13
Archiv Ohr- usw. Heilk. u. Z. Itals- usw. Heilk., Bd. 157, S. 581--593 (1951). Aus der Univ.-Iffals-Nasen-Ohrenklinik, Graz (Vorstand: l~'ofiDr. GVSTAV ttoFE~). (~ber die physiologischen Grundlagen des labyrinth~ren Nystagmus. Von MAX K~Aus. (Einffegangen am 18. Oktober 1950.) Kaum ist fiber ein Problem in der Otologie so viel gearbeitet worden, wie fiber den Nystagmus. Das ist nieht verwunderlich, da er ja praktisch genommen beim Menschen die einzig objektiv exak~e und einfach prfif- bare Reaktion darstellt, die Schliisse auf die Funktionstfichtigkeit dieses wichtigen Sinnesorganes erlaubt. Eine Unzahl yon Versuchen und Theorien haben in genialer Weise die physikalischen Grundlagen des ~ystagmus und sein Verhalten unter ,den versehiedens~en Bedingungen klargetegt~ so da~ allein die Aufzghlung der Forseher, die sieh um die Lfsung dieses Problems 'verdient gemacht haben, kaum mehr einem Itandbuch mfglich ist. 'Bei der Vielzahl der Theorlen mid Hypothesen, die sich mit den physikalischen Bedingungen ffir alas Zustandekommen des hTystagmus befaSse~, ist es eigentlich fiberrasehend, d~B kaum Versuehe gemacht worden sind, :dem g~nzen Komplex der labyrinth~r bedingten Augen- bewegungen eine physiologische, teleologische Erklgrung zu geben. K~ST]~NBAUY~ erblicktim Spon'ts einen ~bfiorm6n Verl~uf der"n0rm&len R'eflexe fiir die Angefibewegungen. Sein Haup~verdienst ist die Trem~ung dfr nicht labyrinthgr bedingten Nystagmusformen yon denen labykinth~r~r Ge~iese. seifie Erkl~rhngen fiir den Fikationsreflex und den EinStellungsmeehanismus Wurden ~ abet yon anderen Forschern (Bgtr~E~) angegriffen und aueh Widerieg~i Wghrend der fiir die Ot01ogie wiehtigste labyr~nth~re Nystagmus keine' weitere Deutung erf~hrt. N~VMA~-FgEM~L haben einen DeutungsVersueh unternommen, der in ghnlicher Weise yon L]~IDLERetwa folgenderma~en pr~zisiert wurde : Wahrend einer Rechtsdrehung en~steht bekanntlich ein Nys~agmus mit der langsamen Komponente naeh l~inks, sowie Kopfdrehreaktionen naeh links; Ls~Dn~ sieht nun in diesem t~eflex, der die beabsich~igte Dretmng zu hemmen such~, einen Regulationsmechanismus, der eine allzu pI6tz- liehe Gesichtsfeldgnderung verhindern soil, um das Gleiehgewieht nicht zu gef~hrden. Arch. Ohr- usw. Heilk. u. Z. Hals- usw. Heilk. Bd. 157. 39

Über die physiologischen Grundlagen des labyrinthären Nystagmus

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Über die physiologischen Grundlagen des labyrinthären Nystagmus

Archiv Ohr- usw. Heilk. u. Z. I tals- usw. Heilk., Bd. 157, S. 581--593 (1951).

Aus der Univ.-Iffals-Nasen-Ohrenklinik, Graz (Vorstand: l~'ofi Dr. GVSTAV ttoFE~).

(~ber die physiologischen Grundlagen des labyrinth~ren Nystagmus.

Von

MAX K~Aus.

(Einffegangen am 18. Oktober 1950.)

Kaum ist fiber ein Problem in der Otologie so viel gearbeitet worden, wie fiber den Nystagmus. Das ist nieht verwunderlich, da er ja praktisch genommen beim Menschen die einzig objektiv exak~e und einfach prfif- bare Reaktion darstellt, die Schliisse auf die Funktionstfichtigkeit dieses wichtigen Sinnesorganes erlaubt. Eine Unzahl yon Versuchen und Theorien haben in genialer Weise die physikalischen Grundlagen des ~ystagmus und sein Verhalten unter ,den versehiedens~en Bedingungen klargetegt~ so da~ allein die Aufzghlung der Forseher, die sieh um die Lfsung dieses Problems 'verdient gemacht haben, kaum mehr einem Itandbuch mfglich ist.

'Bei der Vielzahl der Theorlen mid Hypothesen, die sich mit den physikalischen Bedingungen ffir alas Zustandekommen des hTystagmus befaSse~, ist es eigentlich fiberrasehend, d~B kaum Versuehe gemacht worden sind, :dem g~nzen Komplex der labyrinth~r bedingten Augen- bewegungen eine physiologische, teleologische Erklgrung zu geben.

K~ST]~NBAUY~ erblicktim Spon'ts einen ~bfiorm6n Verl~uf der"n0rm&len R'eflexe fiir die Angefibewegungen. Sein Haup~verdienst ist die Trem~ung dfr nicht labyrinthgr bedingten Nystagmusformen yon denen labykinth~r~r Ge~iese. seifie Erkl~rhngen fiir den Fikationsreflex und den EinStellungsmeehanismus Wurden ~ abet yon anderen Forschern (Bgtr~E~) angegriffen und aueh Widerieg~i Wghrend der fiir die Ot01ogie wiehtigste labyr~nth~re Nystagmus keine' weitere Deutung erf~hrt.

N~VMA~-FgEM~L haben einen DeutungsVersueh unternommen, der in ghnlicher Weise yon L]~IDLER etwa folgenderma~en pr~zisiert wurde : Wahrend einer Rechtsdrehung en~steht bekanntlich ein Nys~agmus mit der langsamen Komponente naeh l~inks, sowie Kopfdrehreaktionen naeh links; Ls~Dn~ sieht nun in diesem t~eflex, der die beabsich~igte Dretmng zu hemmen such~, einen Regulationsmechanismus, der eine allzu pI6tz- liehe Gesichtsfeldgnderung verhindern soil, um das Gleiehgewieht nicht zu gef~hrden.

Arch. Ohr- usw. Heilk. u. Z. Hals- usw. Heilk. Bd. 157. 39

Page 2: Über die physiologischen Grundlagen des labyrinthären Nystagmus

582 MAX KRAUS:

Gegen diesen Erkl~xungsversuch k~nn man abet folgende Argumente einwenden :

1. Dieser iV[echanismus hilft gerade bei raschen Kopfdrehungen nichts, well er nut um Bruehteile yon Sekunden und nur urn wenige Winkelgrgde verlgngsamen k~nn.

2. Zeigen ger~de solehe schurfen Drehungen, daI~ das Gleichgewich~. dutch plStzliche Gesichtsfeldgnderung nieht leidet.

3. Ware eine solche Hemmung niemals im Interesse des Individuums gelegen, da solche plStzlichen Wendungen ger~de im Augenblick hSchster Gef~hr vorkommen, woes oft wirklieh um Bruchteile yon Sekunden geht, das neue Gesichtsfeld zu erfassen.

4. (~UTTICH hat nachgewiesen, daG bei der aktiven Drehung das Auge als erstes eine ~asche Drehung m~cht und der Kopfdretiung vorauseilt, der Wflle also dem Reflex vorgreift und ihn iiberdeckt; daher kann yon einer effektiven Hemmung nicht die Rede skin.

5: Der Sinn des Alternierens zwischen langsamer und sehneller Komponente beim iYystagmus bleibt bei diesem Erklarungsversuch vSllig dunkel.

Weitere ausfiihrliche Erklarungsversuche sind in den Standard- werken der Labyrinthphysiologie eigentlich nicht zu finden, bis auf einze]ne eingestreute rage Andeutungen und Vermutungen einzelner Forscher, die aber nirgends zu einem geschlossenen Bfld zusammengefiigt sind (z. B. LOI~E~TE DE N6 : ,,Wenn der Iqyst~gmus den Zweck hat, dutch die Augenbewegung eine Kopfbewegung zu ersparen. . .") .

Ein derart komplizierter, exakter und gesetzmal~ig ~uftretender Mechanismus muB aber seinen physiologisehen Sinn haben. Um diesem naher zu kommen, ist es nStig, ~lle Labyrinthfu~ktionen zu eliminieren, die ursachlieh niehts mit dem Nystagmus zu tun haben.

N~eh unserem heutigen Wissen werden dem Labyrinth an Funktionelt zugeschrieben: Schatlperzeption, Lage- und Bewegungsempfindungen, tonische und reflektorische Einwirkungen auf die KSrpermuskutatur (Halsreflexe usw.) und der labyrinthgre Nystagmus. Andere mehr oder weniger wahrscheinlich labyrinthgr bedingte l%eflexe (aufBlutdruek usw.) sind fiir diese Betrachtung yon untergeordneter Bedeutung. Die erste: Frage muB sein, ob eine dieser Funktionen kausal mit dem l~ystagmus- verkniipft ist.

Die Selbstandigkeit der Schallperzeption unterliegt wohl keinem Zweifel. In erster Linie werden yon einzelnen Forschern dig Bewegungs- empfindungen in kausalen Zusammenh&ng mit dem Nystagmus gebraeht. BlaEIFEI~ erklart den Drehsehwindel einzig und allein dureh die Endo- lymphbewegungen bedingt, die andererseits auch die Urs~ehe des Nystagmus sind. GI~JN]~EI~G schreibt : ,,Der dutch Erkrankung des Ohres. im Gleiehgewiehtsorgan ausgelSste Schwindel wird durch den immer mi.t~.

Page 3: Über die physiologischen Grundlagen des labyrinthären Nystagmus

Physiologische Grundlagen des labyrinth~ren Nystagmus. 583

ihm einhergehenden Nystagmus erzeugt, indem dieser dutch das Auf- treten scheinbarer Drehbewegungen eine T/iusehung fiber die r/~umliehen Verh/iltnisse der Umgebung bewirkt." V~I~s erkl~rt: ,,Sowohl w/~hrend, wie nach einer rotatorischen Labyrintherregung vollfiihren die Sehdinge Seheinbewegungen, welche mit dem rotator~sehen bzw. postrotatorischen Nystagmus eine so weitgehende Parallelit/it aufweisen, dab es naheliegt, sie als direkte Folge des Nystagmus anzusprechen." lgE~MA~X-F~MEL bemerken: ,,Der Sehwindel ist die Folge der oszillierenden, durch den sehnellen Weehsel der fixierten Punkte verursachten Bewegung der Aug- ~pfel, wovon man sieh leieht dureh Betastung der eigenen und fremden Augen fib~rzeugen kann."

Um diese Frage entscheiden zu kSnnen, ist es notwendig, 2 Formen der Scheinbewegung scharf voneinander zu trennen: Die Scheindrehung der Umwelt und das Drehgeffihl des eigenen KSrpers (GRA~ u.a.). Trotz ausffihrlichster Beschreibung mancher Drehversuche ist in ver- sehiedenen Arbeiten auf diese Unterseheidung zu Wenig Riicksicht ge- nommen worden. Eine Scheindrehung der Umgebung gibt es naturgem~B nur bei erhaltenem Visus. Wird dieser durch SehlieBen der Augen, Leuehtbrille usw. ausgeschaltet, so bleibt die reine Drehempfindung tibrig.

Bei Versuohen unter diesen Bedingungen kann man nun eine Paralleli- t/~t zwischen Nystagmus und Eigendrehgeftihl durehaus niehg finden. Eindeutig dagegen sprechen vor allem die starke Inkongruenz zwischen Drehnaehempfindung und lgaehnystagmus (BA~A~Y u. a.), die man bei jeder Kalorisa~ionsprfifung immer wieder beobaehten kann, und der meist ohne jede Drehempfindung lebhaft sehlagende Nystagmus beim Fistelsymptom (g~r~T~). Auch die Feststellung BRu~c~s , dag bei luiseher Innenohrerkrankung und multipler Sklerose oft Nystagmus ohne jeden Drehsehwindel besteht, sprieht gegen einen kausalen Zusammen- hang dieser beiden Erseheinungen.

Die Bedeutung des labyrinth/it ausgeI6sten Eigendrehgefiihls beim 1Vfensehen kann nur ganz gering sein. Passive Drehbewegungen kommen kaum vor und wenn sie iiberhaulot angedeutet sind (beim Ausglei~en usw.), sind sie dutch die Arbeit der anderen Sinnesorgane schon einwand- frei perzipiert, so dal3 ein labyrinth/ires Eigendrehgefiihl dabei ohne Belang seh~ mug. Man kann ein solehes wirklich nut mehr als atavistisehes t~udiment anspreehen.

Unter physiologisehen Bedingungen verl/~uft abet jede Drehung unter Kontrolle der Augen. Auf den Untersehied in dem Ergebnis ist schon viel- faeh hingewiesen worden (V~ITs, G/~TIc~ u. v. a.). Meist wird die dabei auftretende Seheindrehung der Umgebung auf zus/~tzliehe Halsreflexe bzw. den dabei vorhandenen optokinetisehen lgystagmus zurfiekgeffihrt. (BoRRI~s), also auf die zus/itzliehe, willensm/il]ige, sprungweise weeh- selnde Verfolgung der bei der Drehung vorbeiziehenden Gegenst/~nde. Das

39*

Page 4: Über die physiologischen Grundlagen des labyrinthären Nystagmus

584 MAX KRAUS:

kann aber nieht richtig sein, da in bezug auf die Scheindrehung der Um- gebung die aktiven und passiven Bewegungen ein vollkommen gleiches Resul~at ergeben und das Ergebnis bei fixiertem und frei beweglichem Kopf auch das gleiehe ist. Der optokinetischel%ystagmus ist aber auch nieht die Ursache der dabei auftretenden Scheindrehung der Umgebung, sonst miiilte man z.B. auch beim Lesen das Gefiihl einer Drehung bekommen.

Folgt man mit den Augen einem vorbeifahrenden Eisenbahnzug aus dem Fenster eines stillstehenden Wagens, so tr i t t bekanntlich oft das Gefiihl auf, selbst in die Gegenrichtung zu fahren. Bind neben dem ins Auge gefal~ten Zug jedoch noch ruhende Objekte siehtbar (Bahndamm usw.), so kann man die einzelnen Waggons mit genau den gleidhen opto- kinetiseh-nystaktischen Augenbewegungen verfolgen, ohne dab die Spur einer Eigenbewegungsempfindung auftritt .

Eine sehr deutliche und klare Entseheidung in dieser Frage gibt der klassische Pu~INJ~sche Versuch.

1. Dreht man slch aktiv oder passiv mit offenen Augen u m seine L~ingsachse herum, so hat man anfangs das (objektiv richtige) Gefiihl der Eigendrehung im Raum. Bald aber beginnt dieses Gefiihl nachzulassen und die Umgebung eine Scheindrehung in der Gegenrichtung durch- zuftihren, Dauert die Drehung Ninger an, so wird diese Seheindrehung immer heftiger und vie] sehneller als die tats~iehliehe Drehung (PU~KIXJ]~, F i s c h e r u. a.). Wenn hier ~ aueh ein optokinetischer Nystagmus eine Rolle spielen soll, so kann er doch niemals eine schnellere als die tats~ich- liche Drehung Vort~uschen; die Scheindrehung bei diesem Versuch wird a be r derart grolt, dal~.die reale Drehung dabei ganz unmal~geblich er- seheint . . . . . , �9

2. Bleibt man nun plStzlich sfehen, so setzt sieh diese Scheindrehung in der gleichen Rich~ung,fort (PcgK~J~ u. a.),, ohne ihre Geschwindig- keit zu iindern (!). Dabei kann es jetzt auch weder Halsreflexe, noeh einen optokinetisehen i~ystagmus geben und diese l~aktoren kSnnen zur Er- kl~irung der aul~ergewShnlich sehnellen Seheindrehung daher nicht heran- gezogen werden. : . . . . .

3. Erg~nzt man den bekannten Versuch aber in der Weise, dall man sieh nach dem Stehenbleiben sofort anschliellend zur Gegense~te dreht so h5rt das Schwindelgefiihl im Augenblick schlagartig auf . Sowohl die relative Drehung der Umgebung als auch die Tatsache der Eigendrehung werden je tz t wieder objektiv richtig erfal~t, wie bei Beginn dieser Ver- suehsreihe.

Alle diese 3 Phasen des Versuehes stehen im Gegensatz zu dem dabei auftretenden l~ystagmus :

1. Wi ih rend des Schnellerwerdens der Seheindrehung l~il~t der l~ys~agmus nach, da ja auch die Endolymphe in den Bogengiingen w~hrend der gleiehfSrmigen Drehung langsam zur l~uhe kommt.

Page 5: Über die physiologischen Grundlagen des labyrinthären Nystagmus

Physiologische Grundlagen des labyrinth/iren Nystagmus. 585

2. Nach dem Stehenbleiben schl/igt der Nystagmus in die Gegen- richtung urn, entspreehend der GegenstrSmung in den Bogengangen, wahrend die Scheindrehung in der gleichen gichtung weitergeht.

3. Die letzte Zusatzphase zu diesem klassisehen Versuch zeigt aber besonders deutlieh das Fehlen eines kausalen Zusammenhanges zwischen Nystagmus und Drehgeffihl: W/~hrend das Schwindelgeffihl, das nach allgemeiner Ansicht im wesentlichen aus der falschen Einsch~tzung der Eigenbewegung und der Bewegung der Umgebung resultiert, bei so- fortiger Gegendrehung vollkommen versehwinde~, wird der nunmehr gegenstrSmenden Lymphe eine starke zus~tzliche relative Besehleuni- gung erteilt: Bei Abhgngigkeit des Schwindels yon der Endolymph- zirkulation miiBte er also jetz~ bedeutend zunehmen. Der Nystagmus aber folgt wenigstens in Richtung und Intensit~ts~nderung streng der Endolymphbewegung, entsprechend den theoretisehen Er.wartungen.

Aus diesen Beobaehtungen ist nut ein einziger SchluI3 m6glich: Der Nystagmus ist eine vollkommen selbst/~ndige Labyrinthfunktion und weder Ursaehe, noeh Folge der gleichzeitig auftretenden subjektiven Bewegungsempfindungen und tier geflexe der KSrpermuskulatur !

Wenn man nun die Gelegen_heiten betrachtet, unter denen fiberhaupt labyrinthgrer Nystagmus entsteht, so kann man feststellen, da$ Nystag- mus eigentlich nur unter pathologischen Umstanden auftritt :

1. bei krankhaften Prozessen im Labyrinth, 2. bei Krankheitsprozessen der fibergeordneten Zentren, 3. bei pathologisehen Reizen. Die iibliehen ~ethoden der Labyrinthpriifung gehen alle darauf aus,

kiinstlich Nystagmus zu erzeugen, und sind demnach alles andere als physiologisch. Die Drehpriifung weicht in vielen ~omenten yon den natfirliehen Bedingungen ab, worauf schon mehrf~ch hingewiesen wurde (FIscE~R u. a.):

1. Die Drehbewegung ist passiv, unter Ausschluft des kingsthetischen ~uskelsinnes.

2. Die Drehung erfolgt unter AusschluB tier KontroI1e der Augen (Leuehtbrille).

3. Drehungen um mehr als 180 ~ kommen in der Natur praktisch nieht v o r .

4. Die Drehbewegungen in der Natur sind um ein vielfaohes sehneller, ruekartig.

Die Kalorisierung is~ eine Gew~ltmethode mit inadgquatem Reiz, die ganz unphysiologiseh nur ein Labyrinth erregt. Das gleiehe gilt natfirlieh erst reeht fiir elektrisehe Reizmethoden und die Priifung auf Fistel- symptom.

Diese erprobten und zum Tell auch verfeinerten ~ethoden (Ko~RAK) haben nattirlich trotz ihrer unphysiologischen Bedingungen ihren groBen

Page 6: Über die physiologischen Grundlagen des labyrinthären Nystagmus

.586 Max K~avs:

praktisehen Wert, nur mug man sieh dartiber klar sein, dab sie eben notwendigerweise unphysiologisch sein miissen, um Nystagmus hervor- zurufen, und dal3 man das Ergebnis erst auf physiologisehe Verh~ltnisse reduzieren muB, .wenn man den physiotogischen Sinn der labyrinth~ren Augenbewegungen erkennen will.

Wenn der Nystagmus also die Antwort auf einen pathologischen P~eiz darstellt, so ist die n~chste Aufgabe, l~eiz und I~eizbeantwortung unter physiologisehen Bedingungen zu eruieren. Unter den labyrinth~ren Augenbewegungen linden sieh nur zwei, die unter physiologisehen Bedingungen vorkommen, n~mlieh der Efnstellungsnystagmus und die sogenannte Gegenrollung der Augen.

Fiir den ~echanismus des Einstellungsnystagmus kann man unter Annuhme eines stgndigen Labyrinthtonus auf die Augenmuskeln (EwAnD) und der Ablenkung der willensm~gigen Bliekeinstellung durch diesen eine befriedigende Erkl~rung finden. Ein bis in Einzelheiten gehender Erkl~rungsversueh wurde in einer vorangegangenen ~it tei lung gegeben. Der Einstellungsnystagmus ist aber aueh insofern kein ganz physiolo- gischer Vorgang, als eine starke Deviation der Bulbi normglerweise i n n e r sofort yon einer entspreehenden Kopfdrehung ~usgeg[ichen wird, wenn das stark seitlich gelegene Bliekziel weiter im Auge behalten werden sell.

Die einzige labyrinthiire Augenreaktion auf einen ~bsolut physiolo- gischen lgeiz ist daher die Gegenrollung. Als solche wird bekanntlioh das Phgnomen bezeichnet, dal~ bei Drehung des Kopfes um eine fronto- occiloitale Achse die Bnlbi eine gleichzeitige entgegengesetzte Drehung durchfiihren, so daft ihre Stellung zur Lotrechten unveriindert bleibt. Xhnliche Gegenbewegungen werden far den ~enschen aueh fiir die horizontale und vertikale Bewegungsphase angenommen, wegen der i2berdeckung dutch die willensmgl3ige ]~lickeinstellung sind diese jedoch nicht nachweisbar (lgUTTIS). Andere Autoren erklaren sie als unmal~- geblich.

Bei der Gegenrollung ist aueh ein mechaniseher Faktor wirksam (Tr~gheitsmoment), der aber nur Bruchteile der fiir diese Augenbe- wegung nStigen Kraf t ausmacht (Ko~PA~EJETZ) : Bei Fi~llen yon totaler Ophthalmoplegie war zu deren Sichtbarm~chung eine )/[indestver- schiebung yon 10--20 ~ n5tig, w~hrend die Reflexe schon bei einerVer- schiebung yon wenigen Graden in Kraf t traten.

Es gibt nun eine 1V[Sglichkeit, durch eine einfs Versuchsreihe diesen labyrinth~ren Effekt auch fiir die hor.izont~le und vertik~le Komponente beim )/[enschen nachzuweisen:

Wenn man den Blick zwischen 2 Punkten, die n i t den Augen einen Winkel yon (z.B.) 30 ~ bilden, so schnell als mSglich zu wechseln sucht, so gelingt dieser Bliekwechsel nur mit einer gewissen, nicht ~llzu gro6en Geschwindigkeit. Fixiert man aber nur einen Punkt und macht n i t dem

Page 7: Über die physiologischen Grundlagen des labyrinthären Nystagmus

Physiologische Grundlagen des labyrinth~ren Nystagmus. 587

Kolos Schtittelbewegungen yon 30 ~ in der gleichen Ebene, so gelingt dies wesentlich rascher und exakter, ohne da$ man diesen Punkt aus den Augen litSt, obwohl bier zu den ganz gleichen Augenbewegungen die Kopfbewegungen noch hinzukommen.

5Toeh instruktiver l~llt sich der Versueh in der folgenden Weise dureh- fiihren: Versucht man w~hrend des Lesens eines gedruekten Textes die Schrift ziemlieh nahe vor den Augen in kreisende oder gar unregelm~$ige Bewegungen zu versetzen, so ,,verschwimmt" sie einem bald vet den Augen und man ist nieht mehr imstande, welter zu lesen. H~It man jedoch den Text ruhig im gleiehen Abstand und maeht die gleiehen kreisenden Bewegungen mit dem Kopf, so verliert man auch bei sehr schnellen und unregelm~$igen Bewegungen nicht einen Augenblick die FAhigkeit, den 'Text weiter zu lesen. Die relative Verschiebung zwischen Auge und Blick- objekt ist die gleiehe; withrend aber im ersten Fall tier Wille allein die Korrektur durch st~ndig wechselnde Blickeinstellungen besorgen mug, tibernimmt diese Aufgabe im zweiten Fall der viel rascher arbeitende Reflexmechanismus tiber das Labyrinth und gleieht die Kopfdrehungen dureh sofortige entsprechende Gegenbewegungen der Augen aus.

Eine Patientin, die naeh beiderseitiger Labyrinthitis und Radikal- operation links vollkommen labyrinthausgesehaltet u n d rechts nut spurenweise c~loriseh erregb~r war, versagte aueh bei diesem letzten Versueh vollkommen; es war ihr nicht mSglieh, einen ruhenden Text bei Schtittelbewegungen des Kopfes welter zu lesen.

Diese Versuche beweisen folgendes: Es besteht ein reflektorisch wirkender ~eehanismus, der bei jeder Kopfbewegung eine in der Riehtung genau entgegengesetzte Augenbewegung veranlaSt yon dem Ausma$, dal~ die Blickrichtung des Auges durch die Kopfdrehung nicht ver~ndert wird. Der l~eflex entspricht genau der Gegenrollung der Augen, hat seinen Ur- sprung im Labyrinth und bietet ein genaues Abbild tier StrSmungs- vorgiinge im Labyrinth. Er tibertriigt den dutch kurze Drehungen nicht ver/tnderten Lagezustand tier Fltissigkeit in den Bogeng~ngen auf die Bulbi.

Wie gesagt mul~ nun dem Nystagmus, dieser so typisch verlaufenden Reaktion auf einen unphysiologischen l~eiz, eine Reizbeantwortung unter physiologischen Bedingungen entspreehen. Vergleieht man die einzelnen Qualitttten des Nystagmus mit denen des Reizes, der den Nystagmus verursacht hat, vergleieht man ferner die Qualit~ten dieses patholo- gisehen Reizes mit denen der normalen, unter physiologischen Bedin- gungen auftretenden lgeize, so kann man diese Reizbeantwortung unter physiologisehen Bedingungen, den eigentliehen physiologischen Sinn des Nystagmus, nach Art einer mathematischen Proportion geradezu be- rechnen. Nystagmus : Drehstuhlprobe = x : physiologisehen Drehreiz! Aus dieser Proportion erreehnet sich mit iiberraschender Klarheit genau

Page 8: Über die physiologischen Grundlagen des labyrinthären Nystagmus

588 MAX KI~AUS :

der Vorgang der Gegenrollung bzw. besser allgemein gesag~ kompen- satorischen Augenbewegung. Der unphysiologischen Reizsummation dutch die langsame Dauerdrehung am Drehstuhl entspricht eine lang- same, dauernde Ablenkung der Augen (Nystagmus), genau wie dem rasehen und kurzdauernden physiologischen Drehreiz die entsprechend genau dosierte kompensatorische Augenbewegung folgt.

Der SchluB ffihrt zu einem weiteren : In welche Teile des Labyrinthes auch immer die Entstehung des Nystagmus verlegt wird, in demselben Tell muB auch die kompensatorische Augenbewegung ihren Ursprung haben.

Ein kurzer l~berblick fiber die Versuche, die einzelnen Funktionen des Labyrinthes genau in seine Einzelabschnitte zu lokalisieren, unterstreicht die Berechtigung, auch die kompensatorische Augenbewegung im wesent- lichen als einen Bogengangsreflex aufzufassen.

Die Schallperzeption wird hence wohl einheitlich in die Schnecke verlegt, aber auch hier gibt es gelegentlich abweichende Ansichten. Fiir die Entstehung des labyrinth~tren Nystagmus werden auf Grund der ,,klassischen" MAc~-BR~uE~schen physikalischen ~berlegungen in erster Linie die Bogeng~tnge in Betracht gezogen, wghrend man die Entstehung yon Lage- und Progressivbewegungs-Empfindungen, muskuli~re Reflexe und auch die Gegenrollung teilweise dem Otolithensystem, teilweise dem Bogengangsapparat zuschreibt.

Trotz grSBter Anstrengungen und miihevollster Versuche sind die Ergebnisse und damit auch die ~einungen der verschiedenen Forseher in dieser Frage noch nicht einheitlich. Die diesbeziiglichen Untersuchungen stol~en auf die grSl~ten Schwierigkeiten, da Versuche unter physiolo- gischen Bedingungen beim ~enschen fast nicht denkbar sind und man vor allem diese beiden Teilorgane (Otolithen und Bogengang) nicht sicher isoliert prtifen kann. Es scheint sogar zweifelhaft, ob es iiberhaupt l~eize gibt, die ausschlielMich nut ftir eines der beiden Teilorgane als adi*quat anzusehen sind, wie man es sich lange yon der Progressivbeschleunigung vorgestellt hatte. 01~RSTEIR und Bu~G~ konnten theoretisch und im ~odellversuch nachweisen, dal~ auch im Bogengangsystem bei Pro- gressivbesehleunigung StrSmungen auftreten. Auch LOR~TE DE N6 und andere Forscher vermuten Deformationen der hgutigen Bogenggnge bei Progressivbewegungen.

H~rizI>m=~ leugnet iiberhaupt die ~Sglichkeit einer scharfen Trennung von dynamischen (Cristae) und statischen (Maculae) Labyrinthreflexen. HEC~NE~ spricht den Otolithen eine wesentliche Rolle bei tier Entstehung des Drehnachnystagmus zu. Tierversuche haben in der Richtung auch nicht weitergebracht; wohl wegen der schweren Allgemeinst5rungen durch die Eingriffe am Labyrinth sind die widersprechendsten Be- hauptungen experimentell belegt worden. FuJIuO~I konnte nach

Page 9: Über die physiologischen Grundlagen des labyrinthären Nystagmus

Physiologiszhe Grundlagen des labyrintharen l~ystagmus. 589

Plombierung der Bogenggnge noch Nystagmus erzeugen und fiihrt ihn d~her ~uf den Ototithen~pparat zuriick. TULLIO erzeugte durch Schall- einwirkung am freigelegten Bogeng~ng I~ystagmus. DE KLEIJN wies nach, dab die Stellreflexe yore Otolithenapparat ausgel6st werden, wghrend VERST~EGH nach dessen Exstirpation alle tonischen Labyrinth- reflexe noch naehweisen konnte. 1ViAG~US konnte nach Abschleuderung der Otolithenmembranen noeh ~lle Reaktionen auf Progressivbe- schleunigung n~chweisen und verlegt daher wie KOEgAK den AuslSsungs- ort der Progressivempfindungen in die Bogeng~nge. MAcNvs und D~ KnEIJs f~ssen die Gegenrollung als Otolithenreflex auf, kommen nach sehr geistvollen SchluBfolgerungen jedoeh zu dem Ergebnis, dab weder die Sacculus-I-I~uptsttieke, noeh die Utriculus-l~Iaculae als Ausl6sungsort fiir die kompensatorische Raddrehung in Betraeht kgmen.

Diese Aufz~hlung liege sieh nach Be]ieben fortsetzen und zeigb, dab eine exakte Lokalisation der verschiedenen Labyrinthfunktionen inner- halb des Labyrinthes heute noeh nicht mSglich ist. Im tibrigen ist sie f'dr das Verst~ndnis auch gar nicht unentbehrlich, da die in Betrach~ kommenden Organteile doeh sicher als physiologische Einheit zusammen- arbeiten. Es scheinen hier ~ihnliehe Verhgltnisse vorzu]iegen, wie bei den St~ibchen und Zapfen der Retina, die im wesentlichen auch nur vor- wiegend und nieht aussehlie~lich allein als Perzeptoren ftir Bewegung bzw. Farbe angesproehen werden kSnnen.

Wenn die Bogeng~inge tatsachlich auf Progressivreize anspreehen und man sich andererseits iiberlegt, dal~ bei Drehungen in Saeculus und Utrieulus nieht nur durch die Zentrifugalkraft, sondern auch dutch unbedingt dabei auftretende StrSmungen Reize ausgelSst werden kSnnten, so erscheint es nicht wahrscheinlich, dab sich eine bestimmte Funktion ganz ausschliel~lich nur yon einem dieser Teilorgane wird ableiten lassen.

Unser Bestreben sollte nicht so sehr nach Trennung der Funktionen der einzelnen Labyrinthteile gehen, als eher naeh dem Verst~ndnis ihrer Zusammen~rbeit.

Was bisher die Parallelsetzung yon l~ystagmus und Gegenrollung verhindert hat, waren hauptsachlich 3 1Komente :

1. die rasche Komponente des Igystagmus, 2. der tonische Charakter der Gegenrollung und 3. der fehlende l~aehweis der horizontalen und vertikalen Kompo-

nente der Gegenrollung beim 1VIenschen. ]DE KLEIJN verlegt mit den meisten Forschern die Gegenrollung in

den Otolithenapparat, well sie einen ,,tonisehen" Reflex darstellt (VEIWS), der nach FISCHER SO lange anh~ilt wie die KSrperdrehung. ]Dieser Ansicht wurde allerdings yon HOU~EN und STaUYCK~ widersproehen. BI~UNNEI~ fiihrt die Gegenro]lung nicht allein auf den Otolithenapparat zurtick.

Page 10: Über die physiologischen Grundlagen des labyrinthären Nystagmus

590 MAx K~Aus:

:ZIMMERMANN (zit. nach KOMPANEJETZ) fand, dab die kompensatorischen Augenbewegungen nach Abschleudern der Otolithenmembranen wieder- kehren.

Naeh der zitierten vorhergehenden Mitteilung mit der darin vor- gebrachten Theorie yon der schnellen Komponente des Nystagmus be- steht aber gar keine Notwendigkeit, einen tonischen, also dauernd wirkenden reflektorischen Zug anzunehmen, da innerhalb der Indifferenz- zone der Labyrinthe keine labyrinth~re Zugkraft besteh% die das Auge wieder aus der Stellung herausffihren k5nnte, in die es der kurz wirkende Reflex der Gegenrollung gebracht hat. Die Endstellung naeh erfolgter kompensatorischer Augenbewegung deekt sieh aber immer mit der willensm~Bigen Blickeinstellung, was besonders bei der horizont~len und vertikalen Komponente der kompensatorischen Augenbewegung deutlieh zum Ausdruck kommt. Wenn man nun die rasehe Komponente des Nystagmus einzig und allein als automatisehe Ausgleichsbewegung dutch die willensm~Bige Bliekeinstellung usw. erkennt, so f~llt auch das zweite Moment der Un~hnliehkeit dieser beiden labyrinth~ren Augenreflexe weg, da sich bei der kompensatorischen Augenbewegung ja Bliekziel und Einstellungsziet des l%eflexes immer deeken un4 daher keine Korrektur- bewegungen entstehen kSnnen.

Mit dem Nachweis der horizontalen und vertikalen kompensatorischen Augenbewegungsreflexe beim Menschen erscheint nun das letzte Hindernis beseitigt, um in Gegenrollung und Nystagmus ein und denselben Reflex- vorgang erkennen zu l~dnnen, der nut dutch die Verschiedenheit der Reize und i~u/3eren Bedingungen ein verschiedenes Bild bietet.

G~TTICH sieht in der Gegenrollung eine Art KompaBeinriehtung, die z. B. die VSgel aueb in der Dunkelheit oder im diehten Nebet fiber die

�9 I-Iorizontale unterriehtet, also eine reine Gleiehgewiehtsfunktion ausiiben soll. Dies kann jedoeh nicht stimmen, da

1. die Gegenrollung bei Neigung fiber 30 ~ sehon ihre Wirksamkeit verliert und

2. erseheint es widerspruehsvoll, dab ein Reflex, de rnur bei Aus- sehaltung der Augen (Nebel usw.) seinen Sinn und Zweek haben soll, ausgereehnet den komplizierten Umweg fiber die dana auBer Funktion gesetzten Augen nehmen sollte,

3. haben die meisten Tiere, bei denen dieser Reflexmeehanismus nuehweisbar ist, ebenso wie der Menseh gar keine praktisehe Verwendung ffir eine solehe Einrichtung.

Die kompensatorisehe Augenbewegung ordnet sich zwanglos als grund- legender physiologiseher Reflex in die Reihe der labyrinth~ren Augen- bewegungen ein, und es liegt demnach der Sehlug auf der Hand, dag man in diesem RefIe~: den physiologisehen Sinn aUer Kr~fte suehen mug, die fiber das Labyrinth auf die Augenmuskeln einwirken.

Page 11: Über die physiologischen Grundlagen des labyrinthären Nystagmus

Physiologische Grundlagen des labyrinth~ren Nystagmus. 591

Gleichzeitig erhalten dadurch auch die Kopfdreh- uad Halsreflexe, die besonders im Tierreich noch deutlieher ausgepr~gt sind (~AC~US u. a.), als unterstiitzende Momente ffir diesen Reflexvorgang ihre physiologisehe Bedeutung. Wird der KSrper passiv aus seiner Richtung gebracht, (was im allgemeinen in der Natur selten vorkommt, etwa bei Fischen und VSgeln durch StrSmungseinwirkungen), so bewirkt der Reflex, dal~ sich aul]er den Augen auch der Kopfin die urspriingliche Blickrichtung einstell~.

Der Sinn der labyrinth~ren Augenre/lexe ist es o//enkundig, die Augen- bewegungen von den Bewegungen des i~brigen KS~ers vollkommen unab- hSngig zu machen (nicht einfaehe ,,Feststellung der Blickrichtung w/~hrend einer K5rperdrehung": BETKE und CLARK). Die Lebewesen werden dadurch in die Lage versetzt, nieht nur das Bliekfeld ws einer Kopf- drehung unver~ndert zu bewahren, wenn sie das wollen, sondern mit der gleiehen gewohnten Innervation das Blickfeld w/ihrend der Drehung so abzutasten, als wiirde der Kopf gar keine Bewegung ausffihren. Das Lebewesen kann daher nattirlich aueh die Augen bei einer Kopfdrehung willkfirlieh mitnehmen und dieser willkiirliche Blickwechsel erfolgt genau so sehnell und sicher, als wenn der Kopf in Ruhe bliebe.

Der Wille kann diesen t~eflexmeehanismus iiberwinden, wenn er nicht dutch fiberm~l~ige Erregung verst~rkt ist, wie man dies unter den ver- schiedensten Bedingungen im mensehliehen KSrper finder (z. B. bei der Atmung, bei den Sch]iet~muske]n usw.).

Es ist sicherlieh auff/~llig, da2 man ~uch bei schnellstm6glichem, ruekartigem Bliekwechsel zwischen zwei welt auseinanderliegenden Bliekpunkten bei ruhig gehaltenem Kopf diese Zielpunkte immer sehon bei erster Intention mit erstaunlicher Genauigkeit einzustellen vermag, so dab naehtrggliche Korrektionsbewegungen der Bulbi zur Seharfein- stellung kaum mehr nStig sind. Das Lebewesen lernt es frfihzeitig, bei der Blickwendung flit jede beabsiehtigte Winkelversehiebung genau den richtig dosierten muskulgren Impuls zu setzen, Was fiir die Rasehheit der Orientierung im Raum yon unsch/s Bedeutung sein mull. Diese F~ihigkeit auch bei aktiven und passiven Kop/bewegungen zu erhalte~ ist die wichtige und aussehlie/31iche A u/gabe der labyrinthgren A ugen~oe/lexe. Ohne sie miil~te bei jeder Kopfbewegung die Blickeinstellung entweder fiber das Ziel hinausschieSen oder vor ihm stehenbleiben, da ja dutch die Kopfbewegungen je naeh deren Richtung ein Tell der Augenbewegungen ,,erspart" oder zus/~tzlich notwendig gemach$ wird. Die kompensatorische Augenbewegung laf~t sich etwa mit der Kreiseleinriehtung eines Schiffs- kompasses vergleichen, dessen Rotationsachse auch vom Stampfen und Schlingern des Schiffes unbeeinflu{~t bleibt : Eine Art Kreiselkompafl/i~r das Blick/eld.

Die Wichtigkeit dieses Reflexes wird klar, wenn man sich fiberlegt, dal~ die meisten Tiere bei ihrer Hauptbesch/~ftigung, der Nahrungssuche

Page 12: Über die physiologischen Grundlagen des labyrinthären Nystagmus

592 MAX KR~vs:

und -aufnahme, die ausgiebigsten Kopfbewegungen zu maehen ge- zwungen sind. Ki~me es dabei jedesmal zu einem ,,Verschwimmen" des Blickfeldes, zur UnmSglichkeit einer Seharfeinstellung wiihrend der Bewegung, so miiBte das fatale ~olgen haben. %~hnliehes gilt aneh ffir die Fortbewegung (Sprung, sehlingernde KSrperbewegungen der Fische usw.) und fiir die im allgemeinen seltenen passiven KSrperbewegungen (Aus- gleiten usw.). Diese Funktion des Labyrinthes ist auch wesentlieh wiehtiger als etwa die Empfindungsvermittlung einer Drehung, die ja aueh auf anderem Wege (durch dis Augen usw.) zum Bewul~tsein kommt.

Der gauze verwiclcelte Vorgang des labyrinthiiren lgystagmus mit lang- samer und schnetler Komponente ist demnach beim Gesunden nichts anderes, als eine durch pathologische Reize ins krankha/te verzerrte kompensatorisehe Augenbewegung, die normale, physiologisehe Antwort des Kdrpers au[ einen pathologischen Reiz.

Wenn man will, kann man aueh ohne weitere Erkl~rungssehwierig- keiten den richtungsbestimmten i~agenystagmus in dieses System auf- nehmen und hat damit eine einheitliehe Grundlage ffir die Erkli~rung und physiologische Deutung si~mtlicher labyrinthiirer Augenbewegungen bis in alle Einzelheiten.

Das Streben nach Vereinheitlichung und Vereinfachung komplizierter Verhi~ltnisse ist ,,menschlich", aber gerade deswegen ,,natiirlich", und es erscheint berechtigt, nach igSglichkeiten zu suchen, auch die komplizier- ten VerhKltnisse im Labyrinth gewissermagen auf einen Nenner zu brin- gen. Die einfachste L6sung ist immer die beste und die Natur hat noch imm~r die beste L6sung gefunden:

Eine gewisse praktisehe Bedeutung kSnnte diesen theoretisehen Er- w~gungen vielleicht for die Durehfiihrung der Labyrinthpriifung zu- kommen. Abgesehen davon, daft diese mit unphysiologisehen I~eizstiirken arbeitet (GffTTICt{ vergleicht sie einer Seh- und HSrprobe mit Blitz und Donner), mug man noeh bedenken, daft man dabei gar nicht die Gleich- gewichtsfunktion dieses Organs priift, auf welche es abet in den meisten Fiillen ankommt. Ein bei der Labyrinthprtifung ausgel6ster ,,normaler" und seitengleieher Nystagmus ist lediglieh ein Indicator fOr die Intaktheit gewisser meehanischer Labyrinthvorg~nge und l%eflexbahnen. Zur Sehwindelanalyse muff man, iihnlieh wie bei der Hdrprii/ung, notgedrungen wieder auf die sub]elctiven Angaben des Patienten zuriic]cgrei]en, die bei der Labyrinthpriifung h~ufig vernaehl~tssigt werden.

Zu~ammenfassung. Durch Deduktionen aus einer Reihe bekannter Versuchsergebnisse

sowie durch einige eigene Versuche werden folgende Behauptungen zu beweisen versucht : '

Page 13: Über die physiologischen Grundlagen des labyrinthären Nystagmus

Physiologisehe Grundlagen des labyrinth~ren Nystagmus. 593

1. Der labyrinthiire lgystagmus ist Ausdruck einer yon Lageempfin- dung, Drehschwindel usw. vollkommen versehiedenen und unabh/ingigen Funktion des Labyrinthes.

2. Der Nystagmus ist die pathologisch fibersteigerte Form einer normalen, stiindigen Labyrinthfunktion, deren sichtbarer Ausdruck in der sogenannten Gegenrollung der Augen vorliegt.

3. Wie dutch Versuche aueh beim l~enschen naehgewiesen werden kann, besteht die Gegenrollung nieht nur ffir die rotatorische Kompo- nente, sondern ffir alle giehtungen der Augenbewegungen. Sie geht bei doppelseitigem LabyrinthausfM1 verloren.

4. Eine vollkommene Trennung der Funktionen yon Otolithen- und ~Bogengangsapparat ist weder techniseh m6glich, noeh fiberhaupt theoretiseh denkbar. Es besteht kein triftiger Grund, die Gegenrollung aussehlieglieh yon den Otolithen abzuMten, da sie als Dauerreflex under Armahme einer labyrinthfi.ren Indifferenzzone aueh ohne weiteres yon den Bogeng~tngen her erkl~rt werden kann.

5. Mit der Eliminierung der rasehen Komponente als einfaeher Korrektionsbewegung sind die Voraussetzungen gesehaffen, die Gegen- rollUng als die dem labyrinthiiren Igystagmus zugrunde liegende Reaktion zu erkennen. Sie hat die fiir das Individuum ungeheuer wichtige Aufgabe, die Blickbewegungen yon den KopfbeWegungen vollkommen unabhi~ngig zu maehen: Eine Art Kreiselkompafl /iir das Blick]eld.

6. Eine gewisse praktische Bedeutung liegt inder Folgerung, dug den subjektiven Angaben fiber Sehwindel und Drehempfindungen bei der LabyrinthpNifung erhShte AUfmerkSamkeit Zugewendet werden mug.

Literatur. D~K~rKAg_LE~: Itandb. d. Ohrenhkde. (1926).-7 ALEXANDER-MAtgBUI~G"

Bt~V~ng; Handb. d. Neurologie d. 0bres (1924). ~ FISe~Eg: ,,Die 1%gulations- funkt, d. mensehl. Lab3a':" (1928). -2' G/)TTiC~: ,,Neurol0gie des Ohrl~bya'inths" (i94~).'-- VEITS : ,,Der gegenw. Sgand d. m. Ves~ibttl:,Physiologie , Zbl.; tIals:,usw. tIeilk. Bd. 17 (1932). --~' In diesen Werken sind genauere Literaturangaben fiber die zitierten Autoren zu linden, die im einzelnen sehon aus Platzmangel nicht gebracht werden k6nnen. Im besonderen ist noc h zu Einzelhe!ten aus VerSffentliehungen folgender Autoren Stellung genommen worden, die im Zbl. Hals- usw. tIeflk. referiert sind: FvJI~ORI (Bd. 3). HOVBE~-STRtrYe~:ES; (Bd. 17), I-ItrxzINa~ (Bd. 27), KOBtCAK (Bd, 17), KO~PA~EZETZ (Bd. 7), LOI~NTE Dn N6 (Bd. 24), T~rr~Lxo (Bd. 23), V~,RSWEEG~ (Bd. 12). - - t(~trS : ,,~ber die schnelle Komponente des labyrin- ~haren Nyst0~gmus", Arch, Hals- usw. IIeilk. lg7~ 485 (1951).

Dr. MAx K~avs, Graz, Univ. Hals-Nasen-Ohren-Klinik.