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1897. ANNALEN J? 2. DEB PHYSIK UND CHEMIE. NEUE FOLGE. BAND 60. 1. Ueber. dws Ausstr6me.n der Electricit& aus ehem Leiter +n die liuft und uber den Einfluss, we2che.n eine Ternperwturerholumny des Laiters auf diesen. Vovycmg wusllbt; vom A. Oberbec?~.~) 1. Aus den bisherigen Versuchen uber das Verhalten der Luft gegen Electricitat geht hervor, dass dieselbe bei Atnio- spharendruck und gewohnlicher Temperatur als ein sehr voll- kommeiier Isolator anzusehen ist. Sie verliert indess ihre Isolationsfahigkeit unter verschiedenen Urnstanden, von deneii hier die folgenden angegeben werden sollen. a) Uebersteigt die Dichtigkeit der freien Electricitat an der Grenze eines geladenen Leiters gegen Luft einen gewissen Werth, so geht E1ectricitii.t an, bez. durch die Luft. Man muss annehmen, dass dieselbe durch starke electrische Krafte eine Modification erleidet, bei welcher sie Electricitat fort- pflanzen kann. Ausser den gewohnlichen Entladungserschei- nungen in Form von Funken, Glimmen, Buscheln wollen wir hier noch die sogenannten Transversalentladungen anfiihren, welche Hittorf a) und Andere untersucht haben, eowie die entladende Wirkung einer Funkenstrecke (N accari)s) auf einen benachbarten geladenen Leiter. b) Wird ein geladener Leiter von Lichtstrahlen getroffen, so wird in vielen Fallen durch dieselben eine Entladung be- wirkt. Dieselbe hilngt von mannichfaltigen Umstanden, haupt- sachlich von der Beschdenheit der Oberflache des Leiters und von der NtLtur der Lichtstrahlen ab. 1) Im Auszug veroffentlicht: Sitzangsber. der Berliner Akad. 17. 2) Hittorf, Wied. Ann. 7. p. 614. 1579. 3) Naccnri, Beibl 13. p. 421. 1889; 14. p. 665. 1890. p. 313. 1595. Ann. d. Plivs. 11. Chcni. N. F. GI). 13

Ueber das Ausströmen der Electricität aus einem Leiter in die Luft und über den Einfluss, welchen eine Temperaturerhöhung des Leiters auf diesen Vorgang ausübt

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1897. ANNALEN J? 2. DEB

PHYSIK UND CHEMIE. NEUE FOLGE. BAND 60.

1. Ueber. dws Ausstr6me.n der Electricit& aus e h e m Leiter +n die liuft und uber den Einfluss, we2che.n eine Ternperwturerholumny des Laiters auf

diesen. Vovycmg wusllbt; vom A. O b e r b e c ? ~ . ~ )

1.

Aus den bisherigen Versuchen uber das Verhalten der Luft gegen Electricitat geht hervor, dass dieselbe bei Atnio- spharendruck und gewohnlicher Temperatur als ein sehr voll- kommeiier Isolator anzusehen ist. Sie verliert indess ihre Isolationsfahigkeit unter verschiedenen Urnstanden, von deneii hier die folgenden angegeben werden sollen.

a) Uebersteigt die Dichtigkeit der freien Electricitat an der Grenze eines geladenen Leiters gegen Luft einen gewissen Werth, so geht E1ectricitii.t an, bez. durch die Luft. Man muss annehmen, dass dieselbe durch starke electrische Krafte eine Modification erleidet, bei welcher sie Electricitat fort- pflanzen kann. Ausser den gewohnlichen Entladungserschei- nungen in Form von Funken, Glimmen, Buscheln wollen wir hier noch die sogenannten ’ Transversalentladungen anfiihren, welche H i t t o r f a) und Andere untersucht haben, eowie die entladende Wirkung einer Funkenstrecke (N accari)s) auf einen benachbarten geladenen Leiter.

b) Wird ein geladener Leiter von Lichtstrahlen getroffen, so wird in vielen Fallen durch dieselben eine Entladung be- wirkt. Dieselbe hilngt von mannichfaltigen Umstanden, haupt- sachlich von der Beschdenheit der Oberflache des Leiters und von der NtLtur der Lichtstrahlen ab.

1) Im Auszug veroffentlicht: Sitzangsber. der Berliner Akad. 17.

2) Hit torf , Wied. Ann. 7. p. 614. 1579. 3) Naccnri , Beibl 13. p. 421. 1889; 14. p. 665. 1890.

p . 313. 1595.

Ann. d. Plivs. 11. Chcni. N. F. GI). 13

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Jedoch scheint hierbei ausschliesslich die negative Electri- citat entladen zu werden. I)

Zur Erklarung dieser Erscheinung kann die Thatsache dienen , dass die wirksamen Oberflachen bei Beruhrung mit der Luft durch Bestrahlung positiv electrisch werden und dass auf diese Weise die negative Ladung vernichtet wird.

Buch die Entladung durch die X-Strahlen gehort wohl hierher. Doch tritt dabei kein durchgreifender, polarer Unter- schied der beiden Electricitaten ein.

c) Eine erhebliche Temperaturerhohung (bis zur Rothgluth) macht die Gase leitend.

Eine hiermit verwandte, in mancher Beziehung aber doch davon verschiedene Erscheinung ist die Entladung eines iso- lirten Leiters, wenn in der Nahe desselben ein abgeleiteter Conductor bis zur Rothgluth erhitzt wird. Doch tritt hierbei wieder ein polarer Unterschied in dem Verhalten der beideii Electricitiiten auf.

Wahrend bei Rothgluth des abgeleiteten Conductors die negative Electricitat schnell und vollstindig entladen wird, findet dies bei einem positiv geladenen Leiter nicht statt. Bei letzt- erem beginnt die Entladung erst dann, wenn die Temperatur cles erhitzten Leiters bis zur Weissgluth gesteigert wird. 2,

Nach E l s t e r und Ge i t e l ist diese Erscheinung durch die Thatsache zu erklaren, dass die Luft in Beriihrung mit einem rothgliihenden Korper positiv electrisch wird und dass dann electrisirte Lufttheilchen , durch den negativ geladenen Leiter angezogen , die Entladung desselben bewirken. Ein positiv geladener Leiter kann daher durch diesen Vorgaiig nicht entladen werden.

Bei Beriihrung der Luft mit einem weissgluhenden Leiter fullt sich dieselbe mit positiv und mit negativ geladenen

1) J. E l s t e r u. H. G e i t e l , Wicd. Ann. 57. p. 24. 1896. 2) Literatur iiber diese und verwandte Erscheinungen: G u t h r i e ,

Chem. News 45. p. 116; Beibl. 6. p. 686. 1882; J. E la ter u. H. G e i t e l , W i d Ann. 19. p. 588. 1883; 26. p. 1. 1885; 31. p. 109. 1887; 37. p. 315. 1859; 38. p. 27. 1889; Sitzungsber. der Wiea. Akad. (2) 9i. p. 1175. 1889; K. W e s e n d o n c k , Wied. Ann. 30. p. 1. 1887; R. Koch , Wed. Ann. 33. p. 454. 1888: B r a n l y , Compt. rend. 114. p. 831. 1893; p. 1531. 1892.

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d usstriim en det Llcctricitiit. 196

Theilchen, sodsss dsnn auch die Entladung der positiven Electricitat erfolgen kann.

Dieselbe Erscheinung tritt bei vielen anderen Gasen und Dampfen ein. Dagegen zeigen Wasserstoff und die Zersetzungs- producte von Fettdampfen das entgegengesetzte Verhalten. nieselben werden bei Beriihrung mit einem gliihenden Leiter negativ electrisch. Dementsprechend wird in ihnen ein gliihen- tler, positiv geladener Leiter leichter entladen, als ein negativ geladener.

Die zuvor angefuhrten Untersuchungen beaiehen sich auf dns Verhalten gliihender Drahte.

Die Electricitatserregung der Gase bei Beriihrung mit Leitern, deren Temperatur unter der Rothgluth liegt, bat vor kurzem G. Vincen t in i l ) studirt, indem er das Potential beob- achtete, bis zu welchem ein isolirter Platindraht geladen wurde, wenn in seiner Nahe durch einen zweiten Draht ein Strom geleitet wurde, welcher denselben auf verschiedene Temperaturen erwarmte. Ferner war es hierdurch moglich, dem erwarmten Draht je nach der Anordnung ein positives oder negatives Potential von einigen Volt zu ertheilen.

Die Hauptresultate waren hierbei die folgenden 2):

,,Ein zwischen 200 und 600° erhitzter Platindraht electrisirt die ihn umgebende Luft sehr schwach und verleiht ihr ein posi- tives Potential von einigen Hundertstel Volt. Ueber 600° nimmt die Electrisirung langsam zu und erreicht ein Maximum bei 1 OOOu. Wenn der Platindraht ein positives Potential von + 4 Volt besitzt, so ertheilt er dem isolirten Draht bei einer Temperatur von 200-600° nur eine Ladung von + 0,2 Volt. Oberhalb 650 wilchst die Electrisirung schnell und erreicht bei 7500 dasselbe Potential wie der gliihende Draht. 1st das Potential des erhitzten Drahtes - 4 Volt, so bewirkt er bei Temperaturen unter 650° eine schwache negative Ladung des isolirten Drahtes. Von 650-900 O wachst dieselbe langsam, von 900- 1050 schnell, wobei der isolirte Draht dasselbe Potential aufweist, wie der gltihende."

1) G . V i n c e n t i n i , Beibl. 1% p. 876. 1894; 1'3. p. 521. 1895;

2) Vgl. Naturw. Rundschau p. 468. Naturw. Rundschau 11. p. 468. 1896.

1 3 1

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Hiernach erfolgt also die positive Electrisirung der Luft schon bei verhaltnissmiissig iiiedrigeren Temperaturen und ist der Uebergang der positiven Electricitat beoorzugt. Mail kiinnte daher erwarten, dass sich die ohen erwahnten bei Rothgluth stark auftretenden Entladungserscheinungen nega- tiver Electricitat (infolge leichteren Ueberganges der positiven Electricitat) auch schon bei niedrigeren Temperaturen nach- weisen liessen und dass eine Temperatursteigerung uberhaupt den Ausfluss der positiveii Electricitat begiinstigen miisse, aucli in dem Falle, wo die Hauptursache desselben eine andere ist.

Versuche, welche ich hieruber anstellte, fiihrten von selbst auf die allgerneinere Frage nach den Bedingungen, unter welchen Electricitat infolge grossen Potentialgefalles von eineni lleiter an die Luft ubergeht, insbesondere aber nach dem Einfluss, welchen die Temperaturerliohung des Leiters hierauf ausiibt.

Trotz einer grossen Zahl von Untersuchungen uber die Glimm- uiid Buschelentladungen ist es bis jetzt nicht gelungen, fur dieselben quantitative Gesetze von grosserer Allgemeinheit aufzustellen. Nur soviel weiss man, dass zum Beginn des Ausstromens ein gewisser Grenzwerth der Dichtigkeit oder des Potentialgefalles uberschritten sein muss.

Dieser Grenzwerth scheint unter sonst gleichen Umstandeii von dem Vorzeichen der sich entladenden Electricitiit ab- zuhiingen. Bei rlem Ausstromen aus einer Spitze ist gewohiilicli die zum Beginn der Entladung erforderliche Diclitiglteit ge- ringer, wenii die Ladung eine negative ist. Doch komrneii auch Ausnahmen von dieser Regel v0r.I)

Nach A. Heydwei l le rz ) sol1 ein Unterschied der Dichtig- keiten positiver und negativer Electricitit, welche zum Beginu der Entladung aus einer Kugel von 0,5 cm Durchmesser er- forderlich sind, niclit vorhaiiden sein.

G. J a u m a i i n 3, findet das Potentialgefalle fur die Ent- ladung aus dunnen Drahten grosser, wenn die Ladung negativ, als weiin sie positiv ist.

Eine allgemeine Regel, wonach die eine Electricitatsart sich leichter entladet rtls die andere, scheint hiernach nicht zu existiren.

1) J. Precht , Wied. Ann. 49. p. 168. 1893. 2) Heydwei l ler , Wied. Ann. 48. p. 110. 1893. 3) G. Jaumann, Sitzungsber. d. Wien. Akad. (2) 97. p. 1587. 1889.

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..lusstriimen der Blectricitiit. 197

Es entsteht nun die Frage, welchen Einfluss hiermf eine Temperaturerhohung des Leiters ausiibt. Diese Temperatur- erhohung sollte bis Zuni Gliihen gesteigert werden , um fest- zustellen, in welchem Zusammenhang die sich dabei etwa er- gebenden polnren Unterschiede mit den zuvor besprochenen Erscheinungen der unipolaren Leitung stehen.

Zur Beantwortung dieser Frngen wurde die folgende Ver- suchsanordnung benutzt.

Ein leitender Korper wird von einer Hartgummisaule ge- tragen. Derselbe ist mit der inneren Belegung einer kleinen Leydener Flasche und mit einem B r a un'schen Electrometer verbunden , an welchem der Potentialwerth des geladenen Systems a bgelesen werden kann.

Die Theilung des Electrometers war mit Hulfe einer electrostatischen Waage gepriift worden. Sie hatte sich als richtig erwiesen. Nur betrug der absolute Werth eines jeden Theilstriches, welcher von Clem Verfertiger zu 1000 Volt ail-

gegeben war, 1124 Volt. Dem oben erwahnten Leiter wird ein mit der Erde ver-

bundener Conductor genahert, auf welchem durch Ixifluenz eine Ladung von messbarer Dichtigkeit hervorgerufen wird. Ausser- dem sollte die Temperatur desselben in weiten Grenzen ver- iindert und auch gemessen werden. Demgemass wurden hierzu Platindrahte gewahlt, welche durch electrische Strome leicht nuf hohere Temperaturen gebracht werden konnten. Das eine Ende derselben war stets zur Erde abgeleitet, sodass die durch den Strom hervorgebrachte electrische Spannung sehr klein ist und im Vergleich zu den erheblichen Potentialwerthen des electrischen Kraftfeldes, in welchem sich der Draht befindet, zu vernachlassigen ist.

Der Draht ist zwischexi zwei schmalen Streifen von Kupfer- blech ausgespannt, welche an einer Hartgummiplatte befestigt sind. Diese ist auf einer Theilmaschine derart angebracht, dass sie durch die Mikrometerschraube derselben verschoben und bis auf Hundertstel Millimeter genau eingestellt werden kann.

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19s A. Oberhech.

Die ganze dnordnung ist aus nachstehender Figur zu er- sehen. Als isolirter Leiter dient hier eine Kupferplatte n', welcher der Draht B gegenubersteht. Derselbe kann parallel mit sich selbst verschoben werden. Durch die Kupferblech- streifen S und S' wird demselben der electrische Strom zu- gefuhrt.

Bei Anniiherung des Drahtes an den geladenen Leiter wird ersterer durch Influenz electrisirt. Erreicht die Dichtig- keit der Electricitat an derjenigen Stelle des Drahtes, wo das Kraftfeld am grossten ist, einen gewissen Grenzwerth, so geht die Electricitat aus dem Draht in die Luft iiber und fiiesst nach dem isolirten Conductor, dessen Potential zu sinken be- ginnt. Die entsprechenden Potentialwerthe werden jedesmal fur bestimmte Entfernungen des Drahtes abgelesen.

Durch Benutzung der Mikrometerschraube wird erreicht, dass wahrend der ganzen Versuchs- reihe der Zustand des electrischen Kraft- feldes nur sehr wenig vom Gleichgewicht verschieden ist. Hier- durch wird die Bc-

obachtung des Entlrtdungspotentials vereinfacht. Es hat sich niimlich bei friiheren Versuchen (von Rontgen') und Prechta) ) gezeigt, dam, wenn bei der Entladung der Electricitat aus feinen Spitzen grossere Mengen an die umgebende Luft uber- gegangen sind, dieselbe derartig verilndert worden ist, dass die Entladung bei einem hoheren Potential beginnt und bei einem niedrigeren Potential aufhbrt, dass man also zwischen einem Anfangspotential und einem Bndpotential oder Ninimum- potential zu unterscheiden hat.

Dies ist bei der von mir getroffenen Versuchsanordnung nicht erforderlich. Bei Anniiherung des Drahtes aus grosser Entfernung bleibt zuerst das Potential des geladenen Leiters constant. Von einer bestimmten Lage an sinkt dasselbe uncl

I) W. Rontgen, Gott. Nachr. 1878. p. 390. 2) J. Precht , Wied. Ann. 49. p. 150. 1893.

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Ausstromen der Mectricitat. 199

geht bei weiterer Anniiherung mehr und mehr zuriick. Dabei eiitspricht aber jeder Entfernung des Drahtes von clem Con- ductor ein gewisser Potentialwerth, welcher an dem Electro- meter abgelesen wird.

Die Redeutuiig desselben fur den Vorgang der Entlsdung geht aus der folgenden Beobachtung hervor. Der AusAuss der Electricitat aus dem Draht erfolgt jedenfalls zuerst an der Stelle, wo die Dichtigkeit oder das Potentialgefalle am grossten ist. Bei der getroffenen Versuchsanordnung konnen diese Grossen berechnet werden.

Befindet sich ein abgeleiteter geradliniger Draht von sehr kleinem Durchmesser in einem electrischen Kraftfelde, welches fur einen Theil des Drahtes nahexu constant ist und dort dem Potential Y , entspricht, so ist die Dichtigkeit der freien Electricitat ail der betreffeiiden Stelle der Drahtoberflache :

v, 4nq log- 1 ’

h = -

(’ das Potentialgefalle :

wenn 2 die Lange, 0 der Radius des Drahtes ist. 1st der Werth des Potentials auf dem isolirten Conductor

bekannt - derselbe niag mit V, bezeichnet werden -, so kann man nach den Regeln der Potentialtheorie berechnen, wenn der Conductor gewisse einfache Formen hat.

Ausser fiir die Rugel gestaltet sich diese Rechnung fur ein Ellipsoid sehr einfach. Insbesondere kann auch eine dunne, kreisformige Platte als besonderer Fal l eines abgeplatteten Rotationsellipsoids angesehen werden.

Demnach wurden als isolirte Conductoren eine Kugel und eine kreisfdrmige Platte benutzt. Im ersteren Falle ist:

wenn R der Radius der Kugel, r die Entfernung des be- treffenden Punktes vom Mittelpunkt ist.

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Im zweiten Falle ist fiir einen Punkt der Axe:

wenn x die Entfernung des Punktes von der Scheibe, R deren Radius ist.

Ich lasse zunachst eine Versuchsreihe als Beispiel folgen. Bei derselben war vor einer Kupferplatte von 64 mm Durch- messer ein Platindraht von 200 mm LLnge und von0,056 mm Durchmesser ausgespannt. Unter F\ stehen die beobachteten Potentialwerthe fur die Entfernungen I, unter V, die nach der letzten Formel daraus berechneten Werthe.

T a b e l l e I.

x m m

40 35 30 25 20 15 10

s; 11260 10130 9010 7995 6980 GOY0 5180

5050

4473 4242

3.

Die Abnahme von V, bei Annaherung des Drahtes ist eine verhaltnissmassig geringe. Ja man kann sich die Frnge vorlegen , ob dieselbe nicht blos eine sclieinbare ist, infolge der mangelhaften Berechilung des ganzen Vorgnnges und ob dieselbe nicht darauf zuriickgefuhrt werden kann, dass durch den abgeleiteten Draht eine merkliche Rilckwirkung durch In- fluenz auf den Condensator ausgeubt wird, gross genug urn die Abnahme des Potentials bei grosserer Annaherung zu erklaren. Eine exacte Behandlung dieses Vorganges ist mit grossen analytischen Schwierigkeiten verbunden. Auf die fol- gende Weise kann man aber eine Correction erhalten, welche bei griisseren Entfernungen jedenfalls zutreffend ist. Nach den fruheren Auseinandersetzuiigen handelt es sich dann um das folgeude Problem. Der isolirte Condensator ist durch einen Iangeren Draht mit der inneren Belegung einer Leydener Flasche verbunden, deren Capacitlt gross ist im Vergleich zu derjenigen des Leiters. Wird letzterem ein zweiter, abgeleiteter

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Conductor genahert, so wird derselbe entgegengesetzt electriscli und wirkt influenzirend auf den ersten Conductor zurtick. Hierdurch wird die ursprungliche Ladung desselben vergrossert, wahrend die entgegengesetzte Electricitat an die entfernte Leydener Flasche abfliesst. In erster Annaherung kann man sich die neue Ladung auf dem Conductor so ausgebreitet denken, als ob sie fiir sich im Gleichgewicht ware. Sie wird also auch die Fernwirkung des Conductors verstarken und zwar urn so mehr, j e nilher der abgeleitete Conductor heran- ruckt.

Die urspriingliche Ladung des ersten Conductors bei dem Potential V0 sei E, seine Capacitat C. Dann ist:

l$ = c 1;.

1st die Entfernung der beiden Leiter gross im Vergleich zu ihren Dimensionen, dann ist der Werth des Potentials von E in der Gegend des zweiten Conductors:

E 1'

wo r eine gewisee, mittlere Entfernung der beiden Leiter ist. 1st e die auf dem

sammelte Menge, c die tential auf demselben

weil derselbe abgeleitet

zweiten Leiter durch Influenz ange- Capacitit derselben, so ist das Po-

ist. Also:

E c r

c = - -..

Das Potential von e auf dem ersten Conductor ist wieder in erster Andherung:

E . - . r

Also tritt an Stelle der frtiheren Gleichung:

E p, = -c,

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die neue Gleichung:

Diese Schlussfolgerungen werden auch dann noch gelten, wenn eine grossere Anzahl kleiner, abgeleiteter Conductoren vor- handen sind. Es ist dann:

wobei die Summe uber die Capacitaten bez. die Entfernungen der einzelnen Condensatoren zu nehmen ist. Handelt es sich dabei urn die aneinander gereihten Elemente eines sehr langen, geradlinigen Drahtes und ist c1 die Capacitat der L'lingen- einheit, so ist:

- w.

Fur einen Draht von der Lange I (welche gross ist im Ver- gleich ziim Radius) und dem Radius 0 ist:

1st der primare Leiter eine Kugel vom Radius R, so ist:

Besteht derselbe aus einer Ereisscheibe mit dem Radius K, so ist:

C = R.

Im Fall der Kugel ist V, aus der Formel: E I2 v, p = - =

1 5 7IR

zu berechnen , wo x die Entfernung des Kugelmittelpunktes vom Drahte ist.

Far die Kreisscheibe kann man in erster Annaherung schreiben:

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rlusstromen der Electricitut. 203

1 !’

1 -

s log -

Hier ist x die Entfernung des Mittelpunktes der Platte vom Drahte. Man ubersieht, dass man dadurch besonders f ir kleinere Entfernungen etwas ubercorrigirte Werthe von 5, d. h. etwas zu grosse Werthe erhalt. Jedenfalls kommen die- selben aber den wahren Werthen naher, als die nicht corrigirten, sodass ich in den spater mitzutheilenden Tabellen stets die eben besprochenen Correcturen angebracht habe.

4.

Wie fruher besprochen, wurde die Temperatur des Drahtes clurch Hindurchleiten electrischer Strome verandert. Urn aus den Intensitaten derselben auf die Temperatur schliessen zu konnen , waren die Verhaltnisse der Widerstande der Platin- drahte bei verschieden starken Stramen zu dem Widerstand bei Benutzung eines schwachen Stromes festgestellt worden.

Ausserdem waren die Drahte bis zu bekannten Tempera- turen erwiirmt und die denselben entsprechenden Widerstande bestimmt worden. Doch erstreckten sich diese Messungen nur auf Temperaturen bis etwa 300O. Sehr willkommen war mir daher die VerZjffentlichung einer Untersuchung von L. Hol- b o r n und W. W i e n l), welche die Veranderungen des Wider- standes von reinem Platin bis zu Temperaturen von 1500O ge- messen haben. Sie haben dabei fur zwei verschiedene Platin- drahte bis 1000° Uebereinstimmung gefunden. Ich habe daher die von ihnen gefundenen Zahlenverhaltnisse auch fur die Wider- standsanderungen meiner Drahte von reinem Platin benutzt. Die hiernach berechneten Temperaturen der Platindrahte sind in den folgenden Tabellen unter t angegeben.

Ferner stehen neben den Entfernungen y des Drahtes von der Kugelflache (also: x = y + R) die nach der oben an- gegebenen Formel corrigirten Werthe von V, in Volt, bei positiver bez. negativer Ladung des Conductors.

1) L. Holborn u. W. Wien, Wied. Ann. 66. p. 360. 1896.

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204 A. ObeTbeck.

t 200 140°

ymm - / + - J +

T a b e l l e 11. K w e l von 11.5 mm Radius. Platindrnht von 0.1 mm Durchmesser.

3200 430” 560°

- I + - I + , - l +

- t

200 4280 110 3810 260 3290 450 2810

680 570 2,

+ 4280 3550 2920 2330 2060 1910

t

200 210 220 320 380 450 500 560

+ -

6170 6030 5190 5120 4350 3860 3790 3230 3510 2880 3) 2130

2450 2380

4,

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Ausstriimcn der Electricitat. 205

Tabe l l e V. Kupferscheibe von 64 mm Durchmesser. Platindraht von 0,05 mm 7 9 --Ti 180 5540 4290 ti: 4020

260 3810 3530 3320 2630

570 2350 680 2280

Aus den mitgetheilteii Beobachtungen ergiebt sich Fol- gendes:

a) Die Entladungspotentiale sind bei gewohnlicher Tem- peratur von den Durchmessern der Drahte abhangig. J e dlinner der Draht, um so niedriger liegen dieselben. Zu demselben Resultat ist bereits G. J a u m a n n 2, gelangt. Die von demselben iiach einer wesentlich verschiedenen Methode gefundenen Ent- ladungspotentiale fur Drahte von 0,05 und 0,l mm Durch- messer betrugen in runder Zahl fur positive Electricitat: 3700 und 4700 Volt, fur negative: 3800 und 5000 Volt, sind also von derselben Grossenordnung wie diejenigen Werthe, welche aus den mitgetheilten Tabellen folgen.

b) Bei Benutzung des kugelformigen Conductors sind die Entladungspotentiale kleiner wie bei der Kreisscheibe. Es scheint daher nicht allein auf den Maximalwerth des Kraft- feldes, sondern auch rtuf den ganzen Verlauf der Kraftlinien anzukommen.

c) Bei gewohnlicher Temperatur sind die Potentiale fiir die beiden Electricitiiten wenig voneinander verschieden. Bei einer Versuchsreihe (Tab. 111) sind sie einander gleich , bei zwei tinderen ist das Potential bei positiver Ladung des Con- ductors das grossere, bei einer Reihe ergiebt sich das umge- kehrte Resultat. Es scheint sich dabei urn einen Einfluss der Oberflachenbeschdenheit des Drahtes zu handeln, fur welchen ich bis jetzt noch eine Gesetzmassigkeit nicht habe auffinden kijnnen.

1) Vollstindige Entladung. 2) G. Jaumann, Sitzungsber. d. Wien. Akad. d. Wissensch. (2)

97. p. 1587. 1896.

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206 -4. Oberbeck.

d) Die Temperaturerhohung des Drahtes bewirkt zweierlei ; einmal eine Herabsetzung des Entladungspotentials fur beide Electricitaten, zweitens einen sich immer mehr und mehr aus- pragenden, polaren Unterschied derselben; und zwar ist stets dns Entladungspotential fur positive Ladung kleiner, als dasjenige fdr negative Ladung. Mit anderen Worten: Bei erhohter Tem- peratur fliesst aus einem diinnen Draht infolge des electrischen Potentialgefalles negative Electricitat leichter aus als positive.

Es findet demnach eigentlich das Gegentheil von dem statt, was man vielleicht aus den Erscheinungen der unipolaren Leitung hatte schliessen konnen , indem man daraus folgert, dass die positive Electricitat leichter an die Luft ubergeht.

Nach den mitgetheilten Beobachtungen hat man es mit zwei verschiedenen Erscheinungen zu thun, von denen die eine: Herabsetzung des Entladungspotentials durch Temperatur- erhohung schon bei geringer Erwarmung beginnt und dann immer weiter zunimmt , wahrend die andere erst zwischen 450-500° merklich wird , dann aber fortwahrend andauert und schliesslich zu einer vollstandigen Entladung des negativ geladenen Conductors fiihrt.

5. Die beschriebenen Erscheinungen lassen sich auch in ver-

diinnter Luft nachweisen. Jedoch lassen sich hier die Beob- achtungen nicht mit derselben Prlcision ausfuhren.

Es wurde die folgende Anordnung benutzt. Ein Luft- pumpenteller war doppelt durchbohrt ; in die Durchbohrungen waren isolirte Leitungen eingesetzt, welche in Klemmschrauben endeten. Dieselben trugen verticale Kupfertrager , zwischen denen der Platindraht ausgespannt wurde.

Die Glocke des Recipienten war ebenfalls durchbohrt und war an der isolirten Zuleitung eine Kupferplatte befestigt, welcher parallel1 der Draht in einer Entfernung von 10 mm verlief. Mit der isolirten Platte stand das Electrometer in Verbindung. Es zeigte sich, dass dasselbe bei Ladung mit Electricitat einen gewissen Grenzwerth des Potentials annahm, wiihrend der Ueberschuss durch den abgeleit,eten Platindraht abfloss.

Da es nicht moglich war, die Entfernung zwischen Draht und Platte zu verandern, so wurde zuerst die eben besprochene

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0 7,o 770 0 0,s G,O 5,6 098

192 497 4,3 1 4 194 4,3* 390

1 70 9,3 4,9 1,2

599 5,9 5,o 473

3,6* 3,0 491 3,8

i l - l + 1 - i-

dusstriimen der Electricitiit. 207

Ladung ertheilt , wahrend der Platindraht kalt war und das Potential derselben am Electroden abgelesen. Hierauf wurde ein Strom durch den Draht geleitet und das - jetzt geringere - Potential von neuem bestimmt.

Derartige Versuche wurden angestellt , einmal bei ver- schiedenem Druck der Luft , ferner fiir positive und negative Electricitat.

Die Temperaturbestimmungen des Drahtes wurden hierbei ziemlich unsicher, da durch die starkeren Strome der ganze Recipient Gch erwarmte und dann die Warmeabgaben des Drahtes unter veranderten Verhaltnissen stattfanden.

Ich theile daher bei den folgenden Angaben die Starken der hindurchgeleiteten StrSme in Ampere mit und gebe die Potentiale einfach in Scalentheilen des Electrometers, von denen jeder etwas mehr als 1000 Volt reprasentirt. Dieselben sind also nicht identisch mit den frliheren Werthen der Entladnngs- potentiale V,, sind denselben aber proportional, da eine Ver- Bnderung der relativen Lage der beiden Leiter nicht stattfand.

Hiernnch diirften die folgenden Tabellen verstnndlich sein :

T n b e l l e VI.

Page 16: Ueber das Ausströmen der Electricität aus einem Leiter in die Luft und über den Einfluss, welchen eine Temperaturerhöhung des Leiters auf diesen Vorgang ausübt

208 A . Obsrbeck. dusstriimen der h’lectricitat.

Die (*) in den einzelnen Reihen bedeuten, dass der Draht .deutlich rothgluhend war und dass eine weitere vollstandige Entladung stattfand. Hierzu mochte ich bemerken, dass diese Entladung iiberhaupt vie1 langsamer von statten ging als bei der Beobachtung in der freien Luft. Wahrend bei Strom- schluss ziemlich schnell der in den Tabellen bezeichnete Ab- ‘fall des Potentials von dem Werthe fur i = 0 sich vollzog und dann die Electrometernadel bei positiver Electricitat und bei niedrigeren Temperaturen des Drahtes auch fdr negative Electricitat eine constante Stellung einnahm, fol’gte bei den durch ein Kreuz bezeichneten Beobachtungen noch ein weiterer, Inngsamer, aber lange andauernder Ruckgang.

Im ganzen zeigen die zuletzt mitgetheilten Beobachtungen, dass die Verhaltnisse sich auch bei verdunnter Luft nicht wesentlich verandert haben. Man ubersieht zunachst , dass durch die Verdunnung allein - wie bekannt - die Potential- werthe sinken, zunachst gleichmassig fur + und - Electricitat, bei geririgem Druck etwas starker fir eine positive Ladung. Dann tritt noch der Einfluss der erhohten Temperatur des Drahtes hinzu, durch welchen ein weiteres Sinken des Potentials bewirkt wird und zwar stets bedeutender fur positive, rtls fur negative Electricitiit, sodass auch hier der Satz, dass der busfluss der negativen ElectricitBt (aus dem Draht) bei er- hohter Temperatur leichter erfolgt als derjenige der positiven seine Gultigkeit behalt.

T i ib ingen , den 16. November 1896.