15
Archly Ohr- usw. Heilk. u. Z. ttals- usw. tteilk., Bd. 157, S. 485--499 (1951). Aus der Univ.:ttals-Nasen-Ohrenklinik,Graz (Vorstand: Prof. Dr:'~GusTAv HOFER). (~ber die schnelle Komponente des labyrinth~irenNystagmus. Von MAX KRAUS. Mit 1 Textabbildung. (Eingegangen am 18. Oktober 1950.) Der selfsame Vorgang des Nystagmus war schon immer eines der beliebtesten Forschungsgebiete der Ohrphysiologie. Es ist das Verdienst yon K]~STENBAV~, eine ]~bersicht fiber seine verschiedenen Formen ge- funden zu haben. ~an kann heute mit einigen Ab~nderungen im wesent- lichen 3 I~auptformen des Nystagmus unterscheiden : 1. Rein okul~r bedingter Nystagmus, ,,Augenzittern" im eigentlichen Wortsinn. Hierher gehSren alle Bulbusschwankungen, die durch man- gelnde Sehsch~rfe bedingt sind und gew5hnlich in ausschlie~lich rasehen, unregelm~Bigen Zuckungen nach beiden Seiten bestehen. 2. Der willensm~l~igbedingte Nystagmus, sogenannter optokinetiseher oder Eisenbahnnystagmus, bedingt dureh gewotltes Verfolgen eines be- wegten Gegenstandes mit den Augen oder gewolltes langsames Absuehen eines Blickfeldes in einer bestimmten Richtung (z. B. beim Lesen). Hier finder man sehon die beiden ffir den eigentlichen Nystagmus charakte- ristischen Komponenten, die schnelle und die langsame. Zum ~Unter- schied yon der n~chsten Gruppe ist aber hier die langsame Komponente gewShnlieh nieht gleiehm~l~ig, sondern aus ganz feinen, ruckartigen Einzelbewegungen zusammengesetzt, ,,saccadiert" (GERTZ).Ein weiterer Unterschied besteht darin, dab diese Nystagmusform fiber das ganze Blickfeld sehl~gt. 3. Die labyrinth~ren Nystagmusformen, hervorgerufen durch eine t~eizung des Labyrinths oder (lessen Zentren, und gekennzeiehne~ durch einen eharakteristischen Wechsel einer gIeichm~igen, langsamen und einer raschen Komponente. Das Schlagfeld dieses Nystagmus liegt in der der langsamen Komponente entsprechenden H~lfte des Bliekfeldes. Es besteht heute kein Zweifel mehr, dab diese langsame Komponente labyrinth~rer Genese ist; ein Zentrum dafiir sell im DmTERsehen Kern- gebiet bestehen, verschiedentlich werden auch noch weitere Zentren an- genommen (KoBI~AK U. a.). Eine ungelSste Frage ist aber noch das Zustandekommen der raschen Komponente des Nystagmus. Im wesentlichen wurden hier 3 Theorien aufgestellt:

Über die schnelle Komponente des labyrinthären Nystagmus

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Über die schnelle Komponente des labyrinthären Nystagmus

Archly Ohr- usw. Heilk. u. Z. ttals- usw. tteilk., Bd. 157, S. 485--499 (1951).

Aus der Univ.:ttals-Nasen-Ohrenklinik, Graz (Vorstand: Prof. Dr:'~GusTAv HOFER).

(~ber die schnelle Komponente des labyrinth~iren Nystagmus. Von

MAX KRAUS.

Mit 1 Textabbildung.

(Eingegangen am 18. Oktober 1950.)

Der selfsame Vorgang des Nystagmus war schon immer eines der beliebtesten Forschungsgebiete der Ohrphysiologie. Es ist das Verdienst yon K]~STENBAV~, eine ]~bersicht fiber seine verschiedenen Formen ge- funden zu haben. ~an kann heute mit einigen Ab~nderungen im wesent- lichen 3 I~auptformen des Nystagmus unterscheiden :

1. Rein okul~r bedingter Nystagmus, ,,Augenzittern" im eigentlichen Wortsinn. Hierher gehSren alle Bulbusschwankungen, die durch man- gelnde Sehsch~rfe bedingt sind und gew5hnlich in ausschlie~lich rasehen, unregelm~Bigen Zuckungen nach beiden Seiten bestehen.

2. Der willensm~l~ig bedingte Nystagmus, sogenannter optokinetiseher oder Eisenbahnnystagmus, bedingt dureh gewotltes Verfolgen eines be- wegten Gegenstandes mit den Augen oder gewolltes langsames Absuehen eines Blickfeldes in einer bestimmten Richtung (z. B. beim Lesen). Hier finder man sehon die beiden ffir den eigentlichen Nystagmus charakte- ristischen Komponenten, die schnelle und die langsame. Zum ~Unter- schied yon der n~chsten Gruppe ist aber hier die langsame Komponente gewShnlieh nieht gleiehm~l~ig, sondern aus ganz feinen, ruckartigen Einzelbewegungen zusammengesetzt, ,,saccadiert" (GERTZ). Ein weiterer Unterschied besteht darin, dab diese Nystagmusform fiber das ganze Blickfeld sehl~gt.

3. Die labyrinth~ren Nystagmusformen, hervorgerufen durch eine t~eizung des Labyrinths oder (lessen Zentren, und gekennzeiehne~ durch einen eharakteristischen Wechsel einer gIeichm~igen, langsamen und einer raschen Komponente. Das Schlagfeld dieses Nystagmus liegt in der der langsamen Komponente entsprechenden H~lfte des Bliekfeldes.

Es besteht heute kein Zweifel mehr, dab diese langsame Komponente labyrinth~rer Genese ist; ein Zentrum dafiir sell im DmTERsehen Kern- gebiet bestehen, verschiedentlich werden auch noch weitere Zentren an- genommen (KoBI~AK U. a.).

Eine ungelSste Frage ist aber noch das Zustandekommen der raschen Komponente des Nystagmus. Im wesentlichen wurden hier 3 Theorien aufgestellt:

Page 2: Über die schnelle Komponente des labyrinthären Nystagmus

486 M. K~Avs:

Die erste Gruppe yon Forschern verlegt den Entstehungsort der raschen Komponente in das Labyrinth selbst (Bogengang: BR~VE~, M~VrETrr u. a., Otolithen: REIJT5); diese Theorien sind jedoch heute wieder verlassen.

Die zweite Gruppe will einen peripheren Reiz im Bereich der Augen daffir verantwortlich machen. Die Deviation durch die langsame Kompo- nente sell auf sensiblem Wege dem Zentrum mitgeteilt werden und dann die rasche Gegenbewegung auslSsen (EwALD U.a.). Von DE KLEIJN wurde jedoch gegen diese Theorie ein entscheidender experimenteller Gegenbeweis erbracht : l~ach L~hmung der Sensibflit~t durch l~ovocain- einspritzung in den Muse. rectus ext. mit intaktem l~. abducens und nach Durchschneidung s~mtlicher anderer Augenmuskelnerven t r a t keine ~ d e r u n g des Nystagmus auf.

DE KLEIJ~ steht daher mit der Mehrzahl der Forscher (~ACH, B~A~u u.a.) auf dem Standpunkt, die schnelle Komponente miisse zentral ausgelSst werden. Eine Lokalisation des fraglichen Zentrums war aber bis heute noch nicht mSglich. ,,Entfernt man einem Kaninchen das Stirnhirn, so verschwindet die rasche Komponente, diese ist also im Stirnhirn lokalisiert" (ROTttFELD); ,,Die Exstirpation des GroBhirns bringt den Nystagmus nicht zum Schwinden" (LEIDLER und BAUEr, HOGYES). _A_DAMOCK nimmt ein Zentrum im Vierhfigeldach an, SPITZE~ im Zwischenhirn, WE~ICKE in der Gegend des Abducenskernes, ]~O~AKOW in den Zellen um den Aquaedukt, BAVER-LEI])LE~-BA~A~Y in den Endkernen des Vestibularis (zit. nach B~U~NE~).

Gegen die Theorie einer peripheren Entstehung der schnellen Kompo- nente spricht auch noch die folgende ~berlegung : Wenn diese Bewegung durch sensible Vermittlung der Deviation der Bulbi zustandekommen sell, so mfil]te eine Verst~rkung der DeviatiOn (Blick in die Richtung der langsamen Komponente) auch die rasche Komponent e und damit den Nystagmus verst~rken, w~hrend bekanntlich gerade das Gegenteil der Fall ist.

Nun l~ssen sich aber auch gegen die zentrale Entstehungs-Theorie eine Reihe schwerwiegender Einw~inde erheben:

1. spricht das Experiment DE KLEIJ~S selbst dagegen: Wie sell die zentrale AuslSsung der raschen Koml~onente zustandekommen, wenn samtliche Augenmuskelnerven bis auf den bei der Entstehung der raschen Komponente nicht beteiligten Abducens durchschnitten sind

2. An und ffir sich ist schon die Annahme eines notwendigerweise derart fein ausgewogenen I)oppelreflexes sehr unwahrscheinlich. Die rasche Komponente mfil~te haargenau das durch Kraft kompensieren, was ihr an Zeit mangelt, wenn nicht durch Uberwiegen einer Komponente die Bulbi im ganzen sch]iei~lich nach eine r Richtung hin devfieren sollen, was ja tats~chlich nich~ vorkommt.

Page 3: Über die schnelle Komponente des labyrinthären Nystagmus

Uber die schnelle Komponente des labyrinth~ren Nystagmus. 487

3. Verstiirkt wird diese Erkl/irungsschwierigkeit durch die Tatsache, dab beide Bewegungen ganz verschiedenen Charakter tragen: Die lang- same Komponente gleicht den Kontraktionen glatter Muskeln, w/~hrend die schnelle wi]lkiirliehen Bewegungen gleicht (DOHL~A~r

4. Die Tatsache, dab ein labyrinth~rer l~ystagmus niemals mit einer schnellen Phase beginHt (DOHLMAN), bildet einen weiteren Einwand. Andererseits kann die rasehe Phase bei vielen Gelegenheiten vor der langsamen verschwinden: Bei Bewufttlosen, in der I~arkose (BAI~ANY, I~OSENrELD), aueh im tiefen Schlaf (GlOlCGIO), niemals aber die langsame vor der schnellen. Diese anseheinende Sehw/~che des Zentrums ffir die rasche Phase erschwert ebenfalls die Erkl/irung der exakten Zusammen- arbeit beider Komponenten.

5. Ein weiteres Argument ergibt sieh aus dem Umstand, dab - - wie bekannt - - der Nystagmus niemals fiber die Mittellinie schl/s die schne]le Komponente also immer genau mit der willensm~Bigen Bliek- einstellung ihre Begrenzung finder. Die langsame Komponente ist ohne weiteres imstande, den Willen zu fiberwinden, w/ihrend die vie! kr/iftiger, ruekartig wirkende schnelle Komponente dazu nicht f~thig sein soll.

6. Endlieh bildet noch folgendes Experiment einen entseheidenden Gegenbeweis: Bei ~qualen Doppelspfilungen mit geringem Zeitabstand zwischen reehts und links mfiBte es zur Auswirkung nut der raschen Komponenten ,con beiden Seiten kommen. Nut die langsam drehenden und lange anhaltenden Reize der langsamen Komponenten k6nnen sich praktisch die Waage halten, so dab ohne rasche Komponenten bei Mittelstellung der Augen keine merkbare Bewegung der Bulbi eintreten mfiBte, auch nicht dutch das kurzdauernde Uberwiegen einer Phase w/ihrend der Erschlaffung der anderen; es kSnnte ja wegen der kurzen Pause nur zu minimalen, kaum merkbaren, langsamen Pendelbewegungen der Augen kommen, die yon l~ngeren Zeitabschnitten vollkommener Ruhe unterbroehen wiiren. Nimmt man aber zus~tzlich zwei rasche Phasen yon beiden Seiten her an, so iindert sich das Bild sofort. Die raschen Komponenten mill]ten zu einem Rucknystagmus nach beiden Seiten fiihren, da sie ja erstens ungleich krgftiger sein mfissen und noeh unterstfitzt werden dureh die gleichzeitige Erschlaffung der langsamen Komponente ihrer Seite und zweitens die Wahrscheinlichkeit sehr gering ist, dab sie rechts und links gleichzeitig in Erscheinung treten.

Ffihrt man nun zum Beweis dieser Argumentation im Experiment /iquale D0ppelspfilungen in kurzem Zeitabstand zwisehen rechts und links aus, so kommt es nach der fiblichen Latenzzeit f'dr die zuerst gespfilte Seite zu einem kurzdauernden Nystagmus zur sp/iter gespfilten Seite, der gerade der Differenz der zeitlichen Aufeinanderfolge der Spfilungen entspricht; dann stehen die Bulbi still, wie bei gleiehzeitig ausgeffihrter Doppelspfilung. Ein Rucknystagmus nach beiden Seiten,

Page 4: Über die schnelle Komponente des labyrinthären Nystagmus

488 M. KRAvs:

wie er bei Annahme einer zentralen AuslSsung der raschen Komponente zwingend zu erwarten w~re, konnte niemMs beobachtet werden.

Wenn alsb weder eine periphere, noch eine zentrale AuslSsung der ra~chen Komponente in Frage kommen kann, so muB es eine dritte N[SgIichkeit zur Entstehung dieser Bewegung geben. Um diese heraus- zufinden, ist es nStig, sich die physikalischen Bedingungen vor Augen zu halten, unter denen fiberhaupt eine derartige, in Riehtung und Ge- sehwindigkeit alternierende Bewegung zustandekommen kann.

Die Augenbewegung unterliegt einem Zweizfigel-~echanismus durch die jeweils antagonistisehen ~uskelgruppen und es ergeben sich folgende 3 NISglichkeiten:

1. Langsamer Zug in einer Richtung, der plStzlieh aufhSrt, wi~hrend im gleichen Augenblick ein kr~ftiger Zug in die Gegenrichtung einsetzt. Dieser Zug muB wieder in gen~u abgemessener (kurzer) Zeit aufhSren und sofort wieder der langsame Gegenzug einsetzen: Zwei vollkommen selbsti~ndige N[echanismen, die aber haargenau in der zeitlichen Auf- einanderfolge und Kraft aufeinander abgestimmt sein miissen.

2. MSgliehkeit: Ein Dauerzug in einer ]~ichtung, der durch einen zus~tzlichen, st~rkeren, langsam wirkenden Zug in die Gegenrichtung fiberwunden wird. Dieser Gegenzug li~Bt pl6tzlich aus, um nach erfolgtem Zurficksehnellen wieder einzusetzen.

Die 3. N[Sglichkeit ist eine einfache Umkehrung der Bedingungen unter 2., Vertauschung der schnellen und langsamen Komponente (der alternierende Zug ist der ruckartige).

Der heute noch vorherrsehenden Ansicht entspricht die erste M6glieh- keit, ni~mlich ein alternierender Doppelreflex, der von ganz verschiedenen Zentren ausgelSst wird. Betrachtet man aber die beiden anderen N[6glich- keiten, so zeigt sich, dab sie nicht nur alle Erkl~rungsschwierigkeiten der erstgenannten vermeiden, sondern dariiber hinaus uns in die Lage ver- setzen, verschiedene Tatsachen der Labyrinthphysiologie zwanglos zu erkl~ren und Zusammenh~nge zwischen bisher als ganz verschieden betrachteten Labyrinthfunktionen zu erkennen.

Um die Faktoren zu ermitteln, die einen solchen Dauerzug ver- ursachen kSnnen, muB man sieh iiberlegen, welche Kr~fte fiberhaupt die Augenbewegungen veranlassen und welches ihre Eigenschaften sind.

Von einer rein mechanisch-physikalischen Komponente, der Gewebs- spannung und dem Tr~gheitsmoment, kann dabei abgesehen werden, da ihr bei der groBen Beweglichkeit des Bulbus sicher keine hohe Be- deutung zukommt und ihre Wirkung im iibrigen vollkommen parallel geht mit einer welter unten zu erSrternden automatischen, zentralen Komponente. Es bleiben daher:

1. Die willensm~Bige Blickeinstellung. Ihre Bewegungen erfolgen im allgemeinen rasch, ruckartig.

Page 5: Über die schnelle Komponente des labyrinthären Nystagmus

Uber die schnelle K o m p o n e n t e des labyrinth/~ren Nys tagmus . 489

2. Wie alle 1V[uskeln weisen auch die Augenmuskeln einen l~uhetonus auf, tier sich auch bier aus 2 Komponenten zusammensetzt: Einem im Muskel selbst gelegenen Tonusanteil und einer dauernden, ,,statistischen" Innervation (SrIEG~L U. a.). Ein solcher Tonus ist nStig, da tier willens- ma$ige Zug an ,,schlaffen Z~geln" zu stark ausfahrenden Bewegungen fiihren miiSte und die MSglichkeit einer raschen und exakten Blick- einstellung damit nicht gegeben w~re. Er bewirkt die Einstellung der Augen im Schlaf und stellt augenscheinlich eine verh~ltnism~Big geringe Zugkraft dar, die durch den Willen jederzeit leieht iiberwunden werden kann, einen l~uhetonus nicht labyrinth~ren Ursprungs, wie ihn alte Muskeln des KSrpers haben (deutlich z. B. bei den GlottisSffnern).

Wodurch dieser allgemeine Muskeltonus bedingt ist und wie er sich znsammensetzt, ist eine neurophysiologische Frage, deren Erforschung nicht in den Rahmen dieser Untersuchung gehSrt. An dieser Stelle mu$ nut die Xotwendigkeit und das tats~ehliehe Vorhandensein eines solehen Tonus festgestellt werden und seine Unabh~ngigkeit yon dem gleieh zu besprech~nden Labyrinthtonus.

3. ~eist gilt als eine Komponente tier ,,statischen Innervation" der sogenannte Labyrinthtonus (EwALD, HSGY~S). Allerdings darf man diesen Grundtonus nieht yon den Labyrinthen selbst ableiten, sondern yon deren Kerngebieten, was aus tier B~c~T~R~wschen Beobachtung eindeutig hervorgeht: Nach Aussehaltung des zweiten Labyriathes kommt es genau so, wie nach tier Ausschaltung des ersten, zu einem Xystagmus zur Gegenseite, der abet jetzt nut yon den Kerngebieten aus erkl~rbar ist.

Der Labyrinthtonus zeigt nun einige Besonderheiten, die es notwendig machen, ihn nicht als einfache Komponente der statischen Innervation aufzufassen, sondern streng yon den iibrigen nervSsen Einfliissen zu trennen. Die Teilung der tonischen Komponente in zwei verschiedene und selbst~ndig wirksame Gruppen kSnnte auf den ersten Blick als unnStige Komplizierung der Verh~ltnisse erscheinen. Wie sich sparer zeigen wird, hat sie aber eine ganz wesentliche Bedeutung ffir die Analyse des Nystagmus.

Fiir die Ableitung tier tonischen Einfliisse aus zwei verschiedenen Quellen (~uskeltonus und subcorticale, statische Innervation einerseits und Labyrinthtonus anderseits) spreehen eine Reihe yon Uberlegungen:

a) Die Bewegungen durch die labyrinth~ren Kr~fte sind langsam und gleichm~$ig schnell w/~hrend des Ablaufes des einzelnen Nystagmus- schlages und unterscheiden sich dadurch wesentlich yon den vorgenann- ten einfachen Zugkr~ften.

b) Labyrinth~re Einfliisse sind durchaus nicht auf alle Muskeln im KSrper denkbar. Eine Beeinflussung yon Finger- oder Kaumuskeln dutch das Gleichgewichtsorgan ws vollkommen sinnlos.

Arch. Ohr- usw. tIcilk, u. Z. ttals- usw. Iteilk. Bd. 157. 33

Page 6: Über die schnelle Komponente des labyrinthären Nystagmus

490 M. K~AVs:

c) Aufterdem mfiBten dann solche entfernt gelegenen ~uskelgruppen genau so wie die Augenmuskeln durch Labyrlnthreizung beeinfluBbar sein, was jedoch nicht der Fall ist.

d) Wiihrend der allgemeine ~uskeltonus eine gewisse ~uskelspannung in jeder Kontraktionsphase garantiert, gewissermagen also immer in einer und derselben Riehtung zieh~, haben die labyrinth~tren Augenkr~fte je naeh dem Erregungszustand ihrer Zentren ganz bestimmte, variable Einstellungsziele, was noch genauer zu er6rtern sein wird und weitere Beweise fiir die Not~'endigkeit einer Differenzierung der beiden Kr~fte- gruppen mit sieh bringt.

e) Ein einfaeher Beweis ist auch die Tatsaehe des Einstellungs- nystagmus, dessen langsame, anerkannt labyrinthgre Komponente ja ohne jede physikalisehe M6glichkeit einer Labyrintherregung zust~nde- kommt.

4. Zu gMehartigen Bewegungen ffihrt die ~eizung der Labyrinthe selbst (Drehung~ Kalorisation usw.). Sie superponieren sich den yon den Kerngebieten ausgehenden Impulsen genau so, wie sieh der Wille den subeortiealen Einstellungskr/~ften iiberordnet.

~echanisehe Kr~fte und statisehe Innervation haben nun, wie gesagt, eine in gewissem 3/IaB yon der Spannmag (Deviation) abhs Be- wegungstendenz immer nut naeh einer bestimmten l~iehtung bin, ver- gleichbar etwa einem sehwach gespalmten Gummiband, und unter- seheiden sieh dadureh grundsgtzlich und wesentlieh v'on den iibrigen auf die Augenmuskeln einwirkendela Kr~ften. Ihrem Wirkungsmeehanis- mus entspreehend miissen sie die Tendenz haben, die Augen geradeaus zu stellen, so wie es ffir die meisten K6rpermuskeln eine ~uhestellung in Form einer Mittelstellung mit bestm~Sgliehem Spannungsausgleieh zwisehen Agolxisten und Antagolxisten gibt, und wie sieh sehlieglieh aueh ein zwisehen zwei Gummib/indern ausgespannter K6rper genau in der ~Xittelstellung einstellt.

DgB f6r die willensm~Bige Bliekeinstellurtg immer ein bestimmtes, variables Bliekziel gegeben ist, ist eine Selbstversgs Ebenso klar ist es, dab bei Erreiehung dieses Bewegungszieles der Bewegungs- impuls sehlagartig sein Ende linden muB, da es sonst zu einer lJber- sehreitung des Blickzieles mit notwendiger Gegenbewegung kommerl miiBte und dutch solehe Pendelbewegungen eine rasche und exakte Ein- stellung unm6glieh gemaeht wfirde.

Wie man sieh einen derartigen Kr~fteausgleieh am Bliekziel vor- stellen soll, liegt heute noeh vollkommen, im Bereich der Spekulation. Nan k6nnte eine Art yon elektrisehem Schaltvorgang annehmen mit automatisehem Spannungsausgleieh bei Erreiehung des Bewegungs- zieles, oder einen bestimmt ,,dosierten" Impuls, dessen Energieverbraueh

Page 7: Über die schnelle Komponente des labyrinthären Nystagmus

Uber die schnelle Komponente des labyrinth~ren Nystagmus. 491

dann die Bewegung zum S~illstand kommen l~I]t, usw. usw, der Phan- tasie sind da keine Grenzen gese~zt. Solange keine l~6glichkeiten fiir sichere Schlfisse und Beweise vorhanden sind, haben solche Speku- lationen nur insofern eine Berechtigung, Ms sie zu zeigen verm6gen, dab L6sungen fiberhaupt denkbar sind.

Eine Reihe yon Beobaehtungen sloricht nun daffir, dag ein solches Einstellungsziel nicht nur fiir die willensm~gige Bliekbewegung, sondern auch ffir die labyrinth~ren Zugkr~fte bestehen muir. Der sogenannte Einstellungsnystagmus t r i t t nur bei einer Deviation der Bntbi be- stimmten Grades auf. Unterschreitet die Diviation diese Winkel- abweichung, so h6rt der Einstellungsnystagmus auf. Die langsame Komponente dabei, deren labyrinthare, tonische Genese feststeht, scheint den Bulbus nur bis zu einem bestimmten, konstanten Punkt zuriickzuziehen. Noch deutlicher werden diese Verhaltnisse b e i be- stehendem Spontannystagmus zweiten Grades, der immer mit einem Nystagmus ersten Grades beiderseits gekoppelt ist. Bei zweitgr~digem Nystagmus z. B. naeh reehts zieht die labyrinth~re Kraf t den Bulbus nach einem bestimmten Punkt halblinks; wird diese Einstellung z. B. dutch willkthqiehe Bliekwendung iiberschritten (Bliek ganz naeh links), so erfolgt der labyrinth~re Zug jetzt naeh der Gegenseite, bis dieser Ein- stellungsp~mkt wieder erreieht ist.

Es ist bier also wie bei der willensm~gigen Bliekeinstellung nicht die Zugriehtung das wesentliehe, sondern das Einstellungsziel, die Deviation bestimmten Ausmages. Aueh diese Erkenntnis zwingt zur scharfen Trennung der automatiseh auf die Augen einwirkenden Kr~fte in solehe labyrinth~rer und niehg labyrinth~rer Genese und hat eine wesentliche tledentnng ffir die weitere Analyse.

Naeh EWALD hat jedes Labyrinth die Tendenz, die Augen sehrag zur Gegenseite einzustellen. Naeh dem Gesagten mug eine solehe Einstellungs- tendenz auf bestimmte Bewegungsziele ausgehen und ihren Ursprung in den Kerngebieten der Labyrinthe haben. Von der statisehen Innervation unterscheiden sieh die labyrinth~ren Kr~fte wesentlieh dutch das Ein- stelltmgszieI, dassie mit dem Willen gemeinsam haben. Von diesem abet trennen sie sehon rein ~ui~erlich 2 wiehtige Charakteristiea :

a) Die labyrinth~tren Augenbewegungen sind gleiehm~Lgig, nach Art der Bewegungen der glatten Mnskeln (DoI~LHAN), und

b) vor allem ist ihre Gesehwindigkeit w~hrend des ganzen Ablaufs der langsamen Komp0nente annahernd gleieh grog. Dementsprechend mug die wirksame Zugkraft in jeder Phase der Bewegung eine gleieh starke sein, bei starker Deviation also nieht gr6ger als bei geringer. Diese Fest- stellung fiihrt zu einem weiteren wiehtigen Sehlug: Naeh einfaehen physikalischen Uberlegungen mug daher entspreehend der schrag zur Gegenseite gehenden Einstellungstendenz beider Labyrinthe zwischen

33*

Page 8: Über die schnelle Komponente des labyrinthären Nystagmus

492 M. K~Avs:

diesen Einstellungsrichtungen eine ,,Indifferenzzone" bestehen, innerhalb welcher sieh unter normalen Verh~tltnissen die beiden Labyrinthe voll- kommen das Gleichgewicht halter und daher ohne zus~tzliche Labyrinth- reizung keine labyrinth~r bedingte Einstellungstendenz besteht. Diese Zone ist nnter normalen Verhitltnissen sehr breit und reicht yon schr~g reehts nach schr~ig links, umfal~t also fast da s ganze Blickfeld. Aus diesem Grunde kann auch durch den labyrinth~ren Tonus keine Geradeaus- stellung der Augen im Schlaf erfolgen, diese muff demnach dureh andere Kr~fte veranla~t sein: Ein weiterer Beweis ffir die I~otwendigkeit der Annahme eines nicht Iabyrinth~r gesteuerten und andersartig arbeitenden Tonus.

Wahrend man sich nun den Zugmechanismus des statisehen Tonus nach Art zweier in entgegengesetzter Riehtung an einer Kugel ziehender

Abb. 1.

Gummib~nder vorstellen kann, ist dieser Vergleieh fiir den Labyrinth- tonus nicht mehr statthaft. Beim Gummizug nimmt die Kraft im Laufe der Bewegung durch die Entspannung ab, die beiden entgegengesetzt ziehenden B~nder kSnnen nur in einer bestimmten M_ittelstellung sich gegenseitig die Waage halten und eine ,,Indifferenzzone" ist bei diesem System nicht mSglich. Will man ffir die l~byrinth~ren Zugkr~fte einen einfachen Vergleieh heranziehen, so kann man diesen 1V[uskelzug nur zu einem doppelseitigen, fiber 2 Rollen wirkenden Gewichtszug in Parallele setzen. Durch geringe Mehrbelastung einer Seite kann hier eine an- n~hernd gleiehm~i~ige, langsame Verschiebung einer zwisehen den Zfigen eingespannten Kugel erfolgen (Horizontalversehiebung oder auch Drehung der Kugel, je nach der Versuchsanordnung). Erreicht das sinkende Gewicht eine Unterlage (,,Bewegungsziel"), so hSrt die Zug- wirkung schlag~rtig aufi Der Vergleieh macht es sofort ersichtlich, dal~ die zwischen den beiden Gewiehtsziigen befestigte Kugel bei Gleichheit der Gewichte in jeder Stellung zwisehen den l~ollen verh~/rrt, die ihr erteilt wird, also auch hier eine richtige Indifferenzzone besteht.

Der Vorgang der langsamen Phase des Nystagmus mit seiner gleieh- m~l~igen, langsamen Bewegung ist daher nur mit diesem Gewichtszug und niemals mit einem Gummi- oder Federzug vergleichbar und dieser

Page 9: Über die schnelle Komponente des labyrinthären Nystagmus

Ober die schnelle Komponente des labyrinth~ren Nystagmus. 493

Vergleich illustriert deutlich die Notwendigkeit der Annahme einer Indifferenzzone fiir die labyrinthi~ren Kr~fte, die fiir die Analyse des Nystagmus yon grundlegender Bedeutung ist.

Wird ein L~byrinth gereizt, z. B. durch K~ltspiilung und ampullo- petale StrSmung (wiihrend man die ampullofugale StrSmung vielleicht irgendwie als Ds auffassen kSnnte), so wird - - wie noch zu erSrtern-- das Bewegungsziel zur Seite des gereizten Labyrinths heriibergezogen, erreicht also erst die Mittellinie und wandert d~nn bei st~rkerer l~eizung auf die Seite des gereizten Labyrinthes. Bei einseitiger Reizung ziehen dann beide Labyrinthe (bzw. Kerngebiete) die Bulbi zur Seite des l~eizes.

Wenn man also yon den mechanischen Komponenten absieht, finder man 2 auf die Augen einwirkende Kr~ftegruppen mit je einem unter- geordneten tonisierenden ~aktor, der gewissermal~en der zugehSrigen eigentlichcn Zugkraft die Ausg~ngsstellung zu sichern, die ,,Zfigel zu straffen" hat: Die willensm~Bige Blickeinstellung mit einem unter- geordneten ,,statischen" Tonus und die Labyrinthwirkung mit dem labyrinth~ren Kerntonus. Beide Kr~ftegruppen wirken gleichzeitig und unabhi~ngig voneinander auf die Augen ein und haben ihre ganz charak- teristischen Bewegungsformen. Gleichm~igkeit und bestimmtes Ein- stellungsziel zeichnen dabei die labyrinth~ren Kri~fte ~us.

In der Ruhe ist die st~rkste der angefiihrten Kr~fte der Wille, der auch den Labyrinthkerntonus fiberwinden kann. Bei pathologischer ErhShung des Labyrinthtonus ist er aber dazu nicht mehr imstande und es entsteht das Wechselspiel des Nystagmus. Es finden sich hier ~hnliche Verh~ltnisse wie bei anderen ,,halbautomatischen" ~uskeleinrichtungen des KSrpers, wie z. ]~. der Atmung oder den Schliel~muskelm

Es zeigt sich nun, da6 man ffir die Erkli~rung des labyrinth~ren Nystagmus in allen seinen Formen und Varianten mit diesen 4 Faktoren vollkommen auskommt und auf die hypothetische zentrale AuslSsung der raschen Komponente vSllig verzichten kann.

Bei tier Analyse dieser Vorg~nge mul~ m~n sich zuerst darfiber klar werden, welche dieser Kr~fte nun einen Dauerzug und welche die ~lter- nierende Komponente darstellt. Die. bisherigen Theorien mfi[~ten ffir beide Komponenten das Alternieren erkl~ren, w~hrend sie diesbezfiglich iiberhaupt keine Argumente vorzubringen haben. Einzig und allein fiir den Einstellungsnyst~gmus wurde auch bisher eine alternierende Komponente angenommen: ~an erkli~rte ihn durch einen Dauerzug infolge des EwA~Dschen L~byrinthtonus in der Richtung der Geradeaus- stellung, der ruckweise durch den Willen immer in dem Augenblick iiber- wunden werden sollte, da die Deviation zum Bewul)tsein k~me.

Page 10: Über die schnelle Komponente des labyrinthären Nystagmus

494 M. K~Avs :

Diese Erkl~rung erscheint aber nur auf den ersten Blick plausibeI. Denn

1. lgI~t bei der Blickeinstellung auf einen ruhenden Punkt die Auf- merksamkeit mit der Zeit immer naeh, die einzelnen Sehl~ge miil~ten daher beim Einstellungsnystagmus mit der Zeit immer grSBer werden.

2. m/i~te der Einstellungsnystagmus viel unrege]maBiger sein, durch festes Fixieren miiBte er sofort sehr schnell und feinschl~gig werden, w~thrend man in Wirkliehkeit ohne B]ickwendung die Sehlagfolge tines I~ystagmus nicht willktirlich beeinflussen kann.

3. kann yon einem ,,Bewul~twerden der Deviat ion" unter der Leucht- brille oder gar nach der 1V[ethode yon I(OBI~AK (Palpation der Bulbi bei geschlossenen Lidern) nicht die Rede sein.

4. findet man auch beim Einstellungsnystagmus meistens eine rota- torische Komponente . Diese ist dutch den Willen nicht zu erkl~iren, sondern nur durch den Zug automatiseh wirkender Zentren; warum aber so]Ite tier alternieren ?

Diese Uberlegungen fiihren zu dem Gedanken, die alternierende Komponente in der langsamen Phase des 1Xystagmus zu suchen. Sie lal~t sich auch ganz einfach in dem im vorhergehenden begrfindeten automa- tischen Aufh6ren der labyrinth~ren Zugkraft bei Erreichung des taby- rinth~ren Bewegungszieles (der Deviation best immten AusmaBes) finden.

Unter tier blofien Annahme der Selbsti~ndig]ceit uncl g~undsi~tzlichen Verschiedenheit der labyrinthiiren von den cortical-automatischen Ein- ~tellungs]c~iiften sowie der Fo[gerungen aus des Tatsache der ge/creuzten Bewegungsziele /i~r beide Labyrinths lasssn sich nun alle Formen labyrin- thi~rer nysta/ctischer Augenbswegungen zwangIos und auf vollkommen ein- heitlicher Grundlage bis ins einzs!ne er/cliiren.

Der ganze bunte Formenwechsel des labyrinth~ren Xystagmus ergibt sieh dabei zwanglos unter Zugrundelegung einer Besonderheit dieses Organes. W/ihrend jeder ~uske l und jedes andere Sinnesorgan bei Reiz- erhShung innerhalb gewisser Grenzen mit einer einfach progressiv wachsenden Reizbeantwortung reagiert, antwortet das Labyrinth, wie es die dargelegte Theorie annimmt, in erster Linie mit einer quali tat iven Xnderung seiner Auswirkungen: 1V[it einer Verlagerung des labyrinth~ren Einstellungszieles der Augen (,,Ziel" nieht im Sinne eines best immten fixierten Gegenstandes, sondern immer im Sinne der erreichten Grenze einer veranlaBten Augenbewegung, einer Bulbusdeviation ganz be- s t immten AusmaBes aufgefaBt). W/~hrend beispielsweise das reehte Labyr inth fiir sich allein in der l~uhe die Augen naeh links einzustellen sucht, fiihrt es dig Bulbi bei erhShtem l~eizzustand in die Geradeaus- stellung und bewirkt bei weiterer Zunahme des l~eizes eine (langsame) Deviation bis auf die rechte Seite. So kann es kommen, dab sehwaeher

Page 11: Über die schnelle Komponente des labyrinthären Nystagmus

Uber die schnelle KomponenLe des tabyrinthi~ren Nystagmus. 495

und starker Reiz gewissermagen eine entgegengesetzte Wirkung, n~mlieh eine in der Riehtung entgegengesetzte Augeneinstellung zur Folge haben.

Dieses der l%eizzunahme parallelgehende Wandern des Einstellungs- zieles l~Bt sieh ganz zwanglos aus dem Schema der in der P~uhe gekreuzten Labyrintheinstellungen naeh EWALD und den enLspreehenden Beob- aehtungen am gereizten Labyrinth entwiekeln. Der langsame Labya-inth - zug zur Seite des l%eizes ist ja eine yon der KMorisiernng, Drehpriifung und den Beobaehtnngen am entzfindlich erkrankte~ Labyrinth her gut bekannte Tatsaehe und die grSgenm~gige Abh~ngigkelt der Deviation yon der l%eizst~rke elne fast selbstversti~ndliehe ]?olgerung. Die Kombi- nation dieser bekannten Tatsaehen mit der im Vorhergehenden be- gritndeten Notwendigkeit der Annahme eines Bewegungszieles f:dr die labyrinthgren N:r~fte ergibt dann folgeriehtig die Vorstellung yon einem Wandern dieses Einstellungszieles mit der Reizzunahme bis zu einer jeweils genau bestimmten Grel~ze.

Die Annahme der gradm~gigen Abh/~ngigkeit der labyrinthi~r ver- anlagten Bulbusdeviation yon der ReizgrSBe trifft sieh fiberdies ganz genau mit einer Theorie yon der physiologisehen Bedeutung des labyrin- th-~ren Nystagmus und damit aueh mit den in diesem Zusammenhang angefiihrten Argumenten und Beweisen, deren Darlegung allerdings einer unmittelbar im Erseheinen begriffenen zwei~en ~{itteilung iiberlassen werden muB.

Die einzelnen labyrinth~ren Nysgagmusformen lassen sieh nun naeh der vorgebraehten Theorie in folgender Weise analysieren :

1. Der Einstellungsnystagmus: Dureh extreme Deviation kommt as zu einer versts Wirkung des Labyrinthtonus. Wenn die Bulbi die Indifferenzzone verlassen, ziehen beide Labyrinthe in die gleiehe Rich- tung, n~mlieh gegen die lVledianstellung hin. Dadureh langsames Zuriiek- gehen der Bulbi, bis die Grenze dieser neutrMen Zone erreieht ist; da an dieser Stetle die labyrinthi~re Zugkraft plii~zlieh auf Null absink~, kommg es dutch die willensm~gige Dauerspannung neuerlieh zu einer extremen Seitendeviation in Form eines rasehen guekes. Das Spiel wiederholt sieh, bis der willensmgl3ige Tonus schlieBlich den labyrinth~ren ~berwindet.

2. Der Nystagmus bei Ausfall eines Labyrinthes : )gun kann sieh vor- stellen, dug der Tonus im zugehSrigen Kerngebiet naeh ZerstSrung des tibergeordneten Labyrinthes plStzlieh nachlggt, wodureh es dann zu einem (Jberwiegen der gesunden Seite kommt. Das iibriggebliebene Labyrinth stellt die Augen lang'sam zur Gegenseite ein, bei Erreiehung des Bewegungszieles Fortfall der labyrinth~ren Spannung und zur- Wirkung-Kommen des willensm~gigen Zuges mit Ruekbewegungen der Augen in die Geradeausstellung, worauf sieh dann das Spiel ebenfalls wiederholt.

Page 12: Über die schnelle Komponente des labyrinthären Nystagmus

496 M. K~Avs:

Man kann sich den Vorgang aber aueh so erkl~ren, dab man bei p15tzliehem Ausfall eines Labyrinthes im zugehSrigen Kerngebiet durch StSrung der Koordination einen erhShten Reizzustand annimmt (Gi~TTIC~). Unter dieser Annahme kommt es dann zu einem Wandern des Einstellungszieles auf die Seite der Reizung hiniiber, so dab jetzt beide Kerngebiete die Bulbi zur ausgeschalteten Seite ziehen. Mit Nachlassen dieses Reizznstandes ks es dann allms zum Versehwinden des Nystagmus.

Auf diese Weise erklart sich jedenfalls zwanglos die selfsame Tatsaehe, dag Reizung und Ausschaltung eines Labyrinthes die gleichen Augen- bewegungen verursachen: Einmal dureh ~berwiegen der Zugkraft des gesunden Labyrinthes und das anderemal durch Wandern des Ein- stellungszieles und Doppelzug zur gereizten Seite.

3. Der labyrinth~re Reiznystagmus: Bei Reizung eines Labyrin~hes kommt es zuerst zum Wandern des Bewegungszieles der gereizten Seite yon der Gegenseite zur ~ittellinie hin, der Eins~ellungsnystagmus zur Gegenseite verstarkt sich zum l~ystagmus 1. Grades mit der raschen Phase zur Gegenseite. Nimmt der Reiz etwas zu, so kann man sich gut eine allgemeine zentrale TonuserhShung in den Labyrinthzentren da- dutch vorstellen, wie z .B. aueh bei einem starken Willensimpuls fiir einen bestimmten 5Iuskei sick aueh entfernt gelegene ~uskelgrulopen kontrahieren. Aueh die Einstellungszone des anderen Labyrinthes wandert gegen die Mittellinie, die Indifferenzzone wird immer schm&ler und der Nystagmus 1. Grades verst~rkt sieh zu einem 1. Grades beider- seits, da der Wille den verst~rkten Tonus in beiden Extremstellungen der Augen nieht mehr fiberwinden kann. Nimmt der Reiz weiter an St&rke zu, so wandert das Einstellungsziel des gereizten Labyrinthes yon der Gegen- seite fiber die Mittellinie zur eigenen Seite hertiber, die Indifferenzzone wird ganz schmal und liegt auf der Seite des gereizten'Labyrinthes. Beim Bliek geradeaus muB es daher zu einem Nystagmus zur Gegenseite kommen, bei extremem Seitenbliek aber immer noch zu einem Nystag- mus 1. Grades beiderseits, wie es die theoretisehe Ableitung verlangt und die Erfahrung best~tigt. Erst bei ganz hoehgradigem Reiz wandert das Einstellungsziel ganz extrem zur gereizten Seite und es kommt z u m Nystagmus 3. Grades, der in allen Blickriehtungen zur ungereizten Seite sehl~gt. Dabei kann man sieh vorstellen, dab der Zug der stark gereizten Seite den der ruhenden jetzt in allen Einstellungsphasen fiberwiegt, dag es also keine Indifferenzzone mehr gibt, sondern nut eine Zone des st~rkeren und eine des sehw~eheren Zuges zur Seite des Reizes.

Die Schlagweite des Nystagmus braucht dabei durchaus nicht fiber das ganze Bliekfeld zu gehen. Es genfigt der p16tzliehe Spannungsabfall an der Grenze dieser Zonen zur Ausl6sung der rasehen Komponente. Im fibrigen mug aueh beim labyrinth~ren Reiznystagmus das Geltung haben,

Page 13: Über die schnelle Komponente des labyrinthären Nystagmus

~Tber die schnelle Komponente des labyrinth~ren Nystagmus. 497

was auf Grund der Erfahrungen beim Einstellungsnystagmus auch heute sehon allgemein ~ngenommen wfi'd: DaB der Wille imstande ist, wenig- stens einen gewissen Teil der labyrinthgren Zugkraft zu kompensieren. ~an darf sich diese Gegenwirkung nun allerdings nicht als einfachen mech~nischen Gegenzug vorstellen. Bekaimtlich wirkt jeder Bewegungs- impuls auf das Auge in Form eines Doppelimpulses mit Spannung der Agonisten und Erschlaffung der Antagonisten. Den teilweisen Spannungs- ausgleich muB man sich daher als rein zentralen Vorgang denken, etwa nach Art eines elektrophysikalischen Spannungsausgleichs. Der Bhck zur raschen Komponente erfordert einen viel st~rkeren Willensimpuls, der dann auch die labyrinth~re Einstellung zur Gegenseite stark ,,d~mpfen" kann, so dab der Nystagmus in keiner Bhckrichtung fiber das ganze Blickfeld (der der langsamen Komponente entsprechenden Seite) schl~gt.

DaB dabei trotzdem der Blick zur langsamen Komponente den Nystagmus sehw~chtl der zur raschen Komponente ihn versti~rkt (Jx~s~N, K # ~ E L , BAllASt), ist eine selbstverst~ndliche Folge der ~nderung des Abstandes des willensm~Itigen und labyrinth~ren Ein- stellungszieles.

4. Auch die D6viation eonjugu6e l~13t sieh ohne weiteres in dieses Schema einordnen. Man braucht sieh d~bei nut vorzustellen, dab a) ent- weder die Zugkr~ft fiir die sehnelle Komponente ganz verschwindet, wie es ffir den tiefen Sehlaf und die Narkose leicht erkls ist, oder dab b) der l~eizzustand des Labyrinthzentrums durch pathologische Prozesse derart grol] wird, daft das labyrinth~re Bewegungsziel nicht mehr erreicht werden kann, wodurch dann aueh kein 2qachlassen des labyrinth~ren Zuges und keine ~anifestationsmSglichkeit fiir eine rasehe Komponente mehr gegeben ist.

An der raschen Komloonente sind zwar periphere wie zentrale F~ktoren als Dauerkr~fte beteiligt, das wesentliehe ]~Ioment dabei, der Wechse] der beiden Komponenten, ist aber a]lein in der langsamen Phase zu suehen, deren rhythmischer Spannungsabfall somit als eigentliche Ursache der selbst~ndig gar nieht existierenden schnellen Komponente gelten mu6.

Die ganze vorgebraehte Theorie baut sieh logisch auf einer einzigen Annahme bzw. Beobaehtung auf: Der gleichmgBigen St~rke der labyrin- th~ren Zugkr~fte in jeder Phase der langsamen Komponente. Daraus folgt zwingend die Forderung naeh einer ,,Indifferenzzone", in weiterer Folge die Notwendigkeit der Ann~hme einer nicht labyrinth~ren, auto- matisch-tonisehen Blickeinstellung, die wieder die Annahme eines eigenen l~eflexes ffir die schnelle Komponente fiberflfissig maeht usw. his zur Erld~rung der Nyst~gmusformen in ~l]en Einzelheiten.

Der Nystagmus ist demnach, gctnz allgemein gesagt, die Folge einer Diskrepanz der Einstellungsrichtungen der labyrinthi~ren und der nicht

Page 14: Über die schnelle Komponente des labyrinthären Nystagmus

498 M. K~Ass:

labyrinthi~ren Zug/cri~/te, die au/ die Augenmus/celn einwirken. Er tritt au/, wenn Blickrichtung und Indi//erenzzone nicht mehr zusammen/allen. Das kann sowohl durch Xnderung der Blickriehtung, als aueh durch Ver- schm~lerung und Seitenverlagernng dieser Indifferenzzone infolge labyrinthgrer oder zentra]er Reizzustgnde erfolgen and ergibC dadurch die Verschiedenen Formen des charakteristisehen labyrinthgren ~ystag- runs. Unter physiologischen Bedingungen kann es niemals zu einem labyrinth~ren Xystagmus kommen und somit w~re die rasche Kompo- nente, wenn sie als seibstgndige ]~unktion bestfinde, ein sehr komplizierter, genauest ausgemessener und dabei vSllig zweck- und sinnloser Meeha- nismus und damit ein Vorkommen, ftir welches in der ganzen Biologie keine Parallele zu linden w~re. 3Jan mul~ erkennen, dab nur die Annahme einer solchen selbst~ndigen raschen Komponente und nicht die Aufgabe einer derartigen Hypothese einen gewagten SchluB darstellt und beden- ken, dab es sich in Wirklichkeit beim vorliegenden Erklgrungsversuch um eine wesenLliche Vereinfachung der bisherigen Vorstellungen handelt, da diese - - soweit sie fiberhaupt Schlfisse'auf Einzelheiten im Vorgang des ~ystagmus zulassen - - welt kompliziertere und Zum Tell aueh wider- sprnchsvolle Voraussetzungen zugrunde legen.

Zusammenfassung.

�9 NCach Anffihrung eines neuen Gegenargumentes gegen die Theorie der peripheren Reizausl6sung fiir die rasche Komponente des Nystagmus, sowie einer Reihe vort Argumenten gegen die Theorie der zentralen Aus- lgsung, werden die theoretischen physikalischen ~6glichkeiten fiir die Entstehung einer kombinierten Bewegung nach Art des labyrinth~ren /~ystagmus untersucht. Es zeigt sich, dab die Weglassung der Annahme einer zentralen raschen Komponente und ihr Ersatz durch die immer vorhandene willensmgBige (und automatisch-tonisch bedingte) Blick- einstellung alle Sehwierigkeiten der erstgenannten Theorien vermeidet.

Die Analyse der auf die Augen einwirkenden Kr~fte (Wille, Labyrinth- reiz und ,,Tonus") ergibt die 5Totwendigkeit einer Unterteilung der auto- matischen, tonisierend auf die Augenmuskeln wirkenden Einfltisse in zwei Komponenten verschiedener Herkunft: Ein subcorticaler, ,,stati- scher" Tonus wie ffir alle K6rpermuskeln und ein yon den Labyrinth- kerngebieten abzuleitender Tonus der Augenmuskein.

Der Labyrinthtonus kennzeichnet sich dabei durch einen anders- artigen Bewegungsablauf und das Vorhandensein eines bestimmten Ein- stellungszieles fiir die Bulbusbewegungen. Oas gleichm~Bige Bewegungs- tempo der langsamen 5Tystagmuskomponente im Verein mit der bekann- ten Tatsache der gekreuzten labyrinth~ren Einstellungsziele zwingt weiterhin zum SchluB, dab zwischen diesen Einstellungszielen eine

Page 15: Über die schnelle Komponente des labyrinthären Nystagmus

t)ber die schnelle Komponente des la.byrinth/~ren Nystagmus. 499

Indifferenzzone bestehen muB, innerhalb welcher keine labyrinth~re Zugkraft bestehen kann. Unter normalen Umst~nden entspricht diese Zone praktisch dem gesamten Blickfeld.

Nystagmus ist nun einfach die Folge einer Diskrepanz zwischen labyrinth~ren und nieht labyrinth~ren Einstellungsrichtungen, einer Diskrepanz zwischen labyrinth~rer Zugkraft und Blick. Zu einer solchen kann es durch ~nderung der Blickrichtung kommen (Einstellungs- nystagmus) oder durch Verschm~lerung und Seitenverlagerung der Indifferenzzone infolge yon Labyrinthreizen.

Jedesma], welm die labyrinth~re Zugkraft mit ihrer langsamen ]~ewegung den Bulbus an die Grenze der Indifferenzzone gebracht hat, mu$ ihre Wirksamkeit unvermittelt aufhSren und die tibrigen Kr~fte (Wille und Tonus) lassen den ]3ulbus wieder in die ursprfingliche Blick- richtung zurfickschnellen, worauf sich das Spiel wiederholt. Die rasche Komponente ist daher nichts als eine einfache Ausgleichsbewegung durch st~ndig vorhandene Kr~tfte im 5[oment des tempor~tren AufhSrens der labyrinth~ren Zugkrs womit sich auch das Alternieren der beiden Komponenten des Nystagmus ganz zwanglos erkl~rt.

Die Annahme eines eigenen t~eflexes ffir die schne!le Komponente, die auch aus verschiedenen anderen Grfinden als unlogisch bezeiehnet werden mul~, ist demnach hinfKllig und diese Feststellung ergibt nieht nur eine ganz wesentliche Vereinfachung der bisherigen Vorstellungen yore ]abyrinth~ren Nystagmus, sondern auch die ~6gliehkeit einer Erkl~rung aller Nystagmusformen bis in alle Einzelheiten : Einstellungs- nystagmus, Nystagmus bei Ausfall eines Labyrinthes (mit der seltsamen Tatsache, dal~ Reizung und Ausfall eines Organs die gleichen Er- scheinungen machen), labyrinth~rer Reiznystagmus 1. Grades, 1. Grades beiderseits allein und mit zusgtzliehem Nystagmus 2. Grades ver- schiedener Riehtung, Nystagmus 3. Grades, die Intensit~ts~nderung des Nystagmus durch Blickwendung und die Deviation eonjugu4e.

Literatur.

Die ungeheure Literatur ~uf dem Gebiete der Labyrinthphysiologie maeht eine Literatur~ngabe nach gewohnten Prinzipien unmOglich. Die meisten der zitlerten Autoren sind jedoch in den Handbfichern yon DE~KER-~AttLE:K und AL]~XA~D~R- MA~B~RG-B~U~CNS~ recht ausfiihrlich referiert. 1XTeuere Arbeiten sind zu finden bei FISChEr: ,,Die Regulationsfunktionen des menschl. Labyr." (1929). - - GffTTIc~: ,,Neurologie des Ohrlabyrinths" (1944). - - VEITs: ,,Uber den gegenw. Stand der menschl. Labyrinthphysiologie", Zbl. 0hrheilk., Bd. 17 (1932).

Dr. 5lAx K~vs , Graz, Univ. Hals-Nusen-Ohren-Klinik.