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DOI: 10.1002/zaac.200600392 Über die Identität eines sogenannten Ammoniumcarbonat-Präparates On the Identity of a so-called Ammonium Carbonate Sample Norbert Kuhn a, *, Markus Ströbele b und H.-Jürgen Meyer b, * Tübingen, a Abteilung für Chemie der Hauptgruppenelemente der Universität und b Abteilung für Festkörperchemie und Theoretische Anorganische Chemie der Universität Bei der Redaktion eingegangen am 18. Dezember 2006. Professor Peter Sartori zum 75. Geburtstag gewidmet Abstract. Commercial samples of so-called “ammionum carbo- nate” are shown to contain ammonium carbamate rather than ammonium carbonate. In fact samples may contain varying quantities of α- and β-(NH 4 )(CO 2 NH 2 ), of which only the α-phase is reported in the literature. Mixtures of both phases tend to leak the volatile α-phase and to react with moisture to form Einleitung Die Existenz von Ammoniumcarbonat ist angesichts der Säurekonstanten der beteiligten Ionen (NH 4 : pK S 9,24; CO 3 2 : pK B 3.75) zweifelhaft [1]. Tatsächlich gelten unter diesem Handelsnamen im Verkehr befindliche Produkte als Gemische wechselnder Anteile aus Ammoniumcarbonat, (NH 4 ) 2 CO 3 (1), Ammoniumcarbamat, (NH 4 )CO 2 NH 2 (2) und Ammoniumhydrogencarbonat, (NH 4 )HCO 3 (3) [2]. Hiervon sind nur 2 und 3 strukturanalytisch charakterisiert und nachgewiesen [3, 4]. Die Struktur von 1 wurde 1963 von Sclar und Carrison als Addukt aus Ammoniumhydrogencarbonat und Ammo- niumcarbamat [(NH 4 )HCO 3 ·(NH 4 )CO 2 NH 2 ] postuliert [5]. Die Substanz wird heute industriell durch Destillation ei- ner wässrigen Lösung von Kohlendioxid und Ammoniak oder in einer Festkörperreaktion durch Erhitzen eines Ge- misches aus Ammoniumsulfat und Kalk hergestellt; in frü- herer Zeit wurde sie durch trockenes Erhitzen von Horn, Hufen u.a. erhalten und unter der Bezeichnung “Hirsch- hornsalz” vertrieben. „Ammoniumcarbonat” zersetzt sich laut Literatur [2] rückstandslos unter Wasserabgabe ab 58 °C und findet um- * Prof. Dr. H.-Jürgen Meyer, Prof. Dr. Norbert Kuhn Institut für Anorganische Chemie Auf der Morgenstelle 18 Universität Tübingen D-72076 Tübingen Telefax: 49(0)7071-29-5702 or 49(0)7071-29-5306 E-mail: [email protected] E-mail: [email protected] Z. Anorg. Allg. Chem. 2007, 633, 653656 2007 WILEY-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim 653 (NH 4 )(HCO 3 ). The crystal structure of the new β-(NH 4 )(CO 2 NH 2 ) is refined from X-ray powder data. Keywords: Ammonium Carbonate; Ammonium Carbamate; Crystal structure fangreiche praktische Verwendung zur Herstellung von Schaumstoffen, Farben, Leimen und in anderen Bereichen. Trotz medizinischer Bedenken wird es nach wie vor als Backtreibmittel eingesetzt [1, 2]. Angaben zur elementaranalytischen Zusammensetzung (C, H, N-Analyse) sind angesichts der wechselnden Zusam- mensetzung von „Ammoniumcarbonat“ wenig hilfreich und beziehen sich vermutlich auf den Gehalt von Ammo- niak. Zur Identifizierung eines im Handel erworbenen Präpa- rates haben wir Untersuchungen von „Ammoniumcarbo- nat“ mittels Röntgenpulverdiffraktometrie und Rietveld- Berechnungen durchgeführt, über deren Ergebnisse wir nachfolgend berichten. Röntgenpulverdiffraktometrie Für unsere Untersuchungen wurden zwei kommerziell erworbene Präparate der Firma Aldrich verwendet: Ammo- niumcarbonat, A.C.S. reagent (Probe I) und Ammonium- carbamat, 99 % (Probe II). Beide Proben wurden direkt nach dem Erhalt ungeöffnet in einen Handschuhkasten (M. Braun, Garching) mit Argon-Atmosphäre einge- schleust und für Untersuchungen vorbereitet. Für die Röntgenaufnahmen wurde jede einzelne Probe auf eine (aluminumbedampfte) Mylarfolie aufgebracht, mit einem Ring aus Hochvakuumfett umrahmt und mit einer zweiten Mylarfolie abgedeckt und eingeschlossen. Hier- durch wird der Zutritt von Luft und Feuchtigkeit zur Probe stark verlangsamt. Die Proben I und II wurden mit einem Röntgenpulverdif- fraktometer (Stoe, STADIP) unter Verwendung von mono-

Über die Identität eines sogenannten Ammoniumcarbonat-Präparates

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DOI: 10.1002/zaac.200600392

Über die Identität eines sogenannten Ammoniumcarbonat-Präparates

On the Identity of a so-called Ammonium Carbonate Sample

Norbert Kuhna,*, Markus Ströbeleb und H.-Jürgen Meyerb,*

Tübingen, a Abteilung für Chemie der Hauptgruppenelemente der Universität und b Abteilung für Festkörperchemie und TheoretischeAnorganische Chemie der Universität

Bei der Redaktion eingegangen am 18. Dezember 2006.

Professor Peter Sartori zum 75. Geburtstag gewidmet

Abstract. Commercial samples of so-called “ammionum carbo-nate” are shown to contain ammonium carbamate rather thanammonium carbonate. In fact samples may contain varyingquantities of α- and β-(NH4)(CO2NH2), of which only the α-phaseis reported in the literature. Mixtures of both phases tend to leakthe volatile α-phase and to react with moisture to form

Einleitung

Die Existenz von Ammoniumcarbonat ist angesichts derSäurekonstanten der beteiligten Ionen (NH4

�: pKS 9,24;CO3

2�: pKB 3.75) zweifelhaft [1]. Tatsächlich gelten unterdiesem Handelsnamen im Verkehr befindliche Produkte alsGemische wechselnder Anteile aus Ammoniumcarbonat,(NH4)2CO3 (1), Ammoniumcarbamat, (NH4)CO2NH2 (2)und Ammoniumhydrogencarbonat, (NH4)HCO3 (3) [2].Hiervon sind nur 2 und 3 strukturanalytisch charakterisiertund nachgewiesen [3, 4].

Die Struktur von 1 wurde 1963 von Sclar und Carrisonals Addukt aus Ammoniumhydrogencarbonat und Ammo-niumcarbamat [(NH4)HCO3·(NH4)CO2NH2] postuliert [5].

Die Substanz wird heute industriell durch Destillation ei-ner wässrigen Lösung von Kohlendioxid und Ammoniakoder in einer Festkörperreaktion durch Erhitzen eines Ge-misches aus Ammoniumsulfat und Kalk hergestellt; in frü-herer Zeit wurde sie durch trockenes Erhitzen von Horn,Hufen u.a. erhalten und unter der Bezeichnung “Hirsch-hornsalz” vertrieben.

„Ammoniumcarbonat” zersetzt sich laut Literatur [2]rückstandslos unter Wasserabgabe ab 58 °C und findet um-

* Prof. Dr. H.-Jürgen Meyer, Prof. Dr. Norbert KuhnInstitut für Anorganische ChemieAuf der Morgenstelle 18Universität TübingenD-72076 TübingenTelefax: �49(0)7071-29-5702 or �49(0)7071-29-5306E-mail: [email protected]: [email protected]

Z. Anorg. Allg. Chem. 2007, 633, 653�656 2007 WILEY-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim 653

(NH4)(HCO3). The crystal structure of the new β-(NH4)(CO2NH2)is refined from X-ray powder data.

Keywords: Ammonium Carbonate; Ammonium Carbamate;Crystal structure

fangreiche praktische Verwendung zur Herstellung vonSchaumstoffen, Farben, Leimen und in anderen Bereichen.Trotz medizinischer Bedenken wird es nach wie vor alsBacktreibmittel eingesetzt [1, 2].

Angaben zur elementaranalytischen Zusammensetzung(C, H, N-Analyse) sind angesichts der wechselnden Zusam-mensetzung von „Ammoniumcarbonat“ wenig hilfreichund beziehen sich vermutlich auf den Gehalt von Ammo-niak.

Zur Identifizierung eines im Handel erworbenen Präpa-rates haben wir Untersuchungen von „Ammoniumcarbo-nat“ mittels Röntgenpulverdiffraktometrie und Rietveld-Berechnungen durchgeführt, über deren Ergebnisse wirnachfolgend berichten.

Röntgenpulverdiffraktometrie

Für unsere Untersuchungen wurden zwei kommerziellerworbene Präparate der Firma Aldrich verwendet: Ammo-niumcarbonat, A.C.S. reagent (Probe I) und Ammonium-carbamat, 99 % (Probe II). Beide Proben wurden direktnach dem Erhalt ungeöffnet in einen Handschuhkasten(M. Braun, Garching) mit Argon-Atmosphäre einge-schleust und für Untersuchungen vorbereitet.

Für die Röntgenaufnahmen wurde jede einzelne Probeauf eine (aluminumbedampfte) Mylarfolie aufgebracht, miteinem Ring aus Hochvakuumfett umrahmt und mit einerzweiten Mylarfolie abgedeckt und eingeschlossen. Hier-durch wird der Zutritt von Luft und Feuchtigkeit zur Probestark verlangsamt.

Die Proben I und II wurden mit einem Röntgenpulverdif-fraktometer (Stoe, STADIP) unter Verwendung von mono-

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N. Kuhn, M. Ströbele, H.-J. Meyer

Abbildung 1 Vergleich zweier Röntgen-Pulverdiffraktogrammevon „Ammoniumcarbonat“ und Ammoniumcarbamat (Probe Iund II).

Abbildung 2 Röntgen-Pulverdiffraktogramme eines Präparates(Probe I) aus zwei Modifikationen von Ammoniumcarbamat (2aund 2b) unter Einfluss von Feuchtigkeit der Luft. Acht Diffrakto-gramme sind in ihrer zeitlichen Abfolge von unten nach oben ange-ordnet (Zeit pro Messung: 2 h). Reflexe der Phase 2a sind mit (*),die von 3 mit (#) markiert. Nichtmarkierte Reflexe gehören zurPhase 2b.

chromatischer Cu-Kα1-Strahlung in Transmission vermes-sen (Abb. 1). Um das Verhalten einer Probe (I) über einenbestimmten Zeitraum zu beobachten, wurden acht direktaufeinander folgende Röntgenmessungen mit einer Messzeitvon jeweils zwei Stunden durchgeführt (Abb. 2).

Strukturbestimmung

Die Präparate I und II enthielten die bekannte Phase 2a und diebis dahin unbekannte Phase 2b. Für 2b wurde (anhand von ProbeI) eine Kristallstrukturbestimmung aus Röntgen-Pulverdatendurchgeführt. Dazu wurde bei Raumtemperatur ein Röntgen-Pulverdiffraktogramm aufgenommen (Stoe, STADIP-Diffrakto-meter, Ge-Monochromator, Cu-Kα1-Strahlung, ortsempfindlicherRöntgendetektor (Öffnungswinkel: 2θ � 6°), Messbereich: 12 � 2θ� 95°). Für die Strukturlösung wurde das Programm EXPO2000[6] verwendet. Die anschließende Strukturverfeinerung (Abb. 3) er-folgte nach der Rietveld-Methode mit dem Programm Fullprof [7].

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Abbildung 3 Gemessenes (Kreise) und berechnetes (Linie) Rönt-gen-Pulverdiffraktogramm eines Präparates aus zwei Modifikatio-nen von Ammoniumcarbamat (2a und 2b) mit Reflexlagen (Mitte)und Differenzkurve (unten) nach der Rietveld-Verfeinerung.

Tabelle 1 Ergebnisse der Rietveld-Verfeinerung von β-(NH4)CO2NH2 (2b)

Formel (NH4)CO2NH2

Z 8Messtemperatur 298 KWellenlänge 154,058 pmKristallsystem orthorhombischRaumgruppe IbamGitterkonstanten a � 1014,28(1) pm

b � 915,79(1) pmc � 744,85(1) pm

Winkelbereich der Messung 12 � 2θ � 95°Anzahl der unabhängigen Reflexe 542Anzahl der verfeinerten Parameter 72Anzahl der verfeinerten Strukturparameter 46RBragg 3,98 %Rf 6,59 %Rwp 15 %Rp 8,74 %χ2 5,77 %

Tabelle 2 Atomlagen und isotrope Auslenkungsparameter vonβ-Ammoniumcarbamat

Atom Wyckoff-Position x/a y/b z/c Uiso /A

C(1) 8 j 0,2707(8) 0,0388(9) 1/2 0,043(2)O(1) 8 j 0,1443(4) 0,0275(4) 1/2 0,030(1)O(2) 8 j 0,3262(4) 0,1692(5) 1/2 0,043(2)N(1) 8 g 0 0,1976(7) 1/4 0,028(2)N(2) 8 j 0,3403(6) �0,0796(6) 1/2 0,037(2)H(1) 16 k 0,054(3) 0,126(3) 0,318(5) 0,14(1)H(2) 16 k 0,056(3) 0,275(4) 0,162(4) 0,14(1)H(3) 8 j 0,409(5) �0,020(8) 1/2 0,14(1)H(4) 8 j 0,173(6) �0,669(6) 1/2 0,14(1)

Im Zuge der Strukturverfeinerung wurden für die vorliegendeProbe relative Anteile von 33(1) % 2a und 67(1) % 2b ermittelt.

Die bekannte Phase 2a kristallisiert orthorhombisch in der Raum-gruppe Pbca mit Z � 8. Die bei der Strukturverfeinerung verfeiner-ten Gitterkonstanten von a � 1711,31 (7), b � 652,95(2), c �

673,75(2) pm stimmen mit den Literaturdaten (a � 1712,1(6), b �

653,1(2) und c � 674,2(3) pm [3]) überein. Die neue Phase 2b kris-tallisiert orthorhombisch in der Raumgruppe Ibam mit den Gitter-konstanten a � 1014,28(4), b � 915,79(4), c � 744,85(3) pm undZ � 8. Ergebnisse zur Strukturverfeinerung sowie Atomlagen, Ab-stände und Bindungswinkel sind in den Tabellen 1�4 angegeben.

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Über die Identität eines sogenannten Ammoniumcarbonat-Präparates

Tabelle 3 Ausgewählte Abstände (in pm) von Carbamationen in2b und 2a [3].

Abstände 2b 2a

C(1)�O(1) 128,7(9) 127,9(5)C(1)�O(2) 132,0(9) 128,9(5)C(1)�N(2) 129,4(9) 136,1(5)N(2)�H(3) 89(6) 86(5)N(2)�H(4) 83(6) 82(6)

Winkel

O(1)�C(1)�O(2) 119,8(7) 123,5(3)O(1)�C(1)�N(2) 118,5(8) 118,7(3)O(2)�C(1)�N(2) 121,7(8) 117,9(3)

Tabelle 4 Ausgewählte O�N-Abstände /pm und O(1)···H�N-Winkel /°

2b

O(1)···H(1)�N(1) 283,4(5) 164(2) 2xO(2)···H(2)�N(1) 284,0(4) 157(4) 2xO(2)···H(3)�N(2) 228,3(7) 157(2)O(2)···H(4)�N(2) 285,4(7) 143(4)

2a

O(1)···H(1)�N(2) 212(5) 174(5)O(1)···H(6)�N(1) 219(5) 158(5)O(1)···H(5)�N(1) 193(5) 173(4)O(2)···H(3)�N(1) 177(5) 166(4)O(2)···H(4)�N(1) 213(5) 138(5)

Weitere Daten zur Kristallstrukturanalyse sind beim CambridgeCrystallographic Data Centre hinterlegt und können vom CCDC,12 Union Road, Cambridge CB2 1EZ, Großbritannien(Fax:(�44)1223-336-033, email: [email protected]) unterder Hinterlegungsnummer CCDC 631288 angefordert werden.

Ergebnisse und Diskussion

In dem von uns untersuchten Produkt mit dem Handelsna-men „Ammoniumcarbonat“ (Probe I) ist, wie auch in ProbeII, kein Ammoniumcarbonat vorhanden. Röntgen-Pulver-untersuchungen zeigen Übereinstimmungen zwischen denkommerziell erhaltenen Proben I und II, in denen jeweilszwei eng miteinander verwandte Phasen vorliegen (Abb. 1).

Abbildung 4 Netzwerk von Wasserstoffbrückenbindungen in 2a (links) und in 2b (rechts). (H···O-)Wasserstoffbrückenbindungen sind alsschwarze, gestrichelte Linien markiert.

Z. Anorg. Allg. Chem. 2007, 653�656 2007 WILEY-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim www.zaac.wiley-vch.de 655

Wie unsere Ergebnisse zeigen, handelt es sich dabei um einGemisch zweier Modifikationen von Ammoniumcarbamat(2a und 2b). Allerdings enthielten die Proben unterschiedli-che Anteile der Modifikationen 2a und 2b, von denen bis-her nur eine Modifikation (2a) bekannt war.

Die relativen Anteile beider Modifikationen in den Prä-paraten unterliegen Schwankungen (Abb. 1), die neben derHerstellungsmethode vor allem auf den höheren Dampf-druck von 2a zurückzuführen sein dürften (Abb. 2). DieFlüchtigkeit von 2a zeigt sich bereits bei der Handhabungeines nicht gasdicht eingeschlossenen Phasengemisches aus2a und 2b bei Zimmertemperatur. Des weiteren lassen sichbei der Einwirkung von Feuchtigkeit Hydrolysereaktionenzu Ammoniumhydrogencarbonat (3) nachweisen. Ammoni-umhydrogencarbonat (3), welches in den untersuchten Pro-ben zunächst nicht enthalten war, bildete sich bei unserenUntersuchungen im Verlauf einiger Stunden durch Auf-nahme von Feuchtigkeit der Luft und Abspaltung von Am-moniak, offenbar bevorzugt aus 2b, während 2a unter glei-chen Bedingungen durch Sublimation (bzw. Zersetzung)entwich (Abb. 2).

In Probe I dominierten höhere Mengenanteile der bis da-hin unbekannten Phase 2b (ca. 67 %) gegenüber der be-kannten Form 2a (ca. 33 %), während in Probe II ein etwainverses Mengenverhältnis vorlag. Indizierungen beiderPhasen, wobei für 2a auf ein bekanntes Indizierungsschema[3] zurückgegriffen werden konnte, führten für 2b zu einemorthorhombischen Kristallsystem und der RaumgruppeIbam (Tab. 1). Bei der für beide Phasen simultan durchge-führten Strukturverfeinerung wurden die bekannten Struk-turdaten von 2a verwendet.

In der Kristallstruktur von 2b liegen alle Atome des Car-bamations in den Spiegelebenen (mz). Im Rahmen derStrukturverfeinerung wurden auch Elektronendichten ge-funden, die den erwarteten Positionen der H-Atome ent-sprachen. Bedingt durch die (Pulver-)Methode muss jedochfür die verfeinerten Positionen H(1) � H(4) (Tab. 2) einehohe Fehlerbehaftung in Betracht gezogen werden. In Ta-belle 3 werden die Atomabstände in den Strukturen von2b und 2a einander gegenübergestellt. In der verfeinertenStruktur von 2b ist der C�N-Abstand mit 129,4(9) pm imVergleich zu 2a (136,1(5) pm) und zu Ethylcarbamat [8](134,9(4) pm) deutlich kürzer. Die C�O-Abstände in 2b(128,7(9) und 132,0(9) pm) zeigen geringe Unterschiede zu

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N. Kuhn, M. Ströbele, H.-J. Meyer

Abbildung 5 Projektion der Elementarzelle von β-Ammonium-carbamat (2b) auf die ab-Ebene.

denen in 2a (127,9(5) und 128,9(5) pm) und sind einheitli-cher als die C�O-Abstände in Ethylcarbamat (133,3(4) und122,3(3) pm). Die für 2b ermittelten N�H-Abstände liegenfür NH4

� zwischen 99(3) und 112(3) pm und für die NH2-Gruppierung zwischen 83(6) und 89(6) pm. Beide Struktu-ren, 2a and 2b, werden von dreidimensionalen Netzwerkenaus N�H···O-Wasserstoffbrückenbindungen durchzogen(Abb. 4, Tab. 4).

In der Struktur von β-(NH4)CO2NH2 (2b) sind dieCarbamationen in planaren Schichten in den Spiegelebenenparallel zur ab-Ebene angeordnet (Abb. 5). Zwischen denSchichten liegen (bei z � 1/4 und 3/4) Ammoniumionen. DieSchwerpunkte beider Ionensorten bilden zwei ineinandergestellte (verzerrte) primitive Anordnungen, die dem Motiveiner Struktur vom CsI-Typ folgen. Im Vergleich hierzu lie-gen alle Atome in der Struktur von α-(NH4)CO2NH2 (2a)auf allgemeinen Lagen der Raumgruppe Pbca. Hier folgtdie Anordnung der Schwerpunkte beider Ionensorten demMotiv der Atome des Wurtzit-Typs.

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Schlussbemerkung

Die Untersuchung der uns vorliegenden Proben hat keinenHinweis auf die Gegenwart von Ammoniumcarbonat er-bracht. Die von Herstellern und Handelsfirmen angegebe-nen Bestandteile Ammoniumcarbonat (1), Ammoniumcar-bamat (2) und Ammoniumhydrogencarbonat (3) erklärensich aus der Annahme von 3 Phasen. An Stelle des Ammo-niumcarbonats haben wir eine zweite Form des Ammoni-umcarbamats (2b) nachgewiesen, das sich beim Stehen anLuft in Ammoniumhydrogencarbonat umwandelt. Dies er-klärt neben dem Einfluss der Herstellungsbedingungen diewechselnde Zusammensetzung der im Handel befindlichenProdukte.

Aus dem Ergebnis unserer Untersuchungen kann auf dieZusammensetzung von Produkten anderer Herkunft nichtgeschlossen werden. Wir sehen jedoch keinen Hinweis aufdie Existenz von Ammoniumcarbonat in fester Phase. Dieswird der Wertschätzung des unter diesem Handelsnamenvertriebenen Produkts sicher keinen Abbruch tun.

Literatur

[1] Gmelin Handbuch der Anorganischen Chemie, Syst.-Nr. 23,NH4, S. 341, Verlag Chemie, Weinheim 1936.

[2] Vgl. hierzu Ullmann’s Encyclopedia of Industrial Chemistry,Volume A2, S. 261, VCH, Weinheim, 1985; Kirk-Othmer Ency-clopedia of Chemical Technology, Volume 2, S. 693, John WileySons, New York, 1992; Römpp Lexikon (J. Falbe, M. Regitz,Hrsg.), 10. Auflage, S. 171, Georg Thieme, Stuttgart, 1996;Winnacker Küchler, Chemische Technik, Band 3, S. 283, Wiley-VCH, Weinheim, 2005.

[3] J. M. Adams, R. W. H. Small, Acta Crystallogr. 1973, B29,2317.

[4] R. Sailer, G. McCarthy, ICDD Nr. 44-1483.[5] C. B. Sclar, L. C. Carrison, Science 1963, 140, 1205.[6] A. G. G. Moliterni, R. Spagna, J. Appl. Crystallogr. 2004, 37,

957.[7] T. Roisnel, J. Rodrıguez-Carvajal, Materials Science Forum,

Proceedings of the Seventh European Powder Diffraction Confe-rence (EPDIC 7), Ed. R. Delhez and E. J. Mittenmeijer,2000, 118.

[8] B. H. M. Bracher, R. W. H. Small, Acta Crystallogr. 1967, 23,410.