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246 Ueber den Bau der Ganglien bei den V~)gcln Von Dr. M. Schiff. Gr0ssere Schwierigkeiten, als bei irgend einer anderen Abtheilnng der Wirbelthiere, hat his jetzt die Untersuchung des Banes der Gan- glien bei den VOgeln geboten: so dass, trotz vieler Bemtihungen aus- gezeichneter Forscher, die Structur dieser Theile bei den anderen Thier- klassen zu ergriinden, fiber die Ganglien der VOgel kaum einige diirf-- tige Notizen ver0ffentlicht sind. Robin gab zwar an, dass es, niichst den Plagiostomen, bei V0geln am leichtesten gelingen solle, die Verbindung je einer Gan- glienkugel mit einer eintretenden und einer anstretenden Nervenfaser zu sehen; aber die vielen ZeIlgewebsfasern in den Ganglien der VOgel scheinen Robin irre geffihrt zu haben. In der That hat Bidder, der ffir alle Wirbelthiere ein fihnliehes Verhalten wie Robin annimmt, ge- rade fiir die VOgel seine Ansicht durchaus night erweisen k0nnen. Aus sehr unzweideutigen, bei V0getn beobachteten Verh~iltnissen v e r m u- thet er hier einen iihnlichen Bau, wie bei den Fischen. R. Wagner, K011iker und Andere, welche Untersuchnngen fiber den Bau der Ganglien angestetlt haben, sprechen fast gar night yon denen der VOgel. Auch meine eigenen frtiheren Untersuchungen, die ich theilweise lm 9ten'Bande des Ttibinger Archives mitgetheilt habe, lehrten-reich fiber die V0gel nights Bestimmtes. Indem ich die 6anglien unter dem Mikroskope mit l~adeln zerfasert hatte, war es mir bei Untersuchungen an Fringilla coelebs~ Pyrgita domestica and Otus brachyotus nut einige Male gelungen, Ganglienkugeln zu finden, an die sieh-eine ein- zige Nervenfaser ansetzte. Spuren doppelter ]Nervenfasern dagegen er- kannte ieh gar nicht, oder nut ein einziges Mal beim Buchfinken auf h0chst unbestimmte Weise. Die, fur die Physiologie nnd Anatomie h0chst wiehtige Frage, ob aus den Ganglienkugeln neue Nervenfasern entstehen~ welehe sieh dem durchtretenden Nervenstamme zugesellen, oder ob diese Kugeln im In- nern der Seheide der, in das Ganglion tretenden Fasern selbst liegen, so dass keine Vermehrung der 51erven durch sie Statt finde, ist ftir die Fische seit den Entdeckungen yon Wagner, Robin, Bidder und R ei e he rt einstimmig dahin entschieden worden : dass hier fa s t immer, oder wirklich i~nmer, eine Ganglienkugel mit zwei 51ervenfasern in Verbindung steht, deren eine der Wurzel und eine dem austreten- den Aste entspricht. Die Primitivfasern der Wurzel gehen bier nieht einfach durch das Ganglion hindureh; sondern sie treten an die Gan- glienkugeln. Von letzteren tritt danrt eine zweite Nervenfaser ab, wel- ehe jedoch night als eine im Ganglion entstehende Faser, sondern immer, wie man sieht, als eine Fortsetznng der eintretenden zu be- trachten ist. Bei den Amphibien (Frosch, Salamander) fanden sich 0frets Ganglienkngeln, die m wie bei den Fischen, zwei ~ervenfasern an zwei gegentiberstehenden Punkten zeigen. Hiiufiger abet sieht man

Ueber den Bau der Ganglien bei den Vögeln

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Ueber den Bau der Ganglien bei den V~)gcln Von

Dr. M. Schiff.

Gr0ssere Schwierigkeiten, als bei irgend einer anderen Abtheilnng der Wirbelthiere, hat his jetzt die Untersuchung des Banes der Gan- glien bei den VOgeln geboten: so dass, trotz vieler Bemtihungen aus- gezeichneter Forscher, die Structur dieser Theile bei den anderen Thier- klassen zu ergriinden, fiber die Ganglien der VOgel kaum einige diirf-- tige Notizen ver0ffentlicht sind.

R o b i n gab zwar an, dass es, niichst den Plagiostomen, bei V0geln am leichtesten gelingen solle, die Verbindung je einer Gan- glienkugel mit einer eintretenden und einer anstretenden Nervenfaser zu sehen; aber die vielen ZeIlgewebsfasern in den Ganglien der VOgel scheinen Robin irre geffihrt zu haben. In der That hat B i d d e r , der ffir alle Wirbelthiere ein fihnliehes Verhalten wie Robin annimmt, ge- rade fiir die VOgel seine Ansicht durchaus night erweisen k0nnen. Aus sehr unzweideutigen, bei V0getn beobachteten Verh~iltnissen v e r m u- t h e t er hier einen iihnlichen Bau, wie bei den Fischen. R. W a g n e r , K011iker und Andere, welche Untersuchnngen fiber den Bau der Ganglien angestetlt haben, sprechen fast gar night yon denen der VOgel.

Auch meine eigenen frtiheren Untersuchungen, die ich theilweise lm 9ten'Bande des Ttibinger Archives mitgetheilt habe, lehrten-reich fiber die V0gel nights Bestimmtes. Indem ich die 6anglien unter dem Mikroskope mit l~adeln zerfasert hatte, war es mir bei Untersuchungen an Fringilla coelebs~ Pyrgita domestica and Otus brachyotus nut einige Male gelungen, Ganglienkugeln zu finden, an die sieh-eine ein- zige Nervenfaser ansetzte. Spuren doppelter ]Nervenfasern dagegen er- kannte ieh gar nicht, oder n u t ein einziges Mal beim Buchfinken auf h0chst unbestimmte Weise.

Die, fur die Physiologie nnd Anatomie h0chst wiehtige Frage, ob aus den Ganglienkugeln neue Nervenfasern entstehen~ welehe sieh dem durchtretenden Nervenstamme zugesellen, oder ob diese Kugeln im In- nern der Seheide der, in das Ganglion tretenden Fasern selbst liegen, so dass keine Vermehrung der 51erven durch sie Statt finde, ist ftir die Fische seit den Entdeckungen yon W a g n e r , Rob in , B i d d e r und R ei e he r t einstimmig dahin entschieden worden : dass hier fa s t immer, oder wirklich i~nmer, eine Ganglienkugel mit zwei 51ervenfasern in Verbindung steht, deren eine der Wurzel und eine dem austreten- den Aste entspricht. Die Primitivfasern der Wurzel gehen bier nieht einfach durch das Ganglion hindureh; sondern sie treten an die Gan- glienkugeln. Von letzteren tritt danrt eine zweite Nervenfaser ab, wel- ehe jedoch night als eine im Ganglion entstehende Faser, sondern immer, wie man sieht, als eine Fortsetznng der eintretenden zu be- trachten ist. Bei den Amphibien (Frosch, Salamander) fanden sich 0frets Ganglienkngeln, die m wie bei den Fischen, zwei ~ervenfasern an zwei gegentiberstehenden Punkten zeigen. Hiiufiger abet sieht man

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Kugeln mit nnr Einer ausgehenden Nervenfaser, ohne dass irgend ein Umstaad daranf hindeutete, dass eine zweite abgerissen w~ire. Der Analogie mit den S~iugethieren gem~iss, and nach directer Beobachtung, nimmt mart daher an: dass diese eine, aus der Kugel entspringende Faser peripherisch verlaufe and eine Vermehrung der 51ervenfasern in den Ganglien darstelle, wie sie bei Fisehen aaf .~iese Weise nicht Start findet.

Bei den S i i n g e t h i e r e n haben, - - entgegen der Ansicht yon W a g n e r and B i d d e r , welche der Analogie einen za grossen Spielraum verstatten, - - die Beobachtungen yon B e c k , K 5 l t i k e r , mir rt. A. gezeigt: dass die eintretenden Wurzell'iiden neben den Ganglienkugeln vorbeigehen, yon den Kugeln abet in der Regel nur Eine Nervenfaser entspringt, die sich mit dem austretenden Aste verbindet. - - 5Iur in seltenen Ausnahrnen sieht man bier an den Kugeln 2 ~ervenrtihren, deren eine als der Wurzel angeht~rig betrachtet werden kann.

Neuere, fortgesetzte Untersuchun%en an V(igeln haben mir nun gezeigt, dass dieselben sich in dieser Beziehung ganz analog den Siiu- g e t h i e r e n , and abweichend yon den Fischen~.verhalten.

Ich babe reich abet bier zuniichst nicht mehr der Zerfaserung der Ganglien bedient, sondern babe feine Scheibchen, welche der ganzen Liinge der Spinalganglien entnommen waren, dureh Kali oder 5~atron causticnm durchsiehtig gemaeht und nun nnter schwacher VergrOsserung yon hOchstens 140 linear betrachtet. Ganz kleine Gangtien warden aueh nnverletzt dem Reagens ausgesetzt, and dana etwas eomprimirt unter- ~ucht. Das sogteich augenf~illige Resultat war folgeades:

Die Fiiden der, in die Ganglien eintretenden Wurzeln spalten sich, wean sie an die Kngelhanfen gelangt sind, in mehrere Fascikel, deren einer, and zwar meistens der stiirkste, die urspriingliche Riehtung bei- behiilt. Die anderen treten zwischen den Kugeln in mehr oder weniger spitzen Winkeln aus einander, spalten sich abermals "and vereinigen sich wieder, anf die mannichfaltigste Weise: his sie sich, gegen das untere Ende des Ganglions bin, dem Hauptstamme wieder anschliessen. Aber, (und diess ist das Hauptresultat:) die Primitivfasern der Wnrzeln gehen bloss zwischen den Kugeln hindurch, ohne eine n~ihere Verbin- dung mit denselben einzngehen.

Bei allen yon mir untersuchten Viigeln kann man bei gehiiriger Priiparation sehen, dass in die Anschwellnng der hinteren Wurzeln tier Rtickenmarksnerven sehr viele Fasern eingehen and sich btin- delweise vertheilen, ohne sich mit den Ganglienkugeln zu verbinden. Am deutlichsten abet sah ich beim Krani~he, class nile Btindel der Wur- zelfasern sich zwischen den Ganglienkugetn nut hindurchwinden. Es ware allerdings mfglich, dass mir in diesen, vielfach verschhtngenen Geflechten einzelne Primitivrtihren entgangen witren, welche doch zu Kugeln hingingen; jedenfalls aber w~re diess, wie bei den S~iugethieren, eine seltene Ausnahme, die noch dazu mehrf~icher Deutung_f~ihig ist.

Hingegen sieht man yon den Kageln aus zu den abtretenden Ner- venbiindeln viele Siicke oder Riihren sich hinziehen, deren 51atar bei dieser Untersuchungsmethode nicht welter zn erkennen ist.

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Die Zerfaserung der Ganglien aber und ihre Untersuchung bet stiir- kerer Vergrtisserun~ zeigt vielo Kugeln, aus denen in einseitiger Rich- tung wahre Primitivnervenfasern ausgehen. In vielen Fallen vorsiehtiger Zerfaserung unter dem INachetschen Dissectionsmikroskope ist mir auch nicht Eine Ganglienkugel mit unverletzten Hallen vorgekommen, an welcher nicht ein Stack ether abgehenden Nervenfaser erkennbar gewe- sen ware. In anderen Fallen, hesonders wo ich die Ganglien vor tier Zerreissung nicht lange genug in verdannten Sauren macerirt hatte, babe ich Kngeln ohne alle Nervenfasern gesehen. Aber der Umstand, dass bier die kernbaltige Halle tier Kugel, wo sich dieselbe nach allen Set- ten rollen liess, best~indig an irgend ether Stelle unterbroehen war, und dass auch die, bekanntlich yon allen Kageln ausgehenden Remak- schen Faserfortsatze mehr oder weniger vollstandig abgerissen waren,-- dieser Umstand gieht der Vermuthung Raum: class bier die abgehende Nervenfaser erst dutch die Praparation getrennt worden set.

Es ist mir daber noch zweifelhaft: ob bet VOgeln wirklich Kugeln ohne Nerven-Ursprange, (so genannte apolare Kugeln,) vorkommen.

Bipolare Kngeln, d. h. solche mit zwei Nerven, kommen sicher nicht, oder nut ats sehr seltene Ausnahmen vor. Seit tier, im Tabinger Archive erw~ibnten Beobaehtnng am Bachfinken, die ich damals schon als sehr zweifelhaft bezeichnete, babe ich Nichts der Art mehr bemerkt.

Ueber die Art der Verbindung tier Nervenrfhren mit den Ganglien- kugeln babe ich bet, gleich nach dem Tode (noch warm) untersuchten Kanarienvfigeln die Beobachtung wiederholt, die ich frliher tiber den Frosch mitgetheilt babe, and die seitdem noch yon keiner Seite best~tigt worden ist: class die Halle des Nerven, so wie er an die Kugel tritt, in die innere oder zweite Halle derselben tibergeht. Der ganze Inhalt des Nerven, also nicbt bloss der Aussencylinder, (den ich bei v~llig ausgebildeten Vogelnerven noch nicht erkannt habe,) tritt so in alas Inhere der Kugel ein, dass er bier eine Strecke weir noch als ein, yore Kugelinhalte aberall umgebener, abet nicht mit ihm verscbmolzener, selbstandiger Cylinder zu erkennen ist. Dieser, in die Kugel hinein- ragende Cylinder hOrt in der Nabe des Nerves, hie an demselben, wie plfitzlich abgeschnitten auf; und hier erst beginnt die Communication des Kugelinhaltes mit dem Nerveninhalte.

Bet frisch nntersucbten F i s c h e D sieht man dieselbe Bildunff, abet a u f z w e i S e i t e n tier Kugel. Die Kugel ist da also nicbt, wie man es darstellte, in die Nervenrt~bre a u s g e z o f f e n ; sondern die ROhre ist~ (abgesehen von ibrer ausseren Halle,) wie in den Inhalt der Kngel h i n e i n g e h o h r t . So ist e~ weniffstens bet frischen~ bloss mit Spei- chelzusatz untersuchten Fischen, Amphibien and VOgeln. Bet S~iuge- thieren habe ich diess aber noch nicht gesehen.

Man sieht also: t ier Ban d e r G a n g l i e n be t d en V 6 g e l n scbliesst sich im Wesentlichen nicht, wie es Robin yon allen Wirbel- tbieren glaubte, dem tier Fische an, sondern e n t s p r i c h t ganz dem, was wir, besonders durch K ~ 11 i k e r s lichtvolle Darstellungen, yon dem Bane dieser Theile be t den S a u g e t h i e r e n wissen.

Frankfort a. M., im August 1853.