten mit sehr groBer Vis- kositilt. Man hat daher auch in der Oberflache fester Korper an der Grenze mit Luft, Fliissigkeiten oder anderen festen Korpern eine Oberflachenspannung anzunehmen. Mit anderen Worten, die aderste Schicht in der Nahe der Oberflache fester Iibrper hat das Bestreben kleiner zu werden, sich zu- sammenzuziehen. Ich habe auch schon friiher 1868 bis 1888 l) eine Reihe Erscheinungen beschrieben, welche sich durch diese Oberflachenspannung an der Grenzflache fester Kdrper er- klaren lassen. Es liegt daher meines Erachtens jetzt ebensowenig , wie friiher, ein Grund vor, eine negative Oberflilchenspannung an der Grenze von Flussigkeiten und festen Kdrpern anzunehmen, welche G. van der Mensbrugghe? Extensionskraft, und J. C. Maxwell? Oberflachendruck genannt haben. Tropfen 1) G. Quincke, Berl. Monatsber. 1868. p. 132; Wiedem. Ann. 2. 2) G. van der Mensbrugghe, Bull. d. Brux. (2) 40. p. 341. 1875; 3) J. C. Maxwell, Capillary action p. 63 in Encyclopaedia Britas- p. 145. 1877; 36. p. 561. 1888. (3) 12. No. 12. p. 34. 1886; (3) 13. No. 1. p. 5. 1887; 20. p. 254. 1890. nip (9 ed). 1876.

Über Ausbreitung und Extensionskraft

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2. Uber Azcs&reitung umd Extensiomshraft; vom G. Qzcimcke.

Durch eine Reihe Arbeiten im 7. bis 15. Bande dieser Annalen habe ich den Nachweis gefiihrt, daB die von der Oberflachenspannung abhangigen Erscheinungen bei Fliissig- keiten mit sehr verschiedenem Wassergehalt und sehr ver- schiedener Viskositiit verschieden schnell, aber sonst ahnlich verlaufen. Die Oberflachenspannung ist quantitativ, aber nicht qualitativ verschieden. Bei allmahlicher kontinuierlicher Zu- oder Abnahme des Wassergehaltes und der Viskositat iindern sich die Oberflachenspannungen und die Randwinkel kontinuierlich.

Die verschiedensten Fliissigkeiten, solange sie iiberhaupt noch fliissig waren, solange ihre kleinsten Teile sich gegeneinander verschieben konnten , zeigten Tropfen- oder Schaumbildung, also das Bestreben der Oberflache, mdglichst klein zu werden.

Feste Eorper sind Fliissigkeiten mit sehr groBer Vis- kositilt. Man hat daher auch in der Oberflache fester Korper an der Grenze mit Luft, Fliissigkeiten oder anderen festen Korpern eine Oberflachenspannung anzunehmen. Mit anderen Worten, die ade r s t e Schicht in der Nahe der Oberflache fester Iibrper hat das Bestreben kleiner zu werden, sich zu- sammenzuziehen. Ich habe auch schon friiher 1868 bis 1888 l) eine Reihe Erscheinungen beschrieben, welche sich durch diese Oberflachenspannung an der Grenzflache fester Kdrper er- klaren lassen.

Es liegt daher meines Erachtens jetzt ebensowenig , wie friiher, ein Grund vor, eine negative Oberflilchenspannung an der Grenze von Flussigkeiten und festen Kdrpern anzunehmen, welche G. van d e r Mensbrugghe? Extensionskraft, und J. C. Maxwell? Oberflachendruck genannt haben. Tropfen

1) G. Quincke, Berl. Monatsber. 1868. p. 132; Wiedem. Ann. 2.

2) G. van der Mensbrugghe, Bull. d. Brux. (2) 40. p. 341. 1875;

3) J. C. Maxwell, Capillary action p. 63 in Encyclopaedia Britas-

p. 145. 1877; 36. p. 561. 1888.

(3) 12. No. 12. p. 34. 1886; (3) 13. No. 1. p. 5. 1887; 20. p. 254. 1890.

n i p (9 ed). 1876.

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und Schaumwiinde wurden sich nicht unter dem EinfluS einer Extensionskraft bilden kBnnen.

Hr. G. van d e r Mensbrugghe hat auch in dem Bericht uber Kapillarerscheinungen auf dem Congrks international de physique zu Paris an dieser Extensionskraft festgehalten und gleichzeitig eine neue Theorie fur die Ausbreitung einer Fliissigkeit an der Oberfliiche einer anderen gegeben. Diese neue Theorie steht im Gegensatz zu der Blteren Erklarung der Ausbreitung durch die verschiedenen Spannungen von drei Flussig- keitsoberflachen, welche in einer Schnittlinie zusammentreffen.

Nach Hrn. G. van d e r Mensbrugghel ) wurde diese altere Theorie 1865 von Marangoni , und spater (1869) fast gleichzeitig von L u d t g e , van d e r Mensbrugghe und mir aufgestellt. Dazu mochte ich doch bemerken, daB die drei erstgenannten Forscher nur die Ausbreitung an freien, von Luft begrenzten Flussigkeitsoberflachen untersucht, und Ma - r a n g o n i iind L u d t g e den Satz aufgestellt haben, da6 alle Fliissigkeiten mit kleinerer Kohiisionskraft sich auf der Ober- flache von Flussigkeiten mit groSerer Kohasionskraft aus- breiten.8) Dies ist aber oft unrichtig und gilt nur fur den besonderen Fall, daB beide Flussigkeiten in jedem VerhAltnis mischbar sind und die Oberflachenspannung ihrer gemeinsamen Grenze Null ist.

Die bis 1869 unbekannte GroBe der OberflZichenspannung an der gerneinsamen Grenze zweier Flussigkeiten wurde erst von mir s, 1869 gemessen, und theoretisch und experimentell das Randwinkelgesetz bewiesen: ,,StoSen drei kapillare Ober- flachen in einem Punkte zusammen, so sind die AuSenwinkel eines Dreiecks die Randwinkel der Flussigkeitsoberflachen, dessen Seiten proportional den Rapillarkonstanten (Oberflachen- spannungen) der drei kapillaren Oberfliichen sind". Dies Ge- setz enthalt als besonderen Fall die Bedingungen der Aus- breitung, sobald ein Dreieckswinkel Null oder unmoglich wird.

In dem Artikel Capillary action von J. C. Maxwell in

1) G. van der Mensbrugghe, Rapport present4 au congrhs inter- national de physique r h n i & Paris en 1900. Paris So. 1. p. 505-509. 1900.

2) Vgl. G. Quincke in den Fortschritten der Physik 1870. p. 192; 1869. p. 181 u. 175.

3) G. Quincke, Gott. Nachr. 1869.p.100; Pogg. Ann. 139.p.58.1870.

Ausbreituiig und Extensioiiskraft. 57

der Encyclopaedia Britannica p. 62 und dem Lehrbuch der Physik von E. Riecke , p. 273 und 275 werdeu die Gesetze des Randwinkels und der Ausbreitung in der von mir ange- gebenen Weise abgeleitet, ohne daB mein Name genannt ist.

Gleichzeitig habe ich damals gezeigt, wie die Oberflachen- spannung der gemeinsamen Grenze zweier Fliissigkeiten mit zunehmender Dicke der auf ihr ausgebreiteten Schicht einer dritten Flussigkeit abnimmt und sich einem Minimalwert nahert, der schon bei einer sehr kleinen Dicke erreicht wird. Diese sehr kleine Dicke habe ich durch Messung von Rand- winkeln xu 0,001 mm gefunden.') Damit war zuerst nach- gewiesen, daB die Wirkungsweite der Molekularkrafte nicht unendlich klein, sondern meBbar ist, und der Schlussel fur damals unerklarliche Anderungen der Randwinkel gegeben.

Das Randwinkelgesetz war schon vor 1869 durch F. E. Neumann in seinen Vorlesungen uber Kapillaritat vorgetragen worden. In den 1894 herausgegebenen Vorlesungena) ist es bewiesen fur den Fall, daB eine der drei in einer Linie zu- sammentreffenden Flussigkeiten Luft ist. Fur drei beliebige Flussigkeiten ist es mit der von G a u s s angegebenen Methode bewiesen 1859 von P. du B ~ i s - R e y m o n d . ~ )

Jedoch mu6 ich in Widerspruch mit der Ansicht mancher Fachgenossen bemerken, daB die in der Theorie der Kapil- laritat von G a u s s und Neumann benutzten mathematischen Methoden sehr dunne Fliissigkeitsschichten nusschlieBen, also die Anderungen von Oberflachenspannungen und Randwinkeln durch sehr dunne Flussigkeitsschichten gar nicht berechnen oder berucksichtigen konnen, und eurzeit von der ,,Methode der Oberflachenspannungen" uberholt sind, welche T h om a s Young, J. P l a t e a u und ich benutzt haben.

Von diesen Anderungen und unsichtbaren Flussigkeits- schichten , die nur indirekt nachgewiesen werden konnen, hangen aber ab: die Beweglichkeit fliissiger Oberflachen, der Randwinkel von Fliissigkeiten und festen Korpern, die Hauch-

1) G. Quincke, G6tt.Nachr. 1869. p.217; Pogg.Ann.137.p.402.1869. 2) F. E. Neurnann, Vorlesungen uber die Theorie der Kapillaritiit,

3) P. du Boie-Reymond, De aequilibrio fluidorurn. p. 16. Diss. herausgegeben von A. Wangerin. p. 161. 1894.

Berol. 49 1859.

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bilder und Daguerrotype , die Vordrilngung einer Flussigkeit von der Oberflache eines festen Korpers durch eine andere Flussigkeit, die Adsorption von Fliissigkeiten und Salzlosungen an der Oberfliiche fester Ktirper, die periodische Ausbreitung und die dadurch hervorgerufenen Wirbelbewegungen, die schein- bare Anziehung und AbstoBung schwebender Teilchen , die freiwillige Bildung und Haltbarkeit von Emulsionen, die Kla- rung und Flockenbildung triiber und kolloidaler Losungen, die Gerinnung und Steifigkeit der Gallerte, die Gestaltung der Metallsalzvegetationen, der Zellen und Kristalle, die Quellung und Doppelbrechung der Qallerte. Auf alle diese Erschei- nungen konnen a180 die oben erwiihnten mathematischen Methoden zurzeit nicht angewandt werden.

Hr. G. van de r Mensbrugghe') gibt in seiner neuen Theorie der Bedingung, da5 eine Fliissigkeit 2 sich an der freien Oberfllche einer Fliissigkeit 1 ausbreitet, die Form

a r a, + a,, ai, = + aa - 2Pia

und nennt p,, die gegenseitige Wirkung der beiden Fliissig- keiten 1 und 2. a, und aa sind die Oberflachenspannungen an der Grenze der Fliissigkeiten 1 und 2 mit Luft, a,, die Oberflachenspannung der gemeinsamen Grenze beider Fliissig- keiten. Wenn die Verwandtschaft zwischen beiden Fliissig- keiten grot3 genug ist, sol1 ctla negativ werden und damit die Ausbreitung der Fliissigkeit 2 auf der Flussigkeit 1 erkllirt sein. Als experimenteller Beweis wird die periodische Ausbreitung eines Oltropfens auf lI4 proz. Liisung von kaustischem Natron an- gefuhrt, welche sich nach der alteren Theorie nicht erklaren lasse.

Ich habe,) 20 Jahre vor Hrn. (3.. van d e r Mensbrugghe periodische explosionsartige Ausbreitung eines Oltropfens auf einem grogen Teiche beschrieben und nach der alteren Theorie durch eine dunne Olhaut erklart, die auf der freien Wasser- oberflliche sich ausbreitet , deren Oberflachenspannung ver- kleinert, sich im Wasser auflost, dunner wird und verschwindet. Sobald die Oberflachenspannung der freien Wasseroberflache

1) G. van der Mensbrugghe, Bull. d. Brux. 20. p. 254. 1890;

2) G. Quincke, Pogg. Ann. 139. p. 76. 1870. Rapport 1. p. 506. 1900.

Ausbrcituny und Extensionshaft. 59

wieder genugend grog geworden ist, breitet sich der Oltropfen wieder mit einer Explosion aus, das Spiel beginnt von neuem.

Der Versuch gelingt nicht auf reinen Wasseroberflachen. Das Wasser meines Teiches (des sog. neuen Sees im Tier- garten bei Berlin) war wahrscheinlich Ammoniakhaltig , usd die Auflasung der dunnen Olhaut wurde wohl durch Seifen- bildung begunstigt.

a1 + ug werden. Dann mischen sich eben die Fliissigkeiten 1 und 2 in jedem Verhiiltnis, als ist Null oder negativ, und im Gleichgewichtszustand erscheinen die Flussigkeiten 1 und 2 nicht mehr durch eine gemeinsame Grenzfliiche getrennt. Sie beginnen zu diffundieren und sich zu mischen, sobald sie sich beruhren. I)

Wird eine Fliissigkeit 1 sehr ziihe oder fest, so bestimmt das Randwinkelgesetz den Rand winkel der freien Oberflache gegen eine feste Wand durch die Differenz der Oberfliichen- spannungen an der festen Wand. Der absolute Wert der Oberflachenspannungen laBt sich also aus dem Randwinkel nicht bestimmen, und insofern kiinnte negativ sein. Max- well halt es auch theoretisch fur wahrscheinlich, daS die Oberflfichenspannung an der Grenze von Flussigkeiten und festen Korpern negativ sei, und schliigt dafur den Namen Oberflachendruck vor. Meiner Ansicht nach wird in diesem Fall kein Gleichgewicht bestehen und der feste Kijrper 1 sich in der Flussigkeit 2 auflosen.

Aus der Oberflachenspannung ulz an der gemeinsamen Grenze einer Flussigkeit 2 mit einem festen Korper folgt das von mir 187i aufgestellte Perdriingungsyesetza): Bei Flussig- keiten die in jedem VerhZiltnis mischbar sind, verdrhgt die Flussigkeit mit kleinerer Oberfliichenspannung die mit gro6erer Oberflachenspannung ula von der Oberfllche der festen Substanz 1. Konzentrierte Losungen von Salzen oder Sauren verdrangen Wasser und verdiinnte Salzliisungen von Glasflgchen oder anderen festen Korpern. Die Adsorption von Salzlosungen oder Sluren an der Oberflache fester Korper, die Verdrangung von Olivenol durch Terpentinol (Pogg. Ann. 139. p. 61. 1870) oder von Kaliumkarbonatlosung durch Calcium-

GewiB kann 2 Pla

1) Sir W i l l i a m Thomson, Xature 34. p. 368. 1886. 2) G. Quincke, Wied. Ann. 2. p. 144. 1877.

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chloridlosung von einer Glaswand (Ann. d. Phys. 7. p. 732.1902) bestatigen dies Verdrangungsgesetz, da sich die Tatsachen BUS der von mir gemessenen GroIje der Oberflachenspannung vor- hersagen lassen.

Hr. G. van d e r Mensbrugghel ) bestreitet meine Er- klarung der freiwilligen Bildung von 0lemulsionen durch periodische Ausbreitung von Seifenlosung an der Qrenzflache von 01 und Wasser2), da die Oberflachenspannung an der Grenze von 01 und Wasser zu klein ware, um das 01 zu deformieren und in kleinc Tropfchen zu zerreiBen. Nach seiner neuen Theorie wird, sobald an der Trennungsflache zweier Fliissigkeiten eine chemische Wirkung stattfindet , die Spannung plotzlich durch eine Extensionskraft ersetzt und da- durch das 01 in kleine Tropfchen zerrissen.

Diese neue Theorie ist aber in Widerspruch mit der Er- fahrung. Ein Tropfen Sodalosung sinkt in einer von Wasser umgebenen Blase aus olsiiurehaltigem 01 unter und bildet feste Seife, ohrie Ausbreitung. Die Ausbreitung an der Grenzflache von 0 1 und Wasser erfolgt erst spater, oft erst nach 30 Sek., nachdem sich die Seife im Wasser aufgelost hat. Die Aus- breitung tritt nach, nicht wahrend der chemischen Wirkung auf.

Wenn die Oberflachenspannung an der Grenze von 01 und Wasser grog genug ist, um den Kugeln und Blasen von 0 1 ihre Gestalt zu geben, so mu5 sie oder eine ahnliche Kraft auch geniigen, urn diese Gestalt zu andern. Durch Ausbreitung von Seifenlosung an der Grenze von 01 und Wasser sinkt nach meinen Messungen 3, die Oberflachenspannung um 84 Proz. und damit ist die starke Gestaltsanderung der Olblase hin- reichend erklart.. Ich verstehe nicht, warum Hr. G. van d e r Mensbrugghe die altere Theorie mit der neuen vertauscht, und eine Extensionskraft annimmt, die experimentell nicht zu beweisen ist.

He ide lbe rg , 24. Mai 1904.

1) G. van der Mensbrugghe,‘ Bull. d. Brux. 21. p. 420. 1891.;

2) G. Quincke, Pflugers Arch. 19. p. 136. 1879. 3) G. Quincke, Wied. Ann. 35. p.586. 1888.

Rapport 1. p. 508. 1900.

(Eingegangen 28. Mai 1904.)