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Aus der 11. med. Klinik des Serafirnerlasarettes, Stockholm (Direktor: Prof. Dr. H. Ch. Jacobreus). Uber die essentielle Hypertonie als Teilsymptoni bei einer funktionellen Krltnkheit. Von ESKIL KYLIN. Wahrend des letzten Jahrzents ist unsere Auffassung von der Hypertoniefrage durch die Volhard'sche Ansicht beherrscht worden, dass die Blutdrucksteigerung durch einen primaren Nierenschaden verursacht werde. Die Forschungen der letzten Jahre haben indessen immer deutlicher an den Tag gelegt, dass diese Auffassung sich zu einseitig auf die Nierensymptome fest- legt, die unzweifelhaft sehr haufig auftreten. Andere Anzeichen von grosser Bedeutung wie z. B. die Symptome allgemein-nerveuser Natur bei der Form von Hypertonie, die nunmehr die essentielle genannt wird, sind hingegen iibersehen oder wenigstens zu wenig beachtet worden. Pathologisch-anatomische Untersuchungen von im besonderen v. Monakow und Wallgren haben auch dar- getan, dass anatomische Veranderungen in den Nieren bei gewissen Fallen von Hypertoniekrankheit vollig fehlen konnen. Dagegen werden Falle mit bedeutenden gefassklerotischen Veranderungen in den Nieren angetroffen, ohne dass im lebenden Zustande Blurducksteigerung vorhanden gewesen war. Wahrend der letzten Jahren hat sich daher die Forschung auf dem Gebiete der Hypertonie in neuen Richtungen zu orientieren begonnen, und eine neue Auffassung von der Genesis und Atiologi? der Blutdrucksteigerung ist im Begriff sich Bahn zu brechen. Zur Klarstellung der Ursachen der Blutdrucksteigerung war es zunachst notwendig auf diesem Forschungsgebiet wie auf so vielen anderen einzuteilen und zu unterscheiden. Auf diese Weise hat man nunmehr auch einen vollig rationellen Grund er- halten, um zwei Formen von Hypertonie abzutrennen, die eine bei der sogen. essentiellen Hypertonie (Volhards benigne Nefros- klerose), die andere bei sogen. akuter Glomerulonephritis.

Über die essentielle Hypertonic als Teilsymptom bei einer funktionellen K rank licit

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Page 1: Über die essentielle Hypertonic als Teilsymptom bei einer funktionellen K rank licit

Aus der 11. med. Klinik des Serafirnerlasarettes, Stockholm (Direktor: Prof. Dr. H. Ch. Jacobreus).

Uber die essentielle Hypertonie als Teilsymptoni bei einer funktionellen Krltnkheit.

Von

ESKIL KYLIN.

Wahrend des letzten Jahrzents ist unsere Auffassung von der Hypertoniefrage durch die Volhard'sche Ansicht beherrscht worden, dass die Blutdrucksteigerung durch einen primaren Nierenschaden verursacht werde. Die Forschungen der letzten Jahre haben indessen immer deutlicher an den Tag gelegt, dass diese Auffassung sich zu einseitig auf die Nierensymptome fest- legt, die unzweifelhaft sehr haufig auftreten. Andere Anzeichen von grosser Bedeutung wie z. B. die Symptome allgemein-nerveuser Natur bei der Form von Hypertonie, die nunmehr die essentielle genannt wird, sind hingegen iibersehen oder wenigstens zu wenig beachtet worden. Pathologisch-anatomische Untersuchungen von im besonderen v. Monakow und Wallgren haben auch dar- getan, dass anatomische Veranderungen in den Nieren bei gewissen Fallen von Hypertoniekrankheit vollig fehlen konnen. Dagegen werden Falle mit bedeutenden gefassklerotischen Veranderungen in den Nieren angetroffen, ohne dass im lebenden Zustande Blurducksteigerung vorhanden gewesen war.

Wahrend der letzten Jahren hat sich daher die Forschung auf dem Gebiete der Hypertonie in neuen Richtungen zu orientieren begonnen, und eine neue Auffassung von der Genesis und Atiologi? der Blutdrucksteigerung ist im Begriff sich Bahn zu brechen.

Zur Klarstellung der Ursachen der Blutdrucksteigerung war es zunachst notwendig auf diesem Forschungsgebiet wie auf so vielen anderen einzuteilen und zu unterscheiden. Auf diese Weise hat man nunmehr auch einen vollig rationellen Grund er- halten, um zwei Formen von Hypertonie abzutrennen, die eine bei der sogen. essentiellen Hypertonie (Volhards benigne Nefros- klerose), die andere bei sogen. akuter Glomerulonephritis.

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Die erstgenannte dieser beiden Formen, die benigne Nefro- sklerose oder - wie sie eher genannt werden sollte, da sie nicht als eine primare Nierenkrankheit aufgefasst werden kann - die essentielle Hypertonie, beginnt in der letzten Zeit als eine all- gemeine Krankheit mit bisher unerforschter Ursache angesehen zu werden. In dem Masse jedoch, wie wir uns von der alten Auffassung von der Nierenatiologie dieser Krankheit freigemacht haben, konnten wir vorurteilsfreier damit beginnen ihre Ursachen zu erforschen und fruher ubersehenen Symptomen die ihnen zukommende Bedeutung beizulegen. Die Allgemeinsymptome nerveuser Natur, die wir seit langen bei der weiblichen klimak- terischen Hypertonie zu finden gewohnt sind, treffen wir fast vollzahlig auch bei der essentiellen Hypertonie bei Mannern an. Dieser Umstand hat auch den Gedanken dahin gelenkt, die essentielle Hypertonie als eine Neurose aufzufassen, die nach der Ansicht gewisser Forscher (Munck) auf der Basis innersekreto- rischer Fortfallsphiinomene stehe.

Ich will die Gesichtspunkte anfuhren, die fur die Richtigkeit einer solchen Vermutung sprechen konnen.

Die Blutdrucksteigerung ist das charakteristische der objek- tiven Symptome bei fraglichen Krankheitskomplex. Sehen wir darum zunachst, ob dieses Symptom von besonderem Werte zur Beleuchtung unserer Frage sein kann.

Wahrend die Blutdrucksteigerung bei der sogennanten akuten Glomerulonefritis durch die Stetigkeit im Verlauf der Kurve ge-, kennzeichnet wird, wird die Blutdruckskurve bei der sogennanten essentiellen Hypertonie durch die hochgradige Labilitat markiert. Die Tagesschwankungen sind sehr stark, sie betragen zuweilen bis zu 100 mm. Hg. bei standiger Bettruhe. Noch grosser sind die Schwankungen zwischen Abend- und Schlafwerten, die Mullers ausserordentlich verdienstvolle Untersuchungen ergeben haben. Nach Katsch konnen diese Schwankungen bis zu 130 mm. Hg. betragen.

Man findet also, dass der Blutdruck eines und desselben Pati- enten bei dauernder Bettruhe wiihrend eines Krankenhausauf- enthalts von wenigen Tagen zwischen z. B. 275 und 140 mm. Hg. schwanken kann. Diese Labilitat des Blutdrucks scheint dem- nach fur diese Form von Hypertonie bezeichnender zu seia als die Blutdrucksteigerung an und fur sich. Sie kann daher nicht als Folge organischer Gefassveranderungen erklart werden, sondern muss vielmehr auf einer neurogenen Basis stehen. Schon hier

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liegt also ein erster Stutzpunkt fur die Annahme, dass diese essentielle Hypertonie auf einer Neurosbasis steht.

Eine andere Stutze fur diese Auffassung sehe ich in dem wahrend der letzten Jahre bemerkbar gewordenen Umstande, dass die essentielle Hypertonie von einer herabgesetzten Toleranz fur Kohlenhydrate begleitet wird. So findet man, dass auf die senile Form von Diabetes nach Untersuchungen von Maranon, Hitzen- berger, Kerppola und mir selbst eine Steigerung des Blutdrucks folgt. Diese Form von Diabetes unterscheidet sich dadurch von dem juvenilen Typus, der keine Hypertonie aufzuweisen hat. - Man findet ferner, dass die essentielle Hypertonie oft in Diabetes des senilen Typus ubergeht. Hierbei kann man alle moglichen tfbergangsstadien antreffen, wie Falle von essentieller Hypertonie mit leichter Hyperglykiimie, andere Falle wieder mit hochgradiger- er Blutzuckererhohung, aber ohne Glykosurie. In einer Anzahl anderer Falle endlich hat man die ausgesprochene Diabetes- Krankheit. - In diesem Zusammenhang sei auch erwahnt, dass Kerppola bei der essentiellen Hypertonie festgestellt hat, dass die Kohlenhydrartoleranz, durch Belastungsproben gepruft, in der grossen Mehrzahl der Falle herabgesetzt ist.

Diese Herabminderung der Kohlenhydrattoleranz kann auf eine Storung des vegetativen Nervensystems hindeuten. Wir wissen ja, dass der Umsatz von Kohlenhydraten mit dem Vagus sympaticus- Mechanismus innig verbunden ist. So wird die Pankreassekretion vom Vagus geregelt, und sie steht unter dessen Kontrolle. Die Glykogenspaltung in der Leber dagegen scheint unter der Gerichts- barkeit des Sympaticus zu stehen. Eine Reizung des Sympaticus, durch Adrenalin z. B., beschleunigt die Zuckerbildung in der Leber und lasst den Zucker in erhohter Menge in die Blutbahn hinausstromen, eine Hyperglykamie eventuell mit Glykosurie hervorrufend. Man kann sich daher denken, dass Storungen dieses Vagus-Sympaticus-Mechanismus die Veranlassung zu Dia- betesformen werden konnten, die von den pankreatogenen Diabe- tesformen abzutreten waren. Diese Frage durfte jetzt angesichts des erhohten Interesses fur die Diabetesforschung besonderer Untersuchungen wert sein.

Gewisse Storungen in dem Bilde der weissen Blutkorperchen (Mononuckos und Eosinosfilie), auf die Kerppola besonders hin- weist, konnen auch fur diese Auffassung einer vegetativen Neurose, als Grundursache zur essentiellen Hypertonie-Krank- heit sprechen.

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Um mit grosserer Sicherheit die Richtigkeit dieser Auffassung festzustellen, habe ich versucht das vegetative Nervensystem mit Adrenalin zu priifen. Bekanntlich erregt eine subcutane Ein- spritzung von Adrenalin eine Reihe verschiedener Redaktionen in unserem Organismus, die auf ungleiche Art studiert werden konnen. Von diesen habe ich besonders zwei Reaktionen, nam- lich die Blutzucker- und die Blutdrucksrekretion, gepruft. Es hat sich nun gezeigt, dass diese Reaktionen bei der essentiellen Hyper- tonie auf eine typische Art verlaufen, die sich von den Reaktionen unter normalen Verhaltnissen bestimmt unterscheiden. Wir finden, dass bei der essentiellen Hypertonie die Blutdruckskurven sowohl wie die Blutzuckerkurven dadurch gekennzeichnet werden, dass der steigernde Faktor unbedeutend ist, wahrend der senkende das Bild beherrscht. Dir Kurve des Blutdrucks stellt also eine Senkung dar, nur hin und wieder ausnahmsweise von einer Hebung wahrend der Messungszeit unterbrochen. Die Blutzuckerkurve wird durch eine Abflachung gekennzeichnet, die steigende Tendenz ist unbedeutend. - Bei der sogenannten akuten Glomerulonefritis da- gegen entspricht die Adrenalinreaktion dem normalen Verhaltnis.

Schliesslich einige Worte uber die Symptome allgemein-nerveu- ser Natur, die wir bei dieser Hypertonieform zu finden pflegen. Es ist fruher oft hervorgehoben worden, dass diese Symptome durch eine beginnende arteriosklerotische Verinderung im Gehirn hervorgerufen wiirden. Verhielte es sich indessen tatsachlich so, mussten diese Symptome ziemlich spat auftreten. Dies ist jedoch nicht der Fall, sie sind im Gegenteil Anfangssymptome. Denn wie oft werden wir nicht von Miinnern sowohl wie Frauen befragt, deren Beschwerden nur diese allgemein-nerveuser Natur sind, und bei denen wir bei der folgenden Untersuchung als einziges objektives Symptom eine Hypertonie feststellen, die nach einigen Tagen Bett- ruhe verschwindet. Nur die pathologisch grosse Variabilitiit spricht nach wie vor fur die Neigung zu Blutdrucksteigerungen.

Wenn wir nun die essentielle Hypertonie als eine vegetative Neurose auffassen wollen, konnen wir dann in anderen analogen Krankheiten Stiitzpunkte fur einen solchen Gedankengang finden?

Ich will diese Krankheit mit Bronchialasthma vergleichen. Wir betrachten es ja nunmehr als von einem funktionellen Krampf- zustand in den Bronchien hervorgerufen. Die Ursache ist eine Storung im vegetativen Nervensystem, die die glatte Muskulatur in den Bronchien beherrscht. Auf Grund einer fjberreizbarkeit in diesem vegetativen Nervensystem rufen normale Reizungen,

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die bei Gesunden keine Anfalle verursachen, bei diesen uber- empfindlichen Personen ein Spasmus in den Bronchien, einen Asthmaanfall hervor. Die auslosende Reizung kann ein Nasen- polyp sein, Druck gegen die Bronchien, z. B. durch vergrosserte Hilusdriisen u. a. m.

In analoger Weise mochte ich die essentielle Hypertoniekrank- heit betrachten. Bei Personen mit einem uberreizbaren Nerven- system eines gewissen Typus verursachen normalstarke Reizungen, die wohl auch bei Gesunden eine gewisse Blutdruckserhohung auslosen, abnorm grosse Steigerung des Blutdrucks. Die Steige- rung wird durch eine Vasokonstriktion hervorgerufen und ist rein funktioneller Art. Auf Grund der vermehrten Anstrengung der Gefasse kann man sicht leicht denken, dass eine sekundare Sklerosierung zustande kommt. Das Primare ist meiner Auffassung nach indessen funktioneller Natur.

Diese beiden Zustande von Spasmus, der eine in den Bronchien, der andere in den Arterien, scheinen viele Symptome gemeinsam zu haben. Bei beiden finden wir diese Mannigfaltigkeit nervoser Anzeichen. Perner zeigen beide Zustande eine gewisse Verinde- rung in dem Bilde der weissen Blutkorperchen mit Neigung zu Eosinophilie, die jedoch bei Asthma bedeutend ausgesprochener ist als bei der essentiellen Hypertonie. Beide Krankheiten sind auch entschieden familiar, eine in Bezug auf Asthma seit langem beobachtete Erscheinung. Dass die essentielle Hypertonie auch familiar auftritt, ist in der letzten Zeit von verschiedenen Seiten hervorgehoben worden. Im besonderen hat Kammerer unsere Aufmerksamkeit auf diesen Umstand gelenkt. Die Adrenalin- reaktion ist bei beiden Zustanden in gleicher Richtung verandert. Und schliesslich sei der Umstand betont, dass die essentielle Hypertonie oft mit Asthmaanfallen in Verbindung gebracht wird, die wir bisher als kardiale Anfalle bezeichnet haben, die aber, wenigstens haufig, wirkliche Bronchialasthma-Anfille sind.

War finden altso, dass mehrere Symptome fur die Moglichkeit sprechen dass die s. g . essentielle Hypertonie won einer bisher unbe- kannter Storung des vegetativen ~ervensys~emes verursacht sei. Fortgesetzte ~ n t e r s ~ ~ u n g e n sind indessen notwendig um sichere Schlussfolqerungen ziehen zu konnen.

Litteratur.

Kylin : Klinische und experimentelle Studien iiber die Hypertonie- krankheiten, Stockholm, Nordiska Bokhandeln, 1923.